Kitabı oku: «Das Zillebuch», sayfa 3

Yazı tipi:

Wenn man berühmt ist ...

»Berühmtheit ist eine schöne Sachel« meinte Heinrich Zille, »aber nicht immer! ... Manchmal nutzt sie einem ja. Man braucht nicht mehr überall so lange zu warten wie sonst. Die Verleger freuen sich mächtig, wenn man kommt – denn sie haben ja bloß Vorteile von den Berühmten und kein Risiko. Man kriegt auch manchmal 'n bißken mehr Geld für seine Arbeit und kann auch öfter mal 'n armen Deibel 'ne Freude machen oder da, wo's nötig ist, ein bißken nachhelfen – Menschen aus dem größten Druck rausholen.

Aber – die Berühmtheit hat auch ihre Schattenseiten. Verflucht unangenehme Schattenseiten – für den, der berühmt ist.«

Und Zille erzählte mancherlei Unangenehmes und Bitteres aus den letzten Jahren, als seine Popularität ihn zu einer maßgebenden Persönlichkeit der Reichshauptstadt, zu einem bestimmten Begriff gemacht hatte:

»Manchmal habe ich ja auch meinen gründlichen Ärger gehabt über meine Berühmtheit. Die ganze Welt denkt, ich habe nun so viel Geld gescheffelt, dass ich gar nicht mehr weiß, wohin damit. Jawohl – 'ne Villa im Grunewald hätte ich.

Na – hier seh'n Sie meine Villa.«

Er machte eine Handbewegung und ließ seine Blicke durch die große Stube laufen.

»Vier Treppen hoch – in dem alten Hause aus den achtziger Jahren. Höhenluft!« lächelte er und wies auf die Dächer mit den vielen Schornsteinen. »Hier mein großer Arbeits- und Eßtisch mit der elektrischen Lampe. Da mein Bett – mein Ruhe- und mein Sorgenlager. Da mein Arbeitsschrank mit der Klappe, an der ich zeichne und tusche. Die Staffelei und der Kleiderschrank – und der kleine Schrank mit den Andenken und den Photos von lieben Freunden. Ja, ja – Wieviel sind davon nicht mehr lebend zu seh'n ... Und denn da hinten meine kleinen Freunde, meine Vögelchen!


20. Die Stütze.

Nach dem Original.

Ja, ja, seid man stille! Ich denke an euch!«

Er geht hin zu ihnen und klopft mit dem Finger an die Stäbe der Vogelbauer.

Und dann weist er auf die Tür zum Nebenzimmer:

»Da liegen meine Bücher – und meine Mappen und sonst mancherlei. – Und dann ist noch 'ne Küche da – und ein Zimmer für meinen Sohn und meine Schwiegertochter.

Det is nu meine Grunewaldvilla!«

Und nun erzählte er, wie seiner Schwiegertochter in den benachbarten Geschäften ganz unerhörte Preise abgefordert wurden nach seinem siebzigsten Geburtstag.

»Die Geschäftsleute sagten: ›Na, Professor Zille is doch jetzt 'n reicher Mann! Der hat doch mindestens Hunderttausende verdient. Der hat doch 'ne Villa im Grunewald und duht doch bloß so, als wenn er hier wohnen muss. Der kann doch zahlen! Der duht bloß so, als ob er noch nischt hat!‹

Meine Schwiegertochter musste in eine andere Gegend zum Einkaufen gehen, wo sie keiner kannte!«

*

»Unzählige Bettelbriefe kamen, als sie von mir soviel in den Zeitungen schrieben.

Manche schrieben ganz frech, ich sollte ihnen ein kleines Kapital stiften zu einer neuen Existenz, zu einem kleinen Laden.

Andere wollten Geld haben für eine kleine Badereise. Sie möchten sich doch auch mal ein Stück Welt anseh'n.

Ich schrieb ihnen zurück:


21. »Ick habe meinen Weihnachten!«

Pfefferkuchen nach einem Zillebild.

Ich bin doch nich Ihr Bankier!

Was die Leute wohl glauben, für wen man alles sorgen soll und sorgen kann!

Und dann die fürchterlichen Menschen, die selber kamen!

Da wohnt da drüben einer, in der Nachbarschaft. Läuft rum mit 'n Hut ohne Krempe. Der geht schon lange bloß auf Fahrt.

