Kitabı oku: «Schattenkriege», sayfa 5

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Wolfmann schloss die Tür. Wieso hatte er mal wieder das Gefühl, den Kürzeren gezogen zu haben? Er griff zum Telefon und wählte eine Nummer.

***

Langley, Virginia

Direktor Jack Brabham lehnte sich zurück und stieß einen Seufzer aus. Was zur Hölle machte Jane in Chile? Es stellte ein Riesenproblem dar, dass sie ausgerechnet Wolfmann über den Weg gelaufen war. Der Kerl war nicht dumm, und wenn er einmal eine Fährte aufnahm, war mit ihm nicht zu spaßen.

Wir haben Grund zu der Annahme, dass der rote Hof nicht einheitlich agiert. Miss Mulwray hat schon Erfahrung mit dem roten Hof gemacht und der Rest übersteigt Ihre Geheimhaltungsstufe, Lieutenant. Brabham konnte ziemlich überzeugend sein und Wolfmann hatte keine weiteren Fragen gestellt.

Allerdings war Brabham klar, dass er die Sache nicht auf sich beruhen lassen würde. Es würde nicht leicht werden, Jane zu schützen, aber das war es nie gewesen. Egal, er hatte es sich geschworen und das würde auch ein Wolfmann nicht ändern. Warum zur Hölle konnte dieses verrückte Mädchen nicht einfach ihren Sergeanten heiraten, nach Nebraska ziehen und ein halbes Dutzend Kinder großziehen?

***

Javier wartete nervös im Wagen und beobachtete den Eingang. Er war erleichtert, als Jane dort erschien. Sie öffnete die Autotür und ließ sich mit einer fließenden Bewegung auf den Sitz gleiten.

„Hat er mit dir gesprochen?“ Javier schaute sie fragend an.

Jane nickte. „Ja, aber nicht sehr lange. Dafür habe ich einen äußerst unfreundlichen Lieutenant namens Wolfmann kennengelernt, der mir mehr oder weniger unverblümt gesagt hat, ich solle meine Nase aus der Sache raushalten. Wir sind also auf der richtigen Spur. Hast du schon mal was von dem Mann gehört?“

Javier schüttelte den Kopf. „Willst du seinem Rat folgen?“

Jane schaute ihn empört an. „Natürlich nicht! Was haben wir heute vor?“

„Ich habe dir doch heute Morgen diesen Kerl im ‚Deutschen Haus‘ gezeigt, du erinnerst dich?“ Jane nickte. „Gut. Er ist – besser, er war – einer von Dinnorts Handlangern. Ein Mann wie Dinnort macht sich natürlich nicht selbst die Hände schmutzig. Dafür hatte er seine Leute. Echt üble Kerle, ich habe nicht mal im Ansatz eine Ahnung, wo man so einen Abschaum findet. Das sind nicht nur Mörder, das sind Leute, denen es so richtig Spaß macht zu quälen, zu foltern und zu töten. Ich habe schon eine Menge erlebt, aber das geht über jedes erträgliche Maß hinaus. Bevor wir in die Sache einsteigen, will ich dir was zeigen. Ich hoffe, du hast einen guten Magen.“

Javier wendete den Wagen und gab Gas. Der altersschwache Ford protestierte vergeblich gegen das Tempo. Sie hielten vor einem alten Fabrikgebäude, das in früheren Zeiten eine Brauerei beherbergt hatte. Jetzt wies ein kleines Schild auf eine Tierarztpraxis hin. Javier führte Jane zu einem Seiteneingang, der in einen Keller führte.

Unten war es ziemlich kühl. Eine Stahltür verschloss das Ende des Ganges. Javier klopfte ein paarmal kurz an. Die Tür öffnete sich und ein ziemlich kräftiger Mann mittleren Alters schaute sie an. Er war ganz und gar nicht erfreut, jemand Unbekanntes zu sehen und herrschte Javier ziemlich rüde an. Javier hob abwehrend die Hände.

„Sie ist eine Kollegin, Antonio. Sie wird uns helfen.“

Antonio schaute immer noch skeptisch.

„Nun, Señora, ich hoffe, Sie haben einen guten Magen.“ Das hörte sie heute zum zweiten Mal.

Er ließ sie eintreten. In der Luft lag ein leichter Geruch nach Verwesung, der von Desinfektionsmitteln einigermaßen überdeckt wurde. Jane zog sich ihr Halstuch vor das Gesicht. Javier bedeutete ihr, zu folgen. Sie betraten einen Raum mit einigen Tischen. Eine provisorische Pathologie, nur dass es keine gesonderten Kühlfächer gab. Die Körper waren mit Planen zugedeckt.

