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2.2.2Verdunstung

Obwohl der Begriff „Verdunstung“ physikalisch sehr einfach als die Überführung von flüssigem Wasser in gasförmigen Wasserdampf definiert ist, stellen sich doch immer wieder Verständigungsschwierigkeiten ein. Es scheint daher ratsam, die Begriffe vorab zu klären.

Begriffsbestimmungen und Rechenverfahren

Verdunstet Wasser an einer Oberfläche ohne Mitwirkung eines lebenden Wesens etwa an einer Seeoberfläche, einem Hausdach oder am unbewachsenen Boden, so spricht man von Evaporation. Wird dagegen Wasser unter dem Einfluss aktiver Lebensvorgänge verdunstet, so nennt man das Transpiration. Dazu gehört die Verdunstung an Pflanzenblättern oder des Schwitzwassers vom Menschen und verschiedenen Tieren.

Ist der Boden bewachsen, so laufen beide Vorgänge nebeneinander ab. Man spricht dann von Evapotranspiration. Sie ist gemeint, wenn hier kurz von „Verdunstung“ gesprochen wird.

Erste und offensichtliche Voraussetzung für die Verdunstung ist das Vorhandensein von flüssigem oder festem Wasser in 94 geeigneter Form. Geeignete Form bedeutet, dass das Wasser nicht etwa chemisch oder anderweitig gebunden sein darf. Verdunstung verlangt zweitens die Zufuhr von Energie. Diese kann entweder von der Strahlung geliefert oder aus dem Wärmevorrat von Luft, Boden oder Gewässern entnommen werden. Steht genügend Energie zur Verfügung, geht die Verdunstung schnell vor sich, wird sie dagegen nur im beschränkten Maße bereitgestellt, so erfolgt die Verdunstung langsam. Stellen wir einen Topf mit Wasser auf den Tisch, so verdunstet sein Inhalt ungleich langsamer, als wenn wir ihn auf die heiße Herdplatte setzen. Auch die Tatsache, dass im Winter im Freien weniger Wasser verdunstet als im Sommer, liegt an der mangelnden Energie.

Drittens ist für die Verdunstung notwendig, dass die Luft in der Lage ist, den Wasserdampf aufzunehmen, d. h., sie darf nicht feuchtegesättigt sein. Es gibt jedoch Ausnahmen, auf die hier aber nicht eingegangen werden kann.

Um die Abhängigkeit der Verdunstung von den meteorologischen Bedingungen verstehen zu lernen, stellen wir uns, wie in Abb. 26 gezeigt wird, eine ebene Fläche vor, die im Bereich AB nass, im übrigen aber trocken sein soll. Die Luft oberhalb der Fläche sei in der Lage, Wasserdampf aufzunehmen. Sie werde durch gedachte Trennwände in Pakete gleicher Breite zerteilt. Wie leicht einzusehen ist, wird jetzt im Bereich AB Wasser verdunsten und als Wasserdampf in den Raum ABB’A’ übertreten. In den Bereichen BC und CD dagegen kann, da kein Wasser vorhanden ist, auch keine Verdunstung erfolgen.


Abb. 26 Zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen der Verdunstung und der Windgeschwindigkeit (Erläuterungen im Text).

Wie wir wissen, kann Luft nur immer eine bestimmte maximale Wasserdampfmenge aufnehmen. Das bedeutet, dass nach einer 95 gewissen Zeit auch von der Fläche AB aus keine Verdunstung mehr erfolgen wird, weil der darüber befindliche Raum wasserdampfgesättigt ist. Denkt man sich jetzt die Luftpakete so weit nach links verschoben, dass das Volumen BCC’B’ über die nasse Oberfläche zu liegen kommt, so setzt erneut Verdunstung ein, bis auch dieser Raum gesättigt ist. Dann denken wir uns CDD’C’ darübergeschoben und so fort.

