Kitabı oku: «Resilienzcoaching für Menschen und Systeme», sayfa 2
Resilienz lernt man nicht im Wellness-Hotel
Auf das Thema der Resilienz sind Entwicklungspsychologen gestoßen, als sie sich mit der Frage beschäftigten, wann sich Kinder selbst unter widrigen Umständen gut entwickeln. Mittlerweile gibt es eine Reihe großer Studien, wie beispielsweise die Kauai- Studie, die Mannheimer Risikostudie, die Bielefelder Invulnerabilitätsstudie oder die Freiburger Resilienzstudie. Die Ergebnisse der Freiburger Resilienzstudie wurden von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung auch zur allgemeinen Umsetzung zusammengefasst (BZgA 2009). Man registrierte, dass Kinder, die unter widrigen Umständen leben, etwa durch Probleme der Eltern oder allgemeine soziale Probleme, sehr unterschiedlich gut klarkommen. Hier interessierten vor allem die Kinder, die sich »resilient«, also robust gegenüber widrigen Bedingungen, zeigten und sich trotz schwieriger Umstände gut entwickelten. Die amerikanische Pionierin der Resilienzforschung, Emmy Werner, beschäftigte sich in einer Studie auf der hawaiianischen Insel Kauai mit der Frage, warum sich bestimmte Kinder trotz einer Vielzahl von Risikofaktoren und entgegen aller gängigen Annahmen zu kompetenten und erfolgreichen Erwachsenen entwickelten (Werner 1993, 2000).
Gründe für diese scheinbare Unverwundbarkeit wurden zunächst vorrangig in den Persönlichkeitsstrukturen der Kinder gesucht. Man forschte nach einem Persönlichkeitsfaktor Resilienz. Da man diesen aber nicht fand, rückte die Resilienzforschung von diesem Verständnis sehr bald ab und interpretiert die Resilienz heute als dynamisches, veränderbares und durchaus auch entwickelbares Konstrukt (Masten / Reed 2002). Inzwischen legt man ein multifaktorielles Geschehen zugrunde. Sowohl soziale und kommunikative Verhaltensmuster als auch systemisch-konstruktivistische Kompetenzen werden betont. Also zum Beispiel, ob man in der Lage ist, einem Ereignis eine Bedeutung zu geben.
In der Folge beschäftigten sich viele Forscher mit der Frage, welche Schutzfaktoren zu einer Stärkung von Menschen in Risikomilieus führen (Fröhlich-Gildhoff/ Rönnau-Böse 2009; Masten / Reed 2002). Wenn die Familie schwierig ist, sind etwa Bezugspersonen außerhalb der Familie – die Kindergärtnerin, eine Tante, die Nachbarn – und die Förderung von Talenten (Denken, Musikalität, Sportlichkeit usw.) wichtige Resilienzfaktoren bei Kindern. Verstärkt traten also extrapersonale Protektoren zum Vorschein, welche selbst in hochriskanten Umfeldern existieren (Opp / Fingerle 2007). Solche Unterstützer bzw. extrapersonale Protektoren treten selbst unter sozialen Bedingungen auf, die ansonsten für die psychische Entwicklung eines Kindes katastrophal sind.
Die Hauptfrage der Resilienz bleibt, welche Faktoren Menschen in und nach sehr widrigen Umständen helfen, gut zurechtzukommen. Auch die Übertragung der Befunde von Kindern auf Erwachsene muss geprüft werden. Es gibt einige vertraute Ideen zur Resilienz. Das sind die Konzepte der schon erwähnten persönlichen Charakteristik, der Abwesenheit von Psychopathologie oder eine durchschnittliche Stufe psychologischen Funktionierens. Diese Ideen sieht Bonanno (2012) allerdings nicht als ausreichende Forschungsbasis an. Mit seinen Überlegungen lässt sich das Konzept stärker präzisieren und für Forschung und Praxis handhabbar machen. Bonanno schlug vor, auf sogenannte trajectories (Anpassungswege nach traumatischen Erlebnissen) zu schauen, die sehr verschiedene Muster über eine gewisse Zeit nach einem traumatischen Ereignis zeigen. Beispielsweise reagieren manche Menschen direkt sehr heftig und beruhigen sich dann über einen längeren Zeitraum wieder. Andere erscheinen zunächst gefasst und entwickeln erst nach und nach Symptome. Eine weitere Gruppe von Personen springt durch ein Trauma auf eine höhere innere Erregungsstufe, die sich kaum mehr verlassen lässt und konstant erhalten bleibt. Resilienz wird erreicht, wenn eine Person eine sehr widrige Situation erfahren hat, dennoch einen einigermaßen stabilen Weg von gesundem Funktionieren und positiver Anpassung in der Folgezeit zeigt (Bonanno 2012, 755).
