Kitabı oku: «Der eiserne Gustav», sayfa 10

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Der Oberarzt der chirurgischen Abteilung stand müde in seinem Arztzimmer und wusch sich wie immer, wenn er sehr abgespannt war, die Hände. Ganz gewohnheitsmäßig nahm er die kleine, scharfe Bürste, bürstete die Nägel, wusch mit Sublimatlösung nach, spülte ab und trocknete die Hände.

Er brannte eine Zigarette an, zog den Rauch tief ein, trat an das Fenster und sah gedankenvoll, nichts sehend, in den Krankenhausgarten. Er war müde, er war abgespannt, seit elf Stunden war er auf den Beinen, und es war noch kein Ende abzusehen ...

Aber, dachte er, dies ist erst der Anfang. – Dies ist erst der Anfang dachte er langsam, und ohne besonders erregt oder verzweifelt zu sein. Dies ist erst der Anfang ...

Vier Mobilmachungstage hatten ihm drei Viertel seiner Ärzte fortgeholt: Sie waren gegangen. – »Macht's gut hier!« hatten sie gesagt und waren gegangen. Drei Viertel der Ärzte fort, von dem Pflegepersonal gar nicht zu reden, und die Belegung war etwas über dem Durchschnitt. Nun ja, dies war also erst der Anfang ...

Der Oberarzt legte die Zigarette in einen Aschenbecher, nach dem ersten Zug hatte er keinen weiteren mehr getan. Gedankenlos trat er wieder an die Wasserleitung und fing von neuem an, sich mit der eingelernten, tausendfach beobachteten Genauigkeit die Hände zu waschen und zu bürsten. Er wußte nicht, daß er es tat. Manchmal machte ihn ein Kollege darauf aufmerksam, oder die Operationsschwester sagte: »Sie waschen sich ja schon wieder, Herr Professor. Erst vor zwei Minuten waren Sie an der Leitung.«

Aber jetzt war keiner da, der ihn erinnern konnte. Sorgfältig bürstete er die Nägel ...

»Macht's gut!« sagten sie und gingen. Aber wie konnte man es gut machen, mit knapp einem Viertel des normalen Ärztebestandes? Man mußte es ja schlecht machen, immerzu die Augen zudrücken, über die schrecklichsten Nachlässigkeiten fortsehen ...

Es wird Menschen kosten, denkt er müde, und so lange er schon in seinem Beruf gearbeitet, an so vielen Krankenbetten er auch schon gestanden hat, er hat nie das Gefühl dafür verloren, daß da Menschen lagen, keine Fälle: Mütter, deren Kinder zu Haus weinen; Väter, auf deren Leben Glück und Wohlstand eines kleinen Gemeinwesens beruhen.

Es wird Menschen kosten, denkt er. Aber in der nächsten Zeit wird nichts so wohlfeil sein wie Menschenleben. Und es werden nicht nur die Kranken, die Verbrauchten, die Alten sterben – grade die Jugend wird fort müssen, die Jugend, die Gesundheit. Die Kraft des Volkes wird systematisch verringert werden, tagelang, wochenlang, vielleicht monatelang ... Und ich stehe hier und jammere, daß ich einen vereiterten Blinddarm eine halbe Stunde zu spät operiere?

Er sieht um sich und horcht. Er steht schon wieder an der Wasserleitung und wäscht sich die Hände. Die Zigarette verschwelt im Aschenbecher, aber das hat ihn nicht aufmerksam gemacht. Langsam kommt ihm zum Bewußtsein, daß es vielleicht geklopft hat, und als er nun »Herein!« sagt, tut sich wirklich die Tür auf, und eine Schwester tritt ein, etwas verlegen.

»Nun, Schwester, was ist denn?« fragt er zerstreut und trocknet sich die Hände am Handtuch. »Ich gehe gleich noch einmal durch die Station. – Oder ist es eine Neuaufnahme?«

Die Schwester schüttelt den Kopf und sieht ihn an. Sie hat merkwürdige Augen, ein wenig scheu und doch trotzig; sie hat auch ein unausgeglichenes Gesicht, jung und doch scharf. Sie hat es wohl nicht immer leicht gehabt.

