Kitabı oku: «Warum es so schwierig ist, in die Hölle zu kommen», sayfa 2

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Die Versuchungen des heiligen Antonius
Worin wir lernen, wovor ein echter Mann die Flucht ergreifen soll.

Warum ist eigentlich der heilige Antonius in die Wüste geflohen? Kaum eine Frage scheint so müßig wie diese. Weiß doch jeder gebildete Christ: Der heilige Antonius ist in die Wüste geflohen, weil er Angst hatte vor den Frauen.

Wer das zu bezweifeln wagt, bekommt prompt den Vorwurf zu hören, er sei wohl noch nie in einem Museum gewesen. Haben doch Hunderte von Malern den heiligen Antonius alle gleich gemalt: wie er als Einsiedler, weit draußen in der Wüste Ägyptens, vergeblich Ruhe vor den Frauen sucht. Gerade dort, wohin kein Weib aus Fleisch und Blut sich je verirren würde, in jener äußersten Einsamkeit, plagen den heiligen Antonius, Tag und Nacht, betörende Trugbilder weiblicher Reize. Ihn plagt die eigene lüsterne Phantasie. O die „Versuchungen des heiligen Antonius”! Von Hieronymus Bosch bis zu Mathias Grünewald, von Salvador Dalí bis zu Max Ernst, sind sie eines der großen, klassischen Themen der europäischen Malerei.

Und doch beschleicht gerade den erfahrenen Freund der Schönen Künste angesichts so vieler so schön gemalter „Versuchungen des heiligen Antonius” ein leiser historischer Zweifel. Schließlich war Antonius der Einsiedler ein Ägypter des 3. Jahrhunderts; die unzähligen Maler, die uns seine erotischen Phantasien vorgemalt haben, sind alle mindestens tausend Jahre später in Europa zur Welt gekommen. Die Gnade der späten Geburt ist aber selten verbunden mit dem Sinn für die historische Wirklichkeit. Überdies leiden Maler vor der Staffelei oft an Langerweile. Dass sie dann selber heimgesucht werden von tausend lüsternen Phantasien, ist nicht weiter schlimm. Dass daraus dann doch schöne Heiligenbilder werden, ist sogar erfreulich. Aber sagt es auch nur irgendetwas aus über die historische Wirklichkeit?

Für das, was wirklich los war in der Einsiedelei des heiligen Antonius, gibt es einen einzigen zuverlässigen Augenzeugen. Das ist Athanasius von Alexandrien. Dieser hochgebildete Kirchenlehrer war mit dem berühmten Einsiedler persönlich befreundet. „Πολλακις”, schreibt er, „oftmals” habe er Antonius in seiner Eremitage zwischen Nil und Rotem Meer besucht. Und jedesmal sei er aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen.

Einen Einsiedler stellt man sich nämlich einsam vor. Der heilige Antonius aber war in seiner Einsiedelei alles andere als einsam. In Höhlen, Felsspalten, Erdlöchern und Hütten hausten, rings um Antonius, mehrere tausend Jünger. Ausdrücklich gebraucht Athanasius von Alexandrien in seiner Ortsbeschreibung das Wort „πολις”: eine regelrechte „Stadt von Jüngern” sei entstanden rund um den heiligen Antonius mitten in der Wüste.

Und dann die zweite Überraschung: Einen Jünger stellt man sich jung vor. Die Jünger des heiligen Antonius aber waren, in der großen Mehrheit, gestandene Männer. Auch bedeutende Männer. Was hatte sie hinausgetrieben in eine Landschaft, die im Alten Ägypten als tödlich galt?

Noch größer war die dritte Überraschung: Diese Männer, die in äußerster Entsagung draußen in der Wüste lebten, hatte sich Athanasius von Alexandrien genau so vorgestellt, wie wir sie uns vorstellen: abgezehrt und tieftraurig. Abgezehrt sahen sie wohl aus, doch zu gleicher Zeit waren sie göttlich guter Laune – „denn”, fährt Athanasius wörtlich fort, „denn da wurde keiner vom Steuereintreiber geplagt”.

„Denn da wurde keiner vom Steuereintreiber geplagt”: Das ist die historische Wirklichkeit. Nicht aus Angst vor Kleopatras ägyptischen Töchtern sind Antonius und seine Jünger in die Wüste geflohen, sondern aus Angst vor der römischen Steuerfahndung.