Traumatische Situationen verändern einen Menschen auf allen Ebenen: kognitiv, im Fühlen und selbst körperlich. Wenn das gesamte Körper-Psyche-System in den Survival Mode (Überlebensmodus) umschaltet, verändert sich nach neuerem Wissen sehr deutlich etwas im Körper. Deshalb ist der Körper in allen Behandlungsvarianten zu beachten. Dies trifft für abrupte Traumata zu, als auch für Situationen in denen über längere Zeit eine sehr widrige Konstellation mit hohem Stresspegel herrscht. Kriegssituationen beinhalten oft beide Formen der Traumatisierung.
Raketenalarm
Wird eine Rakete im Gazastreifen Richtung Jerusalem abgefeuert, hat man theoretisch eineinhalb Minuten Zeit. In dieser Zeit sollte man einen sicheren Platz aufsuchen. »In Case of« heißt es in den ausführlichen Erklärungen auf dem Infoblatt in der Jerusalemer Universität. Ich wohne im neunten Stockwerk. Aufzug-Fahren ist da nicht angesagt. Die meisten Opfer bei Alarm gibt es durch Stürze beim Rennen oder durch Herzinfarkt. Den Shelter- Room mit Stahltüre bewohnt Tom, ein amerikanischer Chinese. Ich durfte schon einen Blick in sein Zimmer werfen, ist ziemlich zugestellt. Wie sollen da die Leute aus der ganzen Etage rein? Und wird er sein Zimmer nicht abschließen wollen?
Beim ersten Raketenalarm arbeite ich gerade im Computer-raum und gehe in das empfohlene Treppenhaus im zweiten Stock. Man soll immer zwei Wände zwischen sich und draußen haben, und die Treppenhäuser sind solide gebaut. Dort sitzt auch einer meiner Freunde, der im »Coexistence«-Programm arbeitete. Wir unterhalten uns ein wenig, bis jemand ruft: »it’s over«. Was soviel bedeutet wie: Der Alarm ist vorbei.
Eine Stunde später läuft das Halbfinalspiel der Fußballweltmeisterschaft Deutschland-Brasilien, die Kneipe ist brechend voll. Ich bin zurück im Zimmer im neunten Stock und arbeite noch an einer Präsentation, höre ein paar Mal Jubel von unten und denke, die halten bestimmt alle für Brasilien. Die Sache ist gelaufen. Dann reizt es mich doch und ich gehe nachschauen. Unten begegnet mir eine österreichische Kollegin. Sie ruft: »Es steht 5 zu 0!« Mein Gedanke: »Das ist aber ein bisschen heftig für die Deutschen. Die haben ja einen ganz schlechten Tag. Aber wenn Brasilien mal ins Rollen kommt …« Dann sagt sie: »für Deutschland.« Wenn man einen Raketenalarm hinter sich hat, erhöht ein 5:0 nach 27 Minuten gegen Brasilien die ohnehin schon surreale Atmosphäre enorm.