„Jane, das sind Mordopfer. Es sind keine zufälligen Morde, sondern die Sache hat Methode. Die Täter sind Monster. Es sind Tiere, die Angst und Schrecken verbreiten sollen. Einige der Toten sollten gefunden werden. Sie lagen an öffentlichen Plätzen oder, besser, sie wurden dort drapiert. Du hast dich gewundert, weshalb hier alle Leute nur nach unten auf den Gehsteig blicken. Sie wollen nicht so enden.“

Antonio tippte Jane auf die Schulter und hielt ihr eine kleine Büchse mit stechend riechender Salbe hin.

„Nehmen Sie das, Señora. Ist besser.“

Jane schüttelte den Kopf und wies auf das Tuch. Sie hatte keine Lust, den Rest des Tages mit Kampfergeruch in der Nase zuzubringen.

Javier zog die erste Plane beiseite. Jane starrte auf das eingefallene Kaninchengesicht. Blut verkrustete das Fell.

„Die Frau hieß Carmen Didonna. Man hat sie ganz öffentlich auf der Plaza di Libertad zur Schau gestellt. Ihr Kopf war auf dem Schwert der Statue des Freiheitskämpfers aufgespießt und die Körperteile hat man ringsherum am Fuß des Denkmals gefunden. Sie war Kellnerin im ‚Deutschen Haus‘, wo wir eben waren.“

Jane schluckte und starrte auf das Kaninchengesicht der Frau, die einmal Carmen Didonna gewesen war. Frauen mit dem Namen Carmen Didonna hatten keine Kaninchengesichter. Genauer gesagt, hatte keine Frau ein Kaninchengesicht. Jedenfalls nicht so eines, mit Haaren und puscheligen Ohren. Es gab keine Menschen mit Kaninchengesichtern. Auch gestern Abend im Restaurant hatte sie keinesfalls Menschen mit Kaninchengesichtern gesehen. Das war nur der Wein. Sie sah so etwas nicht. Sie sah auch keine grauhäutigen Monster mit Messern und keine Leute mit Dämonenflügeln. So etwas GAB ES NICHT. Sie schloss für einen Moment die Augen. Sie wurde verrückt. Eine andere Erklärung gab es nicht. Seit diesem unseligen Drogencocktail in Mexiko sah sie Dinge, die es nicht gab. Eddy, das Opossum im Weihnachtsmannkostüm. Damit hatte es angefangen. Sie verfluchte den Tag, an dem sie Boyds Drink angenommen hatte. Das Zeug hatte irgendetwas mit ihrem Verstand gemacht und sie würde es nie wieder loswerden. Javier zeigte ihr gerade ein schlimm zugerichtetes Mordopfer, und sie sah Kaninchen.

„Jane? Alles klar? Es tut mir leid, ich hätte dir das nicht zeigen sollen.“ Javier schaute sie besorgt an.

„Es geht schon wieder. Ich hatte mich nur nicht darauf eingestellt. Darf ich fotografieren?“ Sie schaute Antonio fragend an. Sie brauchte Beweisfotos, versuchte sie, sich einzureden, aber eigentlich wollte sie nur wissen, was die Bilder zeigen würden. Zeigten sie eine Frau mittleren Alters, wäre sie einfach nur wahnsinnig und würde ihre Tage vermutlich irgendwann in der Klapsmühle verbringen. Wenn sie ein großes, totes, irgendwie menschliches Kaninchen zeigten, gab es vermutlich Menschen mit Kaninchengesichtern. Oh Gott, sie musste sich am Riemen reißen.

Antonio sah sie mit einem seltsam fragenden Blick an, nickte aber dann. Jane griff nach dem Tiegel mit der Kampfersalbe und dann nach ihrer Kamera. Sie schaltete jeden Gedanken aus und begann zu fotografieren.

Antonio zeigte ihnen das nächste Opfer. Ein schlanker junger Mann mit spitzen Ohren und durchschnittener Kehle. Jane schnappte verzweifelt nach Luft.