An der nassen Oberfläche wird umso mehr Wasser verdunsten, je öfter wir ein neues, trockenes Luftvolumen darüberschieben. Stellen wir uns jetzt den beschriebenen Vorgang nicht mehr in diskreten Schritten ablaufend vor, sondern kontinuierlich, so stellt diese Verschiebung von Luftpaketen eigentlich nichts anderes dar als eine Luftbewegung oder anders ausgedrückt einen Wind. Wir ersehen daraus, dass die Verdunstung von der Windgeschwindigkeit abhängen wird, und zwar in dem Sinn, dass sie mit steigender Windgeschwindigkeit wächst.

Der Windeinfluss auf die Verdunstung ist hier sehr stark vereinfacht dargestellt. Die exakten physikalischen Zusammenhänge können erst im Rahmen der Grenzschichttheorie (s. Seite 365) erläutert werden.

Damit Verdunstung stattfindet, sind erforderlich:

 Wasser;

 Energie;

 Luft, die den

entstehenden Wasserdampf aufnehmen, und Wind, der ihn wegführen kann.

Eine Reihe von Vorgängen aus dem täglichen Leben sind Beispiele für diesen Zusammenhang. Blasen wir nicht die Suppe, wenn sie zu heiß ist? Dabei nimmt die Verdunstung zu und es steigt der Bedarf an Verdunstungsenergie, die der Suppe entnommen wird und so zur Abkühlung führt. Jede Hausfrau (und natürlich auch jeder Hausmann) weiß, dass Wäsche an einem windigen Tag schneller trocknet als an einem windstillen. Beschlagene Schaufensterscheiben werden klar, wenn man sie dem Wind eines Ventilators aussetzt. Ein mit Tinte beschriebenes Stück Papier trocknet schneller, wenn wir es in der Luft schwenken. Bei Händetrocknern mit entsprechend starkem Gebläse kann man sogar auf das Erwärmen der Luft verzichten. Und schließlich wissen wir alle, welche Wohltat es ist, wenn an einem heißen Sommertag ein sanfter Wind den schweißbedeckten Körper kühlt.

Wind alleine aber ist es noch nicht, was die Verdunstung in Gang setzt. Wären alle Luftpakete der Abb. 26 wasserdampfgesättigt, so könnte keine Verdunstung stattfinden, wie oft wir sie auch auswechseln. Wir brauchen, wie schon gesagt wurde, Luft, die den Wasserdampf aufnehmen kann. Je größer die Differenz zwischen dem Dampfdruck der Luft und dem Sättigungsdampfdruck des flüssigen Wassers ist, desto intensiver wird die Verdunstung (vgl. Seite 97).

Auch diese Feststellung lässt sich wieder mit Erfahrungen aus dem täglichen Leben belegen. In einem engen, dämpfigen Badezimmer trocknet die Wäsche langsamer als auf einem luftigen, hohen Dachboden. Die feuchte Luft der Sauna wirkt schweißtreibend, weil sie das ausgeschwitzte Wasser nicht aufnehmen kann. Schließlich ist der Durst an einem trockenen Tag erfahrungsgemäß größer als an einem feuchten, weil die trockene Luft unserer Lunge mehr Wasser entzieht. 96

Zusammenfassend gilt: Die Verdunstungsrate (gemeint ist damit die pro Fläche und Zeit verdunstete Wassermenge) ist umso größer, je mehr Wasser und je mehr Energie vorhanden sind, je größer das Sättigungsdefizit der Luft und je höher die Windgeschwindigkeit sind.

Als Musterbeispiel zur Optimierung der Verdunstung gilt der Fön, mit dem wir nach der Haarwäsche die Haare trocknen. Im Fön wird kräftig erwärmte Luft mit hoher Geschwindigkeit ausgeblasen. Infolge der Erwärmung geht die relative Feuchte der Luft stark zurück. Das bedeutet: Es bildet sich ein erhebliches Sättigungsdefizit (E – e) aus. Gleichzeitig bringt die warme Luft aber auch die benötigte Verdunstungsenergie mit. Die hohe Strömungsgeschwindigkeit schließlich sorgt für einen schnellen Nachschub an trockener Luft. Händetrockner arbeiten nach dem gleichen Prinzip. Bei den unbeheizten Modellen muss die geringere Wasserdampf-Aufnahmefähigkeit der Luft durch eine höhere Strömungsgeschwindigkeit kompensiert werden.

