»Eine verdammte Geschichte«, sagte der eine Beamte.
»Ein hochnäsiges Aas«, stimmte der andere zu.
»Er wird uns noch Streiche spielen«, sagte der erste düster.
»Und was für welche!« stimmte der zweite zu.
»Man kann im Moment nichts tun«, sagte der erste.
»Nein«, bestätigte der zweite, »man muss abwarten, bis die Sore irgendwo auftaucht.«
»Bis dahin hat der Wossidlo ganz Hamburg mit seinem Geschwätz über die Polizei wild gemacht.«
»Ich glaub nicht, dass es einer aus der Branche war. Außerdem ist keiner von denen jetzt in Hamburg.«
»Dass man auch nichts von einem Gerede vorher gehört hat! Es müssen doch mindestens vier Mann gewesen sein. Vier Ganoven, die dichthalten, gibt es doch nicht.«
»Es muss verdammt schnell gegangen sein.«
»Aber der Tipp!« rief der andere. »Diese Annonce mit den drei Minuten! Da muss einer mindestens zwei Wochen lang baldowert haben.«
»Und der Wächter hat natürlich niemanden gesehen«, sagte der erste wütend.
»Was willst du dem Chef sagen?«
»Ich werd ’ne Razzia vorschlagen. Man kann zwanzig oder dreißig von den Halbseidenen einstecken und vernehmen. Vielleicht, dass einer was läuten gehört hat und Laut gibt, um wieder rauszukommen.«
»Das ist noch das Beste.«
»Die Leute«, sagte der erste wütend, »machen sich einen Begriff von der Polizei! Als wenn wir gleich alles wüssten! Natürlich wird man die Kerle einmal kappen. Aber wann?«
»Hoffen wir auf den Zufall«, sagte der zweite. »Meistens hilft der.«
»Ja, wenn wir den Zufall nicht hätten!« bestätigte der erste.
Der Zufall hieß Kufalt, und während die beiden Kriminalbeamten in ihren breiten, vertretenen Schuhen durch die winterlichen Straßen Hamburgs wandelten, saß er schon auf einer Bank im Stadthaus und wartete auf sie.
Als er in der Zeitung gelesen hatte, dass der Raub doch vonstatten gegangen war, dass Freund Batzke unerkannt mit so großer Beute entkommen war, da hatte ihn zuerst Angst, dann Wut erfüllt.
Plötzlich hatte er begriffen, warum ihm der Achtgroschenjunge mit der Schirmmütze nachgelaufen war. Nicht die Polizei hatte den Handtaschenräuber verfolgt, sondern Batzke hatte wissen wollen, ob Kufalt noch immer die Auslage am Jungfernstieg unter Augen hatte. Und darum hatte ihm Ilse ihren gestrigen Abendbesuch gemacht, auch sie hatte bloß baldowern wollen – für Batzke!
Angst hatte er zuerst. Er hatte den Tipp gegeben, er hing mit drin. Er hatte sich um das Geschäft wochenlang herumgedrückt, vielleicht kannte man dort sein Gesicht, erinnerte sich jetzt seiner. Schon ging vielleicht seine Beschreibung an die Blätter.
Und es war nicht nur das, er konnte sich ja kaum rühren, er, der Handtaschenräuber, dessen Beschreibung von Mal zu Mal deutlicher in den Zeitungen erschienen war.
Aber stärker als die Angst wurde die Wut in ihm. Batzke war es, der ihn in diese Lage gebracht hatte. Wieder hatte ihn Batzke verraten. Vom Stelldichein an unter dem Pferdeschwanz über den Zigarettenladen mit dem falschen Zwanziger über die nutzlos zurückgegebenen vierhundert Mark – : Immer hatte ihn Batzke verraten.
Er lief hin und her in seiner Stube, er grübelte. Ja, er würde sich hinsetzen, er würde jetzt einen anonymen Brief tippen. Er würde Batzke in die Pfanne hauen.
Und er setzte sich hin, und er tippte los und – hielt an. Fünftausend Mark vom Schwärzer, im Ganzen, hatte Batzke gesagt. Aber es wurden Belohnungen bei solchen Einbrüchen ausgesetzt. Zehn Prozent war das mindeste, fünfzehntausend Mark, und rechtlich erworben. Rechtlich erworben!
