Kitabı oku: «Schattenkriege», sayfa 4

Yazı tipi:

Der rote Hof

„Gringa, ich hätte dich töten sollen, als du deinen widerwärtigen weißen Fuß auf unser heiliges Land gesetzt hast!“ Die rabenschwarzen Augen der Frau sprühten vor Hass.

„Ja, da magst du wohl recht haben, liebe Itza.“ Mara schlug provozierend langsam das eine Bein über das andere, während sie ihr Gegenüber anlächelte. „Aber da haben wohl deine göttlichen Kräfte versagt.“ Ihre Stimme troff vor Sarkasmus. „Als die hochedle Göttin, für die die Leute dich gehalten haben, hättest du wissen sollen, dass Pferde keine göttlichen Wesen sind, sondern dumme Tiere, die spanische Soldaten durch das Land trugen. Als Göttin mit allmächtigen Kräften wäre es deine Aufgabe gewesen, die Gefahr zu erkennen, die von ihnen drohte. Du hättest sie vernichten können, zertreten wie räudige Hunde und ins Meer zurückwerfen. Aber das hast du nicht getan. Du bist nämlich keine kluge und edle Göttin, sondern nur eine dumme Todesfee.“

Itzapapalotl spürte, wie übermächtige Wut in ihr hochstieg. Schwarze, gläserne Krallen wuchsen aus ihren Händen. Gleich würde sie diese Vampirin packen, sie schütteln, zu Boden zwingen und ihr das herausreißen, was vor langer Zeit einmal ein Herz gewesen war. Sie hätte das schon vor Jahrhunderten tun sollen!

„NEIN.“

Itza vernahm die Stimme mehr in ihrem Kopf als in ihren Ohren. Warum hielt die weise Schlange sie zurück? Mit aller Kraft gelang es ihr, sich zu beherrschen.

„Ich dulde nicht, dass sich die Mitglieder dieses Hofes gegenseitig bekriegen. Wir haben weitaus größere Probleme. Mara hat um den Schutz dieses Hofes gebeten. Sie hat ihn erhalten und ist genauso ein Teil davon wie du, Obsidian-Schmetterling. Und ich muss ihr recht geben. Es war deine Aufgabe, über unser Volk zu wachen und Schaden von ihm fernzuhalten. Du hast damals versagt und wie es scheint, bist du dabei, es wieder zu tun. Vielleicht ist es deine Natur, dein ungestümes Wesen, das dich zu überstürzten Handlungen hinreißen lässt.“

„Es war nicht klug?“ Itzas Stimme wurde schrill. „Erneut fallen Gringos in unser Land ein. Dieses Mal nicht mit Schiffen und mit Pferden, mit Christenpriestern und Schwertern, mit Goldgier und mit Seuchen. Nein, heute kommen sie mit Coca-Cola und Koffern voller Geld. Sie rauben wieder die Schätze unseres Landes und geben uns wertloses Papier anstelle von Glasperlen. Sie besudeln es mit ihrer primitiven Art zu denken. Sie zerstören, was immer ihnen in die Hände kommt. Es reicht ihnen nicht, die Menschen zu versklaven, jetzt wenden sie sich gezielt gegen uns. Sie erkennen uns. Sie brachten ihre eigenen Geschöpfe mit. Ihre Oger töten unsere Feen. Ihre verdrehten halbmagischen Wesen vermögen, selbst die Stärksten unter uns anzugreifen. Sie töten uns! Hast du diejenigen gesehen, die ihre Opfer wurden, ehrwürdige Schlange?“

Ein Klagelaut klang aus den Tiefen des Raumes.

„Und statt herauszufinden, was das für Leute sind, wer sie schickt, wo ihre Schwachstellen liegen, kommt die schlaue Itza auf die Idee und bringt einen unbedeutenden Menschen um. Glaubst du nicht, sie werden einen anderen schicken, der ihre Spezialeinheiten befehligt?“ Maras Stimme wurde leise. „Diese Leute sind K-Programme, Itza! Weißt du überhaupt, was das ist? Die Amerikaner haben es geschafft, Wesen zu erschaffen, die uns besiegen können! Es ist vollkommen schwachsinnig, einen Krieg heraufzubeschwören. Eine offene Schlacht werden wir verlieren, genauso wie ihr vor fünfhundert Jahren verloren habt! Ach ja, du kennst ja K-Programme. Ist dir nicht vor nicht allzu langer Zeit eins entwischt? Hast du nicht getönt, du wolltest ihr Herz rausreißen?“ Mara machte eine Kunstpause und legte fragend den Zeigefinger an die Lippen. „Ach nein. Unsere schlaue Itza hat es nicht geschafft. Ein einzelnes kleines K-Programm und unsere großartige Itza war überfordert! Was haben wir gelacht …“

