Kitabı oku: «Die 55 beliebtesten Krankheiten der Deutschen», sayfa 2
Erbkrankheiten
Als ich vor kurzem meine Steuerunterlagen gesichtet und nach Themengruppen sortiert in einem Ordner versammelt hatte, dachte ich unwillkürlich: so, jetzt kannst du sterben. Natürlich wurde mir sofort die peinliche Banalität, ja Dummheit dieses Gedankens bewusst, denn es hatte sich ja nur um die Steuer von 2006 gehandelt, die Unterlagen von 2007 harrten noch in einer krankhaft aufgeblähten Hängeregistratur ihrer Erledigung. Trotzdem ist das ein Gefühl, das in letzter Zeit sehr oft wiederkehrt, vielleicht liegt es am Alter, jedenfalls beruhigt mich oft der Gedanke, ich hätte meine Angelegenheiten geordnet hinterlassen. Potentielle Hinterbliebene könnten sich hemmungslos der Trauer hingeben und ich müsste mir nicht aus dem Jenseits würdelose Gespräche anhören: »… ach, wissen Sie, was das Schlimmste ist, er hatte ja noch nicht mal die Steuer für 2006 gemacht, das bleibt jetzt alles an mir hängen …«
Nein, solche Szenen will ich vermeiden, der Tod darf mich nicht mit Bergen voll ungeordeter Bewirtungsquittungen antreffen. Meine Familie soll einfach nur den Schmerz oder meinetwegen auch die Freude über mein Ableben auskosten dürfen. Tatsächlich muss man wohl eine Familie haben, um sich in derart schwachsinnigen Gedankenbahnen zu bewegen.
Es ist allerdings keineswegs so, dass mein gesamter Tagesablauf ein einziges memento mori carpe diem wäre. Ich bin durchaus in der Lage, den Abwasch zu erledigen, ohne danach zu denken: wenn ich jetzt stürbe, wären wenigstens die Töpfe sauber.
Aber ist denn nicht doch der Großteil unseres Lebens eine einzige Nachlassvorbereitung? Meine Mutter wirft in Erwartung eines baldigen Ablebens ständig größere Teile ihres Hausstandes in den Müll oder ich muss ihn in die Altkleidersammlung transportieren: »Damit ihr nicht so viel zum Wegwerfen habt.«
Das geht jetzt seit beinahe 15 Jahren so, demnächst wird meine Mutter 85. Vor kurzem warf ich zehn Jahrgänge der Zeitschrift Mojo ins Altpapier. Ich hatte sie getreulich gesammelt, weil sie ein hervorragendes Nachschlagewerk der Popmusik abgegeben hätte, aber in Ermangelung eines Registers war es dann doch nur ein Haufen Papier, der zuviel Platz einnahm. Nach der Entsorgung war ich zwar noch nicht zum Sterben bereit, aber erleichtert.
Dem Tode noch näher fühlte ich mich, als ich meine Platten endlich komplett alphabetisch geordnet hatte. Sogar die Sonderabteilungen »Brasilien«, »Frankreich« und »Bubblegum«. Nur ein kleiner Stapel von etwa fünfzig Platten macht mir Sorgen, in ihm stehen die Neuerwerbungen, die ich noch nicht oder nur einmal gehört habe. Ich ordne eine Platte nämlich erst dann endgültig ein, wenn ich sie zum zweiten Mal abgespielt habe. Diesen ungeordneten Haufen müsste ich meiner Tochter hinterlassen, denn ich schätze, dass sie sich halbwegs ernsthaft mit der Verwaltung dieses Nachlassobjekts beschäftigen würde. Vielleicht sollte ich es wie Peter Handke oder Ror Wolf machen und meine Plattensammlung schon zu Lebzeiten ans Literaturarchiv nach Marbach verkaufen, aber ich befürchte, die wissen in Marbach gar nicht, wer ich bin und deshalb muss ich das Ganze selber katalogisieren. Das steht mir nämlich auch noch bevor. Ich besitze einige Platten u.a. von Leo Kottke, aber auch von den Monkees doppelt, weil ich den Überblick verloren habe. So konnte ich mich anfangs zweimal freuen, musste mich am Ende aber auch einmal ärgern und mir Gedanken über Alzheimer machen. In Marbach würden kundige Archivare eingreifen. Wenn ich zweifelnd im Plattengeschäft stünde und überlegte, was ich eigentlich schon alles von Brinsley Schwarz habe, dann würde ein Anruf in Marbach genügen und eine heisere Fistelstimme betete mir vor: »Silver Pistol«, »Despite it all«, »Nervous on the road« und »Playing new favourites«. Ich bin fest davon überzeugt, dass alle Archivare in Marbach heisere Fistelstimmen haben.
