Kitabı oku: «Tagebuch aus der Okkupationszeit der britischen Kanalinseln», sayfa 4
Das Ehepaar Aufseß in den 50er-Jahren.
Die Äußerungen der Zeugen schildern von Aufseß übereinstimmend als Gegner des Nationalsozialismus, der nach bestem Gewissen und im Rahmen seiner Mittel versucht hat, das Schicksal der Inselbewohner günstig zu gestalten. Es kann nicht erstaunen, dass weder die Zwangsarbeit noch die Deportationen oder das Schicksal der jüdischen Bevölkerung thematisiert werden. Manche Behauptungen sind sicherlich zutreffend, andere vor dem Hintergrund des schon Gesagten aber auch unaufrichtig oder beschönigend. Angesichts der deutlichen antisemitischen Tendenzen in seinen Tagebüchern ist z. B. das Zeugnis, das der Notar Albert Bauer aus Hof (Saale) von Aufseß ausstellt, eher unglaubwürdig: »Betonen möchte ich, daß Herr von Aufseß den Kampf gegen die Kirche und das Judentum stets scharf abgelehnt hat.«151 Von Aufseß hat den Nationalsozialismus nach anfänglicher Zustimmung vor allem habituell aus adeliger Perspektive und in gewisser Weise ästhetisch abgelehnt. Eine durchdachte politische Überzeugung, die eine wirkliche Ablehnung des Nationalsozialismus hätte begründen können, ist in seinen Vorträgen und Tagebuchnotizen nicht zu erkennen. Vielmehr hat von Aufseß im Krieg zumindest einige der Ziele des Nationalsozialismus geteilt und auch prinzipiell keine Einwände gegen die Besetzung und Ausbeutung der Insel erhoben. Seine Redemanuskripte aus der Inselzeit zeigen das deutlich. Wenn von Aufseß in seinen Vorträgen und Briefen noch 1944 vom ›neuen Europa‹ spricht, ist damit ein Europa unter deutscher Führung gemeint. An der nationalsozialistischen Ideologie mag ihn alles Brutale und Vulgäre abgestoßen haben. Die Ablehnung von Demokratie und Liberalismus hingegen teilte er mit dem Nationalsozialismus ebenso wie den gesteigerten Nationalismus. Wenn daher ein Rechtsanwalt Dr. Walter Pätzel von Aufseß in seiner eidesstattlichen Erklärung zum »Feind des nationalsozialistischen Hitlerregimes«152 erklärt, ist das eine typische, so vielfach wiederholte ›Persilschein‹-Gefälligkeit. Derartig unglaubwürdige Erklärungen sind der Grund dafür, dass das Verfahren der Entnazifizierung heute im Ganzen als gescheitert betrachtet wird. Vielleicht kann die Aussage von Brunhilde Krauss, Angestellte im Rechtsanwaltsbüro des Freiherrn, als die aufrichtigste betrachtet werden. Sie schildert Hans Max von Aufseß so, wie er dem Leser auch an vielen Stellen in den Tagebüchern begegnet: »Herr v. Aufsess war vorwiegend künstlerisch tätig und unpolitisch eingestellt und trat seinem Wesen nach überall für Mässigung und Ausgleich ein.«153 An seinem für die britische Inselbevölkerung in gewissem Rahmen mäßigenden Einfluss kann insgesamt trotz seiner begrenzten Kompetenzen kein Zweifel bestehen. Dass seine Ablehnung des Nationalsozialismus aber eher unpolitischen Überlegungen und keinen tatsächlichen demokratischen oder humanitären Prinzipien folgte, ist ebenso gewiss. An keiner Stelle äußert er Abscheu über die Behandlung der Zwangsarbeiter oder die Deportationen der jüdischen Inselbevölkerung. Joe Mière kommt aufgrund seiner persönlichen Erfahrung zu einem harten Urteil über von Aufseß, den er für einen typischen ›Wendehals‹ hält. Er vergleicht die Tagebücher des Freiherrn und reiht sie in die zahlreichen weiteren apologetischen Schriften ehemaliger Wehrmachtsoffiziere ein: »You read their diaries and memories since the war end and they write as if they were on our side and against Hitler. Well, if that is the case, who the hell were our people fighting against? Give me every time a German who states that he was in those days a Nazi.«154 Bei aller Kritik an von Aufseß muss aber auch festgestellt werden, dass er im Verfahren vor der Spruchkammer seine NSDAP-Mitgliedschaft immerhin nicht leugnet, sondern sie als Fehler eingesteht. Mières Urteil wirkt daher sehr harsch.