Itza keuchte auf vor Wut. Sie erinnerte sich sehr gut an diesen Tag. Ja, es mochte ein K-Programm gewesen sein, aber das war es nicht, was sie bezwungen hatte. Ein einzelner magisch veränderter Mensch war kein Gegner, der ein ernstzunehmendes Problem darstellte. Aber diese Frau war etwas anderes. Mächtige Magie, größer als die ihre, schützte sie. Sie war ein Mitglied des schwarzen Hofes. Sie war eine Drachentochter. Sie trug das Zeichen des Drachen, der sogar die gefiederte Schlange besiegt hatte. Auch diese aufgeblasene Vampirin wäre an ihr gescheitert, aber es hatte keinen Zweck, weiter darüber zu sprechen. Mara mochte ihr körperlich unterlegen sein, aber sie besaß das Vertrauen der gefiederten Schlange. Es war sinnlos, diesen Disput weiterzuführen. Mit einem Fauchen drehte sie sich um. Ihre Gestalt löste sich in tausende winzig kleine schwarze Schmetterlinge auf, die durch das Fenster hinausflogen.

Mara räkelte sich zufrieden in ihrem Sessel. Es war immer gut, seinen Gegner zu kennen und möglichst viel über ihn zu wissen. Der Obsidian-Schmetterling war die einzige Person, die zwischen ihr und der absoluten Macht stand. Mit unschuldigem Lächeln wendete sie sich der gefiederten Schlange zu, die zurückgesunken auf ihrem Lager ruhte.

„Es tut mir so leid, dass es zu diesem dummen Streit kam. Ich will doch nur das Beste für den roten Hof.“ Ihre Stimme klang seidig und einschmeichelnd. „In einem hat Itza recht. Sie tun den Unsrigen grauenhafte Dinge an. Sie suchen sich nicht die Starken, die ihnen gewachsen sein könnten, nein, sie vergreifen sich an den kleinen Tierwesen, an den Flussfeen und weißen Hexen. Es reicht ihnen nicht, zu töten. Sie foltern sie, verbrennen sie mit angezündeten Reifen, reißen sie in Stücke. Sie verschonen niemanden, weder Frauen noch Kinder.“

Ein weiteres dumpfes Stöhnen entfuhr der gefiederten Schlange. Mara war zufrieden.

„Ich habe eine Idee, wie wir es schaffen, die Fremden zu besiegen. Willst du sie hören?“

Die gefiederte Schlange nickte.

Hinterfrage alles

Als Jane aufwachte, saß Javier bereits fix und fertig angezogen in einem der Sessel und las Zeitung. Ihr Kopf schien voller Spinnweben zu sein. Sie versuchte, ihre Gedanken zu sortieren. Das Essen, der Wein, der Tango und ein Nachmittag, der irgendwie aus dem Ruder gelaufen war. Javier grinste sie von seinem Platz aus an.

„Ich dachte schon, du wachst nicht mehr auf. Ich wollte dich ausschlafen lassen, aber wir haben heute noch viel vor.“

Ja, er hatte natürlich recht. Sie ließ das Laken herabgleiten und ging ins Bad. Sie spürte förmlich, wie Javiers Blick ihr folgte.

***

Sie gingen auf einen Kaffee in ein Lokal, das „Deutsches Haus“ hieß. Es gab eine Menge deutscher Einwanderer hier. Sie setzten sich so, dass sie den Raum im Blick hatten. Javier wies sie auf einen Mann hin, der hinten rechts in der Ecke saß. Er hatte eine Weile Zeitung gelesen. Jetzt wartete er auf die Bedienung, um zu zahlen.

