Kitabı oku: «Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild», sayfa 17
Es war für uns Kinder immer ein Schmerz, gar nichts zu wissen, was wir unserm Vater zum Geburtstag oder zu Weihnachten schenken sollten. Er hatte nichts Asketisches an sich, aber er ließ sich wirklich an Nahrung und Kleidung genügen und hatte darüber hinaus keine Wünsche und keine Bedürfnisse. Doch diese Freiheit den irdischen Dingen gegenüber machte ihn keineswegs unsorgsam. Er rechnete immer, wenn er nach Hause kam, ab. Jede, auch die kleinste Gabe wurde sofort notiert und in Verwahr gegeben. Auch für uns Kinder verstand es sich von selbst, daß wir über das kleine Taschengeld, das wir bekamen, sorgsam Buch führten. Beides, die sorgliche Harmlosigkeit dem Gelde gegenüber und die große Sorgsamkeit, die er ihm zugleich widerfahren ließ, hatte bei Vater in Gott seinen Grund. Gott lebt und gibt; was brauche ich zu sorgen um das Geld? Gott aber gibt das Geld, also bin ich sorgsam; denn ihm gehört beides, Silber und Gold, darum bin ich ihm auch für den kleinsten Pfennig verantwortlich.
So spürte man es Vater ab: bei ihm ist das Geld wirklich in guter Hand. Ihm können wir es anvertrauen. Er braucht es nicht zu unnützen Zwecken, nicht zum eigenen Vorteil, nicht zum eigenen Ruhm. Hier wird wirklich das Geld, das so selten Gutes stiftet, aus einem Fluch zum sorgsam verwalteten Segen. Hier wird aus dem harten Tyrannen ein Diener des Erbarmens.
Aber auch diese Verwaltung und Verwendung des Geldes innerhalb der Anstalt geschah unter dem Gesetz der Freiheit, in der innerlichen Unabhängigkeit vom Gelde, und nie wurde mit Rücksicht auf das Geld etwas unterlassen, was wirklich von der Liebe gefordert wurde. Die Liebe sollte regieren, nicht das Geld. „Nie”, sagte Vater einmal, „soll das Geld Königin sein, sondern die Barmherzigkeit. Hierbei werden die Anstalten sich auch materiell am besten stehen.” Darum wurde auch für die einzelnen Haushaltungen kein bindender Haushaltsplan aufgestellt. Es ging auf Treu’ und Glauben, wie beim Bau des ersten Tempels in Jerusalem. Dem einen Hauselternpaar war die Gabe gegeben, mit wenigem auszukommen. Gut, wenn es sich nur keinen Ruhm daraus machte, sich nicht vom Sparsamkeitsteufel ergreifen und die Liebe darüber sterben ließ. Dem andern Hauselternpaar wollte es trotz aller Mühsal nicht gelingen, mit dem Monatsgelde auszukommen. Was schadete es, wenn es sich nur nicht von ängstlicher Sorge fassen ließ und darüber für sich und die Kranken den Frieden einbüßte.
So konnte es vorkommen, daß Vater für den geschickten Hauswirt am meisten bangte, mit dem ungeschickten am meisten Rücksicht übte. Denn bei jedem sah er nicht auf das Geld, sondern auf die Barmherzigkeit. Gegen Verschwendung in jeder Gestalt war er unerbittlich. Wie oft haben wir es gesehen, wie er einen halben Backstein, der am Wege lag, aufhob und an seinen Platz trug. Wie oft hat er immer wieder zur Treue gerade in den kleinen und kleinsten Dingen ermahnt. Aber niemals um der materiellen Ersparnis willen, sondern weil Gott gerade auch das Kleinste nicht gering geachtet sein läßt.
