Kitabı oku: «Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frisst – Band 185e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski», sayfa 5

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„Seien Sie kein Tor“, sagt der andere energisch. „Der Pastor meldet Sie an, das ist eine Formalität, die ebensogut der Polizeiinspektor oder der Postwachtmeister machen könnte. Zufällig macht sie nun mal der Pastor.“

„Ich gehe nicht gerne zum Pastor.“

„Nun schön. Wollen Sie fünf Minuten Unannehmlichkeiten beim Pastor in Kauf nehmen oder lieber versacken? Also! Kommen Sie!“

Der Direktor ist schon halb auf dem Gang und geht Kufalt eilig voraus.

* * *

4

Plötzlich ruft Kufalt den Direktor, der schon fast an der Tür des Pastorenzimmers ist, an: „Herr Direktor, bitte noch was!“

Der Direktor wendet sich um: „Ja?“

„Der Bruhn, Herr Direktor, kommt doch auch übermorgen raus. Wenn Sie einmal mit ihm reden könnten?“

„Ja?“

„Es ist da was im Busch. Ich glaube, es haben ihm welche Versprechungen gemacht, und nun soll er angeschissen werden.“

Der Direktor überlegt eine Weile, er denkt scharf nach, dann fragt er: „Werkmeister?“

Kufalt sieht den Direktor an, aber er schweigt.

„Sie wollen nicht mehr sagen?“

Zögernd antwortet Kufalt: „Seit Sethe eigentlich nicht mehr sehr gerne.“

Sie stehen sich beide gegenüber auf dem Bürogang, Gefangener und Gefängnisdirektor, sie denken beide an jene Unterredung, da der Direktor dem Gefangenen Hilfe, Aufdeckung versprach. Die Stirn des Direktors ist dunkelrot geworden. Er sagt behutsam: „Es ist alles nicht so leicht Kufalt. Man muss schustern, ewig schustern...“

Und plötzlich rasch entschlossen: „Also, ich werde mit Bruhn reden, dass er keine Dummheiten macht.“

Und er geht Kufalt rasch ins Pastorenzimmer voran.

„Hier, Herr Pastor, bringe ich Ihnen Kufalt. Er hat ein Anliegen an Sie.“ Und zu Kufalt: „Also, lassen Sie es sich gut gehen. Halten Sie die Ohren steif und – alles Gute!“

Er gibt ihm die Hand, leise murmelt Kufalt etwas, und der Direktor ist fort.

Der Pastor sagt: „Also, mein lieber junger Freund, Sie haben ein Anliegen an mich. Sprechen Sie sich aus, sagen Sie mir alles, was Sie auf dem Herzen haben.“

‚Das möchtest du wohl’, denkt Kufalt und schaut mit kaum verhohlenem Widerwillen in das glatte, wohlgenährte Gesicht.

Pastor Zumpe ist schneeweiß von Haar, hat auch einen schönen, weißen, glatten Teint, aber dunkle Augen, über denen sehr buschige und rabenschwarze Brauen sitzen. Im Kittchen geht das Gerücht, diese Brauen seien nicht echt. Jeden Sonntag vor der Predigt klebe sie sich der Pastor neu an, mit Leim, und zum Beweise, dass dies kein bloßes Gerücht sei, führen seine Anhänger an, dass manchmal eine Braue höher sitze als die andere.

Der Pastor sieht den Gefangenen freundlich an, es ist eine milde Freundlichkeit, etwas kaninchenhaft, aber das hilft nichts: Kufalt spürt genau, dass er diesem Mann völlig gleichgültig ist.

Der Pastor fragt wieder: „Also wo fehlt es, Kufalt? Brauchen wir noch etwas? Einen schönen Anzug zur Entlassung? Der kostet viel Geld, aber bei Ihnen lohnt es vielleicht. Bei Ihnen ist ja noch Hoffnung.“

„Danke“, sagt Kufalt, „Ich will keinen Anzug. Aber Herr Direktor hat mir gesagt, ich muss zu Ihnen wegen der Anmeldung für ein Heim mit stellungslosen Kaufleuten. Darum bin ich hier.“