Für die Nacht lege ich mir für den eventuellen »case« alles zurecht. Wenn der Alarm kommt, muss es schnell gehen. Meine Schuhe lege ich so nah, dass ich sie schnell anziehen kann. Meine Wertsachen (Portemonnaie, Tasche mit Pass, Visum, deutscher Sim-Karte) stecke ich jeweils in einen Schuh, damit ich sie schlaftrunken nicht etwa vergesse. Der Computer ist sowieso im Rucksack, der neben den Schuhen steht. Nichts passiert in der Nacht. Tom, der morgens immer etwa zur gleichen Zeit aufsteht wie ich, gratuliert mir zum deutschen Fußballerfolg gegen Brasilien. Er ist schon der vierte, der mir gratuliert. Ich bin ein bisschen betreten. Aber das gehört irgendwie auch zum Surrealen in dieser Gesamtsituation. Er sagt, dass der Schlüssel für sein Zimmer, unter der Mikrowelle liegt. Zwei Tage später sitze ich in der Kneipe. Nur wenige Leute sind da. Wieder ein Alarm. Keiner bewegt sich. Ich frage unsicher »the sirene?« Die Antwort eines Unbewegten: »It’s only a fire alarm.«
Levines Konzept der somatischen Erfahrung
Es gibt mittlerweile sehr viele Konzepte zum Thema Trauma, auf die hier nur verwiesen werden kann. Beispielsweise gebührt im Rahmen neuerer Ansätze Luise Reddemann das Verdienst, insbesondere hypnotherapeutische Gedanken in die Traumabehandlung eingebracht zu haben (Reddemann 2011). Aber auch Konzepte wie Systemaufstellungen erscheinen sehr interessant. Der Kölner Psychologe Heinrich Breuer hat hier eine Kombination aus der Aufstellungsarbeit des manchmal umstrittenen Bert Hellinger und der Vorgehensweise des anerkanntesten Psychotherapeuten des 20. Jahrhunderts, Milton Erickson aus Phoenix/Arizona, entwickelt. Traumabehandlungen gehen in der Regel dreistufig vor. Nach einer anfänglichen Stabilisierungsphase kommt die entscheidende mittlere Phase, in der das Trauma angeschaut und bearbeitet wird, und anschließend die Integrationsphase.
Peter Levine schließt sich an Eugene Gendlins Konzept des Focusings an und betont die Bedeutung von Gefühlen, des sogenannten »Gefühls-Sinns« (Felt Sense) in Situationen. Levines Konzept der somatischen Erfahrung ist angelehnt an Beobachtungen, wie Lebewesen natürlicherweise reagieren, wenn sie sich in lebensbedrohlichen Situationen befinden oder sie verarbeiten. Im Rahmen der drei Phasen – Stabilisierung, Belastung und Integration – deckt der wichtige mittlere Schritt in der Traumabehandlung die Unterschiede auf. Levines typischer Ansatz beruht auf einer sorgfältigen Konfrontation mit Aspekten, die mit dem Trauma verbunden sind. Seine der Chemie entnommene Metapher des »Titrierens«, des langsamen »tröpfchenweisen« Konfrontierens mit den traumatisierenden Inhalten, zeigt, mit welch großer Sorgfalt jegliche erneute Traumatisierung verhindert werden kann.
Dahinter steht Levines Theorie natürlicher Reaktionen auf Bedrohung (Kampf, Flucht, Starre). Gesundung ist möglich, wenn eine Veränderung auf der körperlichen (somatischen) Ebene sowie Integration ermöglicht werden. Der Anteil einer Persönlichkeit, die innerlich im Trauma verbleibt, reagiert aus dem im Trauma fixierten Zustand heraus auf das Leben. Es ist ein Zustand großer Erregung, hoher Alarmbereitschaft, nicht wirklich auf die Realität fokussiert. Traumatische Ereignisse erzeugen und hinterlassen ab dann innere Traumasysteme. Mit körperlichen Erfahrungen jedoch werden die Verbindungen verwendbar gemacht, und der Prozess lässt sich verändern. Affektive Reaktionen auf bestimmte Trigger werden geheilt, ebenso wie überwältigende, nicht für das Hier-und-Jetzt angemessene Reaktionen. Kognitive Interpretationen werden intern neu strukturiert. Nun wird im hier vorliegenden Buch nicht die Behandlung schwerer Traumata beschrieben, sondern es werden Erfahrungen zusammengetragen, um für widrige und krisenhafte Situationen vorbereitet zu sein. Wir wissen bereits, dass einem mindestens einmal im Leben ein gravierendes, potenziell traumatisches Ereignis begegnet.
»Scharfer« und »weiter« Resilienzbegriff
Man kann heute zwei Handhabungen des Resilienzbegriffs feststellen. Im scharf definierten Resilienzbegriff ist Resilienz eng verbunden mit traumatischen Ereignissen und Erfahrungen. Bonanno (2012) zeigte deutlich, dass man die Fähigkeit zur Resilienz erst in der realen Situation, etwa nach einem tatsächlichen Trauma, bei einem Menschen erkennen kann. In der sehr fokussierten Definition von Resilienz wird auch deutlich, was Resilienz nicht bedeutet: psychische Stabilität in jeder Situation und zu jeder Zeit oder sich »im Flow befinden« oder einfach »normal sein«.