Die Verdunstung kann man messen. Welche Verfahren es dazu gibt, ist auf Seite 394 beschrieben. Wie dort gezeigt wird, sind die Messverfahren jedoch nur von mäßiger Genauigkeit und zum Teil physikalisch anfechtbar. Es erweist sich deshalb oft als nützlicher, sie mithilfe anderer meteorologischer Größen zu berechnen. Die Physik bietet dazu eine Reihe von Formeln an. Leider verlangen viele von ihnen aber gerade solche Größen, die in der Praxis nur schwer zu bestimmen sind, z. B. die Oberflächentemperatur des verdunstenden Wassers. Man benützt deshalb in der Meteorologie gern die leichter zu handhabenden Näherungsformeln, von denen eine besonders wichtige vorgestellt werden soll. Wer sich auch für die physikalischen Exaktformeln interessiert, findet darüber eine Fülle von Informationen bei Hofmann (1956 und 1988), bei Schrödter (1985) und bei Foken (2003).

Die bekannteste und weltweit als beste anerkannte Näherungsformel stammt von Penman (1948). Sie lautet:

W* = ζ *Q + (1 – ζ) * ν * (EL – eL)

Darin bedeutet W* die Verdunstungsrate in Millimetern pro Tag (mm/d; mit „Millimeter“ ist die Einheit „Millimeter Niederschlagshöhe“ gemeint, die auf Seite 384 näher erläutert ist; man verwendet diese Einheit gerne, um die Verdunstung bequem mit dem Niederschlag vergleichen zu können). ζ ist eine komplexe physikalische Größe, die unter anderem von der Temperatur abhängt. Q steht für die Strahlungsbilanz, einer Größe, die den Gewinn an Strahlungsenergie (s. Seite 214) beschreibt. ν enthält den Einfluss der Windgeschwindigkeit und (EL – eL) ist das Sättigungsdefizit der Luft.

Wir finden also in dieser Formel die gleichen Einflussfaktoren wieder, die wir vorhin schon als verdunstungsrelevant erkannt haben: Temperatur und Strahlungsbilanz, die die Energie liefern, Windgeschwindigkeit und Sättigungsdefizit, die den Wasserdampfabtransport besorgen.

Dem aufmerksamen Leser dürfte jedoch nicht entgangen sein, dass die Penman-Formel keine Größe enthält, die danach fragt, ob denn auch genügend Wasser zum Verdunsten zur Verfügung steht. In der Tat gilt diese Formel auch nur für die Verdunstung offener Wasserflächen oder eines gut mit Wasser versorgten, kurz gehaltenen Rasens. Man spricht in solchen Fällen von 97 potenzieller Verdunstung. Die tatsächliche oder aktuelle Verdunstung ist demnach kleiner oder bestenfalls gleich der potenziellen. Machen wir uns den Unterschied zwischen der potenziellen und der aktuellen Verdunstung durch einen Vergleich klar: In der Wüste ist die aktuelle Verdunstung wegen des fehlenden Wassers trivialerweise außerordentlich klein, die potenzielle Verdunstung dagegen ist wegen der großen Hitze, der ungehemmten Sonneneinstrahlung, der trockenen Luft und der hohen Windgeschwindigkeiten außerordentlich hoch, was man auch mit einem einschlägigen Experiment jederzeit beweisen könnte.

Ganz anders in unseren Breiten: Hier ist die potenzielle Verdunstung nur mäßig hoch. Wegen der häufig guten Wasserversorgung der Böden steht ihr aber die aktuelle Verdunstung oft nur wenig nach.

Die Penman-Formel liefert, wie wir gesehen haben, die potenzielle Verdunstung. Uns interessiert jedoch in erster Linie die tatsächliche, die sogenannte aktuelle Verdunstung. Es stellt sich also die Frage: Wie kommen wir zu einem Umrechnungsverfahren, das uns die gesuchten Werte liefert? Dazu müssen wir uns erst einmal Gedanken machen, unter welchen Bedingungen die aktuelle Verdunstung überhaupt hinter der potenziellen zurückbleibt.

