Kitabı oku: «Der eiserne Gustav», sayfa 12

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Gespräch im Dunkeln, zu zweien.

»Wat ick dir noch fragen wollte: Warum biste heute nachmittag nich jekommen, wie ick dir jewunken habe?«

»Vater war doch dabei!«

»So, dein Vater is dir also mehr als icke!«

»Und ich mußte Otto doch adieu sagen, Otto ist doch fort in den Krieg.«

»So, dein Bruder is dir also ooch mehr als icke!«

»Ich konnte doch nicht anders, Eugen, quäl mich doch nicht so! Du tust mir weh!«

»Jetzt wer ick dir mal was sagen, Mächen, von wejen weh tun un so! Wenn de von jetzt an nich kommst, wenn ick pfeife, weg von Vätern un Muttern un deine janze Mischpoke, denn roocht's! Haste det vastanden?«

»Ja, Eugen!«

»Denn roocht's, ha'ick jesacht!«

»Ja, Eugen!«

»Ja, Eugen, imma: ja, Eugen! Weeßte aber ooch, wie det is, wenn et bei mir roocht, haste da'n Bejriff von?«

»Ja, Eugen!«

»Wirste allet tun, wat ick dir sare?«

»Ja, Eugen!«

»Bin ick dir lieber als Vater un Mutter un Bruder?«

»Oh, Eugen! – Ja, Eugen!«

»Det hat wohl weh jetan? Sag doch: ja, Eugen.«

»Ja, Eugen!«

»Det soll dir noch viel weher tun – heute nacht bleibste hier bei mir ...«

»Oh, Eugen, Vater ...«

»Wat is Vater?! Wat is Vater?! Wat is Vater?!«

»Eugen!«

»Sag gleich, auf der Stelle sagste: ›Vater is'n Dreck.‹ Sag det oder – ick kenn mir nich vor Wut! Sag ...«

»Vater ist ein Dreck.«

»Jut. Heute nacht bleibste hier bei mir.«

»Ja, Eugen.«

»Un wenn dein Oller dir morjen rausballert, kommste bei mir.«

»Ja, Eugen!«

»Du kommst doch jerne bei deinen Eugen?«

»Ja, Eugen.«

»Ick bin dir doch lieber wie Vater un Mutter?«

»Ja, Eugen.«

»Siehste, wie zahm de schon wirst? Solche wie dich, da nehm ick sechse von uff mir. Du sollst sehn, det jefällt dir noch. Du sollst sehen, ick jefall dir ooch noch! Jefall ick dir, Evchen ...?«

»Ja, Eugen.«

»Dowe Nuß! Los, nimm deine Klamotten. Zieh dir an, hau ab bei deinen Ollen. Mach schnell, hörste?! Du ödest mir. Hauste ab?«

»Ja, Eugen.«

»Ick denk, du sollst hierbleiben?«

»Ja, Eugen.«

»Un jetzt willste abhauen?«

»Wie du willst, Eugen.«

»Na, denn hau ab, Dowe! Aba wenn ick pfeife ...«

»Ja, Eugen, dann komm ich.«

14

Der Junge in Feldgrau sprang in großen Sätzen die Treppe hinauf, er nahm zwei Stufen auf einmal. An der Tür drückte er, ohne sich zu besinnen, den Klingelknopf mehrere Male, und noch ein paarmal, als nicht sofort geöffnet wurde. Er sah flüchtig die Schilder unter den Namen an, sehr viele Schilder, sehr große, aber nüchterne Schilder, schwarze Buchstaben auf weißer Emaille: »Justizrat Dr. Meier – Rechtsanwalt und Notar. – Geschäftsstunden von 10-1, 3-6. – Mitglied des Reichstags.«

Er näherte den Finger wieder dem Klingelknopf – da ging die Tür auf.

»Warum denn so eilig?« fragte der Öffnende mit tiefer Stimme. »Herr Justizrat ist jetzt doch nicht zu sprechen – ach, du bist es, Erich. Komm herein – ich sage dem Doktor gleich Bescheid.«

»Ich sag's ihm selber!« rief Erich und lief schon in das Zimmer des Abgeordneten.

