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Kitabı oku: «Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild», sayfa 21

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Afrika

„Zu den Regeln des Reiches Gottes schickt es sich, daß wir da mit besonderer Kraft des Evangeliums einsetzen, wo die Not am größten ist.”

F. v. B.

Obwohl sein Weg ihn nicht persönlich in die Heidenwelt hinausgeführt hatte, war Vater der Missionsaufgabe treu geblieben. In Paris war er, wie berichtet, für die kommenden und gehenden Baseler Missionare und ihre Familien Berater und Gastgeber gewesen; in Dellwig hatte er durch den „Westfälischen Hausfreund” den Blick auch zu den Heiden hinausgelenkt. In Bethel konnte es darum nicht anders sein. In der Anfangszeit waren es namentlich die kleinen Schriften der Baseler Mission, die ihm ständig zum Verteilen zur Hand waren. Und bald kamen zu den alten Beziehungen neue hinzu. Der junge Bäckergeselle der kleinen Bäckerei von Sarepta, Dietrich Baumhöfner, war als Kind durch eine Kinderschulschwester innerlich angefaßt worden und der göttlichen Stimme treu geblieben. Vater bahnte ihm den Weg in das Berliner Missionshaus, das ihn nach Südafrika aussandte.

Seine Briefe, die er von der Reise und aus den ersten Anfängen in Transvaal schickte, schrieben wir Kinder ab, weil Vater die Originale an andere Missionsfreunde weitersandte. Im Wochengottesdienst las er sie der Gemeinde mit einer so tiefen Anteilnahme vor, daß wir die Reise und die Arbeit Baumhöfners persönlich miterlebten. Im Anschluß an solch eine Stunde eilte ich nach Hause, um meine ganze kleine Barschaft der Missionsbüchse anzuvertrauen, die in Gestalt eines knienden Negers in unserm Zimmer stand. Schon nach wenigen Monaten, als wir eben auf die Bitte Baumhöfners die ersten Posaunen für seine kleine Gemeinde hinausgeschickt hatten, kam die Nachricht, daß er in Georgenholz dem Fieber erlegen war. Wir alle, Kranke und Gesunde, empfanden seinen Tod als einen großen persönlichen Verlust. Die Liebe zur Berliner Mission blieb aber und wurde namentlich durch die südafrikanischen Reisen des Inspektors Wangemann, die Vater eingehend verfolgte, wachgehalten.

Mit der Barmer Mission ergaben sich bald noch engere Anknüpfungen, nicht nur durch die persönlichen Beziehungen zu deren Inspektor Fabri, die seit seiner und Vaters gemeinsamer Studienzeit in Erlangen nicht erloschen waren, sondern besonders auch dadurch, daß die Barmer Mission in allen Gemeinden des Ravensberger Landes treuste Freunde hatte und Vater öfter zu den Missionsfesten eingeladen wurde, auf denen die Barmer Missionare aus ihrer Arbeit berichteten. Missionar Hanstein, aus Hessen gebürtig, hatte sich in Sumatra der Aussätzigen angenommen. Er war auf Schwefelquellen gestoßen, die sich zur Linderung des Aussatzes als besonders wirksam erwiesen, und bat nun um Hilfe, um an den wohltätigen Quellen den Aussätzigen eine Heimat zu errichten. Das war natürlich eine Sache nach Vaters Herzen, der nie gut ins Allgemeine hinaus helfen konnte, sondern immer am liebsten an einer bestimmten Stelle einsetzte und dafür die Herzen erwärmte. Hansteins Briefe verlas Vater in den Familienabenden und wöchentlichen Missionsstunden und entfachte damit unter Kranken und Gesunden die Liebe und Fürsorge für die Aussätzigen, sodaß die Heimat der Aussätzigen auf Sumatra der feste Stützpunkt wurde, um den sich unsere Anteilnahme an den übrigen Aufgaben der Barmer Mission lagerte.

Besonders lebhaft wurden diese Beziehungen, seit der Nestor der Barmer Mission in Südafrika, Missionar Lückhoff, der jene 2000 Mark für die Glockentürme der Zionskirche aus seiner schwarzen Gemeinde gesammelt hatte, nun nicht müde wurde, eine Sendung nach der andern abgehen zu lassen mit südafrikanischen Fellen, Früchten, Straußeneiern und Federn, die den Grundstock bildeten zu einem kleinen Missionsmuseum, das nicht wenig dazu beitrug, unsern Blick in die Völkerwelt hinauszulenken.

