Kitabı oku: «Wolf unter Wölfen», sayfa 17
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An diesem 26. Juli 1923 wollte die geschiedene Gräfin Mutzbauer, ein geborenes Fräulein Fischmann, mit ihrem derzeitigen Freund, einem Berliner Viehhändler namens Quarkus, über Land fahren, um Höfe zu besichtigen.
Der Viehhändler, ein Mann Ende der Vierzig, untersetzt, mit krausem, dunklem und schon etwas dünn gewordenem Haar, mit faltiger Stirn und ebenso faltigem Specknacken, langjähriger, fast schon silberner Ehegatte und Vater von fünf Kindern – dieser Viehhändler also hatte es zuerst mit Freude angesehen, wie ihn die Inflation immer reicher machte. Wenige Monate hatten ihn aus einem Mann mit einem Wochenumsatz von einem Waggon Schweinen und zwei Dutzend Rindern zu einem Großhändler gemacht, dessen Aufkäufer bis nach Süddeutschland, ja sogar bis ins Holländische hinein reisten. Ehe nämlich das gekaufte und bezahlte Vieh in Berlin eingetroffen, ja, ehe es auch nur verladen wurde, war es um das Doppelte, ja um das Dreifache, Fünffache an Wert gestiegen, und Quarkus hatte noch immer recht behalten, wenn er seinen Herren Aufkäufern gesagt hatte: Bezahlt, was die Leute verlangen – es ist doch immer zu wenig!
Zuerst also hatte Herrn Quarkus dies Geldscheffeln reine Freude gemacht. Zwei Monate hatten genügt, ihm die Schultheißkneipen, die Bötzowbraustübl und die Aschingerquellen zu verleiden. Es war ein großzügiger, sogar beliebter Gast aller Bars der alten Friedrichstadt und des neuen Westens geworden und behauptete mit Überzeugung, daß man nur in drei Lokalen Berlins wirklich anständig essen könne. Und als ihm geschah, daß eine wirkliche Gräfin ihn in ihre Arme schloß, meinte er, kein Erdenwunsch sei ihm noch unerfüllt.
Allmählich aber, je reicher er wurde, je weniger Geld eine Rolle spielte, um so nachdenklicher wurde der Viehhändler Quarkus. Sein unbedenklicher Optimismus, der ihn ohne jeden Gedanken an die Zukunft immer weiter mit dem Fallen der Mark hatte rechnen lassen, wurde verdüstert von den Sprüngen, die er die Mark um den Dollar tun sah, Sprünge, die einen Floh über das Ulmer Münster weggetragen hätten.
Was zuviel ist, ist zuviel, murmelte er, wenn er erfuhr, daß seine Schweine ihm den zwanzigfachen Einkaufspreis gebracht hatten. Und in einer Zeit, da Hunderttausende nicht wußten, wo sie das Geld für ein Stück Brot hernehmen sollten, machte ihn der Gedanke schlaflos, wo er eigentlich mit seinem Gelde hin sollte.
Das Wort ›Sachwerte‹, von vielen Seiten geraunt, hatte auch das Quarkussche Ohr erreicht. Keiner kommt von seiner Jugend los. Der Junge Emil (der Name Quarkus hatte für seine Umwelt erst ab seinem fünfundzwanzigsten Jahr Bedeutung bekommen), der Junge Emil hatte viele deutsche Landstraßen entlang eine Kuh treiben, drei Schweine hüten müssen. Er war Viehtreiber gewesen, ehe er Viehhändler geworden. Der schmächtige, immer hungrige Bengel hatte mit sehnsüchtigen Augen nach den Bauernhäusern längs der Landstraße geschaut, aus deren Türen es so verlockend nach Bratkartoffeln mit Speck roch. Jagte der Wind, trieb Regen oder Schnee, fror es Pickelsteine – immer lagen die Höfe behaglich geduckt am Wege, ihre breiten Stroh- oder Ziegeldächer verhießen Schutz, Wärme, Behaglichkeit. Selbst der Ochse, den Emil Quarkus trieb, merkte das: er hob im Regen, den Schwanz steif von sich reckend, das Maul und brüllte die Höfe sehnsüchtig an.
Was dem Knaben Emil Inbegriff aller Sicherheit und Behaglichkeit gewesen war, blieb für den Mann Quarkus eine feste Burg. In der Zeit der hüpfenden, springenden, stürzenden Mark konnte nichts sicherer sein als ein Bauernhof – höchstens fünf oder zehn Bauernhöfe. Und Quarkus war entschlossen, sie sich zu kaufen.