Da war in seiner hintersten Hirnkammer der Traum von dem kleinen Zigarrenladen mit Frau und Kindern. Man würde ihn ganz Rechtens in Wahrheit und Wirklichkeit umsetzen können.
Er war aufgestanden. Er zerriss das Getippte in kleine Fetzchen. Er machte die Ofentür auf und schloss sie erst wieder, als er sich davon überzeugt hatte, dass auch das letzte Papierstückchen verbrannt war.
Nein, er musste warten, bis die Belohnung ausgesetzt war. Gewiss, es war das Risiko dabei, dass die Bullen ihm auf die Spur kamen, aber ohne jedes Risiko war überhaupt nichts. Und sie würden nicht dahinterkommen. Gerade darum nicht, weil er zu ihnen kam.
Er geht wieder auf und ab. Nun kann er es schon nicht mehr erwarten, dass die Abendzeitungen erscheinen. In den Abendzeitungen wird sicher die Belohnung stehen. Dann wird er noch heute Nacht ins Stadthaus gehen, und Batzke wird erwischt werden. Vielleicht bekommt Kufalt bereits Ende der Woche die Belohnung, und er ist raus aus allem.
Plötzlich ist Furcht wieder da. Aber Furcht einer anderen Art. Polizei ist tüchtig, und Ganoven sind schlimm. Alle sind Verräter. Vielleicht wissen noch andere von dem, was Batzke vorhatte. Vielleicht warten die anderen nicht so lange, vielleicht sitzen die schon auf dem Stadthaus und nehmen Kufalt seine fünfzehntausend Mark fort.
Was hat er denn zu verraten? Einen einzigen Namen – den Namen Batzke. Er weiß die Helfershelfer nicht, er weiß die Schwärzer nicht. Er weiß nicht einmal, wo Batzke gewohnt hat, nur den einen Namen weiß er. Der Name ist sein Kapital, der Name ist sein Zigarrenladen, seine Zukunft. Den Namen darf er sich nicht wegnehmen lassen. Er muss unbedingt sofort gehen.
Er zieht den Mantel an, er setzt den Hut auf, er steht zögernd inmitten des Zimmers.
Der Rausch der Geldgier lässt einen Augenblick nach, die Rachsucht ebbt für eine Sekunde ab – dies kann schiefgehen, denkt er. Dies kann sehr schiefgehen.
Und doch geht er, zögert wieder auf dem Flur, hört Frau Fleege in der Küche wirtschaften, und plötzlich erfüllt ihn etwas wie eine leise Rührung bei dem Gedanken an das alte, verrunzelte Frauengesicht.
Sie ist doch die einzige, denkt er, die es mit mir gut meint. Er geht in eine Welt von Feinden. Nur Schlauheit und Kampf können helfen. Hier braucht er sie nicht.
Er öffnet die Tür zur Küche.
»Frau Pastorin«, sagt er. »Ich gehe für ein paar Stunden weg. Es kann aber auch länger dauern.«
Sie lächelt ihm freundlich zu unter ihrer Perlenhaube. »Ist es wegen eines Engagements?« fragt sie vorsichtig.
»Nein – doch – vielleicht – vielleicht komme ich heute gar nicht mehr wieder. Nun, meine Sachen sind ja gut bei Ihnen aufgehoben.«
»Herr Lederer«, sagt die alte Frau und nimmt seine Hand zwischen ihre beiden alten, zittrigen Hände. »Ich wünsche Ihnen ja so viel Glück! Soviel Glück!«
»Sie kommen wegen des Juwelenraubs bei Wossidlo?« fragt der eine Beamte und sieht Kufalt musternd an. »Was soll’s denn sein?«
»Ich wollt mal fragen«, sagt Kufalt, »ob schon eine Belohnung ausgesetzt ist.«
»Nein«, sagt der Beamte kurz,
»Und es wird auch keine?« fragt Kufalt wieder.
»Das kommt darauf an«, sagt der Beamte.