»Ich habe eine persönliche Bitte, Herr Professor«, sagt die Schwester leise.

»Damit gehen Sie aber besser zu Ihrer Oberin, Schwester. Sie wissen doch, daß Sie Ihrer Oberin unterstehen.«

»Ich war schon bei der Oberin«, sagt die Schwester leise. »Aber die Oberin hat es mir abgeschlagen. Und da habe ich gedacht, Herr Professor ...«

»Nein, Schwester, nein«, sagt der Arzt energisch. »Einmal mische ich mich grundsätzlich nicht in die Angelegenheiten der Schwesternschaft. Und dann habe ich jetzt wirklich so viel um die Ohren ...«

Er sieht die Schwester abschließend an, seufzt, schiebt die Ärmel hoch und geht zur Wasserleitung.

»Herr Professor hatten sich grade eben gewaschen, als ich hereinkam«, sagt die kleine Schwester mutig. (Der Tick des Oberarztes ist natürlich im ganzen Krankenhaus bekannt.)

»Danke schön, Schwester«, sagt der Professor. »Sie können der Operationsschwester – Sie wissen, Schwester Lilli – sagen, daß ich in zehn Minuten wieder anfange.«

Und er läßt sich das Wasser über die Hände laufen.

»Ja, Herr Professor.« Sie sieht ihn zögernd, etwas ängstlich an. »Herr Professor, verzeihen Sie, daß ich noch einmal davon anfange ... Es sind heute früh die bestimmt, die mit an die Front dürfen ... Und ich – ich soll nicht mit ...«

Der Oberarzt macht eine ärgerliche Gebärde. »Es können nicht alle mit!« ruft er. »Es gibt auch hier Arbeit, sehr viel Arbeit, sehr notwendige Arbeit!«

»Herr Professor! Ich muß aber mit! Bitte, Herr Professor, sagen Sie der Frau Oberin, daß ich mit soll. Es kostet Sie doch nur ein Wort, Herr Professor ...«

Der Oberarzt dreht sich um und sieht die junge Schwester wutfunkelnd an. »Und wegen solchem Dreck stören Sie mir meine paar freien Minuten?!« ruft er zornig. »Schämen Sie sich was, Schwester! Wenn Sie Abenteuer mit jungen Männern haben wollen, dann brauchten Sie nicht Schwester zu werden! Das konnten Sie an jeder Straßenecke haben! Das ist Ihnen wohl zu langweilig, Ihr Saal mit alten Frauen ... Ach, lassen Sie mich zufrieden, Schwester!«

Aber wenn der Oberarzt erwartet hatte, daß die Schwester nach diesem kräftigen und deutlichen Anpfiff nun begossen abziehen würde, so irrte er sich. Die Schwester Sophie stand, ohne zu weichen und zu wanken, vielleicht hatte sich sogar etwas von dem Scheuen in ihrem Auge verloren, und das Kraftvolle, das Trotzige darin war stärker geworden. Der Arzt sah es nicht ohne Interesse.

»Ich will nicht wegen der jungen Männer heraus«, sagte sie beharrlich. »Frau Oberin hat mich doch grade darum zu den alten Omis versetzt, weil ich mich für die Männerstation nicht eigne. Ich mag Männer nicht ...«

»Schwester«, sagte der Professor milde. »Sie sollen mir hier keine Vorträge über Ihre Neigungen halten. Das interessiert mich nicht. Machen Sie, daß Sie auf Ihre Station kommen.«

»Jawohl, Herr Professor«, sagte sie mit unüberwindlicher Hartnäckigkeit. »Aber, Herr Professor, ich muß raus, und Sie müssen mir dazu helfen ...«

