Kitabı oku: «Todwald», sayfa 2

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Es war dreiundzwanzig Uhr. Die attraktive blonde Frau im eng sitzenden dunkelblauen Kostüm betrat das großzügig geschnittene Wohnzimmer im Erdgeschoss des kubistisch gestalteten, einstöckigen Hauses am Rande des Frankfurter Ostends. Ihr ganzes Auftreten und ihre Ausstrahlung vermittelten Dynamik, Selbstsicherheit und Kompetenz. Mit einem Blick erfasste sie die hochwertige, in SchwarzWeiß gehaltene Einrichtung des Raumes, der von verborgenen Leuchten indirekt erhellt wurde. Die späte Besucherin war erwartet worden. Der Hausherr, der ihr geöffnet hatte, wies auf die Frau, die mit ernster Miene auf der schwarzen Couch saß.

»Meine Frau Nadine«, stellte er sie vor.

»Roosen«, nannte die Frau ihren Namen.

Die Hausherrin gab der Frau höflich, aber zurückhaltend die Hand. »Nehmen Sie doch bitte Platz. Kann ich Ihnen etwas anbieten? Vielleicht einen Kaffee oder Tee?«

Die Besucherin lehnte dankend ab. Langsam nahm sie im Sessel gegenüber Platz. Der Mann setzte sich neben seine Frau und legte den Arm hinter ihr auf die Rückenlehne. Von ihrem Platz aus hatte die Besucherin einen guten Blick durch die bis zur Decke reichende Fensterfront auf den mit kleinen LED-Leuchten erhellten, großzügigen Garten und einen nierenförmigen Swimmingpool. Sie wusste, dass das Grundstück von einer Mauer umgeben war und Überwachungskameras jede Bewegung auf dem Areal registrierten.

Die Frau, die sich Roosen nannte, hatte im Vorfeld ihres Besuches umfassende Informationen erhalten. Der Hausherr war Dr. Reinhold D. Falkeis, Vorstandsvorsitzender der Bank of Beduin, gegründet von Ölscheichs in Dubai. Die deutsche Hauptniederlassung war im Frankfurter Bankenviertel angesiedelt. Nach ihren Kenntnissen war Falkeis millionenschwer, sein Einfluss in der Bankenszene beträchtlich – und nicht nur dort. Seine Verbindungen zu gewissen militanten islamistischen Organisationen waren der Grund, weshalb sie heute hier war. Man hatte sie angesprochen und eindringlich »gebeten«, dem Banker ihre Möglichkeiten anzubieten. Die Familie des Bankers hatte ein schwerwiegendes Problem, das sie bisher vor der Öffentlichkeit verstecken konnte.

Der Hausherr fixierte die Besucherin, dann sagte er: »Frau Roosen, man hat mir Ihren Besuch avisiert. Ich bin bereit mit Ihnen zu sprechen, weil man mir die Organisation, die Sie vertreten, empfohlen hat. Nehmen Sie aber zur Kenntnis, dass ich skeptisch bin.«

Roosen musterte das Ehepaar mit durchdringendem Blick, dann kam sie gleich zur Sache: »Herr Dr. Falkeis, nach meinen Informationen haben Sie bedauerlicherweise eine große Sorge, von der ich Sie gerne befreien möchte.«

Sie legte gekonnt eine kurze Pause ein. Die Eheleute musterten sie wortlos.

»Nach meiner Kenntnis ist Ihr neunzehnjähriger Sohn Alexander seit vier Jahren Dialysepatient. Mittlerweile befindet er sich bereits im Niereninsuffizienz-Stadium 5, leidet also bedauerlicherweise unter einer Nierenschwäche im Endstadium.«

Frau Falkeis sah ihren Mann an. Man sah, es fiel ihr schwer, die gezeigte Selbstbeherrschung aufrechtzuerhalten.

»Das ist richtig«, gab der Banker knapp zurück. »Wie Sie sehen, regt dieses Gespräch meine Frau sehr auf. Kommen Sie also zum Wesentlichen.«

Roosen nickte. »Sehr gerne. Einflussreiche Menschen aus Ihrem geschäftlichen Umfeld sind an unsere Organisation herangetreten und haben uns ersucht, Ihnen unsere Dienstleistungen anzubieten. – Ihrem Sohn geht es zusehends schlechter und es ist Fakt, dass er dringend eine Spenderniere benötigt. Wie man uns informiert hat, haben Sie erfolglos versucht, Einfluss auf die Rangfolge der Warteliste von Euro-Transplant zu nehmen. Sie haben auch Ihre Fühler nach China ausgestreckt, wo man, wie man hört, sehr erfolgreich die Nieren von hingerichteten Straftätern verpflanzt. Aber Ihr Sohn ist für eine so lange Reise bereits zu schwach, das Risiko wäre exorbitant hoch.«

Die Frau des Bankers stieß ein leises Stöhnen aus und in ihre Augen traten Tränen. Ihr Mann zog sie zu sich heran und strich ihr über die Hand. Seine Lippen waren nur noch ein schmaler Strich.