Im Jahr 284 war in Rom Diokletian Kaiser geworden. Diokletian war nicht nur ein böser Christenverfolger, sondern hatte, schlimmer noch, eine fatale Ähnlichkeit mit einem besonders berühmten deutschen Finanzminister. Das Wichtigste im Staat, dachte sich Diokletian, sei ein korrektes Steuerwesen. Tatsächlich gelang es ihm, den römischen Fiskus so effizient zu reorganisieren, dass von Britannien bis nach Ägypten kein einziges Steuerschlupfloch mehr blieb, keine einzige Steueroase.

Es war die totale Besteuerung und es war der wirtschaftliche Ruin des Römischen Reiches. In Gallien zuerst brach ein blutiger Aufstand verzweifelter Steuerzahler los, der die gesamte Provinz verwüstete. Das war der „Bagaudenkrieg”. Gleich danach griffen in der Provinz Afrika, das heißt im heutigen Algerien und Tunesien, die bankrotten Bürger zu den Waffen. Das war die „Revolte der Circumcellionen”.

Am schlimmsten war es in Ägypten. Dort trieben die römischen Steuerbeamten die Abgaben nicht selber ein, sondern machten in jedem Dorf die drei oder vier reichsten Bürger mit ihrem Privatvermögen haftbar für die gesamte Steuerschuld ihrer Gemeinde. Nicht etwa die armen Schlucker, vielmehr die reichen Großgrundbesitzer flohen jetzt vor dem drohenden Steuerbankrott zu Tausenden, hinaus in die Wüste. Ein solcher reicher Großbauer, berichtet Athanasius von Alexandrien, sei auch der heilige Antonius gewesen. „Dreihundert Aruren Land, fruchtbar und schön anzusehen”, habe Antonius besessen (umgerechnet etwa 80 Hektar), bevor er dem Fiskus in die Wüste entrann.

Unzählige folgten ihm nach und so gilt der heilige Antonius nicht nur als „Patriarch der Eremiten”, sondern auch, zu Recht, als „Vater des westlichen Mönchtums”. Aus seiner Eremitenstadt in der Wüste Ägyptens ist ja das ganze Klosterwesen der katholischen Kirche hervorgegangen. Und eine Ahnung steigt in uns auf: Ist vielleicht das ganze christliche Mönchtum, ja ist vielleicht, historisch-kritisch betrachtet, der ganze katholische Klerus gar nicht aus Angst vor der Frau entstanden, sondern aus Angst vor dem Finanzamt? Werfen wir, vor jedem überstürzten Urteil, einen klärenden Blick nach Rom.

Während Antonius noch immer in der Wüste saß, hatte Konstantin der Große der Christenverfolgung ein Ende gesetzt. Historisch bedeutsam war dabei gar nicht das so genannte Mailänder Edikt von 313, sondern eine Serie von Folge-Erlassen, in denen Konstantin in wahrhaft majestätischer Großzügigkeit den Priestern der Katholischen Kirche etwas gewährte, wovon alle Bürger Roms genauso träumten wie der Ägypter Antonius: völlige Steuerfreiheit.

Plötzlich herrschten mitten in Rom Zustände wie in der Wüste Ägyptens: Die gesamte christliche Elite, dort die Mönche, hier die Priester, alle waren sie auf wunderbare Weise steuerfrei geworden.

Alsbald begann in Rom ein wahrer Oklahoma-Run reicher Familienväter auf die katholische Priesterweihe. Noch gab es ja keine Zölibatspflicht. Nach jüdischem Vorbild vererbten vielmehr die meisten christlichen Priester ihrem Sohn ihr Amt. Gelang es einer reichen römischen familia, ihren pater familias – auf Deutsch gesagt ihren Papi – zum Priester weihen zu lassen, so war die ganze Familienbande hinfort steuerfrei.

Das Priestertum Jesu Christi als Steuersparmodell für reiche Papis? Einer solchen fatalen Entwicklung Einhalt geboten zu haben, ist das Verdienst der heiligen Paula. Diese unerhört mutige Frau aus dem Geschlecht der Scipionen hatte auf einer Bildungsreise nach Ägypten auch die dortigen Einsiedlerkolonien in der Wüste besucht. Dort war ihr etwas aufgefallen. Bei aller guten Laune herrschte unter den Söhnen des heiligen Antonius doch so etwas wie christlicher Ernst und echte Askese. Die klimatischen Bedingungen in der Wüste waren nämlich so streng, dass es undenkbar war, einen Haushalt mitzunehmen. Frauen, Bräute, Töchter, Söhne dieser ägyptischen Steuerflüchtlinge hatten zurückbleiben müssen in den Dörfern am Nil. Naturnotwendig lebten Antonius und seine Jünger im Zölibat. Sie waren „μοναχοι”. Daraus ist unser Wort „Mönch” geworden. Eigentlich aber heißt das griechische Wort „μοναχος” ganz einfach „Single”.