Die Frage ist, ob man sich auf traumatische Erlebnisse vorbereiten kann. Wenn man sieht, wie selbst physisch und psychisch nach härtesten Kriterien ausgesuchte Mitglieder von militärischen Kampfeinheiten nach einem traumatischen Erlebnis keine Resilienz, sondern posttraumatische Störungen zeigen, macht dies zweifeln. Bonanno beschreibt die Wege, die Menschen nach einem traumatischen Ereignis durchlaufen. Diese sind viel weniger voraussagbar als man zu Beginn dachte. Man kann oft erst im Nachhinein – nach einer potenziell traumatischen Situation – sehen, ob ein Mensch resilient reagiert. Der systemische Berater Volker Sotzko aus Österreich hebt in Resilienz-Coaching oder die Kunst, die zweite Geige zu spielen fünf Wirkfaktoren für das Wiedererhalten von Resilienz hervor: Ruhe, Sicherheit, Selbstwirksamkeit, Verbundenheit und Hoffnung. Man spürt, wie diese Aspekte nach einem schlimmen Erlebnis für Menschen wieder erstrebenswert sind. Sotzko bezieht sich dabei auf die akute und mittelfristige Zielsetzung nach einem Trauma, wie sie Stevan Hobfoll zusammen mit 21 anderen Traumaforschern herausgearbeitet hat (Sotzko 2013).
Sehr viele Beiträge zum Resilienzthema, vor allem aus praktischen Ratgeberbüchern, nutzen einen Resilienzbegriff, der eher eine allgemeine psychische Gesundheit beschreibt. So vergleicht die britische Pädagogin Trudi Newton (2007) eine Entwicklung, die auf sehr problematischen, ausgeprägten psychischen Einschränkungen beruht, mit einem Resilienzzyklus, der aus einem Grundverlauf positiver psychischer Wirkmechanismen besteht. Jutta Heller beschreibt Resilienz mit einem weiten Begriff aus sieben Schlüsselfaktoren:
• Akzeptanz,
• Optimismus,
• Selbstwirksamkeit,
• Verantwortung,
• Netzwerkorientierung,
• Lösungsorientierung,
• Zukunftsorientierung (Heller 2013, 2015).
Schulze und Seykora (2015) thematisieren 18 Faktoren, die nahezu den gesamten Bereich positiv wirksamer psychischer Faktoren umfasst. Sie stellen eine sehr umfassende Perspektive an Dimensionen vor, »die beschreiben, was einen resilienten Menschen ausmacht« (102). Von ›Abgrenzung‹ bis ›Ziele und Visionen‹ führen die Autoren Parameter ein, die für Resilienz relevant sein können. Ein sehr umfangreicher Fragebogen mit allen Dimensionen wird für die Anwendung geliefert. Anschließend geben sie für jede Dimension praktische Ratschläge als Lernschritte zur Erhöhung der Resilienz. Schulze und Seykora schreiben: »Unserer Auffassung nach ist Resilienz grundsätzlich etwas, das jeder Mensch von vornherein hat – es wird jedoch unterschiedlich entwickelt« (101). Für die Erreichung von Resilienz und die dazu vorhandenen Möglichkeiten verwenden sie die schöne Metapher »Ressourcensee«.
Die Ansätze des weiten Resilienzbegriffs sind durchaus plausibel, denn die Veränderungen in der Gesellschaft und besonders in der Arbeitswelt (siehe VUCA-Welt) können den Einzelnen an Grenzen führen, die durch mehr oder weniger ausgebildete Resilienz zu bewältigen sind. Während man sich früher in andere soziale Systeme zurückziehen konnte, etwa Familie oder Religionsgemeinschaft, steht heute jeder Mensch alleine auf und vor dem großen Markt. Es ist der Markt der Möglichkeiten, aber vor allem der Notwendigkeiten. »Glück« wird heute oft als die nach oben offene Summe der erlebten Highlights und Events gesehen.