In dieser seiner Freiheit und seiner Gebundenheit gegenüber dem irdischen Gut sich von Mellin verstanden zu wissen, mit ihm darin völlig eins zu sein, das bedeutete für Vater und die ganze Arbeit eine unermeßliche Wohltat. Und dieser Sinn der unbedingten Freiheit und ebenso unbedingten Treue gegenüber dem ungerechten Mammon wurde nun von Mellin durch seinen täglichen Dienst den einzelnen vermittelt. Damit wurde der Grund gelegt einerseits zu einer Sparsamkeit im Kleinen und Kleinsten, die manche Haushaltung zu einer Musterwirtschaft machte, andererseits aber auch zu einer Freiheit und Weite, die das Geld zu einer Dienerin der Liebe machte und seine harte Tyrannei, die sich so oft in den Mantel der Sparsamkeit hüllt, nicht aufkommen ließ.
Mellin erlebte noch den Bau der Zionskirche, zu der so viele kleine und große Gaben aus aller Welt Enden durch seine Hand gegangen waren. An einem Sonnabendabend im Sommer 1884 ging er mit uns durch den Buchenwald zum Bauplatz hinaus, und ich sehe noch das strahlende Angesicht, mit welchem er in unserer Mitte stehend zu dem Balkenwerk emporsah, das kurz vorher gerichtet war. Am nächsten Tage besuchte er auswärts einen leidenden Freund und kehrte erst abends zurück. Am andern Morgen blieb seine Tür verschlossen. Als man sie öffnete, fand man den treuen alten Mann entschlafen. Auf seinem Tisch lag der kleine Bogatzky, der auch für ihn, gerade so wie für unsere Eltern, der Freudenmeister der täglichen Buße und des täglichen Glaubens geworden war. Ich blätterte darin herum und fand, wie er jeden Tag, an welchem er zum heiligen Abendmahl gegangen war, besonders bezeichnet hatte: „Heute zum Tisch des Herrn.” Ein treuer Knecht seines Herrn, im Irdischen und im Himmlischen. „Ei, du frommer und getreuer Knecht – gehe ein zu deines Herrn Freude!” Zwischen den Gräbern der Diakonen ist noch heute sein Grab zu finden.
6. Die Ärzte
Bis zum Jahre 1887 waren es Bielefelder Ärzte, die nebenamtlich die Kranken der Anstalt besuchten, erst Dr. Tiemann, dann, als seine Nachfolger, die Doktoren Bertelsmann und Müller-Warneck, beide alten Bielefelder Familien entstammend. Sie kamen immer erst in der Mittagsstunde, nachdem sie ihre Kranken in der Stadt besucht hatten. Jeder hatte eine Abteilung im Diakonissenhause und einige Abteilungen der Epileptischen. Die Epileptischen-Abteilungen wurden nicht täglich, sondern, abgesehen von besonderen Fällen, nur zwei- oder dreimal die Woche besucht. So waren die Besuche der Ärzte in den Anstaltshäusern verhältnismäßig schnell erledigt. „Unsere lieben Ärzte haben nicht viel zu tun,” hörte man Vater in jener Anfangszeit öfter sagen, „die Brüder und Schwestern machen die Hauptsache.”
Es ist später wohl der Vorwurf erhoben worden, es wäre in jener ersten Zeit auf ärztlichem Gebiet zu wenig geschehen. Aber damals waren die eintretenden Kranken meist solche, an denen alle ärztliche Kunst sich bereits umsonst abgemüht hatte. Allmählich änderte sich das, und namentlich das Gesetz über die Fürsorge für Epileptische und Geisteskranke vom Jahre 1891 brachte es mit sich, daß mehr und mehr auch die frischeren Fälle der Epilepsie zur Behandlung kamen. Die Erweiterung der Anstalt durch die Errichtung sogenannter geschlossener Häuser für Epileptische und Gemütskranke gab vollends dem Krankenbestand gegenüber den ersten Anfängen ein ganz verändertes Gesicht. Damit war die feste Anstellung vermehrter ärztlicher Kräfte, die im Hauptamte standen, gegeben. Ihnen folgte Schritt auf Schritt ein umfassender wissenschaftlicher Apparat, der es ermöglichte, auf der Höhe der wissenschaftlichen Forschung zu bleiben und ihre Ergebnisse zur engeren und weiteren Anwendung zu bringen.