Und jetzt die geniale Idee der heiligen Paula: Warum nicht eben jene Lebensweise, die in der Wüste Ägyptens naturnotwendig war, in Rom einführen als asketisches Gesetz? Das Single-Dasein als moralisches Korrektiv gegen Übermut im neuen klerikalen Steuerparadies? Nach ägyptischem Vorbild, gegen den erbitterten Widerstand der reichen römischen Papis, setzte die heilige Paula, diese wunderbare, tapfere Frau, in Rom den Zölibat durch.

Manche halten den katholischen Klerus für eine mittelalterliche Institution. Das ist historischer Unsinn. Die mittelalterliche Klerusgeschichte ist nichts als ein mühseliger Versuch von Epigonen, das doppelte Erbe der Antike zu bewahren: einerseits Steuerfreiheit für den Klerus, anderseits, als asketisches Korrektiv dazu, den Zölibat. Der einzige originelle Kopf unter all den mittelalterlichen Bewahrern antiker Kirchenordnung ist Papst Bonifatius VIII. Am 25. Februar 1296, mit der Bulle „Clericis laicos”, verbietet er nicht nur Kaisern und Königen bei Strafe der Exkommunikation, von Priestern oder Mönchen Steuern einzutreiben. Nein, als wahrer Jünger des heiligen Antonius tut dieser großartige Papst den allerletzten Schritt: „Anathema sit” – zu ewiger Höllenstrafe verdammt sei jeder Priester oder Mönch, der sich überhaupt dazu zwingen lässt, dem Staat Steuern zu bezahlen.

Papst Bonifatius VIII war der letzte, der den historischen Durchblick besaß. Nach ihm kamen, wie gesagt, die Maler. Die mit der Gnade der späten Geburt, mit dem geringen Wissen und der blühenden erotischen Phantasie. Ganz zum Schluss kam Karlheinz Deschner. In seinem Buch „Das Kreuz mit der Kirche” schreibt Deschner wörtlich, der heilige Antonius habe in der Wüste ständig „ganze Legionen nackter Frauen” um sich gesehen. Ja ist denn Karlheinz Deschner nicht selber Manns genug, um zu wissen, dass ein einziger Beamter der Steuerfahndung ungleich gefährlicher ist als ganze Legionen nackter Frauen?

Lasset uns beten!

Heiliger Antonius von Ägypten, Patriarch der Eremiten, Mönchsvater des Westens und Schutzpatron der christlichen Steuerflüchtlinge! Aus deinem himmlischen Steuerparadies blick gnädig herab auf uns geplagte Steuerzahler des 21. Jahrhunderts. Schütze du die letzten Steueroasen der Christenheit. Schütze Luxemburg und Liechtenstein. Protect Jersey and Guernsey. Segne die Schweiz! Schenke uns, wir bitten dich, schenke nicht nur Priestern und Mönchen, sondern all den verzweifelten christlichen Steuerzahlern einen Papst, der dem Fiskus aufs Neue so furchtlos entgegentritt wie Bonifatius VIII mit seiner großartigen Bulle „Clericis laicos”. Auf dass wir alle dereinst, von irdischer Steuertyrannei erlöst, eingehen zu dir, Antonius, ins himmlische Steuerparadies.

Amen.

Kassian in der Wüste
Worin wir eine dynamische Methode der Keuschheit kennen lernen.

Die Gerüchte kamen aus Ägypten und sie klangen so unglaublich, dass sie das Rom des späten 4. Jahrhunderts in maßlose Aufregung versetzten. In Ägypten, hieß es, seien abertausend Männer aus den Städten und Dörfern am Nil aufgebrochen in die Wüste. Um dort ein Leben in vollkommener Keuschheit zu führen. Im radikalen Zölibat.

Die „Wüstenväter”! Wer verstehen will, warum solche Gerüchte, obwohl sie vom äußersten Rand der damaligen Welt kamen, gerade in Rom, in der antiken Metropole, als Sensation empfunden wurden, der muss sich einen Augenblick vor Augen halten, was die Sexualität dem antiken Menschen bedeutet hat. Sex galt damals, ähnlich wie im 21. Jahrhundert wieder, als etwas „Natürliches”, als etwas „Gesundes”. Die Götter im antiken Himmel, Zeus selber, hatten nichts im Kopf als Sex. Das Christentum hatte eine andere Lehre nach Rom gebracht, aber kaum eine andere Praxis. Für die Römerinnen und Römer des 4. Jahrhunderts war Sex noch immer das, was jeder, ob Gott ob Mensch, „einfach braucht”.