„Er und seine Frau hatten ein kleines Lebensmittelgeschäft, zwei Blocks weiter. Nette Leute, unauffällig. Keine Angehörigen hier in der Nähe. Wir haben ihn vor etwa einer Woche gefunden. Es hat sich niemand um den Fall gekümmert. Es gab keinerlei Ermittlungen. Seine Frau ist erst seit zwei Tagen hier. Sie lag draußen. Es ist kein schöner Anblick.“

Er ging zu einem Leichensack und zog den Reißverschluss auf. Ein betäubender Verwesungsgeruch stieg auf. Jane würgte und musste sich abwenden. Javier erbrach sich ins Waschbecken. Es war nicht nur die Verwesung, es waren auch Fressspuren, die den Körper schlimm zugerichtet hatten. Tiefe Einschnitte an den Handgelenken ließen darauf schließen, dass man sie vor ihrem Tod gefesselt hatte.

„Señora!“ Antonio hielt ihren Arm fest, als sie sich zum Gehen wandte. „Señora, diese Morde – das waren Ihre Leute. Sie suchen sich die Opfer bei den Unschuldigen, denn an ebenbürtige Gegner wagen sie sich nicht!“ Ein tiefes Grollen kam aus seiner Brust und er schüttelte den Kopf mit den langen dunklen Haaren. „Sie wollen uns ausrotten, wie sie es immer wollten. Suchen Sie an diesem Punkt weiter, wenn Sie es ernst meinen.“ Er starrte sie mit gelbglühenden Augen an. „Ich weiß, dass Sie anders sind. Und das hat nichts damit zu tun, dass Sie Reporterin sind oder dass Javier Ihnen vertraut. Sie können SEHEN. Helfen Sie uns.“

Jane war heilfroh, den Kellerraum zu verlassen. Sie atmete tief ein und sog die kühle, saubere Luft in die Lungen. Was meinte Antonio mit SEHEN? Stand ihr so deutlich „Ich habe eine Frau mit Kaninchengesicht fotografiert“ auf der Stirn geschrieben? Und wieso fand dieser Antonio das normal? Außerdem, diese Augen! Diese bernsteinglühenden Augen. Das hatte sie noch nie bei einem Menschen gesehen. Wölfe besaßen solche Augen, wenn das Licht auf sie schien. Ihr Gehirn arbeitete wie eine Maschine. Jane, es war das Licht. Das Licht dieser gelben Funzel hat sich in Antonios Augen gespiegelt. Und die tote Frau hatte einfach hochstehende Wangenknochen, Stupsnase und vorstehende Zähne. Vielleicht auch etwas flaumigen Damenbart. Deine Bilder werden es zeigen. Verlier jetzt bloß nicht die Nerven, ermahnte sie sich selbst.

„Antonio sagte, die Wohnung des Lebensmittelhändlers sei nicht weit weg. Sollen wir uns dort mal umschauen, vielleicht finden wir etwas?“

„Ja, wenn du willst.“

Sie nickte. Javier schaute sie an. Für einen Moment hatte er damit gerechnet, dass sie umkippen würde, weglaufen, aber sie hatte ihren Schwächeanfall überwunden und war jetzt wieder ganz der kühle Profi. Er musste gedanklich Abbitte leisten. Jane war wohl doch mehr als nur schön und sexy, erheblich mehr.

„Gut, es ist nicht weit entfernt. Wir können zu Fuß gehen. Ich erzähle dir unterwegs, was ich über zumindest einen der Killer herausgefunden habe. Du erinnerst dich an den Kerl aus dem ‚Deutschen Haus‘?“ Jane nickte. Der Kerl war wirklich gruselig, so jemanden vergaß man nicht so schnell. „Der Mann heißt Josef Metzger. Er ist Deutscher. Es hat eine Reihe von Morden in Deutschland, in der Nähe von Frankfurt gegeben. Der letzte Mord war eine Kantinenangestellte der US-Armee. Weil sie auf dem Stützpunkt gefunden wurde, waren die US-Behörden zuständig. Interessanterweise gab es keine Anklage, keinen Prozess. Er war wie vom Erdboden verschwunden, bis er hier wieder aufgetaucht ist.“ Jane runzelte die Stirn, das war mehr als seltsam.

Sie bogen gerade um die Ecke, als aus einer Seitenstraße Geschrei kam. Javier riss Jane zurück. Sie schaute ihn irritiert an.