Kufalt sind die musternden Blicke der beiden Kriminaler sehr unangenehm. Jeden Augenblick kann sich einer von ihnen an die Beschreibungen erinnern. Wenn er sich doch wenigstens noch vorher einen anderen Mantel und einen anderen Hut besorgt hätte! Aber an nichts hat er gedacht. Wie blind ist er losgelaufen, hinter dem Geld her, das es nun vielleicht nicht einmal geben wird.
»Also denn«, sagt er, »vielleicht komme ich noch mal wieder.« Und steht auf.
»Halt, halt«, sagt der Beamte aufgeräumter, »nicht so eilig! Nehmen Sie sich doch eine Zigarette.«
Er ist mit seiner Prüfung Kufalts fertig geworden, ungefähr zu dem richtigen Ergebnis gekommen und hält den Fall weiterer Rücksprache für wert.
»Wenn nun also eine Belohnung ausgesetzt wäre, könnten Sie uns da etwas über den Juwelenraub bei Wossidlo erzählen?«
»Ich weiß noch nicht«, sagt Kufalt kühl. »Das kommt ja auch auf die Belohnung an.«
»Hören Sie mal«, greift der zweite Beamte ein. »Das ist Ihnen ja wohl bekannt, junger Mann, dass Sie, wenn Sie von einem Verbrechen Kenntnis haben, aussagen müssen. Sonst machen Sie sich strafbar.«
»Das weiß ich«, sagt Kufalt. »Ich weiß aber auch nichts anderes, als was in den Zeitungen steht. Ich könnte nur vielleicht was erfahren, weil ich nämlich in den Kreisen Verbindungen habe.«
»Hören Sie nicht auf den«, sagt der erste Beamte vermittelnd, »der bullert immer gleich los. Ja, mit der Belohnung ist das so, die Versicherungsgesellschaft setzt ja todsicher was aus. Aber vielleicht haben wir bis dahin die Kerle schon. Da ist es besser, Sie haben Vertrauen zu uns und erzählen uns jetzt schon was. Wir hauen Sie sicher nicht übers Ohr.«
Und er sieht Kufalt bieder an.
»Nein, nein«, sagt Kufalt entschieden. »Ich weiß noch gar nichts. Ich wollte nur mal rumhorchen, ob es sich lohnt für mich.«
Die Beamten sitzen sinnend da und betrachten sich ihren Kufalt.
»Würden Sie was dagegen haben«, sagt der erste Beamte wieder, »wenn Sie uns Ihren Namen und Ihre Adresse hierließen? Es könnte doch sein, dass wir Sie mal dringend brauchten. Wir würden uns auch nicht lumpen lassen.«
»Lieber nicht«, sagt Kufalt. »Ich melde mich schon wieder.«
»Ach so«, sagt der zweite Beamte bissig, »wenn das so ist …«
»Hören Sie nicht auf den«, sagt der erste rasch, »wir können auch großzügig sein, wenn die Sache es wert ist. Wir können auch mal ein Auge zudrücken, wenn Sie uns einen guten Dienst leisten – so schlimm wird es ja nicht sein, nicht wahr?«
»Es ist überhaupt nichts«, sagt Kufalt aufgeregt. »Aber ich will in meiner Wohnung nichts mit der Polizei zu tun haben.«
Er setzt ruhiger hinzu: »Wirtinnen sind in so was komisch.«
Aber er denkt an seine Handtaschen im Koffer und verflucht sich, dass er nicht einmal die beseitigt hat. Er muss wie verhext sein in der letzten Zeit.
»Also mit der Adresse ist es auch nichts«, sagt der Beamte betrübt. »Viel haben wir ja heute nicht von Ihnen erfahren.«
Er sitzt da und denkt nach. Plötzlich hat er entschieden eine Idee. Er steht auf und sagt rasch: »Einen Augenblick mal, ich komme gleich wieder.«
Er verschwindet aus dem Zimmer.
»Aber ich habe keine Zeit mehr«, ruft Kufalt ihm hastig nach.
Doch der andere ist schon weg, und er muss hier sitzen mit dem Rüpel von zweitem Beamten, der ihn unverwandt anstarrt.