Dass die Familie von Aufseß sich aber zu Unrecht durch das Verfahren verfolgt fühlt, zeigt ein unveröffentlichter Essay Marilies’ von Aufseß zum Thema. Unter der Frage ›Wo bleibt die Gnade?‹ schreibt die Freifrau: »Es ist selbstverständlich, dass alle wirklich Schuldigen strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden (…). Es bedeutet aber eine grosse Gefahr, die Ueberzahl der kritiklos einem Wahn Verfallenen ihrer Existenzgrundlage zu berauben und sie verletzend aus der Gemeinschaft auszuschliessen. (…) Das Fragebogen- und Massenverfolgungssystem übersieht, dass sich die menschliche Entwicklung nicht in den Daten eines Fragebogens rubrizieren lässt, weil sie sich auf Grund persönlicher Erlebnisse und Einsichten bildet und wandelt. Sie verkennt vor allem das lautere und reine Evangelium Christi, das nicht rechnet und rechtet, sondern an die Stelle der Verfolgung die Gnade setzt. (…) Ich möchte mir wünschen, dass an Stelle der Fragebogen und der ›Reinigung‹ mehr die Worte Einsicht und Gnade kämen.«155
Den alten Freiherrn von Aufseß schildert eine ironisch-freche Reportage der ebenfalls blaublütigen Journalistin Charlotte von Saurma über den fränkischen Adel: »›Angst vor der Berührung mit dem gemeinen Volk, Herr Baron?‹ ›Da haben sie schon gestanden und gebrüllt: Enteignen sollte man Euch!‹ Ach nein, nur schlicht rechts denkt der 80jährige Baron Aufseß nicht. Aufrechten Ganges kommt er das Tor öffnen, hellwach bis in die wasserblauen Augen. Alles ist groß an ihm, Kopf, Körper, Bildung, seine Vorfahren sollen gut zugeschlagen haben. Sie dienen ihm noch immer als Chefideologen seiner Alltagsphilosophie. Jenem Leben nach mâze [kursiv im Original], mittelhochdeutsch für Maß. Also gibt’s zum Empfang nur den zweitbesten Cognac (…). Seit seiner Pensionierung lebt Hans Max von Aufseß gut von seinen Essays und Büchern, der schriftgelehrte Rittersmann hält Lesungen, Festreden. In altmodischer Lust am Umgang mit Sprache plaudert er daher, was sein Fundus an Wirtschafts-, Sozial-, Regional- und Familiengeschichte hergibt. (…) Adelige sind Hobby-Historiker, und jedes Weltgeschehen ist immer nur ein Familienhistörchen.«156 Als charakteristisch kann die Reaktion des in seiner Eitelkeit gekränkten Freiherrn auf diese etwas respektlose Schilderung bezeichnet werden. Wie schon bei der Ablehnung seiner Fibel Jahrzehnte zuvor, zögert er nicht, seine vielfältigen Beziehungen spielen zu lassen. Die vorlaute Journalistin wird anschließend gerügt.157
Hans Max von Aufseß stirbt drei Jahre nach seiner Frau Marilies am 22. November 1993 im Alter von 87 Jahren. Er hinterlässt eine kaum überschaubare Zahl an Publikationen. Heute würdigt ihn eine ›Hans-Max-von-Aufseß-Kammer‹ im Fränkische-Schweiz-Museum Tüchersfeld. Charakteristisch für die Bedeutung des Freiherrn nach 1945 und seine lange Zeit ausschließlich unkritische Rezeption ist ein Beitrag zu seinem 80. Geburtstag in der Süddeutschen Zeitung. Dort heißt es bewundernd im Titel nur: »Eine Stimme Frankens«.158
Hans Max von und zu Aufseß im Spiegel der Tagebücher
Tagebücher sind aus Sicht der Geschichtswissenschaft eine nicht unproblematische Quellengattung. Auf der einen Seite suggerieren Tagebücher Unmittelbarkeit und Unverfälschtheit, auf der anderen Seite filtern und literarisieren auch Tagebuchschreiber die berichteten Ereignisse. Auch Tagebücher folgen literarischen Regeln des ›roten Fadens‹, des Spannungsaufbaus, des rhetorischen Satzbaus und der geschickten Wortwahl. Je gebildeter der Schreiber ist, desto größer ist die Gefahr, dass hinter den sprachlichen Kompetenzen die tatsächlichen Ereignisse verschwinden. Selbst die Adressaten von Tagebüchern sind keineswegs immer nur die Schreiber selbst. Ein Diarium kann geführt werden, damit der Autor, und zwar ausschließlich er, sich später besser an die Ereignisse erinnern kann. Doch sind auch Fälle bekannt, in denen Tagebücher vom ersten Wort an für einen größeren Lesekreis konzipiert wurden. So behauptet von Aufseß in seinem Tagebuch, dieses vor allem für seine Frau zu führen. Voller Sentimentalität schreibt der Freiherr am 25. September 1944: »Wenn nicht ich, so bleibt vielleicht mein Tagebuch am Überleben und dann soll meine Frau sehen, wie ich mein Getrenntteil von ihr gelebt habe.«159 Auch die inneren Beweggründe, Tagebuch zu schreiben, sind oft unklar. Ihre Kenntnis wäre aber wichtig, um den jeweiligen Quellenwert besser beurteilen zu können. So macht es einen Unterschied, ob der Schreiber traumatische Ereignisse festhält, um sie besser verarbeiten zu können, oder Erfolge, um sich in diesen zu sonnen. Von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels ist z. B. bekannt, dass ihm seine Tagebuchnotizen eine wichtige ›Egostütze‹ waren und er die Rechte an den Tagebüchern zum Zweck der Veröffentlichung an den Hausverlag der NSDAP, den Eher-Verlag, verkauft hat. Goebbels legte seine Tagebücher damit auch auf ihre Wirkung in der Öffentlichkeit an.
Tagebücher können damit nicht ›naiv‹ als direkte Zugänge zu geschilderten Ereignissen gelesen werden. Vielmehr besteht ihr eigentlicher Quellenwert darin, dass sie Einblicke in zwei Aspekte erlauben, die jenseits von historischer Faktizität auf einer Metaebene liegen. Zum einen ermöglichen sie in begrenztem Maß Aussagen über die Wahrnehmung von Ereignissen durch den Tagebuchschreiber, zum anderen zeigen sie aber stärker noch, dass dieser Ereignisse erinnernd so gestaltet, wie er sie auch später noch rezipiert wissen möchte. Dieser bewusste oder unbewusste Wunsch nach Steuerung einer späteren Rezeption von Ereignissen, Gefühlen, Gesprächen kann sich an das in der Zukunft liegende Ich des Schreibers, aber eben durchaus auch an spätere weitere Leser wenden.