„Polizei“, flüsterte er und zeigte auf eine schmale Nische zwischen zwei Hauseingängen. „Von da können wir sehen, was dort passiert.“

Jane huschte hinter ihm her. Überrascht stellte sie fest, dass sie sich schon genau dem Bewegungsmodus der Einheimischen angepasst hatte. Huschen und wegsehen. Nun, wegsehen wollte sie zumindest nicht. Sie hielt die kleine Leica griffbereit. Auf der Mitte der Straße stand ein Militärfahrzeug. Einige Männer lehnten dagegen und rauchten. Ihre Mienen waren gelangweilt, soweit man das trotz der Sonnenbrillen sehen konnte. Einer hielt einen Mann mittleren Alters im Schwitzkasten, der sich heftig wehrte. Er wollte wissen, was man ihm vorwarf. Er habe nichts getan. Er trug einen schwarzen Rollkragenpullover, eine helle Hose und machte einen sehr gepflegten Eindruck. Zwei andere Männer zerrten eine Frau aus dem Haus. Sie packten sie an ihrem langen Haar und zwangen sie unsanft auf die Knie. Die Frau weinte, vor Angst, vor Schmerz. Der Mann bettelte und flehte, seine Frau loszulassen, sie sei schwanger. Was immer man ihm vorwerfe, sie habe damit nichts zu tun. Zwei Schüsse trafen ihn in die Knie und der Mann brach mit einem Schmerzensschrei zusammen. Das Weinen der Frau wurde lauter.

Javier stöhnte unterdrückt und schlug mit der Fast gegen die Wand. In seinem Gesicht stand Wut und Verzweiflung. Jane griff nach seiner Hand. Sie wünschte, sie könnten etwas tun. Aber da draußen standen zirka fünfzehn schwer bewaffnete Männer. Es gab keine Möglichkeit einzugreifen. Sie verbot sich das Gefühl, darüber nachzudenken, was da gerade passierte, und fotografierte, wie die bedauernswerten Menschen auf den Lkw gezerrt wurden. Es dauerte nicht einmal eine Minute, bis die Soldaten aufsaßen und das Fahrzeug davonrumpelte.

Schweigend liefen sie weiter. Javier bog in eine schmale Gasse ab, die unmittelbar an einem verrammelten Geschäft endete. Die Straße war kaum belebt. Sie kamen unbehelligt bis zur Wohnungstür. Es gab keinerlei Siegel oder Absperrung. Javier zog einen Dietrich hervor und öffnete die Tür problemlos.

Jane blieb verblüfft stehen. Sie hatte eine verlassene, leicht stickige, leblose Wohnung erwartet. Aber so war es nicht. Vor ihnen öffnete sich ein verblüffend großer Raum. Eine blühende Ranke hing wie eine Girlande über dem Eingang. Zierliche Möbel, die kaum Ecken und Kanten besaßen, fügten sich Töpfen voller Gemüsepflanzen, Blumen und Sträucher zu einem perfekten Bild zusammen. Es gab keine Bilder, dafür funkelnde Gläser, bunte Keramik und Schalen voller Früchte. Ein leichter Duft von Vanille lag über allem. Wie verzaubert trat sie über die Schwelle. Als sie näherkam, bemerkte sie, dass einige Möbel umgeworfen waren. Eine zerbrochene Vase lag am Boden. Sonst deutete kaum etwas auf einen Kampf hin. Jane wendete sich einer Tür zu, die vermutlich zum Schlafzimmer führte. Sie war nicht verschlossen und gab auf leichten Druck nach.

Sie hielt die Luft an. Dieser Ort erzählte die ganze Geschichte eines grausamen Verbrechens.

Das Bett war zerwühlt. Aufgerissene Kissen lagen auf dem Boden, Federn hatten sich im ganzen Zimmer verteilt. Blut war über die Bettlaken bis zur Wand gespritzt. Nachdem sie die ersten Bilder gemacht hatte, zog sie das Laken zur Seite. Die Spermaspuren waren unverkennbar. An dem eisernen Kopfteil des Bettes fand sie blutige Drahtschlingen.

Ein umgestürzter Stuhl lag am Boden. An den Lehnen und Stuhlbeinen fand sie Reste von Klebeband. Es war kein normales Klebeband. Panzertape nannte man das Zeug, soviel sie wusste, wurde es ausschließlich vom US-Militär genutzt.

Vermutlich hatte man die arme Frau gefesselt und vergewaltigt, während man ihren Mann gezwungen hatte, das mitanzusehen, bevor man ihn umbrachte. Ob es ein Täter gewesen war oder mehrere, ein Werk der Geheimpolizei oder eines Psychopathen, war nicht festzustellen. Fingerabdrücke, das wäre jetzt gut, aber sie hatten dafür kein Equipment. So musste die Bilddokumentation reichen.