»Das wissen wir alles! Kommen Sie endlich auf den Punkt!«

Frau Roosen ließ sich nicht beirren. »Fakt ist, wir können Ihnen hier in Deutschland helfen. Was für Ihren Sohn ein deutlich minimiertes Risiko bedeuten würde.« Sie ließ ihre Worte wirken, dann fuhr sie fort: »Meine Organisation betreibt eine hocheffiziente Einrichtung für Nierentransplantationen. Unser medizinisches Personal ist ausgezeichnet. Wir haben alle Möglichkeiten, die auch eine öffentliche Klinik hat. Vielleicht noch bessere. Das Wichtigste aber: Unser Fundus an Spendern ist praktisch unbegrenzt.« Sie schwieg.

»Das hätte ich gerne näher erläutert«, forderte Falkeis. »Sie werden verstehen, dass ich misstrauisch bin. Sie kommen in mein Haus und versprechen uns, das Leben unseres Sohnes zu retten. Aber mein Wunderglaube tendiert gegen null.«

Roosen lächelte leicht. »Selbstverständlich kann ich das verstehen. Lassen Sie es mich einmal so sagen: Euro-Transplant ist für das gemeine Volk. Für die Eliten dieser Welt gibt es weitaus bessere und vor allen Dingen schnellere Alternativen … beispielsweise die Organisation, die ich vertrete.«

Der Banker sah die Frau mit zusammengezogenen Augenbrauen an. »Sie sprechen von … illegalen Alternativen?«

Roosen zuckte mit den Schultern. »Legal, illegal, wer bestimmt das? Für Menschen, die es sich leisten können, gibt es in vielen Bereichen des täglichen Lebens für alles Mögliche einen Markt, der Normalsterblichen verschlossen ist. Man nimmt diesen Menschen also nichts weg, falls Sie jetzt in moralischen Kategorien denken. Was mich bei den geschäftlichen Verbindungen Ihres Mannes allerdings verwundern würde, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten.«

Der Banker sprang auf und lief erregt im Raum hin und her. Schließlich wandte er sich an seine Frau. »Nadine, würdest du uns bitte für einen Moment alleine lassen?« Er sah seine Frau auffordernd an.

Frau Falkeis setzte sich kerzengerade auf. Ihr Gesicht bekam einen harten Zug. »Reinhold, ich denke nicht daran, den Raum zu verlassen. Hier geht es um das Leben unseres einzigen Kindes. Frau Roosen hat uns erklärt, dass es einen Ausweg aus der Spendermisere gibt. Dabei ist es mir verdammt noch einmal völlig egal, ob das legal oder illegal ist und was es kostet. Ich will mein Kind nicht verlieren!«

Der Banker sah seine Frau verwundert an. In so einem Ton hatte sie noch nie mit ihm gesprochen. Sie atmete tief durch und bemühte sich um Mäßigung. »Bitte, du weißt, wie es um Alexander steht. Die üblichen Möglichkeiten sind erschöpft. Wir beide kommen nicht als Spender in Frage und die Warteliste ist lang. Frau Roosen zeigt uns einen Weg auf, der mir Hoffnung macht, und wir befinden uns nicht in der Situation, dieses Angebot einfach vom Tisch zu wischen, nur weil dahinter dunkle Kanäle aus deinem geschäftlichen Umfeld stecken. Es geht um das Leben unseres einzigen Sohnes und ich bin bereit dafür alles zu tun!« Sie sprach mit einer Bestimmtheit, die Roosen ihr gar nicht zugetraut hätte. Sie wusste, damit war die Angelegenheit eigentlich schon entschieden.

»Ich sehe, dass Sie noch Abstimmungsbedarf haben«, erklärte sie mit verständnisvollem Unterton, wobei sie nur Nadine Falkeis anblickte. »Ich gebe Ihnen eine Woche Zeit, sich die Angelegenheit zu überlegen. Danach erlischt diese Option und Sie werden nichts mehr von mir hören.«

»Wie können wir mit Ihnen Kontakt aufnehmen?«, fragte Nadine Falkeis. Der Banker stand hinter der Couch und starrte stumm vor sich hin.

