Kitabı oku: «Das letzte Steak», sayfa 3
Kapitel 2
Tübingen
Der weiße Porsche Boxster Spyder bog beim Wurstpalast am Holzmarkt rechts ab und hielt nach wenigen Metern in der schmalen Straße an. Sven stieg aus, ohne sich um den Stinkefinger des Fahrers zu scheren, der seinen Kombi millimetergenau an den geparkten Autos vorbei navigieren musste. Er fand die ganze Aktion in Tübingen, zu der Chris ihn verknurrt hatte, schlicht zum Kotzen. Daher versuchte er gar nicht erst, seinen Widerwillen zu unterdrücken, als er sich preußisch kurz bei der Polizei Innenstadt anmeldete:
»Kriminalkommissar Sven Hoffmann, BKA Wiesbaden, Herr Schröder erwartet mich.«
Die Miene des Polizeihauptmeisters ließ darauf schließen, dass auch er alles andere als begeistert war vom Eindringen des Bundeskriminalamts in seine heile Welt. Immerhin stellte er ihm einen Becher Kaffee und ein Kännchen mit Rahm hin, bevor er mürrisch sagte:
»Offen gestanden, weiß ich nicht, wie ich Ihnen helfen kann, Kommissar.«
»Sie brauchen mir nicht zu helfen. Ich bin lediglich an den Akten im Mordfall am Ammerkanal interessiert.«
»Die hätten wir Ihnen schicken können.«
»Sicher, doch ich muss auch wissen, was zwischen den Zeilen steht, und ich möchte den Tatort sehen.«
»Da werden Sie nicht mehr viel sehen. Die Gegend beim Nonnenhaus ist sehr beliebt bei Einheimischen und Touristen.«
»Umso erstaunlicher, dass niemand etwas vom Mord am Schwarzen bemerkt haben soll.«
Schröder errötete und setzte zu einer Bemerkung an, doch dann stand er auf, ging zum Aktenschrank und zog ein dünnes Dossier heraus. Er legte es wortlos auf den Tisch und schaute Sven beim Lesen zu, bis er die Geduld verlor.
»Brauchen Sie mich noch?«
Sven nickte. »Ich habe sicher noch Fragen dazu.«
Ungerührt las er weiter.
»Schießen Sie los, fragen Sie«, drängte Schröder, den es kaum mehr auf dem Sessel hielt.
Wie befürchtet, erwies sich die Aktenlage als dürftig und lückenhaft. Er ließ den Polizeihauptmeister noch eine Weile zappeln, bevor er sich äußerte:
»Ich finde hier nur die Aussage des Notarztes aber keinen Obduktionsbericht.«
Schröder nippte angewidert an seinem Kaffee, bevor er kurz angebunden antwortete:
»Die Obduktion ist noch nicht abgeschlossen.«
»Wie bitte? Nach zwei Tagen?«
Schröder schien seine Empörung zu freuen.
»Die haben viel zu tun in Stuttgart«, erklärte er, als wäre er stolz darauf.
»Na klar, war ja auch der einzige Mordfall im letzten Monat im Ländle. Da braucht man sich nicht zu beeilen.«
Allmählich verlor er die Geduld mit diesem Schwaben. Er breitete die Tatortfotos aus. Das Bild des Opfers im Kanal fehlte. Darauf angesprochen, deutete Schröder ärgerlich auf ein Foto, das zwei weiße Markierungen auf dem Pflaster am Kanal zeigte.
»Dort unten hat er gelegen.«
Sven sah sein Gegenüber mit großen Augen an. Wollte Schröder ihn für dumm verkaufen, oder war dies der unergründliche schwäbische Humor? Er zwang sich, den Spaßvogel ruhig zu fragen:
»Wie hat das Opfer im Kanal gelegen? Gesicht nach unten, oben, Kopf zum Steg oder umgekehrt, Gelenke verrenkt, gerade, krumm, was lag unter Wasser, was darüber? Ich finde nichts dazu in den Protokollen.«
Schröder senkte verlegen den Blick. Innerlich kochend, zog er die Akten zu sich und begann, darin zu blättern, als sähe er sie zum ersten Mal.
»Tatsächlich«, murmelte er nach kurzer Zeit. »Muss ein Versehen sein. Ich kümmere mich gleich darum.«
Er stand auf und ging zur Tür.
»Warten Sie, das hat Zeit. Sagen Sie mir einfach, wie genau Sie das Opfer vorgefunden haben.«
Schröder blieb stehen, schielte unschlüssig zum Ausgang, bis ihm offenbar einfiel, wie er den Kopf aus der Schlinge ziehen konnte.