„Also Sie wollen nach Friedensheim? Das ist erfreulich. Sehr erfreulich. Es ist eine große Vergünstigung, wenn man dort aufgenommen wird, mein lieber Kufalt. Sie leben dort – herrlich, kann ich Ihnen versichern. So gutes Essen. Und reizende Zimmer. Und ein entzückender Tagesraum mit einer vorzüglichen Bibliothek. Ich bin selbst dort gewesen, alles habe ich mir angesehen. Vorbildlich.“

„Und die Arbeit?“ fragt Kufalt argwöhnisch. „Wie ist denn die?“

„Ach ja“, sagt der Pastor überrascht, „richtig, die Herren arbeiten. Das ist vorzüglich organisiert. Da siind ein großer Raum und sehr viel Schreibmaschinen, und da sitzen die Herren und schreiben. Es sieht so – gemütlich aus.“

„Was verdient man denn da?“

„Ja, mein lieber junger Freund, wie soll ich Ihnen das sagen? Es ist doch eine Wohltätigkeit, eine Hilfe, die Ihnen geleistet wird. Aber natürlich werden Sie genau bezahlt. Den Betrag kann ich Ihnen nicht sagen, aber Sie verdienen sicher sehr gut.“

„Na schön“, sagt Kufalt, „wollen Sie dann mal die Anmeldung ausschreiben?“

„Ja. Hier sind schon die Formulare. Wie heißen Sie? Also Kufalt. Und mit Vornamen? Willi? Also Wilhelm.“

„Nein, nicht Wilhelm. Willi. Ich bin auf den Namen Willi getauft.“

„Wirklich? Aber Willi ist eine Verstümmelung. Nun, lassen wir es dann also. Willi ... hmmm ... Willi. Und wann geboren? – Da werden Sie ja bald dreißig! Es wird Zeit, lieber Freund, hohe Zeit. – Und weswegen bestraft? – Unterschlagung und Urkundenfälschung? Schwere? Also Unterschlagung und schwere Urkundenfälschung. Wie lange?“

„Wozu müssen die in dem Heim denn das eigentlich wissen? Ich denke, damit ist es nun alle, hab's abgesessen.“

„Aber die wollen Ihnen doch helfen, lieber Kufalt. Und wenn man Ihnen helfen will, muss man Sie kennen. Wie lange?“

„Fünf Jahre.“

Der Pastor wird immer freundlicher und sanfter, je brummiger Kufalt antwortet. Fast gerührt fragt er: „Und die Ehrenrechte, mein lieber Kufalt? Die bürgerlichen Ehrenrechte – die haben Sie doch noch?“

„Ja, habe ich noch.“

„Und die lieben Eltern? Was ist denn der liebe Vater?“

Kufalt verzweifelt wirklich. Heftig sagt er: „Um Gottes willen, Herr Pastor, können Sie damit nicht aufhören? Das macht mich ... Was haben denn meine Eltern mit dem Krempel zu tun?“

„Lieber Kufalt, seien Sie doch ruhig ... Es ist bestimmt alles zu Ihrem Besten. Sehen Sie, man muss doch wissen, aus welchen Kreisen Sie stammen. Einen Arbeitersohn kann man natürlich nicht für einen Privatsekretärposten in feinem Hause empfehlen. Nicht wahr? Also, was ist der liebe Herr Vater?“

„Tot.“

Der Pastor ist immer noch nicht ganz zufrieden, aber er lässt es auf sich beruhen: „Soso. – Aber die Mutter, die lebt noch, nicht wahr? Die ist Ihnen noch geblieben?“

„Herr Pastor“, sagt Kufalt und steht auf, „ich bitte, mir die Fragen kurz und knapp, wie sie dort vorgedruckt sind, vorzulesen!“

„Aber, mein lieber, junger Freund, was haben wir denn? Ich verstehe Sie nicht. Ja, doch, doch, ich weiß, es ist eine wunde Stelle, wenn man mit seinen Nächsten auseinander ist. Daran darf nicht gerührt werden. Aber sie schreibt Ihnen doch, Ihre Mutter, sie schreibt doch?“

„Nein, sie schreibt nicht!“ schreit Kufalt. „Und das wissen Sie ganz gut. Sie lesen ja die Briefe, Sie haben ja die Zensur.“

„Aber, mein lieber, junger Freund, dann müssen Sie hinfahren! Zu Ihrer Mutter! Dann dürfen Sie nicht nach Friedensheim. Dann fahren Sie hin zu Ihrer Mutter, sicher verzeiht sie Ihnen!“