»Himmeldonnerwetter, Schwester!«

»Herr Professor, ich habe nie einen Menschen ausstehen können, ich habe nie einen Menschen gern gehabt, meine Eltern nicht, meine Geschwister nicht. Und auch hier die Patienten nicht ...«

»Großartig, Schwester!« spottete der Arzt. »Ganz vorzüglich!«

»Nein, ich habe nie jemand leiden mögen, und auch mich hat nie jemand leiden mögen. Ich habe immer gedacht, man ist ganz unnütz ... Und nun plötzlich – bitte, Herr Professor, hören Sie mich nur noch einen Augenblick an –, und nun plötzlich ist das gekommen mit dem Krieg. Ich verstehe nichts von Politik, Herr Professor, ich weiß nicht, wieso und warum. Aber plötzlich denke ich, ich könnt vielleicht doch noch etwas nützen und etwas Gutes tun und nicht ganz umsonst sein auf der Welt ...«

Sie sah ihn einen Augenblick an.

»Vielleicht verstehen Herr Professor nicht, was ich meine, ich verstehe es ja selber nicht. Aber ich meine, daß die anderen, die Frauen, meine Schwester und so – die denken, daß sie mal Kinder haben werden und einen Mann, den sie gerne mögen. – Aber ich habe nie so etwas gehabt, Herr Professor! Ich habe mir nie denken können, wozu ich auf der Welt bin. Mein Vater ...«

Sie brach ab. Dann: »Herr Professor, denken Sie nicht, daß ich so an junge Soldaten denke, denen man den Kopf hält und Wasser gibt ... Nein, ich denke daran, daß ich laufen will und Arbeiten machen, die mir eklig sind, und vom Morgen zum Abend bis zum Umfallen und immer weiter. Und dann, Herr Professor, dann fühl ich vielleicht, daß ich nicht ganz umsonst bin auf der Welt ...« Fast mit einem Schluchzen: »Man möchte doch auch ein bißchen mehr gewesen sein als eine Fliege ...«

Eine Weile war es stumm zwischen den beiden. Der Arzt trocknete sich mit langsamen Bewegungen die Hände ab, trat dann auf die Schwester zu, hob ihr den Kopf mit dem weinenden Gesicht, sah ihr in die Augen und fragte milde: »Schwester, glauben Sie, daß ein großes Volk darum in einen solchen Krieg zieht, damit – wie heißen Sie?«

»Sophie Hackendahl ...«

»... damit Sophie Hackendahl sich nicht mehr überflüssig vorkommt im Leben?«

»Was weiß ich davon?!« rief sie fast wild und befreite mit einer ungestümen Bewegung ihren Kopf aus seiner Hand. »Aber das weiß ich, daß ich jetzt einundzwanzig Jahre auf der Welt bin und nicht eine Stunde das Gefühl gehabt habe, ich bin zu irgend etwas nütze!«

»Vielleicht«, sagte der Arzt überlegend, »ist wirklich auch darum dieser Krieg gekommen, daß der Mensch wieder spürt, er ist zu irgend etwas da im Leben. Vielleicht.« Er sah die Schwester an. »Also, ich will sehen, was ich bei Ihrer Oberin erreiche. Soviel ich weiß, sind Sie bei ihr nicht sehr gut angeschrieben. Aber wie ich jetzt weiß, sind Sie wenigstens in diesem Punkte mit Ihrer Oberin ganz einig ...«

Der Arzt lächelte, Sophie lächelte schwach, neigte dankend den Kopf und ging.

Der Oberarzt trat wieder an die Wasserleitung.

11

Die andere Schwester Hackendahl, die Eva, hatte Eltern und Geschwister getrieben, daß man nur rasch genug in die Wohnung zurückkam. Nun saß sie leer und ausgelaufen in ihrem Zimmer. Nein, kein Eugen war in der Wohnung gewesen, kein Schreibtisch war erbrochen worden, das kleine törichte Dienstmädchen Doris nicht überwältigt oder vergewaltigt – es war alles genau, wie es sein sollte!