Warum gibt es noch nicht ein »Archiv für literarisch so gut wie unbedeutende Autoren«? Irgendeine staatliche Stelle, die meinen Mist einlagert und mit Laufnummern versieht? Bis das geschaffen worden ist, bleibt leider noch dieses chaotische Resthäufchen, das ich, so gerne ich das auch tun würde, auf keinen Fall alphabetisch vorordnen kann, denn hier müssen die Platten so stehen, wie sie reingekommen sind, die neuen vorne, die älteren hinten, sonst verliere ich den Bezug zu ihnen.
Falls also der Tod demnächst vor der Tür steht, dann werde ich versuchen, noch ein bisschen Zeit rauszuschinden, um das Ordnungswerk zu vollbringen. In den folgenden Bereichen aber wird mich der Tod nicht unvorbereitet antreffen: Ich habe den Staubsaugerbeutel gewechselt, den gelben Sack entsorgt, die Winterreifen aufgezogen, das Wasser in der Heizung nachgefüllt, meine Publikationen an die VG-Wort gemeldet, den Tannenbaum abgeschmückt und an die Straße gelegt, alle Kugeln nach Farben sortiert in die entsprechenden Kästen eingeordnet und diesen Text fertiggestellt.
100 Prozent aller Personen, die ihren letzten Willen aufgesetzt haben, sind später gestorben. Das Verfassen von Testamenten gilt deshalb als Todesursache Nr. 1
Eitelkeit
Wenn es einem nicht so gut geht, wenn man sich klein, unbedeutend, überflüssig fühlt, wenn man schon weiß, dass man ziemlich verhauen aussieht, ohne dafür auch nur in den Spiegel gucken zu müssen, dann hat man wirklich starken Trost nötig. Da braucht man Zuspruch und aufbauende Worte. Wo aber sollen die plötzlich herkommen?
Wer auf das falsche Verständnis von Gesprächstherapeuten, Pfarrern und Personal Coachern verzichten kann, der hat nicht viele Alternativen. Mutti wäre eine Möglichkeit, aber am praktischsten scheint es doch in solchen Fällen, wenn man E-Bay-Mitglied ist.
Dann ruft man einfach die Rubrik »Mein ebay« auf und schaut sich sein Bewertungsprofil an. Also, ich mache das regelmäßig und fühle mich hinterher jedesmal großartig. Mein Bewertungsprofil ist aber auch großartig: »100 Prozent positiv«. Das hat nicht jeder. 157 Bewertungen und alle positiv.
Im wirklichen Leben würde das bedeuten, dass die letzten 157 Menschen, denen man begegnet ist, einen alle gut gefunden haben. Was heißt hier gut, supergut natürlich, denn so urteilt man bei E-Bay über mich:
»Super! Perfekter E-Bay-Partner! Danke!« oder »ÄUSSERST EMPFEHLENSWERT – DANKE!!!« oder »Typisch E-bayer der Sonderklasse«, »Spitze! So macht E-Bay Spaß«, »Hat alles super geklappt« und »alles bestens, jederzeit gerne wieder, dankeschön«, »Alles super – nix lief schief – sowas nennt man positiv«.
Und es sind nicht nur Deutsche, die mich gut finden: »Excellent buyer, great communication«, »Smooth transaction«, »Great E-Bay-member«, »Très rapide sans soucis sans problème«, »je le recommande«, rufen mir meine ausländischen Bewunderer hinterher.