So war der Boden längst vorbereitet, als ungewollt und unvermutet sich neue größere Aufgaben auf dem Gebiete der Heidenwelt einstellten.

1884 waren die ersten deutschen Stützpunkte in Ostafrika auf der Insel Zanzibar sowie im Küstengebiet geschaffen worden. Der Kaiser wies sofort darauf hin, daß eine politische Besitzergreifung des Landes nicht genüge, sondern eine Arbeit der Christianisierung ihr auf dem Fuße folgen müsse. Nun hatte Pastor Diestelkamp von der Nazareth-Gemeinde in Berlin von vornherein den regsten Anteil an der Entwicklung der Dinge in Ostafrika genommen und ein kleines Komitee für die Missionsarbeit in der jungen Kolonie zustande gebracht. Der alte, in langjähriger Arbeit in Abessinien erprobte Missionar Greiner und ein junger von der Berliner Mission übernommener Missionar Krämer hatten die Arbeit drüben begonnen.

Aber woher weitere Kräfte nehmen? Sowohl für den Pflegedienst an den Deutschen, die in jener Anfangszeit angesichts des ungesunden Klimas in ganz besonderem Maße solcher Hilfe bedurften, als auch für einen kräftigen Vorstoß in die Welt der Eingeborenen fehlte der Nachschub. Alle Versuche Diestelkamps, bei den bestehenden Gesellschaften und Vereinen der Äußeren und Inneren Mission die nötigen Kräfte zur gründlichen Fortsetzung der Arbeit in Ostafrika zu finden, waren mißlungen. So machte er sich zu Vater auf den Weg. Beide kannten sich von der gemeinsamen Arbeit an den Berliner Arbeitslosen her, für die Diestelkamp die Berliner Arbeiterkolonie in der Reinickendorfer Straße geschaffen hatte. „Es gibt keine Pfütze in Berlin, in die er nicht springt,” sagte Vater einmal, um damit die große Hilfsbereitschaft Diestelkamps und seinen unerschrockenen Unternehmungsgeist auch angesichts schwieriger Aufgaben zu kennzeichnen.

Diestelkamp saß in dem kleinen Sofa unseres Wohnzimmers und Vater ihm gegenüber. Wer wollte es Vater verdenken, daß er angesichts der Aufgaben, die bereits auf seinen und seiner Gemeinde Schultern lagen, zögerte und alle Bedenken darlegte. Aber Diestelkamp blieb fest. Die Absage, die er von allen Seiten bekommen hatte, machte seine Bitte nur um so dringender. Schließlich erklärte er: „Ich stehe nicht eher aus dieser Ecke auf, als bis du mir hilfst.” Anhaltende Bitten aus glühendem Herzen machten auf Vater stets tiefen Eindruck. So auch hier. Er gab nach und sagte Hilfe zu.

Damit war es, als wenn ein Deich überstiegen und der Zionsgemeinde nicht nur der Blick, sondern auch der Weg in unendliche Fernen geöffnet wäre. Bis dahin hatten wir nur von jenseits des Deiches das Rauschen der Völkerwelt gehört; jetzt sollten wir selbst mitten in ihre Wogen hineintauchen. Und es war kein Widerstreben da. Im Schwestern- sowohl wie im Brüderhaus regten und zeigten sich überall die Kräfte, die lieber heute als morgen bereit waren, sich nach Afrika auf den Weg zu machen.

Der Bund, den Vater und Diestelkamp zum Besten Afrikas geschlossen hatten, blieb freilich nicht unwidersprochen. Manche der alten Missionsgesellschaften erschraken. Führer der deutschen Mission erhoben laut Einspruch; das junge Unternehmen bedeute eine Zersplitterung der deutschen Missionswelt und der deutschen Missionskräfte. Vater blieb dem gegenüber nicht taub. Er suchte sich durch eingehende Nachforschungen zu überzeugen, ob nicht doch irgend eine andere deutsche Missionsgesellschaft bereit und in der Lage war zu helfen. Aber ein klarer Ausweg zeigte sich ihm nicht. So ging er seinen Weg fort und trat in den Vorstand der jungen Gesellschaft ein, die von da ab neben der alten Berliner und der Goßnerschen Mission als dritte Berliner Missionsgesellschaft ihren bescheidenen Platz an der Sonne beanspruchte.