Individuelle und systemische Resilienz
Resilienz wird in traditioneller Weise als Thema des Individuums gesehen. Es ist aber wichtig, die individuelle Resilienz immer in Verbindung mit der Resilienz der übergreifenden Systeme zu sehen. Die Ausgangsfrage lautet, wie sich ein Individuum bei äußerst widrigen und belastenden Ereignissen und Erfahrungen konstruktiv entwickeln kann. Das Individuum ist allerdings nicht getrennt von den Kontexten um es herum und von den Systemen, zu denen es gehört. Systeme können die Familien, eine Organisation oder auch ein Staat sein. Auch von der gesellschaftlichen Entwicklung her entstehen Resilienzerfordernisse. Aber auch die normale wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung schafft Resilienzbedarf, etwa wenn ökologischen Systemen die Robustheit genommen wird: Im Jahre 2016 war bereits am 8. August die Aufnahmefähigkeit des ökologischen Systems für Schadstoffe erschöpft. Eigentlich hätte nichts mehr dazu kommen dürfen. Das Erhalten von Organisationen und auch von unternehmerischen Projekten stellt ebenso eine Flankierung des Individuums dar. Resilienz kann sichere Umgebungen nicht ersetzen. Das wird im »Heuschrecken-Kapitalismus«, dem dauernden Kauf und Verkauf von ganzen Unternehmen, sehr deutlich.
Resilienz ist also zutiefst systemisch zu sehen. Dies wird auch bei den Resilienzfaktoren (Abb. 1) deutlich.
Abb. 1: Resilienzfaktoren
Resilienz – eine billige Verschiebung von Verantwortung auf den Bürger?
Bevor konkrete Wege zur Resilienz und die Resilienzfaktoren angeschaut werden, soll eine grundlegende Kritik am Konzept Resilienz zu Wort kommen. Einige Kritiker wie der Geschäftsführer von Medico International, Thomas Gebauer (2015, 2016), sehen in diesem Ansatz die Verlagerung von Verantwortung staatlicher Organe oder Regierungen auf den einzelnen Bürger. Staaten gewähren ihren Bürgern nicht mehr den Schutz von Leib und Leben, sondern verlagern dies auf den Einzelnen. Dies reiche von Versäumnissen – wie zu wenig polizeiliche Präsenz – bis hin zu expliziter staatlicher Politik, die aus ideologischen Gründen unnötige Risiken schaffe. Als Beispiel sei Israel genannt, wo die rechten Regierungen die Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten fördern, wohl wissend, dass die Palästinenser in ihrer Hilflosigkeit zu gewaltsamen Aktionen greifen, die israelische und andere Menschen in Palästina an Leib und Leben gefährden. Resilienz soll dann bei Einzelnen das ausgleichen, was Staaten »verbocken« oder mutwillig herbeiführen.
Diese Kritik soll hier sehr ernst genommen werden. Dies bedeutet konkret, dass Resilienz eben nicht das Feigenblatt für schlechtes Regierungshandeln sein darf, sondern dass der Staat für den Schutz seiner Bürger vor widrigen und gefährlichen Umständen zuständig bleibt. Fast jeder Minister in jedem Lande hat mit seiner Eidesformal geschworen, Schaden von seinen Bürgern fernzuhalten. Leider wird der Interpretationsspielraum oft recht breit ausgelegt. Psychologisch scheint es sogar so zu sein, dass gerade im populistischen Spektrum Politiker und Teile der Bevölkerung auf der Basis ihrer jeweiligen Projektionen gegen Dritte zueinander finden und fatale Eskalationen gesellschaftlicher Themen herstellen.
Gebauer mahnt zu Recht, dass Regierungspolitik nicht aus ideologischen, wirtschaftlichen oder machtpolitischen Gründen ein solches Desaster herstellen solle, das durch Resilienz vom Einzelnen ausgeglichen werden müsse. Hier kann der Begriff des »kleinen Mannes« wieder ins Spiel gebracht werden. Er stammt eigentlich aus den 1950er-Jahren in Deutschland und bedeutete, dass dem Einzelnen Anstrengung und – wie man annehmen kann – Verdrängung abverlangt wurde. Die »Unfähigkeit zu trauern«, wie Alexander und Margarete Mitscherlich (1967) die Schattenseite benannten, war der Preis. Es scheint eine Art Gesetz zu sein, dass Traumata nicht wegzudefinieren sind. Im Unbewussten der Menschen gären sie weiter. So folgte in den 1960er-Jahren und später durch die nächste Generation die Thematisierung und Auseinandersetzung mit dem Grauen. Echte Resilienz ist kein Verdrängen, sondern ein Wahrnehmen dessen, was gerade passiert oder passiert ist. Wenn dann, wie seit den 1990er-Jahren, die Forderung nach Resilienz die Schattenseiten der neoliberalen Wirtschaft kompensieren sollen, das heißt, wenn der Staat seine Aufgaben nicht mehr wahrnimmt und die Folgen davon auf den Einzelnen abschiebt, ist diese Forderung in Frage zu stellen. Ich habe dieses Thema im Buch Systemische Wirtschaftsanalyse–Mensch und Ökonomie in Einklang bringen (Mohr 2015) ausführlich behandelt. Man sollte also immer schauen, in welcher Situation und von wem Resilienz thematisiert wird.
