Kitabı oku: «Harrys geträumtes Leben», sayfa 3

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Die Fremdenlegion

„Merde, was hat man uns denn da geschickt? Seid ihr Männer oder Karikaturen? Wollt ihr Soldaten werden oder seid ihr nur Abschaum?“ Abwechselnd wurden in verschiedenen Sprachen, Französisch, Spanisch, Deutsch, Polnisch oder Ungarisch, kurze, kernige Schimpfkanonaden auf die Kolonne abgeschossen. Es waren etwa 300 junge Männer, die den Truppentransporter im Hafen von Algier verlassen hatten und auf offenen LKWs in rascher Fahrt in die Kaserne von Sidi bel Abbes gekarrt worden waren. Harry fühlte sich müde, schlapp und ausgedörrt von dem Transport auf dem engen, heißen Truppentransporter, den Strapazen der Einschiffung in Marseille und der Ausschiffung in Algier. Alle Knochen und alle Muskeln schmerzten nach zwölf Wochen schonungsloser, brutaler Schleiferei in der Grundausbildung in Aubagne, Südfrankreich.

Schon wenige Tage nach seiner Rückkehr aus Gandia hatte er zu Hause einen Brief vom BSLE, dem Bureau des statistiques de la Légion étrangère, erhalten. Er war aufgefordert worden, sich in drei Wochen in Aubagne bei Marseille zu Aufnahmegesprächen, Tests und medizinischen Untersuchungen für Engagés Volontaires, also für freiwillige Bewerber, einzufinden, die sich über drei Tage erstrecken würden.

Die medizinischen Untersuchungen bestand er mühelos, ebenso die diversen sportlichen Tests. Die ein wenig einfachen, ja primitiven psychologischen Eignungstests bereiteten auch keine Schwierigkeiten. Recht ermüdend waren die endlosen Vorträge über die Traditionen der Legion, die besondere Ehre, ihr anzugehören, und die Heiligkeit eines Befehls in der Legion. Endlos lang waren auch die beinahe pastoral vorgetragenen Ausführungen über die Vorbildfunktion, die ein Protegé-Praktikant zu erfüllen hatte, und über die hohe Ehre, die die Grande Nation ihm, Harry Linnemann, zuteilwerden ließ, indem sie ihm diese Vorzugsstellung einräumte. Alles wurde zunächst in französischer Sprache vorgetragen und anschließend ins Deutsche übersetzt. Die Grundausbildung war gnadenlos hart, aber effektiv.

Der erste Tag begann mit einer Ansprache des Kommandanten auf Französisch, aber in mehreren Sprachen wiederholt: „Legionäre, Sie haben Ihre Aufnahmeprüfung bestanden. Jetzt gehören Sie zu der besten Kampftruppe der Welt. Hören Sie das Wichtigste für Ihre jetzt beginnende Ausbildung: Gehorchen Sie den Befehlen ihrer Vorgesetzten bedingungslos. Der erteilte Befehl ist heilig. Legionäre sind Elitesoldaten. Ein Elitesoldat trainiert unerbittlich. Er behandelt seine Waffe, als wäre sie sein höchstes persönliches Gut. Ein Legionär ist ein Freiwilliger. Eiserne Disziplin und Durchhaltevermögen sind die Grundlagen Ihres Dienstes und Ihrer Verpflichtung, das eigene Leben zum Ruhm und zur Ehre Frankreichs einzusetzen. Hier gilt nur das Gesetz der Legion. Ungehorsam wird strengstens bestraft. Seien Sie sich immer bewusst, einer Elitetruppe anzugehören. Legion patria nostra, die Legion ist unser Vaterland.“

Der erste Ausbildungstag begann mit Formalausbildung bis zum Erbrechen. Gleichschritt, Laufschritt, Kehrtwendungen, Grüßen, volle Deckung, Robben und mehr. Nach zehn Stunden, alle waren fix und fertig, gab es eine Stunde Pause. Gelegenheit zum Waschen und Essen. Dann folgten die täglichen zwei Stunden Unterricht in französischer Sprache. Anschließend folgten ein bis zwei Stunden Spezialunterricht für Protegés. Es waren aus allen Gruppen nur vier Mann. Der Spezialunterricht ging über den Sprachunterricht hinaus. Immer wieder wurde den vieren regelrecht eingetrichtert, dass sie zur Elite der Elitetruppe gehören werden und dass ehrenvolle Führungsaufgaben auf sie warten, wenn sie sich nach den neun Monaten zu einer regulären Verpflichtung von mindestens fünf Jahren entscheiden würden.