Dabei ist zunächst an den Boden zu denken. In diesem Zusammenhang ist wichtig, sich klarzumachen, dass die Bodenteilchen das Wasser mit unterschiedlich starken Molekularkräften festhalten. Wird aus dem Boden verdunstet, dann werden zuerst die schwächeren Kräfte überwunden, die die Wassermoleküle noch relativ leicht abgeben. Geht der Bodenwassergehalt aber immer weiter zurück, dann bleiben nur noch die starken und stärksten Bindekräfte übrig, die sich der Verdunstung zunehmend vehement widersetzen.

Ergebnis: Je geringer der Bodenwassergehalt, desto weiter bleibt die aktuelle Verdunstung hinter der potenziellen zurück.

Darüber hinaus reagieren die Pflanzen physiologisch sehr sensibel auf die meteorologischen Bedingungen und können so die Verdunstung erheblich beeinflussen: Bei warmem, windigem und trockenem Wetter – das sind aber genau die Bedingungen hoher potenzieller Verdunstung – schließen sie ihre Atemöffnungen (Stomata) und schränken dadurch die Transpiration stark ein. Natürlich verhält sich dabei jede Pflanzenart anders, ja selbst während verschiedener Wachstumsphasen treten bei ein und derselben Pflanzenart Unterschiede auf.

Fazit: je größer die potenzielle Verdunstung ist, desto eher sinkt die aktuelle Verdunstung unter diesen Maximalwert – ein Verhalten, das leider leicht zu Verständnisproblemen führen kann. 98

Formal lässt sich die Drosselung der Verdunstung durch die Einführung von Widerstandstermen in die Verdunstungsgleichungen berücksichtigen. Sie beschreiben, welche Ursachen an welchen Stellen zu einer Behinderung des Wasserstromes durch die Pflanze führen: So greift z. B. der Bodenwassermangel an der Übertrittsstelle vom Boden zur Wurzel und der Stomataschluss an der Übergangsstelle vom Pflanzengewebe zur Luft ein.


Abb. 27 Zur Reduktion der aktuellen Verdunstung nach Slabbers (1980), Einzelheiten im Text.

Für die Penman-Formel hat Monteith entsprechende Anpassungen geschaffen. (Einzelheiten dazu findet man z. B. bei Schrödter 1985, Kraus 2008 oder Foken 2003).

Für praktische Anwendungen hat sich der sehr anschauliche Umrechnungsansatz von Slabbers (1980) gut bewährt (Breuch-Moritz, 1989). Abb. 27 zeigt die Zusammenhänge am Beispiel eines Maisbestandes. Bei einem sehr nassen Boden (Saugspannung um 0,1 * 105 Pa) bleibt die aktuelle Verdunstung gleich der potenziellen, egal wie hoch die potenzielle Verdunstung auch immer ist. Im mittleren Bereich (1,0 * 105 Pa) erreicht die aktuelle Verdunstung die potenzielle nur noch bei geringen Verdunstungsansprüchen der Atmosphäre, also bei einer geringen potenziellen Verdunstung. Bei potenziellen Verdunstungsraten über 6 mm/d geht die aktuelle Verdunstung auf unter 30 % (der potenziellen) zurück. Ist der Boden sehr stark ausgetrocknet (10 * 105 Pa) und bleibt die potenzielle Verdunstung unter 2 mm/d, dann bleibt die aktuelle Verdunstung über der 40 %-Marke. Bei wachsender potenzieller Verdunstung kommt sie aber schließlich völlig zum Erliegen.

Weitere Informationen über Näherungsformeln zur Verdunstungsrechnung findet man in der Spezialliteratur, vor allem bei 99 Schrödter (1985) und Foken (2003). Wie man mit den Verdunstungsformeln in der Praxis arbeitet, kann man in der VDI-Richtlinie 3786, Blatt 13 nachlesen.