Es war damals ein hochbegabter baltischer Pastor nach Bethel gekommen, der nach dem Tode seiner Lebensgefährtin und seines einzigen Kindes einen Zufluchtsort suchte, wo in der Stille sein wundes Herz ausheilen konnte. Er hatte mit einer ungewöhnlichen Hingabe auf verschiedenen Krankenstationen gearbeitet; und als er nach einiger Zeit sich entschloß, sein Schweigen zu brechen, zeigte es sich, daß er zugleich eine hohe Gabe hatte, mit dem Wort an die Herzen heranzukommen. Vater fragte ihn, ob er bereit wäre, der Führer der ersten kleinen afrikanischen Vortruppe zu sein. Dieser hochgemute, edle Mann schien ihm gerade gut genug für die Arbeit unter den Negern. „Denn”, so sagte er gerade im Blick auf Afrika, „die Untersten und Elendesten müssen die besten Pfleger haben.” Und Worms sagte zu. Erst auf der Insel Zanzibar, dann in Dar-es-Salam, wo Missionar Greiner inzwischen die erste Pionierarbeit getan hatte, griff Worms den Pflegedienst an den kranken Deutschen und zugleich die Arbeit an den Eingeborenen an, von zwei Schwestern Sareptas und einem Bruder aus Nazareth unterstützt, alle wiederum von Missionar Greiner beraten, dem seiner Eigenart und Neigung nach die gesamte Arbeit des äußeren Ausbaues der Station vorbehalten blieb.

Inzwischen hatte auch Missionar Krämer in der nördlichen Hafenstadt der Kolonie, Tanga, Fuß gefaßt, und nun entstand die Frage, in welcher Weise sich in Zukunft die Arbeit gestalten sollte. Vater hatte alsbald mit den deutschen Kolonial-Pionieren Wissmann, Baumann, Meyer teils persönlich Fühlung genommen, teils ihre Reisewerke eingehend studiert.

Er hatte daraus die Überzeugung gewonnen, daß die Küstenbevölkerung durch das Arabertum, den Sklavenhandel und den Mohammedanismus schon zu sehr durchseucht sei, um einen fruchtbaren Ackerboden für junge heidenchristliche Gemeinden abgeben zu können. Lediglich die Pflege der Kranken komme hier in Betracht, eine eigentliche Missionsarbeit nicht.

Ebenso lagen für ihn die Dinge im Hinterland der großen Hafenplätze. Auch hier sah er das Volkstum schon zu stark durch die fremden Einflüsse angekränkelt, als daß ein gesundes Aufblühen heidenchristlicher Gemeinden noch zu erhoffen gewesen wäre. Nur unter Widerstreben willigte er darum in die Pläne des Missionsvorstandes, daß im Hinterlande von Dar-es-Salam auf den Höhen von Usaramo ein Versuch gemacht würde, und lenkte für seine Person gleichzeitig den Blick auf das Bergland von Usambara, auf das ihn die Reisenden Baumann und Meyer hingewiesen hatten.

Hier fand er beides: einen gesunden, durch den Mohammedanismus noch nicht berührten Bauernstamm von 80 000 Menschen und ein gesundes Klima, das den Missionaren und ihren Familien eine dauernde, gleichmäßige Arbeit unter dem Volke sicherte.

Gleichzeitig boten sich ihm auch die nötigen Kräfte: zwei Theologen, Johanssen und Wohlrab, mit umfassender wissenschaftlicher Schulung, im Glauben gegründet, in der Liebe glühend und von zäher Gesundheit. Im Frühjahr 1891 wurden sie in Berlin und in Bethel abgeordnet.

Von Vater geleitet, sind wir dann im Geist mit ihnen über das Meer gefahren, erst in Zanzibar, dann in Tanga gelandet, haben den ersten Erkundungszug mit ihnen in das Bergland gemacht, sind wieder zurückgereist durch die Steppe sechs, acht Tage lang an den Indischen Ozean, um es dann mit zu erleben, wie der älteste Sohn des Groß-Häuptlings selbst mit seinen Leuten kam, um unsere ersten Boten wie im Triumphzug hinaufzugeleiten auf die Höhen von Mlalo, die Vater schon lange im voraus als den Ort der ersten Niederlassung ausersehen hatte. Jeden einzelnen kleinen Fortschritt hat dann ganz Bethel geteilt, die erste Hütte, die ersten Sprachstudien, die ersten Schüler, die ersten Taufbewerber, den ersten erlegten Panther, den ersten Einzug der deutschen Frau, das erste Tauffest, das erste weiße Kindchen unter den Schwarzen, die ersten Briefe der schwarzen Christen usf.