Doch liegt auch für das Urteil des Arztes die Bedeutung des Anstaltsaufenthaltes bei den Epileptischen nicht in erster Linie in der medizinischen Behandlung, sondern vielmehr in der neuen Atmosphäre, die sie umgibt. Das Leben der Zurückgezogenheit, der Einsamkeit, der Arbeitslosigkeit, der Aussichtslosigkeit hat für die Epileptischen mit ihrem Eintritt in die Anstalt ein Ende; eine feste, ärztlich geregelte Tagesordnung mit dem gleichmäßigen Wechsel von Arbeit und Ruhe nimmt sie auf; wachsame Augen der Pfleger und Pflegerinnen sind für den Augenblick des Anfalls zur Stelle, und das Zusammenleben mit Leidensgenossen wirkt keineswegs, wie vielfach angenommen wird, niederdrückend, sondern beruhigend und ablenkend. Die Kranken werden gelehrt, den Pflegern und Pflegerinnen zur Hand zu gehen, bei den Schwindeln und Anfällen ihrer Mitkranken selbst mit zuzugreifen und schwerer Leidende in besondere Obhut zu nehmen, sodaß sich ihnen immer wieder die Wahrheit bewährt: „Drückt dich eine Last, nimm eine fremde hinzu! An beiden wirst du leichter tragen, als an deiner allein.” Aber natürlich gehört dazu, daß die Diakonen und die Diakonissen, die einer solchen Krankenstation vorstehen, sich nicht selbst vom Krankenelend überwinden lassen, sondern mit fröhlichem Herzen dem festgeordneten Tageslauf Geist und Leben einhauchen. Und insofern behielt Vater bis heute recht, wenn er sagte: „Die Schwestern und Brüder tun die Hauptsache.”
Sie sind ja auch die einzigen, die dem Arzt aus ihren Beobachtungen heraus genauen Bericht über Stimmung und Zustand des einzelnen Kranken geben können. Sie haben die für die ärztliche Behandlung notwendige Liste über die Schwindel und Anfälle zu führen, die bei jedem einzelnen Kranken im Laufe des Tages und der Nacht vorgefallen sind. Darum ist gerade bei den Epileptischen ein zuverlässiges Pflegepersonal die Grundbedingung einer gedeihlichen ärztlichen Behandlung.
Schon wenige Jahre nach seinem Eintritt in Bethel schrieb Vater für die Diakonen und Diakonissen eine Berufsordnung, welcher er ältere Arbeiten ähnlicher Art zugrunde legte, die er durch eigene Gedanken ergänzte. Diese Berufsordnung wurde jedem einzelnen Diakonen und jeder Diakonisse in die Hand gegeben und diente zugleich als Hilfsbuch bei den wöchentlichen Berufsordnungsstunden. Vater hat darin immer wieder Pflegern und Pflegerinnen die sorgsame Unterordnung unter den Arzt zur freudigen Pflicht gemacht und sowohl Brüdern wie Schwestern die Neigung genommen, selbst den Arzt spielen zu wollen.
Auch er seinerseits hat sich an die in der Berufsordnung aufgestellten Regeln gebunden. Nie hat er in die Befugnisse des Arztes eingegriffen. Für seine Person war er am liebsten sein eigener Arzt. Seine gründliche Morgenwäsche und sein Trunk frischen Wassers vor dem Morgenfrühstück und dem Nachmittagskaffee waren seine vorbeugenden Medikamente, die sich in hohem Maße bei ihm bewährten. Aber nicht einmal auf diesem einfachsten hygienischen Gebiet hat er je einem Kranken Ratschläge gegeben. Alle diese Dinge überließ er ganz dem Arzt. Für ihn war die Krankheit selbst im Grunde das große Heilmittel, das Gott zur innersten Genesung verordnet hatte. Diesem Heilmittel lehrte er trauen und stillhalten und schließlich dafür danken.