Natürlich hatte auch die Antike ihre Außenseiter: Ärzte wie Hippokrates, der spottete, nach seiner medizinischen Erfahrung mache nichts so krank wie Sex; oder Philosophen wie Epiktet, der behauptete, Sex erschöpfe sich darin, Dummheiten zu machen. Aber das waren, wie gesagt, Außenseiter. Um zu erfahren, was die antike Allgemeinheit im Kopf hatte, genügt noch heute ein Spaziergang durch die Ruinen von Pompeji. An allen Wänden nichts als erotische Graffiti, nichts als Porno-Zeichnungen – genau wie heute nichts als Sex.

Und jetzt das. Keuschheit in der Wüste! Viele Wüstenväter, hieß es, hätten sich bei Theben in alten Felsengräbern aus pharaonischer Zeit bei lebendigem Leib begraben. In der Nitrischen Wüste, westlich von Alexandrien, lebten andere wie Hyänen in selbstgegrabenen Erdhöhlen. Und drüben, in den Wüsten östlich von Alexandrien, würden manche dieser neuen Asketen „Säulenheilige” genannt, weil sie von hohen selbstgemauerten Säulen verächtlich herabblickten auf die Gelüste der Welt. Aber ob sie nun in Gräbern hausten, in Erdhöhlen oder auf Säulen, eines, so lauteten die Berichte aus Ägypten, hätten die Wüstenväter alle gemein: den radikalen Zölibat.

Besonders groß war die Aufregung über diese ägyptische Sensation bei den Intellektuellen in Rom. Intellektuelle sind nun mal von Natur aus so eine Art geistige Wüstenväter. Insbesondere die christlichen Intellektuellen spielten im spätantiken Rom eine ähnliche Rolle wie heute bei uns die Linksintellektuellen. Und wie denn eine Weile, in den siebziger und achtziger Jahren, die deutschen Linksintellektuellen alle von den Hopi-Indianern in der Wüste Arizonas schwärmten, so begannen jetzt, in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts, die christlichen Intellektuellen Roms alle von den Wüstenvätern in Ägypten zu schwärmen. Von den Wüstenvätern sozusagen als den Hopi-Indianern einer christlichen Keuschheit, von der in Rom selber nichts zu spüren war. Im Salon der heiligen Paula, einer steinreichen Römerin, die die meisten christlichen Intellektuellen finanziell aushielt, entstanden jetzt unzählige Hymnen auf die Keuschheit in Ägypten.

Während so in den christlichen Salons die neue Poesie der Keuschheit blühte, erging sich das gemeine römische Volk in wilden Spekulationen: Wie geht das eigentlich ganz konkret und im Detail zu, wenn viele tausend Männer weit draußen in der Wüste, einsam unter Palmen, der Keuschheit frönen? Gerade weil niemand etwas Genaues wusste, überstürzten sich in Rom, bei den Friseuren und in den Badehäusern, die Gerüchte.

Diese Gerüchte braucht sich niemand im Kopf vorzustellen. Sie sind noch heute zu besichtigen. Im Bilde. So sehr nämlich haben sie die abendländische Phantasie beherrscht, dass sie zu einem der großen, klassischen Themen der Malerei wurden. Es handelt sich um die „Versuchungen des heiligen Antonius”.

Nochmals gesagt: Abertausende von ägyptischen Christen waren, um Frau Welt zu entfliehen, hinausgezogen in die Wüste, unter ihnen einige so bedeutende Persönlichkeiten wie Makarios der Alte oder Pachomios der Mönchsvater. In der römischen Gerüchteküche aber, wie das nun mal mit Gerüchten ist, verdichteten sich alle die phantastischen Berichte über die unzähligen Versuchungen vieler Asketen auf das unglückliche Haupt eines einzigen Heiligen. Das war Antonius von Ägypten, genannt „der Stern der Wüste”. Wer den neuesten Stand der Gerüchte über sein Keuschheitsexperiment heute erfahren will, der schlage nach bei Karlheinz Deschner. Unter seiner ägyptischen Palme sitzend, sah der heilige Antonius, das weiß Karlheinz Deschner einfach, im Geiste vor sich „ganze Legionen nackter Frauen”, und zwar, so präzisiert Deschner, „Frauen in jeder Stellung”.