„Mach ein Bild von diesem Mann, aber unauffällig.“

Jane zog diskret die Kamera hervor. Sie nutzte einen Moment, in dem einige neue Gäste ihre Plätze einnahmen, um das Objektiv auf ihn zu richten. Für einen Moment schien es Jane, als wäre er mindestens zwei Meter groß. Seine mächtigen Beine passten kaum unter den Tisch. Die Haut war bleich, grobporig und sah seltsam ungesund grau aus. Sie schüttelte irritiert den Kopf. Nie wieder Rotwein! Sie brauchte dringend einen Kaffee und etwas zu essen. Die Kamera klickte ein paarmal, aber er bekam es nicht mit. Er schien sich unwohl zu fühlen. Sein Blick war unstet und vermied jeden Blickkontakt zu anderen Menschen. Selbst als er zahlte, sah er an der Bedienung vorbei. Als er hinausging, streifte er beinahe Javiers Schulter. Jane sah ihm hinterher und zu ihrer Verwunderung sah sie ein großes Messer, das in einem Holster so auf dem Rücken befestigt war, dass er es jederzeit nach unten herausziehen konnte. Messer war als Bezeichnung beinahe eine Untertreibung. Es war etwas größer als ein Bowiemesser und man konnte mit dem Ding vermutlich ganz bequem ein Paar Gliedmaßen durchteilen. Sie zog die Leica hervor und hielt drauf.

„Das ist einer der Männer, auf die wir achten sollten.“

Javier hatte die Kellnerin herangewinkt und beglich die Rechnung.

„Bevor wir zur Botschaft fahren, würde ich dir gern etwas zeigen.“

Javier fuhr sehr schnell. Seltsamerweise lag der Wagen erheblich ruhiger, als wenn man in gemächlichem Tempo durch die Straßen schaukelte. Es war schon komisch, auf so etwas Unwichtiges zu achten, wenn es ringsherum von Polizei und Militär wimmelte und Menschen auf offener Straße angeschossen oder verschleppt wurden, dachte Jane. Vielleicht war es einfach so, dass man sich an die normalen Dinge klammerte, um den ganzen Irrsinn zu überstehen.

Es dauerte etwa zwanzig Minuten, bis sie am Strand waren. Sie ließen das Auto stehen und schlenderten durch das flache Wasser. Javier griff nach Janes Hand.

„Es sieht glaubhafter aus, wenn ein Pärchen bei einem Strandspaziergang Hand in Hand läuft.“

Jane lächelte flüchtig. Nach einer Weile war niemand außer ihnen mehr zu sehen. Javier wechselte die Richtung und lief landeinwärts. Nach weiteren zwanzig Minuten erreichten sie ein Gelände, das offenbar als Abstellplatz diente. Javier schnitt den Maschendraht mit einem Seitenschneider auf, sodass sie bequem hineinschlüpfen konnten. Glücklicherweise gab es weder Hunde noch eine Wache. Hinter einem angerosteten Container stand das Wrack einer Limousine. Dinnorts Wagen. Das Dach war ausgebeult, der linke Kotflügel fehlte. Das Innere war stark verbrannt, was bei einer Explosion nicht anders zu erwarten war. Dinnort war gefahren, sein Begleiter hatte auf dem Beifahrersitz gesessen. Ein Fenster war heruntergelassen. Jane fischte einen winzigen Fetzen angekohltes Geschenkpapier aus einer Ritze. Sie zog die Kamera hervor. Die Kamera war immer ihr Joker. Warum auch immer, sie sah einfach mehr, wenn sie durch die Linse schaute. Auf dem Rücksitz hatte etwas gestanden. Die Explosion war von dort gekommen.

„Hast du dir alles angeschaut? Dann erzähle ich dir die offizielle Version der Geschichte. Dinnort hatte Kontakt zu einem chilenischen Ex-Militär aufgebaut. Der Mann wurde der ‚Kojote‘ genannt. Ein etwas zwielichtiger Typ. Früher war er Sergeant in der chilenischen Armee. Nach dem Putsch ist er rasend schnell aufgestiegen, bis zum Rang eines Colonels. Sein richtiger Name lautet Raffael da Costa. Er fungiert als Verbindungsoffizier zu den Amerikanern. Dinnort war mit ihm auf dem Weg zu einer Hochburg der MIR. Die MIR ist eine marxistische Gruppe, die einen Guerillakrieg gegen die Regierung führt. Er plante, ihnen instabile Granaten zu verkaufen. Sie gehen häufig zu früh hoch, was in diesem Fall geplant war. Das Militär erkennt anhand der Explosion den Standort der Aufständischen und kann sie erledigen. Was sagst du zu dieser Geschichte?“