Die Gräfin Mutzbauer, das geborene Fräulein Fischmann (was sie freilich ihrem Freund Quarkus nicht erzählte), war allerdings mehr für ein Rittergut mit Schloß, Freitreppe und Rennstall gewesen. Doch war diesmal Quarkus eisern. Ich habe genug Vieh auf Rittergütern gekauft, sprach er. Ich werde mir doch keine Sorgen kaufen!
Er war sicher, kam er mit einer Handtasche, besser noch mit einem Koffer voll Geld auf einen Hof, verlangte eine Kuh zu kaufen, kaufte er zehn, warf mit dem Gelde, prahlte mit dem Gelde, lockte mit dem Gelde – kein Besitzer würde widerstehen können! Zu den zehn Kühen kaufte er den Kuhstall, das Stroh, das Land, auf dem das Stroh wuchs, den ganzen Hof schließlich. Und wenn er dem Besitzer dann noch sagte, er könne wohnen bleiben, weiter wirtschaften, mit den Erträgen anfangen, was er wollte – der würde ihn für übergeschnappt halten, ihm andere Verkäufer zuführen, mehr als gewünscht. Bis freilich dann eines Tages der Tag kommen würde, an dem die Mark – ja, wie es mit der Mark an dem Tag sein würde, das konnte sich keiner auch nur ausdenken. Aber jedenfalls war dann der Hof da. Nein, die Höfe.
Dies waren etwa die Quarkusschen Überlegungen, wie er sie oft und oft der Gräfin Mutzbauer vortrug. Da das Rittergut abgelehnt war, interessierte sie die ganze Geschichte eigentlich recht wenig. Aber daß die Gräfin Mutzbauer in ihrer Uninteressiertheit nun so weit gegangen wäre, ihren Freund allein fahren zu lassen, dazu war sie auch wieder zu klug. Immer war es besser, man blieb in der Nähe, es gab überall gemeine Weiber genug, für die das Geld war, was für den Mistkäfer der Mist. Und schließlich: wenn er zehn Höfe kaufte, fiel vielleicht ein elfter für sie ab, und wenn auch der Gedanke, einen Bauernhof zu besitzen, ungefähr so war, als besäße sie eine Lokomotive – verkaufen konnte man ihn jedenfalls wieder, man konnte alles verkaufen. (Gräfin Mutzbauer hatte schon drei Autos, die sie von ihrem Freund bekommen hatte, nacheinander wieder verkauft und Quarkus mit der schönen Erklärung abgespeist: Dazu bist du doch viel zuviel Kavalier, Quarkus, mir solch veralteten, unmodernen Wagen zuzumuten. Und er war wirklich zu sehr Kavalier – außerdem interessierte es ihn kaum.)
Diese Idee von dem elften Bauernhof aber hatte die Gräfin daran erinnert, daß ihre Zofe Sophie vom Lande war. Als sie also gegen Mittag ausgeschlafen hatte, klingelte sie ihre Zofe heran und führte mit ihr folgende Unterhaltung:
Sophie, Sie sind doch vom Lande?
Ja doch, Frau Gräfin, aber ich mag das Land gar nicht.
Sind Sie von einem Bauernhof?
Aber nein, Frau Gräfin, ich bin von einem Rittergut.
Sehen Sie, Sophie, ich habe es Herrn Quarkus auch gesagt, er soll ein Rittergut kaufen. Aber er sagt, er will nur einen Bauernhof.
Ja, Frau Gräfin, so war mein Hans auch. Wenn er Geld hatte für Habel und Rebhühner, dann wollte er durchaus zu Aschinger auf Löffelerbsen mit Speck. So sind nun mal die Männer.
Sie meinen doch aber auch, Sophie, daß ein Rittergut viel besser ist?
Aber natürlich, Frau Gräfin. Ein Rittergut ist ja viel größer, und wenn es einem gehört, braucht man nicht zu arbeiten, sondern hat seine Leute dafür.
Und auf einem Bauernhof muß man arbeiten?
Schrecklich, Frau Gräfin, und lauter Arbeit, die die Haut verdirbt.
Eilig beschloß die Gräfin, auf den elften Bauernhof zu verzichten und statt dessen lieber einen Diamantring als Geschenk zu nehmen. Damit aber entfiel jedes eigene Interesse an der Fahrt, jedes Interesse am guten Einkauf und also jeder Grund, Sophie als Beraterin auf die Fahrt mitzunehmen.
Hören Sie, Sophie, wenn Herr Quarkus Sie auch fragen sollte, erzählen Sie ihm das nicht. Es hat gar keinen Sinn, ihm abzureden, es verdirbt ihm nur die Laune, und er kauft doch!