So waren die Gebiete des Seelsorgers und die des Arztes völlig getrennt. Eines lag neben dem andern. Auf dem einen Gebiete, dem des Arztes, war die Krankheit der Feind, der bekämpft werden mußte. Auf dem andern Gebiet, dem des Seelsorgers, war sie der Freund, für den man dankte. Aber gerade so wurde Vater der wirksamste Bundesgenosse des Arztes, indem er die Krankheit innerlich überwinden half und damit die tiefsten Kräfte des Kranken weckte, so daß er den Anordnungen des Arztes sich nicht mit ängstlicher Sorge oder stumpfer Gleichgültigkeit fügte, sondern mit der Gelassenheit des Geistes, die die beste Hilfe ist zur Genesung. Bei dieser innerlichen Trennung der Gebiete waren Zusammenstöße nicht denkbar, und die sachliche Scheidung ermöglichte die freundschaftlichen Beziehungen auf persönlichem Gebiet, wie sie seit jenen ersten Tagen zwischen Vater und den Ärzten bestanden.
Rückblickend darf hier wohl gesagt werden, daß die große Pietät und die tiefe Achtung fremden Arbeitsbereichen gegenüber für Vater ein Hindernis bedeuteten, auf dem Boden der Gesundheitspflege neue Wege einzuschlagen. Ein Reformator war er eben auch auf diesem Boden nicht und wollte er auch nicht sein. Das hätte zu Kämpfen führen können, die möglicherweise den Frieden innerhalb der Anstaltsleitung gefährdet hätten. Aber Kämpfen auf Gebieten, die ihm nebensächlich erschienen, ging Vater aus dem Wege, um so Wichtigeres zu erreichen: die innere Harmonie der gesamten Arbeit.
Als vollends auch das Diakonissenhaus zu erheblichen Erweiterungen seiner Krankenanstalt gezwungen wurde, um für die wachsende Zahl seiner heute 1600 Diakonissen umfassenden Schwesternschaft die Möglichkeit zu gründlicher und allseitiger Ausbildung zu gewinnen, erweiterte sich der Kreis der im Hauptamt stehenden Ärzte noch um weitere Mitglieder, so daß ihre Zahl heute auf zehn gestiegen ist, ohne die Assistenten und auch ohne Spezialisten, die in Bielefeld ihren Sitz haben und von dort aus ihre täglichen Sprechstunden in Bethel abhalten.
Den Vorsitz im Ärzte-Kollegium führt seit nun 35 Jahren der ehrwürdige Geheimrat Huchzermeier. Sein Name braucht nur genannt zu werden, um eine Fülle der trautesten Bilder auftauchen zu lassen. Er war für Vater in Krankheitszeiten nicht nur der Arzt, sondern zugleich der fürsorgendste Freund, und so ist er es für viele Kranke gewesen und geblieben. Seinen Spuren sind dann auch seine Kollegen gefolgt.
Es ist für die Ärzte der Anstalt nicht immer leicht gewesen, sich in die Tatsache zu finden, daß die Oberleitung nicht in ärztlichen Händen lag; aber der Verzicht, den sie übten, ist ihnen entgolten worden nicht nur dadurch, daß sie von den oft so zerreibenden Verwaltungsgeschäften befreit blieben und sie ungehindert sich ihrem eigentlichen Beruf widmen konnten, sondern noch viel mehr dadurch, daß ihnen für ihre hingebende Arbeit ein volles Maß von Liebe und Dankbarkeit von Kranken und Gesunden entgegenströmte. So wurden sie vielfach in höherem Maße als die mit Nebenarbeiten überlasteten Anstaltspastoren die hochgeschätzten Berater und Freunde der Kranken.
Der Anstaltsvorstand
Vater wurde einmal gefragt: „Wem gehören die Anstalten eigentlich?” Er antwortete: „Der ganzen Christenheit.” Aber die Christenheit brauchte Beauftragte, die in ihrem Namen und für sie den Besitz verwalteten. Das waren die Vorstände der einzelnen Anstalten. Jede Anstalt, wie bereits berichtet, hatte ihren Vorstand für sich, Bethel, Sarepta, Nazareth, und jeder einzelne Vorstand besaß und vertrat die Rechte einer juristischen Person. Er konnte Beamte berufen, Käufe und Verkäufe schließen, Anträge auf Bewilligung von Bauten und Kollekten stellen usw.