»Ich werde Sie kontaktieren«, gab Roosen zurück. »Ich denke, ich muss Sie nicht darauf aufmerksam machen, dass auf jeden Fall absolute Diskretion erwartet wird.« Den letzten Satz sagte sie mit einer solchen Eindringlichkeit, dass er fast schon bedrohlich klang. Sie erhob sich. »Ich finde alleine hinaus.« Festen Schrittes verließ sie das Haus.

Zwei Straßen weiter bestieg sie ein Taxi, das dort auf sie gewartet hatte. Der Fahrer brachte sie zu einem öffentlichen Parkhaus in der Innenstadt. Dort stieg sie in einen Pkw. Nachdem sie hinter dem Steuer Platz genommen hatte, zog sie mit Schwung die blonde Perücke vom Kopf und ließ sie in einer Plastiktüte verschwinden. Mit zwei Handgriffen entfernte sie die beiden Wangenpolster aus dem Mund, die ihrem Gesicht eine etwas andere Form gegeben hatten. Die blauen Kontaktlinsen würde sie zuhause herausnehmen. Danach startete sie den Motor und verließ das Parkhaus. Ein paar Minuten später war sie auf der Autobahn und fuhr in Richtung Main-Spessart. Gut gelaunt summte sie ein Lied aus dem Autoradio mit.

4

Mark T. war seit drei Jahren Frührentner und ein passionierter Angler, der am Wochenende regelmäßig am Main seinem Hobby nachging. Sein Stammplatz lag gute zweihundert Meter oberhalb der Schleuse Himmelstadt am linksmainischen Ufer. Hier führte eine kleine Sandbank sanft in den Fluss, wodurch er nahe am Wasser sitzen konnte. Der Platz war von dichtem Gesträuch umgeben, das sich links und rechts am Ufer entlangzog. Auch heute, am Samstag, war Mark schon kurz nach Sonnenaufgang von Würzburg weggefahren, um rechtzeitig vor Ort zu sein. Mark freute sich, weit und breit war kein anderer Petrijünger zu sehen. Mit Schwung warf er seine beiden Angelruten aus. Mark T. liebte es, am Wasser zu frühstücken. Nachdem seine Ruten ausgelegt waren, griff er zum Rucksack, holte eine Thermoskanne und ein in Alufolie eingepacktes belegtes Brot heraus und goss sich Kaffee in eine Tasse. Aromatisch duftender Dampf stieg in die Morgenkühle des beginnenden Sommertages auf. Vorsichtig nippte er an dem heißen Getränk, dann löste er die Folie vom Brot. Während er genüsslich kaute, wanderte sein Blick über die Böschung des diesseitigen Ufers. Ein Stück flussaufwärts entdeckte er einen Graureiher, der im seichten Gewässer am Rande des Mains stand und wie eine zu Stein erstarrte Statue auf Beute lauerte. Wahrscheinlich ist er erfolgreicher als ich, dachte Mark. Aber das war auch in Ordnung, schließlich musste der Vogel von seinem Fang leben.

Ungefähr dreißig Meter von ihm entfernt wucherte der Uferbewuchs bis direkt an den Fluss und Zweige hingen über dem Wasser. Vielleicht eine Stelle, wo er seinen Köder auch einmal platzieren konnte. In diesem Augenblick kräuselte sich das Wasser und der Kopf einer schwimmenden Wasserratte war erkennbar. Mark verzog das Gesicht. Er hasste diese Viecher. Sie wurden von dem Unrat angezogen, den manche »Naturliebhaber« bei ihren nächtlichen Sauforgien am Main zurückließen. Mark stellte die Tasse ab, erhob sich von seinem Klappstuhl und trat näher ans Wasser, um den Bereich, in dem er die Ratte gesehen hatte, besser einsehen zu können.

»Hab ich es mir doch gedacht«, murmelte er verärgert. Durch die Zweige des Uferbewuchses schimmerte es blau. Wahrscheinlich ein Plastiksack. Mit einem kurzen Blick überzeugte er sich davon, dass bei den Angelruten alles ruhig war, dann drang er in das Gesträuch ein, hinter dem der blaue Müllsack lag. Wenig später wurde seine Vermutung bestätigt. Im Uferbewuchs steckte ein großer Müllsack fest, der leicht vom Wasser umspült wurde. Wie vermutet, waren die Ratten bereits aktiv gewesen und hatten Löcher in die Folie gefressen. Eine schwache Brise wehte auf den Angler zu und er verzog angeekelt das Gesicht. Es stank massiv nach Fäulnis und Verwesung. Wie es aussah, hatte hier jemand einen Tierkadaver entsorgt. Von Neugierde geplagt, griff Mark sich einen längeren trockenen Ast vom Boden und stocherte in einem der Löcher herum, dabei riss die Folie weiter auf. Plötzlich erstarrte der Mann und die Augen quollen ihm vor Schreck fast aus den Höhlen.