Der schwere, dunkle Mann las in einer Zeitung. »Ich wünsche jetzt nicht gestört zu werden«, sagte er, erkannte aber schon den Eindringling. »Ach, Erich! Erich in Uniform! Das hast du aber schnell geschafft! Ich höre, die Regimenter können sich vor Freiwilligen nicht retten. Wo bist du angekommen?«

»Bei einem Ersatzbataillon in Lichterfelde. Von dreitausend, die sich gemeldet haben, haben sie hundertfünfzig genommen!«

»Und dich darunter. Sehr schön. Ich habe es immer gesagt: Was du wirklich willst, führst du auch durch. – Und so hast du dich uns also in Uniform zeigen wollen, uns roten Genossen? Gut siehst du aus! Schneidig – was ja wohl das Höchste an Preußentum bedeutet.«

»Ich bin nicht gekommen, weil ich mich in Uniform zeigen wollte! So albern bin ich doch nicht, Herr Doktor!«

»Vielleicht ist das gar nicht so albern, Erich? Es muß für viele heute ein schönes Gefühl sein, die Uniform zu tragen. Ihr verteidigt uns doch, ihr wollt doch sogar für uns sterben!«

»Natürlich freue ich mich auch, daß ich Soldat bin. Aber doch nicht wegen der Uniform!«

»Und der Ton bei deinen Preußen – er gefällt dir? Anschnauzer waren doch sonst für dich, was das rote Tuch für den Stier ist! Oder wird nicht mehr geschnauzt ...?«

»Doch«, gab Erich zu. »Es ist elend, manchmal kann ich mich kaum beherrschen. Und das Gemeinste ist nicht das Schnauzen, sondern das Spötteln und Triezen, wenn einer nicht so kann, wie er soll! Manche können doch wirklich nicht, die nie geturnt haben und so ... Stundenlang geht es über die her, alle Tage!«

Der Abgeordnete sah aufmerksam in das erregte Gesicht. »Nun, mein Erich«, sagte er. »Ich hoffe, du kannst die Schnauze halten, wie man auf preußisch sagt. Die Kriegsartikel sind recht scharf, und Rebellion ist heute etwas Todeswürdiges. – Ich sagte dir wohl schon mal, daß du eigentlich ein Rebell bist«, setzte er hinzu. »Du wirst immer gegen jeden Zwang antoben, bis zur eigenen Vernichtung.«

»Ich kann aber jetzt die Schnauze halten, Herr Doktor!« rief Erich stolz. »Man kann alles, wenn die Sache es lohnt! Ich denke immer: Ein Vierteljahr werden wir nur ausgebildet, dann kommen wir doch an die Front und können kämpfen!«

»Vielleicht werdet ihr noch eher herauskommen, Erich. England hat uns jetzt auch den Krieg erklärt, weißt du es schon?«

»England auch?« rief der Junge bestürzt. »Aber warum denn? Unsere Vettern, gleichen Blutes, und der Kaiser ist ganz nahe mit denen verwandt! Warum denn?«

»Weil wir die belgische Neutralität verletzt haben. Sagen sie. Und das haben wir ja auch wirklich getan.«

»Aber England«, rief der Junge, »hat sich hundertmal in seiner Geschichte über Verträge hinweggesetzt! Es hat nie ein Papier geachtet, wenn es um ein Lebensrecht seines Volkes ging! Und jetzt ging es um unser Lebensrecht!«

»Sie sagen Christentum, und sie meinen Kattun!« zitierte der Abgeordnete, trübe lächelnd. »Sie sagen belgische Neutralität, und sie meinen unsere Flotte, unsere Kolonien!«

»Aber England besitzt fast ein Fünftel der Welt – was zählen da unsere paar Kolonien?«

»Ein reicher Mann ist nie reich genug. Wir werden es schwer bekommen, Erich. Sei dir klar, daß fast die ganze Welt Deutschland haßt.«

»Aber warum? Wir wollten doch in Frieden leben ...«

»Weil wir zwiespältig sind. Weil sie uns nie verstehen. Sie wollen uns immer verstehen, aber Deutschland, mein Sohn, kann man nicht verstehen. Deutschland muß man lieben oder hassen.«