Schon am zweiten Tag begann die Gefechtsausbildung. Täglich zwölf bis vierzehn Stunden Drill, meist Gefechtsausbildung, immer mal wieder unterbrochen von Formalausbildung, waren üblich. Dann folgten zwei Stunden Sprachunterricht, dann der Spezialunterricht. Jede zweite oder dritte Nacht gab es Nachtalarm mit anschließenden Gewaltmärschen oder einigen Durchgängen auf der Hindernisbahn. Das war schon hart. Das Schlimmste für Harry aber waren die zusätzlichen Schikanen. Sie trafen scheinbar ziemlich zufällig täglich einige Rekruten. Für eine falsche Kehrtwendung, einen nicht perfekten militärischen Gruß, einen zu langsamen Laufschritt oder eine nicht perfekte volle Deckung und manches mehr gab es zwei bis drei Stunden zusätzlichen verschärften Drill. Zu den Schikanen gehörte auch das Einreißen des Bettes, wenn es dem Ausbilder nicht perfekt erschien, oder das Ausräumen des Spindes. Alles wurde brutal im Zimmer verteilt. All das konnte durchaus zehn- bis zwölfmal hintereinander passieren. Meist gab es noch zusätzliche Strafen. Beliebt bei den Ausbildern waren so sadistische Befehle wie das Schrubben des Flures oder auch der Toilette mit einer Zahnbürste, das Kippenaufsammeln mit gefesselten Händen, also mit dem Mund, oder in gleicher Weise Fenster zu putzen.

Sehr beliebt war auch eine Schikane bei der Gefechtsausbildung. Es war vorgeschrieben, dass die Feldflaschen immer eine bestimmte Restmenge Wasser für den Notfall zu enthalten hatten. Oft wurden nach stundenlangem hartem Gefechtsdrill Kontrollen gemacht. Stellten die Ausbilder eine zu geringe Restmenge fest, hatte der betreffende Rekrut mit seinem zwanzig Kilogramm schweren Marschgepäck auf dem Rücken zwanzig bis dreißig Minuten Strafjoggen zu absolvieren und die Kameraden musste ihn mit gehässigen Zurufen anstacheln. Waren die Zurufe von einzelnen Kameraden nicht laut oder gehässig genug, mussten diese sich am Strafjoggen mit Marschgepäck beteiligen.

Es war eine üble Schinderei, Tag für Tag bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit. So manches Mal hatte Harry das schmerzliche Gefühl, diese Grenze sei erreicht und werde überschritten. Einige Kameraden hielten es nicht aus, die Grenze war überschritten, sie klappten zusammen und mussten doch wenig später unter dem Hohn und Spott der Ausbilder wieder antreten.

Für die vier Protegés war die überharte, normale Grundausbildung nach acht Wochen beendet. Es schloss sich eine vierwöchige Zusatzausbildung für künftige Führungskräfte an, die sie zusammen mit verdienten und altgedienten Corporales und Sergents durchzustehen hatten. Diese vier Wochen waren nicht weniger hart, die tägliche Belastung nicht weniger lang. Die Gefechtsübungen und Nachtmärsche blieben. Aber statt der stupiden Formalausbildung gab es endlosen theoretischen Unterricht mit anschließenden praktischen Übungen über alle nur denkbaren Gefechtssituationen und das richtige Verhalten als Zug- oder Kompanieführer. Schikanen gab es weiterhin, aber sie waren subtiler und ausgefeilter. Je weiter sich diese zwölf Wochen der Grund- und Zusatzausbildung dem Ende näherten, desto öfter hatte Harry das Gefühl, er halte das nicht mehr aus. Mit Mühe gelang es ihm, sich mit dem Wissen neu zu motivieren, dass es doch bald vorbei sei, nur noch wenige Wochen und bald nur noch wenige Tage dieser täglichen Quälerei.

Jetzt waren diese zwölf Wochen Quälerei vorbei. Als Harry zusammen mit seinen 300 Kameraden das Schiff im Hafen von Algier und die bereit stehenden offenen LKWs bestieg, versuchte er, den Duft und das Flair von Afrika zu spüren, zu fühlen, was er bei seinen Afrika-Aufenthalten in seiner Seefahrtzeit gefühlt hatte. Aber es gelang ihm nicht. Es roch nach Benzin, Öl und Abgasen und die Szene war erfüllt von gebrüllten Befehlen in französischer und einem halben Dutzend anderer Sprachen.