Eines Tages klingelt's. Ich gehe an die Tür. Der Schnorrer steht da und sagt bloß:

›Ick bin schon dreiundsechzig Jahr!‹

›So – und ich bin siebzig!‹ antwortete ich. Aber der Kerl wollte nich weichen, wollte sich in die Türe drängen. Wahrscheinlich hatte er auch gehört, ich wäre reich ...«

Zille lachte belustigt auf und sah unter seinen buschigen Brauen mit seinen munteren Augen vor:

»Reich! Ja, wer mich hier so sieht, mang dem vielen Geld!«

Er hatte auf seinem langen Arbeitstisch lauter Päckchen von Kleingeldscheinen geordnet und klopfte zärtlich auf einige: »Ja – man möchte ja so gern an recht viel arme Biester denken. Alle sollen se wat haben ... Das da is für de Lise aus Moabit. Als sie noch nich in die Schule ging, habe ich sie mit ihrer Mutter gezeichnet. Vater war nich da. Jetzt hat sie selber schon ein paar Bälger. Aber 'n Vater hat sie ooch nich dazu. –

Gott ja – wie det so is! Die Marie aus de Fennstraße hat ja auch schon mehrere. Die hat ja nu einen Vater für ihre Göhren. Aber den muss sie noch mit pflegen wie 'n kleines Kind: er is verschütt' worden im Kriege ...

Na – überhaupt der Krieg! Der hat uns wat feines gebracht ... Die meisten Päckchen, die gehen an Witwen aus der großen Zeit. –«

Und ein wehmütiger, von Ironie bewegter Zug zuckte in seinem Gesicht, als er von der »großen« Zeit sprach.

»Nicht alle begnügten sich mit Briefen oder ließen sich an der Tür abfertigen. Einer, der ganz patent aussah, drang ganz dreist bis in mein Zimmer vor. Meine Schwiegertochter, die sonst alle erst abfängt, ist doch kränklich, das arme Wesen – und da hatte sie dem aufdringlichen Kerl wohl nicht energisch die Tür gewiesen.

Da stand er plötzlich in meinem Zimmer:

Er sei abgebaut. Sei Bankbeamter. ›Die Künstler haben doch in der Inflation so schöne Geschäfte gemacht bei der Handelsgesellschaft!‹

›Ich nicht!‹ antwortete ich ihm. ›Ich nich!‹


22. »Mutta, schmeiß Stulle runta!«

Pfefferkuchen nach einem Zillebild.

Und dann redete er lange auf mich ein. Er hätte nicht mal mehr eine feste Wohnung. Und das sei doch das Fürchterlichste. Wenn ein Mensch erst seine feste Bleibe aufgeben müsse ... Plötzlich fragte er mich:

›Kann ick nich da in der Ecke schlafen? Hinter dem Spinde? Ich schlafe im Stehen!‹

›Bauen Sie sich da auf!‹ antwortete ich ihm spöttisch. Aber dann machte ich ihm doch klar, dass mir das nicht passte, wenn hinter mir beim Schlafen ein fremder Mensch im Zimmer sei. – Man kann ja auch nicht wissen, was der in der Nacht vorhatte. – Der dachte doch auch, er findet Schätze bei mir. Und denn: im Schlaf kann sich keiner wehren ... – Er war ja noch ganz gut in Kluft. Also war das bloß Schwindel mit der Obdachlosigkeit. Trotzdem es ja genug Brüder gibt, die keine feste Bleibe haben. Aber das ist auch nicht immer bloß Mangel an Geld. Sie wollen sich eben nicht finden lassen. Oder, das Hin und Her gefällt ihnen besser. –

Na – mit Mühe und Not habe ich den Bruder rausspediert!

Und einer kam und erklärte' mir, wenn ich ihm nicht sofort gründlich helfen würde, dann würde er sich vor meiner Tür aufhängen.

›Wollen Sie einen Strick von mir dazu haben?‹ fragte ich ihn.

Der sah bald ein, dass er an den Richtigen gekommen war – und zog stumm ab.«

Nach einer Weile steckte Zille einige Scheine in alte Briefumschläge, die er aus Sparsamkeit selbst gewendet und wieder verklebt hatte:

»Nee, nee – man hat so schon für genug Arme zu sorgen ...«

*

»Was meinen Sie wohl, wie man um Autogramme angebettelt wird! Aber die Leute, die um Autogramme schreiben, kriegen von mir einen Brief:

›Wenn Sie an die Frau Soundso fünf Mark schicken‹ – ich habe doch immer 'ne ganze Masse arme Witwen und andre arme Luders – ›dann will ich Ihnen gern meinen Namenszug zukommen lassen.‹

Und richtig – meistens schreibt mir dann auch irgendeine arme Alte, sie hätte von Demunddem fünf Mark gekriegt und sollte mir das mitteilen. Und 'n schöner Dank is auch meistens bei.« –


23. Alice Hechy in einer Zille-Rolle.

Nach dem Original zum 1. Mal veröffentlicht.