Warum – so wurde des weiteren oft gefragt – sind denn drei Vorstände nötig, wenn doch die Anstalten ganz dicht neben einander liegen und alle drei im Grunde den gleichen Zweck verfolgen? Und warum vollends drei Vorstände beibehalten, wenn doch, wie es in der Tat der Fall war, die Mitglieder des einen Vorstandes meist zugleich die Mitglieder des andern waren?
Auf solche Fragen legte Vater die Vorteile auseinander, die in der Beibehaltung der Dreiteilung lagen: Wohl waren die Vorstandsmitglieder der einzelnen Anstalten der Regel nach dieselben, aber der auswärtige Freundeskreis der drei Anstalten war nicht immer der gleiche. Es gab Kreise, die von Anfang an für die Epileptischen mitgearbeitet hatten, aber der Diakonissenarbeit fernstanden, und umgekehrt. Es gab auch solche, denen die Diakonissenarbeit vor andern am Herzen lag, die aber von der Diakonenarbeit kaum etwas wußten. Diesen Kreisen jedesmal das gleiche Interesse an allen drei Arbeitsgebieten zuzumuten, wäre zu viel verlangt gewesen. Die Schultern wären überlastet worden, und das Interesse wäre erlahmt. Hier galt wirklich das Wort: Ein Teil ist mehr als das Ganze.
Dazu kam das unmittelbar wirtschaftliche Interesse. Jede juristische Person konnte für ihr Gebiet besondere Bitten aussprechen, besondere Anträge auf Gewährung von Beihilfen aus öffentlichen und aus privaten Mitteln stellen. Wäre es, statt drei, nur eine juristische Person gewesen, so hätte die Einbuße an Beihilfen aus öffentlichen und privaten Mitteln eine beträchtliche sein müssen. Darum blieb die Dreiteilung erhalten und hat sich bis heute bewährt.
Nun ist es von hoher Bedeutung gewesen, daß die Vorstände dieser drei juristischen Körperschaften sich aus Persönlichkeiten zusammensetzten, die mit größter Treue und Hingabe das Werk von Anfang an auf Herz und Gewissen trugen.
Von diesen Vorstandsmitgliedern wurden der Kommerzienrat Gottfried Bansi und Pastor Simon bereits erwähnt. Bansis Großvater stammte aus dem Engadin in der Schweiz, von wo er, wie so viele Engadiner, als Bäcker ins Ausland gegangen war. Seine Wanderschaft hatte ihn nach Bielefeld geführt, und hier war er haften geblieben. Er hatte aus seiner Schweizer Heimat die Kenntnis der würzigen Kräuter mitgebracht und daraus ein Magenmittel bereitet, das noch heute gern gebraucht wird und dessen Vertrieb zur Entwicklung eines angesehenen Geschäftes führte. Unvergeßlich wird Bansis kleine, fast schüchterne Erscheinung allen bleiben, die noch in jene Anfangszeiten zurückschauen können. Er war wie einer, der sich nie ganz zu Hause fühlte, weder in seinem Geschäft noch in Bielefeld, sondern sich immer heimlich zurücksehnte in die schlichteren Verhältnisse der Heimat seiner Väter, und der den verborgenen Schmerz zu übertäuben suchte durch rastlose Hingabe an andre. Für wie viele ist er im Verborgenen ein Wohltäter gewesen, und mit welch unermüdlicher Treue hat er durch Jahre hindurch den Vorsitz in den Sitzungen des Vorstandes geführt!
Neben Bansi taucht die hohe Gestalt des Pastors Simon auf, der später Jahrzehnte hindurch Superintendent der Synode Bielefeld war. Auch er war kein Westfale, sondern ein Hesse von Geburt. Ein Germane von Kopf bis zu Fuß, wie ein Recke, mit einer Löwenstimme und dann wieder zart und sanft wie ein Kind. Er besaß ein großes Geschick in geschäftlichen Angelegenheiten und hatte in den fünf ersten Jahren von 1867 bis 1872, während welcher er die Anstalt leitete, eine gesunde Grundlage gelegt, auf der er bis zu seinem Tode 1912 weiterbauen half.
Dann kam wieder ein Kaufmann, der Kommerzienrat Hermann Delius, eine patriarchalische Gestalt, der seinen Bart wie der alte Kaiser Wilhelm I. trug, und an dem wir Kinder mit ehrfürchtiger Scheu emporsahen. Er war in ruhiger, sachlicher Vornehmheit der Vertreter des alten Leinenhandels Bielefelds. Seine Mutter gehörte zu jenen Frauen Bielefelds, in denen sich das neuerwachte Glaubensleben in besonderer Kraft entfaltet hatte. Der Segen der Mutter hatte sich auf den Sohn fortgeerbt und kam nun durch diesen den Arbeiten des Vorstandes zugute.
Pastor Jordan, ebenfalls Mitglied des Vorstandes, war Vaters Kriegskamerad aus den Feldzügen 1866 und 1870. Er stand an der Neustädter Kirche, in unmittelbarer Nachbarschaft der Anstalt. Unter der Kanzel noch wirksamer als auf der Kanzel, war er in seiner Gemeinde der väterliche Freund und Berater von hoch und niedrig und behielt daneben immer noch Zeit übrig, der jungen Anstalt in unermüdlicher Hilfsbereitschaft als treuer Nachbar zur Seite zu stehen. Als Herausgeber des Sonntagsblattes hat er ihr jahrelang auch mit der Feder wertvolle Hilfe gebracht.
Der geschäftliche Kleinbetrieb der Vorstandsangelegenheiten, soweit er Ankauf und Verkauf betraf, lag seit den ersten Anfängen in den Händen des Kaufmanns Heinrich Bökenkamp. Er vereinigte in seiner Person die Klugheit des Landmannes mit der Gewandtheit des Kaufmanns und hat ganz in der Stille, je mehr sich die Aufgaben und der Besitz der Anstalt ausdehnten, ganz unschätzbare Dienste geleistet.
Es wären noch weitere Namen zu nennen, so der ehrwürdige Kaufmann Coesfeld, der erste Anstaltsarzt Dr. Tiemann, dessen Namen Vater immer mit besonderer Dankbarkeit nannte, u. a. Aber ihre Gestalten sind schon fast in der Erinnerung verblaßt oder gar verschwunden. Der einzige noch Lebende von den Vorstandsmitgliedern jener ersten Zeit ist Direktor Mohr, ein Württemberger von Geburt, der aus kleinen Anfängen zum Leiter eines der angesehensten Betriebe der Bielefelder Leinen- und Baumwollindustrie emporstieg und so durch seinen gesegneten Lebensgang die Entwicklung der Anstalt aus dem unscheinbaren Reise zum ausgedehnten Baum darstellt.
Vater hatte nach den Statuten bei den Beratungen der Vorstände nicht mehr Stimme als jedes andere Vorstandsmitglied auch. Und Präses des Vorstandes war nicht er, sondern Kommerzienrat Bansi, welcher, wie erwähnt, auch die Sitzungen leitete. Vater aber war derjenige, der die Beratungen der Vorstände vorbereitete und für die Ausführung ihrer Beschlüsse zu sorgen hatte. So ergab es sich, daß er bald, nicht der Form, wohl aber der Sache nach der eigentliche Leiter des Gesamtwerkes wurde.
Wenn aber hier und da das Verhältnis zwischen dem Vorstande und ihm so dargestellt worden ist, als wenn er mehr und mehr in uneingeschränkter Machtvollkommenheit unter Übergehung des Vorstandes die Leitung in seine alleinige Hand genommen hätte, so wird dadurch das Bild getrübt. Es wird mir vielmehr immer eindrücklich bleiben, mit welchem Ernst Vater jeder einzelnen Vorstandssitzung entgegensah, sowohl den Sitzungen des engeren Vorstandes, die in kurzen Zwischenräumen stattfanden, als der Versammlung der vereinigten weiteren Vorstände, des „Verwaltungsrats”, die jährlich einmal abgehalten wurde. Immer hat es ihm daran gelegen, eine völlige innere Einigkeit zwischen allen verantwortlichen Männern zu erzielen und festzuhalten. Und das ist ihm auch gelungen.