Als sie das Kasernentor der gewaltigen Kasernenanlage von Siddi bel Abbes durchschritten hatten, erinnerte nur noch das etwas schemenhafte Bild der Moschee im Hintergrund daran, dass sie in Nordafrika waren. Im Vordergrund sprang ein in zwei Etagen abgesetzter Granitsockel mit dem eingemeißelten Signum „Légion étrangère“ ins Auge. Die Truppe musste antreten und erst einmal wieder einer Ansprache über sich ergehen lassen mit den üblichen Phrasen über die Ehre, der Legion anzugehören, über Traditionen, die Heiligkeit des Befehls, über Disziplin und Elitedenken, also über all das, was sie in den letzten zwölf Wochen bis zum Erbrechen gehört hatten.

Dann erfolgte die Zuweisung der Unterkünfte. Harry war angenehm überrascht. Er teilte einen kleinen, aber recht wohnlich eingerichteten Raum mit Ian, einem fast zwei Meter großen jungen Mann aus Irland. Beim Einrichten ihrer Spinde versuchten beide, sich etwas näherzukommen. Die anfangs holprige Unterhaltung klappte bald ganz gut. Harrys Schulenglisch reichte aus. Ians Vater war Repräsentant eines großen irischen Exportunternehmens für Irischen Whisky in Frankreich. Wohl über diese Schiene war Ian zu seinem Status gekommen. Er war ebenfalls Protegé-Praktikant. Wie Harry bald feststellte, hatten sich die anderen Neulinge ohne diesen Status mit recht kargen Sechs-Mann-Unterkünften zu begnügen.

Für den Nachmittag waren erste Algerien-Instruktionen angesetzt. Die Mannschaften mussten in der glühenden Sonne auf dem Kasernenplatz antreten und einen Hagel von Anweisungen, Befehlen und vor allem Verboten in verschiedenen Sprachen, laut, brüllend, in einem unablässigen schnellen Stakkato, der auch in der jeweiligen Heimatsprache kaum verständlich war, über sich ergehen lassen. Die Unterführer unter den Neuankömmlingen, und dazu gehörten aufgrund ihres Protegé-Status auch Ian und Harry, hatten sich in der Messe zu versammeln. Dort erhielten sie im Grunde die gleichen Instruktionen, nur etwas detaillierter und mit Dia-Bilden und einem kleinen Film ergänzt. Es wurde vor jedem Kontakt mit Einheimischen gewarnt, jeder Algerier war nach den Warnungen der Instrukteure ein potentieller Rebell, ein Sicherheitsrisiko, ein möglicher hinterhältiger Mörder. Allen Legionären war es strikt verboten, sich alleine außerhalb des Kasernengeländes aufzuhalten. In dem kleinen Film wurde eine grausige, sicher gestellte, Szene gezeigt, die in der Kasbah Algiers spielte.

Die Kasbah, die sich an den Berghängen der Hauptstadt befindet, ist ein exotisches, buntes, faszinierendes und für Fremde völlig undurchsichtiges Labyrinth. Enge Gassen, Läden aller Art, Teestuben und kleine Straßen-Garküchen dicht aneinander gedrängt mit einem Gewusel von Menschen aller Hautfarben und Herkunftsgebiete.

In dem Film wurde eine kleine Gruppe von Legionären gezeigt, die lachend und entspannt einer ebenfalls kleinen Gruppe einheimischer und überwiegend verschleierter Frauen folgte und dieser harmlose Anzüglichkeiten zurief. Urplötzlich zogen die Frauen Schnellfeuerwaffen unter ihren Schleiern hervor und mähten die Soldaten in Sekundenschnelle nieder. Anschließend zogen sie Dolche hervor und schnitten, so suggerierte es jedenfalls der Film, den noch lebenden Soldaten die Kehlen durch, stachen Augen aus und schnitten Ohren und Nasen ab. Über den Film wurde heftig diskutiert. Jedem war klar, dass die gezeigten Grausamkeiten nachgestellt waren. Aber den Neulingen wurde sehr ernst glaubhaft gemacht, dass es ähnliche entsetzliche Vorkommnisse durchaus wirklich gegeben hat und gibt.