Janes Verstand arbeitete. Es passte nicht zusammen. Dinnort war Experte für Fernlenkwaffensysteme. Es gehörte bestimmt nicht zu seinen Aufgaben, Granaten an wen auch immer zu verkaufen. Wenn er wusste, dass er instabile Granaten dabeihatte, wäre er bestimmt nicht so dumm gewesen, diese in den Fahrgastraum zu legen. Dass die Sprengladung nicht von außen angebracht, sondern im Inneren hochgegangen war, bewies die Ausbeulung des Daches. Und er hätte das Paket vermutlich auch nicht in Geschenkpapier eingewickelt. Jane blickte wieder auf den Wagen. Das heruntergelassene Fenster gab ihr die Antwort, die sie gesucht hatte. Wesentlich einleuchtender als die offizielle Story war eine andere Version: Dinnort und der Kojote waren tatsächlich irgendwo hingefahren. Ein Geschenkpäckchen lag auf dem Rücksitz. Dann hatte er angehalten. Etwas, das er in einer Gefahrensituation niemals getan hätte. Er hatte das Fenster heruntergekurbelt, wahrscheinlich deshalb, da er die Person kannte, wegen der er angehalten hatte. Zumindest vermutete er keine Gefahr von ihr. Der oder die Unbekannte hatte dann vermutlich eine Handgranate in den Wagen geworfen. Wer konnte das sein? Jemand von der MIR, Polizei, Militär oder jemand von den eigenen Leuten? Die letzte Vorstellung war absurd. Es sei denn, man wollte James Dinnort loswerden. Vielleicht hatte er etwas entdeckt, das nicht für seine Augen bestimmt war. Javiers Miene verriet Jane, dass er genau dasselbe dachte.

„Wir brauchen Beweise, Javier, und das wird nicht leicht sein.“

Sie fuhren zum Botschaftsgebäude. Jane wusste, wie die Botschaft in Saigon nach der TET-Offensive ausgesehen hatte. Sandsäcke, Belagerungszustand. Marines in voller Kampfausrüstung mit schussbereiten Maschinengewehren im Anschlag. Hier war es ähnlich. Die Häuser ringsum schienen nicht bewohnt zu sein. Ladenlokale waren mit Brettern vernagelt. Es war beklemmend. Sie hielten auf der gegenüberliegenden Straßenseite an.

Die Wachen richteten augenblicklich die Waffen auf sie. Jane atmete hörbar ein. Das war nicht normal. Sie befanden sich auf offener Straße. Sie öffnete die Wagentür. Sie hörte das Klicken der Waffen und eine der Wachen kam direkt auf sie zugestürzt. Das fehlte noch, dass ein übereifriger Soldat sie hier erschoss! Ganz vorsichtig griff sie in ihre Jackentasche, zog den Pass heraus und hielt ihn hoch.

„Ich bin amerikanische Staatsbürgerin …“ Weiter kam sie nicht.

Der Marine packte sie und zwang sie zu Boden, während der andere ihr den Lauf seiner Maschinenpistole ins Genick hielt.

Beide brüllten auf sie ein. Hände hinter den Kopf! Wer der Mann in ihrer Begleitung war, was sie wolle. Jane kämpfte gegen die aufsteigende Panik. Was war hier los? Seit wann ging man auf offener Straße so mit den eigenen Leuten um? Hatte es einen Anschlag gegeben? Die Situation ließ sich anders nicht erklären. Sie versuchte, einigermaßen ruhig zu antworten.

„Mein Name ist Jane Mulwray. Ich bin amerikanische Journalistin und arbeite für die Capital Tribune. Ich möchte den Botschafter sprechen.“

Sie war beinahe verwundert, dass sie den Satz zu Ende bringen konnte, ohne erschossen zu werden. Sie wagte es aufzublicken und musterte die beiden Soldaten. Großer Gott, wo hatte man die aufgetrieben? Beide waren sehr groß, sehr muskulös. Die Köpfe wirkten aufgrund der starken Halsmuskulatur so, als ob sie direkt auf den Schultern aufsetzten. Ihre Bewegungen waren ungewöhnlich schnell. Dann die Augen. Eisblaue Augen konnten schon mal kalt wirken, aber diese hier konnten schockfrosten. Sie sahen unmenschlich aus. Absolut gefühllos. Kein Lächeln, keine Regung. Jane hatte nicht das Gefühl, dass die beiden sie als menschliches Wesen wahrnahmen.

Einer der Männer deutete auf Javier.

„Was ist mit ihm?“

„Das ist mein Dolmetscher und Fahrer.“ Jane versuchte, ein harmloses Gesicht zu machen.