Vaters Herz ging in Sprüngen. Das Volk, das Land, die unermeßliche Steppe in der Tiefe, der Spiegel des Indischen Ozeans am Horizont, die blauen Berge von Pare, die herüberwinkten, und das schneeige Haupt des Kilimandscharo, der alles überragte, standen ihm so lebendig vor Augen, wußte er so glühend, so nah, so gegenwärtig zu schildern, daß Besucher, die in den Familienabend von Sarepta oder in die Donnerstagstunde in der Zionskirche kamen, fragten, wann er denn eigentlich in Afrika gewesen wäre. So konnte es nicht anders sein, als daß die Glut auf uns alle übersprang, auf Kranke und Gesunde; und wenn Vater gefragt hätte, wer von uns hinüberziehen wolle, dann hätte keiner zurückbleiben mögen, weil wir alle längst drüben zu Hause waren und es bei jedem von uns im Gedanken an Afrika nach der alten Weise klang:

 
Auch mir stehst du geschrieben
Ins Herz gleich einer Braut;
Es klingt wie junges Lieben
Dein Name mir so traut.
 

Als darum die Zeltpflöcke auf den Bergen von Usambara weiter gesteckt werden konnten und die ersten beiden Boten um Nachschub baten zur Besetzung weiterer Posten, ging Vater ins Konvikt der Kandidaten: „Wer ist bereit zu ziehen?” Sie waren alle bereit. „Keiner ist brauchbar für den Dienst in der Heimat, der nicht von ganzem Herzen willig und bereit ist, zu den Heiden zu ziehen”, das war der Sinn, den er unter den Kandidaten gepflegt hatte und der nun zur Tat wurde. Darum ging es jetzt nach dem Liede Krummachers: „Zeig’s an, wen du erkoren, – Greif’ in die Schar hinein! – Dir sind wir zugeschworen, – Dein sind wir, Amen! Dein!”

Natürlich waren bei manchen die häuslichen oder die gesundheitlichen Hindernisse so groß, daß sie, oft mit schwerstem Herzen, zurückstehen mußten. Aber so viele Kräfte von drüben verlangt wurden, so viele waren jedesmal auch im Konvikt und im Brüderhause zur Stelle. Becker und Döring, Holst und Göttmann, Gleiß und Lang-Heinrich waren die ersten Paare, die nach Usambara gingen. Ihnen folgte im Laufe der Jahre eine große Schar von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Als fast den letzten in dieser Reihe fiel dann auch meiner Frau und mir und unsern vier Kindern, einem Herzensanliegen unseres sterbenden Vaters entsprechend, die größte aller Freuden zu, in den Dienst der Heidenwelt zu treten. Zu denen, die durch Gesundheitsrücksichten in der Heimat festgehalten wurden, gehörte der Lizentiat Trittelvitz, dem freilich später noch ein Aufenthalt auf dem afrikanischen Missionsfelde zuteil wurde, der aber doch die längste Zeit seines Afrika-Dienstes in der entsagungsvollen Stellung eines Heimatinspektors zubrachte, in der er mit nie ermüdender Beweglichkeit und heiterer Zähigkeit bis heute das Schiff unserer Missionsarbeit steuert.

Und zu den Menschen kamen die Gaben. Wer wollte der Liebe Einhalt tun? Die Schwestern trugen die Nachrichten weiter auf ihre Stationen, die Brüder ebenso. Im Kinderheim hielten die kranken Ärmchen den Besuchern ihre kleinen Sammelbüchsen hin. Die Kranken schrieben es nach Hause. Und Vater selbst war immer wieder wie der Hirte, der das Schaf gefunden hat, wie die Frau, die ihren Freunden und Nachbarn ruft: Freuet euch mit mir! Die kleinen Blätter, die sonst nur die Nachrichten von den Epileptischen oder von den Brüdern von der Landstraße gebracht hatten, füllten sich nun mit den ersten Siegesbotschaften aus dem fernen Afrika. Und wie sich in Bethel selbst der Horizont geweitet hatte, so weitete sich nun auch der Gesichtskreis der Bethelfreunde im Lande. Auch ihnen trat die hohe leidende Schönheit Afrikas vor Augen. „Schwarz bist du, doch bist du lieblich, holdes, stilles Afrika.”