Die Tagebücher des Hans von Aufseß sind so nicht primär Quelle für die Ereignisse auf den Inseln. Diese Ereignisse ließen sich durch andere Quellen – Akten, dienstliche Briefe, Verordnungen, Verwaltungsakte – deutlich besser rekonstruieren. Die Tagebücher können in Einzelfällen bei bestimmten Ereignissen als Referenz oder zum Abgleich hinzugezogen werden, sie selbst erzählen aber nichts Ereignisgeschichtliches, das nicht durch andere Dokumente besser belegt wäre. Sie geben aber in begrenztem Umfang Bericht von der Sicht des Freiherrn auf die Besatzung und auf seine deutschen Kameraden. Sie legen ebenfalls begrenzt Zeugnis ab von seinen Interessen, Taten, Gedanken und Gefühlen. Sie zeigen bei oberflächlicher Betrachtung in gewisser Weise auch das zuweilen wenig gedankenvolle, dafür aber den schönen Seiten zugewandte Leben eines adeligen ›Dandys‹ und Flaneurs auf einer britischen Ferieninsel.
Am meisten verraten die Tagebücher aber zwischen den Zeilen darüber, wie sich Hans Max von Aufseß an die Zeit auf den Kanalinseln später erinnern wollte. Dass die Tagebücher im Hinblick auf eine 1943 bereits absehbare Kriegsniederlage einer apologetischen Stilisierung vor späteren Anklägern dienen sollten, ist denkbar. Sollte dies nicht schon 1943 im Blick des Freiherrn gelegen haben, wie Joe Mière vermutet, so doch spätestens 1985, als es ihm nach jahrelangem Bemühen gelingt, sie – wenigstens auf Englisch und in Großbritannien – veröffentlichen zu lassen. 1985 muss sich von Aufseß keinen juristischen Klägern mehr stellen, sein Bild von der Zeit auf den Inseln möchte er aber dennoch beeinflussen. Die zunächst unkritische Rezeption des Freiherrn und seiner Rolle auf den Kanalinseln zeigt, dass diese Stilisierung gelungen ist. Dieser Erfolg bedeutet keineswegs, dass alles im Tagebuch des Freiherrn Erzählte erfunden ist und er sich seinen guten Ruf nicht in Teilen verdient hätte. Für die Begründung seiner Reputation als ›guter Deutscher‹ kann nur bedauerlicherweise nicht das Tagebuch als Quelle dienen. Aus subjektiven Zeugnissen lassen sich kaum objektive historische Urteile herleiten.
Das Bild, das Hans Max von Aufseß in den Tagebüchern abgibt, ist von mehreren deutlich erkennbaren Tendenzen geprägt.
Der Freiherr dokumentiert in seinen Tagebüchern ein intellektuelles Dandytum in ständig wertender Auseinandersetzung mit Büchern und Filmen, die er im deutschen Kino auf Jersey sieht. Von Aufseß investiert dabei in erheblichem Umfang Zeit und Gedanken. Seine Urteile zeugen zwar von Bildung und Urteilsfähigkeit, aber auch von erheblichen Vorbehalten gegen die geistige Moderne seiner Zeit. So wettert von Aufseß am 28. Oktober 1944 in seinem Tagebuch gegen Bilder, die man in der Wohnung zweier festgenommener Französinnen findet, und damit gegen die zeitgenössische Kunst: »Nicht nur dass die Wohnung voll der sinnlosesten kubistischen Bilder war (…).«160 Bei dieser Gelegenheit zeigt sich noch eine weitere Tendenz der freiherrlichen Persönlichkeit. Hans Max von Aufseß ist Antisemit161. Einen der Kerngedanken des Antisemitismus teilt von Aufseß offensichtlich: Er hält Juden für Mitglieder einer degenerierten ›Rasse‹. Er bezeichnet die beiden festgenommenen Künstlerinnen, Lucy Schwob und Suzanne Malherbe, als Jüdinnen und befindet: »Wir haben auf den Inseln nur ganz wenig Juden. 2 verhaftete Jüdinnen gehören aber zu dem Schlimmsten, was diese Rasse hervorbringt. Sie verteilten lange Zeit Flugblätter an die Soldaten, in denen sie diese zur Erschießung ihrer Offiziere aufforderten. Endlich wurden sie entdeckt. Bei der Hausdurchsuchung fanden sich die widerlichsten Perversitäten. (…) Hier liegen mir einmal unverfälschte Dokumente vor, die allerdings alle gegen die Juden verhängten Maßnahmen rechtfertigen würden.«162 Die Textstelle lässt sich allerdings trotz ihres unverstellten Antisemitismus auch als eine dezente Ablehnung der bis zu diesem Zeitpunkt getroffenen antijüdischen Maßnahmen verstehen, für die er erst mit dieser Festnahme Argumente zu erkennen glaubt. In der englischen Ausgabe von 1985 hat von Aufseß seine antisemitischen Bemerkungen zum Teil getilgt, zum Teil abgeschwächt. Ob dies aus Einsicht oder aus Gründen der schon angesprochenen Stilisierung geschehen ist, muss offenbleiben. Der Antisemitismus des Freiherrn ist in deutschen Adels- und Militärkreisen sowie bei Akademikern im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine bedauerliche Communis opinio.163 Von Aufseß ist hier vor allem das Produkt einer durch seinen Stand geprägten Sozialisation. Dass sich jedoch jemand, der sich so deutlich seiner geistigen Fähigkeiten und Bildung rühmt wie von Aufseß in seinen Tagebüchern, keine reflektierte Distanz zu den moralisch und intellektuell ohne größeren Aufwand als so abwegig wie intellektuell schlicht zu erkennenden Argumenten der Antisemiten findet, ist bemerkenswert. Das führt zu einer weiteren Tendenz in der Persönlichkeit des Freiherrn im Spiegel der Tagebücher. Von Aufseß ist bei freundlich-verbindlichen Manieren gleichzeitig dünkelhaft und bis zur Eitelkeit von sich eingenommen. Er urteilt zum Teil scharf aus ›Herrenreiterperspektive‹ über seine Mitmenschen. Häufig verbindet er dabei Charakterschilderung mit Bewertungen der Physiognomie der geschilderten Menschen. So schreibt er über den Bailiff von Guernsey, Carey: »Der Bailiff von Gy macht ein unbeholfenes, freundliches Gesicht und seine schlappen Gesichtszüge und die hängende Unterlippe geben ihm neben der sichtlichen Aufregung doch den Ausdruck des Nichtbegreifens und des Nichtgewachsenseins der Situation.«164 Einerseits steht von Aufseß damit in der Tradition der Lehren Johann Caspar Lavaters und der Physiognomik, andererseits zeigt sich hier auch ein nationalsozialistisches Ideologem in der Annahme, dass ›minderwertige‹ Menschen an ›minderwertigen‹, unschönen Körpern und mangelnden geistigen Fähigkeiten zu erkennen seien. Der Glaube, Menschen nach Kategorien der eigenen Überlegenheit kategorisieren und letztlich vernichten zu können, ist ein wesentlicher Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie. Später hat von Aufseß seine harten und oft ungerechten Urteile allerdings bedauert. Im Vorwort der englischen Ausgabe der Tagebücher schreibt er: »In retrospect, much of my censure (…) seems unduly harsh, but it was written under the stress of circumstance (…). The reader must exercise the forebearance which the diarist would do if he were writing today.«165
Lucy Schwob (Pseudonym Claude Cahun) und Suzanne Malherbe (Marcel Moore)
Hans Max von Aufseß zeigt sich in seinen Tagebüchern aber auch als äußerst sensitiver Naturbeobachter. Er hat ein Auge für die Schönheiten der Insel, der Felsformationen, der Strände und der Tiere. Diese Sensitivität verbindet er mit einem starken Körperempfinden, das er im Zusammenhang mit Ausritten auf seinem Pferd ›Satan‹ oder nach Badestunden im Wasser immer wieder thematisiert. Er hat aber auch ein sehr waches Auge für die Schönheit des anderen Geschlechts. So wie von Aufseß, ein nachweislich der Fotos dieser Zeit attraktiver Mann von Mitte dreißig, sich in seinen Tagebüchern präsentiert, muss man ihn wohl als ›Schürzenjäger‹ bezeichnen, der zahlreiche Liebschaften während der Besatzungszeit unterhalten hat. Diese Verhältnisse waren nicht nur geistiger Natur, sondern durchaus auch körperlich. Davon zeugen nicht nur die Tagebucheinträge des letzten Bandes, sondern auch weitere Dokumente aus dem Nachlass, unter anderem Liebesbriefe und Gedichte. Anfang Januar 1945 beginnt von Aufseß eine sehr intensive Affäre mit Elaine Fielding, die in den unveröffentlichten Tagebüchern, allerdings in der englischen Version von 1985 nur sehr dezent, inklusive ihrer sexuellen Komponenten offen angesprochen wird. Dieses Verhältnis ist sogar in einen fiktionalen Roman, der unter dem Titel ›The Occupation‹ im Jahr 2004 erschienen ist166, eingeflossen. Dort heißt Hans Max von Aufseß allerdings Max von Luck!