Und das war das Schlimmste! Daß Eugen noch nichts getan hatte, das war das Schlimmste! Daß er noch alles tun konnte, daß alles immer weiter drohte, daß man immer weiter warten mußte – das war das Schlimmste!

Sie sitzt da, sie hat die Hände in den Schoß gelegt, sie hört durch das offene Fenster den Vater mit Rabause im Stall reden und sie denkt: Ja, Vater hat es gut. Er hat seinen Stall und seine Droschken und seinen Rabause. Vater fehlt nichts. Aber ich ...

Und sie hört die Mutter eifrig mit der Doris in der Küche reden, und Mutter hat es auch gut. Der Otto, dem es noch am schlechtesten von ihnen allen ging, der ist nun weggefahren, ist etwas Geehrtes geworden, etwas Angesehenes, er hat eine Aufgabe. Aber sie ...! Und die Sophie hat auch eine Aufgabe, und wenn sie die nur muffig erfüllt, so liegt das nur an der Sophie – sie hat doch eine Aufgabe! Und Heinz hat seine Penne, und Erich hat auch immer was, immer was Neues, immer was anderes, aber sie!

Sie hat bloß ein Schicksal, ein schäbiges, gemeines Schicksal. Sie hat bloß den Eugen an der nächsten Straßenecke, der pfeift nach ihr auf einem Finger, den Ludenpfiff, und wenn er pfeift, dann muß sie kommen. Dem gehört sie nun. Der ist ihre Aufgabe!

Als er sie vorgestern zum Trinken zwang, als sie sah, er würde nicht nachgeben, er wollte sie unbedingt haben, sofort – und nicht etwa, weil er Verlangen hatte nach ihr, sondern bloß, damit sie wußte, sie gehörte ihm auch darin, sie hatte nichts Eigenes, nichts Sauberes mehr –, also, da war ihr plötzlich ein Gedanke gekommen wie ein ferner Trost, etwas, das ihr über die nächste schreckliche Stunde hinweghelfen konnte, und sie hatte gefragt: »Ja, Eugen, mußt du dich denn nicht auch stellen? Wirst du nicht auch Soldat?«

(Und sie hatte den Krieg als Befreier gesehen, genau wie ihre Schwester. Er würde fortmüssen, und wenn er wiederkam – aber er kam nicht wieder! Solche durften nicht wiederkommen, wozu war denn ein Krieg sonst nütze?)

Er hatte sie von der Seite angesehen und hatte höhnisch gelacht: »Det möchtste wohl, mein Liebchen!«

»Aber nein, Eugen! – Nur, es müssen sich doch alle jungen Männer stellen ...«

»Nee, meine Süße, mir lassen se nich dienen, ick bin unabkömmlich. Mir liebt mein Vaterland zu sehr.«

»Du bist unabkömmlich? Aber alle jungen Männer ...«

»Mußt keine Angst haben, Evchen, ick bleibe bei dir.«

»Aber ...«

»Du möchtst ja jewaltig jerne, det ick rauskomme! Daraus wird nischt. Knochen kaputt schießen lassen – dazu sind die anderen jut.«

»Aber wenn man sich nicht stellt, dann ist man doch fahnenflüchtig! Und dann ...«

»Du hast aber 'ne lange Leitung! Ick bin nich fahnenflüchtig, ick sare dir doch, ick bin unabkömmlich! Mein Vaterland vazichtet uff mir! Noch nich kapiert! Ick habe se nich mehr, Dowe! Ick habe nich mehr die bürgerlichen Ehrenrechte ...«

»Wieso ...?« fragte sie verwirrt. »Die Ehrenrechte ...?«

»Jawoll, meine Süße! Wie se mir Zuchthaus uffjebrummt haben, da ham se mir die bürgerlichen Ehrenrechte abjeknöpft, for drei Jahre. Un nu darf ick meines Kaisers Ehrenrock nich tragen – und jewaltig traurig biste darüber, wie ick sehe ...«

Er lehnte sich über den Tisch und grinste. Noch in der Erinnerung schauderte sie. Nein, sie war wirklich nicht zimperlich, aber daß ein Mensch auf seine Schande stolz sein konnte!