Sehr nachdenklich ging Harry über den Kasernenhof zurück zur Unterkunft. Etwas überspitzt ausgedrückt hatten die Instrukteure den Neulingen vermittelt, in diesem Land gebe es Millionen von Einheimischen, die potentielle Rebellen, Verbrecher und Mörder seien und die den relativ wenigen Guten gegenüberstehen, nämlich den etwa 300.000 französischen Soldaten und Legionären. Harry war übermüdet, total verschwitzt und missmutig. Da kann doch etwas nicht stimmen. Was soll ich hier, ich habe damit doch absolut nichts zu tun? Woher nahmen die Franzosen die Berechtigung, ein ganzes Land, ein ganzes Volk von über zwanzig Millionen Menschen zu unterjochen, es zu beherrschen und die vielen Millionen als Menschen zweiter Klasse anzusehen, die in erster Linie dafür da sind, den Eindringlingen zu dienen. Harry hatte kein gutes Gefühl dabei, dass er sich verpflichtet hatte, den Unterdrückern dabei zu helfen.

Aber er war jung und konnte unangenehme Gefühle bald wegschieben. Was soll’s. Ich habe ein Ziel und das ist nicht die Legion. Ich bin nur für neun Monate dabei und davon habe ich schon fast die Hälfte rum.

Er hatte auch kaum Zeit, unangenehmen Gefühlen nachzuhängen. Die nächsten Tage waren vollgestopft mit Aktionismus. Es gab eine harte, komprimierte praktische und theoretische Ausbildung zur präventiven und praktischen Bekämpfung von Terroristen, wie es im offiziellen Ausbildungsplan hieß. Insbesondere das Vorgehen in Aufklärungs- und Erkundungstrupps mit spontanen Kampfaktivitäten wurde immer wieder geübt, in voller Kampfausrüstung im Gelände und im Unterrichtsraum in der Kaserne mit Planspielen und Taktikvarianten.

Nach einigen Wochen erhielten Harry und auch Ian einen Versetzungsbefehl nach Mascara. Von dort aus sollten sie als stellvertretende Gruppenführer in Erkundungstrupps eingesetzt werden. Die Kaserne von Mascara befand sich mitten in der Stadt, umgeben von einer hohen Mauer mit mehreren Wachtürmen. Irgendwie wirkte sie wie ein Fremdkörper. Es war wie eine aufgezwungene Trutzburg mit fremden Eindringlingen in einem Meer von Einheimischen. Das Kasernengelände war nicht groß, mit dem vierstöckigen Hauptgebäude, dem Kasernenhof, dem Fahnenmast, dem Wachgebäude, der Küche und den Nebengebäuden hatte es kaum größere Ausmaße als ein Fußballplatz. Das klotzige vierstöckige Gebäude in der Mitte wirkte wie eine Festung in der Festung. Mascara war keine Ausbildungskaserne, sondern eine Art Hauptquartier für kleine Kampf- und Aufklärungseinsätze.

Harry und Ian wurden im Unteroffizierslogis in einem Nebengebäude neben der Funkstation und dem Büro der Militärpolizei untergebracht. Schon am nächsten Tag wurden beide verschiedenen Erkundungstrupps als stellvertretende Gruppenführer zugeteilt. Die verschiedenen Gruppen sollten unabhängig voneinander, aber koordiniert und mit Funkkontakt untereinander ein größeres Gebiet im Dreieck von Douny Fououaila, Djebairia und Hassi-Dahou aufklären und, wie es hieß, gegebenenfalls von Rebellennestern säubern. Mit Militär-LKWs wurden die Gruppen an verschiedenen Ausgangspositionen abgesetzt. Harry hatte ein mulmiges Gefühl, als er sich mit der zwanzig Mann starken Gruppe im Gelände vorwärts bewegte. Es war still, menschenleer. Ihre schweren Militärstiefel wirbelten Sand und trockenen Staub auf. Die Sonne brannte vom tiefblauen, völlig wolkenlosen Himmel. Schon nach kurzer Zeit waren alle total verschwitzt. Die schweren Stiefel, der Kampfanzug und der Stahlhelm drückten und klebten am Körper. Der Tornister alleine wog zwanzig Kilogramm. Dazu kamen der Karabiner, die Wasserflasche, zusätzliche scharfe Munition und Handgranaten. Als stellvertretender Gruppenführer verfügte Harry zusätzlich über eine Pistole und einen Feldstecher. Am schwersten zu schleppen hatte der Funker mit seiner klobigen Ausrüstung. Immer wieder suchten der Gruppenführer und Harry den Horizont nach verdächtigen Bewegungen, Ansammlungen und getarnten Unterständen ab. Es gab nichts. Diese Welt schien menschenleer, auch ohne Tiere zu sein. Eine staubige heiße Hölle, die keinen interessierte und die keiner haben wollte.