Auch viele Staaten, die als failed state (gescheitertes Staatswesen) anzusehen sind, bzw. die Staaten, die dies bei anderen herbeiführen (z. B. die US-Amerikaner im Irak oder die Europäer und Amerikaner in Libyen; Israel in den Palästinensergebieten), bürden den Menschen Unmengen von Resilienzanforderungen auf. Ähnliches gilt auch für einen Großteil der afrikanischen Staaten. Dort kommen zur oft bitteren Armut noch die vielfältigen von Menschenhand verschärften Bedingungen (Korruption, Machtexzesse usw.) hinzu. Die Improvisationskünste der Menschen in diesen Ländern und auch ihr sozialer Zusammenhalt sind notgedrungen häufig sehr hoch entwickelt.
Dies hat sich auch in anderen historischen Situationen gezeigt. Beispielsweise hatten Menschen in der DDR und überhaupt in den Ostblockstaaten eine hohe Kompetenz zur gegenseitigen Unterstützung entwickelt. Der polnische Handwerker ist noch heute ein Synonym für gute Improvisationsfähigkeit. Und wer in der DDR ein Haus bauen wollte, musste ein ganzes Netzwerk haben (einen, der einen Lkw hat; Menschen, die an Baumaterialien herankommen usw.). Diese Netzwerk-Kompetenzen waren nach der Wende mit der flächendeckenden »Eroberung durch Baumärkte« nichts mehr wert. Man konnte ja nun alles kaufen. Generell können mit der Zunahme von käuflichen Gütern manche Eigenständigkeiten von Menschen verloren gehen, wie der amerikanische Philosoph Michael J. Sandel (2014) anmerkt.
Andererseits ist es bisher nirgendwo und niemals gelungen, das Leiden von den Menschen gänzlich wegzunehmen. Die »leidvolle Existenz« wird in vielen Weisheitslehren und Religionen – etwa im Buddhismus in seiner ersten Wahrheit »Das Leben ist Leiden« – an den Anfang der Analyse gestellt. Auch andere große Weisheitsgeschichten der Menschheit, wie etwa das biblische Neue Testament, das in die Passionsgeschichte mit der Kreuzigung Jesu mündet, thematisieren die schicksalhafte Schwere des Menschseins. Das Leidhafte des menschlichen Lebens, sei es die Sicherheit des Todes, die Existenz von Krankheiten, Naturkatastrophen, Unfälle oder andere Schicksalsschläge, bleiben erhalten. Da hilft kein Konsumparadies auf Erden. Die Daseinsanalytikerin Alice Holzhey-Kunz (2014) meint in ihrer Betrachtung der Polarität von Schicksalsglaube und Machbarkeitswahn, dass Hysteriker, die dauernd Gefahren wie Krankheitsanfälligkeiten zu sehen glauben, vielleicht realistischer seien als die, die dies ganz ausblenden. Da in der Meditation das Ziel verfolgt wird, das Leben ganzheitlich in seinem Wesen zu erfassen, hat schon der Buddha selbst in seinen Achtsamkeitsübungen auch solche Phantasien mit einbezogen, die sich mit dem eigenen Tod befassen (Thich Nhat Hanh 1999).