„Herr Pastor“, fragt Kufalt kalt entschlossen, „was ist es mit dem Blumenstrauß?“

Pastor Zumpe ist wirklich verblüfft. In einer ganz anderen Tonart völlig ohne Sanftheit fragt er: „Mit dem Blumenstrauß? Mit welchem Blumenstrauß?“

„Ja, mit welchem Blumenstrauß wohl?!“ höhnt Kufalt jetzt ganz offen. „Was ist mit Ihrem Blumenstrauß, den Sie drei Wochen nach Weihnachten dem schwindsüchtigen Siemsen in die Zelle gebracht haben? Was ist mit der Anzeige von Siemsen geworden, die er gegen Sie an den Strafvollzugspräsidenten geschrieben hat? Ist die in Ihren Papierkorb gekommen?“

Und Kufalt sieht sich wild im Zimmer nach dem Papierkorb um, als könnte die Anzeige heute, ein Vierteljahr später, noch drin liegen.

Der Pastor ist erschüttert: „Aber mein lieber, junger Freund, so beruhigen Sie sich doch! So etwas muss Ihnen ja schaden. Sie sind einem Irrtum zum Opfer gefallen, einem jener hässlichen Gerüchte ... Wenn ich dem kranken Gefangenen Siemsen einen Blumenstrauß gebracht habe, so darum, um ihm eine Freude zu machen, aber doch nie...“

Überwältigt bricht der Pastor ab.

„Sie haben, Herr Pastor Zumpe“, sagt Kufalt wild, „dem Siemsen wie seiner Frau zu Weihnachten zehn Zentner Briketts und ein Lebensmittelpaket versprochen für seine Familie. Das war von der Gefangenenfürsorge bewilligt. Die Frau hat gewartet und gewartet mit den Kindern. Sie haben es einfach vergessen. Und als die Frau dann zu Ihnen gekommen ist, haben Sie sich verleugnen lassen. Und als Sie von ihr auf der Straße angesprochen worden sind, haben Sie gesagt, sie soll Sie zufrieden lassen, es sind keine Mittel mehr da. – Das ist so, Herr Pastor, das wissen alle Gefangenen im Bau und die Beamten wissen es auch.“

„Hören Sie mal“, ruft der Pastor wütend, „das ist alles nicht wahr, Entstellungen sind das, Verleumdungen. Wissen Sie, dass ich Sie wegen Beamtenbeleidigung anzeigen kann? Die Siemsen ist eine zweifelhafte Person, sie lässt sich mit anderen Männern ein, einer Unterstützung ist sie gar nicht würdig!“

„Wahrscheinlich soll sie ihre Gören verhungern lassen, statt auf den Strich zu gehen! – Und wie ist es denn, Herr Pastor, sind Sie nicht an dem Tage zu Siemsen mit Ihrem Blumenstrauß gekommen, als er in seiner Wut an den Strafvollzugspräsidenten geschrieben hatte?“

„Aus Mitleid bin ich zu ihm gegangen. Die Anzeige war bloßer Unsinn, denn der Fürsorgeverein ist ein privater Verein und für den ist der Herr Präsident gar nicht zuständig!“

„Darum haben Sie wohl dem Siemsen gute Worte gegeben, dass er die Anzeige zurücknimmt? Und das dumme Schwein tut's wirklich! Aber ich werde sie schreiben, wenn ich rauskomme, an die Zeitungen werde ich den Fall geben...“

„Tun Sie das nur“, sagt der Pastor giftig. „Sie werden ja sehen, wie weit Sie kommen. Ich bin vierzig Jahre Pastor hier, ich habe andere Leute wie Sie ausgestanden. – Ist Ihre Mutter in der Lage, Sie zu ernähren?“

„Nein.“

„Welcher Religion sind Sie?“

„Noch evangelisch. Aber ich trete so rasch wie möglich aus.“

„Also evangelisch. – Was können Sie?“

„Büroarbeiten.“

„Welche?“

„Alle.“

„Können Sie spanische Geschäftsbriefe schreiben?“

„Nein.“

„Also, welche Büroarbeiten können Sie?“

„Schreibmaschine, Stenographie, doppelte amerikanische und italienische Buchführung, bilanzsicher. Und so das Übliche.“