Als nun vollends an den stillen Abhängen von Mtai die ersten beiden Aussätzigen entdeckt wurden, als Becker und Döring wieder und wieder zu ihnen herniederstiegen in ihre Bergkluft, um ihnen die große neue Botschaft zu bringen, und als der eine von ihnen, Kiase, seinen Landsleuten, die von fern standen, um nach ihm zu sehen, die Botschaft von dem Leben nach dem Tode zurief: „Hört es, Leute, kein Leiden mehr, keine Schmerzen mehr, kein Aussatz mehr; Leute, Leute, hört es!” – da hallte die Stimme der Aussätzigen bis zu uns herüber und stärkte die Leidenden, Ausgestoßenen und Sterbenden von Bethel aufs neue in derselben Zuversicht, die die beiden Aussätzigen drüben so froh machte, und ein Dankbarer, der nicht gekannt sein wollte, warf nächtlicherweile eine getragene Hose über den Zaun unseres Gartens mit einem Zettel daran: „Für den aussätzigen Kiase.”4

Aber solch hellem Sonnenschein fehlte auch der Schatten nicht. Nicht alle konnten sich mit uns und mit den Bergen Afrikas freuen. Die, die es nicht miterlebt hatten, daß Vater sich auch diesmal nicht in ein neues Arbeitsfeld hineingedrängt hatte, sondern sich vielmehr vorwärtsgeschoben und über alle Hindernisse und Schwierigkeiten von hoher Hand hinweggehoben sah, sie standen zum Teil kopfschüttelnd am Wege, tadelten, hemmten und schütteten das Wasser der Kritik in unsern Freudenwein.

Um Klarheit zu schaffen, schrieb Vater in Erinnerung an den Bau der Mauer zu Jerusalem unter Nehemia (Neh. 4, 10–12): „Schwert und Kelle in Sachen der ostafrikanischen Mission”, eine kleine Schrift, die aus manchem Feind einen Freund der Sache machte. Überhaupt blieb der Kampf, in welchem Vater zeitweilig alle Führer der deutschen Missionswelt gegen sich hatte, auf das sachliche Gebiet beschränkt und half mit dazu, daß die Aufgaben in den neuen Kolonien immer gründlicher und rascher von der deutschen Christenheit verstanden und in Angriff genommen wurden, sodaß eine Missionsgesellschaft nach der andern ihr Zögern aufgab, mit in die zentralafrikanische Arbeit eintrat und, um rascher vorwärts zu kommen, in stärkerem Maße als bisher ausgebildete Theologen heranzog und sie unter ihre seminaristisch geschulten Missionare mischte.

So wurde es deutlich, daß die Befürchtung, die neue kleine ostafrikanische Mission entzöge den bestehenden Missionsgebieten und Missionsanstalten geistige und materielle Kräfte, nicht richtig war. Vielmehr wurden umgekehrt durch Vaters entschlossenes Vorgehen, der sich nicht beirren ließ, neue Ziele gesteckt, neue Kräfte geweckt und neue Hilfsquellen erschlossen. Auch auf diesem Gebiete zeigte es sich, daß ein Wettbewerb, der nicht aus irgend welcher künstlichen Mache entstanden ist, sondern aus dem zwingenden Drängen der Verhältnisse, niemals die natürliche Entwicklung der Dinge hemmt, sondern fördert, während umgekehrt jeder Versuch, einen ehrlichen Wettkampf aufzuhalten oder zu vernichten, die eigenen Lebenskräfte unterbindet.

Als der Gedanke auftauchte, die Missionsarbeit in den Kolonien der organisierten Kirche unter Leitung des Oberkirchenrates zu überlassen, riet Vater auf das entschiedenste ab. Es lag darin keine Geringschätzung der organisierten Kirche – die Treue gegen alles geschichtlich Gewordene war ein hervorstechender Zug in Vaters Art und Arbeit, wie er ja auch die durch die Kirche herangebildeten Theologen in die erste Linie der afrikanischen Vorkämpfer stellte – , aber der Apparat der Kirchenverwaltung erschien ihm zu langgestreckt und schwerfällig für ein Unternehmen, das zu seiner gedeihlichen Entwicklung die innigste und schnellste Zusammenarbeit aller beteiligten Kräfte erforderte. Sind es doch auch in der Tat in der Geschichte der Christenheit fast immer die freien Kräfte gewesen, die die erste Bresche gelegt haben in unbezwungene Mauern.

Viel schwerer als unter dem Widerstande, der nach außen hin zu überwinden war, litt Vater unter dem Gegensatz, in welchem er sich zu dem Vorstand der jungen Missionsgesellschaft in Berlin befand, obwohl auch dieser Gegensatz ganz auf das sachliche Gebiet beschränkt blieb. Keiner von den Vorstandsmitgliedern war jemals in Afrika gewesen. Jeder mußte sich sein Urteil aus den Erfahrungen und Anschauungen anderer holen. Aber selbst als der leitende Inspektor eine Reise in das junge Gebiet machte, konnte sich Vater den Eindrücken, die er mitbrachte, nicht fügen. Sie waren ihm zu jung, zu voreingenommen durch alte Tradition, zu wenig in persönlichem Leiden und persönlicher Arbeit an Ort und Stelle erprobt.