»Da kam auch einer aus einer bekannten Großindustriellenfamilie. Einer von den drei großen Hetzern. Der kaufte sich gerade gerne ›mein Volk.‹

›Das ist nicht die schlechteste Kapitalsanlage‹, meinte er. ›Man muss doch jetzt sein Interesse fürs Volk zeigen ... Wenn sie hier mal nachsehen kommen, dann kann ich doch beweisen, dass ich für das Volk was übrig hatte. Das ist gut angelegt für meine Familie; die Sachen behalten ihren Wert!‹

Als ich nun in die Akademie kam als Mitglied, da sagte der Sohn:

›Jetzt sind sie noch mehr wert! Und das Vergnügen dran haben wir dazu!‹

Sie luden mich denn auch ein in ihre Wohnung – Kurfürstendammgegend – Marmortreppe – Fahrstuhl – fingerdicke, echte Teppiche, 'ne Masse Silber und Kristall. Ja – wenn ich jetzt hier den Fahrstuhl im Hause hätte! ...«

Und er sah traurig auf seine Beine herab, die ihn nur selten die vier schmalen Holztreppen hinab und herauf tragen wollten. – Dann winkte er abwärts, wie wenn das versinken müsse und fuhr fort:

»Ja, und dann führten sie mich zu Tisch und sagten, heute gäb's mal was Besonderes. Saubohnen mit Fleisch.

Es war noch in der Zeit, als wir andern überhaupt nischt hatten, als so 'n Happen auf Marken zugeteilt wurde.

Na, ich sah mir denn das feingestickte Leinen, das echte Porzellan, die silbernen Löffel und Gabeln und Schüsseln an und sagte so 'n bißchen ironisch:

›Bloß – weil ich hier bin!‹

Und ich dachte mir: ›Sonst gibt's Fleisch und Geflügel und Wild und Schnitzel in Butter ...

Ja, ja, se wollen uns immer für dumm verkaufen – aber wir wissen ja doch, wie's gekocht wird ...‹«

*

Ein Verlag wollte seinen Lesern auch Zillezeichnungen bieten. Zille war populär, war so behebt geworden, dass jede an ein größeres Publikum sich wendende Zeitung und Zeitschrift seine Berliner Zeichnungen bringen musste. Die Inhaber hatten aber die Tendenz, nicht das soziale Elend zu Worte kommen zu lassen. Sie verlangten auch von Zille, er solle in seinen Abbildungen keine Gebrechen zeigen, keine schwangeren Frauen, keine Kranken, kein Elendsmilieu.


24. Westermeier und Lotte Werkmeister im Zille-Akt der Revue »Das hat die Welt noch nicht gesehn!«

Da antwortete ihnen Zille:

»Dann kann ich Ihnen Berlin nicht zeichnen!«

Und der Verlag hat schließlich auch gern »die echten Zilles« genommen und veröffentlicht.

*

Zu dem Echtesten und Persönlichsten gehört das, was Zille bei seiner Einführung in die Akademie der Künste erlebte. In der ersten Sitzung, an der die neuen Mitglieder teilnehmen, müssen sie, wie das seit langem Gewohnheit ist, ihren eigenhändig geschriebenen Lebenslauf überreichen. Max Liebermann, der Präsident der Akademie, nahm aus Zilles Hand dessen Selbstbiographie – sah auf das eng beschriebene Blatt – las einige Zeilen und meinte lächelnd:

»Det is ja janz ulkig! Aber sagen Se mal – warum ham Se denn det so kleen jeschriem?«

Zille antwortete schlagfertig: »Erstens sollte das alles uff eene Seite jehn – und denn braucht es ja doch ooch keener zu lesen!«

»So – o – nu lesen Se't man selber vor?« sagte Liebermann.

Zille nahm das Blatt und las seinen Lebenslauf. Solche echten volkstümlichen Worte hatte die hochmögende Kameradschaft der Akademie wohl noch nie an dieser Stelle gehört. Aber die Professoren schüttelten nicht entrüstet den Kopf. Ihre Gesichter hellten sich auf. Stilles Lächeln glänzte in den Augen, in den Mundwinkeln. Das stille Vergnügen an dem »Frischen Ton«, wie er in dem feierlichen Sitzungssaal bisher unbekannt gewesen war, explodierte schließlich in einem laut schallenden Gelächter.