„Also nicht spanisch. Können Sie Vervielfältigungsmaschinen bedienen?“

„Nein.“

„Falzmaschinen?“

„Nein.“

„Adressiermaschinen?“

„Nein.“

„Sehr wenig. So – nun haben Sie hier zu unterschreiben.“

Kufalt überfliegt den Fragebogen. Plötzlich stutzt er. „Hier steht, dass ich die Hausordnung anerkenne. Wo ist denn die?“

„Die Hausordnung ist die Hausordnung. Die müssen Sie natürlich anerkennen.“

„Aber ich muss doch wissen, was ich anerkenne. Darf ich die mal sehen?“

„Ich habe keine hier. Mein lieber Herr Kufalt, für Sie wird keine extra gemacht. Der haben sich alle unterworfen, also werden Sie' s auch müssen.“

„Ich unterschreibe nicht, was ich nicht kenne.“

„Ich dachte, Sie wünschten, in das Heim aufgenommen zu werden.“

„Ja, aber die Hausordnung muss ich erst sehen. Sie haben sicher eine hier.“

„Ich habe keine hier.“

„Dann kann ich auch nicht unterschreiben.“

„Und ich nicht Ihre Aufnahme empfehlen.“

Kufalt steht einen Augenblick unschlüssig und betrachtet den Pastor. Der sitzt am Schreibtisch und blättert in Briefen.

„Sie sollten die Briefe rascher zensieren, Herr Pastor“, sagt Kufalt. „Es ist eine Schweinerei, wenn die Briefe hier zwei Wochen liegen.“

Der Pastor sieht gar nicht erst hoch. „Also Sie unterschreiben nicht?“

„Nein“, sagt Kufalt und geht.

* * *

5

Kufalt sieht sich auf dem Gang um. Drüben, bei der Aufnahme, stehen sechs, acht Mann, acht Mann in Zivil, neu eingelieferte Gefangene. Bei ihnen hat Oberwachtmeister Petrow Aufsicht, der bläst nichts, was ihn nicht brennt. Sonst ist der Gang leer.

Kufalt geht in der anderen Richtung, vom Zellengefängnis fort, von Petrow fort, an all den Bürotüren vorbei, bis er zur Treppe, die ins Erdgeschoss führt, kommt. Dies ist eine Beamtentreppe, für Gefangene nicht zu betreten, aber er wagt es.

Keiner begegnet ihm, er steigt nach unten, bis in den Keller, und hier stellt sich Kufalt an eine andere große Eisentür, die in des Hausvaters Reich führt. Der Pastor hat ihn auf einen Gedanken gebracht: in welchem Zustand wird sein Anzug sein?

Fünf Jahre ist es her, seit er eingeliefert wurde, er versucht vergeblich, sich zu erinnern, was er damals anhatte. Er besaß damals nur, was er auf dem Leibe trug: Anzug und Wintermantel und Hut, und dazu in einer Aktentasche ein Nachthemd und eine Zahnbürste.

Also wird er auch Wäsche kaufen müssen. Ehe er noch draußen ist, schwindet sein Geld, schwindet. Und wie wird der Anzug aussehen, jetzt nach fünf Jahren?

Er steht da an der Eisentür und sieht kummervoll vor sich hin. Sicher, es ist mit der Entlassung viel zu schnell gekommen, nichts ist vorbereitet, vor allem ist er nicht vorbereitet. Nun ist es auch wieder mit dem Heim nichts geworden, er wird ein Zimmer mieten müssen ... Wenigstens bekommt er sein Geld gleich ganz ausbezahlt, das hat er beim Direktor erreicht, ein, zwei Monate hat er zu leben. Und kann sich auch ein bisschen was kaufen. Aber dann –?

Wachtmeister Strehlow kommt. „Nanu, was stehen Sie denn hier? Wo ist denn Ihr Wachtmeister?“

„Ich war zur Vorführung bei Direktor und Pastor. Ich soll zum Hausvater wegen meiner Sachen. – Weil ich doch morgen rauskomme“, fügt er erläuternd zu.

„Lasst euch doch gleich 'nen Schlüssel geben, ihr von der dritten Stufe! Wir sind ja schon ganz überflüssig. Läuft allein rum im Bau! Na, es geht so lange, bis einem von uns der Schädel eingeschlagen wird, dann werden's die Herren am grünen Tisch ja kapiert haben, was sie hier anrichten.“

Aber Strehlow lässt Kufalt doch durch, schimpfend, aber er lässt ihn durch, schließt hinter ihm wieder ab und geht die Beamtentreppe hinauf.