»Oh mein Gott!«, stöhnte er, ließ den Ast fallen, drehte sich um, stützte sich an einem schief gewachsenen Weidenstamm ab und erbrach würgend sein Frühstück in den Ufersand. Keuchend kam er wieder zu Atem. Das Bild eines von Ratten angefressenen männlichen Geschlechtsteils, das er durch das Loch im Plastiksack erkannt hatte, war ihm ins Gehirn eingebrannt. Er wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn und wankte zu seinem Angelplatz. Er kramte nach seinem Handy und tippte mit zitternden Fingern die Notrufnummer ein. Es dauerte einige Zeit, bis er dem Koordinator in der Einsatzzentrale den Grund seines Anrufs erklärt hatte. Der Mann bat ihn, bis zum Eintreffen der Polizei vor Ort zu bleiben. Vollkommen geschockt ließ sich Mark T. auf seinen Hocker sinken. Ihm war immer noch speiübel. Langsam trank er einen Schluck des mittlerweile erkalteten Kaffees. Jetzt erst stellte er fest, dass der Schwimmer an der einen Angel völlig untergetaucht und die Angelschnur straff gespannt war. Offenbar hatte ein Fisch angebissen. Wie in Trance beugte er sich nach vorne und holte die Angel ein. Zappelnd kämpfte ein großer Karpfen gegen den Widerhaken, der sich durch seine Oberlippe gebohrt hatte. Mit routinierten Bewegungen löste der Angler den Fisch vom Haken und entließ ihn wieder in den Fluss. Seine Lust auf Beute war ihm gründlich vergangen. Eilig verschwand der Fisch in der Tiefe seines Elements. Mark T. sah ihm nach. Hier an dieser Stelle würde er sicher nie mehr seine Rute auswerfen.

Vierzig Minuten später sah der vormals so ruhige Angelplatz von Mark T. ganz anders aus. Überall standen Einsatzfahrzeuge und der Fundplatz war von der Feuerwehr vorsichtig von Gesträuch befreit worden, damit die Kriminalpolizei sowie die Spurensicherer an den angeschwemmten Plastiksack herantreten konnten, ohne eventuelle Spuren zu zerstören.

Erster Kriminalhauptkommissar Eberhard Brunner, Leiter des Kommissariats 1 der Mordkommission Würzburg, stand mit blauen Überziehern an den Schuhen und Gummihandschuhen an der Fundstelle. Die Feuerwehrleute hatten, nachdem die Spurensicherer die Auffindesituation mehrfach fotografiert und die Umgebung nach Spuren abgesucht hatten, den Plastiksack vorsichtig aus dem Unterholz befreit und auf eine große Plastikfolie gezogen. Der Gestank, der dem Sack entwich, war unbeschreiblich. Etwas Entlastung brachte die Eukalyptussalbe, die sich die Ermittler unter die Nase geschmiert hatten.

Dr. Samuel Karaokleos, der Rechtsmediziner, schien allerdings gegen diese Ausdünstung des Todes völlig gefeit zu sein. Ebenfalls mit Schuhüberziehern und Gummihandschuhen ausgerüstet, stand er nachdenklich neben dem Sack und wartete, bis der Polizeifotograf mit einem Nicken sein Einverständnis zur Weiterarbeit gab.

Zu Brunner gewandt meinte Dr. Karaokleos: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich in diesem Plastiksack eine vollständige Leiche befindet. Dafür ist er zu klein.« Er beugte sich mit einem Skalpell in der Hand über den Sack. »Na, dann wollen wir mal sehen, was wir hier Schönes haben.«

Brunner verzog das Gesicht. Der Mann hatte wirklich ein Gemüt wie ein Fleischerhund. Mit einem einzigen fließenden Schnitt schlitzte der Rechtsmediziner den Plastiksack in seiner ganzen Länge auf und klappte die Folie zur Seite. Der Gestank war einfach unbeschreiblich.

»Dachte ich es mir doch«, stellte Dr. Karaokleos zufrieden fest, »ein klassischer Torso!«

Tatsächlich fehlten dem zum Vorschein gekommenen Körper alle Extremitäten und der Kopf.

»Eindeutig männlich, auch wenn die Ratten sich schon bedient haben.« Der Mediziner betastete die durch die Verwesung bereits schwärzlich verfärbte Haut der entstellten Leiche, die sich bei der Berührung leicht löste.