»Ja«, rief der Junge, »jetzt weiß ich wieder, warum ich hierherkam. Ich habe doch recht behalten, Herr Abgeordneter, Herr Mitglied des Reichstages, Herr Sozialdemokrat! Auch Sie lieben Deutschland – Sie haben doch für die Kriegskredite gestimmt, alle, einer wie der andere!«

»Ja«, gab der Abgeordnete fast verlegen zu. »Wir haben diesen Krieg gebilligt. Die Rede des Reichskanzlers war kläglich. Wenn er uns die Wahrheit gesagt hat, so hat er uns nicht die volle Wahrheit gesagt. Vieles blieb unklar ...«

»Sie haben mit Ja gestimmt!«

»Österreichs Haltung ist zwiespältig. Der Kaiser redet von Nibelungentreue, aber der, dem wir zu Hilfe kamen, hat heute noch nicht an Rußland den Krieg erklärt. Die Herren in Wien möchten ihren kleinen Strafkrieg gegen Serbien führen, und wir dürfen uns für sie mit der Welt herumschlagen!«

»Und doch haben Sie ja gesagt!«

»Weil wir Deutschland lieben, jawohl, Erich. Es sind unendliche Fehler gemacht worden, vom Kaiser, von diesem philosophierenden Kanzler – von allen. Aber man läßt ein Kind nicht wegen Fehlern im Stich, man verläßt auch nicht seine Mutter ... Wir haben mit Ja gestimmt. Wir konnten gar nicht anders. Das ganze Volk sagt ja, Erich. Und wir wollten auch nicht anders. Hoffentlich, hoffentlich sind unsere Regierenden im Kriege anders, als sie im Frieden waren ...«

»Es wird alles anders«, sagte Erich.

Der Abgeordnete sah zweifelhaft darein. »Sie schleifen euch auf dem Kasernenhof wie früher, Erich. Sie werden sich auch in den Regierungsstuben nicht ändern. Erich, jetzt geht ein Wille durch das Volk, ein Glaube, ein Zusammenhalt! Wenn sie diese Stunde nicht nützen, wenn sie sich nicht ohne Dünkel in die Front eingliedern – wenn auch diese Gelegenheit ungenützt verstreicht, dann, Erich, kommt eine schreckliche Zeit. Dann bricht alles auseinander, dann ist es ganz vorbei mit ihnen. Heute glaubt alles an Deutschland, liebt alles Deutschland, aber wenn sie diesen Glauben, diese Liebe verlieren – was dann? Vielleicht nie wieder!«

»Wir werden ihn nicht verlieren«, sagte Erich. »Sie können uns schleifen, sie mögen dünkelhaft sein: Sie zählen ja nicht! Es sind bloß ein paar. Wenn ich sie auf dem Kasernenhofe schreien höre, denke ich immer, es ist mein Vater. Es ist seine Art zu brüllen, es sind seine Ausdrücke. Ich habe das so gehaßt, es war mir so unerträglich geworden, daß ich mich oft schon beim Klang seiner Stimme schüttelte!«

Er hielt einen Augenblick inne, dann sagte er leise: »Jetzt denke ich manchmal: Er kann auch nicht anders. Er ist so geworden. Im Grunde liebt er uns – auf seine Art!«

Der Abgeordnete schüttelte leicht den Kopf. »Das ist eine Entschuldigung, die wir nicht annehmen können, Erich. So könnte man jede Ungerechtigkeit, jede Gemeinheit freisprechen. – Aber es ist immerhin eine bemerkenswerte Wandlung bei dir, mein Sohn, ich sehe jede Stunde, es geht wirklich etwas vor im deutschen Menschen. Der verknöchertste Parteifunktionär, wandelt sich. Und es ist nicht bloß Hurra-Patriotismus. Möge es dauern, Erich. Und mögen sie die Stunde nicht versäumen. Vielleicht kommt sie nie wieder!«

15

Die Obertertia tobte. Schon vor fünf Minuten hatte es zum Unterrichtsbeginn nach der großen Pause geläutet, aber kein Lehrer hatte sich bisher sehen lassen. Das kam in diesen ersten Wochen und Monaten nach Kriegsbeginn häufig vor. Weit über die Hälfte der Lehrerschaft war eingezogen worden, mit ein paar kümmerlichen Hilfslehrern (dienstuntauglichen) suchte man den Unterricht durchzuführen.