Beispiele für Verdunstungsrechnungen


Abb. 28 Die Abbildung zeigt das Verhältnis der aktuellen zur potenziellen Verdunstung in Abhängigkeit von Bodenwassergehalt und potenzieller Verdunstung (vgl. Seite 99) in einer einprägsamen 3D-Darstellung.

Tab. 5 soll an einigen Beispielen den Einfluss des Wetters auf die Verdunstung zeigen. Sie enthält Werte der potenziellen Verdunstung, berechnet nach der Formel von Penman. In Zeile 1 ist ein warmer, heiterer, trockener, windschwacher Julitag beschrieben. An ihm verdunsten 4,4 Wasser/m2 (= mm). Liegt unter sonst gleichen Bedingungen die Temperatur 3 °C höher, sodass der Tag als sehr warm einzustufen ist (Zeile 2), wächst auch die Verdunstungsrate auf 4,8 mm.

Ändern wir jetzt die Wetterelemente aus Zeile 2: Scheint am Tag die Sonne statt 10 Stunden 15 Stunden (Zeile 3), nimmt die Verdunstung aufgrund des höheren Energieangebots auf 5,7 mm zu. Eine Senkung der relativen Feuchte von 65 % auf 50 % und die damit verbundene Vergrößerung des Sättigungsdefizits, wie etwa bei der Zufuhr trockener Festlandsluft (Zeile 4), bewirkt eine Steigerung um 0,4 mm gegenüber der Situation in Zeile 2. Erheblich verdunstungsfördernd wirkt offensichtlich der Wind. Bei mäßigem Wind erreicht die Verdunstung 6,3 mm (Zeile 5), bei sonst gleichen Bedingungen wie in Zeile 2.

Wurde bisher die Verdunstung einer Ebene betrachtet, so sollen jetzt die Bedingungen an einem 20 % geneigten Süd- bzw. Nordhang aufgezeigt werden. Während der sonnenexponierte Südhang (Zeile 6) gegenüber der Ebene (Zeile 2) eine Verdunstungssteigerung um 0,5 mm aufweist, geht sie am Nordhang (Zeile 7) um 0,7 mm zurück. Vergleicht man die gleiche Situation auch im September (bitte beachten: im Herbst werden Tagesmitteltemperaturen von 16,6 C noch als warm empfunden, außerdem sind die Tage kürzer), so ergibt sich am Südhang eine Zunahme um 1 mm, am Nordhang eine Abnahme um 1,2 mm. Die Differenz zwischen Nord- und Südhang beträgt also im Herbst 2,2 mm, im Hochsommer dagegen nur 1,2 mm (vgl. Seite 330).

Die Spitzenwerte der Verdunstung bei genügender Wasserversorgung der Böden (potenzielle Verdunstung) liegen in Mitteleuropa um 6 bis 7 Millimeter pro Tag.

Interzeption

Das für die Verdunstung am Boden zur Verfügung stehende Wasser stammt fast immer in irgendeiner Form aus dem Niederschlag. Häufig gelangt aber der Niederschlag, bevor er wieder verdunstet, gar nicht bis zum Boden. Erhebliche Wassermengen bleiben an den Blättern und Zweigen der Pflanzen hängen und verdunsten, ohne den Erdboden je zu erreichen. Man nennt diesen Vorgang Interzeption oder Interzeptionsverdunstung. Die aus der Interzeption resultierenden Wasserverluste sind sowohl bei den natürlichen Niederschlägen als auch bei der künstlichen Beregnung von nicht zu 100 unterschätzender Bedeutung. Sie summieren sich im Lauf der Zeit zu erheblichen Werten auf. Über Deutschland integriert kommt sie auf Werte um 9–10 % des Jahresniederschlages (s. Seite 157). In der Landwirtschaft hat man der Interzeption ‒ besonders im Zusammenhang mit Bewässerungsfragen ‒ zunehmendes Interesse entgegengebracht (von Hoyningen 1980, Sanchez 1980).