„Er bleibt draußen.“ Der Soldat machte Javier ein Zeichen, in sein Auto zu steigen. Dann wendete er sich wieder Jane zu. „Passieren Sie!“

Das Tor öffnete sich einen Spalt und Jane schlüpfte hindurch. Hinter dem Tor erwartete sie eine andere Welt und sie fragte sich einen winzigen Moment, ob sie die unangenehme Begrüßungszeremonie vielleicht nur geträumt hatte. Allein die Lufttemperatur war gefühlt zehn Grad wärmer. Durch einen parkähnlichen Garten führte ein gepflegter Kiesweg auf das Haupthaus zu, eine Villa im spanischen Kolonialstil. Vor der Hauswand gab es bunte Blumenrabatten. Ein lilablühender Baum duftete zart. Etwas weiter hinten schien eine Party stattzufinden. Menschen standen lachend beisammen, den unvermeidlichen Drink in der Hand. Einige Frauen spielten Federball auf dem akkurat gestutzten Rasen. Sie kam nicht dazu, sich das Ganze weiter anzusehen.

„Miss Jane? Jane Mulwray, sind Sie das?“ Die Stimme kannte sie. Sie fuhr herum. Ein sehr großer, sehr kräftiger Mann lief grinsend auf sie zu. „Erkennen Sie mich noch?“

Sie stutzte einen Moment. „Chandler? Chandler Crowe?“ Wie hätte sie diesen Mann je vergessen können? Chandler hatte ihr in Vietnam das Leben gerettet.

„Ja, Miss Jane. Wie schön, Sie zu sehen. Ist der Sergeant auch da?“ Chandler blickte sich suchend um.

Jane verspürte einen kleinen Stich, fasste sich aber sofort wieder.

„Nein, Chandler. Der Sergeant begleitet mich nicht. Wir sind nicht mehr zusammen. Er lebt jetzt in Nebraska.“

Der große Mann glich einen Moment einem enttäuschten kleinen Jungen, aber dann lächelte er wieder.

Jane gab ihrem ersten Impuls nach. „Ich werde dem Sergeanten erzählen, dass wir uns getroffen haben. Er freut sich bestimmt riesig, wenn er hört, dass es dir gut geht.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte ihren Arm um Chandlers Hals, um ihm einen Kuss auf die Wange zu hauchen.

„Wie ich sehe, kennen Sie unseren Gärtner?“, unterbrach eine sonore Stimme die Begrüßungszeremonie. Ein Mann mit gepflegten weißen Haaren und zweireihigem Club-Jackett stand hinter ihnen.

Chandler wurde verlegen und nahm augenblicklich Haltung an.

Jane drehte sich um. „Wir kennen uns aus Saigon. Ohne Chandler stünde ich vermutlich nicht hier. Oh, Entschuldigung, ich bin unhöflich. Mein Name ist Jane Mulwray, ich arbeite für die Capital Tribune. Ich bin hier, weil ich mich gern mit Botschafter Auburn unterhalten würde.“

Der Mann lächelte und nahm die Brille ab. „Ich bin Henry Auburn, Miss Mulwray. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, was ich der Tribune Wichtiges mitteilen könnte, aber eine charmante Dame wie Sie ist mir natürlich immer willkommen. Wir geben gerade eine kleine Dinnerparty, ganz zwanglos. Darf ich Sie einladen?“

Jane warf Chandler einen bedauernden Blick zu. Sie hätte gern noch ein wenig geplaudert. Chandler war also Gärtner hier. Merkwürdige Verwendung für einen begnadeten Scharfschützen. Mit heller Baumwollhose, dunkelblauem Hemd und rehbraunen Lederslippern sah er kein bisschen nach Gärtner aus.

„Nun, weswegen sagten Sie, wollten Sie mich sprechen?“ Der Botschafter hielt ihr den Arm hin.

„Oh, ich sagte es noch gar nicht, Mr Auburn.“ Jane hakte sich mit strahlendem Lächeln unter. „Mich interessieren die Hintergründe des schrecklichen Todes von Mr Dinnort. Die Tribune ist der Ansicht, dass es den amerikanischen Leser interessieren wird, wie ein hochrangiger Botschaftsangehöriger solch einem brutalen Anschlag zum Opfer fallen konnte.“

Auburn holte tief Luft: „Dinnort, ja, ein guter Mann. Ganz bedauerlich, diese Sache. Miss Mulwray. Ich denke, wir sollten uns in meinem Arbeitszimmer darüber unterhalten.“ Er wirkte ein wenig fahrig und sah sich nervös um.

Jane war der Ansicht, dass Botschafter Menschen seien, die immer und in allen Lebenslagen ein eloquentes Auftreten besaßen. Das war bei Henry Auburn eindeutig nicht so.