Die Jungen genossen die ungewohnte Freiheit mit vollen Zügen. Der Ausbruch des Krieges, der siegreiche Vormarsch der Truppen in Belgien, in Frankreich, alle diese Erfolge hatten ihnen einen nicht zu bändigenden Übermut gegeben. Ohne sich darüber klar zu sein, fühlten sie sich als die Vertreter einer Nation, die alle Völker der Erde besiegte, sie waren die Söhne und die Brüder von Helden. Wenn geflaggt wurde, wenn schon wieder die Glocken läuteten: Lüttich gefallen, Antwerpen eingeschlossen – so war das ihr Stolz, ihr Erfolg, ihr Sieg!

Der blasse, bebrillte Hilfslehrer aus dem Klassenzimmer nebenan steckte seinen Kopf flehend durch die Tür. »Jungen! Jungen!!«

»Seid doch mal still! Da will wer was!«

»Mein Bruder hat geschrieben, in einem Keller haben sie so viel Weinfässer gefunden ...«

»Jungen! Meine Herren!«

»Seid doch mal still ...«

»Sie haben einfach die Böden von den Fässern eingehauen ...«

»Ruhe! sage ich. Ruhe!!« Der Hilfslehrer war zornrot.

»Unterrichten Sie denn jetzt bei uns, Herr – Professor?«

»Nein, aber ich möchte nebenan unterrichten. Und bei dem Krach, den ihr macht, ist das einfach unmöglich!«

»Hier macht doch keiner Krach!«

»Wer macht denn hier Krach? Ich nicht! Du etwa?«

»Sie machen hier allein Krach, Herr Professor!«

»Krach! Krach! Ist hier vielleicht einer, der Krach heißt?«

»Ihr solltet euch was schämen. Jungen! Ihr wollt deutsche Jungen sein?! Ein deutscher Junge gehorcht, wenn ihm etwas befohlen wird. Nur durch Gehorsam lernt man Befehlen!«

Aber der Unselige hatte sich völlig im Ton vergriffen, jetzt wurden sie bösartig.

»Sie haben uns gar nichts zu befehlen!«

»Warum sind Sie überhaupt nicht an der Front?«

»An der Front dürfen Sie befehlen!«

»Wer nicht kriegsdienstfähig ist, der hat gar nichts zu sagen!«

»Untaugliche haben das Maul zu halten!«

Der Hilfslehrer wurde kreideweiß. »Schämen ...«, murmelte er. »Es ist häßlich ...«

Er machte ein paar Schritte zum Pult, besann sich, drehte sich rasch um und verließ eilig die Klasse.

Einen Augenblick herrschte betretenes Stillschweigen, ein wenig schämten sie sich doch.

Dann rief eine grobe, im Stimmwechsel begriffene Stimme: »Der Deutsche sagt: Auf Wiedersehen – nicht adieu!«

Erstes Gelächter.

»Gott strafe England!« schrie ein anderer.

Zweites Gelächter.

»Und die Arschpauker!«

Tosendes Gelächter!

Ein paar fingen an zu singen, das Lied, das damals in aller Munde war, das Rachelied, das Zornlied: »Was schiert uns Russe und Franzos? Schuß wider Schuß und Stoß um Stoß!«

Mehr und mehr sangen es. Bis zu dem Kehrreim, den sie alle gemeinsam schmetterten, über die Bänke gelümmelt, mit den Pultdeckeln Takt schlagend, an den Klassenschrank gelehnt: »Wir haben alle nur einen Feind: England!«

»Ich bitte um Ruhe«, sagte eine leise, aber sehr deutliche Stimme vom Lehrerpult her.

Dort stand ihr Professor, jetzt der richtige, beim Gesang war er unbemerkt eingetreten. Ein älterer Mann mit hoher gebuckelter Stirn, die bläulichweiß glänzte, zurückgekämmt eine Mähne von rotflammendem Haar, in das sich schon graue Strähnen mengten. Die blauen Augen leuchteten. Professor Degener, Lehrer des Lateinischen und Griechischen, eigentlich ein Männchen Ende der Fünfzig, mit Spitzbauch und ziemlich lächerlich gekleidet.