Tab. 5Richtwerte der potenziellen Verdunstung bei verschiedenen Wetterbedingungen berechnet nach der Formel von Penman
Tagesmittel von
Nr.WetterMonatLageTemperatur °CRelative Feuchte %Windm/sSonnenschein in h (%)Verdunstung mm/d
1Warm, heiter, trocken, kaum WindJuliEbene17,6651,510 (63)4,4
2Sehr warm, heiter, trocken, kaum WindJuliEbene20,5651,510 (63)4,8
3Sehr warm, wolkenlos, trocken, kaum WindJuliEbene20,5651,515 (95)5,7
4Sehr warm, heiter, trocken, kaum WindJuliEbene20,5501,510 (63)5,2
5Sehr warm, heiter, trocken, mäßiger WindJuliEbene20,5654,010 (63)6,3
6Sehr warm, heiter, trocken, kaum WindJuli20°Südhang20,5651,510 (63)5,3
7Sehr warm, heiter, trocken, kaum WindJuli20°Nordhang20,5651,510 (63)4,1
8Warm, heiter, trocken, kaum WindSept.Ebene16,6601,58 (64)3,0
9Warm, heiter, trocken, kaum WindSept.20°Südhang16,6601,58 (64)4,0
10Warm, heiter, trocken, kaum WindSept.20°Nordhang16,6601,58 (64)1,8
Sonnenschein (%) bedeutet die tatsächliche Sonnenscheindauer in % der maximal möglichen Sonnenscheindauer 101

Von Hoyningen (1980) hat die Interzeptionsverluste an Weizen, Hafer, Kartoffeln und Mais untersucht. In Abb. 29 sind die Ergebnisse einer Regressionsrechnung zu sehen, in der die Interzeption in Abhängigkeit vom Niederschlag und vom Blattflächenindex dargestellt ist. Der Blattflächenindex ist ein Maß für die Dichte des Blätterdaches eines Pflanzenbestandes. Er gibt an, wie oft man mit den Blättern die Bestandsfläche abdecken könnte.


Abb. 29 Interzeption in Abhängigkeit von Niederschlag und Blattflächenindex (nach von Hoyningen gen. Huene 1980).

Wie man sieht, nimmt die Interzeption mit dichter werdenden Blattflächen zum Teil erheblich zu. Nur bei sehr kleinen Niederschlagsmengen lässt dichtes Laub vielleicht wegen gegenseitiger Abschirmung die Interzeptionskurven wieder rückläufig werden. Bei hohen Niederschlägen können dagegen große Blattmassen erhebliche Interzeptionsverluste bewirken, während dünnes Blattwerk schon bei Niederschlägen von 10 bis 12 mm seine maximale Speicherkapazität erreicht.

Besonders hohe Interzeptionsverluste erleiden Hafer und Kartoffeln. Weizen zeigt auffallend geringe Interzeptionsraten. In dichten Wäldern können der Wasserversorgung der Pflanzen durch Interzeption bis zu 50 % des Niederschlags verloren gehen.


Abb. 30 Bei Fichtenwäldern kann die Interzeption pro Niederschlagsereignis Einbußen bis knapp 5 mm mit sich bringen. Das ist fast doppelt so viel wie bei Buchenwäldern, die Verluste bis zu 2,5 mm erleiden. Der Grund dafür ist, dass die vielen Nadeln der Fichte eine größere Auffangfläche besitzen als die Buchenblätter. Von Niederschlägen unter 5 mm bleiben an Buchen bis zu 40 % an Fichten sogar bis zu 60 % als Interzeption zurück.

Bestimmen kann man die Interzeption nur über indirekte Verfahren. Dazu geht man von der Vorstellung aus, dass der auf einen Pflanzenbestand fallende Niederschlag (N) zu einem Teil ungehindert durch den Bestand hindurchfällt oder nach dem Auftreffen auf Blätter und Stängel zu Boden tropft (Nd), dass außerdem ein Teil am Stängel entlang herunter läuft (NS) und dass der Rest als Interzeption (I) an den Pflanzenoberflächen hängen bleibt. Misst man N, Nd und NS, so kann man I nach der Formel

I = N – Nd – NS

berechnen. Wie man bei den betreffenden Messungen vorzugehen hat, ist auf Seite 389 beschrieben. 102

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