Tief setzte sich seitdem bei Vater die Überzeugung fest, der er immer wieder Ausdruck gab, die Missionsgesellschaften sollten alles daransetzen, nur solche Männer in die verantwortlichen Stellen in der Heimat zu rufen, die auf dem Missionsfelde selbst jahrelang in Reih’ und Glied gearbeitet und dort ihre Erfahrungen gesammelt hätten.

Der Gegensatz drehte sich immer wieder um die Hauptfrage: Arbeit an der Küste oder Arbeit im Innern. An der Küste saß der Mohammedanismus, im Innern das Heidentum. Es war damals die Zeit, wo die Mohammedanermission anfing, sich ihren Platz neben der Heidenmission zu erringen. Darum „Mohammedanermission und Heidenmission”, „Arbeit an der Küste und im Innern”, war die Linie, auf der sich die meisten Missionsvorstände bewegten. Vater konnte diese Bewegung nicht mitmachen. Er war freilich weit davon entfernt, die Mohammedaner preiszugeben. Noch kurz vor seinem Sterben hat er mit tiefster Anteilnahme das Buch des Missionars, jetzigen Superintendenten, Simon über den Islam studiert. Aber für die Küstenplätze Ostafrikas blieb er fest: Hier ist die Arbeit an den Mohammedanern zwecklos. Aufgeben wollte er die Küste nicht. Aber hier sollten nur kleine Stützpunkte bleiben, auf denen einmal den Kranken gedient und zugleich den christlichen Eingeborenen, die durch Erwerb und Handel aus dem Innern an die Küste gezogen waren, ein Halt gewährt wurde.

Der Hauptstoß aber sollte mit ungebrochener Kraft in das Heidentum selbst geführt werden. Je schneller und kräftiger dieser Stoß erfolge, desto besser. Nur so könne dem Vordringen des Islam Einhalt geboten werden. Jede Zersplitterung zwischen Küste und Innerem sei weggeworfene Kraft; und die Gewinnung der vom Islam unberührten Volksstämme des Innern sei die wirksamste Missionsarbeit gegenüber dem Islam selbst.

Nun hatte Vater aber seinerzeit Diestelkamp versprochen, die notwendigen Kräfte für die Aufgaben der jungen Gesellschaft zu stellen. Forderte darum der Vorstand für die Arbeit an der Küste oder an dem schon halb vom Mohammedanismus durchseuchten Stamm der Wasaramo im Hinterlande von Dar-es-Salam die Einlösung dieses Wortes, dann gab es für Vater jedesmal einen Kampf, unter dem wir oft sein ganzes Herz haben erbeben sehen. „Wieder soll ich jemand nutzlos hinschlachten,” rief er dann wohl aus, wenn die Tagesordnung der Vorstandssitzung, die aus Berlin eintraf, Kräfte für die umstrittenen Gebiete begehrte.

Im Konvikt selbst, in der Brüderschaft und Schwesternschaft konnte man nicht anders als sich neutral verhalten. Man ging ja nicht hinaus, um sein Leben zu schonen, sondern es zu opfern, auch wenn der Kampf ganz hoffnungslos schien. „Wehe euch,” konnte dann Vater wohl sagen, „wenn ihr nicht bereit wäret, jeden Augenblick im Fieberland zu sterben, – aber wehe auch mir, wenn ich nicht alles daran setzte, daß euer Leben nicht vergeblich hingeopfert wird!”

Mit unermüdlicher Treue reiste Vater, oft die Nächte zu Hilfe nehmend, nach Berlin, um im Vorstande der Mission seine Überzeugung zu vertreten. Mit fast leidenschaftlicher Glut malte er die Fäulnis des Mohammedanismus an der Küste, für die jedes Salz weggeworfen wäre, und dagegen den sehnsuchtsvollen Ruf der noch unberührten Völkerschaften: Kommt herüber und helft uns!