In diesen Lobeshymnen kann ich baden, keiner hält so große Stücke auf mich wie meine E-Bay-Partner und sie haben auch allen Grund dazu. Denn eigentlich finden diese ganzen vollmundigen Lobesredner nur eins an mir gut: dass ich so schnell mit der Kohle rüberrücke. Ich bin nämlich ausschließlich Käufer und bezahle sofort, ich beklage mich nie, selbst wenn die Schallplatte doch etwas mehr knistert, als es die Kategorie »mint« eigentlich vorschreibt. Mir geht es schon längst nicht mehr um die Ware, sondern ich bin süchtig nach Lob. »Danke für die perfekte Kaufabwicklung«, das ist es, was ich hören will, und auch »Turbozahlung – Spitze!«, baut mich wieder richtig auf.
Ich finde, so etwas sollte die Kirche auch einführen. Ein Bewertungsprofil zu Lebzeiten, damit man weiß, zu wie viel Prozent man schon im Himmel ist. Da liest man dann: »Äußerst empfehlenswerter Gläubiger« oder »Superbeter! Spitzenbüßer – so macht Glauben Spaß!« und natürlich: »Reuiger Sünder der Spitzenklasse – gerne wieder«.
Misstrauen
Regelmäßig wache ich mitten in der Nacht auf. Schweißgebadet natürlich, weil man mitten in der Nacht meistens schweißgebadet aufwacht oder von einem unerklärlichen Geräusch. Ich höre aber kein Geräusche, wenn ich welche gehört hätte, dann wären es Beißgeräusche gewesen. Die wären von den Gewissensbissen gekommen, die ich seit einigen Wochen habe. Ich weiß gar nicht mehr, wann es angefangen hat, ich schenkte der Sache nämlich zunächst keine Beachtung. Wahrscheinlich fing es so an: Immer wenn ich meine Emails aufrief, tauchte ein Banner auf: »Kein Scherz, Sie haben gewonnen. Schauen Sie sofort nach, um welches dieser Cabrios es sich handelt: Audi TT Roadster, BMW 3, Opel GT.«
Niemals habe ich auch nur den Versuch unternommen, diese Benachrichtigungen anzuklicken, weil ich dem Internet grundsätzlich misstraue, aber bestimmt erschienen sie über tausendmal. Ich rufe nämlich sehr häufig meine Mails auf, weil ich hoffe, verlockende Angebote von Verlegern, Filmproduzenten oder wenigstens Frauen zu bekommen. Meistens werde ich nur darüber informiert, dass ein neuer Film anläuft, dass bei Amazon CDs der Bee Gees billiger geworden sind oder dass ich mein Geschlechtsorgan in zwei Wochen um 40 Prozent verlängern könnte. Ich habe aber nur ein sehr kleines Arbeitszimmer, deshalb mache ich von diesem Angebot lieber keinen Gebrauch. Genau wie ich niemals nachgucke, welches der drei Cabrios ich gewonnen habe. Tausendmal hat man mir ein Cabrio angeboten und tausendmal habe ich es ausgeschlagen. Jetzt stehen irgendwo tausend Cabrios herum oder vielmehr dreitausend, denn die Gewinnspielveranstalter konnten ja nicht wissen, welches ich mir aussuchen würde. Bestimmt bin ich nicht der einzige, der ein Cabrio gewonnen hat und nicht nachguckt. Nehmen wir nur an, es sind in ganz Deutschland 1000 Menschen, dann stehen jetzt irgendwo drei Millionen Cabrios und warten, dass man mal nachguckt. Es werden täglich, stündlich mehr. Sie nehmen mit Sicherheit schon eine Fläche ein, die so groß wie das Saarland ist, wahrscheinlich ist längst das ganze Saarland von Cabrios bedeckt, ich weiß es nicht, ich war länger nicht mehr dort.
Warum bringe ich einfach nicht den Mut auf und schaue mal nach? Natürlich ist es Blödsinn, im November mit dem Cabrio durch die Gegend zu fahren, das wirkt lächerlich, vor allem im Saarland. Ich hätte trotzdem längst mal nachgucken müssen, sie schreiben ja extra es wäre »kein Scherz«. Wenn es ein Scherz wäre, dann hätten sie geschrieben »Ein Scherz: Sie haben gewonnen«. Aber das haben sie nicht geschrieben und deshalb muss es stimmen.