Als sie ins Haus kamen, empfing sie eine altmodische Pracht mit viel Gold, Schnörkeln und Stuck. Überall dunkle Kolonialmöbel, schwere Ledersessel und Sofas. Dicke Orientteppiche dämpften jeden Schritt. Alles war gediegen und geschmackvoll eingerichtet.

„Es ist gleich links, Miss Mulwray.“

Henry Auburn öffnete eine schwere Holzkassettentür. Am Schreibtisch lehnte ein Mann in Uniform. Sein Gesicht war regungslos. Auburn fuhr zusammen und blickte nervös zu Jane. Offenbar hatte er nicht mit der Anwesenheit einer anderen Person im Büro gerechnet. Er schien förmlich zu schrumpfen.

„Was machen Sie denn hier, Lieutenant Wolfmann?“ Seine Stimme zitterte leicht.

Jane musterte den Lieutenant interessiert. Militärisch kurzer Haarschnitt, blond, etwa ein Meter fünfundachtzig, sehr durchtrainiert. Markantes, scharfkantiges Gesicht. Kalte Augen. Das Hemd war makellos sauber und glatt gebügelt. Die Schuhe blank geputzt. Vermutlich würde sich nicht einmal ein einzelnes Staubkorn darauf finden.

„Ich würde gern mit Miss Mulwray sprechen, Botschafter. Unter vier Augen.“ Die Wärme der Stimme entsprach dem Blick der eisblauen Augen.

Auburn zuckte zusammen. „Ja…, nnnatürlich, Lieutenant Wolfmann.“ Er wendete sich Jane zu. „Bitte entschuldigen Sie mich, meine Liebe. Die Gäste und die Party – nun, Sie wissen ja. Vielleicht ein andermal, sprechen Sie einfach mit meiner Sekretärin wegen eines Termins.“ Der Botschafter konnte gar nicht schnell genug aus dem Raum kommen.

Jane sah ihm verblüfft nach. Wie konnte es sein, dass sich ein gestandener Diplomat von einem einfachen Lieutenant aus seinem eigenen Büro jagen ließ? Was ging hier vor sich?

Wolfmann bedeutete ihr, sich zu setzen, während er selbst auf dem Stuhl des Botschafters Platz nahm. Seine Bewegungen waren die eines Raubtiers. Er musterte sie unverwandt.

Da also stand sie, Jane Mulwray. Wer hatte sie geschickt? Abteilung 7 war es nicht, darüber hätte er Kenntnis erhalten. Aber es gab Geheimdienste innerhalb von Geheimdiensten, Sondereinsätze und noch geheimere Missionen. Die verschiedenen Regierungsstellen reagierten mittlerweile vollkommen paranoid auf die Vorkommnisse in Südamerika. Eine abgestimmte Vorgehensweise, ein übergreifender Plan? Schön wäre es, aber leider Fehlanzeige. Keiner wusste, was der andere vorhatte. Das machte die Sache für die Einsatzkräfte vor Ort nicht leichter. Wolfmann war zu lange im Geschäft, um sich noch Illusionen zu machen. Glaubte jemand, dass sie die Lage hier nicht in den Griff bekamen? Gut, Dinnorts Tod hatte für Wirbel gesorgt, aber der Kerl war ein Idiot. Sein plötzliches Ableben machte die Sache eher besser, fand Wolfmann.

Und jetzt schickten sie Jane. Ob sie sich an ihn erinnerte? Wohl kaum, zumindest ließ sie es nicht erkennen. Früher hätte Wolfmann seinen rechten Arm dafür gegeben, um so zu sein wie sie.