»Auf eure Plätze!«

Sie schoben sich verlegen durch die Gänge, sie grobsten sich halblaut an: »Mach doch Platz, Schafskopf!«.

»Selber Schafskopf, schlaf bloß nicht ein.«

»Das gibt noch was!«

»Au Backe, wenn ich noch mal Karzer fasse, kriege ich das Konsilium!«

»Degener hat einen Rochus!«

»Die Klasse hat sich schmählich benommen«, sagte der Professor in eine tiefe, atemholende Stille hinein. Er war blaß vor Zorn, sein rotes Haar flammte. »Nicht allein ist es undeutsch, einem anderen ein körperliches Gebrechen vorzuwerfen.« Er sprach Deutsch nur, als übersetze er es aus dem geliebten Latein. »Es ist auch schmählich, bei allen Völkern des Erdballes, selbst bei den Engländern! Es ist überall schmählich. Herr Kandidat Tulieb ist lungenleidend. Er müßte in einer Heilstätte sein, er unterrichtet euch, weil Not am Mann ist. Man kann nicht nur draußen auf dem Felde der Ehre sterben. – Oh, Schmach ...!«

Er stand oben, flammend, sie saßen unten. Manche hielten die Köpfe gesenkt, andere sahen verloren zum Fenster hinaus. Aber es gab auch einige, die den geliebten, nun so zornigen Lehrer offen ansahen.

»Die drei«, sprach Professor Degener, »die sich am schuldbeladensten fühlen, werden sich jetzt in das andere Klassenzimmer begeben und sich vor versammelter Untertertia bei Herrn Tulieb entschuldigen. Sie werden ihn um Verzeihung bitten, wohlverstanden – keine Redensarten, Jungen, sondern Bekenntnis eurer Schuld und Reue. Reue!«

Er sah wieder über seine Klasse.

»Ich selbst werde jetzt das Klassenzimmer verlassen und erst nach fünf Minuten hierher zurückkehren. Unterdes wird die Klasse darüber einig geworden sein, welche Strafe sie sich selbst für ihr schmähliches Verhalten auferlegt ...«

»Au Backe, das haut hin ...«, flüsterte einer gedankenverloren.

»Fünf Minuten!« rief der Professor und lief, nach einem Blick über seine Schäflein, auf dünnen Beinchen unter dem Ostereierbauch aus dem Klassenzimmer.

»So ein Aas!« sagte einer bewundernd.

»Nicht diese Töne, Lieber«, sprach der nächste und schlug den ersten auf den Bizeps. »Degener hat ganz recht. Wer geht Abbitte leisten?«

Sie sahen sich verlegen an.

»Also erst mal ich«, sprach Hoffmann. »Dann – du, Hackendahl?«

»Meinethalben! Aber ich rede nicht.«

»Und ich!« sprach Porzig.

»Nein, du nicht. Porzig. Du mußt hier über unsere Gesamtstrafe beraten. Aber denkt was Vernünftiges aus, daß Rotkopp zufrieden ist – es muß schwer sein! – Komm du lieber mit, Lindemann.«

Sie gingen eilig. Sie klopften an. »Herein!« krähte der Kandidat Tulieb. Aber als er die drei erkannte: »Ich fordere euch auf, sofort dieses Klassenzimmer zu verlassen!«

Die Untertertia sah schadenfroh auf die drei Büßer.

»Hoffmann und Hackendahl in Canossa!« rief einer ziemlich laut.

»Holt Schnee, es kniet sich kühler.«

»Herr Kandidat, wir kommen ...«

»Wollt ihr nicht einmal jetzt gehorchen?! Ihr sollt dies Zimmer verlassen! Ich will euch nicht sehen ...«

Er war kein edelmütiger Sieger, der Herr Kandidat Tulieb, nein, das war er nicht ...