Was machen wir denn hier, was soll das?, ging es Harry durch den Kopf, als sie am Mittag Pause machten und sich aus ihren Kampfrationen stärkten. Zwei der Soldaten hatten zusätzlich zu ihrer Ausrüstung Reserve-Wasserschläuche zu schleppen und waren froh, als die zusätzliche Last leichter wurde, nachdem alle Feldflaschen frisch aufgefüllt waren.

Bald entdeckten sie, wie vorher auf dem Einsatzplan vorgesehen, in der Ferne eine kleine trostlose Ansammlung von Hütten. Der Truppführer informierte, dass das das Dorf Bjetierasa sei. Es bestehe der Verdacht, das Kaff sei ein Rebellenversteck. Wir haben Befehl, jede Hütte genau zu durchsuchen. Beim Näherkommen nahm Harry das Dorf ins Visier seines Feldstechers. Es bestand aus genau sieben armseligen Hütten und ein paar Scheunen oder Tierunterkünften. Er konnte im Fernglas einige Hunde, Ziegen und Hühner zwischen den Hütten sehen. Einige Kinder wuselten zwischen den Hütten umher. In einiger Entfernung vom Dorf konnte er wenige Bauern in sackähnlichen Gewändern bei der Landarbeit entdecken. Als der Trupp, mit entsicherten Karabinern nach allen Seiten sichernd, die so entsetzlich öde und armselige Ansammlung von Hütten erreichte, war es menschenleer. Keine Kinder, keine Ziegen. Ein paar Hühner gackerten und zwei furchtbar räudige Hunde kläfften. Aber kein Mensch, auch die Berber auf den nahen Feldern in ihren nachthemdähnlichen grauen Umhängen waren verschwunden. Das Ganze wirkte unheimlich, bedrohlich, aber auch lächerlich. Zwanzig schwer bewaffnete Männer gegen zwei kläffende Köter und einige Hühner.

„Zwei mal vier Mann zum Durchsuchen der Hütten, die anderen bleiben zum Sichern zurück“, lautete der Befehl des Gruppenführers.

Als Harry mit seinem Vier-Mann-Suchtrupp die erste Hütte betrat, schüttelte er innerlich den Kopf. Mein Gott, wie kann man bloß so leben. Die Strohhütte war wirklich trostlos. Die nackte Erde als Boden, einige Kisten als einziges Mobiliar und eine primitive Feuerstelle – und völlig leer. Bei der zweiten Hütte dasselbe. In der dritten saßen sie, dicht aneinandergedrängt. Etliche Frauen, Kinder, Ziegen und zwei uralte Männer, alle stumm und angstvoll zu den bewaffneten Eindringlingen starrend. Nach mehreren vergeblichen Versuchen kam eine minimale Art der Verständigung zustande. Einer der alten Männer sprach etwas Französisch. Er war allerdings nur sehr schwer zu verstehen. Nicht nur wegen seines fehlenden Wortschatzes, sondern auch wegen seiner Aussprache. Der Greis hatte keinen einzigen Zahn mehr im Mund, so kam jedes Wort nur tuschelnd und zischend. So zerknittert, so faltig, so ganz und gar zahnlos wirkte er entsetzlich hilflos und schutzbedürftig. Aber es half nichts, er war der Einzige, der einigermaßen Auskunft geben konnte. Nein, hier seien keine Rebellen. Nein, sie haben auch noch nie welche gesehen. Die Männer auf den Feldern? Ja, sie haben sich sicher aus Angst hinter den wenigen Büschen am Rand des Feldes versteckt. Aber es seien nur einfache Bauern, sie alle haben nichts mit den Rebellen zu tun. Harry glaubte dem Alten. Aber er wusste auch aus den vielen Instruktionen, wie trickreich die Rebellen waren, wie gut sie sich tarnten und wie grausam sie sein konnten.

Die Durchsuchung der weiteren Hütten und Ställe ergab nichts. Die Männer wurden hinter den Büschen gefunden. Sie gaben sich devot, angstvoll zitternd und versicherten mit einigen französischen Brocken, dass hier keine Rebellen seien und sie nichts mit ihnen zu tun haben.