»Eine typische Waschhaut, was dafür spricht, dass er schon einige Zeit im Wasser liegt. Auch der Leib ist entsprechend aufgedunsen. Die Gase haben ihn an die Wasseroberfläche getrieben.«

Karaokleos hob den Torso im Gesäßbereich leicht an. »Sehen Sie hier.« Er deutete auf eine kleine Tätowierung auf der einen Gesäßhälfte, die wegen der farblichen Hautveränderungen allerdings nur schwer zu erkennen war. »Sieht wie zwei ineinander verschlungene Ringe aus. Das hilft Ihnen vielleicht bei der Identifizierung des Toten. Ich werde bei der Leichenöffnung auf jeden Fall detaillierte Fotos hiervon anfertigen lassen.«

Brunner bedankte sich. »Können Sie etwas zum Todeszeitpunkt sagen?«

Karaokleos erhob sich. »Das ist schwer zu sagen. Bei den relativ hohen Wassertemperaturen würde ich meinen, vier bis sechs Tage. Nach der Obduktion kann ich sicher Genaueres sagen.« Er zog seine Gummihandschuhe aus und warf sie auf die Plastikfolie. »Lassen Sie den Torso bitte in dem Plastiksack transportieren, damit keine Spuren verloren gehen. Außerdem würde ich das Ufer absuchen lassen. Womöglich wurden die fehlenden Körperteile irgendwo anders angetrieben.« Er musterte die Schnittstellen der abgetrennten Gliedmaßen am Körper. »Hier war kein Stümper am Werk. So wie der Täter Arme und Beine abgetrennt hat, verfügt er zumindest über gewisse anatomische Grundkenntnisse.«

Der Leiter der Mordkommission sah den Rechtsmediziner fragend an. »Woraus schließen Sie das?«

»Nun, hier hat einer nicht wild gewütet. Die Schnitte sind an der richtigen Stelle gesetzt und die Knochen wurden, wie es scheint, mit einer medizinischen Säge durchtrennt. Das sieht man sehr gut an der Schnittstelle. Die Zahnung ist deutlich feiner als bei einer normalen Fleischsäge. – Aber wie gesagt, bei der Obduktion kann ich das besser beurteilen. Für mich steht auf jeden Fall fest, dass der Täter in Ruhe arbeiten konnte. Die Glieder wurden sicher nicht hier am Main abgetrennt.«

Brunner bedankte sich für den Hinweis, dann winkte er die beiden Männer heran, die in einiger Entfernung an einem Leichenwagen warteten. Sie luden den Torso vorsichtig mitsamt der Folie in einen Kunststoffsarg. Fünf Minuten später war der Wagen in Richtung Würzburg zum Rechtsmedizinischen Institut unterwegs. Dr. Karaokleos beeilte sich, hinterherzukommen, damit er das Ausladen der Leiche überwachen konnte.

»Wenn Sie die fehlenden Gliedmaßen finden, lassen Sie es mich wissen«, rief er dem Kriminalbeamten noch zu, dann schwang er sich hinter das Steuer seines Fahrzeugs und gab Gas. Er pfiff leise vor sich hin. Das schien ein interessanter Fall zu werden. Er liebte seinen Beruf.

Brunner griff zum Mobiltelefon und forderte zusätzliche Einsatzkräfte und Leichenhunde an, da das Mainufer oberund unterhalb der Fundstelle abgesucht werden musste. Er ahnte, hier stand ihm ein schwieriger Fall ins Haus.

Die angeforderten Einheiten waren eineinhalb Stunden später vor Ort. Brunner wies die Beamten ein, dann schwärmten sie aus. Es dauerte keine halbe Stunde, dann kam die erste Fundmeldung herein. Mainaufwärts hatte der Leichenhund angeschlagen und die Beamten fanden eine weitere Plastiktüte im Gestrüpp, vielleicht zweihundert Meter vom ursprünglichen Fund entfernt. Darin befanden sich zwei Beine und zwei Arme. Sosehr sich der Suchtrupp aber auch abmühte, der Kopf blieb unauffindbar.

Brunner forderte einen weiteren Leichenwagen an und ließ die abgetrennten Gliedmaßen in die Rechtsmedizin schaffen. Jetzt war es die Sache von Dr. Karaokleos, die abgetrennten Teile wieder so zusammenzusetzen, dass man die Identität des Toten feststellen konnte.