Sie war die größte Hoffnung des gesamten Forschungsprogramms gewesen. Sie entstammte derselben Versuchsreihe wie er selbst. Die erste Reihe, bei der ein ganz neues Vorgehen getestet worden war. Bis dahin hatte man versucht, ausgewachsenen Probanden, meist Soldaten oder Gefangenen, magische Substanzen mithilfe von Injektionen zu verabreichen. Die Ergebnisse waren eher dürftig, sie reichten von einer Art Abhängigkeit bis zu diversen Abstoßungsreaktionen. Im besten Fall überlebten die Leute es, ohne ihre schon bestehenden Fähigkeiten zu verlieren. Mit Kindern erzielte man bessere Erfolge. Sie vertrugen die Injektionen besser. Da der Körper noch im Wachstum war, konnten die magischen Substanzen besser in die eigenen Zellen integriert werden. Das Immunsystem verursachte weit weniger Abwehrreaktionen als bei Erwachsenen. Die Ergebnisse waren ermutigend. Die nächste Stufe ging noch weiter. Vermutlich wären die Mütter der ungeborenen Kinder durchgedreht, wenn sie gewusst hätten, was man ihnen injizierte. Sie ahnten es aber nicht und Vitaminspritzen konnten schließlich nicht schädlich sein. Natürlich gab es auch hier bedauerliche Verluste, aber das war nichts, was sich mit Geld und Einfluss nicht aus der Welt schaffen ließ. Jane und Wolfmann entstammten dieser Reihe. Der Erfolg ließ die Wissenschaftler jubeln. Wolfmann wuchs in abgelegenen Forschungseinrichtungen auf. Er konnte sich nicht erinnern, je ein anderes Zuhause gekannt zu haben. Er war elf Jahre alt, als ein kleines Mädchen in das „Waisenhaus“ kam. Das war Jane. Auf den ersten Blick war nicht zu erkennen, was ihre Fähigkeiten waren, aber langsam fanden sie es heraus. Sie kämpfte in einer absolut effizienten und tödlichen Art und Weise. Sie brachte Gegner zur Strecke, die weitaus älter und stärker waren. Aber das war nichts Besonderes. Viele K-Programme besaßen solche Fähigkeiten und sie wurden ausgiebig trainiert. Jane war anders. Sie besaß einen unbeugsamen Willen. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war niemand, wirklich niemand in der Lage, sie davon abzubringen. Es brachte ihr regelmäßig Ärger ein, weil sie versuchte, Schwächere zu schützen und Ungerechtigkeiten nicht ertrug. Sie versuchten alles, um den Willen des Kindes zu brechen. Wahrheitsserum, Drogen, Bestechung: Fehlanzeige. Folter, Bedrohung: nichts. Erfahrene Verhörspezialisten scheiterten an einem achtjährigen Mädchen. Sie war unangreifbar. Außerdem war es fast ein Wunder, dass sie den ganzen Dreck, den man in sie hineinspritzte, überlebte. Die Dosierungen hätten vermutlich jeden Elefanten umgeworfen, aber ihr ging es nach einer Weile wieder gut. Die Widerstandskraft ihres Körpers musste immens sein. Es konnte nur Teil ihrer magischen Substanz sein. Was es wohl war? Er wäre gern gewesen wie sie. Von einem kleinen Mädchen geschlagen zu werden, kratzte an seinem Ego. Irgendwann hatte es einen Zwischenfall gegeben, niemand sprach darüber, selbst in den Akten fand sich nichts. Auf jeden Fall war Jane aus dem Programm entfernt worden und hatte die Einrichtung verlassen.

„Wer hat dich hergeschickt?“

Die Frage kam unvermittelt, nachdem er Jane eine gefühlte Ewigkeit stumm gemustert hatte.

„Die Capital Tribune. Ich bin freie Mitarbeiterin.“

„Bullshit!“

„Wie bitte?“

„Du solltest gar nicht erst versuchen, mich zu verarschen!“

Jane sah den Lieutenant irritiert an. Wie sprach dieser Kerl mit ihr?

„Hören Sie, Lieutenant. Ich weiß nicht, was hier läuft. Ich habe keine Ahnung, was mit Ihnen los ist, aber Sie sollten sich mäßigen. Ich bin hier, weil ein Mitglied dieser Botschaft in die Luft gejagt wurde. Das passiert schließlich nicht jeden Tag. Aus diesem Grund hat die Zeitung mich hergeschickt und ich möchte ein Interview mit Botschafter Auburn führen. Was tut ein Mann wie Dinnort hier, welche Aufgaben und Kontakte hatte er? Das sind die Fragen, die ich stellen wollte. Ganz normale und harmlose Fragen. Wenn ich mir aber Ihr Verhalten anschaue, frage ich mich, ob nicht erheblich mehr dahintersteckt! Es ist kein Geheimnis, dass sich die US-Geheimdienste hier engagieren. Habe ich in ein Wespennest gestochen? Sollte ich vielleicht das Interview besser mit Ihnen führen?“