»Wir haben uns wie die Schweine benommen«, sagte Hoffmann rauh. »Wir bitten um Verzeihung ...«

»Verzeihung, das ist leicht gesagt ...«, sprach der Kandidat. »Ihr habt mich in meiner Ehre gekränkt ...«

»Verzeihen Sie uns doch, Herr Kandidat!« rief Hackendahl. »Wir werden uns von jetzt an auch anständig benehmen!«

»Werdet ihr das?« Der Kandidat lächelte. »Ihr da von der Untertertia, seht her! Nehmt euch ein Beispiel! Das sind die traurigen Folgen des Ungehorsams ...«

Die drei stöhnten nur: »Schwein ...«

»Aber so leicht kommt ihr mir nicht davon. Hat Herr Professor Degener euch schon bestraft ...?«

»Nein.«

»Natürlich. Er hat es mir überlassen! Ihr seid die drei Rädelsführer, ich sehe es euern Gesichtern an ... Ihr werdet mir jeder dreihundertmal den Satz niederschreiben: Sunt pueri pueri, pueri puerilia tractant ... Übersetze mir das, du da!«

Heinz Hackendahl übersetzte: »Kinder sind Kinder, Kinder treiben Kindisches!«

»Kindereien, jawohl! So schätze ich euch ein! Geht!«

»Haben Sie uns verziehen, Herr Kandidat?« fragte Hoffmann vorsorglich.

»Wenn ihr den Satz dreihundertmal säuberlich geschrieben morgen hier abliefert, dann ja. Eher nicht. Das könnt ihr Herrn Professor Degener sagen.«

Die drei standen auf dem Gang, schweigend, grimmig.

»Ich habe wohl gesehen, wie du gewackelt hast, Hackendahl«, flüsterte Lindemann. »Du warst schön wütend.«

»War ich auch! Aber ich habe daran gedacht, daß man sich bei den Soldaten auch anbrüllen lassen muß, ohne die Miene zu verziehen. Ich habe nur ganz wenig gewackelt.«

»Merde, da haben wir dreihundertmal Abschreiben extra weg, und wir haben kein Wort gesagt!«

»Hauptsächlich war es Lange, das elende Schwein!«

»Na, jetzt hilft's nichts mehr. Wollen hören, was die anderen unterdes ausgebrütet haben.«

Es war nichts Besonderes: Sie hatten beschlossen, einen Monat lang alle Sonntage auf den Stadtgütern bei der Ernte zu helfen, denn die Arbeitskräfte waren knapp und die Ernte weit zurück.

»Mäßig!« erklärte Hoffmann. »Ob Rotkopp das als Strafe ansieht?«

»Und ihr? Was habt ihr bei der Brillenschlange ausgerichtet?«

»Ach, reden wir nicht davon ...«

Sie hatten auch keine Zeit mehr dafür, Herr Professor Degener bestieg das Katheder.

»Ist alles geregelt? Gut. – Nein, danke, ich wünsche keine Mitteilungen. Ich bin vollkommen überzeugt, daß ihr alles anständig erledigt habt. – Statt aber nun ...«, sagte er und sah die Klasse an, »statt aber nun unsern Cäsar zur Hand zu nehmen, müssen wir etwas anderes tun. Die Klasse steht auf!«

Sie taten es.

»Haltung! Die Klasse hört: Auf dem Felde der Ehre fielen: Günther Schwarz, bisher Oberprimaner unseres Gymnasiums, Grenadier im 3. Garderegiment zu Fuß. Herbert Simmichen, Oberprima, Kriegsfreiwilliger bei der 15. Feldartillerie, 3. Batterie. Dulce et decorum est pro patria mori ...«

Einen Augenblick Stille.

»Die Klasse setzt sich. Ich verlese euch jetzt die Berichte der Kompanieführer über den Tod eurer Mitschüler ...«

16

»Es fehlt noch ein Ring. Wo hast du deinen Ring, Evchen?«

»Ich habe doch keinen Ring, Vater!« widersprach Eva.

»Natürlich hast du einen! Solchen mit einem braunen Stein. Nicht wahr, Mutter, Evchen hatte einen Ring ...?«

Die Mutter saß weinerlich vor dem runden Tisch in der Wohnstube, auf den der Vater alles gelegt hatte, was an Gold im Hause war: seine geliebte dicke Uhr mit der schweren Kette; die kleine, mit Emaille verzierte Uhr der Mutter, die an einer Schleife aus Gold auf der Brust getragen wurde; eine goldene Bleistifthülse; ein Paar große Manschettenknöpfe, deren Goldgehalt nicht ganz zweifelsfrei war. Ein Goldkettchen mit goldenem Kreuz, das die Sophie zur Konfirmation bekommen hatte. Die ehemals dicken goldenen Eheringe, die Zeit und Arbeit glatt und dünn geschliffen hatten. Eine goldene Brosche mit einer daranhängenden – falschen – kleinen Perle. Sieben goldene Zehnmarkstücke, fünf zu zwanzig Mark.