Schließlich zog die Aufklärungsgruppe weiter. Es war schon später Nachmittag und bis zum vereinbarten Treffpunkt mit den anderen beiden Gruppen lagen noch gute zehn Kilometer vor ihnen. Es war heiß, öde und ereignislos. Die Männer trotteten missmutig dahin. Die trostlose Landschaft war steinig. Kleine Felsansammlungen wechselten mit sandigen Abschnitten ab. Es gab kaum Vegetation. Hin und wieder kleine vertrocknete Grasbüschel und in größeren Abständen ein paar grau-braune und vertrocknet aussehende Buschansammlungen. Harry selbst fühlte sich auch vertrocknet und von einer grau-braunen Staubschicht überzogen. Die Kameraden sahen nicht anders aus. Verklebt, verdreckt und ausgetrocknet zwangen sie sich zu jedem Schritt. Innerlich stöhnend trank Harry ein paar Schlucke warmes Wasser aus seiner Feldflasche. Verdammt, sie war fast leer. Bis zum Treffpunkt, zu dem ein LKW auch Wassernachschub bringen würde, würde es noch knapp zwei Stunden dauern. Leicht amüsiert dachte er an das Strafexerzieren während der Ausbildung zurück, wenn die Feldflaschen nicht die festgesetzten Mindestrestmengen enthielten.

Bei jeder Buschansammlung nahm die Aufmerksamkeit der Truppe automatisch zu. Oft genug waren ihnen während der Ausbildung die Gefahren eines Hinterhalts eingetrichtert worden. Der Gruppenführer und auch Harry suchten immer wieder das Gelände mit ihren Ferngläsern ab. Es war eine willkommene Unterbrechung der Monotonie, als sie in einiger Entfernung eine Mini-Karawane, bestehend aus ein paar bepackten Eseln und zwei Eseltreibern, entdeckten. Die beiden Berber sprachen kein Wort Französisch. Gestenreich versuchten sie, zu erklären, dass sie nur landwirtschaftliche Erzeugnisse transportieren. Aber es half nichts, alles musste abgeladen werden. Penibel durchwühlten die Soldaten jeden Sack, rissen Kohlköpfe und wurzelähnliches Gemüse auseinander. Es fand sich nichts, außer dem kargen Boden in mühseliger Arbeit abgerungene Produkte. Harry sah sich um, als die Gruppe weitermarschierte. Finster und feindselig starrten ihnen die beiden Berber nach. Etliche Produkte waren beschädigt, sie würden auf dem nächsten Markt weit weniger erlösen als erwartet. Harry dachte insgeheim: Vielleicht haben wir ja mit unserer Aktion erreicht, dass die Rebellenarmee demnächst um zwei fanatische Kämpfer wächst.

Endlich erreichten sie den Treffpunkt, fassten frisches Wasser, erhielten ein vom Nachschub-LKW mitgebrachtes Essen und konnten dann ihr Nachtbiwak errichten. Die Aufklärung der anderen beiden Gruppen war ähnlich ereignislos verlaufen wie die ihre.

Nachts wurde es bitterkalt. Harry schlief schlecht auf dem nackten harten Boden und fror entsetzlich. Den meisten seiner Kameraden erging es ähnlich. Mit entsprechend wenig Elan starteten sie ihre zweite Route der Aufklärungsaktion. Die Tagesetappe war etwa dreißig Kilometer weit. Beim abendlichen Ziel sollten die Gruppen sich wieder treffen und dann per LKW zurück in die Kaserne fahren.

Jetzt, am noch frühen Vormittag, war die Kälte der Nacht vergessen. Die Sonne brannte bereits erbarmungslos auf die öde Landschaft. Bald waren die Soldaten wieder genauso verschwitzt, verklebt und verdreckt wie am Vortag. Nach einigen Stunden erreichten sie, wie vorgesehen, wieder ein kleines Dorf, eine Ansammlung armseliger Hütten, die überprüft werden sollte. Wieder fanden sie die Bewohner ängstlich und schutzsuchend zusammengedrängt in einer Hütte und die Männer auf dem Feld. Das Ergebnis nach über zwei Stunden war ohne jedes Resultat, genau wie am Vortag. Etwas später erwischten sie noch einen einsamen, hoch bepackten Eselskarren. Wieder Durchsuchung, wieder ohne Resultat. Aber jedes Mal, ob bei dem Abmarsch aus dem Dorf oder nach der Durchsuchung der Karren, folgten ihnen verzweifelte, finstere und vor allem feindselige Blicke.

Am Nachmittag marschierten sie auf eine etwas größere Gruppe struppigen grau-braunen Buschwerks zu. Sofort wurde die Aufmerksamkeit größer, die Karabiner wurden von der Schulter in Vorhalte genommen, die Schritte energischer und weniger schleppend. Der Gruppenführer und Harry nahmen die Büsche durch das Fernglas genau ins Visier. Aber da war nichts. Erleichtert passierten sie die Stelle. Die Schritte wurden wieder schleppender, alles war leer, öde, staubig. Die Sonne brannte.