5

Der Himmel der Lust lag am Rande von Aschaffenburg in einem Industriegebiet und war ein über die Grenzen der Stadt hinaus bekanntes Etablissement für käufliche Liebe aller Art. Gäste dieses Tempels der körperlichen Freuden kamen aus den angrenzenden Landkreisen, aber auch aus dem Nachbarbundesland Hessen, insbesondere auch aus der Finanzmetropole Frankfurt. Auf diese Kunden war der Betreiber des Hauses, Dimitrij »Stalin« Komarow, besonders stolz. Schließlich gab es in der Hessenmetropole zahllose Konkurrenzbetriebe. Die Tatsache, dass Männer trotz der Entfernung die Fahrt auf sich nahmen, um in sein Haus zu kommen, sprach wohl für die Qualität seiner Damen. Den martialischen Zusatznamen Stalin, der Stählerne, hatte sich Dimitrij nach einer wodkaschwangeren Nacht selbst verliehen, wohl als Ausgleich für seinen wenig beeindruckenden Familiennamen, der so viel wie Stechmücke bedeutete. Dimitrij gab sich auch alle Mühe, seinem Zusatznamen gerecht zu werden. Mit eiserner Faust hatte er seinen Platz im Geschäft mit der Lust behauptet. Mehrmals gab es Versuche, ihm seine Mädchen wegzunehmen und ihn zum Teufel zu jagen. Aber nachdem einige Schläger der Konkurrenz mit blutigen Köpfen abgezogen und zwei auf Nimmerwiedersehen verschwunden waren, wurde er akzeptiert und man ließ ihn in Ruhe.

Im Parterre befand sich die großzügig ausgestattete Bar, in der die Frauen auf ihre Kunden warteten. Im Stockwerk darüber lagen Dimitrijs Büro und die Zimmer der Mädchen. Dimitrij saß am Schreibtisch und kontrollierte am Laptop die Einnahmen des letzten Monats. Zufrieden grunzend, speicherte er das Ergebnis auf einem USB-Stick. Er zog ihn ab und legte ihn in einen geöffneten Tresor, der hinter dem Aktbild einer sich lasziv räkelnden Schönheit in die Wand eingelassen war.

Komarow rollte mit seinem Bürosessel ein Stück zur Seite, bis er vor der Schmalseite des Raumes zum Stehen kam, die mit einer Holzvertäfelung verkleidet war. Er drückte einen Knopf und mit einem summenden Geräusch verschob sich die Vertäfelung seitlich in die Wand. Dahinter kamen vierzehn Monitore zum Vorschein, die alle eingeschaltet waren und verschiedene Ansichten der Bar und der acht Separees auf seinem Stockwerk zeigten. Eine Kamera war am Eingang und eine am Hinterausgang installiert. Sehr praktisch, um die Annäherung unerwünschter Gäste wie Polizei oder, schlimmer, Vertreter der Konkurrenz rechtzeitig zu bemerken. So war man vor Überraschungen sicher.

Plötzlich kniff Komarow die Augen zusammen und widmete seine Aufmerksamkeit einem bestimmten Monitor. Er gab das Bild eines Separees wieder. Auf ihm war ein Kunde zu sehen, der sich nackt mit einer ebenfalls unbekleideten Frau beschäftigte. Janine, wie er erkannte.

Die Szene hätte Dimitrij grundsätzlich nicht sonderlich interessiert, da sie nur zeigte, dass sich ein Kunde des Hauses mit einem der Mädchen amüsierte. Er hatte sie bei den schwarzen Haaren gepackt und zwang sie vor sich auf die Knie. Seine Erregung war unübersehbar. Komarow konnte sehen, dass Janine sich wehrte und ihm mit den Fäusten gegen den Bauch schlug. Er runzelte die Stirn. War das ein Rollenspiel oder war ihr Widerstand ernst gemeint?

Mit einem Knopfdruck schaltete Komarow den Lautsprecher ein, automatisch startete damit auch die Aufzeichnung des Geschehens. Sofort erfüllte lautes Keuchen der beiden Menschen auf dem Bildschirm das Büro.

»Lass mich los, du Arschloch!«, kam die sich überschlagende Stimme Janines quäkend über den Lautsprecher. »Nimm deine verdammten Griffel von mir!«

»Dir werde ich helfen, du Schlampe!«, fauchte der Mann. Der Kunde verpasste Janine einen schallenden Schlag ins Gesicht, der sie niederstürzen ließ. Sofort lief ihr Blut aus der Nase.