Genau wie mein Hans! sagte Sophie seufzend, und sie dachte traurig daran, daß die Polente den Hans Liebschner nie geschnappt hätte, wenn er ihrem Rat gefolgt wäre.
Schön, Sophie. Dann ist alles in Ordnung. Ich wußte ja, daß Sie auf dem Lande Bescheid wissen. Herr Quarkus fährt heute mit mir Bauernhöfe kaufen, und eigentlich wollte ich auch einen erwerben. Da hätte ich Sie als Beraterin mitgenommen. Aber wenn es so schlecht mit den Höfen aussieht …
Zu spät merkte Sophie, daß sie vorschnell geredet hatte. Eine Autofahrt mit dem reichen Quarkus über Land wäre nicht so übel gewesen. Sie versuchte es noch: Nun, Frau Gräfin, es gibt natürlich verschiedene Arten von Bauernhöfen …
Nein, nein, sagte das ehemalige Fräulein Fischmann. Sie haben mir alles ganz ausgezeichnet erklärt. Ich kaufe nicht.
Da hier nichts mehr zu retten war, suchte Sophie ihren Vorteil auf der andern Seite. Da bleiben Frau Gräfin wohl länger fort?
Jawohl, Gräfin Mutzbauer würde kaum vor morgen abend zurück sein.
Ach, wenn Frau Gräfin da so gut sein würde … Meine Tante in Neukölln ist doch so schwer krank, und ich soll schon seit Tagen hinkommen … Wenn ich heute nachmittag frei haben könnte –? Und vielleicht bis morgen mittag?
Nun, Sophie, sagte ihre Herrin gnädig, obwohl sie die kranke Tante in Neukölln genau so richtig bewertete, wie Sophie den von der Gräfin erwogenen ›Erwerb‹ eines Hofes. Eigentlich ist wohl Mathilde mit dem Ausgang dran. Aber da Sie mich vorhin so gut beraten haben … Daß es mir aber keine Streitereien mit der Mathilde gibt –!
I wo, Frau Gräfin, wenn ich der ein Kinobillet schenke, ist sie schon ganz glücklich. Die ist ja so geizig! Neulich hat der Schuster zu ihr gesagt: Fräulein, Sie gehen wohl gar nicht aus? Ihre Sohlen halten nun schon das zweite Jahr. – Aber so ist sie wirklich …
Vielleicht war die Köchin Mathilde, was Geiz, Ausgang, Kino anging, wirklich so. Vielleicht hatte Sophie Kowalewski ganz recht berichtet. Aber darin hatte sich Sophie jedenfalls verrechnet, wie Mathilde diesen freien Nachmittag aus der Reihe hinnehmen würde. Sophie hatte recht verächtlich von einer lumpigen Kinokarte geredet, mit der sich die Mathilde ohne weiteres besänftigen lassen würde, aber nichts davon, aber gar nichts derart! Die Köchin Mathilde tobt. Wie wird sie sich das bieten lassen! Sie, die Sparsame, Solide, soll zurückstehen in freien Tagen hinter einer solchen Nutte, die für drei Schnäpse mit jedem Tangokavalier mitgeht! Auf der Stelle verzichtet Sophie auf diesen erschlichenen Ausgang, oder die Mathilde geht sofort zur Gräfin, und was die dann zu hören kriegt, das kann sich die Sophie allein denken! Solchen Dreck nimmt man nicht ohne Not zweimal in den Mund!
Worauf sie ihn gleich vor der Kollegin in den Mund nimmt.
Ach, die dicke, rundliche, bequeme Mathilde – Sophie versteht gar nicht, warum sie eigentlich so tobt. Sie hat sich doch schon zehnmal bei den freien Tagen übergehen lassen, hat freiwillig und unfreiwillig verzichtet, und wenn sie wirklich einmal gemault hat, haben sie eine Schachtel Konfekt oder eine Kinokarte stets besänftigt. Hat denn diese schwüle Hitze die Alte ganz verrückt gemacht?
Einen Augenblick überlegt Sophie, ob sie nicht vielleicht doch nachgibt. Bringt Mathilde all ihren Quatsch vor die Gräfin, kann es einen ziemlichen Stunk geben. Obwohl sich Sophie auch davor nicht fürchtet. Sie ist noch mit jedem stänkernden Angetrunkenen fertig geworden, und die können bestimmt beinahe so schlimm sein wie eine stänkernde Frau.
Sophie überlegt also einen Augenblick … Dann aber sagt sie recht bösartig ruhig: Ich weiß gar nicht, was du hast, Mathilde. Wozu willst du ausgehen? Du hast ja gar nichts anzuziehen.