Kufalt ist auf einem langen Kellergang, rechts und links stehen die Türen der Läger auf. Im Vorbeigehen sieht er Regimenter von Essschüsseln aufmarschiert, Armeen von Kübeln. Unter unendlichen Wäschestößen haben sich die Regale durchgebogen. Immer näher kommt er der Abfertigung, dorthin, wo der Hausvater sitzt. Sein Herz klopft stark, nun kommt alles auf die Stimmung des Hausvaters an.

Der Hausvater ist nämlich ein feiner Kerl, er behandelt keinen Gefangenen wie einen Gefangenen, sondern genauso wie alle anderen Menschen: gut, wenn er guter Stimmung, hundemäßig, wenn er schlechter ist. Und wenn er schlechter ist, schmeißt er Kufalt einfach raus und womöglich gleich in Arrest, dass er hier allein angesackt kommt.

Weiter ist aber auch wichtig, wie man es mit der Anrede hält. Es gibt zwei Parteien im Bunker: die eine behauptet, er will durchaus ‚Hauptwachtmeister’ genannt werden, die andere schwört auf die Anrede ‚Hausvater’.

Kufalt hat früher zur Hauptwachtmeisterpartei gehört, ist aber, trotz dieser Anrede, zweimal rausgeflogen mit seinen Anliegen. Bei ‚Hausvater’ ist er erst einmal angeschnauzt worden, und das kann nun wirklich gewesen sein, weil er Putzpomade verlangt hatte. So was ist ein Ansinnen, eine Frechheit, nur den Kalfaktoren, die Beamtengerät zu putzen haben, steht Putzpomade zu.

Er nimmt einen Anlauf und landet vor dem Hausvater.

„Herr Hausvater, ich komme von Herrn Pastor. Ich wollte mal fragen, Herr Hausvater, ob meine Sachen noch gut sind. Sonst kriege ich vielleicht was von Herrn Pastor.“

„Wo kommen Sie denn allein her?“ fragt auch der Hausvater zuerst. „Wo ist denn Ihr Wachtmeister?“

„Ich bin so durchgelassen“, sagt Kufalt.

„Wer hat Sie denn durchgelassen? Der Pastor?“

Kufalt nickt.

„Dieser elende Pfaffe!“ schimpft der Hausvater. „Da sieht man's wieder. Wenn wir mal eine Erleichterung für die Gefangenen wollen, dann ist er immer dagegen, weil ‚Strafe Strafe bleiben soll’, aber er ist zu faul, die zwanzig Schritt den Gang runterzugehen. Na warte, in der nächsten Beamtenkonferenz bringe ich das aber vor.“

Kufalt hat andächtig zugehört. Der Hausvater ist guter Laune, er kann auf die Pfaffen schimpfen, das mag er gerne, der Hausvater ist nämlich rot. Und die nächste Beamtenkonferenz ist erst am Dienstag, dann ist Kufalt schon längst draußen.

„Was wollen Sie denn nun eigentlich?“ fragt der Hausvater gnädig, „'nen Anzug schnorren? Ihrer ist noch ganz gut.“

„Wenn ich ihn einmal anprobieren dürfte, Herr Hausvater“, schmeichelt Kufalt. „Ich hab' hier so 'nen Bauch gekriegt von all dem Brei!“

„Nach Bauch sehen Sie aber nicht aus. Na, mir soll's recht sein, trotzdem man dem Pfaffen wirklich den Gefallen nicht tun sollte. – Bastel, holen Sie mal dem Kufalt seine Sachen.“ Er blättert in dem Register. „Fünfundsiebzig dreiundsechzig. – Ist der Anzug vom Schneider schon zurück?“

„Jawoll, Herr Hauptwachtmeister“, schallt es aus dem Gewölbe, und der Hausvaterkalfaktor Bastel erscheint mit einem großen Sack, in dem kunstvoll auf einem Bügel geordnet sämtliche Sachen des Gefangenen Kufalt hängen.