„Wirst du uns helfen?“

Jane fuhr erschrocken herum. Zwei zierliche, beinahe durchscheinende Gestalten standen hinter ihr und sahen sie an. Ein junger Mann mit traurigen Augen und durchschnittener Kehle hob bittend die Hand. Sein linker Arm lag schützend um die Schultern einer feengleichen jungen Frau mit langem, dunklem Haar. Furchtbare Wunden zeichneten ihren Körper.

„Ich konnte sie nicht beschützen. Sie waren zu stark.“ Unendlicher Schmerz lag im Gesicht des jungen Mannes. „Aber du, du trägst das Zeichen eines Drachen. Du bist stark. Du kannst sie aufhalten. Bitte, hilf uns.“

Die beiden Körper wurden immer durchscheinender, bis sie sich in winzige Lichtpunkte aufzulösen schienen.

„Jane, ist alles in Ordnung?“ Javier beobachtete sie besorgt. In Antonios Keller hatte sie mit einer Abgebrühtheit fotografiert, die ihn schon beinahe erschreckte. Jetzt stand sie da und starrte reglos auf das Fenster. Vielleicht war sie doch nicht so taff, wie es oberflächlich den Anschein hatte. Er tippte ihr auf die Schulter und Jane zuckte zusammen. „Jane, soll ich dich rausbringen? Vielleicht war das hier doch zu viel. Es ist auch ziemlich stickig. Ich glaube, du brauchst frische Luft.“

Er nahm sie in den Arm und hielt sie fest. Er spürte, wie sie sich fallen ließ, aber nur beinahe. Dann straffte sie die Schultern und schlug die Augen wieder auf. Die Augen glänzten verräterisch, aber ihre Stimme war fest.

„Wir sollten fahren.“

Auf der Rückfahrt hing Jane ihren Gedanken nach. Jetzt sah sie also auch noch Gespenster. Geister. Und diese Geister sahen das Zeichen des Drachen. Ein Zeichen, das sie selbst nie gesehen hatte. Das Zeichen von Madame Ma aus Saigon. Es war verrückt. Sie war verrückt. Sie sollte ihr nächstes Honorar dringend für einen guten Therapeuten ausgeben. Bitte hilf uns. Diese dunkelvioletten flehenden Augen …

„Ja, ich werde euch helfen.“

Javier blickte sie von der Seite an. Die Frau neben ihm hatte wohl schon eine ganze Menge gesehen. Jeder seiner Kollegen wäre in Antonios Pathologie umgekippt. Hundert Pesos für ihre Gedanken. Sie schien es nicht zu bemerken. Er gab Gas und trieb den altersschwachen Wagen vorwärts.

***

Javier schob seinen leeren Teller beiseite. Jane hatte ihr Essen kaum angerührt. Seit gefühlt zehn Minuten rührte sie in ihrem Kaffee.

„Dieser Lebensmittelhändler und seine Frau, die beiden gehen mir nicht aus dem Kopf. Ich glaube, das waren ganz wunderbare Menschen. Hast du gesehen, wie schön ihre Wohnung war?“

Javier schaute sie fragend an. Ihm war nichts Besonderes aufgefallen. Eine kleine Wohnung mit alten, etwas abgewohnten Möbeln. Die Wohnung eines jungen Paares, das nicht viel Geld besaß. Sie hatten das Beste daraus gemacht, mit den bunten Decken und ein paar Topfpflanzen. Es war einfach, aber recht gemütlich. Vielleicht hatte sie das gemeint.

„Sie hatten sich gerade etwas aufgebaut. Schwer genug, in dieser Zeit. Es ist schlimm, einfach nur schlimm und das Allerschlimmste ist, dass so etwas hier Tag für Tag passiert.“

Jane hörte auf, in der Tasse zu rühren und sah Javier unvermittelt an.

„Ich will, dass die Kerle dafür bezahlen, was sie getan haben.“ Es war ein unerbittlicher Unterton in ihrer Stimme.

„Wie darf ich das verstehen?“

„Du hast gesagt, dass sich niemand für diesen Mord interessiert. Nicht für diesen und nicht für die anderen. Dann werden wir uns jetzt dafür interessieren.“

„Und was genau meinst du damit? Sollen wir eine Anzeige bei der Polizei machen?“

„Javier, ich habe keine Ahnung, was genau wir tun können. Aber ich will, dass es aufhört. Wir müssen diesen Mann stoppen. Du weißt, wo wir ihn finden, ihn und seine Kumpane.“