Plötzlich peitschten Schüsse. Schmerzensschreie zerrissen die triste Landschaft. Volle Deckung. Aber wo, das Gelände war flach. Beim Hinwerfen hatte Harry Bewegung im Buschwerk gesehen. Der Gruppenführer ebenfalls. Der brüllte jetzt: „Wir haben hier keine Deckung. Sturmangriff auf die Büsche. Dauerfeuer! Harry, Roberto, Piotr, Handgranaten. Auf, marsch, marsch.“ Das Denken war ausgeschaltet. Die Legionäre waren keine Einzelwesen mehr, sie wurden zu Automaten. Auch Harry. Automatisch sprang er auf, rannte drei, vier Schritte, schmiss sich wieder hin. Sprang wieder auf, machte einen Haken, riss im Rennen eine Handgranate von seinem Gürtel, zog automatisch die Sicherung heraus, schmiss sie weg und legte dann all seine Kraft in seinen Wurf, hinein in das Gebüsch, dort, wo er die Bewegung gesehen hatte. Sofort tauchte er wieder ab in volle Deckung. Er spürte einen brennenden Schmerz in seinem Wurfarm. Hatte er so viel Wucht in den Wurf gelegt, dass er sich den Arm gezerrt hatte? Keine Zeit zum Denken. Auch die Handgranaten der anderen beiden Werfer schlugen im Gebüsch ein und dröhnten bei der Explosion. Von den Seiten peitschten die Schüsse der anderen Kameraden. Es stank nach explodierender Munition, nach berstenden Granaten. Ein Inferno unter brennender Sonne. Auch Harry packte jetzt seinen Karabiner, um zu feuern, obgleich aus dem Gebüsch keine Antwort mehr kam. Aber sein rechter Arm wollte ihm nicht gehorchen. Der Gruppenführer schrie den Befehl zum Feuereinstellen. Alle lagen in voller Deckung, schussbereit, und warteten. „Harry mit zwei Mann Feindüberprüfung. Vorsichtig anpirschen. Alle anderen schussbereit sichern.“ Sie pirschten sich an. Harry hatte den Karabiner in die Linke genommen, der rechte Arm brannte und gehorchte nicht so richtig. Langsam und bedächtig krochen sie vor, immer wieder spähend und sichernd. Harry sah es zuerst, Fleisch- und Stofffetzen an den braunen Zweigen der Büsche. Drei Leichen lagen in einem zwischen den Büschen ausgehobenen Deckungsloch. Ein Körper war total verstümmelt. Brust und Bauch waren eine einzige blutige Höhle und die fehlenden Teile hingen als grauenhafte blutige Fleischfetzen und Stoffreste im Gebüsch. Die Legionäre durchkämmten das Gebüsch, aber es gab keinen Feind mehr. Die drei Rebellen hatten in einem vorbereiteten Deckungsloch zwischen den Büschen abgewartet, bis die Kolonne passiert hatte, und dann von hinten das Feuer eröffnet. Drei Legionäre wurden sofort getroffen und lagen noch an der Überfallstelle. Einer hatte einen Arm- und einer einen Schulterdurchschuss. Sie waren, wenn auch unter Schmerzen, bald wieder auf den Beinen. Zandor, ein junger Ungar, lag immer noch ohne Bewusstsein am Boden. Seine rechte Brustseite war an der Stelle, wo das Geschoss wieder ausgetreten war, eine einzige matschige, blutige Fläche. Aus den kräftigsten Zweigen der Büsche fertigten die Soldaten eine Behelfstrage für Zandor. Immer vier Mann würden ihn abwechselnd für den Rest des Rückmarsches tragen.

Erst jetzt bemerkte Harry die nasse rote Stelle an seinem rechten Arm. Nein, er hatte sich den Arm nicht beim Handgranatenwurf gezerrt. Es war eine Schussverletzung. Der Kamerad mit der Sanitätshilfsausbildung schnitt sein Hemd auf und untersuchte den Arm. Zum Glück war es nur ein Streifschuss, der schnell verbunden war.

Mit zwei Stunden Verspätung erreichten sie den vereinbarten Treffpunkt. Der Rückmarsch mit der Trage und dem schwer verletzten Zandor hatte ebenso Zeit gekostet wie das kurze, aber heftige und erbarmungslose Gefecht, das Sichern des Kampfortes und die Behandlung der Schussverletzungen. Bei den anderen beiden Gruppen war der Tag ereignislos verlaufen.