Er mußte ihr die Gedanken vom Gesicht abgelesen haben. Mit seinem jähen Übergang wurde er finster und zornig. »Du schämst dir wohl? Du schämst dir wohl für deinen Eugen?! Komm trudeln! Ick werd dir zeigen, wat bei mir Scham heißt. Un wenn du deine bürgerlichen Ehrenrechte noch hast ...«

Schon hatte er wieder gegrinst ... Und dann kam das andere. Dann – kam – das – andere ...

Sie sitzt ganz still da, Vater redet noch immer mit Rabause im Stall. Man hört die Eimer klappern ... Mutter redet auch noch ... Bubi flötet ...

Plötzlich kommt ihr die Erinnerung an die Gudde, wie sie da vorhin auf dem Bahnsteig stand, ein kleines, verkrüppeltes Geschöpf, aber sie hatte ein gesundes Kind an der Hand. Ihr schaudert bei dem Gedanken, daß sie ein Kind haben könnte, ein Kind von diesem Kerl, der äußerlich gesund ist, aber innen faul und schlecht ... Der kleine Krüppel hat etwas vom Leben bekommen, was sie nie bekommen wird ... Denn: Es ist vorbei!

Sie nimmt aus der Schieblade einen Stoff, schlägt ihn in Papier, sie ruft zu Heinz hinüber: »Wenn Mutter fragt, ich bin noch ein Stündchen weggegangen.«

»Sag's ihr doch selber!« ruft Bubi mit aller brüderlichen Höflichkeit. »Ich bin nicht dein Botenjunge!«

Aber sie will es nicht selber der Mutter sagen, sie will ihr nicht erzählen, daß sie zur Schneiderin geht, die Mutter denkt dann gleich, sie geht »darum«! Sie geht aber nicht darum, sie geht ganz für sich allein.

Sie geht? Nein, sie läuft fast. Sie läuft so schnell, wie ein junges Mädchen 1914 bei langen Kleidern und engen Schicklichkeitsbegriffen auf der Straße nur laufen darf. Sie sieht sich immer wieder um, ob er sie auch nicht verfolgt, er ist ihr Alpdruck, die stets drohende Gefahr. Aber unangefochten erreicht sie die stillere Nebenstraße, sie kommt über die Höfe, steigt die Treppen hinauf ...

Auf ihr Klingeln öffnet die Gudde sofort. Sie hat gerötete Augen, die aber jetzt fast feindlich blicken. Das Kind, dieser kleine, zweijährige Junge, hält sich an ihrem Rock.

»Entschuldigen Sie, Fräulein Gudde«, sagt Eva etwas verwirrt von dem abwehrenden Blick. »Ich sah Sie eben auf der Bahn, und da fiel mir ein, daß ich den Stoff noch liegen habe ... Es ist ein Sommerstoff, und wenn ich jetzt kein Kleid daraus kriege, bleibt er ein ganzes Jahr liegen ...«

Sie lacht ein wenig albern, sie ist wirklich verwirrt durch den bösen Blick der anderen.

»Nein!« sagt die Gudde. »Nein! Tut mir leid, Fräulein. Nein! Ich kann die Arbeit nicht annehmen. Nein!«

Dieses mehrfach wiederholte, mit aller Erbitterung hervorgestoßene Nein steigert Evas Verwirrung noch.

»Aber, Fräulein Gudde«, fragt sie. »Was ist denn los? Sie haben doch immer für uns gearbeitet. Ich bin Eva Hackendahl – Sie wissen doch.«

»Ich habe es gleich gesehen«, sagt die Gudde leidenschaftlich, »daß Sie es geraten haben. Aber es ist mein Kind, es ist unser Kind ganz allein. Hier habt ihr nichts reinzureden, ihr Hackendahls. Nein! Mein Kind. Wenn euch Otto nicht genug war ...«

»Otto!« ruft Eva verblüfft.