„Und dann? Wenn es stimmt, was wir vermuten, handelt es sich hier um Spezialkräfte, die von deiner Botschaft aus gesteuert werden. Um ausgebildete Killer. Wir sind hier, um diese Schweinereien ans Licht zu bringen. Um dafür zu sorgen, dass die öffentliche Meinung sich gegen solche Einsätze richtet. Wir sind nicht hier, um diese Kerle anzugreifen. Das wäre nämlich Selbstmord, Jane!“ Javier schüttelte den Kopf. „Du hast recht, ich weiß, wo diese Kerle sich aufhalten. Ich habe sie observiert und ich habe recherchiert. Ich bringe dich dorthin. Du machst Bilder, wir versuchen, etwas zu finden, das sie mit den Morden in Verbindung bringt. Und dann nimmst du das ganze Material, bringst es in die vereinigten Staaten und machst eine Geschichte daraus. Deine Zeitung ist ein bekanntes Blatt. Wenn sie das bringt, werden die Menschen das lesen. Mehr können wir nicht tun.“

Jane nippte an dem kalt gewordenen Kaffee.

„Können wir nicht?“

Etwas in ihrer Stimme machte Javier unruhig. Was immer sie jetzt taten, es konnte nur schiefgehen. Diese Kriegsberichterstatter waren alle irre. Auch dann, wenn sie wunderschön waren und endlos lange Beine hatten. Das Beste wäre es, er würde sich umdrehen, gehen und sie nie wiedersehen. Das Beste wäre vermutlich auch gewesen, sich nie mit Politik zu beschäftigen, den Kopf in den Sand zu stecken oder auszuwandern. Das Beste wäre, wegzusehen, wegzulaufen.

Jane stellte entschlossen ihre leere Tasse auf den Tisch und sah ihn erwartungsvoll an. Weglaufen? Und eine Frau die Drecksarbeit machen lassen? Eine Frau allein in dieses Höllenloch schicken? Er würde den Rest seines Lebens nie wieder in den Spiegel sehen können, und das wusste sie. Sie war verdammt clever! Er holte tief Luft.

„Okay, dann sehen wir, was wir tun können.“

Sie fuhren zu einem kleinen Café am Hafen. Von dort hatte man einen guten Blick auf den Gebäudekomplex, den Javier ihr beschrieben hatte. Als sie aus dem Wagen stiegen, überkam sie für einen kurzen Moment das Gefühl, als folge ihnen jemand, aber sie konnte niemanden entdecken.

Jane beobachtete das Haus durch das Teleobjektiv ihrer Kamera. Es fiel nicht weiter auf, da der Hafen ein beliebtes Fotomotiv war. Das Gebäude der Standard-Shipping-Company war ein dreistöckiges, schmuck- und gesichtsloses Geschäftshaus. Die blassgelbe Farbe blätterte an manchen Stellen ab. Auf der einen Seite gab es eine Ladefläche und ein paar Parkplätze. Ein hohes Metallschiebetor verwehrte den Eintritt. Es gab einige Scheinwerfer, die die gesamte Hoffläche bei Bedarf ausleuchten konnten.

Sie merkte, wie Javier unruhig wurde.

„Jane, wir werden beschattet.“

Verflixt, sie hatte sich also doch nicht getäuscht.

„Er sitzt an der Tür. Ein riesiger Typ. Merkwürdig, dass sie für diesen Job nicht jemanden unauffälligeren ausgesucht haben.“

Jane beschloss, die Flucht nach vorn anzutreten und drehte sich um. An der Tür saß Chandler Crow.

„Ist okay. Ich kenne den Mann, wir waren zusammen in Vietnam.“ Sie stand auf und ging zu Chandlers Tisch. Er sah sie an und lächelte.

„Hallo, Miss Jane. Ich passe auf Sie auf. Ist gefährlich hier. Sergeant Jones hat gesagt, ich muss auf Miss Jane aufpassen und Chandler vergisst niemals einen Befehl. Ich stehe immer noch in Sergeant Jones Schuld und darum beschütze ich Sie so lange, bis die Schuld abgetragen ist. Diese Stadt ist sehr gefährlich, Miss Jane.“

Sein Gesicht war das eines treuherzigen Bernhardiners. Chandler Crow war ein sehr einfacher Mann und Jane wusste, dass er im Grunde ein guter Mensch war. Auch wenn er vermutlich mehr Menschen umgebracht hatte als die meisten anderen Scharfschützen. Es war ihm gar nicht klar, dass er tötete. Wenn er auf sie aufpasste, konnte ihr nichts geschehen. Sie beugte sich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Wange, was ihn sehr verlegen machte.