„Wart schon“, sagt Bastel zu Kufalt. „Ich nehm deine Kluft lieber selbst raus. Du zerknautschst sie nur.“

Es ist der dunkelblaue Anzug mit dem weißen Nadelstreifen, Kufalts Herz jauchzt, den hat er höchstens fünf- oder sechsmal angehabt.

„Ein feiner Anzug“, sagt auch der Hausvater. „Was haben Sie dafür bezahlt?“

„Hundertsechsundsiebzig“, sagt Kufalt aufs Geratewohl.

„Viel zu viel Geld“, sagt der Hausvater. „Höchstens neunzig Mark.“

„Das ist aber auch fast sechs Jahre her“, gibt Kufalt zu bedenken.

„Da haben Sie recht, damals waren Anzüge noch teuer. Heute sechzig, siebzig Mark. Es gibt schon welche für zwölf und fünfzehn.“

„So was!“ staunt Kufalt bereitwillig.

„Nee, Ihre Wäsche behalten Sie an. Ihr Oberhemd ist überhaupt noch nicht von der Plätterin zurück, bei der müssen wir heute Abend rangehen, Bastel. – Ja, fein kommt ihr raus, ihr Jungen. Die reinen Kavaliere, an uns liegt's nicht.“

Und dafür ist der Hausvater wirklich bekannt, die Sachen hält er tipptopp, das ist sein Stolz, da darf kein Fäserchen fehlen. Seine Kalfaktoren haben schweren Dienst.

„Gut sieht das aus. Ein ganz anderer Mensch, Kufalt. – Bastel, sehen Sie sich bloß mal den Kufalt an...“ Er unterbricht sich ärgerlich: „Was will der Batzke hier? Herr Steinitz, ich will den Kerl hier unten nicht haben, wenn es nicht unbedingt sein muss. Der stänkert nur. Ja, Sie stänkern, Batzke, Sie sind auch jetzt nur zum Stänkern gekommen.“

„Ich hab' ja noch nicht den Mund aufgemacht“, sagt Batzke und sucht Bastel mit den Augen. Kufalt beachtet er gar nicht.

„Anordnung vom Direktor“, sagt Wachtmeister Steinitz. „Batzke darf seine Sachen anprobieren. Ob sie noch passen.“

„Hab' ich hier 'ne Ankleidestube? Nächstens kommt der ganze Bau und probiert an. Der Direktor könnte auch was Schlaueres tun. Hauen Sie wenigstens ab, Kufalt. Ihre Schuhe –? Ach was, Ihre Schuhe werden schon passen.“ Milder: „Na, meinethalben, probieren Sie Ihre Schuhe noch an. Bastel, die Sachen von Batzke, Nummer vierundzwanzig neunzehn!“

Bastel kommt mit einem neuen Sack, und Batzke flüstert hastig mit Bastel, der nickt, dann mit dem Kopfe wiegt. Aus der Mütze, die Batzke in der Hand hielt, tauchen plötzlich vier Pakete Tabak, eines nach dem anderen auf und verschwinden in Bastels Händen.

Bastel zieht sich zurück, die beiden Beamten reden miteinander am Fenster.

Kufalt müht sich mit seinen Schuhen. Er kriegt und kriegt sie nicht an, wahrscheinlich liegt es an den dicken wollenen Socken. Und die zivilen Strümpfe sind noch in der Wäsche. Aber so eng waren die Schuhe doch gar nicht! Kann man noch Ende Zwanzig größere Füße kriegen?

Plötzlich klingt Batzkes Stimme laut und vernehmlich durch den Raum: „Hier ist ein Mottenloch!“

Der Hausvater macht drei Schritte. Dann bleibt er stehen. „Natürlich, der Batzke! Natürlich stänkern! Ein Mottenloch. Siebzehn Jahr bin ich hier Hausvater und es hat noch nie ein Mottenloch gegeben.“

Er kehrt um und geht wieder ans Fenster.

„Und hier ist noch ein Mottenloch. Und hier unterm Aufschlag alles zerfressen.“

„Zeigen Sie her! Verrückt sind Sie ... Nie hat eine Motte...“

„Und es sind doch Motten in meinen Sachen“, sagt Batzke unerbittlich und sieht gleichmütig den wütenden Hausvater an.