An den Mauern, auf den Litfaßsäulen klebten überall die Plakate: »Gold gab ich für Eisen! Bringt euer Gold zur Goldankaufstelle!« Die Zeitungen schrieben alle Tage davon, vielfach bewundert gingen Herren herum, die schon die schmale Eisenkette statt der goldenen auf der Weste trugen.

»Kein Stück Gold bleibt im Haus!« rief Vater Hackendahl. »Wir müssen alles abliefern! Haben wir nicht noch was? Mutter, hattest du nicht mal so kleine Dinger in den Ohren, keine Ohrringe, mehr wie Knöpfe – ich erinnere mich doch!«

»Ach, Vater«, jammerte die alte Mutter, »die kleinen Dinger – laß sie mir doch! Ein bißchen muß man doch aus seiner Jugend für sich behalten dürfen. Sie wiegen rein gar nichts, so eine Kleinigkeit kann der Regierung doch auch nichts helfen ...«

»Nichts da!« entschied Hackendahl. »Wir sollen unser Gold der Regierung geben, und da tun wir's auch! Ich versteh dich nicht, Mutter!. Du hast den Erich und den Otto hergeben müssen, und nun weinst du wegen so ein paar Golddingern!«

»Ich weine aber auch wegen Erich und Otto«, sagte die Frau und stand mühsam auf. »Immer, wenn ich den Postboten auf der Treppe höre, muß ich weinen ...«

»Ich weiß ja, Mutter!« sagte er begütigend. »Es ist nicht leicht, aber es wird doch getan, damit wir siegen. Und wir kriegen Eisen dafür, Mutter! Wozu heiß ich denn der eiserne Gustav?! Eisen paßt viel besser zu uns als Gold.«

»Ich geh ja schon, Vater!«

Und sie ging in die Schlafstube. Der Vater sah sich um, Eva war auch gegangen. Nein, er hatte Eva nicht vergessen, er sah den Goldhaufen an: Der Ring war nicht dabei. Man muß alles hergeben, dachte er. Wenn man das Liebste für sich zurückbehält, dann ist es ja kein Opfer.

Er horchte. Es war still in der Wohnung, aber jetzt war es immer totenstill in der Wohnung, wenn Bubi in der Schule war. Bubi war der einzige, der noch ein bißchen Leben ins Haus brachte. Totenstill! Hackendahl erinnerte sich: Früher hatte Eva viel gesungen, jetzt nie mehr. Totenstill. Und nun mußte er zu ihr rübergehen in ihr Zimmer, den Ring holen.

Hackendahl setzte sich in den Stuhl seiner Frau an den runden Tisch, er sah den Goldhaufen an. Für einen kleinen Bürger war es eine ganze Menge, was er da opferte. Aber es war nicht genug, es fehlte ein Ring, und wenn nur ein wenig fehlte, galt das Opfer nicht. Ein Opfer, bei dem man etwas ungeopfert ließ, galt nicht. Es war wie beim Militär: Eine Ordnung, die nicht ganz und gar ordentlich war, war überhaupt keine Ordnung. Und wenn nur ein Knopf eine matte Stelle hatte, wenn an der Hacke des glänzend gewichsten Schuhs nur ein Spritzerchen Schmutz saß – dann war es eben keine Ordnung.

Dazu war man da – auf der Welt, im deutschen Lande, auf dem Droschkenhof, in diesem Hause: daß man dafür sorgte, hier an der Stelle, für die Hackendahl einzustehen hatte, geschah alles ordentlich. Dann fühlte man sich wohl, dann hatte man ein gutes Gewissen vor sich, seinem Kaiser und seinem Herrgott. Man durfte eben nicht nachgeben, keine Ausnahme durfte man machen, eisern mußte man sein. Eisern!