Aber Zille blieb ernst und las die letzten Sätze vor:

»– Jetzt bin ich sogar Mitglied der Akademie geworden. Dazu schreibe ich, was das Blatt ›Fridericus‹ sagt: ›Der Berliner Abortzeichner Heinrich Zille ist zum Mitglied der Akademie der Künste gewählt und als solches vom Kultusminister bestätigt worden. Verhülle, o Muse, dein Haupt!« (Siehe Bild 10.)


25. »Komm man, Kleene!« Westermeier und Lotte Werkmeister in einem Zille-Akt.

Nach dem Original zum 1. Mal veröffentlicht.

Diese Worte zündeten derart, dass die Mitglieder in stürmischem Beifall Zille umringten.

So unakademisch war wohl selten ein neues Mitglied begrüßt worden. Dann aber musste er als jüngster Akademiker, trotz seiner sechsundsechzig Jahre, die Blechbüchse in die Hand nehmen und die Stimmen für seine Wahl von Mitglied zu Mitglied einsammeln. Bei dieser Arbeit meinte er:

»Na, det jeht ja noch. Aber muss ick als Lehrling nu ooch den Schnaps for de andern holen?«

Die Sitzung wurde schleunigst aufgehoben – und woanders weitergetagt, wo es gemütlicher war als in der Akademie.

*

Viel Freude hatte Zille durch andere Folgen seiner Berühmtheit. Die Pfefferkuchen, die nach seinen Bildern hergestellt wurden (siehe Bild i und die diesem Kapitel beigefügten Abbildungen), brachten gewisse heimatliche Schwingungen ins Berliner Weihnachtsfest. Und die vielen Filmstücke, die unter Berufung auf Heinrich Zille über die Flimmer-Leinwand gingen, haben seinen Ruf ebenso ausgenutzt wie gefördert. Bei einigen hat er mit geholfen durch Szenenentwürfe und Figurinen. So z.bsp; B. beim Film vom fünften Stand. Das reizte ihn sogar zu einer Zeichnung, auf der viele seiner Typen vor einem Kintopp erschienen und sagten:

»Das sind wir ja alle!«

Manchen Schauspielern gaben diese Zillefilme auch Gelegenheit, sich erst richtig zu entfalten, mehr auf der Leinwand als auf der offenen Bühne zu zeigen. Heinrich George bewies eine tragische Wucht in dem von Carl Boese ausgezeichnet gestellten Film: »Kinder der Straße«, die man ihm bisher nicht zugetraut – und die man auch den Gestalten Zilles, dem Berliner Volk nicht zugetraut hatte. Aber es hat ganz gewiss auch seine tragische Größe in sich ...

So ist es auch zu verstehen, dass Zille in einem Bildchen (siehe Bild 3) einmal indirekt gegen die Filme sich äußerte – zugleich aber auch eine Anerkennung jenen Schauspielern aussprach, die seine Gestalten auf der Flimmerwand »geschoben« hatten.

Der Erfolg dieser Filme – sie mussten meist viele Wochen lang gespielt werden und waren in allen Filmtheatern Berlins und von ganz Norddeutschland zu sehen – bewies, wie echt die Zillekinder und -mädchens gespielt wurden – und wie berühmt Zille ist ....

*

Hat nun die Berühmtheit auch Zille manches von dem gebracht, was eben jeder Berühmte über sich ergehen lassen muss: Belästigung durch die Organe der Öffentlichkeit, Hineinströmen aller möglichen und unmöglichen Menschen in sein eigenes Heim, neugieriges Hineinstarren in sein Leben, in sein alltägliches Gehaben, in sein Tun und Lassen, Hineindrängen in sein innerstes Wollen und Nichtwollen – und nicht zum wenigsten auch das Hereinzerren seiner Persönlichkeit in die Öffentlichkeit und in den Vergnügungsrummel von Groß-Berlin (siehe den Zilleball und die herben Worte, die er im Kapitel von den Zillefesten über ihn sagt) – er hat sich gewiß mit diesen Unannehmlichkeiten abgefunden und ist gewiß froh darüber, dass er auch dort berühmt geworden ist, wohin ihn seine menschlich stets mitempfindende Künstlerseele gezogen hat:

Beim Volk, bei den Schichten, die in den dumpfen Winkeln und Mietskasernen wohnen. Von den Auswirkungen in diesen Kreisen mögen die Abschnitte »Zille in der Liebe des Volkes« und »Zille und seine Modelle« künden.