„Vielen Dank, Chandler. Der Sergeant wäre sehr stolz auf dich.“

Er strahlte. „Ich gehe dann mal, Miss Jane. Auch wenn Sie mich nicht sehen, ich passe auf Sie auf.“

Javier beobachtete die Szene. Obwohl er nicht hören konnte, was gesprochen wurde, war es klar, dass dieser Mann nichts Böses im Schild führte. Jane kam mit einem weichen Lächeln zu ihrem Tisch zurück.

„Sein Name ist Chandler. Er war eine Zeit lang bei der Militärpolizei in Saigon. Tank – ich meine Sergeant Jones – war damals sein Sergeant. Er gab Chandler den Auftrag, auf mich achtzugeben. Das ist jetzt über fünf Jahre her und er hat es nicht vergessen.“

Sie rührte versonnen in ihrer Tasse Kaffee. Javier schien es, als sei sie für den Moment in einem anderen Leben versunken, an dem er keinen Anteil hatte. Tank, der Name kam über ihre Lippen, als sei er aus geschmolzenem Vanilleeis. Javier fühlte einen Anflug von Eifersucht. Geschmolzenes Vanilleeis? Madre Dios, hatte er das wirklich gerade gedacht? Diese Frau verdrehte ihm ganz schön den Kopf. Es wurde Zeit, dass er wieder klar wurde. Tank? Der Kerl sah vermutlich aus wie eine Schrankwand und benahm sich auch so. Vermutlich hatte sie diesen Sergeanten genauso um den Finger gewickelt wie ihn. Es wurde Zeit, dass er mal wieder klar denken konnte!

„Lebt er noch?“ Javier hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, als er Janes Gesicht sah. Sie kannte ihn aus Vietnam. Vermutlich war er längst tot, säße sie sonst hier?

„Wieso?“

„Immerhin kennt er dich!“, rutschte es ihm hinaus.

Das saß. Es fühlte sich an, als habe er ihr die geballte Faust in den Magen geschlagen.

„Ja, er lebt.“ Ihre Stimme war tonlos.

Javier hätte sich ohrfeigen können.

Jane nippte an der leeren Tasse und setzte sie wieder ab. Immerhin kennt er dich. Und das hat ihn auch fast das Leben gekostet, flüsterte eine innere Stimme ihr zu. In jedem Fall seine Karriere und es war weiß Gott nicht ihr Verdienst, dass er mit einem blauen Auge aus der Sache herausgekommen war. Alles nur, weil sie, ohne seine Warnung zu beachten, unbedacht losgestürmt war. Etwas ähnlich Unbedachtes hatte sie jetzt vor. Javier lag mit seiner Bemerkung näher an der Wahrheit, als er ahnen konnte. Es war ziemlich ungesund, sich in ihrer Gegenwart aufzuhalten. Sie hatte schon Leute in Schwierigkeiten gebracht, die deutlich härter waren als er. Außerdem war sie vermutlich unzurechnungsfähig. Ihre Sinne spielten Ping-Pong mit ihrem Verstand. Was, wenn sie diesem grauhäutigen Typen gegenüberstanden und sie wieder Dinge sah, die es nicht gab? Es war unverantwortlich, Javier dieser Gefahr auszusetzen.

„Du hast recht. Ich ziehe die Sache allein durch. Und versprochen, ich versuche nur, Beweise zu finden.“

„Hältst du mich für einen Feigling?“ Javier sollte erleichtert sein, dass sie ihm anbot, auszusteigen. Aber er war es nicht. Gekränkter Stolz? Vielleicht ein wenig. Aber das war es nicht allein. Wenn auch nur die Chance bestand, diese verdeckte Aktion der Amerikaner zum Scheitern zu bringen, würde er diese Chance nutzen.

„Nein. Du bist nur nicht lebensmüde. Das ist eigentlich ziemlich vernünftig – schau mal, da fährt jemand vor. Roter VW Käfer.“ Jane deutete auf das Gebäude.

Javier nahm die Kamera und blickte hindurch. „Rodrigo Miller. Das ist einer von denen.“

Miller blieb nicht lange in dem Gebäude und fuhr dann wieder fort. Ansonsten schien niemand auf dem Gelände zu sein.