Oh, wie dieses sanfte Öl aufzischt, wie die Flamme höher und höher schlägt! Nichts anzuziehen, freilich, wenn man so wie andere der Gnädigen Kleiderschrank benutzt –!
Tätest du auch, Mathilde. Nur paßt dir nichts. Du bist ja direkt fett.
Bereits 1923 ist es eine schwere Beleidigung für eine Frau, dick genannt zu werden – und nun gar erst fett! Prompt bricht Mathilde in Tränen aus, schreit wutsprühend: Hure! Hurenmensch! Sauhure! und stürzt ab zur Gnädigen, bei der eben grade auch Herr Quarkus seinen Einzug gehalten hat. Denn nun soll es losgehen aufs Land.
Sophie bleibt achselzuckend zurück. Ihr soll es egal sein, was kommt. Eigentlich hat sie das Leben hier reichlich über, ganz plötzlich. Die Minute vorher hat sie noch nichts davon gewußt, da wäre sie nicht gerne gegangen. Aber das ist jetzt oft so, nichts hat Bestand. Was eben noch galt, ist schon wieder ungültig. Noch niemals ist so oft und so überraschend der Gashahn aufgedreht worden wie in diesen Zeiten.
Plötzlich fühlt Sophie, wie hundemüde, wie ausgepumpt sie ist. Der Gedanke an ein paar Ferienwochen bei den Eltern in Neulohe taucht in ihr auf. Das wäre wirklich schön – ausschlafen, nichts tun, nichts trinken – und vor allem mal keine Kavaliere. Dazu sich den neidischen Schulgefährtinnen von ehemals als vollendete Dame aus der Stadt zeigen, grade jetzt, wo die sich in der Ernte totrackern müssen! Und schließlich und endlich und am wichtigsten: ganz in der Nähe von Neulohe liegt das Städtchen Meienburg. Dort steht ein festes Haus, von der kleinen Sophie bei seltenen Stadtfahrten mit grusligem Schauer angesehen, aber jetzt wohnt darin der Hans. Plötzlich faßt sie eine irrsinnige, ganz körperliche Sehnsucht nach dem Freund – ihr ganzer Leib zittert nach ihm, ihr wird heiß und kalt. Sie muß zu ihm, sie muß in seiner Nähe leben, sie muß ihn wieder einmal spüren – wenigstens sehen muß sie ihn! Sicher wird es ihr gelingen, mit ihm in Verbindung zu kommen … Gefängniswärter sind auch bloß Männer …
Längst hat Sophie mit Silberputzen aufgehört – wozu soll sie noch etwas tun? Sie geht ja heute doch, macht Schluß in diesem Bumms! Befriedigt lächelnd hört sie die gaumig heulende Stimme der Mathilde von vorne, dazwischen die ein bißchen scharfe, immer leicht gereizte der Gräfin, selten die spritrauhe, heisere des Herrn Quarkus. Dis sollen nur kommen und ihr auch nur einen Vorwurf machen – sie wird auspacken, ach, wie wird sie auspacken! Denen soll gar nichts anderes übrigbleiben, als sie auf die Straße zu setzen – aber nicht ohne ihren Lohn bis Ultimo! Und das Trampel, die Mathilde, kann sehen, wo ihr freier Tag bleibt – alle Arbeit wird sie allein tun dürfen, die –!
Nur ungern schickt die Gräfin Mutzbauer ihren Freund Quarkus in die Küche, die Sophie zu rufen. Sie wünscht ganz und gar keinen Streit mit ihrer Zofe, noch dazu vor den Ohren des Freundes. Es gab da vor einiger Zeit einen etwas seltsamen Einbruchsdiebstahl in der Wohnung. Den abhanden gekommenen Schmuck hatte Herr Quarkus zwar großzügig ersetzt, wollte sich aber damals schon durchaus mit der Polizei in Verbindung setzen. Es wäre nicht angenehm, wenn Sophie die Zusammenhänge dieses Diebstahls aufklärte. Noch peinlicher wäre allerdings, wenn sie von gewissen Schlafzimmerbesuchen erzählte.
Gräfin Mutzbauer war überzeugt, der Kavalier Quarkus verstand in diesem Punkt keinen Spaß, und wenn sie auch wußte, daß man einem verlorenen Liebhaber nicht nachweinen soll, denn der zu melkenden Ochsen gibt es überall mehr, als Vater Brehm sich hat träumen lassen – vor einer brutalen Tracht Prügel hatte sie ausgesprochen feige Angst.