Wolfmann fühlte, wie so etwas wie Wut in ihm hochstieg. Ein ungewohntes und unangenehmes Gefühl. Er erlaubte sich keine Gefühle. Er war sich nicht sicher, ob er überhaupt welche besaß. Es gab nur einen Menschen, der ihn so aus der Fassung bringen konnte, und das seit seinem elften Lebensjahr. Es war dieses Mädchen, diese Frau! Sie hatte sich seither kein bisschen geändert. Sie nahm sich heraus, was sie wollte. Mit welchem Recht? Sie war exakt dasselbe wie er. Er war Teil des Systems, hatte sich hochgearbeitet. Er kannte seine Aufgabe. Diese Aufgabe bestimmte sein Leben. Vierundzwanzig Stunden am Tag und sieben Tage die Woche. Er schützte sein Land, seine gesamte Spezies vor diesen unmenschlichen Kreaturen. Seit Jahren versuchten sie, ihr Einflussgebiet auszuweiten. Sie bedrohten die Existenz der Menschheit! Es war seine Aufgabe, das zu verhindern. Es gab für ihn kein Lob und keine Tadel. Er funktionierte, das war alles, was von ihm verlangt wurde. Das galt für alle K-Programme. Aber Jane ging einfach her und entzog sich diesem System. Sie war nicht kooperativ. Sie stellte sich gegen die eigenen Leute. Er erinnerte sich sehr gut daran, was in Vietnam passiert war. Trotzdem hatte jemand Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um sie dort rauszuholen. Es gab Leute in hohen Positionen, die sie schützten.

Er konnte nichts tun und das ärgerte ihn maßlos. Wenn sie einen Befehl hatte, würde sie es ihm nicht sagen. Genau, wie sie früher nichts gesagt hatte. Er verspürte nicht übel Lust auszuprobieren, wie weit er gehen musste, damit sie endlich redete. Aber er konnte nicht riskieren, eine geheime Operation zu stören. Niemand kannte die Einsatzgebiete anderer K-Programme, so konnte man nichts verraten. Es war denkbar, dass diese Frau allein in die Reihen des roten Hofes geschickt wurde, um sie zu infiltrieren. Wenn jemand dazu in der Lage war, dann sie. Immerhin hatte sie schon einmal eine Bekanntschaft mit diesen Monstern überlebt.

Er hörte förmlich die Worte seines Dienstvorgesetzten: Lassen Sie die Frau in Ruhe ihre Arbeit machen. Wenn die Mission schiefgeht, mache ich Sie persönlich verantwortlich.

„Du willst wissen, wer Dinnort war? Was er hier wollte? Ja, Dinnort war in geheimer Mission hier. Seine Aufgabe war es, die Wahl Allendes zu verhindern. Das hat er nicht geschafft. Dann war es sein Job, dafür zu sorgen, dass dessen Amtszeit nicht allzu lange dauerte. Das hat er geschafft. Liefere ich dir Beweise? Nein, und du solltest auch besser nicht danach suchen. Wir alle hier machen nur unseren Job. Wir schützen die Interessen unseres Landes, das solltest du zur Abwechslung mal respektieren. Deiner Zeitung“, er spuckte das Wort beinahe aus, „kannst du ausrichten, dass ein amerikanischer Botschaftsangehöriger jederzeit Ziel von terroristischen Anschlägen werden kann, vor allen Dingen in einer unübersichtlichen Situation wie hier. Deswegen können wir nur hoffen, dass eine stabile Regierung wieder für Ruhe und Ordnung sorgt. Es gibt nichts Spektakuläres, nichts, was einen amerikanischen Leser interessieren würde. Das Interview mit Auburn kannst du dir also sparen. Er würde nichts anderes sagen.“

Mit einer geschmeidigen Bewegung erhob er sich und ging zur Tür.

„Sie dürfen gehen, Miss Mulwray. Und achten Sie darauf, uns nicht wieder in die Quere zu kommen.“

„Oh, zu freundlich, Lieutenant Wolfmann – und danke für das Interview.“

Jane tippte sich grüßend an die Schläfe, während sie den Raum verließ. Sie wusste beim besten Willen nicht, was sie von diesem Auftritt halten sollte. Wer war dieser Kerl und woher kannte er sie? Er musste sie kennen, anders war es nicht zu erklären, wie er mit ihr umgegangen war. Vietnam? An jemanden wie Wolfmann würde sie sich in jedem Fall erinnern. Sie war sich sicher, dass sie ihn noch nie in ihrem Leben gesehen hatte.

Ein Lächeln stahl sich in ihr Gesicht, während sie die Botschaft verließ. Vielleicht war Dinnort wirklich nicht so interessant, aber dieser Wolfmann war es. Wer war der Kerl, wie konnte er sich ein solches Auftreten leisten und was machte er hier? Es wäre spannend, das herauszufinden.

₺131,50
Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Hacim:
390 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783754129814
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip