Kitabı oku: «Halt oder ich scheisse!», sayfa 2

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5. Zugschule

Nach dem Antrittsverlesen steht jeden Morgen unfehlbar Zugschule auf dem Programm, das heisst, wir lernen unter dem Kommando unseres kernigen Leutnants, uns der Grösse nach auf ein Glied zu besammeln (auf ein "Glied", das gibt immer wieder zu Witzeleien Anlass), oder in Zweierkolonne, in Viererkolonne, in Kolonnenlinie und im Halbkreis, der sogenannten "Daher-Formation".

Nach den Besammlungsübungen kommt Marschieren im Gleichschritt an die Reihe, mit Richtungsänderungen und Anschritten. "Einmal – Richtung – links!", dröhnt der Leutnant zum Beispiel, wenn er einen rechtwinkligen Richtungswechsel sehen will, oder aber "Zwomal – Richtung – rechts!", wenn wir um 180 Grad wenden sollen. Er bellt im Takt des Gleichschritts, und unsere sogenannten Anschritte, die in Form von Stechschritten jeden vollzogenen Richtungswechsel sowohl optisch als auch akustisch markieren, müssen knallen, die Glieder stets sauber ausgerichtet bleiben. Manchmal verstehen wir, obwohl – oder vielleicht gerade – weil er brüllt, unseren Leutnant schlecht; so kann es vorkommen, dass die Hälfte der Rekruten das Kommando "röchts" als "lönks" interpretiert, worauf sich der Zug zu einem marschierenden Chaos zergliedert.

Das Beste aber sind die Reaktionsübungen, die den Besammlungsübungen und dem Marschieren vorangehen. Diese Übungen stammen zweifellos aus der Zeit, als die Schweizer Armee noch vom preussischen Vorbild geprägt war; sie zielen darauf ab, den Mann durch pausen- und sinnloses Umherhetzen auf dem Kasernenplatz zu "schleifen", das heisst, der Armee gefügig zu machen. Unsere Vorgesetzten drücken sich allerdings anders aus. "Es geht darum, euch frisch und munter zu machen, und ihr könnt dabei zeigen, dass ihr spritzige Kerls seid."

Wenn der Leutnant kommandiert: "Zurücktreten – marsch!", müssen wir synchron in den Knien zusammenzucken, eine halbe Drehung vollführen und nach hinten rennen, was das Zeug hält, bis der Leutnant schreit: "Halt!" Worauf wir wiederum eine halbe Pirouette zu vollziehen und, Front Richtung Leutnant, bockstill in der Ruhnstellung verharrend das nächste Kommando zu erwarten haben.

"Nach links treten – marsch!"

"Halt!"

"Zug – daher!"

"Zurücktreten – marsch!"

"Halt!"

Ganz und gar nicht befriedigt den Leutnant fast jeden Morgen unser lustloses und nur angedeutetes Kniezucken.

"Ich will sehen, dass ihr zuckt", sagt er mit tiefer, röhrender Stimme. "Ich zeige es euch." Er kommandiert sich selber "Marsch!" und zuckt daraufhin, die Füsse im klassischen 60-Grad-Winkel abgedreht, die Beine stämmig gegrätscht, tief in die Knie.

"So will ich das sehen. Nach links treten…" Der Leutnant wartet lauernd, ob sich einer aus Versehen vorzeitig regt, wartet, wartet, dann, unvermittelt: "Marsch!"

Wir zucken, rennen.

"Halt!"

Wir halten.

"Ihr habt noch viel zu wenig gezuckt", sagt der Leutnant. "Ich will vor allem euer Zucken sehen. Es ist egal, wenn ihr nicht allzu schnell rennt; wichtig ist mir das Zucken. Am Zucken sehe ich, dass ihr voll da seid."

Der Leutnant spannt sich, holt Luft.

"Nach rechts treten – marsch!"

Wir zucken, vollführen eine Vierteldrehung, rennen.

"Halt!"

Zwanzig Schuhpaare knallen auf dem Asphalt.