Aber was war zu tun? Mathilde hatte vor Herrn Quarkus’ Ohren so ausführlich von der Benutzung nicht nur des Kleider-, nein, auch des Wäscheschrankes durch Herrin und Zofe berichtet (was der Herrin längst bekannt gewesen war), sie hatte auch einen so ausführlichen Bericht über eine ›Orje‹ erstattet, die sich während einer zweitägigen Abwesenheit der Herrin in den Mutzbauerschen Räumen abgespielt hatte, einer Orgie, in der nicht nur ›fremde Louis und Nutten‹, sondern auch sehr eigene Mutzbauerische Zigaretten, Liköre, Sekt und – hier sprang Herr Quarkus hoch und schrie heiser: Au verflucht! –, bei der leider auch das Mutzbauerische Bett eine Rolle spielte.
Die Gräfin hoffte wider allen Sinn und Verstand, Sophie werde vernünftig sein. Von ihrer Seite würde jedenfalls nichts geschehen, die Dinge auf die Spitze zu treiben.
Worauf die besagten Dinge in den ersten drei Minuten auf die Spitze gerieten, um von da in einen schwindelnden Abgrund zu stürzen, in dem es infernalisch stank! Der Viehhändler Emil Quarkus war bestimmt kein verwöhntes Knäblein, und gar manchen Dreck hatte er in seinem Leben verdauen müssen, auch war die Zeit nicht dazu angetan, Empfindlichkeiten zu züchten … was diese drei Weiber da aber sich minutenlang schrill an die Köpfe warfen, das stank so unaussprechlich, wie die Misthaufen all seiner zukünftigen Bauernhöfe nie stinken konnten!
Quarkus schrie auch und tobte auch. Er schmiß jede von den dreien eigenhändig hinaus und holte sie dann, aufheulend vor Wut, zur Vernehmung und Rechtfertigung wieder herein. Er stieß sie mit den Köpfen zusammen, und er riß die Krallenstarrenden wieder auseinander; er telefonierte nach der Polizei und machte das Telefonat umgehend wieder rückgängig; er revidierte die Koffer der Sophie und mußte schon wieder in das gräfliche Schlafzimmer stürzen, wo ein Totschlag im Gange zu sein schien; er nahm seinen Hut und marschierte mit dem verächtlichen Ausruf: Weiber, verdammte, leckt mich alle am Arsch! aus der Wohnung, stieg die Treppe hinab und in sein Auto, und ließ den Wagen doch sofort wieder halten, weil ihm eingefallen war, daß er diesem gemeinen Frauenzimmer ›seinen Schmuck‹ keinesfalls lassen würde …
Am Ende saß er völlig erschöpft und ausgepumpt, zu nichts mehr fähig, auf einer Couch. Noch mit geröteten Wangen und blitzenden Augen ging die Gräfin Mutzbauer auf und ab und mischte ihrem Emil einen Stärkungstrank.
Solche gemeinen Frauenzimmer – alles natürlich erstunken und erlogen. Es ist gut, daß du sie gleich alle beide entlassen hast, Quarkus! (Er hatte nichts dergleichen getan.) Du hast ganz recht, daß du die Polizei nicht gerufen hast (er hätte es liebend gerne getan), schließlich hätte deine Frau davon erfahren, und du weißt ja, wie die ist …
Mathilde sitzt noch in der Küche auf ihrem Schließkorb; leise durch die Nase schnüffelnd wartet sie auf die angerufene Paketfahrt, die den Korb holen soll. Dann wird sie mit der Untergrund zu ihrem Schwager fahren, der an der Warschauer Brücke wohnt. Die Schwester wird zwar nicht sehr begeistert von diesem Überfall sein, das Gehalt eines Straßenbahnschaffners reicht schon so nicht hin und her. Aber im Besitz eines stattlichen Devisenhäufchens, das ihr der durch ihr Kochen bestochene Quarkus nach und nach verschafft hat, fühlt sie sich gegen jeden schwesterlichen Unwillen gewappnet. Im Grunde kommt auch der Mathilde die Entlassung grade recht: nun hat sie wirklich Zeit, sich etwas um ihren unehelichen Sproß, den fünfzehnjährigen Hans-Günther zu kümmern, von dem sie heute früh in der Zeitung gelesen hat, daß er als Anführer einer Revolte im Erziehungsheim der Stadt Berlin verhaftet worden ist. Nur darum war sie ja so wild geworden, daß Sophie ihr den freien Tag gestohlen hatte. Jetzt also hatte sie ihren freien Tag. Sie ist zufrieden.