»Tun Sie noch so! Schämen sollten Sie sich was! Jawohl, Otto, aber mein Otto, nicht euer Otto, nicht der Otto, zu dem ihr ihn gemacht habt, ihr Hackendahls, ihr mit euerm Vater! Eiserner Gustav, wahrhaftig!« Und mit einem plötzlichen Übergang: »Eben ist er in den Krieg gefahren, und schon habe ich solche Angst um ihn! Aber wenn er zurückkommt, sorge ich, daß er sich losmacht von allem, was Hackendahl heißt. Dann will ich den Krieg segnen, segnen, segnen ...!«

Sie lehnt den Kopf an den Türrahmen und fängt herzzerbrechend zu weinen an.

Eva hat mit großen Augen diesen Ausbruch angehört, nun faßt sie vorsichtig nach der Weinenden. »Fräulein Gudde, bitte, bitte nicht – das Kind!«

Denn das Kind steht dabei, es weint nicht. Es versucht, die Mutter zu umfassen. »Mutti, liebe, gute Mutti, nicht!«

»Ja, ja, es ist ja schon vorbei, Gustäving. Mutti lacht wieder. Sie lacht ja schon wieder, Gustäving. Fräulein Hackendahl, jetzt wissen Sie doch, was Sie wissen wollten, jetzt können Sie ruhig nach Haus gehen. – Ach, was werdet ihr ihm nun für Briefe in den Krieg schreiben! Nicht mal da wird er vor euch Ruhe haben ...«

»Keiner hat Otto im Verdacht, glauben Sie mir doch, Fräulein Gudde! Wir haben es ihm einfach nicht zugetraut!«

»Nein, nie habt ihr ihm etwas zugetraut!«

»Und von mir erfährt auch keiner was, Sie sollen das Kind ganz allein für sich behalten. Ich verstehe Sie ja, ich verstehe ja, daß Sie alles Hackendahlsche hassen ... Ich bin ja auch eine Hackendahl, und ich – ich bin genauso unglücklich wie Otto ...«

Jetzt ist es an Eva, die zu weinen beginnt, aber sie fängt sich rascher.

»Sehen Sie«, sagt sie zu der stummen anderen, »ich hab kein Kleines wie Sie – und ich darf auch nie eins haben. So unglücklich bin ich! Darum bin ich hierhergekommen, weil ich Sie mit einem Kind gesehen habe, so einem hübschen, gesunden Kind. Weil ich früher immer gewünscht habe, ich möchte mal Kinder haben, und nun war ich so neidisch auf Sie ... Sie müssen das doch verstehen ...!«

Die Gudde sieht sie einen Augenblick stumm an, dann sagt sie kurz: »Kommen Sie rein, Fräulein Hackendahl!«

Das Kind an der Hand, ging die Gudde ihrem Gast voran in die Stube. »Geben Sie mir mal den Stoff, Fräulein.«

Und Eva gab den Stoff, und die Schneiderin holte Modeblätter und zeigte und schlug vor und fragte: »Wollen Sie es so haben?« und: »Ich würde aber nicht die Keulenärmel nehmen, Fräulein Hackendahl, ich würde nur eine ganz kleine Puffe machen.«

Und Eva antwortete ganz ordentlich, wie man eben bei jeder Schneiderin antwortet, und war sogar schon ein bißchen interessiert. Denn der blaue Stoff mit seinen weißen Pünktchen war wirklich nett, und es ließ sich schon etwas Hübsches daraus machen.