Auf der Rückfahrt in die Kaserne wurde der Überfall immer wieder durchgesprochen. Meistens war es allerdings kein Sprechen. Je nach Temperament schrien sich die Kameraden ihre Empfindungen zu, der eine oder andere versuchte sich dabei als Held aufzubauen, oder sie sprachen ganz leise, ganz in sich gekehrt, von dem Glück, das sie alle bis auf Zandor hatten. Immer wieder gingen sie den feigen, aber raffinierten Hinterhalt der Rebellen und die perfekte Reaktion und den Sturmangriff der Gruppe durch.

In der Krankenstation wurde Zandor notversorgt. Der Arzt resignierte. Er konnte für den schwer verletzten Kameraden in seiner kleinen Notfallstation nicht viel tun. Zandor wurde mit einem Sanitätskraftwagen ins Krankenhaus transportiert. Harrys Streifschuss war die letzte der drei Schussverletzungen, die der Arzt anschließend versorgte. „Sie haben sehr viel Glück gehabt. In ein paar Wochen ist das alles verheilt. Ich schreibe Sie für zwei Wochen krank. Da können Sie sich ein wenig erholen“, sagte der Doktor schmunzelnd. Er war ein netter älterer Herr, der irgendwann den Absprung aus der Legion verpasst hatte.

Später in ihrer Unterkunft sprachen Harry und Ian die vergangenen Tage noch einmal durch. Ian hatte in seiner Gruppe zwar nichts Aufregendes erlebt, war aber genauso zwiespältig in seinen Empfindungen wie Harry über die Vorgehensweise der Legionäre bei den Durchsuchungen der Dörfer und armseligen Transporte mit den kargen Ernteerträge der Bauern. Wer Wind sät, wird Sturm ernten, darin waren sich beide einig.

Abends saß Harry noch sehr spät alleine auf der harten Bank vor dem Logis. Er konnte nicht schlafen. Ein wenig fassungslos betrachtete er seine Hände. Sie zitterten! Völlig verselbstständigt spulte sich der Überfall immer wieder in seinem Kopf ab. Er konnte es nicht abstellen, er konnte nichts dagegen tun. War er es gewesen, war es seine Handgranate gewesen, die drei Menschen das Leben gekostet hatte? Das Bild des völlig zerfetzten Körpers des einen Algeriers ließ sich ebenso wenig wegschieben wie die Fleischfetzen und Stoffreste, die kurz vorher noch einen Menschen ausgemacht und ihn bekleidet hatten und dann in dem Gebüsch klebten. Krampfhaft versuchte er, immer wieder rationale Gedanken in den Vordergrund zu holen. Die haben uns schließlich überfallen, die haben einen Hinterhalt aufgebaut, die wollten uns schließlich alle umbringen. Er erkannte, dass das alles richtig war, aber das Grauen blieb.

Harry konnte erst in den frühen Morgenstunden etwas Schlaf finden. Aber Harry war jung. Der nächste Tag weckte ihn mit strahlendem Sonnenschein. Die Kameraden hatten schon Dienst. Doch er hatte frei, er war krankgeschrieben. Er suchte die beiden anderen Kameraden mit den Schussverletzungen auf. Er versuchte, sie zu einem Spaziergang in die Stadt zu animieren. Aber sie lehnten ab, sie hatten Schmerzen. Die hatte Harry auch, aber sein Streifschuss war sicher nicht so schmerzhaft wie die beiden Durchschüsse. Alleine konnte er nicht gehen, das war verboten. Sie spielten ein wenig Karten, dann nahm Harry sich ein Buch und las. Er fand das Leben wieder ganz erträglich.

Zwei Tage später wurde Harry zum Kommandanten befohlen. Habe ich etwa etwas ausgefressen?, fragte er sich insgeheim, als er sich meldete. Aber nein, er erhielt eine feierliche Belobigung für sein „vorbildliches Verhalten im Gefecht“. Der Gruppenführer hatte in seinem Bericht Harrys Verhalten als tapfer, entschlossen und professionell geschildert. Harrys Verhalten sei es maßgeblich zuzuschreiben, dass der heimtückische Überfall aus dem Hinterhalt bis auf die schwere Verletzung von Zandor so glimpflich ausgegangen sei. „Sie haben entschlossenen und qualifiziert gehandelt. Wenn Sie wieder dienstfähig sind, werden Sie als Gruppenführer eingesetzt. Da diese Positionen für unsere beiden Gruppen besetzt sind, werden Sie nach Dienstfähigkeit in das Fort Sidi Boukekeur versetzt und dort eine Gruppe führen.“

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22 aralık 2023
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