Am zufriedensten aber ist Sophie Kowalewski. Die Autotaxe fährt mit ihr durch das immer stärker losbrechende Gewitter dem Christlichen Hospiz in der Krausenstraße zu. (In Herrenbegleitung hat Sophie nichts gegen das schmierigste Absteigehotel, als alleinreisende junge Dame aber kennt sie nur das Christliche Hospiz.) Sie fährt in Sommerferien, ihre Koffer sind prall voll von den schönsten Dingen aus gräflichem Besitz, sie hat ihren Monatslohn bekommen und besitzt außerdem noch hinreichend Geld, und sie wird in Verbindung mit dem Hans kommen, ihn vielleicht sogar sehen. Sophie ist sehr zufrieden!
Nur Herr Quarkus ist nicht ganz so zufrieden wie die drei Frauen. Aber dem kommt es nicht so recht zu Bewußtsein, jetzt muß er eilig Bauernhöfe kaufen, stärker als die Frauen jagt ihn die Mark.
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Förster Kniebusch geht langsam durch das Dorf Neulohe, den Vorstehhund an der Leine. Man kann nie wissen, was kommt, jedenfalls haben die meisten Leute unbegreiflich mehr Angst vor einem Hund als vor einem Menschen.
Ungern ging der alte Kniebusch von je ins Dorf – die Försterei liegt ein Stück abseits, an der Waldgrenze –, heute aber geht er ganz besonders verdrossen. Er hat das befohlene Zusammentrommeln der Leute auf zehn Uhr beim Schulzen so lange wie nur möglich hinausgeschoben. Aber jetzt, da das Gewitter schon pechschwarz den ganzen westlichen Himmel zudeckt – es kommt aus der Berliner Gegend, natürlich, was kann auch aus Berlin Gutes kommen?! –, jetzt hat er eben doch losgemußt. Es hilft ja nichts, er muß, er darf es mit keinem verderben.
Dorf Altlohe kann Kniebusch gottlob links liegenlassen (bildlich gesprochen, von seinem Wege liegt es nämlich rechts), in Altlohe wohnt kein Mensch, der für solche geheime Militärsache in Frage kommt. In Altlohe wohnen lauter Gruben- und Industriearbeiter, also Spartakisten und Kommunisten, sprich Felddiebe, Holzdiebe, Wilderer, meint Herr Kniebusch.
Förster Kniebusch wußte ganz gut, warum er heute früh die Holzdiebe nicht gesehen hatte – es waren eben Altloher gewesen. Die Altloher wurden leicht wütend, sie proklamierten ganz offen so etwas wie ein Recht auf Diebstahl. Förster Kniebusch wußte auch ganz genau, warum er die Flinte im Haus gelassen hatte, aber den Hund mitgenommen: eine Waffe reizte die Leute bloß und machte sie noch bösartiger. Ein Hund aber konnte ein zerrissenes Hosenbein bringen, und eine Hose war eine kostbare Sache!
Bedrückt und langsam schleicht der Förster unter dem immer drohenderen Gewitter durch das Dorf. Ich möchte doch gerne friedlich in meinem Bett sterben, hatte er eben wieder zu seiner vom Rheumatismus fast gelähmten Frau gesagt. Sie hat genickt und gesprochen: Wir stehen alle in Gottes Hand.
›Ach du!‹ hätte er am liebsten geantwortet, denn daß Gott mit all diesem gräßlichen Wirrwarr nichts zu tun haben kann, dessen ist er sich lange sicher. Aber mit einem Blick auf das bunte Abendmahl an der Wand schweigt er lieber. Schon längst kann man nicht einmal der eigenen Frau mehr sagen, was man alles denkt.
Er hat sich sein Alter ein wenig anders gedacht, der Förster Kniebusch. Wäre nicht der Krieg gekommen und diese zehnmal verdammte Inflation, säße er längst im eigenen Häuschen in Meienburg, ließe Dienst Dienst sein und Holzdiebe Holzdiebe, und kümmerte sich nur noch um seine Bienen. Aber das kann sich wohl ein jeder Mensch leicht ausrechnen, wie vorzüglich sich in diesen Zeiten von einer Altersrente verhungern läßt. Und das Sparbuch liegt zwar noch immer, sorglich vor Dieben verborgen, zwischen den Bettlaken im Wäscheschrank seiner Frau, aber die Endsumme, etwas über 7000 Mark, Mark für Mark in vierzig langen Dienstjahren zusammengekratzt, mag man gar nicht mehr ansehen, sonst kommen einem sofort die Tränen in die Augen. Das wäre ein Häuschen in Meienburg gewesen, sauber wie eine Puppe! Und zum Leben hätte man die Zinsen von der Hypothek gehabt, erste Hypothek, gute Hypothek auf den Hof des Schulzen Haase hier in Neulohe, pünktlicher Zinszahler, 4 %, 10 000 Mark Kapital, ein bißchen Ererbtes und wiederum viel Erspartes – 400 Mark im Jahre Ertrag, das wäre ein schöner Zuschuß gewesen zu der Rente!