Plötzlich aber sagte die Gudde: »Einen Augenblick mal!« und ging ins Nebenzimmer, und nach einer Weile kam sie wieder und trug vorsichtig etwas in der Hand. Sie zeigte es Eva und sagte stolz: »Sehen Sie, diesen Christus am Kreuz hat er auch geschnitzt – ist er nicht schön?« Sie wartete aber keine Antwort ab, sondern sagte: »Ich hätte ihn schon zehnmal verkaufen können, ich geb ihn aber nicht her. Sonst trage ich alles, was er schnitzt, in ein Geschäft. Sie bezahlen nicht schlecht, und der Inhaber sagt, er hätte das Zeug zu einem richtigen Künstler, er müßte nur ein bißchen Ausbildung und Material haben. – Aber daraus wird nichts«, sagte sie mit der alten Feindseligkeit im Ton und stellte den Christus vorsichtig beiseite. »Er muß ja bei euch die Pferde putzen und den Stall fegen!«

Eva sah die Schwägerin hilflos an, die aber sagte schon wieder ganz ruhig: »Ich rede natürlich nie so zu ihm wie jetzt zu Ihnen. Ich habe ihm immer gesagt: ›Otto, tu, was dein Vater sagt.‹ Denn das sehe ich auch, daß er einen schwachen Willen hat und daß ich ihn bloß unglücklich mache, wenn ich ihn zum Streit mit euch reize.«

Eva sagte vorsichtig: »Vielleicht kommt er wirklich stärker aus dem Krieg zurück. Sie können doch hier nicht immer allein mit dem Kind sitzen, und wenn Otto solche Gaben hat ... Vater hat doch Geld genug ...«

»Doch, das kann ich! Ich kann hier gut allein mit meinem Kind sitzen und auf ihn warten. Dann habe ich das Kind allein und ihn allein, wenn es auch immer nur für eine kurze Zeit ist. Und das Geld – nie will ich einen Pfennig von eurem Geld. Ihr denkt, Geld macht glücklich, aber euch alle hat es bloß unglücklich gemacht!«

Sie sah Eva wieder zornig an, aber sie besänftigte sich gleich wieder, als sie deren blasses, müdes Gesicht sah. »Nein, nun will ich auch nicht mehr schelten. Sie sagen ja, Sie sind ebenso unglücklich wie Otto. – Aber Sie wissen gar nicht, wie unglücklich der ist.«

»Sie wissen ja auch nicht, wie unglücklich ich bin«, sagte Eva. Aber sie besann sich schnell und fragte: »Wann kann ich denn zur Anprobe kommen? Oder soll ich gar nicht mehr kommen? Ich sage bestimmt nie etwas zu Haus.«

»Sie können alle Tage kommen – wenn Sie Gustäving sehen wollen.«

»Und«, sagte Eva, »es kann ja sein, daß Mutter nach Ihnen schickt oder selber zu Ihnen kommt, denn Mutter ist neugierig. Da dürfen Sie sich nicht verraten – Mutter denkt mit keinem Gedanken an Otto. Sie können ja sagen, es ist das Kind von einer Verwandten.«

»Ich wegen Gustäving lügen? Nie! Ich werde es ihr schon sagen, daß es mein Kind ist, aber wer der Vater ist, das kann sie mir nun doch nicht abfragen.«

»Dann gehe ich also«, sagte Eva und sah noch einmal durch die Stube und auf das spielende Kind.

Gertrud Gudde sah den Blick. »Geben Sie ihm doch einen Kuß«, sagte sie. »Ich bin Ihnen bestimmt nicht mehr böse.«

Aber Eva machte bloß eine abwehrende Bewegung, sie flüsterte leise: »Nein, nein«, und ging wie gehetzt über den kleinen dunklen Flur zur Wohnungstür, ohne jeden Abschied. Sie öffnete die Tür, und erst, als sie auf dem Treppenabsatz stand, sagte sie: »Vielleicht komme ich schon morgen wieder.«

»Gut«, sagte die Gudde und nickte.

»Ich überlege immer«, sagte Eva und bückte sich nieder zu dem Namensschild an der Klingel, »wie Sie mit Vornamen heißen. Gertrud also. Ich heiße Eva.«

»Er sagt Tutti ...«, sagte die Gudde ganz leise.

»Adieu – Tutti«, nickte Eva.

»Adieu – Eva«, sagte die Gudde.

Dann ging Eva – auf die Straße zurück.