Aber nicht nur bei ihnen, denen er durch seine ungeschminkten Schilderungen gedient und geholfen hat, ist er berühmt geworden. Er wird auch weiter berühmt bleiben als jener Meister, der das Volk unserer Tage mit der größten Liebe dargestellt hat.

Zille-Feste.

Der allgemeinen Beliebtheit, der Zille und seine Gestalten sich erfreuen konnten, verdankte er auch einige Anerkennungen, die nicht jedem Künstler dargebracht werden. Nicht nur in allen guten humoristischen Zeitschriften erschienen seine Blätter. Nicht nur wurden seine Bücher und Alben in vielen zehntausend Exemplaren verkauft – ja, manche Zillealben brachten es bis jetzt fast auf eine Auflage von nahezu einhunderttausend Stück. Die Popularität seiner Gestalten führte schließlich zur Einrichtung von Festen, die unter seinem Namen viele Tausende von Menschen in fröhlicher Ungebundenheit versammelten. Zuerst wurde Zille gebeten, sich an dem Karikaturistenball zu beteiligen. Groß war der Erfolg dieser Bälle, die bereits vor'm Kriege ihren Höhepunkt erreichten und die meistens in den Sälen des Admiralspalastes am Bahnhof Friedrichstraße ihren lustigen und bunten Balltrubel austoben ließen. Was Zille für diesen Ball bedeutete, möge ein Auszug aus der satirischen Festzeitung vom Karikaturistenball vom 17. Februar des Jahres 1912 erläutern:

»Der Kaiser bei Zille. Das große Interesse des höchsten Schutzherrn deutscher Kunst an modernen Karikaturen veranlasste eine Anfrage des Hofmarschallamtes bei dem Präservator deutscher Zeichenkunst Moritz Furunkel, von der ›L'Illustration Berlinoise‹, der einen Besuch bei dem mit dem Menzel-Preis ausgezeichneten Illustrator H. Zille vorschlug. Diesen Besuch hat der Kaiser vor einigen Tagen ausgeführt und wir geben nachstehend eine Schilderung unseres Hofberichterstatters Alfred Holzkopp über das historische Ereignis:

Punkt 5 Uhr rollte das Hofauto in der Mulackstraße vor das primitive Kelleratelier, in dem der Meister hauste. Der Kaiser wurde zunächst von zwölf weißgescheuerten Ehrenjungfrauen empfangen, die ihm ein Bukett überreichten. Nachdem er hierauf mit Taucherhelm und Sauerstoffapparat ausgerüstet worden war, betrat er die mit Zillescher Eleganz ausgestatteten Kellerräume und besichtigte eingehend die ausliegenden Zeichnungen. Der Kaiser bestellte nun noch einige Entwürfe zu Kadiner Kacheln, und nachdem er aus der Hand des Meister Zille noch eine echte Berliner ›Weiße mit Strippe‹ kredenzt erhalten hatte, fuhr er hochbefriedigt ins Schloß zurück.«


26. Venus im Pelz. Parodie nach dem gleichnamigen Bild von Rubens.

Aus einer Einladung zum Karikaturistenball 1925.

In der Wintertanzzeit 1924–1925 wurde dann im Großen Schauspielhaus der ›Hofball bei Zille‹ veranstaltet. Ein kleines Stück von Hans Brennert unter gleichem Namen brachte sehr hübsch und eindringlich einen Teil vom Zillemilljöh und von Zillegestalten auf die Bühne. Die Dekoration gab ein echtes Stück Alt-Berlin wieder. Die Szenenbeschreibung sei deshalb hier nach dem Entwurf von Brennert mitgeteilt:

Hof im »Gelben Anton« in Berlin O.

Rechts und links: Seitenflügel mit Eingängen zum Hintertreppenhaus.

Hintergrund: Hofseite des Vorderhauses mit Hausflur zur Straße.

Stallung. Müllkasten. Retirade.

Fenster mit Wäsche und Blumenkasten.

Über den rechten Seitenflügel sieht eine benachbarte Fabrik.

Rohgezimmertes Podium für die Musikkapelle mit altem Klavier.

Girlanden mit Lampions quer über den Hof von Flurfenster zu Flurfenster.

Bierausschank in improvisierter Bude an der einen Hofseite. (Siehe Bild Nr. 24 und 25.)

Um einen kleinen Überblick über die eigenartigen Personen des Stückes zu haben, möge auch das Personenverzeichnis folgen:


Matrosenkarl Rosenfrieda Pyjamajule Radieschen Pinselheinrich Schrammelfredy Bollenjuste Honiglene Mieter im »Gelben Anton«


27. »Milchflaschen! Ersatz für Muttermilch!« Studie vom Weihnachtsmarkt.