»Ich möchte gern gehen«, sagt er hilflos. Er hat nur Angst, dass der andere mit einem Haftbefehl wiederkommt. Er verflucht sich, dass er hierher gegangen ist. Er sieht ein, dass er es ganz dumm angefangen hat.
»Ich möchte gehen«, sagt er noch einmal.
Der andere sagt gar nichts, sondern sieht ihn nur immer weiter an. Unter dem dünnen, rötlichen Schnurrbart erscheint ein Lächeln …
Vielleicht hat er jetzt raus, wer ich bin, denkt Kufalt.
»Also ich gehe denn jetzt«, sagt er noch einmal und steht auf.
»Wo haben wir uns denn eigentlich schon mal kennengelernt?« fragt der Beamte.
»Das bestimmt nicht, Sie verwechseln mich«, sagt Kufalt sehr erleichtert. Denn das weiß er genau, dass er außer Herrn Specht keinen Hamburger Kriminaler kennt.
»Mein Lieber«, sagt der Beamte sehr überlegen, »ich komme doch gleich dahinter. Bleiben Sie nur noch einen Augenblick so stehen.«
»Darum noch eine Stunde!« erklärt Kufalt. »Aber ich will jetzt nach Haus.«
Doch es wird nichts daraus. Denn der andere Beamte kommt wieder herein, strahlend vergnügt.
»Hören Sie mal zu, mein Lieber«, sagt er. »Ich hab mich erkundigt. Es sind noch ein paar Formalitäten zu erledigen. Aber zehntausend Mark werden auf die Erlangung der Beute ausgesetzt.« Er nimmt sich einen Stuhl.
»Wissen Sie«, sagt er gemütlich, »da müssen wir nun ein bisschen fix arbeiten, dass die Bengels nicht dazu kommen, die Sore erst in aller Welt zu verscheuern. Jetzt werden sie wohl noch beim Teilen sein, und wir kriegen den ganzen Klumpatsch auf einmal. Das wären zehntausend Mark für Sie, wir Beamte sind ja immer Neese. Wie ist das also?«
»Ich müsste mal horchen gehen«, sagt Kufalt zögernd.
»Nee, nee, mein Lieber«, sagt der andere energisch, »so lasse ich Sie nun doch nicht wieder raus. Aber ich will Ihnen einen Vorschlag machen, ich bin gar nicht so. Sie sollen nichts sagen müssen, keine Namen, nicht, wer Sie sind, nicht, wo Sie wohnen. Und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort als Beamter, ich lasse Sie unbeobachtet wieder gehen. Aber …«
Er holt tief Atem. Kufalt sieht ihn gespannt an.
»… aber Sie gucken sich jetzt mal in unserer Gegenwart unser nettes Bilderalbum an. Sie wissen schon, was ich meine. Und wenn Sie den Mann drin sehen, der das Ding gedreht hat, dann schlagen Sie das Album zu und sagen: ›Er ist drin.‹ Weiter nichts. Weiter wollen wir nichts von Ihnen. Dann lass ich Sie gehen, und zweihundert Mark kriegen Sie auch noch. A conto …«
»Aber ich kenn den Mann ja noch gar nicht«, protestiert Kufalt.
»Lassen Sie das man unsere Sorge sein«, sagt der Beamte. »Sie werden sich doch gern mal so ein paar Fotografien ansehen? Das ist hochinteressant.«
»Aber es hat keinen Zweck«, sagt Kufalt hilflos.
»Zweck oder nicht«, sagt der Beamte plötzlich streng, »ohne das bleiben Sie hier.«
Aber er lächelt schon wieder und legt säuberlich zwei Hundertmarkscheine auf den Tisch. Kufalt betrachtet sie zögernd.
»Na, nun man los«, sagt der Beamte. »Überlegen Sie sich doch die Geschichte nicht so lange. Das ist doch ein klares und gutes Geschäft. Welchen Band soll ich denn holen lassen?«
»Ich weiß nichts«, sagt Kufalt störrisch.