Politisch lässt sich Hans Max von Aufseß in den Tagebüchern nicht eindeutig fassen. An zahlreichen Stellen äußert er sich deutlich gegen den Nationalsozialismus, ohne mehr als ästhetische oder habituelle Gründe gegen die Borniertheit, mangelnde Einsichtsfähigkeit und Vulgarität seiner Vertreter anzuführen. Das Schicksal der jüdischen Bevölkerung ist ihm ebenso gleichgültig wie jenes der Zwangsarbeiter, die in den Tagebüchern kaum Erwähnung finden.
Dem Adeligen von Aufseß ist in den Tagebüchern jedoch nicht nur der Nationalsozialismus zuwider. Demokratie, Liberalismus und ›Bolschewismus‹ werden nicht minder stark abgelehnt. Die Zerstörung der Heimat durch den Krieg sieht von Aufseß mit Wut und Trauer. Dass er am Untergang des »Deutschen Reichs« seinen eigenen Anteil als Offizier einer aggressiven Angriffsarmee trägt, thematisiert der Freiherr nicht. Schuld am deutschen Unglück haben bei ihm die ›Nazis‹, die immer nur die anderen sind. Diese Aussagen im Tagebuch korrelieren keineswegs mit jenen, die von Aufseß in Briefen oder Vorträgen trifft, und welche durchaus eine schon gezeigte Identifikation mit den deutschen Kriegszielen deutlich machen.
Beurteilt man die geistigen Interessen des Freiherrn im Spiegel seiner Buchlektüre und seiner dazu geäußerten Meinungen, zeigt sich eine Vorliebe für christlich geprägte, kulturkonservative Literatur. Von Aufseß macht den Eindruck, als seien wichtige Strömungen der intellektuellen Moderne an ihm vorübergegangen oder bewusst ausgeblendet worden. Auch seine umfangreiche Lektüre untermauert den Eindruck, den seine Ablehnung des Kubismus schon gezeigt hat: Hans Max von Aufseß lebt geistig eher im 18. und 19. als im 20. Jahrhundert. Seine kulturelle Bildung stellt er im Tagebuch immer wieder ein wenig gewollt aus. Allerdings gelingen ihm dabei nicht immer sichere Bilder und Bemerkungen. Seine Assoziationen sind zuweilen sprunghaft und treffen oft trotz einer etwas gezwungenen Originalität daneben, so z. B., wenn er von einer Krankenschwester behauptet, ihr Mund sei »sensibel halb geöffnet, wie der eines klassizistischen Mädchenepitaphs«167 – hier ist die Grenze zur unfreiwilligen Komik überschritten.