Nach dem Original.

Menke, Verwalter des »Gelben Anton«

Frau Menke, seine Frau.

Mieter, Mieterinnen, Kinder,

Musikkapelle, Schutzleute.

Das Stückchen schildert ein Volksfest auf einem Hof im Volksviertel, mit Musikkapelle, Männerquartett, Kinderreigen, Polonäse usw. Inhalt: Matrosenkarl ist aus Plötzensee gekommen, wo er zwei Jahre »gesessen« hat. Seine Freundin hat sich unterdessen einem andern Manne angeschlossen – Matrosenkarl ist niedergeschlagen – eine andere will ihn aufrichten – aber seine frühere Freundin verrät ihn und Matrosenkarl wird wieder abgeführt: nach Plötzensee.

Diese einfache Handlung ist mit mehreren reizenden und auch einigen echten Gesängen durchzogen, von denen hier zuerst das Auftrittslied vom Matrosenkarl mitgeteilt sei:

Zwee Jahre saß ick widder in de Plötze!

Ach detse ickse nie jesehen hättse!

Zwee Jahre Einzelhaft uf Flüjel C –

Und täglich blauen Heinrich – na nu nee!

Ihr werdet mein Jefiel ja leicht ermessen.

Ihr habt ja alle ooch darin jesessen!

O welch Jefiel voll Unbeschreiblichkeit –:

Zwee Jahre ohne holde Weiblichkeit!

Radieschen, eine Siebzehnjährige mit Kind, singt dann ein etwas wehmütiges Lied von der Singuhr von Parochial (der Parochialkirche), dessen erster Vers das Leben vieler Kinder jener alten Berliner Gegend recht anschaulich malt:

Ick habe ooch jespielt als Kind!

Der Hof war jrau und kahl,

So wie die Höfe alle sind

Um Sankt Parochial.

De Mutter, die jing abends aus –

Ick weeß et nich, wohin – –

Ick saß de Nacht alleen zu Haus,

Alleen im Stübeken.

Ick jraulte mir – de Nacht war lang,

Im Ofen jing der Sturm,

Und stindlich bloß de Singuhr sang

Vom Parochialkirchturm:


28. Nach einer Originalzeichnung.

(Mit leisem Glockenspiel im Orchester und im Ton der Singuhr)

Ȇb' immer Treu und Redlichkeit

Bis an dein kiehles Jrab,

Und weiche keenen Finger breit

Von Jottes Weje ab –!«

Das Hauptlied schildert den Hofball selbst. Der erste Vers lautet:

Wo im Osten von Berlin

Uf der Spree die Zillen zieh'n,

Wo man jroße Weißen leert

Und den jrünen Aal verzehrt –

Da – da steht een Hinterhaus,

Da – da sehn viel Meechens raus,

Mit Jeschrei von Stock zu Stock:

Uff 'n Hof is Feifohklock ...!

»Mensch, heerst du den Jrammophong

Hinten uff'n Hof?

Da is heite Reünjong –

Da is heite Schwoof!

Brauchst dir nich jroß anzuziehn,

Lacktöppe dabei –:

Heite jeht's uff Holzpantin!

Bis de Nacht um drei! –!«

Der zweite Vers gibt die Höhe des Festes:

Mutta tanzt wie wild sich warm,

Mit det Jüngste uff'n Arm!

Vater spielt im Hausflur Skat

Mit die Herrn vom Mieterrat!

Maxe rechts am Stall vahaut

Eenen wejen seine Braut!

Alles schiebt und tanzt mit Dampf –

Else hat schon Wadenkrampf!


29. Rechtfertigung. –

»und vorige Woche sollste auf der Radio-Diele die Nackttänzerin jemacht hab'n?«

»Sache! – aber gestatte Emil – immer mit dem Brautschleier!«

Nach dem Original.

Und im vierten und letzten Vers wird der Nachklang des Festes umschrieben:

Um halb viere jeht's zu Bett –

Mit de Lackschuh – mit's Korsett!

Else träumt von die Musik –

Bald ja pfeift schon die Fabrik!

Träumt vom Hofball Berlin 0. –

Träumt von ihrem Max und so:

»Knutsch mir! Heute is Ausverkoof!