„Ich fürchte, wir finden unsere Antworten dort drinnen. Es macht die Sache allerdings nicht einfacher, wenn Chandler uns folgt. Er würde mir nie Schwierigkeiten machen, aber es ist keine gute Idee, wenn er mich beim Einbruch in eine amerikanische Firma beobachtet. Vor allen Dingen dann nicht, wenn diese Firma mutmaßlich eine Scheinfirma der CIA ist.“

„Ich habe eine Idee. Siehst du das alte Kontor auf der anderen Seite. Wir gehen da rein. Mit etwas Glück schaffen wir es, unbemerkt in das andere Gebäude zu kommen. Wir sollten allerdings warten, bis die Sonne ein wenig gewandert ist und die Rückseite im Schatten liegt. Dann fallen wir nicht besonders auf.“

Jane wusste, dass Chandler nachts so gut sah wie tagsüber, aber es kam auf einen Versuch an.

Ein Mittagessen und fünf Kaffees später winkte Javier den Kellner heran und zahlte.

„Bereit?“

Jane nickte.

Das Kontor lag in einer Seitenstraße. Das Haus war erheblich älter als die gesichtslosen Neubauten in seiner Nachbarschaft und vermutlich einmal recht schön gewesen. Jetzt war es heruntergekommen, mit vernagelten Fenstern, schmutzig und abweisend. Zwischen dem Kontor und dem Gebäude der Standard-Shipping verlief eine schmale Gasse.

Javier ließ den Wagen hineinrollen und stellte den Motor ab.

Jane musterte die Rückseite des Kontors. Wenn man bis zum Dach hochsteigen konnte, wäre es kein Problem, auf das Dach der Standard-Shipping zu springen. Erfahrungsgemäß gab es immer einen Zugang zum Dach, schon allein wegen der Klimageräte und Wartungsräume. Blieb nur das Problem, Chandler abzulenken.

Ihr kam eine Idee.

„Lust auf ein kleines Schäferstündchen?“

Javier starrte sie entgeistert an. „Was?“

„Chandler Crowe ist wie ein Geist. Du siehst ihn nicht, du hörst ihn nicht. Wir können ihn nicht abschütteln. Aber eines weiß ich. Er würde niemals, wirklich niemals bei einer Sache zusehen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Scheibe beschlägt. Dann schlüpfen wir über die Ladefläche hinaus, nehmen diese halb aus den Angeln hängende Tür und sind mit etwas Glück im Kontor, bevor Chandler wieder hinschaut.“

Javier grinste nur. „Na, dann los!“

***

Chandler wechselte die Position, als er sah, dass Jane und der Mann das Café verließen. Sie setzten sich in das Auto und fuhren los. Er wollte sich schon Richtung Hauptstraße aufmachen, als er sah, dass sie auf die Seitenstraße in Richtung des alten Kontors einbogen. Das war eine schlechte Idee von Miss Jane. Der Ort war nicht gut. Rasch schlüpfte er aus seinem Versteck, um ihr zu folgen. Als er um die Ecke bog, sah er den blauen Wagen in der Seitengasse stehen. Ihn überkam ein ungutes Gefühl. Wusste Miss Jane von diesem Haus?

Er schob sich langsam vor, um die Gasse besser einsehen zu können. Die Scheiben des Autos waren beschlagen und es wackelte ein wenig. Er zog den Kopf zurück und versuchte, seine Gedanken zu sortieren. Was tat Miss Jane da? Er fühlte, wie seine Ohren zu glühen begannen. Miss Jane war doch die Freundin von Sergeant Jones. Nein, sie hatte ihm gesagt, dass sie nicht mehr die Freundin des Sergeanten war. Der Mann mit den dunklen Haaren war jetzt wohl ihr neuer Freund. Er hatte ihn in dem Café beobachtet. Er schien nett zu sein. Auf jeden Fall mochte er Miss Jane. Und Miss Jane mochte ihn. Aber warum fuhren sie nicht in seine Wohnung? Oder in ein Hotel? Es war nicht recht, hier auf dieser Straße. Und es war auch nicht recht, ihnen dabei zuzusehen. Er zog sich zurück und lehnte sich schwer atmend gegen die Hauswand.

Was sollte er tun? Er konnte sie unmöglich DABEI stören, aber er musste sie warnen. Warum hatte sie sich nur diesen Platz ausgesucht? Kein guter Platz. Ein böser Ort. Ein Ort, wo böse Dinge geschahen. Sie würden sie riechen. Sie rochen Feen und taten grausame Dinge mit ihnen. Und Miss Jane war doch beinahe so etwas wie eine Fee. Er konnte nicht zulassen, dass ihr etwas passierte. Er hatte es dem Sergeanten versprochen. Er holte tief Luft und näherte sich vorsichtig der Gasse.

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