Kitabı oku: «Wohlstand macht unbescheiden», sayfa 3
Natur
Solange sich Menschheit und Wohlstand vermehren, werden Naturräume weniger. Davon bin ich überzeugt. Der sich ständig vermehrende Verbrauch muss ja irgendwo hergeholt werden. Und primär wird die Menschheit auch weiterhin den billigeren Weg bevorzugen. Denn: Weshalb werden Luft und Wasser verschmutzt und neue Flächen verbraucht? Weil es billiger ist. Die Reste der Urwälder wird man umzäunen und mit Waffengewalt verteidigen müssen. Ebenso die Nationalparks, von denen viele nur so lange bestehen bleiben werden, wie sich der Tourismus lohnt. So lange genug Touristen nach Afrika fliegen, die Elefanten, Nashörner, Löwen und Gorillas in freier Wildbahn erleben wollen, wird es diese Tiere auch geben. Wenn nicht, wird alles was Geld bringt gewildert und die Nationalparks werden als Weideland für Rinder genutzt. Bei vielen Stämmen ist es Brauch, möglichst viele Rinder zu besitzen, ohne auf den wirtschaftlichen Nutzen zu achten.
In meinem Leben habe ich einige Male mein Hobby gewechselt. Als Schüler war ich im Leichtathletikverein, mit achtzehn entdeckte ich das Motorradfahren, danach wurde ich ein bekannter Freizeitsportler. Als Mensch der sich immer zu beschäftigen weiß, fand ich irgendwann wieder ein neues Steckenpferd. In einer Altstadtgasse kaufte ich ein leerstehendes Tagelöhner-Haus. Das Haus mit kleinem Stall und Schopf hatte nur noch Grundstückswert, ich bezahlte gerade mal vierzehntausend D-Mark. Und ich freute mich diebisch, weil die Stadt nicht zum Zuge gekommen war. Denn die Stadt lässt alte Häuser, Ställe und Scheunen, die nicht unter Denkmalschutz stehen, abreißen und macht aus den Grundstücken Parkplätze.
Inzwischen gibt es in der ganzen Altstadt, auch im Brunnental, nicht einmal mehr das Relikt eines Misthaufens. Kein einziges abseits stehendes Aborthäuschen ist mehr zu finden. Einzig ein alter Schweinestall, der steht unter Denkmalschutz. Aber sonst ist die Vorstadt Brunnental aller Zeugen der ehemaligen kleinbäuerlichen Kultur beraubt. Aus den Ställen und Scheunen wurde Wohnraum; wo früher Maissilos, Hasenställe, Holzlager und Karren standen, parken nun die Autos der Bewohner; wo damals eifrig die Hühner pickten, sitzt jetzt Betonpflaster oder liegt Asphalt. Dem Stadtteil wurde sein ursprünglicher Charakter, den er einige Hundert Jahre lang hatte, gründlich genommen. Zwar stehen die meisten alten Häuser noch, aber alle sind schön gestrichen und sehen aus wie eine Filmkulisse. In meiner Kindheit konnten sich die Altstadtbewohner keine Farbe leisten, an vielen Gebäuden bröckelte der Putz, in der Regel wurde nur provisorisch geflickt. Es war das organische Gegenteil zu meinem sterilen perfekten Elternhaus.
Wenn man gemein wäre könnte man behaupten: Der Wohlstand löst in der Bebauung wie auch in den Hirnen die Bescheidenheit auf. Wer es entspannter sieht sagt sich: Leben ist Veränderung, nicht einmal ein Berg bleibt wie er war.
Nachdem meine langjährige Beziehung mit Elfi wackelte, bin ich dem Naturschutzbund beigetreten, eben um etwas für die Natur zu tun. Zumindest mal vor unseren Stadttoren. Denn so, wie am Amazonas, im Kongo und auf Borneo Naturräume zerstört werden, werden sie auch in Deutschland vernichtet. Und in Deutschland ist alles viel kleinstrukturierter. Jede Fläche die verloren geht, ist ein Trittstein weniger, den einheimische Tiere und Pflanzen nutzen können, um ihre Art zu erhalten. Gerade die Rheinebene würden die Bürgermeister gerne zu einem Industriegebiet machen. Kaum eine Feuchtwiese ist noch erhalten, jedes Bächlein ist kanalisiert, alte Gewässer sind am verlanden, wertvoller Baumbestand ist bedroht.
Zum Naturschutz kam ich über meinen Freund Alex, dessen Vater Landwirt war. Damals. Keines der fünf Kinder wollte den Hof übernehmen. Als Alex und ich achtzehn wurden, war das einstmals profitable und stolze landwirtschaftliche Anwesen, das problemlos eine Familie ernährt hatte, unmodern und unrentabel. Alex‘ Vater legte den Hof still und ging in Rente. Sein Nachfolger hätte am Hungertuch genagt.
Am Ende des vierten Schuljahres waren meine Noten immer noch nicht besser, eine Empfehlung fürs Gymnasium in weiter Ferne. Meine Schwester Katharina kam in die Zehnte, mein Bruder Franz in die heiße Phase, die mit einem möglichst ruhmreichen Abitur beendet werden sollte. Das Problem Phillip wurde nur kurz aber intensiv behandelt. Während der Vorhaltungen und Predigten meiner Eltern zog ich meinen Kopf ein, zeigte meine antrainierte schuldbewusste Miene und ließ den wortreichen Schauer über mich ergehen, ohne mich groß zu äußern.
Für ein Abitur war ich einfach nicht zu begeistern. Mir leuchtete die Notwendigkeit nicht ein, mich wie meine Geschwister abzumühen, um etwas zu erreichen, was sowieso schon viele anstrebten. Dazu musste man auch geboren sein. Für ein Streberleben fehlte mir der Sinn und ich sah die Gefahr, so zu werden wie meine Eltern. Deren Dasein war für mich nicht nachahmenswert. Nur für den Beruf zu leben, war das Letzte was ich als Zehnjähriger wollte. Meine Art, alles mit Abstand zu betrachten und locker zu bleiben, passte sowieso nicht zu einer gymnasialen Karriere. Gefühlt waren meine Prioritäten höherwertig als die Prioritäten meiner Familie. Ich spürte deutlich, dass ich nicht so war wie die meisten und ich wollte auch nicht so sein wie die meisten. Was ich wollte, wusste ich damals noch nicht. Das Einzige was ich wusste war: Ich wollte nicht dem Geld hinterherrennen und ich wollte keine Karriere machen. Beides hätte ich als zu gewöhnlich empfunden. Und ich war grundsätzlich immer auf der Seite der Schwächeren. Das war der Einfluss der Karl May Bücher. Schon als Kind war ich ein Einzelgänger, den das Tun der Mehrheit befremdet. In mir steckte die Natur eines Nischenbewohners, der unbeachtete Lebensräume zu nutzen weiß.
Nachdem mein Vater seine Vorhaltungen beendet hatte, meinte er gönnerhaft: „Phillip, dann machen wir das so: Du gehst vorerst auf die Realschule und holst dein Abitur später nach.“ Ich nickte eifrig und war damit entlassen. Im Rechtschreiben aber war ich so schlecht, dass ich eine Aufnahmeprüfung machen musste, die ich nicht bestand. Diese Niederlage hätte ich mir gerne erspart, wollte aber guten Willen zeigen. Meine Eltern schüttelten nur ratlos ihre Köpfe und machten sich zum Vorwurf, dass sie mich nicht zum Nachhilfeunterricht gezwungen hatten. Meiner Kariere als Hauptschüler stand nichts mehr im Wege.
In der fünften Klasse bekam ich neue Mitschüler und der Sportunterricht eine andere Qualität, mein Klasse musste nun um den ganzen Sportplatz rennen. Der Junge, der das am besten konnte, hieß Alex. Ich fragte ihn neidisch, weshalb er so schnell war. Er sei im Leichtathletikverein, sagte Alex stolz und musste erst einmal erklären was das war. Es imponierte mir, in einem Sportverein zu sein und schnell rennen zu können. Ich ging mit Alex ins Schülertraining und fand Gefallen daran, mir die Lunge aus dem Leib zu rennen. Hinterher war ich angenehm schlapp. Nach einigen Probe-Trainingseinheiten legte ich meinen Eltern eine Beitrittserklärung zur Unterschrift vor. Kurz wurde diskutiert, ob ich nicht lieber ein Instrument lernen wolle. „Ich will mich bewegen, was ich beim Musizieren nicht kann“, war meine Antwort. Die Eltern, obwohl sie ihren Jüngsten wenig kannten, konnten das gut nachvollziehen, weil ich schon immer ständig auf Achse war. Einer der gerne unterwegs ist, so ihre Überlegung, ist in einem Leichtathletikverein gut aufgehoben.
Alex und ich wurden dicke Freunde. Er wohnte auf einem Bauernhof, der etwa einen Kilometer vor der Stadt lag. Es war ein alter und ehrwürdiger Hof, mit vielen Nebengebäuden. Das wichtigste Gebäude war einmal die Mühle gewesen. An der Mühle floss ein schmaler Kanal vorbei, über dem ein riesiges Mühlrad hing. Im Gebäude hingen hölzerne Zahnräder und lederne Antriebsriemen, es sah aus wie bei Max und Moritz. Die Mühle aus dem neunzehnten Jahrhundert war noch betriebstauglich, aber leider zu langsam. Sie brachte ihrem Besitzer kein Geld mehr ein. Auf jeden Fall war sie ein herrlicher Spielplatz.
Um eine Freifläche herum standen mehrere Gebäude. Neben der Mühle befand sich die Tordurchfahrt, in der in grauer Vorzeit die Knechte und im Krieg die Zwangsarbeiter geschlafen hatten. Daneben eine Überdachung für die Wagen und Gerätschaften, der Schweinestall und der Misthaufen. Gegenüber der Mühle standen das großzügige Wohnhaus, ein Stall mit zwölf Milchkühen und eine riesige Scheune. Im Hof waren zwei Wachhunde angekettet, die ihre Aufgabe sehr ernst nahmen und jeden Fremden laut und Zähne fletschend empfingen. Wenn man sie von der Kette ließ, waren sie plötzlich friedlich wie Lämmer und schnüffelten nur noch herum. Dann war ihre Dienstzeit beendet. Da ich schon die Hunde aus Brunnentals Gassen kannte, wusste ich die Hofhunde zu nehmen, die mich durch Alex‘ Vermittlung auch schnell akzeptierten.
Wegen der Hunde mussten Besucher und Briefträger außenherum durch den großen Gemüsegarten zur Küchentür. Dort befand sich auch das Maschendraht-Gehege der Hühner, die alles aufpickten was hineingeworfen wurde. Für die Nacht wurden sie von den Kindern in ein gemauertes Häuschen gescheucht. Wo Hühner gehalten wurden, lebte garantiert mindestens ein Fuchs in der Nähe. Bei großem Hunger gruben sich Füchse sogar tagsüber unter dem Zaun hindurch.
Manchmal radelte ich nach der Schule, ohne Anike Bescheid zu sagen, mit Alex zu dessen Hof. Angeblich um Hausaufgaben zu machen. Dort erwartete mich ein deftiges Mittagessen und saß ich mit Alex‘ vier Geschwistern, den Eltern und einer Oma am Tisch. Danach wurde gespielt oder die Gegend unsicher gemacht. Alex war der Zweitjüngste und hatte noch wenig Pflichten. Gespielt wurde meistens mit seiner siebenjährigen Schwester Konstanze, auf die er aufpassen musste. Spielten wir am oder im Kanal, gab es oft nasse und dreckige Schuhe und Hosen. Spielten wir in der Scheune, waren die Klamotten bis in die Unterhosen voll Heu. Wenn wir in den Ställen gespielt hatten, ging ich zuhause sofort freiwillig unter die Dusche.
Das bäuerliche Mittagessen war oft gewöhnungsbedürftig, es gab solche Sachen wie Kohlrouladen, Rinderzungen, Kutteln und Ochsenmaulsalat. Nachdem einmal Rindfleisch mit Meerrettich auf dem Tisch stand, verzichtete ich aufs Mittagessen, aß zuhause und ging lieber später auf den Hof. Dann aber blieb ich bis zum Abendessen, weil es Holzofenbrot, geräucherte Würste, Speckeier und frischen Käse gab. Abends erreichte ich das elterliche Heim immer knapp vor dem Eintreffen meiner Mutter. Meine Hausaufgaben zu kontrollieren, wurde in der Regel vergessen, der schulische Werdegang meiner älteren Geschwister war den Eltern viel wichtiger. Meine Familie hatte einen Tunnelblick der an mir vorbei ging, an dessen Ausgang leuchtete das Wort Abitur. Noch hohler wurde es bei uns zuhause, als Franz einen Studienplatz suchte. Da war jedes gemeinsame Essen eine Qual, es redeten nur noch unser Vater und sein Ältester in masochistischer Weise über das immer gleiche Thema.
Zwei Jahre später begann Alex‘ ältester Bruder eine Lehre als Koch und verließ Hof und Stadt. Alex musste nun öfter auf den Feldern und im Stall helfen und ich half mit. Lernte Rüben aufladen, Heu schwaden sowie Kühe und Schweine füttern. Ein weiteres Jahr später verließ der nächste Bruder den Hof und machte eine Lehre bei der Deutschen Bahn. Alex´ Vater zwang keinen, Bauer zu werden. Vermutlich ahnte er schon damals, dass ein Zehn-Hektar-Hof nicht mehr lange überlebensfähig sein würde. Die Kinder bekamen von den Sorgen nichts mit, weil weder die Mutter noch der Vater viel redeten und die Oma sowieso keinen Durchblick mehr hatte. Jeder der vom Hof ging war eine Entlastung und die Kinder merkten es nicht, weil sie ihre Eltern für tolerant hielten.
Als auch die ältere Schwester in die Fremde ging, erreichten Alex und ich den nächsten bäuerlichen Level, denn wir lernten Traktor fahren. Auf den Höfen war es selbstverständlich, dass die Buben mit zwölf oder dreizehn Jahren Traktor fahren konnten. Alex‘ Vater kaufte einen Heuschwader und einen Ladewagen. Das Heu wurde nun maschinell zu Reihen geschoben, was uns Jungs grandiosen Spaß machte. Dann rasten wir zum Hof zurück und hängten den Ladewagen an. Es war eine Freude, wie einfach das Heu, ohne Handarbeit, von den Zacken aufgenommen wurde und im Wagen verschwand. In der Scheune wurde es maschinell auf den Heustock geblasen.
Beim Pflügen und Sähen war mehr Genauigkeit erforderlich, das ließ sich der Vater nicht nehmen. Es war auch die Zeit, in der der Maisanbau aufkam. Die Rheinebene war das Maisanbaugebiet schlechthin und ist es heute noch. Vielen Einheimischen ist das ein Dorn im Auge, den Naturschützern sowieso. Wegen Arten-Armut. Aber keinem Bauern kann man einen Vorwurf machen, dass er mit Mais das meiste Geld verdient. Allerdings benötigen die Bauernhöfe heute, um überleben zu können, fünfzig bis hundert Hektar Fläche.
Es gab für uns Jungs auch mal nichts zu tun. Dann waren wir auf der Pirsch, suchten seltene Pflanzen und versuchten Tiere aufzustöbern. Alex kannte ein paar Orchideen und tat ganz wichtig. Die seien selten und deshalb wertvoll. Einen Graureiher dagegen hielten wir für einen Kranich. Störche gab es noch, sie waren beim Heuen ständige Begleiter. Einige Jahre später waren sie genauso aus der Landschaft verschwunden wie viele Greifvögel. Da steckte das krebserregende Insektizid DDT dahinter, das sich in der Natur angereichert hatte.
Wenn wir in ein Feldgehölz stiegen, konnten wir sicher sein, dort auf Rehe zu stoßen. Eine Sensation war es, wenn wir im Mai junge Füchse beim Spielen beobachten konnten. Und eine Mutprobe war es, obwohl sie nicht beißen, eine Ringelnatter zu fangen. Denn wenn man eine Ringelnatter in die Hände nimmt, entleerte sie sich sofort. Und das stinkt penetrant. Wer Pech hatte, bekam den weißlichen Dünnpfiff nicht nur auf die Hände, sondern auch auf die Klamotten. Die Schlangenkacke stank so sehr, dass nur noch ausziehen half. Die Hände musste man, um den Geruch restlos loszuwerden, dreimal waschen.
Alex‘ Vater hätte gerne einen eigenen Weinberg gehabt, um abends ein Viertele schlotzen zu können, wie er meinte. Sein Wunsch erfüllte sich nicht. So blieb es beim selbstgebrannten Schnaps nach dem Essen. Entlang der Feldwege standen diverse Obstbäume als Bienenweide, um Schatten zu spenden und um Früchte zu produzieren. Äpfel, Birnen, Kirschen, Zwetschgen, Mirabellen und sogar die zuckersüßen Renekloden wurden weniger gegessen oder eingemacht, als zu Schnaps gebrannt. Bäume schütteln und Obst auflesen war im Herbst die große familiäre Gemeinschaftsarbeit. Im Winter wurde dann aus der Maische der Schnaps gebrannt. Dabei machte ich meine erste Bekanntschaft mit Alkohol. Alex´ Vater ließ mich probieren. Sofort wurde mir warm und stieg mir der Schnaps zu Kopf. Beeindruckt von der plötzlichen Wirkung, hätte ich am liebsten einen Zweiten getrunken. Doch der Bauer war nicht dumm. Er konnte schlecht den jüngsten Sohn eines Anwalts betrunken machen und ihn dann auch noch nach Hause radeln lassen. Den Winter nutzte Alex‘ Vater auch zum Körbe flechten, derweil durften wir Buben die Gülle und den Mist auf die Felder fahren. Um Traktor fahren zu können taten wir alles.
Das einzige Hobby des Vaters war die Bienenzucht. Die Bienenvölker produzierten so viel, dass noch Honig verkauft werden konnte. Ab Hof wurden auch Milch, Butter, Eier und Schnaps verkauft, manchmal auch Wurst und Speck. Schlachttag war Festtag. Was mich immer wieder schockierte war, wenn die schon tote Sau mit brühheißem Wasser übergossen wurde und nochmals zu toben anfing. Das Metzgen kannte ich aber schon aus der Altstadt.
Auf die Jagd gingen Alex und ich auch. Wir jagten die Bisamratten am Kanal, Wildkaninchen und Feldhasen. Gefangen haben wir nie etwas. Als dann die Myxomatose durchs Land zog, saßen die Wildkaninchen völlig zahm mit zugeschwollenen Augen auf den Feldern und Wegen. Da verging uns die Jagd und wir verlegten uns aufs Schwarzangeln. Mit selbstgebastelten Angelruten, Haken und Netzen belagerten wir den Kanal und den etwas entfernteren Bach. Unser Angelzeug taugte aber nichts. So wie wir mit unendlicher Geduld Frösche und Eidechsen von Hand fingen, lernten wir auch, Fische und Krebse von Hand zu fangen.
Mehrere Nachmittage in der Woche und in den Ferien sowieso, verbrachte ich auf dem Bauernhof und Konstanze war meistens dabei. Nach Ende der neunten Klasse machten Alex und ich eine Lehre, kamen danach in die Sturm- und Drangphase, und mussten leider noch zur Bundeswehr. Während des Wehrdienstes sahen wir uns anderthalb Jahre lang nur wenig. Als ich nach der Entlassung den stillgelegten Hof besuchte, stand eine bildhübsche Konstanze vor mir. Sie war das letzte verbliebene Kind und lechzte nach Abenteuer und Leben.
Zeitung
Prinzipiell bin ich gegen alles was bequem macht. Angesichts der Bequemlichkeit meiner Mitmenschen kann ich richtig verächtlich werden. Viele sind inzwischen sogar zu bequem, um beim Autofahren zu Blinken. Bequemlichkeit ist einer der Schwachpunkte des Homo sapiens, was ihn empfänglich für Werbung macht, denn diese suggeriert ihm, was man haben muss. Die meisten Menschen gehen ihr auf den Leim und das ständige Verlangen nach Neuem tut das Übrige. Die Deutschen, so empfinde ich, sind konsumvernebelt und vom Wohlstand sediert.
Mit jeder Neuerung stellt sich mir die Frage: Wie modern und elektronisch willst du eigentlich sein und werden? Und: Muss ich jeden Trend und jede Mode mitmachen? Die meisten Kinder und Jugendlichen wollen irgendwo dazugehören und anerkannt sein, haben deshalb den Drang das Neueste zu wollen. Diesen Drang kannte ich nicht. Ich sah mich immer zwischen den Gruppierungen stehen, fühlte mich nirgends zugehörig. Misstrauisch verfolgte ich, was die Gleichaltrigen so trieben und sich anschafften. Selber konnte ich, weil es die jeweiligen Umstände gerade nicht zuließen, weder einen Kassettenrekorder, noch einen Walkman oder iPod gebrauchen. Und zu keiner Zeit meines Lebens wollte ich mir ein Handy zulegen.
Smartphones waren mir von Anfang deshalb unsympathisch, weil viele Menschen ihr Leben nach dem kleinen Gerät ausrichten. Dass man mich jederzeit überall erreichen könnte, wäre mir unangenehm. Ich kann es nun mal nicht leiden, wenn man mir meine Zeit stiehlt. Wer mit mir reden will, muss das über den guten alten Festnetzanschluss machen. Was ich wissen will, erfahre ich aus der Tageszeitung, der Tagesschau und von Wikipedia. Und bin damit weniger angeschmiert als die Handy-Nutzer. Ich wollte schon immer Zeit haben; Zeit für mich war mir von klein auf das Wichtigste. Das haben meine Eltern und meine Geschwister nie begriffen. Einfach Zeit zu verbrauchen ohne sie fürs Weiterkommen zu nutzen, war für die anderen Ludwigs undenkbar. In meinen Augen war die angeblich verplemperte Zeit immer sinnvoll genutzt, denn so wie der Doktor Faust, (dass ich erkenne was die Welt, im innersten zusammenhält) versuchte ich, die Welt und die Menschen zu begreifen und dachte dabei vermutlich genauso intensiv nach, wie meine Geschwister im Studium. Doch das wurde mir erst im Erwachsenenalter bewusst.
Außerdem traue ich der Elektronik nicht. Elektronik ist nur so gut, wie die Menschen, die sie anwenden, fähig sind. Deshalb habe ich keine Kreditkarte und mache ich auch kein Homebanking. Bei meinem Lebensstil brauche ich das alles sowieso nicht und es widerspricht auch dem Kerngedanken meiner Philosophie. Der Abneigung gegen Bequemlichkeit.
In meiner Jugend war ich ein eifriger Schallplattenkäufer. Das üppige Taschengeld, um das mich viele beneidet hätten, weshalb ich dessen Höhe lieber für mich behielt, machte es möglich. Die Musik der Beatles setzte in mir eine Euphorie frei, die ich nicht gekannt hatte. Später entdeckte ich Slade, T. Rex und Alice Cooper. Deep Purple mit Made In Japan, brachte mich vollends aus dem Häuschen. Wie war es möglich, eine so kraftvolle und lebendige Musik so perfekt zu spielen? Ohne Noten! Meine Geschwister mussten Klavier spielen lernen, obwohl Gitarre angesagt war. Mich hatte man vergessen, zu Klavierstunden zu nötigen. Oder es ganz einfach unterlassen, weil meinen Eltern die Energie fehlte zu überprüfen, ob ihr Herumtreiber überhaupt zum Klavierunterricht ging.
Meine Schallplattensammlung wurde monatlich größer und umfangreicher. Ich hielt es für ratsam, meinen Musikgeschmack vor den Eltern zu verheimlichen. Die hörten oft Orgelmusik von Bach, auch Beethoven schallte manchmal durchs Haus, seltener etwas Getöse von Richard Wagner. Für mich war das tote Musik, die zudem sich endlos hinzog. Länger als Child in Time von Deep Purple und Stairways to Heaven von Led Zeppelin. Ich hörte meine Musik heimlich mit Kopfhörer, was meine Eltern nie taten. Sie genossen ihre Musik, die seit ewig dieselbe war, hausfüllend.
Dann kam der Kassettenrecorder auf und ich spürte deutlich, wie der Fortschritt und die Wirtschaft die Konsumenten zu einer Verhaltensänderung nötigten. Aber damals waren mir Bier trinken, Discotheken und Konstanze wichtiger gewesen. Einen Kassettenrekorder habe ich nie besessen. Als viele Jahre darauf sich wieder alles änderte und die CDs auf den Markt kamen, war ich mit Elfi und ihren zwei Kindern beschäftigt.
Auf meiner ersten Afrika-Safari, auch ich gönne mir manchmal etwas, wurde ich von einem Naturfotograf in die Fotografie eingeführt. Das begeistert mich so stark, dass ich mir zuhause eine Spiegelreflexkamera mit Wechselobjektiven zulegte. Seither gilt mein Interesse der heimischen Natur und zwischenzeitlich habe ich eine Unmenge Fotos geschossen. In mein analoges Fotografieren war ich so verliebt, dass ich die digitale Entwicklung jahrelang ablehnte. Bis ein Kollege vom NABU mir die neuen Möglichkeiten aufzeigte. Zum Beispiel konnte man Foto-CDs herstellen und vervielfältigen. Nach Jahren gab ich dann wieder viel Geld aus und kaufte mir eine Digitalkamera und einen Computer mit CD-Brenner. Bei Sachen, die ich gut gebrauchen kann, habe ich mit dem Fortschritt kein Problem. So wird es wohl auch anderen ergehen. Nur brauche ich kein Spielzeug, weil ich in meiner Freizeit hauptsächlich lese.
Inzwischen kann ich die neueste Musik endlos umsonst hören und frage mich, ob die Musiker nun von den Einnahmen ihrer Konzerte leben müssen. Auch mit fünfundsechzig interessiere ich mich noch für aktuelle Musik, sitze samstagabends mit Kopfhörer in meinem Häuschen, durchforste die Charts nach neuen Songs, kenne AnnenMayKantereit und Capital Bra, liebe Apache 207 und Rammstein. Einmal Rocker, immer Rocker.
Aber ein Smartphone? So herumlaufen wie die anderen? Das empfinde ich nicht als modern. Ein Smartphone ist der schlimmste Gleichmacher der Gegenwart. Die Geräte haben ihre Besitzer, die bequeme Unterhaltung suchen, voll im Griff. Wenn ich mir gegenüber ehrlich bin, lehne ich vieles schon deshalb ab, weil Besitz mich belastet. Wenn mein Hab und Gut unübersichtlich wird, fühle ich mich sofort unwohl. Außerdem führe ich ja ein Nischendasein in bewusst gelebter Diversität. Aber es hatte Jahrzehnte gedauert, bis ich endlich den Lebensstil gefunden habe, der mir wohltut und mit dem ich sogar glücklich bin.
Ich habe nicht nur eine Abneigung gegen Bequemlichkeit, sondern auch gegen Luxus. Für Luxus fehlt mir der Sinn. Da steckt der ewige Widerstreit dahinter, was nötig ist und was nicht. Ich neige nicht gerade zu Geiz, aber doch zum Einfachen. Um es überspitzt zu schildern: Es gibt Menschen, denen genügt ein Taschenmesser. Andere brauchen jeweils ein Messer für Brot, Butter, Wurst, Speck, Käse, Tomaten, Obst, Gemüse, Fleisch und sonst was. Ich bin eher der mit dem Taschenmesser. Luxus ist fürs Museum.
Meinen Hang zum Einfachen empfinde ich als glückliches Naturell. Damit habe ich auch gut lachen, denn mich plagen keine negativen Eigenschaften. Viele Mitmenschen leiden zum Beispiel unter ihrer Gier. Geldgier, Habgier, Machtgier, Fressgier und was es sonst noch alles an Gierigem gibt. Leiden unter zu wenig Beachtung, Anerkennung, Wertschätzung, Würdigung. Leiden unter ihrem Aussehen, ihrem Status, ihrer Herkunft, unter Krankheiten. Am meisten leiden die Süchtigen. Nikotin-, Alkohol-, Drogen- und Spielsucht sind die bekanntesten Abhängigkeiten, die Familien zerstören und Menschen verarmen lässt. Es gibt sogar Sexsüchtige. Keinem der aufgeführten Laster bin ich verfallen und blieb somit von den schlimmsten Problemen, die man als Mann bekommen kann, seit Geburt verschont. Meinen zeitweiligen Bierkonsum ignoriere ich hiermit.
Mit vierzehn wurde ich Kreismeister im Dreitausendmeterlauf. Am Montagmorgen war mein Bild in der Zeitung. Mein Vater, der als erster die Zeitung las, betrachtete den Bericht mit gemischten Gefühlen. Noch nie hatte es einer der Ludwigs, auch er nicht, in die Zeitung geschafft. Ausgerechnet der Sprössling, der sich weigerte aus seinem Leben etwas Bedeutendes zu machen, lächelte ihm nun zufrieden entgegen.
Die Jahre im Leichtathletikverein waren für mich eine super Zeit, mit viel Kameradschaft und gemeinsamen Feiern. Und den ersten Kontakten zu Mädchen. Alex und ich trainierten zwei Mal in der Woche. An den Wochenenden fuhren wir manchmal zu Wettkämpfen. Mein größter Triumph war der Zeitungsbericht, der meine Eltern und Geschwister fassungslos machte. Der schulische Leistungsverweigerer der Familie strahlte nun aus dem Lokalteil, weil er ein bisschen schneller rennen konnte als andere.
„Du fährst zu Wettkämpfen?“ fragte meine Mutter erstaunt. „Der Wettkampf war aber in Karlsruhe. Wie bist du dahin gekommen?“
„Da gibt es Eltern, die uns Sportler zu Wettkämpfen fahren“, erklärte ich mit meinem entwaffnenden Lächeln. Wie immer wussten meine Eltern nicht, ob ich nur freundlich erzählte oder darin auch eine Anklage versteckte, weil sie sich um mich nicht kümmerten.
Die Wahrheit war, ich wollte nicht, dass sie sich um mich kümmerten. Es war schon schlimm genug, dass meine Lehrer und Trainer versuchten, mich in ihrem Sinne zu lenken. Mir reichte es völlig, dass ich Eltern besaß, auf die ich in der Not zurückgreifen konnte. Fürsorge vermisste ich nicht.
Schon in meiner Kindheit hatte ich ein offenes Gesicht, das ich schnell zum Strahlen bringen konnte. Das war nicht bewusst aufgesetzt, ich hatte es einfach. So nutzte ich meinen Charme auch selten, um andere für mich einzunehmen. Bei Mädchen hätte ich damit bestimmt viel Erfolg gehabt. Aber im menschlichen Umgang war ich von Natur aus vorsichtig, selten ließ ich mich mit jemandem näher ein. Auf diese Art passierte in Punkto Mädchen nicht viel, mehr als Knutschen und Streicheln traute ich mich nicht. Vor allem blockierte mich die Frage, ob ich eine ständige Freundin überhaupt an meiner Seite ertragen könnte und was die von mir alles verlangen würde.
Durch die Geselligkeit im Leichtathletikverein lernte ich auch das Trinken. Auf Siegesfeiern, Geburtstagsfeiern, Straßenfesten überwand ich die Abscheu vor dem furchtbaren Bier, stemmte die Halben bald wie ein Großer. Da zuhause niemand nach mir schaute, merkte auch niemand, dass mein Zimmer gelegentlich nach Alkohol stank. Bis auf Anike, aber die hielt dicht, die liebte mich smarten Phillip mehr als die anderen vier Ludwigs, die eher einen verbiesterten Eindruck machten.
Als Anike zu uns kam, steckte ich in den Windeln und sie war gerade zwanzig Jahre alt. Eine schlanke junge Frau mit schwarzen Locken aus einem Elsässischen Dorf. Ob sie Deutsch konnte, weiß ich gar nicht. Wir unterhielten uns mit ihr nur auf Französisch, weshalb ich es früh sprechen konnte. Ich war dann auch der Grund, weshalb Anike nach achtzehn Jahren gekündigt hat. Kurz nach der Gesellenprüfung kam ich schon nachmittags mit Bierfahne nach Hause. Was für mich kein Risiko bedeutete, Eltern und Geschwister wusste ich weit weg. Nach der Zeugnisübergabe bin ich mit einigen Kameraden sofort in der nächsten Kneipe feiern gegangen. Anike war alleine zuhause und ich befand mich, als Prüfungsbester, in einem Hochgefühl. Ich war so betrunken, dass ich das Fahrrad vor dem Garagentor liegen ließ. Unsicheren Schrittes betrat ich das Haus, Anike kam mir lächelnd entgegen und fragte: „Na Prinz Phillip, wie war’s?“ Ich setzte ein zufriedenes Grinsen auf und fragte sie direkt, ob sie mir zeigen würde wie Sex geht. Nüchtern hätte ich diese Frage nie gestellt, ich hatte auch alle Mühe nicht zu lallen. Mein Wunsch, mit übersprühendem Charme vorgetragen, ließ Anike nur kurz zögern. Sie schob mich vor sich her in mein Zimmer und zog sich aus. Zum ersten Mal sah ich eine nackte Frau aus der Nähe. Eine reife nackte Frau von bald vierzig Jahren. Ich kannte nur die dünnen und strammen Bikini-Körper der jungen Mädchen vom Baggersee, wusste auch, wie die sich anfühlen. Trotz mehrerer Flaschen Bier war ich von Anikes Körper schockiert. Es war mir in den letzten Jahren entgangen, wie dick ihre Schenkel geworden waren. Sie machte dies und das mit mir, ich musste dies und das bei ihr anfassen und das Ganze wurde nicht so der große Hit und war auch bald beendet.
Am nächsten Tag litten wir unter einem großen Katzenjammer und dem Gefühl, etwas Ungehöriges oder vielleicht sogar Verbotenes getan zu haben. Besonders Anike. Sie hätte sich bestimmt ohrfeigen können, weil sie mir nachgegeben hat. Im Prinzip hatte sie den Sohn ihres Arbeitgebers verführt. Den siebzehnjährigen Sohn eines Anwalts, was eines Tages prekär werden könnte. Auf jeden Fall konnten wir uns nicht mehr in die Augen schauen. Sie nicht, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte, ich nicht, weil ich von ihrem wenig frischen Körper enttäuscht war, obwohl sie im Gesicht so nett aussah. Die Raumpflegerin, Köchin und Miterzieherin hielt das nur noch bis zum Jahresende durch und kündigte im Januar aus familiären Gründen, als ich gerade die erste Woche bei der Bundeswehr war.
Mein großer Bruder Franz, der Politikwissenschaft studierte und sich in der Landes-CDU engagierte, hatte sich vor dem Barras gedrückt und Zivildienst geleistet. Ich wollte zur Bundeswehr, damit ich etwas Kerniges erlebe und später etwas zu erzählen habe. Als gelernter Handwerker wurde ich gebraucht und führte beim Militär ein angenehmes Leben. Wenn die Sauferei nicht gewesen wäre. Bei der Bundeswehr wurde Bier zu meinem Hauptnahrungsmittel. Die Leichtathletik ließ ich bleiben.
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