Aus und vorbei! Unbegreiflich aus und vorbei! Der müde, verbrauchte, alte Mann muß weiterlaufen, arbeiten, aufpassen, sich durchschlängeln zwischen den Übergriffen der Leute und den Ermahnungen des Chefs. Nun fürchtet der Ruhebedürftige nichts mehr, als daß er zur Ruhe gesetzt wird – was rettet sie beide alte Leute dann vor dem Verhungern –?! Die beiden Söhne sind im Krieg gefallen und die Tochter, an einen Eisenbahnsekretär in Landsberg verheiratet, weiß selbst nicht, wie sie mit ihren Kindern satt werden soll. Sie schreibt den Eltern nur, wenn das Schlachten bevorsteht, um an das Fettpaket zu erinnern.
So muß er weiterlaufen, der alte Mann, muß sich Liebkind machen, einschmeicheln, demütig sein – auf solche Weise der drohenden Entlassung vorbeugen. Und wenn solch ein Schnösel von Leutnant winkt, so nimmt man eben die Hacken zusammen und sagt gehorsam: Zu Befehl, Herr Leutnant! Weiß man denn, ob der Chef das nicht wünscht?
Es ist ein trübseliger Rundgang durch das Dorf. Alle Männer, die der Förster sprechen müßte, sind, obwohl es schon auf sechs Uhr geht und Futterszeit wird, noch auf dem Felde. Oder sie hasten schwitzend an dem Förster vorbei, kaum daß sie mit der Hand winken. Sie haben keine Zeit, denn vor dem drohenden Gewitter muß herein, was nur irgend herein kann.
So muß der Förster seine Bestellung bei den Frauen anbringen, und die nehmen natürlich kein Blatt vor den Mund: er ist wohl verrückt geworden, jetzt in der eiligsten Erntezeit die Männer um zehn Uhr nachts zum Schulzen zu bestellen?! Natürlich, er hat es gut, er fühlt seine Knochen nicht, er geht spazieren, während andere sich totarbeiten. Er steht morgens um sechs auf, ihre Männer aber um halb drei! Sie denken gar nicht daran, solchen Unsinn zu bestellen, da mag er sich dümmere suchen! – Die Hände in die Seiten gestemmt: siehst du, da hast du es!
Der Förster muß zureden und betteln, und wenn er schließlich vom Hof geht, ist er doch nicht sicher, daß sie die Bestellung auch wirklich ausrichten.
Manche Frauen aber verkneifen den Mund böse, sie hören sich des Försters Bestellung schweigend an, mit bösen, klein gewordenen Augen. Dann drehen sie sich um und gehen weg, aber der Förster hört sie noch murmeln: ob ein alter Mann sich denn gar nicht schämt, solche Sachen noch mitzumachen?! Ob es nicht schon genug Tote im Weltkrieg gegeben habe? Heimliche Verschwörungen von einem alten Knacker, der lieber an seinen eigenen friedlichen Tod denken sollte –!
Des Försters Gesicht wird immer sorgenvoller, fast verbissen, je weiter er kommt. Er murmelt heftig in seinen weißgrauen Bart. Irgendwie muß er seinen Ingrimm äußern, er hat sich angewöhnt, mit sich selbst zu reden. Sonst hat er ja keinen einzigen, bei dem er seinem Herzen Luft machen kann, die Frau hat auf alles nur Bibelsprüche im Munde. Es ist wie ein ohnmächtiger Zorn, den er da zwischen den mahlenden, fast schon zahnlosen Kiefern zerbeißt – daß er so ohnmächtig ist, macht ihn nur noch schmerzender!
Nun kommt er auf den Dorfplatz, an dem Schulzenhof, Krämerei, Gasthof, Schule und Pfarrei liegen. Mit denen allen hat er eigentlich nichts zu tun: Krämer und Krüger sind viel zu vorsichtig, sich auf irgend etwas einzulassen womit sie es bei einem von der Kundschaft verderben könnten. Kantor Friedemann ist zu alt und Pastor Lehnich tut immer so, als sei er nicht ganz von dieser Welt, trotzdem er sehr gut rechnen kann. Schulze Haase aber weiß sicher schon Bescheid, sonst wäre ja die Versammlung nicht zu ihm bestellt worden.