"Nach links treten – marsch!"

Zuck.

"Halt!"

Schuheknallen.

"Zug – daher!"

Zuck.

Tacktacktack.

"Nach rechts treten…" Ein prüfender Blick in die Runde. Alle stehen bockstill. Anspannung in den Beinmuskeln. Gleich muss es kommen… gleich…

"Marsch!" Es tönt wie "Arsch".

Zuck.

Draussen am Gitter stehen ein paar zivile Zuschauer und schütteln den Kopf. Hier, im Welschland, hat man für soldatischen Drill wenig übrig. Würde sich dasselbe in der martialischen Innerschweiz abspielen – uns würde bestimmt beifälliger Applaus umbranden, und man würde uns anschliessend einen Kaffee mit Schnaps spendieren.

6. Indiaca

Zwanzig Rekruten im Sportdress auf der grossen Sportwiese hinter der Kaserne. Leibesertüchtigung unter freiem Himmel ist angesagt, zwecks Stählung der verweichlichten Zivilistenmuskeln und Schmeidigung der eingerosteten Sesselhockerglieder. Der Leutnant hält uns einen flachen, knallig gelben, handtellergrossen Lederball entgegen, an dem ein neckisches Büschel roter Federn befestigt ist.

"Indiaca", knurrt er in seinen Bart hinein. "Wer kennt das?"

Niemand regt sich.

"Na, das ist so ähnlich wie Volleyball, man spielt sich das Ding hier zu, indem man mit der flachen Hand von unten her draufschlägt", erklärt der Leutnant mit mässiger Begeisterung. Dann teilt er uns in zwei Mannschaften ein und lässt uns im sanften Indiaca-Spiel gegeneinander antreten.

Der Anpfiff ertönt, und wir beginnen, anmutig um diesen sonderbaren Federvogel herumzuhüpfen und zu -tänzeln. Dazu versuchen wir, ihn mit zaghaften und ungeschickten Schlägen zum Fliegen zu bringen, was uns mehr schlecht als recht gelingt.

Ein Weiberspiel, denken wir. Fussball wäre jetzt viel schöner.

"Können wir nicht Fussball spielen?", fragt Rekrut Jaun den Leutnant nach ein paar frustrierenden Minuten.

"Nein, das ist im Militär leider verboten, das kommt vom Ausbildungschef persönlich", antwortet der Leutnant etwas betreten. Nach ein paar Sekunden, in denen er sich überlegt, wie viel er zu diesem erstaunlichen Verbot noch sagen soll, schiebt er nach: "Fussball ist angeblich zu grob und die Verletzungsgefahr zu gross. Man will wohl nicht zu viele Versicherungsfälle riskieren."

Uns steht vor Verblüffung der Mund offen. Man befiehlt uns seit Wochen, mit scharfer Munition zu schiessen, auf unwegsamem Gelände herumzuklettern, schwer beladen unsere Wirbelsäulen zu strapazieren, auf der Kampfbahn Kopf und Kragen zu riskieren und nachts mit Pinzgauern im Wald herumzukarren, aber Fussball spielen lässt man uns nicht. Weil der Ausbildungschef der Schweizer Armee dieses Spiel als gefährlich einstuft. Ausgerechnet jener schneidige Korpskommandant, der einmal öffentlich gesagt haben soll, eine Rekrutenschule ohne mindestens einen Toten sei keine gute Rekrutenschule.

Wie und wo müsste denn dieser der Qualität der militärischen Ausbildung geschuldete Todesfall nach Auffassung des Korpskommandanten erfolgen? Jedenfalls nicht auf dem Fussballfeld, so viel ist jetzt klar. Sondern auf dem Feld der Ehre. Was in einer Rekrutenschule bedeutet: bei einem prosaischen Verkehrsunfall, einem Schiessunfall, einer Genicklandung auf der Kampfbahn oder einem unglücklichen Sturz nach dem Wirtshausbesuch.

Puh, sind wir froh, für heute nicht die Kampfbahn absolvieren, sondern nur Indiaca spielen zu müssen. Aber halt – ist das nicht eines dieser rituellen Indianerspiele, bei denen die Verlierer einst den Göttern geopfert wurden? Man kann nie vorsichtig genug sein…

"Leutnant, dürfen wir nicht Rugby spielen? Das ist allemal besser als dieses Indiaca, das keiner von uns beherrscht, wie Sie ja selber sehen."

"Meinetwegen. Rugby ist zwar gröber als Fussball, aber verboten ist es meines Wissens nicht. Spielen wir also Rugby. Aber seid etwas vorsichtig. Ich will nicht, dass sich jemand verletzt, verstanden? – Moment mal, ich kenne ja die Regeln nicht. Kennt sie jemand von euch? Nein? Hmmm… Was machen wir da bloss? Mal überlegen. Hmmm… Wisst ihr was? Wir spielen doch einfach Fussball. Aber psst – nicht weitersagen!"

7. Die Sache mit der Gamelle

Ausgang steht auf dem Tagesbefehl, hurra, was heisst, dass man uns einen freien Abend gewährt. Es türmt sich freilich eine Hürde auf, eine schier unüberwindliche, die es aber trotzdem zu überwinden gilt, so wir Rekruten denn in den Ausgang wollen: Zimmerkontrolle.

Zimmerkontrolle, das bedeutet: Alles im Schlag dergestalt geputzt und geblitzt und millimetergenau ausgerichtet präsentieren, dass der Feldweibel, ein besonders ungnädiges Exemplar seiner Spezies, sich nach eingehender Besichtigung halbwegs zufrieden zeigen und uns, wenn auch widerstrebend, in den Ausgang entlassen muss.

Der Helm hat, so gebietet es die vermutlich von einem Zwangsneurotiker ersonnene Zimmerordnung, oben auf dem Spind zu liegen, die Gesichtsseite nach vorn, scharf an der Oberkante des Spinds, flankiert von Schutzmaske (links) und der hartledernen Sanitätstasche (rechts), beide ebenfalls scharf an der Spindkante; der Rucksack links am Bettgestell festgezurrt, rechts davon der Effektensack – selbstverständlich nicht nach eigenem Gutdünken, sondern streng nach vorgeschriebener Verschlaufung der Trag- und Packriemen; das Bett gestrafft und geglättet, mit hingebungsvoll in die korrekte Form gezupften Paketfalten am Kopf- und am Fussende; der Boden saubergeleckt, die Schuhe gewichst, die Kleider gebürstet, die Toiletten geschrubbt, die Korridore ebenso und alle Spinde zu. Im Spind darf Unordnung herrschen, das hat uns der Feldweibel gleich zu Beginn der Rekrutenschule gesagt und hämisch-drohend hinzugefügt: "Aber zu muss er sein, zu; wenn ich eine Tür offen finde und es herrscht drinnen Unordnung, dann nehme ich alles mit, und der, dem die Sachen gehören, muss sie bei mir abholen und kann etwas erleben."

Das sind keine leeren Drohungen. Wir wissen ein Lied davon zu singen. Es genügt, dass der Feldweibel auf der Klinge eines Sackmessers ein paar Graphitspuren findet, weil der betreffende Rekrut vorher einen Bleistift gespitzt hat – der Fehlbare, der bereits im Ausgehtenue steckt, muss sich umziehen, obwohl das Tenue Blau für diese kleine Verrichtung eigentlich gar nicht nötig ist, und unter Aufsicht des Feldweibels das Messer sauber machen, selbstverständlich nicht bloss einmal, sondern mehrmals, weil der Feldweibel immer wieder noch etwas zu sehen vorgibt.

Bange warten wir, blank rasiert, gewaschen, geschrubbt, gewienert, gebohnert, frisiert, nach Eau de Toilette duftend, mit korrektem Krawattenknoten und ausgerüstet mit dem "Sackbefehl" (Erkennungsmarke, Verbandpatrone, Nastuch, Sackmesser, Zettel mit militärischen Telefonnummern und ein Stück Schnur, wozu auch immer), auf den Auftritt des Feldweibels.

Der Gewaltige naht. Er erscheint im Türrahmen.

"Achtung!", schnappt der Zimmerchef, und wir knallen die Hacken zusammen.

"Melde Zimmer zur Inspektion bereit!"

"Jawohl, ruhn, ruhn kommandieren!"

"Ruhn!", bellt der Zimmerchef.

Wir gehen in die Ruhnstellung, die mit demütig vor dem Geschlechtsteil gekreuzten Händen auszuführen ist, derweil die Offiziere und höheren Unteroffiziere die Hände herrschaftlich hinter dem Rücken kreuzen dürfen.

Es ist totenstill im Schlag. Nur die langsamen Schritte des Feldweibels sind auf den ausgetretenen Bodenbrettern zu hören. Er dringt langsam ins Zimmer vor, ein kleiner, bulliger Mann von 22 Jahren, der aber aussieht wie 40. Er hat einen kurz gestutzten, borstigen Blondbart, dicke Lippen, träge, boshafte Augen und einen Direktorenbauch. Er steckt nicht im Tenue Ausgang, sondern im Dienstanzug, womit er augenfällig zu verstehen gibt, dass er nicht geneigt ist, sich wie die Rekruten im Wirtshaus zu vergnügen, sondern strengen Sinnes in der Kaserne zurückbleiben und getreulich seines Amtes walten wird, eines Amtes, das gegebenenfalls auch darin bestehen könnte, unordentliche Rekruten beim Abbüssen einer Putzstrafe zu beaufsichtigen.

Er nimmt sich Zeit. Er kriecht unter die Betten, wo er nach Staub sucht. Er zieht und zupft an verschiedenen Riemen, um zu prüfen, ob sie auch ordonnanzmässig verschlauft sind. Er starrt in unsere Gesichter, hoffend, irgendwo die Überreste von Stoppeln ausfindig zu machen. Er mustert unser Schuhwerk. Er heisst uns den Sackbefehl vorweisen und inspiziert die Ordnung auf den Spinden.

Schliesslich begehrt er von jedem die Gamelle zu sehen, jenen blechernen, aussen schwarz gestrichenen, innen blanken, im Querschnitt halbkreisförmigen kleinen Kochtopf mit Deckel.

Die Betrachtung von Gamellen ist für Feldweibel, die danach dürsten, Strafen zu verhängen, ein ergiebiges Feld. Wenn sich sonstwo für einmal nichts findet – in einer Gamelle findet sich bestimmt etwas. Dieses Ding hat nämlich die Eigenschaft, sich nach Gebrauch, etwa nach dem Braten von Hackfleisch, kaum mehr sauber kriegen zu lassen. Das liegt einerseits an der Form – man kommt an die Stellen, die es am nötigsten hätten, nicht so richtig heran – und andererseits an jenem kleinen rauen Putzlappen, den die Armee an jeden Mann verteilt und der den Anforderungen in keiner Weise genügt. Einer Gamelle ist, wenn überhaupt, nur mit Stahlwolle beizukommen. Solche haben viele von uns zwar privat organisiert, was für blitzblanke Gamellen aber immer noch nicht garantiert. Wenn sich verbranntes Fleisch oder was auch immer ins Blech einfrisst, sind die Spuren nur noch mit einem Schleifstein oder einem Zahnarztbohrer wieder herauszukriegen, Geräte, die uns nun einmal nicht zur Verfügung stehen.

Wir holen also mit viel Geklapper die Gamellen aus den Rucksäcken und präsentieren sie mit geöffnetem Deckel, damit der Feldweibel hineinschauen kann.

Er beginnt seine Runde bei der Tür. Bereits an der zweiten Gamelle hat er etwas auszusetzen, verhängt Tenue Blau. Auch die vierte Gamelle gefällt ihm nicht – Tenue Blau. Die fünfte: Tenue Blau. Er ist heute Abend noch ungnädiger gestimmt als sonst.

Und dann ist Rekrut Häberlin an der Reihe. Uns stockt der Atem, denn wir alle wissen, wie es um Häberlins Gamelle steht. Beim Biwak in der vergangenen Nacht diente sie als Kochgefäss für Reis; der Reis verkochte zu einem Klumpen und klebt nun wie braunschwarze Lava an den Innenwänden der Gamelle. Häberlin hat gar nicht erst einen Versuch unternommen, die Gamelle sauber zu kriegen. Er hätte mindestens einen Presslufthammer benötigt.

Wie wird der Feldweibel reagieren? Angesichts einer dermassen verkrusteten Gamelle, das ist uns klar, muss etwas Ungeheuerliches geschehen. Der Feldweibel könnte einen Schreikrampf kriegen. Eine Kollektivstrafe von schrecklichen Ausmassen verhängen. Die Kaserne in die Luft jagen. Etwas in dieser Art.

Der Feldweibel tritt vor Häberlin hin, blickt in die Gamelle.

Und geht weiter. Wortlos. Rasch beendet er die Inspektion, ohne weitere Gamellen zu beanstanden, und entlässt uns in den Ausgang.

Was ist geschehen? Warum hat der Feldweibel angesichts der häberlinschen Gamelle nicht getobt? Geschrien? Sich am Boden gewälzt? Sondern so getan, als wäre alles in bester Ordnung?

Vielleicht war der Feldweibel dermassen geschockt, dass er gar nicht mehr toben konnte. Oder: Er wollte nicht sehen, was nicht sein darf. Oder: Er hat wenig Lust, Häberlin unter seiner Aufsicht die Gamelle putzen zu lassen, weil dies wegen des fürchterlichen Ausmasses der Verwüstung womöglich die ganze Nacht dauern könnte.

Wahrscheinlich aber mangelt es ihm nur an Phantasie und Improvisationsgabe. Er kann sich nicht vorstellen, wie er auf solch eine Ungeheuerlichkeit angemessen reagieren soll, er, der doch sonst beim kleinsten Stäubchen gleich drauflosdonnert, als wäre ein Kapitalverbrechen geschehen – also hat er es diesmal gleich bleiben lassen.

Am nächsten Tag darf Häberlin beim Feldweibel eine neue Gamelle abholen.

8. Das Kompaniekalb

Im Leben trifft man zuweilen kantige Menschen an. Das gilt natürlich auch für das Leben im Militär – und hier wie sonst wohl nirgends hat man Gelegenheit, solche Menschen ungefiltert zu erleben. Eine Person von besonders eigenwilligem Format war Rekrut Wermelinger, deshalb sei ihm hier ein Kapitel gewidmet.

Wermelinger hätte sich in einem Kriegsfilm über den Zweiten Weltkrieg als Nazi-Offizier gut gemacht, zumindest in optischer Hinsicht. Er war schlank und sehnig, gegen einsneunzig gross, hatte kurz geschorene, blonde Haare, stahlblaue, tief in den Höhlen liegende, hart blickende Augen, einen grimmig vorgereckten Unterkiefer und eine dröhnende Stimme. Er war aber keineswegs ein Freund der Armee; ihm wäre nichts lieber gewesen, als der Rekrutenschule fernzubleiben. Da er aber eine Gefängnisstrafe wegen Dienstverweigerung nicht auf sich nehmen wollte – Zivildienst als Alternative gab's damals noch nicht –, biss er in den sauren Apfel und trat zum Dienst an. Wenn ich schon muss, dann sorge ich wenigstens für Betrieb, sagte er sich. Und er sorgte für Betrieb.

Wermelinger hatte ein besonderes Berufsziel: Er wollte unbedingt Kabarettist werden, Schauspieler oder Showmaster. Weil es ihm vorläufig an einer richtigen Bühne mangelte, erkor er sich den militärischen Alltag zur Bühne und die Kameraden zum Publikum, ob sie nun wollten oder nicht. Niemand konnte sich seinen Spässen, improvisierten Einmann-Sketchen und Liedparodien entziehen. Seine Stimme trug weit, und weil er seine Produktionen unermüdlich wiederholte, prägten sie sich einem unauslöschlich ein.

"Vous voyez la mala choseee, c' est l' impotence dans meiner Hoseee", sang er zum Beispiel in einem kruden Kauderwelsch mit opernhaftem Bass immer und immer wieder, zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten, auch im Beisein von Offizieren und Instruktoren. Oder "Drah' di net um, oh oh oh, schau, schau, der Buckelmann geht um, oh oh oh!", in Anlehnung an den "Kommissar" von Falco, der damals gerade in der Hitparade lief. Mit dem Buckelmann meinte er einen Instruktions-Unteroffizier, der durch eine besonders schlaffe Körperhaltung auffiel, aber ein scharfer Hund war, aus dem Nichts aufzutauchen pflegte wie ein Geist und überall die dick bebrillte Nase hineinsteckte.

Auch Peter Alexanders Gassenhauer "Die kleine Kneipe am Ende der Strasse" blieb vor Wermelingers Parodierlust nicht verschont. Er dichtete und sang:

"Das kleine Scheisshaus am Ende der Kaserne,

da wo das Scheissen noch scheissenswert ist,

im kleinen Scheisshaus am Ende der Kaserne

ist es egal, ob du scheisst oder pisst."

Besonders gerne schlüpfte er in die Rolle des deutschen Komikers Didi Hallervorden, der sein Vorbild war und den er entsprechend brillant draufhatte.

"Ich habe Ambeisen im Schlafsack, Ambeisen, die Biester kribbeln und krabbeln, die pissen mich mit ihrer Säure voll, oi oi oi, Hilfe, Ambeisen, Ambeisen, Killerambeisen, mein Schlafsack ist voll von diesem widerwärtjen Krabbelzeuchs", zeterte er eines Morgens in bester Didi-Manier bei der Tagwache mitten im Wald lautstark aus seinem Zelt. Alles lachte und schüttelte den Kopf.

Am selben Tag mussten wir Rekruten in kleinen Gruppen durch den Wald ziehen und an diversen Posten, die auf einer Karte eingezeichnet waren, kleine Ausbildungslektionen absolvieren. Ein Korporal erwartete uns am Posten, und einer von uns meldete die Gruppe korrekt an. Beim vierten Posten war Wermelinger an der Reihe, die Gruppe anzumelden, was natürlich nicht in geordneten Bahnen ablaufen konnte.

Der Unteroffizier, der den Posten betreute, war Korporal Kunz, ein ausgesprochen humorloser Zwerg.

"Darf ich die Gruppe mit einem Akzent anmelden?", fragte Wermelinger den Korporal.

"Sie müssen einfach eine korrekte Meldung machen, ob mit oder ohne Akzent, ist egal", antwortete Kunz.

"Gruppe Würmesinger – im Gänsemarsch, äh, ick meine vielmehr, im Halbkreis, im Halbkreis sag ick, daher!", gurgelte Wermelinger mit verzerrtem Mund und in ulkig-schnoddrigem Hallervorden-Deutsch. Und dann: "Gruppe Achtung! Korporal, melde Gruppe Würmesinger zur Lektion vollständig anjestolpert."

"Das Ganze halt – und jetzt noch einmal ohne Geblödel", gebot der Korporal in seinem überspannten Basler Dialekt, der auch schon fast eine Parodie seiner selbst war.

Darauf Wermelinger: "Aber ich habe Sie doch vorher gefragt, ob ich mit einem Akzent sprechen dürfe, Sie haben es mir erlaubt."

"Ja, aber ich dachte eher an einen dialektbedingten Akzent. Nicht an eine Blödelnummer. Und jetzt das Ganze von vorn, los."

Beim zweiten Mal dosierte Wermelinger seinen "Akzent" und seine Wortwahl etwas, aber der Korporal war noch immer nicht zufrieden.

"Sie haben die Stimme wieder verstellt", reklamierte er. "Noch einmal, wenn ich bitten darf. Und sonst halt noch einmal – bis es geht."

Beim dritten Mal brüllte der grosse Wermelinger dem kleinen, blasshäutigen Korporal eine mustergültig zackige Meldung ins Gesicht, mit stahlschneidender Kommandostimme, was natürlich wiederum eine Clownerei war. Dem Unteroffizier missfiel dies aber nicht, im Gegenteil.

"So ist's recht, es geht ja", lobte er.

Ein paar Tage später hatten wir einen Marsch. Gruppe für Gruppe in Einerkolonnen gegliedert zogen wir still unseres Wegs durch den Wald. Die schweren Rucksäcke drückten; zusätzlich waren wir mit Bahren und Rollgestellen beladen. Da kam von hinten ein Jogger angetrabt. Er überholte uns leichtfüssig, aber laut und stossweise schnaufend wie ein Dampfross. Wermelinger löste sich aus unserer Marschkolonne und hängte sich wie einen Schatten hinten an den Jogger. Mit seinen langen und schlanken Beinen, die in buntscheckigen Kampfhosen und klobigen Stiefeln steckten, ahmte er närrisch den elastischen Trab des Sportlers nach und ruderte dazu mit den Armen. Das Gewicht des Rucksacks, der sich wie ein bizarrer Buckel an seinem Rücken wölbte, schien ihm nichts auszumachen. Grimassierend rannte er weiter und weiter, und hätte ihm der Leutnant nicht ein herrisches "Rekrut Wermelinger, daher!" nachgebellt, wäre er mit dem Läufer hinter der nächsten Kurve vermutlich auf Nimmerwiedersehen verschwunden.

Er gab viel zum Lachen Anlass, dieser sonderbare Kamerad, aber selber lachte er nie. Er hielt auf Würde wie ein englischer Graf, auch dann, wenn er den Hofnarren gab. Sein Gang war aufrecht und gravitätisch, und seine Gesichtszüge blieben meistens unbewegt. Man wusste deshalb nie so recht, ob er es nun ernst oder ironisch meinte. Das blieb auch offen, als er uns einmal erzählte, wie er auf den Geschmack der Schauspielerei gekommen war.

"Vor zwei Jahren wirkte ich als Statist bei einer Seifenwerbung fürs Fernsehen mit", berichtete er. "Ich musste mich an eine Kasse anstellen, die Frau vor mir zahlte, dann kam ich an die Reihe und zahlte. Das war alles. Sagen musste ich nichts, aber ich hatte bei diesem Auftritt mein schauspielerisches Talent entdeckt."

Diese Begabung trainierte er nun nach Kräften im Militär. Klar, dass er bei Übungen im Feld einen überzeugenden Figuranten abgab. Einmal musste er bei einer solchen Gelegenheit einen Verletzten spielen, der gemäss Anweisung des Übungsleiters nur noch halb bei Bewusstsein war und lallte. Als er dick verbunden in die Hilfsstelle getragen wurde, lag er starr, blass und halb tot auf der Bahre, hatte die Augen geschlossen und stöhnte: "La, la… La, la… La, la, la…" Das war "Lallen" wörtlich genommen.

Der Arzt, der Triage machte, trat zu ihm hin und sprach ihn an. "Was fehlt Ihnen? können Sie mich hören?"

Wermelinger als gewiefter Schauspieler liess sich natürlich nicht beirren. Getreulich hielt er sich an sein Skript und lallte stossweise: "La, la… La, la…"

In unserem Schlafsaal in der Kaserne belegte Wermelinger einen der begehrten Fensterplätze. Das Bett rechts neben ihm war besetzt von Rekrut Rupp, einem korpulenten Eisenbahner volkstümlichen Zuschnitts. Er war mit seiner krächzenden Papageienstimme andauernd am Quasseln, weshalb er den Übernamen "Radio Rupp" trug. Wermelinger erwies gegenüber dieser Nervensäge eine beachtliche Langmut. Stoisch ertrug er sein Geplapper und seine Hänseleien, und manchmal half er ihm beim Rollen des Schlafsacks und Packen des Rucksacks.