Wohl ist es gelegentlich vorgekommen, daß seine ganze Überredungskunst dazu gehörte, um bei neuen Schritten einen einheitlichen Beschluß zu erzielen. Aber solche Kraft der Überredung ruhte doch auf der tiefen Zuversicht in die Richtigkeit und Notwendigkeit der Sache. Und immer ist es so gewesen, daß aus den Überredeten schließlich Überzeugte wurden.
Auch das andere ist vorgekommen, daß Schritte getan, z. B. Bauten in Angriff genommen wurden, noch ehe der Vorstand seine Einwilligung dazu gegeben hatte. Aber eine absichtliche Zurücksetzung des Vorstandes hat bei solchen Schritten nie zugrunde gelegen. Und wenn der Vorstand nachträglich seine Genehmigung erteilte, so geschah es nicht etwa, weil er wohl oder übel gute Miene zum bösen Spiel machte und, vor eine vollendete Tatsache gestellt, zwecklose Versuche aufgab, sie wieder rückgängig zu machen, sondern weil er später, soweit es sich nicht um Nebendinge, sondern um Fragen von grundsätzlicher Bedeutung handelte, die Notwendigkeit und die Richtigkeit der Sache einsah.
So oft es Vater zum Bewußtsein kam, daß er seinem Vorstande gegenüber in der äußeren Form die Bahn der buchstäblichen Korrektheit nicht innegehalten hatte, hat er sich auch nicht gescheut, deswegen um Entschuldigung zu bitten. Das hat er erst recht getan, wenn ihn jeweilen seine Leidenschaft fortgerissen und er ungewollt jemand gekränkt hatte. Und weil ihm das von Herzen kam, so konnte ihm nie jemand etwas nachtragen. Denn man fühlte, daß hier eine Hingabe war, eine Glut, eine Liebe, der gegenüber Verstimmung, Übelnehmen, kleinliche Verärgerung ausgeschlossen waren.
Und doch läßt sich nicht leugnen, daß gegen Vaters Willen durch seine überragende Erfahrung und Einsicht, durch seine alle mit sich fortreißende Tatkraft und durch das große Vertrauen, das er genoß, die Bedeutung des Vorstandes heruntergedrückt wurde. Nicht daß man keinen Widerspruch gegen ihn gewagt hätte. Es mag wenige Menschen gegeben haben, die Widerstände so vollständig unpersönlich, so rein sachlich, so ohne jede Empfindlichkeit aufnahmen wie Vater. Darum hat man auch aus den Kreisen des Vorstandes heraus nie mit dem Widerstand zurückgehalten, so oft er notwendig schien. Und ich wüßte von keiner Angelegenheit, die Vater gegen die klare Überzeugung des Vorstandes durchgedrückt oder aufrechterhalten hätte. Bei Meinungsverschiedenheiten grub er tiefer oder nahm den Flug höher und suchte so in größeren Tiefen oder höheren Höhen neue Wege der Einigung. Fand er sie nicht, so wartete er lieber lange. Und gerade diese innerste zarte Rücksichtnahme ließ die Achtung und das Vertrauen nur desto höher steigen.
So aber mußte es kommen, daß manche Vorstandsmitglieder sich überflüssig fühlten. Sie wußten die Sache in den besten Händen; warum noch weiter sich um jede Einzelheit kümmern? Warum nach neuen, jungen Kräften suchen und um sie werben, wenn man sie im Blick auf die überragende Persönlichkeit des Anstaltsleiters doch nicht locken konnte mit dem Ausblick auf eine starke Verantwortung? So geschah es, daß namentlich aus den Kreisen Bielefelds, dessen beste Männer und Frauen das Werk ursprünglich getragen hatten, nicht mehr der Nachwuchs für den Vorstand hervorging, der jetzt schmerzlich entbehrt wird und den, wie wir hoffen, die steigende Not neu schenken wird.