Wenn ich aber jetzt anfange, nachzugucken und es stellt sich raus, dass ich ein Opel Cabrio gewonnen habe, dann muss ich ins Saarland fahren, um mir meinen Gewinn abzuholen. Da führt man mich auf eine sehr hohe Aussichtsplattform und zeigt mir bis zum Horizont Cabrios. In allen Farben. Und hinter dem Horizont geht es weiter. Die Gewinnspielveranstalter sehen mich strafend an. »Und welcher ist meiner?«, frage ich schnell, um ihren Blicken zu entgehen. Sie deuten nach hinten, ganz weit nach hinten, ans Ende des Saarlands. Da steht mein Cabrio. Dann händigen sie mir meinen Wagenschlüssel aus und dazu noch drei Millionen andere Zündschlüssel, von den Cabrios, die vor meinem Cabrio stehen. Bevor ich an mein Cabrio herankomme, muss ich die erst alle wegfahren. Und das ist dann der Moment, wo ich schweißgebadet aufwache.
Tierliebe
Als das reizendste, anmutigste und perfekteste Wesen in Gottes Schöpfung kann zweifellos das Kaninchen angesehen werden. Es ist schön an Gestalt, von bescheidener Art, lebt vegetarisch und verhält sich vor allem ruhig. Es schleimt sich nicht an den Menschen heran wie der Hund und frisst auch keine kleinen Vögel, wie die völlig überschätzte Katze. Das Kaninchen lässt sich nicht von Rentnern durch die Straßen zerren, um auf öffentlichen Gehwegen seine Notdurft zu verrichten. Es ist nicht stachelig, glitschig oder giftig, es gibt sich weich, anschmiegsam und freundlich. Das Kaninchen sitzt in seinem Stall und beobachtet. Es beobachtet, frisst und pflanzt sich fort – wenn man ihm Gelegenheit dazu gibt. Sonst beobachtet und frisst es nur.
Man kann einen Menschen sehr gut danach beurteilen, wie er auf den Anblick eines Kaninchens im Stall reagiert. Sagt er »Mmmh, das ist aber ein leckerer Braten«, dann müssen wir mit diesem Subjekt keinen weiteren Kontakt mehr pflegen. Selbstverständlich lässt sich ein Kaninchen auch schmackhaft zubereiten, aber erstens produziert man sich nicht vor einem Kaninchen als Komiker und zweitens zeugt so eine Bemerkung von einer erschreckenden Herzensrohheit.
Ich muss es wissen, denn zwei Meter vor meinem Küchenfenster sitzt ein weißes Kaninchen. Es hat schwarze Augen, die von einem schwarzen Fellring umrandet werden. Wie das Kaninchen heißt, hat es mir nicht verraten – meine Tochter gab ihm den Namen Tinka, was eigentlich ein Pferdename ist, woraus man schließen kann, dass meine Tochter ursprünglich ein anderes Tier haben wollte. Doch wer weiß schon, wie Kaninchen wirklich heißen? Horst, Heinz, Erwin oder Joe, Jim oder Shorty? Merall, Chantal oder Senta? Vielleicht heißen sie auch Batz, Springer und Fellchen? Die Cree-Indianer nennen das Kaninchen Shwan-Sai-Te, das bedeutet soviel wie »Tier, dessen Namen man in Deutschland nicht kennt«. In China bezeichnet man das Kaninchen als »Shen-Take« was soviel heißt wie »Nr. 37 mit Reis oder Glasnudeln«.
Man weiß in Deutschland viel mehr über Wale oder Haie als über Kaninchen. Aber kein Pottwal würde jemals zwei Meter vor unserem Küchenfenster herumliegen und uns schöne Augen machen. Das Kaninchen aber schaut mir mit seinen tiefschwarzen Augen aufmerksam zu, während ich einen Apfel esse oder Zeitung lese. Sobald die Familie eine Mahlzeit einnimmt, fängt auch das Kaninchen an zu essen. Das zeugt von einem erstaunlichen Taktgefühl. Niemals schlingt das Kaninchen seine Nahrung geräuschvoll sabbernd in sich hinein wie ein Golden Retriever, es knabbert bedächtig vor sich hin. Mit einem stinkenden Pansen kann man ihm überhaupt keine Freude machen. Ein Kaninchen wirkt immer interessiert. Dabei mischt sich das Kaninchen aber nie ein, so wie es andere Familienmitglieder ständig tun, es stellt keine Fragen und macht auch keine unerwünschten Vorschläge, obwohl das Kaninchen höchstwahrscheinlich vieles besser weiß. Es kann mit zwei Ohren mehr als mit tausend Worten sagen. Es kann diese Ohren sogar unabhängig voneinander bewegen. Das Kaninchen ist auch keineswegs feige, es kann fauchen, beißen und kratzen. Das Kaninchen namens Tinka jagt Katzen, die vor seinem Stall herumlungern, einen heillosen Schreck ein, wir sind überzeugt, es könnte auch Hunde in die Flucht schlagen. Kaninchen sind für ihre Sprungkraft bekannt. Sie können Hindernisse überspringen, die ihre Körpergröße um ein mehrfaches übersteigen. Dafür hat das Kaninchen sogar seinen eigenen Leistungssport namens »Kaninhop«.
Tinka ist 10½ Jahre alt, sie wurde entgegen sämtlichen Empfehlungen alleine gehalten, hat einen relativ kleinen Auslauf und wurde nie geimpft. Sie bekommt sehr unregelmäßig zu fressen, manchmal wache ich nachts auf und überlege, wer ihr wohl zuletzt etwas gebracht hat, und sehr häufig bin ich nachts um drei nur mit einem Schlafanzug bekleidet durch den Garten gewankt und habe einem heißhungrigen Kaninchen Apfelschnitze und Brotkanten gebracht. Ich glaube, diese sehr unregelmäßige Versorgung hat mit zu seinem hohen Alter beigetragen. Das Tier wird quasi unter naturähnlichen Bedingungen gehalten, denn draußen gibt es ja nicht nur Kännchen, sondern manchmal eben gar nichts. Genau betrachtet habe ich in den letzten neun Jahren mehr Zeit mit dem Kaninchen als mit jedem anderen Familienmitglied verbracht. Tinka draußen in ihrem Stall und ich in meinem Laufrad vor dem Computer.
Das Kaninchen sollte ein Vorbild für unser ganzes Volk sein. Aber das deutsche Wappentier ist der Adler, ein vollkommen überschätzter Vogel, der sich hauptsächlich von Kaninchen ernährt. Ob ein Staat, der so viel auf seine pazifistischen Grundwerte hält, sich ausgerechnet mit einem aggressiven und brutalen Tier wie dem Adler schmücken sollte, bezweifele ich. Würde im Reichstag stattdessen das Bundeskaninchen hängen, wäre das ein ganz anderes Signal an die Völker der Welt.
Im Gegensatz zu seinen politischen Vertretern, bekennt sich das deutsche Volk entschlossen und eindrucksvoll zum Kaninchen. Es gibt allein 185.000 offiziell registrierte Mitglieder im Zentralverband Deutscher Kaninchenzüchter (ZDK). Kein anderes Volk auf der Welt hat sich so vehement der Aufzucht, Pflege und Veredelung dieses Tieres verschrieben. Etwa 2½ Millionen Kaninchen leben überirdisch in Ställen, Ausläufen und Transportboxen. Noch mal soviele ihrer wilden Verwandten leben unterirdisch und haben Deutschland mit einem komplexen System von Gängen und Schlafhöhlen untergraben. Diese architektonische Meisterleistung wird natürlich nirgendwo gewürdigt und Kaninchen erwarten das auch gar nicht.