»Und die Brüder verscheuern unterdes die Sore«, sagt der Beamte empört. »Wo Sie so schönes Geld verdienen können. Sie brauchen gar nichts zu sagen. Soll ich A holen lassen? Soll ich B holen lassen?«
»Hmhm.«
»Aha! B sind nun aber mehrere Bände. Na, sehen Sie sich mehrere Bände an. Sie brauchen ja überhaupt nichts zu reden.«
Kufalt sitzt mürrisch da. Er hat das Gefühl, er ist reingefallen. Er sitzt in einer Sackgasse ohne Ausweg. Er ist eben immer nicht schlau genug. Für keinen. Weder für Batzke noch für diese hier.
Was helfen ihm zweihundert Mark?! Aber er muss, sonst lassen sie ihn nicht laufen.
»Bringen Sie also B«, sagt er und schwört sich zu, nichts zu verraten. Den Band zuklappen, ob nun Batzkes Bild drin ist oder nicht, sagen: ›Er ist drin‹, und an irgendeiner beliebigen Stelle zuklappen. Dann wenigstens die zweihundert Mark nehmen, damit er was hat, und fort. Und mit allen Verkehrsmitteln nach Haus, durch alle Warenhäuser hindurch. Im Chinahaus an der Mönckebergstraße mit dem Paternoster rauf und runter, dass sie jede Spur von ihm verlieren, und dann nie wieder!
Mit Bedacht wählt er den Band, der mit Bi anfängt, blättert, prüft lange, sieht alle diese Gesichter an, die teilweise verzerrt grinsen, mit heraufgezogenen Mundwinkeln, mit Grimassen, alle gezwungen fotografiert.
Und während er diese Hunderte von Gesichtern betrachtet, durchschnittliche, böse und nette, überkommt ihn die Neugierde, ob Batzke wirklich der große Ganove ist, als der er sich immer aufgespielt hat. Und er nimmt den Band Ba zur Hand und blättert, und auf der dritten Seite sieht er den Herrn Freund, im Profil und en face,1 von rechts und von links, in Gemeinschaft einiger anderer Ba’s.
»Danke schön«, sagt der Beamte freundlich. »Hier sind auch Ihre zweihundert Mark. Sie sehen, wir sind immer anständig. Also, denn auf Wiedersehen. Sie können ungehindert nach Haus.«
Kufalt sieht die beiden zufrieden grinsenden Gesichter der Krimschen. Er möchte noch etwas sagen, schreien vor Wut, dass er sich so dämlich hat übertölpeln lassen. Aber dann reißt er nur seine Scheine vom Tisch und rennt aus dem Zimmer, indes er hinter sich die Beamten lachen hört, aber derartig blödsinnig lachen hört …!
1 in gerader Ansicht <<<
Hundert Mark von dem neuerworbenen Gelde legt Kufalt sofort in Mantel und Hut an. Er besaß einen schwarzen Paletot. So kaufte er sich nun einen hellbraunen, weiten Raglan. Er besaß einen kleinen blaugrauen Filzhut und erwarb sich nun einen großen schwarzen Schlapphut. Das ließ er einpacken und in seine Wohnung schicken.
Als er weiterging – es war nun schon später Nachmittag geworden –, kam er erst darauf, wie unüberlegt er wieder gehandelt hatte. Jetzt kannte ihn die Polizei doch schon in seinem schwarzen Ulster und seinem Filzhütchen. Die würden sich gleich überlegen, was das wohl für eine Bewandtnis mit dem neuen Mantel hätte.
Und noch dümmer war es gewesen, im Warenhaus Namen und Adresse anzugeben. War ihm einer nachgegangen, so wussten die nun Bescheid. Die Handtaschen aber steckten immer noch im Koffer.
Trotzdem ging er noch nicht nach Haus. Es war nun einmal so, alles ging verquer, und alles Aufpassen nützte nichts. Entweder kam er gut heraus, oder er kam schlecht heraus. Er musste beides hinnehmen. Viel dazu tun konnte er nicht.
Eigentlich hätte er Mittag essen müssen. Aber er hatte keine Lust dazu. Der Appetit war weg. Er würde lieber ein paar Schnäpse trinken.