Das ist, wie so oft bei Karlheinz Deschner, nur die halbe Wahrheit, sozusagen nur die Gerüchteklasse I. Geht man den frühesten Berichten aus Ägypten etwas weiter nach, wie das etwa der Historiker Karl Heusi getan hat, so stößt man schnell auf einen zweiten Typ von Nachrichten, sozusagen auf die Gerüchteklasse II.

Da ist zum Beispiel die Rede von Wüstenvätern, die rudelweise in die Städte zurückkehrten, dort über die Badehäuser herfielen und sich, unbekümmert um die Trennung in Abteilungen für Männer und Frauen, einfach ins Becken für Frauen setzten. Als ob sie demonstrieren wollten, wie völlig gleichgültig es sei, welchem Geschlecht der Körper eines Menschen angehöre.

Von anderen Wüstenvätern hieß es, dass sie, in den Dörfern am Rande der Wüste, nackt zur Kirche gingen, nackt auch zur heiligen Kommunion. Ja, es war sogar die Rede von Asketen, die nach ein paar Jahren in der Wüste in die Städte zurückkamen und ganz bewusst mitten in Bordellen meditierten - als Ausdruck souveräner Verachtung für den herrschenden Sexbetrieb. Was gar den heiligen Antonius persönlich betrifft, so heißt es von ihm in der berühmten „Vita Antonii”, er habe den Teufel, als ihm dieser in Gestalt eines lüsternen nackten Weibes erschien, schallend ausgelacht.

Also nochmals: Laut Gerüchten I waren die Wüstenväter der sexuellen Begierde in aberwitzigen Halluzinationen verfallen, laut Gerüchten II waren sie dagegen über jeglichen Sex souverän erhaben. Diese beiden Sorten Gerüchte liefen in der römischen Gerüchteküche jahrelang durcheinander - so wild und widersprüchlich, dass schließlich allenthalben, in den gemeinen Friseurstuben des Volkes ebenso wie in den vornehmen christlichen Salons, der Ruf nach so etwas wie einer seriösen Reportage aus der ägyptischen Keuschheitsszene laut und dringend erscholl.

So viele unseriöse Reportagen über die Wüstenväter gab es nämlich schon im Jahr 385, dass der heiligen Paula der Geduldsfaden riss. Laut verkündete sie in ihrem römischen Salon, sie werde jetzt eine Expedition ausrüsten, um höchstselbst in Ägypten nachzusehen, was da los sei in der neuen Keuschheitsszene.

Wie immer, wenn die heilige Paula etwas unternahm, galt das Prinzip „Geld spielt keine Rolle”, und so zog denn alsbald ein wahrer Heerwurm von Kamelen durch die Nitrische Wüste. Dass die Expedition trotz diesem enormen Aufwand scheiterte, lag daran, dass die heilige Paula im Gepäck ihren Seelenfreund mitnahm, den heiligen Hieronymus. Das war zweifellos der größte Intellektuelle des Jahrhunderts. Wie alle sensiblen Intellektuellen neigte der heilige Hieronymus aber in unerträglichem Maße zur Selbstdarstellung. Wörtlich schreibt er: „Wie oft hatte ich mitten in der Wüste plötzlich das Gefühl, ich sei mitten in Rom mit all seinen Vergnügungen. Ganze Banden von Mädchen umstellten mich in meiner Phantasie. Mein Gesicht war blass vom Fasten, doch innen brannte ich vor Begierde; und aus meinem Leib, der doch schon abgestorben schien, loderten hell die Flammen der Lust.”

Mit anderen Worten: Aus dem Bericht des heiligen Hieronymus erfahren wir viel Aufschlussreiches über den heiligen Hieronymus, aber über die Wüstenväter selber so gut wie nichts.

Schon hatten die Römerinnen und die Römer jede Hoffnung aufgegeben, über das Keuschheitsexperiment in Ägypten jemals etwas anderes zu hören als Märchen und Gerüchte, da ging mit einem Mal die Sensation von Mund zu Mund, Kassian sei abgesegelt nach Ägypten. Johannes Cassianus, einer der seriösesten christlichen Schriftsteller der späten Antike. Gewiss kein Genie der intellektuellen Sensibilität wie Hieronymus, aber dafür ein seriöser Arbeiter. Ein Rechercheur. In unerhörter Spannung wartete Rom auf Kassians Bericht.