Die ZDK-Mitglieder züchten über 70 anerkannte Rassen, darunter finden sich so fantastische Gattungen wie »Deutsche Riesenschecken«, »Weiße Hotot«, »Blaugraue Wiener«, »Sachsengold«, »Russen-Rex«, »Kastanienbraune Lothringer« und der etwas bedrohlich wirkende »Separator«. Ein Tier, das sich zu DDR-Zeiten bestimmt großer Beliebtheit erfreute. Wahrscheinlich kann das Kaninchen jede beliebige Gestalt annehmen. Über die »Deutsche Riesenschecke« lesen wir: »Das Mindestgewicht dieser großen Rasse liegt bei 5kg, das Normalgewicht über 6kg, ein Höchstgewicht gibt es nicht.« Eine 30t schwere Riesenschecke wäre also im Bereich des Möglichen, ein Tier, das ganz Ostdeutschland endgültig verwüsten könnte. Aber das Kaninchen zieht diese Möglichkeit nicht einmal in Betracht, weil es im Grunde seines Herzens friedlich ist. Durch die intensive Kaninchenzucht leistet Deutschland einen entscheidenden Beitrag zur Verbreitung des Weltfriedens. Würden alle Länder der Erde statt Waffen Kaninchenställe bauen, dann gäbe es auf der Welt möglicherweise endlich dauerhaften Waffenstillstand, auf jeden Fall aber sehr viel mehr Kaninchenställe.
Dank übertriebener Tierliebe erreichen manche Kaninchen eine mehr als stattliche Größe.
Polgarrhythmusstörungen
Gestern habe ich etwas getan, was ich eigentlich nie im Leben tun wollte. Es geschah bei Rewe, wo ich normalerweise Tomaten, Mozzarella, Butter oder Chips mit Essiggeschmack einkaufe. Aber gestern habe ich mir von dort einen Polgar mitgebracht. Der stand gar nicht auf meiner Einkaufsliste, aber weil er da so einladend im Kassenbereich lag und ich ihn noch nicht hatte, habe ich ihn gekauft.
Der Polgar war im Preis reduziert, anscheinend war sein Haltbarkeitsdatum abgelaufen und deshalb kostete er nur 2,50 Euro. Ich wäre ein Narr gewesen, da nicht zuzugreifen. Natürlich ist der Inhalt eines Polgar schon etwas älter, aber wie bei gutem Wein, wird er mit dem Alter nur noch besser.
Ich hatte zuhause übrigens schon fünf Polgars, aber den besaß ich noch nicht. Meine Familie war überrascht, als zwischen Lauch, Äpfeln, Ahornsirup und Zwieback der Polgar zum Vorschein kam: »Was hast du denn da gekauft?«, wollte mein Sohn wissen.
Ich antwortete: »Einen Polgar.«
Für einen Moment herrschte Schweigen, dann fragte meine Tochter: »Und was macht man mit dem Polgar?«
Ich griff nach dem Polgar und befühlte ihn von allen Seiten, dann öffnete ich ihn vorsichtig, schaute hinein und sagte: »Lesen.«
Wie bereits erwähnt, war es wirklich das erste Mal, dass ich im Supermarkt einen Polgar gekauft habe, aber ein alter Polgar ist qualitativ eine derartig hochwertige Ware, dass er selbst neben einem Stapel Melonen aus Spanien oder Kiwis aus Ungarn taufrisch wirkt. Ein Polgar gilt unter Kennern als ein vortreffliches Stärkungsmittel. Sie können Ihren Polgar natürlich auch in einer Buchhandlung kaufen. Allerdings gibt es da keinen frischen Lauch.