Seitdem ist die Arbeit an der Küste 25 Jahre lang mit zäher Energie fortgesetzt worden, oft so, daß man gerade die tüchtigsten Kräfte an sie wandte, nicht nur seitens der kleinen Mission Berlin III, sondern auch der großen Berliner Mission, die später die Arbeit in Dar-es-Salam übernahm. Aber weder in Tanga noch in Dar-es-Salam hat die Mission unter der eigentlichen Küstenbevölkerung Fuß fassen können. In Tanga waren es, wie Vater richtig vorausgesehen hatte, fast ausschließlich eingeborene Christen aus dem Innern, die sich vor den Toren der Stadt als ein kleines, beständig vom Islam gefährdetes Häuflein behaupteten.

Als ich im Jahre 1916 die kleine Christengemeinde von Dar-es-Salam besuchte, die sich jenseits des Hafens, fern von dem Getriebe der Stadt, unter ihrem treuen Lehrer und Ältesten Martin ihre kleine Niederlassung geschaffen hatte, und ich einen nach dem andern nach Heimat und Herkunft fragte, da stellte es sich heraus, daß auch nicht ein einziger darunter war, der in Dar-es-Salam geboren war; sie stammten alle aus dem Innern, aus Volksstämmen, die von Mohammedanern noch nicht berührt waren.

Was es aber umgekehrt heißt: sich nicht zersplittern, sondern mit aller Kraft in das gesunde Heidentum vorstoßen, zeigen die guten Erfahrungen von Uganda. Rechtzeitig und mit einer schnell wachsenden Truppe von männlichen und mindestens ebenso zahlreichen weiblichen Kräften hat hier die englische Mission eingesetzt und ist so tatsächlich dem verheerenden Anmarsch des Islam zuvorgekommen. In den Bergländern, die im Gebiet des Indischen Ozeans liegen, ist es nicht mehr gelungen, das Eindringen des Islams zu verhindern, weder in Usambara noch in seinen Nachbargebieten. Vielmehr mußte das kümmerliche Dasein, das die evangelische Mission in den Hochburgen des Islams an der Küste führte, dem Mohammedanismus den Mut stärken für die mohammedanische Propaganda im Hinterlande. Um den Sieg zwischen Christentum und Islam wird dort noch heute gerungen.

Aber unter all den Schmerzen, die er im Widerstreit der Überzeugungen litt, hat Vater sich nicht ermatten lassen. Wie oft haben seine Freunde in Bethel, wie oft auch seine eigenen Kinder ihn gebeten, die Arbeit an der Mission aufzugeben und das Aufgehen der kleinen Gesellschaft in eine größere in die Wege zu leiten oder aber sie ganz nach Bethel zu übernehmen! Er sah für beides die Wege nicht gewiesen. „Berlin hat unsere Arbeit nötig,” konnte er wohl sagen.

Darum bemühte er sich, da die Missionsleitung jahrelang nur zur Miete wohnte, ihr eine eigene Heimat in Berlin zu verschaffen. Er dachte vor allem an die Johannisgemeinde in Alt-Moabit, wo eine kleine Truppe von Sarepta-Schwestern eine Gemeindepflege-Station bediente. An einem Winterabend habe ich ihn einmal dorthin begleitet. Er überzeugte sich, daß der Platz neben der Kirche noch Raum genug bieten würde für ein bescheidenes Missionshaus. Hier sollte nach seiner Hoffnung ein kleines neues Zentrum entstehen zur Pflege des geistlichen Lebens in Berlin. Indem die Schwestern mit ihrem stillen Dienst in den Häusern die Arbeit in der Gemeinde taten, sollten sie zugleich mithelfen, die Blicke der Gemeinde über die eigenen Nöte hinweg zu den großen Aufgaben an der Heidenwelt zu richten. Der Plan zerschlug sich an dieser Stelle, kam aber später in Groß-Lichterfelde zur Ausführung, wo wirklich ein Missionshaus gebaut wurde. Doch gelang es auch von hier aus nicht, dauernd Fuß in Berlin zu fassen, sodaß schließlich aus dem Vorstand selbst heraus der Wunsch entsprang, das Zentrum der Arbeit einheitlich nach Bethel zu verlegen. Nur mit schwerem Herzen hat Vater sich dem gefügt. Er empfand diesen schließlichen Ausgang als einen innersten Verlust für die Berliner Gemeinden, deren wagemutigen Gliedern der erste Anfang der ostafrikanischen Missionsarbeit zu verdanken war.