Nachdenklich schiebt Hackendahl die Goldstücke hin und her. Er baut Türmchen aus ihnen, und dann legt er so etwas wie ein Kreuz. Ja, Otto hat schon das Eiserne – wer hätte das von Otto gedacht?! Aber es war jedenfalls ein Zufall gewesen, und kräftig war Otto ja. Das war noch ein guter Tag gewesen, da man berichten konnte: »Mein Sohn hat das Eiserne!«

Er war überall damit rumgegangen, auch in den Kneipen. Er war in letzter Zeit recht viel in Kneipen gewesen, man gewöhnte es sich an, wenn man gar nichts zu tun hatte. Rabause erledigte ja alles allein. Ein Leben lang war man immer nach aller Kraft tätig gewesen – wer hätte gedacht, daß man in einem Kriege, in einem großen Kriege, in einem Weltkriege Untätigkeit und Langeweile kennenlernen würde?!

Hackendahl sitzt mit gerunzelter Stirn da und spielt mit seinen Goldstücken. Er ist sich vollkommen klar darüber, daß weder Mutter noch Eva mit ihren Schätzen bei ihm angetreten sind, daß er aufzustehen und Dampf zu machen hat. Aber er sitzt da und kann sich nicht entschließen! Ist es darum, weil er die Auseinandersetzung mit der Tochter fürchtet? Der Ring mit dem braunen Stein – sie muß ihn doch von ihrem Kavalier haben!

Hackendahl seufzt schwer. Mit seiner großen Hand schiebt er das Gold endgültig auf einen Haufen zusammen, dann steht er auf. Er sieht sich suchend im Zimmer um, er kann sich immer noch nicht entschließen. Endlich ruft er (und er versucht, seiner Stimme den alten, befehlenden Klang zu geben): »Mutter! Wo bleibst du denn? Ich warte!«

»Ich find die Ohrringe nicht«, ruft sie zurück. »Ich weiß nicht, wo ich sie hingetan habe. Es ist doch Jahre her ...«

»Mach ein bißchen zu, Mutter«, mahnt er. »Bis zwölf will ich auf der Ankaufstelle sein, um eins machen die doch zu.«

»Ich such schon«, ruft sie. »Habe bloß einen Augenblick Geduld, Vater!«

In dem Augenblick könnte er zu Eva gehen. Er hat schon die Türklinke in der Hand, da hört er den Rabause auf dem Hof rufen. Er geht zum Fenster und fragt: »Was ist denn, Rabause? Wer ist denn da?«

»Es ist einer von Eggebrecht. Ich habe aber gesagt, Sie hätten keine Zeit. Sie wollten Ihr Gold abliefern.«

»Was ist denn?«

»Herr Eggebrecht ist heute früh mit einem Transport Pferde aus Polen gekommen. Sie müßten aber gleich hin – sonst wären sie wieder weg wie das letztemal.«

»Ich komme!« ruft Hackendahl, und das ist nun freilich wieder die alte kräftige Stimme des alten eisernen Gustav.

Pferde, es sind Pferde da! Seit Monaten und Monaten lauert er auf Pferde, es hat immer nicht geklappt. »Mutter!« ruft er. »Laß das mit dem Gold – oder geh meinethalben selber! Unter den Linden, in der Reichsbank, du weißt doch. Ich geh los – Eggebrecht ist mit Pferden da, aus Polen!«

»Vater! Vater!! Vater!! Du mußt mir doch Bescheid sagen! Wieviel Geld willst du denn dafür haben, und wieviel eiserne Uhrketten soll ich nehmen? Auch eine für mich?«

»Mach alles, wie du willst! Ich habe wirklich keine Zeit, Mutter! Sonst sind die Pferde wieder weg! Und ich muß Pferde haben! Ich muß!! Wo ist denn mein Bankbuch? – Evchen, gut, daß ich dich noch sehe. Der Eggebrecht ist mit Pferden da, ich muß gleich hin, sonst sind sie wieder weg. – Also deinen Ring legst du dazu, das versprichst du mir doch? Da wird ›er‹ schön mit einverstanden sein, so ein feiner Kerl, wie der sicher ist! – Na, du erzählst mir später mal alles, jetzt muß ich zu Eggebrecht ...«

Er läuft die Treppe hinunter.

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