Tourette-Syndrom
Bevor ich als unamerikanischer Flugpassagier die Vereinigten Staaten betreten darf, muss ich die »Nonimmigrant Visa Waiver Arrival/Departure Form« in Großbuchstaben ausfüllen. Es ist ein sehr schmaler, engbedruckter Zettel, der einem schon optisch suggeriert, die USA seien eigentlich voll. Sie haben keinen Platz für größere Zettel, deshalb quetschen sie die kompliziertesten Fragen auf ein flugticketgroßes Papier. Als erstes möchte das amerikanische Justizministerium wissen, ob ich an einem meldepflichtigen körperlichen oder geistigen Gebrechen leide oder Drogen missbrauche. Gerne würde ich jetzt hinschreiben: »Kommt darauf an, wie Sie Drogenmissbrauch definieren«, doch man darf nur »YES« oder »NO« ankreuzen. Kein Mensch könnte diese Fragen so knapp beantworten. Die nächste Passage ist lang und kompliziert und es kommt das beunruhigende Wort »Trafficker« darin vor, über das ich lieber nicht nachdenken will, jedenfalls nicht, bevor ich die passenden Drogen dafür missbraucht habe. Es geht irgendwie darum, ob man jemals angehalten, ausgefragt oder verurteilt wurde oder die Absicht hätte, sich verhaften zu lassen. Am Ende steht nämlich die Frage: »Wollen Sie einreisen, um sich kriminell oder unmoralisch zu betätigen?«
Hat man mir etwa versehentlich das Formular für Michael Jackson ausgehändigt? Woher soll ich denn jetzt schon wissen, ob ich mich kriminell betätigen will? Sowas ergibt sich meistens im Laufe des Aufenthalts. Aber wenn man jetzt nur eine Frage mit »Ja« beantwortet, kann man sofort wieder zurückfliegen. Zum Glück ist die dritte Frage ganz einfach und verständlich formuliert, »Waren oder sind Sie beteiligt an Spionage- oder Sabotageakten; oder terroristischen Aktivitäten oder Massenmorden; oder waren Sie zwischen 1933 und 45 an Verbrechen beteiligt, die mit Nazi-Deutschland oder seinen Verbündeten zu tun hatten?« Was würde Günter Grass jetzt tun? Würde er lügen, nur um einmal das Empire State Building zu sehen? Wie kann ich sichergehen, dass ich nicht doch als Stasi-Spitzel gearbeitet habe, ohne es zu wissen? Und sind meine Texte möglicherweise nichts als ein einziger Sabotageakt gegen eine bessere Welt? An Nazi-Verbrechen war ich meines Wissens nicht beteiligt, aber woher soll ich wissen, ob ich nicht in einem früheren Leben Propagandaminister war. Zählt das auch? Ich lüge und antworte mit »No«.
Dann wollen die Behörden noch erfahren, ob ich mir jemals auf betrügerische Weise Zutritt zu den Vereinigten Staaten verschaffen wollte oder dabei erwischt wurde. Naja, genau genommen, bin ich ja gerade dabei, mir auf betrügerische Weise Zutritt zu den Vereinigten Staaten zu verschaffen und ich hoffe natürlich, dass ich dabei nicht erwischt werde. Dieser Fragebogen zwingt einen harmlosen Touristen ja regelrecht, zum Verbrecher zu werden. Allerdings hat er auch etwas Rührendes und zeigt, dass die Amerikaner ziemlich kindlichen Vorstellungen von Gut und Böse nachhängen. Sie gehen einerseits davon aus, dass hauptsächlich Kriminelle, Spione und ehemalige Nazis in die USA einreisen wollen, gleichzeitig scheint das Justizministerium aber fest an eine Welt zu glauben, in der alle Menschen immer die Wahrheit sagen, jedenfalls alle Nichtamerikaner. Denn wenn man etwas Falsches ankreuzt und ein Verbrechen nicht gesteht, macht man sich doppelt strafbar. Funktioniert bestimmt, denn das Problem bei Mohammed Atta, dem Attentäter vom 11. September, und seinen Komplizen war ja, dass sie gar nicht mehr dazu kamen, ihre Fragebögen abzugeben.
Man sollte diese Befragungen auch bei uns und am besten sogar auf jedem Inlandflug durchführen, dann wäre Deutschland bald ein Land ohne jedes Verbrechen – wie die USA. Natürlich müssten unsere Fragen etwas anders lauten: »Waren oder sind Sie als Hassprediger tätig? Haben Sie vor, dem Finanzamt falsche Angaben zu machen?« Und vor allem: »Planen Sie bei Ihrer Ankunft, den Müll nicht zu trennen oder waren Sie jemals in Aktivitäten verwickelt, in deren Verlauf eine Mülltrennung sabotiert wurde?«
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