Der zerrt das Jackett ans Licht. „Es ist unmöglich ... oh, gottverdammte Hurerei ... Bastel, verfluchter Hund, warum hast du mir nicht gesagt, dass in Batzkes Sachen die Motten sind?“

Bastei blickt dumm: „Hab' Schiss gehabt, Herr Hausvater.“

„Und warum haben die Schneider nichts gesagt?“

„Sind zu feige gewesen, Herr Hausvater, haben Schiss gehabt.“

„Warum hast du's nicht zum Kunststopfen gegeben?“

„Hab' gedacht, ich kriegte was auf den Deckel.“

„Hier in der Hose sind auch Mottenlöcher“, lässt sich Batzke ungerührt vernehmen.

„Schweinerei, verfluchte –! Ich sage, dieser Batzke ... Nie habe ich Motten gehabt ... Aber es geht nicht mit rechten Dingen zu, Batzke, da ist...“

Eine Erleuchtung kommt ihm: „Die waren drin, als Sie kamen! Mitgebracht haben Sie die, Batzke!“

„Müsste im Protokoll stehen. Müsste ich unterschrieben haben, Herr Hausvater.“

„Und das haben Sie auch! Warten Sie!“ Der Hausvater reißt Akten aus dem Fach. „Wie lange sind Sie drin? Wann sind Sie aufgenommen?“

„Wie soll ich das noch wissen, Hausvater?“ sagt Batzke gemütlich. „So oft wie ich rein- und rauskomme. Das steht doch alles in Ihren dicken Büchern.“

Der Hausvater hat es schon gefunden. Er liest mit gerunzelter Braue das Aufnahmeprotokoll. Er liest es noch einmal. Und zum dritten Mal. Dann sagt er mit erzwungener Ruhe: „Also ich lass Ihnen den Anzug kunststopfen, Batzke.“

„Ich hab' 'nen heilen Anzug mitgebracht Hausvater. Ich will mit 'nem heilen Anzug wieder raus. Ein gestopfter steht mir nicht zu.“

„Das sieht kein Mensch, wenn der gestopft wird, Batzke. Die Stellen sind dann fester als die anderen.“

„Brauch' keine festeren Stellen, Hausvater, ich will 'nen heilen Anzug.“

„Woher soll ich den denn jetzt noch nehmen, Batzke? Seien Sie vernünftig. Bis Sonntag kriegen die Schneider doch keinen fertig.“

„Gehen wir in die Stadt, Herr Hauptwachmeister. Kaufen wir einen. Ich trag auch Konfektion, Hausvater, ich bin gar nicht so.“

„Und das Geld ... Muss ich wahrhaftig Ihretwegen beim Pfaffen betteln, dass die Gefangenenfürsorge Geld rausrückt –! – Was stehen Sie hier noch rum, Kufalt? Wollen Sie machen, dass Sie türmen!“

„Meine Schuhe, Herr Hausvater!“

„Was ist mit Ihren Schuhen heh? In Ihren Schuhen sind wohl auch die Motten? Gehen Sie, Herr Steinitz, lassen Sie den Kufalt durch. Einfach durchlassen. Ist ja auch so gekommen, der große Herr!“

„Aber ich kann die Schuhe nicht...“

„Ich kann sie auch nicht...! Himmeldonnerwetter, Steinitz, nehmen Sie den Kerl mit! Und Sie, Batzke, also hören Sie mal...“

Kufalt ist auf dem Gang. Oberwachtmeister Steinitz lässt ihn ins Zellengefängnis. „Gehen Sie gleich auf Ihre Zelle, Kufalt. Nein, vorher melden Sie im Glaskasten beim Hauptwachtmeister, dass Sie zurück sind.“

* * *

6

Als Kufalt am Glaskasten steht, um seine Meldung zu machen, ist der Kasten leer. Kein Hauptwachtmeister zu sehen. Kufalt hebt den Kopf und späht in den Bau: Nichts. Natürlich sind da Kalfaktoren im Gang, beim Schrubbern und Wachsen und Wichsen des Linoleums, und natürlich sind da Beamte unterwegs, aber hierher sieht keiner.

Kufalt schaut in den Glaskasten. Die Schiebetür steht halb offen. Es muss gerade Post gekommen sein, ein ganzer Stoß Briefe liegt dort und obenauf liegt ein länglicher, gelber Umschlag mit einer weißen Einschreibequittung.