Er trank sie. Gleich sah die Welt wieder anders aus. Er hatte reichlich Geld bei sich, ganz unerwartetes Geld, und er würde immer wieder neues Geld bekommen, wenn er es brauchte. Es kam schon nicht darauf an. Er konnte nun endlich einmal mit seinem Gelde tun, was ihm Spaß machte. So lange war er nicht mit Mädchen zusammen gewesen, überhaupt nicht seit seiner Haft. Nein, überhaupt nicht seit seiner Verhaftung vor nun beinahe sechs Jahren – er würde einmal richtig mit einem Mädchen ausgehen.
Und er schlug den Weg zur Reeperbahn ein.
Während des Weges fiel ihm ein, dass er doch mit Mädchen zusammen gewesen war, mit der Liese, mit der Hilde, mit der Ilse. Aber irgendwie schien das nichts zu bedeuten, oder vielmehr etwas ganz anderes zu bedeuten. Er verstand es nicht recht, aber wenn er an die Mädchen dachte, musste er auch an die Handtaschen denken. Und das hatte doch wirklich nichts miteinander zu tun.
Auf der Reeperbahn waren die richtigen Lokale nicht. Sie sahen alle nach Fremdenfang und Nepp aus, oder sie schienen ihm zu umständlich. Und dann war es komisch, dass die Mädchen, die sich auf der Straße herumtrieben und ihn anquatschten, plötzlich auch nichts bedeuteten. Es war, als hätten auch hier seine nächtlichen Wege Hindernisse geschaffen. Er wurde wütend, wenn er angesprochen wurde. Hätte nicht mindestens er sie ansprechen müssen?
Schließlich saß er im ersten Stock eines Cafés auf der Großen Freiheit. Es war gerade die richtige Sorte Lokal, mit Nischen, in denen verhängte Lampen leuchteten, mit kleinen Mädchen, die nicht zu groß aufgemacht waren.
Er konnte ja jetzt gut mit ihnen schwatzen. Er erkundigte sich nach dem Geschäftsgang. Er fragte sie nach Stubben und Stenzen. Und dann sprachen sie über das schlechte Wetter, und ob sie heute Abend noch weitergehen wollten, ob sie überhaupt zusammenbleiben wollten. Und er entwarf ein Programm, mit Abendessen und Kino danach.
Dazwischen tranken sie viele Liköre, und das Mädchen taute auf und küsste ihn ab, was gar nicht angenehm war, und sie rief mit heller, alberner Stimme: »Ach, bist du süß! Nein, bist du komisch!«
Er redete und sprach und gab an und erzählte Witzchen und lachte, aber dazwischen dachte er immer wieder, wie dumm und langweilig doch alles war und wie seine nächtlichen Gänge zehnmal schöner seien, und dass er sie nicht wollte und dass er keine wollte. Einmal stand er dazwischen auf und ging an seinen Mantel. Er nahm die Zigaretten heraus, die noch darin waren, auch das Taschentuch, auch die Schlüssel. Und nun hing der schwarze Paletot leer an seinem Garderobenständer.
Kurze Zeit darauf wollte das Mädchen für einen Augenblick raus, und er fing einen neckischen Streit mit ihr an, ob sie auch wiederkäme. Er tat so, als traue er ihrer Treue nicht ganz, als glaube er, sie wolle sich nun verdrücken, nachdem er zehn oder zwölf Liköre ausgegeben hatte. Und er erreichte schließlich, dass sie ihm lachend ihre Tasche als Pfand daließ. »Reich wirst du aber nicht damit!«
Er hatte beim Heraufgehen gesehen, die Toiletten lagen auf der halben Treppe. Und kaum war sie aus dem Lokal, so stand auch er auf (die Handtasche hatte er unter das Jackett geschoben), sagte zu dem Ober: »Sehen Sie ein bisschen auf meinen Mantel«, und stieg die Treppe hinunter.
Aber er ging an den Toiletten vorbei, rasch auf die Straße, drängte sich eilig das kurze Stück bis zur Reichenstraße durch, nahm ein Auto und fuhr nach Haus.
Mochten die sich an Mantel und Hut des Handtaschenräubers freuen. Mochten die noch eine Beschreibung von ihm bekommen! Entweder war er Ende dieser Woche aus Hamburg fort, oder es war doch alles vorbei.