Wenn von Aufseß nicht über die Insel reitet, Vögel oder schöne Frauen beobachtet, liest, sich mit Kameraden oder Inselbewohnern von Stand zu Gesprächen, mit Inselbewohnerinnen zu Flirts und mehr trifft, muss er auch noch gearbeitet haben. Das Tagebuch vermittelt kein konkretes Bild über diese Arbeit und vor allem über die Kompetenzen des Schreibers. Das meiste, was von Aufseß dem Tagebuch über seine Arbeit als Leiter der Zivilverwaltung auf den Inseln anvertraut, zielt in eine eindeutige Richtung: Hans Max von Aufseß moderiert im Sinne eines menschlichen und erträglichen Besatzungsregimes. An manchen Stellen vermittelt das Tagebuch den Eindruck, nur dem Freiherrn und seinem maßvollen Temperament sei es zu verdanken, dass auf den Inseln eine NS-Terrorherrschaft vermieden werden konnte. Dass diese auf Alderney sehr wohl bestand, ist nicht Thema der Tagebücher. Großen Raum nehmen die Versorgungsfrage ab 1944 und die Kontakte zum Internationalen Roten Kreuz ein. Bei diesen Themen erscheint der Freiherr im Spiegel des Tagebuches als Mann von Courage und Durchsetzungskraft.
Nach der Festnahme seiner Frau stellt sich von Aufseß in den Tagebüchern als politisch Verfolgter dar, was sicherlich als Übertreibung bezeichnet werden muss. Tatsächliche Gegner des Nationalsozialismus wurden unabhängig von den äußeren Umständen liquidiert. Auch auf einer abgeschnittenen Kanalinsel wäre dies nicht weiter schwierig geworden. Dass Vizeadmiral Hüffmeier ihn nach Guernsey versetzt, mag Ausdruck von Zweifeln an der hundertprozentigen Zuverlässigkeit des Freiherrn und Unwillen über dessen kritische Haltung gewesen sein. Wie von Aufseß dies in den Tagebucheinträgen als eine Art lebensgefährdende Strafversetzung eines politischen Widerständlers darstellen möchte, wirkt jedoch stark übertrieben.
Liest man die Tagebücher nicht als authentische Quelle zur Geschichte der deutschen Okkupation der Kanalinseln, sondern als Psychogramm eines deutschen Offiziers von Adel in einer für den Zweiten Weltkrieg ungewöhnlichen Besatzungssituation, versteht man dabei die Einträge als Ausdruck von Literarisierung des Geschehens und Stilisierung der Person, kann die vorliegende Edition interessante und aufschlussreiche Einblicke verschaffen. Von Aufseß ist – trotz der von Mière geschilderten Szene – insgesamt alles andere als ein typischer fanatisiert-brutaler ›Klischee-Nazi‹. Er ist im Gegenteil mitfühlend, gebildet, verfügt meist über gute Umgangsformen und gesteht sich sogar eigene Schwächen ein. Trotzdem ist er in dem Sinne ein ›Nazi‹, als er unleugbar ein Besatzer ist, der sich im Rahmen eines völkerrechtswidrigen Angriffs- und Vernichtungskriegs auf den Kanalinseln befindet. Kein Deutscher, unabhängig von Nähe oder Distanz zum nationalsozialistischen Regime oder von seinen persönlichen Eigenschaften, hatte zwischen 1940 bis 1945 das Recht, Menschen zu deportieren, in Zwangsarbeit zu versklaven oder hinzurichten – auch Hans Max von Aufseß nicht, der ein Teil jenes Systems war, in dem diese Verbrechen begangen wurden. Ob er dabei persönliche Schuld auf sich geladen hat, ist zwar in Bezug auf ihn bedeutsam, nicht aber im Blick auf das große Ganze eines von Deutschland entfesselten Weltkriegs, der 40 Millionen Menschen das Leben kosten sollte.
Das Wissen um seine Entwicklung im Kriegsgefangenenlager und sein späteres Bemühen bei der Demokratisierung seiner Landsleute lassen den heutigen Leser bei aller Distanz vielleicht dennoch mit einer gewissen Milde auf die Tagebuchnotizen des Freiherrn Hans Max von und zu Aufseß schauen.