Er sieht sich um. Niemand scheint auf ihn zu achten. Er späht durch die Tür. Nun liest er, was er schon ahnte: „Herrn Willi Kufalt, Zentralgefängnis.“

Der lang ersehnte Brief von Schwager Werner Pause, der Brief mit Geld oder einer Anstellung.

Es ist nur ein Griff, und Brief nebst Einschreibzettel sind in seiner Tasche geborgen. Langsam geht Kufalt über die Treppe zur Zelle.

Da steht er nun an seinem Tisch unter dem Fenster, den Rücken sorgfältig gegen den Spion, damit niemand sehen kann, was er mit den Händen tut.

Vorsichtig befingert er den Umschlag. Ja, es ist etwas drin, eine Einlage. Sie schicken ihm Geld! Es ist kein sehr umfangreicher Brief, scheint es, aber eine dickere Einlage ist darin.

Also hat Werner ihm doch geholfen. Eigentlich, ganz drinnen, hat er nie daran geglaubt. Aber der Werner ist eben doch ein anständiger Kerl, da kann man sagen, was man will. Dass er erst, als die Sache passierte, so wütend war, nun, übelnehmen konnte man das eigentlich nicht.

Ach, das gute Leben jetzt draußen. Wie wird es schön sein! Keine Entbehrungen, wenn er natürlich auch sehr, sehr sparsam sein wird. Aber man kann in ein Café gehen und vielleicht mal in eine Bar...

Unter tausend Mark können sie nicht schicken, sonst ist es überhaupt kein Start. Und in vier oder fünf Wochen kann man dann noch einmal um eine größere Summe bitten, drei- oder viertausend, um sich ein nettes Geschäft einzurichten, vielleicht Zigaretten...

Nein. – Nein. –

Die Einlage ist kein Geld, ein Schlüssel, ein flacher Schlüssel, ein Kofferschlüssel. Schade ... Und der Brief:

„Herrn Willi Kufalt,

z. Z. Zentralgefängnis, Zelle 365.

Wir beehren uns, Ihnen im Auftrage von Herrn Werner Pause mitzuteilen, dass Herr Pause Ihren Brief vom 3.4. und Ihre früheren Briefe erhalten hat. Herr Pause bedauert, Ihnen sagen zu müssen, dass z. Z. in seinen Büros keine Stellung für Sie frei ist, dass er aber auch, selbst wenn eine frei würde, sie aus sozialen Gesichtspunkten einem der vielen nicht vorbestraften Arbeitslosen geben müsste, die teilweise im tiefsten Elend leben. Was die weiter von Ihnen erbetene geldliche Unterstützung angeht, so bedauert Herr Pause, Sie auch in diesem Punkte abschlägig bescheiden zu müssen. Nach unseren Erkundigungen haben Sie während Ihrer Haftzeit eine nicht unbeträchtliche Summe für Arbeitsbelohnung verdient, die Sie direkt nach Ihrer Entlassung vor Entbehrungen schützen dürfte. Auch verweist Sie Herr Pause nachdrücklich auf die zahlreichen Fürsorgevereine, in deren Arbeitsgebiet Ihr Fall fällt und die sicher gerne etwas für Sie tun werden.

Herr Pause lässt Sie nachdrücklichst ersuchen, weitere Zuschriften weder an ihn noch an seine Frau, Ihre Schwester, oder an Ihre Mutter zu richten. Die gehabten Aufregungen sind nur schwer und unvollkommen verwunden, ihre Wiederaufrührung würde nur schärferes Abrücken von Ihnen zur Folge haben. Herr Pause lässt Ihnen aber per Eilfracht einen Teil Ihrer Sachen zugehen, den Rest werden Sie erhalten, wenn Sie sich mindestens ein Jahr einwandfrei geführt haben. Den Kofferschlüssel fügen wir diesem Briefe bei.

Indem wir Ihnen dieses mitteilen, verbleiben wir

mit vorzüglicher Hochachtung

Pause und Mahrholz

ppa. Reinhold Stekens.“

Der Maitag ist noch immer hell und strahlend, die Zelle ganz licht. Draußen ist Freistunde. Die Füße scharren und scharren.

„Fünf Schritte Abstand! Abstand halten!“ ruft ein Wachtmeister. „Halten Sie den Mund, oder es gibt eine Anzeige!“

Kufalt sitzt da, den Brief in der Hand. Er starrt vor sich hin.

* * *

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