Trotzdem steht Förster Kniebusch zögernd auf dem Platz, geht nicht weiter, sondern sieht zum Schulzenhof hinüber. Es wäre gar nicht schlecht, dem Schulzen einmal auf die Pelle zu rücken und mit ihm von Zinsen und Hypothek zu reden. Ehe er aber noch zu einem Entschluß gekommen ist, fliegt ein Fenster im Krug auf. Der häßliche Kopf vom kleinen Negermeier fährt mit funkelnden Brillengläsern und ziemlich gerötet heraus. Meier schreit: Na, Kniebusch, altes Wasserhuhn, komm mal rüber und stoß mit mir an auf meinen Abschied von Neulohe!
Eigentlich ist dem Förster nicht nach Trinken, zudem weiß er, daß der angetrunkene Negermeier bösartig wie ein alter Bulle ist, aber dieser Zuruf klingt doch zu sehr nach Neuigkeiten, und Neuigkeiten kann der Förster nur schlecht widerstehen. Er muß alles wissen, um sich auf alles einrichten zu können. So tritt er denn in den Krug, der Hund kriecht mit aller hündischen Ergebenheit in sein Schicksal unter den Tisch und ist bereit, nun lautlos auszuhalten, dauere es eine halbe Stunde oder vier. Der Förster klopft auf den Tisch und sagt warnend: Aber Geld habe ich nicht bei mir!
Ich auch nicht! grinst Negermeier, der schon kräftig vorgelegt hat. Aber deswegen lade ich dich doch ein, Kniebusch. Und gerne! Die sind nämlich alle auf dem Felde, und so habe ich mir eine Flasche Cognac vom Büfett geholt, und Bier kann ich dir auch einschenken, wenn dir das lieber ist.
Dem Förster graust vor den Folgen dieser eigenmächtigen Selbstbedienung. Verlegen sagt er: Nee, danke, Meier, ich trinke lieber nichts.
Sofort läuft Feldinspektor Meier noch röter an. Ach, du meinst, ich klaue?! Ach, du denkst, ich bezahle nicht, was ich mir nehme?! Das verbitte ich mir, Kniebusch! Sage ein einziges Mal, wo ich was geklaut habe … Oder –!
›Oder‹ bleibt unklar, denn der Förster versichert sofort, daß alles in Ordnung ist, und daß er einen Cognac möchte.
Ein Cognac ist gar nichts! schreit der kleine Meier und trotz sanften Widerspruchs schenkt er auch noch kunstgerecht ein Glas Bier ein und holt die Kiste mit den Zigarren. Sich selbst bringt er eine Schachtel Zigaretten mit.
Prost, Kniebusch! Daß unsere Kinder lange Hälse kriegen!
Der Förster runzelt die buschige Braue über diesen Trinkspruch, denn er muß an seine beiden gefallenen Söhne denken. Aber es hat keinen Sinn, bei so einem Menschen, wie es Negermeier ist, zu protestieren, und so fragt er denn lieber: Was ist denn seit heute mittag passiert, daß du so plötzlich deinen Abschied feierst?
Sofort ist Meier verdüstert. Das Gewitter ist passiert, murrt er. Dieses elende Berliner Scheißgewitter! Nie kriegen wir bei Westwind Gewitter. Aber heute kriegen wir es!
Ja, in zehn Minuten pladdert’s, sagt auch Kniebusch und sieht zum dunklen Fenster. Hast nicht einfahren lassen –? Das ganze Dorf fährt ein!
Merke ich auch, du Riesenroß! schreit Meier gereizt. Und es ist wirklich schwer, das nicht zu merken: grade jagt wieder ein Fuder über den Dorfplatz und verschwindet auf der Haaseschen Hofstatt.
Das ist doch aber noch nicht sicher, daß dich der Rittmeister darum rausschmeißt, tröstet Kniebusch. Freilich, ich an deiner Stelle hätte auch lieber einfahren lassen.
Du an meiner Stelle hättest deinen Dreck vor lauter Schlauheit gefressen! schreit Negermeier wütend los. Er trinkt hastig, trinkt noch einmal und sagt dann ruhiger: Hinterher sind alle Dummen schlau. Warum hast du mir denn heute mittag nicht gesagt, du würdest einfahren lassen, heh, was? Er lächelt überlegen, gähnt dann und trinkt nochmals. Nun sieht er den Förster mit zusammengekniffenen Augen geheimnisvoll zwinkernd an und sagt gezwungen: Übrigens schmeißt mich der Rittmeister nicht nur deswegen raus.