Dimitrij Komarow schüttelte verärgert den Kopf. Eine Ohrfeige war grundsätzlich noch im Bereich des Tolerierbaren. Verletzungen aber nicht. Es konnte nicht angehen, dass Frauen tagelang nicht arbeiten konnten, weil sie am Körper Blutergüsse aufwiesen. Er würde dem Kunden anschließend unter Hinweis auf die Gewalttätigkeit einen ordentlichen Aufpreis abverlangen. In diesem Augenblick eskalierte die Situation auf dem Bildschirm radikal. Da ihr Kunde sie immer massiver bedrängte, wurde Janine immer hysterischer. Sie schrie völlig außer sich, schlug um sich und trat dem Mann schließlich hart in den Unterleib. Mit einem heiseren Aufschrei fiel er zusammengekrümmt auf das Bett.

»Ich bring dich um, du verdammte Drecksnutte!«, stieß er gepresst hervor.

Janine lag auf der Seite und erbrach sich würgend mitten auf den Teppichboden. Komarow hatte genug gesehen. Hier musste eingegriffen werden. Er hob den Telefonhörer ab und drückte einen Knopf.

»Sergej, sofort auf Zimmer 7! Janine dreht durch!«

Sein Gesprächspartner stellte offenbar keine Fragen, denn Dimitrij legte sofort wieder auf. Seine Aufmerksamkeit richtete sich erneut auf den Monitor.

Es vergingen kaum fünfzehn Sekunden, als er das Schlagen der Tür des Separees hörte und Sergej plötzlich im Aufnahmebereich der Kamera erschien. Der ein Meter fünfundneunzig große Kaukasier war kahlköpfig, im Gesicht und am Kopf tätowiert und hatte den muskulösen Körperbau eines Bodybuilders. Mit seinem beeindruckenden Körper füllte er fast das gesamte Kamerabild aus. Komarow wusste, in der Regel reichte sein bloßes Erscheinen, um Streitigkeiten schlagartig zu beenden.

Sergej machte einige Schritte in den Raum, wodurch er wieder das gesamte Bild für seinen Boss freigab. Der Kunde lag noch immer ächzend und fluchend auf dem Bett, schien sich aber langsam zu erholen. Janine musste ihn wirklich voll getroffen haben.

»Ich werde diese verdammte Schlampe umbringen!«, presste er hervor und warf lodernde Blicke in Richtung der Frau, die sich an der Wand aufgesetzt hatte. Ihre Schminke war verschmiert und die Wimperntusche hinterließ auf ihrem Gesicht schwarze Rinnsale. Sie hatte die Beine angezogen und die Arme um die Unterschenkel geschlungen. Sie zitterte am ganzen Körper.

»Hier wird niemand umgebracht!«, kam Sergejs tiefe Stimme aus dem Lautsprecher. »Wir entschuldigen uns für das Verhalten unserer Mitarbeiterin. Selbstverständlich können Sie sofort ein anderes Mädchen haben und sind natürlich für den Rest Ihres Besuches Gast unseres Hauses.«

Während der Mann sich langsam vom Bett erhob, bückte sich Sergej und las die Kleider Janines zusammen. Dann näherte er sich der jungen Prostituierten. Ängstlich sank sie noch mehr in sich zusammen.

»Steh auf!«, befahl Sergej knapp, dabei warf er ihr die Kleidungsstücke zu. »Der Boss will dich sprechen!« Obwohl er seine Stimme nicht gehoben hatte, reagierte Janine sofort. Sie stand auf, raffte ihre Wäsche vor der Brust zusammen und hastete, nackt, wie sie war, auf den Flur. Sie flüchtete ins Umkleidezimmer und zog sich schnell an. Ihr Herz klopfte ihr vor Angst bis zum Hals.

Sergej wandte sich dem Gast zu, der mittlerweile in seine Shorts geschlüpft war. Noch immer trug er eine verbissene Miene zur Schau.

»Sind Sie damit einverstanden, wenn ich Ihnen Natascha hereinschicke? Sie ist eines unserer besten Mädchen. Sie werden nicht enttäuscht sein. Sie wird Sie die Unannehmlichkeiten schnell vergessen lassen. Selbstverständlich lasse ich Ihnen aufs Haus eine Flasche Champagner aufs Zimmer bringen.«

Der Mann brummelte etwas in seinen Bart, dann signalisierte er sein Einverständnis. Einen Moment später klopfte es auch schon an der Tür und unaufgefordert kam eine schlanke, dunkelhäutige Schönheit herein. Für Sergej war klar, Komarow hatte die Szene am Bildschirm verfolgt und Natascha in das Separee geschickt. Sie trug einen spärlichen Bikini, der keine Fragen offen ließ. In den Händen hielt sie eine Flasche Champagner und zwei Gläser.

»Hallo Süßer«, gurrte sie, während sie den Gast lächelnd fixierte. Sergej öffnete die Tür und verschwand diskret.