Aber schließlich lag in dieser Entwicklung doch eine innere Notwendigkeit. Schon mit dem Augenblick, wo damals Pastor Diestelkamp in Bethel erschien, war der eigentliche Schwerpunkt der Arbeit von Berlin nach Bethel verlegt worden. Denn hier lagen die Ausbildungsstätten der Arbeiter und Arbeiterinnen für das Missionsfeld. Hier sahen sie, wenn sie ausgezogen waren, ihre geistige Heimat. Von hier führte Vater, namentlich solange die Arbeit noch klein blieb, mit jedem einzelnen einen eingehenden Briefwechsel, der eine Fülle von väterlichen, seelsorgerlichen Ratschlägen und praktischen Winken enthielt und das gesamte Gebiet der Arbeit umfaßte. Es wurde keine Station draußen angelegt ohne Vaters eingehende Vorstudien, namentlich auch in bezug auf die so wichtige Frage nach gesundem Wasser, und mehrfach war er es, der auf Grund solcher Studien den Stationsplatz bestimmte.

Die Posttage für Afrika, die alle vierzehn Tage wiederkehrten, hielt er pünktlich inne, und oft waren nicht nur Vaters treuer Sekretär, sondern auch wir Kinder auf das angestrengteste beschäftigt, um die Übertragung der zahlreichen Stenogramme rechtzeitig fertigzustellen.

Doch war es nicht so, daß mit der Übersiedlung nach Bethel im Jahre 1906 alsbald eine neue Blütezeit angebrochen wäre, die an die erste Zeit der jungen afrikanischen Liebe erinnert hätte. Während für Vater alle Arbeitsgebiete der Erde in eins zusammenflossen und die Grenzen zwischen der Heimat und der Heidenwelt ineinander überglitten, lenkte Pastor Rahn, seit er der Leiter des Konvikts geworden war, die Blicke der Kandidaten bewußt auf das Feld der heimischen Arbeit zurück in der Überzeugung, daß für den Dienst unter den Heiden ein besonderer, nur ausnahmsweise erfolgender Ruf gehöre.

So kam es, daß das Konvikt nicht mehr wie früher das starke Quellgebiet bildete, das ganz der Arbeit in Afrika zur Verfügung stand. Darum kam zeitweilig der Gedanke auf, man müsse auf die Hoffnung verzichten, Kräfte mit voller theologischer Ausbildung immer in genügender Zahl zur Hand zu haben, und die Frage entstand, ob nicht nach dem Vorbilde anderer Missionsgesellschaften an die Heranbildung seminaristisch geschulter Kräfte gedacht werden müßte.

Es war nicht Vaters Art, namentlich wenn es sich um seine nächsten Freunde und Mitarbeiter handelte, sich sofort solchen Gedanken zu widersetzen. Er ließ sie ausreifen und wartete. Für seine Person blieb er bei der Zuversicht: „Wir haben Theologen genug, wir müssen sie nur rufen.” Als einmal der Leiter einer alten deutschen Missionsgesellschaft ihn besuchte und ihm seine Not klagte, die ihm die beständigen pekuniären Schwierigkeiten bereiteten, sagte Vater: „Ich habe nach immer die Erfahrung gemacht, daß Gott uns nicht mehr Geld gibt, als er uns Geist gibt.” Er lebte auch im Blick auf die wichtigsten Missionsgaben, d. h. die lebendigen sich für die Arbeit unter den Heiden darbietenden Menschen, auch soweit die Theologen in Betracht kamen, der Überzeugung, daß gerade so viele sich einstellen würden, als Geist Gottes in der Missionsgemeinde lebendig ist.

Das zeigte sich in der Tat, als wieder einmal, von Vater unvermutet und ungewollt, im Jahre 1907 ein großes afrikanisches Arbeitsfeld sich öffnete. Unvermutet und ungewollt. Denn inzwischen war das südliche Missionsgebiet Usaramo an die große Berliner Missionsgesellschaft abgegeben worden, deren im Innern gelegene Arbeitsfelder in Dar-es-Salam ihren Hafenort hatten. Es schien, als wenn wir in Bethel auf die sorgsame Bearbeitung des Usambara-Gebietes beschränkt bleiben sollten. Nun aber war der Usambara-Missionar Röhl auf einer Instruktionsreise durch Südafrika mit einem Goldsucher bekannt geworden, der ganz unbekannte zentralafrikanische Gebiete bereist hatte und Röhl auf die starken Völkerschaften hinwies, die, vom Mohammedanismus noch unberührt, jene Gebiete bewohnten.

4.Vergl. die kleine in der Schriftenniederlage der Anstalt Bethel erschienene Schrift von Missionsdiakon W. Hosbach: „Abraham Kilua, der schwarze Vikar von Neu-Bethel”.
Yaş sınırı:
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Litres'teki yayın tarihi:
01 ağustos 2017
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