Nur einmal verlor er Rupp gegenüber die Geduld. Das war während der Mittagspause nach einem anstrengenden Ausbildungsmorgen in der glühenden Sonne. Wermelinger lag lang ausgestreckt auf seinem Bett und döste im Kampfanzug vor sich hin. Rupp, der ihn so liegen sah, konnte der Versuchung nicht widerstehen, bohrte ihm neckisch den Zeigefinger in den Bauch und kreischte: "He, Wermelinger, kille kille, schläfst du, hehehehehe?"

Worauf Wermelinger die Augen öffnete, sich halb erhob, Rupp unwirsch anblickte und donnerte: "Mensch, du Dussel, siehst du eigentlich nicht, dass ich versuche zu schlafen? Verzieh dich und lass mich bloss in Ruhe." Nach diesem Ausbruch legte er sich zum betretenen Kichern Rupps wieder hin, schloss die Augen und erstarrte von einem Augenblick auf den andern zur Mumie.

Wermelinger fiel selten aus der Rolle des Komödianten. Hin und wieder war mit ihm aber auch ein ernsthaftes Gespräch möglich. Einmal erzählte er mir, dass seine Eltern geschieden seien. Er lebe offiziell beim Vater, eigentlich aber allein, denn der Vater halte sich meist in den USA auf. Er selber sei bereits mehrmals drüben gewesen, es sei sein Traumland, vor allem der Süden. Diese feuchtheissen Sommernächte, die hätten es ihm angetan. Hier in der Schweiz kenne er eigentlich niemanden, obwohl er hier geboren und aufgewachsen sei; vermutlich wandere er nach der Rekrutenschule nach Amerika aus. Dort habe er eine junge Frau kennengelernt, die gut zuhören könne, tagelang, wenn es sein müsse. "Sie ist so etwas wie meine Psychiaterin", sagte er. Auf den Gedanken, dass er in diese Frau verliebt sein könnte, kam ich nicht wirklich; Wermelinger wirkte nicht wie einer, der mit amourösen Dingen etwas am Hut hatte, weder in der hetero- noch in der homosexuellen Variante.

Im Grunde wirkte dieses nimmermüde Kompaniekalb isoliert und melancholisch. Seine Wochenenden verbrachte er in der Kaserne, während alle anderen – bis auf die Wachmannschaft – nach Hause fuhren, und im Ausgang unter der Woche sah man ihn eher selten. Er zog einsame Spaziergänge vor, danach ging er zu Bett.

Am letzten Morgen der Rekrutenschule quiekte Rupp beim Anziehen vergnügt: "Wermelinger, heute ist der letzte Tag, nun werden wir die Uniform endlich los, hehehehehe…"

Darauf Wermelinger einsilbig und fast etwas wehmütig: "Ich weiss."

Auf mich wirkte es, als hätte er die Armee trotz seiner anfänglichen Ablehnung auf eine zwiespältige Art doch noch ganz lieb gewonnen und als würde er die Kameraden schon jetzt vermissen.

Nach der Rekrutenschule verlor ich ihn aus den Augen. Er ist mir aber als eine der markantesten Persönlichkeiten meiner Militärzeit in lebhafter Erinnerung geblieben, und seine manischen Mantras hallen mir noch immer in den Ohren.

"Oberleutnant, hast duuu mir eine Wullenteche? Eine Wullenteche? Um eine Wullenteche bitt ich! Versteht denn niemand nich, was ich mein und will? Eine Wullenteche, ich frier mir sonst den Arsch ab auf der Wache! Erbarmen mit einem armen Soldaten! Oberleutnant, eine Wullenteche!"

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