Janine saß wie ein Häuflein Elend auf der Couch in dem kleinen, spartanisch eingerichteten Umkleideraum, der den Damen auch als Aufenthaltsraum zur Verfügung stand. An der einen Längswand standen mehrere Spinde. Im Augenblick war das Zimmer leer, da alle ihre Kolleginnen arbeiteten. Janine hatte sich einen weißen Bademantel übergeworfen. Trotzdem zitterte sie am ganzen Körper. Komarow stand ihr gegenüber an die Wand gelehnt und fixierte sie mit kaltem Blick.

»Was war das für eine Scheiße?«, fragte er hart.

»Dieser perverse Typ … hat mich … geschlagen«, stieß sie schluchzend hervor. Ihre Schminke war verschmiert.

»Was heißt hier geschlagen? Du hast ihn mit deinem Gezicke wütend gemacht. Du wirst dafür bezahlt, dass du den Wünschen der Gäste entsprichst!« Er kniff die Augen zusammen. »Brauchst du schon wieder einen Schuss?«

»Das Zeug, das mir Sergej besorgt hat, taugt nichts«, gab sie heiser von sich.

In diesem Augenblick ging die Tür auf und Sergej betrat den Raum. Unwillkürlich duckte sich Janine zusammen.

»Sie sagt, der Stoff, den du ihr gegeben hast, sei schlecht?« Komarow sah den Kaukasier prüfend an.

Sergej zuckte mit den Schultern. »Sie hat den gleichen Stoff bekommen wie die anderen, die das Zeug brauchen. Sie will allerdings zwischenzeitlich immer öfter etwas. Sie kann sich den Spaß kaum noch leisten.«

Komarow taxierte die Frau wie ein Händler seine Ware.

Janine wurde unter dem Blick immer kleiner. »Boss, bitte, bitte«, bettelte sie, »es tut mir leid, das wird nicht wieder vorkommen. Bitte …«

Schließlich hatte Komarow eine Entscheidung getroffen. »Sergej, gib ihr einen Schuss, damit sie wieder arbeiten kann. Janine, du wirst die nächsten beiden Gäste kostenlos bedienen. Wenn das noch einmal vorkommt, schicke ich dich zurück. Jetzt geh ins Bad und richte dich wieder her.«

»Danke, Boss … danke«, stammelte sie und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht.

»Ich komme gleich wieder«, sagte Sergej und verließ mit Komarow das Zimmer. Janine erhob sich und verschwand im angrenzenden Bad.

Wortlos winkte Dimitrij Komarow Sergej zu sich ins Büro. Nachdem der Kaukasier die Tür hinter sich geschlossen hatte, sah ihn sein Boss durchdringend an.

»Janine ist fertig?«, fragte er knapp. »Es gab jetzt schon zum dritten Mal Ärger mit ihr.«

Sergej zuckte mit den Schultern. »Lange geht es sicher nicht mehr.«

Komarow ließ sich in seinen Sessel fallen. »Solche Vorfälle wie eben können wir uns nicht leisten. Das spricht sich schnell herum und schadet dem Geschäft.« Er öffnete seine Schreibtischschublade, holte einen Pass heraus und reichte ihn dem Kaukasier. »Sie ist noch jung. Sieh zu, dass du einen ordentlichen Preis herausholst.«

Sergej nahm das Dokument und steckte es in die Brusttasche seines Jacketts. »Wann?«

»Sofort! Ich werde mit Suganow sprechen. Morgen haben wir Ersatz.«

»Wird erledigt.«

Der Kaukasier verließ das Büro seines Chefs und betrat einen Raum am Ende des Flures, in dem er schlief, wenn er einmal hier übernachten musste. Er öffnete die Tür zum angrenzenden Bad, trat an die Toilette und drehte mit einer Münze die Schraube, die den Deckel des Spülkastens für die Toilettenspülung zuhielt. In dem Deckel befand sich eine wasserdichte Dose, die er herausnahm. Sie enthielt kleine Briefchen in zwei verschiedenen Farben. Er entnahm ein hellblaues und steckte es ein. Dann räumte er das Behältnis wieder weg und verschloss das Versteck. Danach öffnete er einen schmalen Schrank und entnahm ihm eine Rolle dicker Plastikfolie. Er entrollte die Folie auf dem Bett, bis es der Länge nach bedeckt war. Wenig später kehrte er in den Aufenthaltsraum zurück, in dem Janine wartete. Sie hatte sich wieder ordentlich geschminkt und sah gut aus. Lediglich ihre offensichtliche Unruhe zeugte davon, dass sie dringend eine Nase voll benötigte.

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