Und dann die furchtbare Enttäuschung: Kassian, hieß es, sei vom Zölibat so begeistert, dass er nicht mehr davon loskomme. Er habe beschlossen, selber Wüstenvater zu werden und in Ägypten zu bleiben.

Über zehn Jahre ist Johannes Cassianus in Ägypten geblieben, zuerst in der Sketischen, dann in der Nitrischen Wüste. Als er schließlich doch zurückkam, war er ein anderer geworden. Etwas Unnahbares war jetzt um Kassian. Im Zölibat, sagte er, habe er selber Dinge erlebt, die man einem gewöhnlichen Sterblichen eigentlich gar nicht schildern könne. Als die Römerinnen und Römer ihn alle bedrängten, doch wenigstens ein bisschen etwas zu erzählen, wehrte Kassian ab. Man möge warten. Warten auf sein Buch.

Viele Jahre haben die Römerinnen und Römer warten müssen. Bis endlich, anno 428, das Jahrhundertwerk vollendet war. Es umfasst 28 Bände und trägt den verheißungsvollen Titel „Collationes Patrum”. Das heißt in heutiger Sprache: „Interviews mit den Wüstenvätern”. Rom stürzte sich auf den christlichen Bestseller.

Und siehe, das Warten hatte sich gelohnt. In 28 Bänden klärt Kassian sämtliche Widersprüche in den bisherigen Gerüchten aus Ägypten. Die Gerüchte I, also jene Gerüchte, wonach die Wüstenväter unter den Begierden des Fleisches wahnwitzig gelitten hätten, stimmten nämlich, schreibt Kassian; aber genauso stimmten auch die Gerüchte II, wonach sie von allen Begierden des Fleisches souverän frei gewesen seien.

Wie passt das zusammen? Ganz einfach. Der Zölibat ist, wie alles Lebendige, nichts Statisches, sondern etwas Dynamisches. Das heißt: Die Keuschheit ist etwas, was sich entwickelt, und zwar, wie Kassian in Ägypten buchstäblich am eigenen Leibe erfahren hat, in sieben Stufen. In seinem zwölften Interview mit dem Wüstenvater Cheremon fasst er die ersten sechs Stufen wörtlich so zusammen:

„Auf der ersten Stufe beginnt die Keuschheit damit, dass der Asket tagsüber den Regungen des Fleisches nicht erliegt. Auf der zweiten Stufe verweilt er nicht einmal im Geiste bei solchen Unanständigkeiten. Auf der dritten Stufe macht es ihm nicht mehr den geringsten Eindruck, wenn er eine Frau sieht. Auf der vierten Stufe hören bei ihm, tagsüber, die Regungen des Fleisches überhaupt auf. Auf der fünften Stufe ist er in der Lage, über sexuelle Dinge zu reden wie über irgendwelche banalen und belanglosen Dinge. Auf der sechsten Stufe ist er auch des Nachts gänzlich frei von jenen Wunschträumen und Phantasien, vor denen uns Gott bewahren möge.”

An dieser Stelle wird Kassians Text merkwürdig konfus. In geheimnisvollen Andeutungen gibt er zu verstehen, dass es, darüber hinaus, noch eine letzte, höchste Stufe der Keuschheit gebe, die er selber in Ägypten erreicht habe, über die zu schreiben aber unmöglich sei. Was los sei auf dieser siebten Stufe der Keuschheit, verstünden nämlich nur jene wenigen Auserwählten, die sie, wie zum Beispiel er selbst, erreicht hätten.

Verehrte Leserinnen und Leser: Wir alle haben diese siebte Stufe der Keuschheit noch nicht erreicht. Worin sie besteht, darüber können wir nur ehrfürchtig spekulieren. Doch sei nicht verschwiegen, dass die Spekulationen, seit Kassians Buch erschienen ist, seit sechzehn Jahrhunderten also, in theologisch gebildeten Kreisen alle in die gleiche Richtung gehen: „Qui spiritu Dei repleti sunt, nudi incedunt.” Das heißt auf Deutsch: „Wer von Gottes Geist erfüllt ist, der kann auch nackt herumlaufen.”

Ist also auf der siebten Stufe des Zölibats alles wieder erlaubt? Das ist eine offene Frage. Historisch fest steht dies: Kassians „Collationes Patrum” sind einer der großen Wendepunkte der europäischen Geistesgeschichte. Durch so viele Jahrhunderte war Rom die Metropole aller Laster gewesen. Jetzt wird Rom zur cathedra der Keuschheit. Latein wird die Sprache des Zölibats.

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