Sind nun die Menschen in Israel, einem Land, in dem Bedrohung und Spannung ständig vorhanden sind, resilienter als anderswo? Mir sind keine ländervergleichenden Untersuchungen bekannt. Ich würde die Frage auch nicht mit »ja« beantworten wollen. Die Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf Spannung und Bedrohung. In Israel lässt sich ein gewisser Gewöhnungseffekt ausmachen und offensichtlich eine noch höhere Leidensfähigkeit bei den Palästinensern. Es wäre zu untersuchen, ob dies dann zu einem positiven zwischenmenschlichen Verhalten führt oder etwa zum Rückzug in die Familie, die in orientalischen Gesellschaften immer eine große Rolle spielt. Das Beispiel von Ofakim, einer israelischen Stadt, die in naher Raketenreichweite zum Gazastreifen liegt, zeigt, dass Menschen sich bei Bedrohungen eher aus der Öffentlichkeit und dem Gemeinschaftsleben zurückziehen. Wenn dort die Sirenen schrillen, haben die Menschen nur 20 Sekunden Zeit. Sie bleiben also im Schutzraum und konsumieren intensiv Fernsehen oder Internet.
Kollektive Traumata
Am Abend nach der ruhigen Nacht gibt es wieder Alarm, und wir schauen – obwohl wir eigentlich die Metallwand vor das Fenster ziehen sollten – hinaus, um die Raketen fliegen zu sehen. Es sieht ein bisschen wie ein Feuerwerk aus. Seit letzter Woche sind täglich bis zu 20 Raketen aus Gaza Richtung Israel abgefeuert wurden. Mit ihren von den USA gelieferten Abwehrraketen, »Iron Dome« genannt, gelingt es, einen Teil der Raketen abzufangen und zu vernichten. Ich weiß von einem Bekannten, dass diese zum Teil von jungen Mädchen abgefeuert werden, die in einem sicheren Bunker sitzen und die Waffen fernsteuern. Viele Raketen gehen auch wegen ihrer geringen Präzision in unbewohntem Gelände herunter. Aber letzte Nacht ist eine Farbenfirma und diese Nacht wieder ein Wohnhaus getroffen worden. Es ist eine hilflose, verzweifelte Kriegsführung der Hamas, die wenig bewirkt. Die Reaktion der Israelis mit ihrer überlegenen Armee auf diese Angriffe sind Bombenabwürfe auf die vermeintlichen Abschussrampen in Gaza. Die Palästinenser haben keine Abwehrraketen, sie »schützen« ihre Abschussrampen, indem sie sie aus einer Schule oder einem Krankenhaus abfeuern. Die Opferzahl ist dann immer sehr hoch.
So ist der Kreislauf hier, seit die Israelis den Gazastreifen geräumt haben: Rakete in Richtung Israel – Luftangriff auf die Abschussstelle in Gaza – Rakete in Richtung Israel – Luftangriff auf die Abschussstelle in Gaza, so geht es immer weiter. Und viele Unschuldige sterben für diesen Wahnsinn der jeweils Herrschenden.
Israel/Palästina ist ein Beispiel dafür, dass erlittene Traumata weitergegeben und ständig erhalten werden. Ein Trauma ist nicht nur das private Schicksal. Die Menschen tragen große Traumata etwa aus Kriegen mit sich, die sich in einem kollektiven Narrativ oder im kollektiven Unbewussten einer Gruppe niederschlagen. Viele Juden würden heute noch nicht nach Deutschland fahren, obwohl sie selbst keinen Holocaust erlebt haben und Deutschland heute ganz anders ist. In ihrer Vorstellung ist die potenzielle Lebensbedrohung immer noch da. Große Traumata entstehen durch Weitergabe in Familien. Frankreich und Deutschland galten als »Erbfeinde«. Zum Glück konnte die Friedenspolitik von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle mit dieser »Tradition« brechen. Zwischen Serben und Kroaten wurde die Feindschaft im sozialistischen Jugoslawien unter der Decke gehalten, danach brach sie umso brutaler aus. Zwischen Russland und der Ukraine sind die Hungerwinter, die Stalin den Ukrainern Anfang der 1930er- und Mitte der 1940er-Jahre bereitet hat, noch nicht vergessen. Diese Erfahrungen befeuern spätere Konflikte. Wenn es nicht zu einer Versöhnung kommt, brechen sie erfahrungsgemäß immer wieder aus. Diese transgenerationale Perspektive der Traumata ist bei der Entwicklung und eventuellen Wiederherstellung von Resilienz nicht aus den Augen zu verlieren.
Resilienzerfordernisse entstehen teilweise durch politische Systemkonstellationen, und wie wir sehen werden, benötigen sie systemische Antworten, um bewältigt werden zu können. Dazu gehört, dass ein Zusammenwirken von Faktoren entstehen muss und der Mensch über die Gemeinschaft Resilienz erfährt.