Küß' ooch orntlich –! Nich so dof ...!«

Von den andern Liedern sei hier nur der letzte Vers des Liedes vom Nußbaum mitgeteilt. Das gibt recht hübsch die Stimmung dieser alten, jetzt vom Magistrat der Stadt Berlin angekauften und als Denkmal bestimmten, aus dem 16. Jahrhundert stammenden Gastwirtschaft: »Zum Nußbaum« wieder. Sie liegt in dem alten Berliner Viertel zwischen Friedrichsgracht, Gertraudenstraße und An der Fischerbrücke. (Bild Nr. 110.) Im letzten Vers des Liedes wird sie geschildert:

Im Nußbaum links vom Molkenmarcht –

Die ihr so oft eich dort verbarcht,

Jrießt mir die Prachtdestille!

Durch meine Zelle zieht een Traum –

Jrießt mir det Haus – den jrienen Baum

Und ooch den Vater Zille!

Aus den Figuren des Stückes darf man aber nicht den Schluß ziehen, als habe Zille ganz Berlin nur mit fragwürdigen Gestalten bevölkern wollen. Er sah als Künstler eben nicht nur Glanz und Sonnenschein, sondern auch die Tiefen des menschlichen Lebens. Aber deswegen ist er auch empört über die Manie, ihn zum Heiligen der Apachen machen zu wollen und als Zillegestalten nur Kaschemmenbrüder darzustellen.

Schon der Hofball bei Zille hatte vieles von diesem Unechten und gar zu Aufdringlichen gebracht. Die elegantesten Damen hatten sich zurechtgemacht als Fischerliese oder Bollenjuste. Der Name stammt nicht von einer Händlerin mit Bollen, d. h. Zwiebeln, sondern war Spitzname eines Straßenmädchens, das mit »Bollen«, mit Löchern in den Strümpfen auf den Strich im alten Scheunenviertel ging. Die Herren kamen als Apachenjüngling, als Patentlude und Saloneinbrecher. Die Haare dick mit Pomade verschmiert und 'ne kesse Sechse in die Stirn gezogen. Viele hatten sich eine künstliche Tätowierung auf Hände und Arme malen lassen. Die meisten aber glaubten, mit einem »blauen« Auge den größten Eindruck zu schinden.

Fast die gleichen Kostüme tauchen in jedem Jahr zu Hunderten auf dem Zilleball im Sportpalast auf. Manche Mädchen kommen auch in allen möglichen und unmöglichen Hosenkostümen: als Matrose, als Strolch, als Badeengel aus dem Freibad. Allerdings finden sich unter den Tausenden, die den Zilleball mit fröhlichem Karnevalulk, unverwüstlicher Tanzlust und mit derber Faschingslust erfüllen, auch recht viele wirklich gut und echt nach Zille »Angezogene«, Harfenjulen, die unbedenklich sich häßlich machen, alte Jungfern, die »über den Mann hinaus sind«, Budiker in Hemdsärmeln und blauer Schürze, alte Penner, »Damen« aus dem Scheunenviertel und aus der Parochialritze, Brüder aus dem »Nussbaum« und »Immertreu«-Leute aus der Koppenstraße, Kinder aus der Ackerstraße, vierter Hof, und noch mancherlei Volk vom Rummelplatz und Weihnachtsmarkt: Ringkämpfer, Ausschreier und die dickste Frau der Welt, Wandervögel und liebliche Zillemädchen. Sie alle sind hereingekommen mit der Polizeianmeldung, die umstehend wiedergegeben ist.

Sie alle wandern unentwegt an dem Tisch vorbei, an dem Zille mit einigen Freunden sitzt. Und dann Paukenschläge – Tusch – und alles ruft »Hoch Zille! Hoch Vater Zille!«


Und er erhebt sich und dankt mit freundlichem Lächeln und immerwährenden Verbeugungen.

Dann aber drängen sie zu Hunderten an die Balustrade und reichen ihm Postkarten, ja selbst feuchte Bierfilze, Notizblätter und auch Papierfetzen hin, die sonst zu geheimen Zwecken gebraucht werden. Unentwegt muss er unterschreiben. Immer wieder strecken sich ihre bittenden Hände hin und verlangen seinen Namenszug. Er, der schon schwach und müde auf seinem Stuhl lehnt, muss stundenlang seinen Namen malen und malen ... Immer wieder halten sie ihm


30. »Annekin, Annekin, drück doch mal, drück doch mal aufs Knöppkin!«

Studie aus einem »Ballsalon«.

Nach dem Original.

Papierwische hin. Und wenn seine Freunde die unvernünftig Bittenden abweisen wollen und schreien: »Nun ist's genug!« Dann nimmt er immer wieder seinen Bleistift und schreibt geduldig: Heinrich Zille ...

Die Kapelle spielt brausend den Rixdorfer: »Uff den Sonntag freu ick mir!« Und dann: »Im Grunewald, im Grunewald is Holzauktion«. Und: »Durch Berlin fließt immer noch die Spree!«

*

In einer Tanzpause – der große Mittelraum ist fast leer – kommt ein Mann in Arbeiterkleidung, eine emaillierte Kaffeekanne und einen Frühstückspacken in Zeitungspapier in der Hand. Aufatmend lässt er sich auf den Rand des Podiums nieder, wickelt das Päckchen aus – nimmt eine Stulle und isst – und nimmt einen Schluck aus der Kaffeekanne: ganz wie ein Straßen- oder Bauarbeiter, der seine Frühstückspause macht.

Einige Herumstehende aber durchschauen, dass er auch nur ein Ballbesucher ist, der seine Frühstückspause mimt. Im Nu haben sie sein Päckchen geplündert – einer bricht dem andern ein Stück von dem Butterbrot ab – die Kanne wandert von Mund zu Mund: eine große vergnügte Menge umgibt den frühstückenden Arbeiter, mit dem auch sie gemeinsame Sache machen.

Alle die Besucher des Zilleballes machen gemeinsame Sache, sind einig in dem Willen und in dem Bewusstsein, sich harmonisch und auf dem Boden eines gemütvollen, lustigen und verständigen Berlinertums zu unterhalten und ein ungezwungenes Fest zu genießen. Wer glaubt, das Berlinertum müsse sich hier roh und ordinär äußern, der irrt im Wesentlichen. Hier offenbart sich der Berliner als durchaus gar nicht übelnehmerisch, als Liebhaber eines freudigen familiären Humors, als vielleicht nicht immer hoffähig aber »hof«-lustig. Ab und zu ist er auch mal derb. An der Rutschbahn freut er sich juchzend über das, was Mädchen sonst nicht zeigen, aber was sie hier nicht verstecken. Wer auf den Treppen hübschen Mädchen begegnet oder an dem sie vorbeigehen, während er mit fideler Gesellschaft am Tisch sitzt, beweist ihnen eine handgreifliche Huldigung, indem er sie auf den Teil des Rückens klatscht, wo er »anfängt schön zu werden«.

Der Begleiter des schönen Mädchens rächt sich sofort, indem er bei der Frau dessen, der zuerst »klatschte«, den Klatsch wiederholt oder auch nur drohend-gutmütig sagt:

»Det mach man in Zukunft bloß bei deiner Ollen! Sonst fühlt sich die zurückgesetzt!«

Und damit ist alles ausgeglichen. Der Krach, wegen dessen der Berliner so verschrien ist, wird vergeblich auf solchen Festen gesucht. Die Weltstadt hat längst den Berliner, und besonders die mittleren Schichten, die den Zilleball bevölkern, zur Toleranz und Nachsicht erzogen. Eine gemeinsame Fröhlichkeit überbrückt alles.

Und Frauen, denen man ansieht, dass sie keine handgreiflichen Späße verstehen, werden nicht angetastet. Der Berliner hat dafür einen feinen Geruch. Er fragt wohl eine einzelne Herumschweifende:

»Na, Kleene – suchste mir oder mich?«

»Nee, meinen Bruder suche ich!«

»Wird ein schöner Bruder sein!« meint er lächelnd. »Soll ich suchen helfen?«

Wenn sie aber ihn merken lässt, dass sie allein bleiben will, biegt er abseits – fragt vielleicht eine andere »Zillejöhre«.

»Biste schon vergeben?«


31. Berlinerin in der Knospe.

Studie aus den neunziger Jahren.

Nach dem bunten Original zum 1. Mal veröffentlicht.

Und ist dann froh, wenn sie ihm nach einem prüfenden Blick mit zum Tisch seiner »Klique« folgt und ärgert sich höchstens, dass sie zuwenig Wein trinkt, die Hand aufs Glas hält, wenn er zugießen will, sich heimlich Essen bestellt und es selbst bezahlt – – wie das jetzt die Berlinerinnen machen, die »sich nicht verpflichten wollen« – und die schließlich auch meistens allein nach Hause gehen – und unterwegs in der Untergrund- oder in der Stadtbahn dann auf die echten Zillefamilien stoßen, die von ihren Vereinsfesten nach Hause kommen: mit gewonnenen Aluminiumkochtöpfen und anderen Töpfen für nächtliche Zwecke, mit Porzellankannen, Würsten, Kaffeemühlen und anderen nützlichen Gegenständen, die ihr ganzes Glück auszumachen scheinen ...

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺182,23