»Kalle kann Ihnen das erklären. Er war als Erster am Tatort.«
Damit schlüpfte er hinaus. Sven hörte einen lauten Wortwechsel. Kurz danach trat ein Uniformierter, etwa in seinem Alter, kreidebleich ins Zimmer. Die mitleiderregende Gestalt erleichterte es ihm, den Ärger über Schröder zu verdrängen und seine Sonnenseite hervorzukehren. Er erhob sich, ging auf den Mann zu und schüttelte ihm freundlich die Hand.
»Sven Hoffmann«, stellte er sich vor.
Der junge Polizeimeister hieß Kalle Klein. Er war sichtlich erleichtert, vom Kriminalkommissar aus Wiesbaden nicht auch als Fußabtreter behandelt zu werden.
»Als Erstes möchte ich bitte eine Kopie dieser Akten, geht das?«, fragte Sven höflich.
»Selbstverständlich, sofort.«
Sein neuer Freund raffte die Papiere und Fotos zusammen, sauste damit hinaus und saß ihm Sekunden später wieder gegenüber. Er schilderte in allen Einzelheiten, was er in jener Nacht beobachtet hatte. Hin und wieder ließ Sven die Bemerkung fallen, dieses oder jenes doch in den Akten festzuhalten, was Klein pflichtbewusst auf seinen Block notierte. Noch eine, zwei Stunden, dachte Sven, und die Akte Ammerkanal würde zum Vorbild für alle künftigen Ermittlungen in Tübingen.
»Das Opfer konnte also noch nicht identifiziert werden«, sagte er, nachdem er sich ein einigermaßen vollständiges Bild gemacht hatte. »Keine Brieftasche, kein Handy – Raubmord?«
Klein nickte eifrig. »Davon müssen wir ausgehen.«
»Nichts in den Taschen, kein Autoschlüssel, Hotelschlüssel. Besteht kein Zweifel, dass das Opfer nicht aus der Gegend stammt?«
»Kein Zweifel«, bestätigte Klein bestimmt. »Wir haben alle gemeldeten Schwarzen überprüft, ebenso die bekannten Unterkünfte der Illegalen. Da waren ein paar Somalier dabei, sonst viele aus Nordafrika, aber kein Schwarzafrikaner.«
Die Sekretärin brachte die Akten mit den Kopien. Er zog die Fotos des Toten hervor und betrachtete sie nachdenklich.
»Das Opfer sieht gepflegt aus, gut situiert, vielleicht ein Geschäftsmann, würde ich sagen.«
Klein nickte zustimmend und machte eine Notiz.
»Möglich, dass er nur zu einer Sitzung hergekommen ist.«
»Das ist sogar sehr wahrscheinlich, pflichtete Klein ihm bei. »Wir haben alle Hotels und Geschäfte abgeklappert. Niemand hat den Mann gesehen.«
Was hatte ein offensichtlich fremder Geschäftsmann, oder was immer er war, nachts um halb zwei in jener Gegend zu suchen?
»Gibt es Kneipen, Nachtklubs, die zur Tatzeit noch nicht geschlossen waren?«
Klein schüttelte den Kopf. »Nicht in diesem Viertel. Wir haben alle Nachtklubs überprüft: negativ.«
»Und andere Kneipen?«
»Waren alle geschlossen.«
»Habt ihr sie überprüft?«
Klein lief rot an. »Noch nicht«, gab er kleinlaut zu und kritzelte eilig eine Notiz auf den Block.
»Hier steht, ein Alois Schmitz hätte die Leiche entdeckt. Ich finde aber seine Aussage nirgends.«
Klein seufzte. »Das ist eine Geschichte für sich, Herr Kommissar. Schmitz gehört zu den Obdachlosen, den Stadtstreichern, die bei warmem Wetter am Kanal nächtigen. Sein Kollege, der Lange, behauptet, Schmitz habe das Opfer entdeckt. Ein weiterer Sandler bestätigt dies. Leider konnte Schmitz sich unbemerkt aus dem Staub machen in der ersten Aufregung. Wir haben ihn am nächsten Tag aufgegriffen und befragt. Der sture Bock hat keinen Ton gesagt. Wir mussten ihn wieder laufen lassen. Es lag nichts weiter gegen ihn vor.«
»Ich möchte mit ihm sprechen – und mit den andern Zeugen, diesem Langen und dem Wirt.«
Klein nickte. »Am besten führe ich Sie zum Tatort. Dort finden Sie alle.«
Draußen prüfte Sven seinen Wagen von allen Seiten. Kratzer im Lack fand er keine, nur einen Bußenzettel an der Scheibe.
»Halteverbot«, grinste Klein.
Dieses Geschäft beherrschten die Kollegen einwandfrei. Er grinste zurück, wobei er ihm den Zettel in die Hand drückte.
»Das ist ein Dienstwagen. Sie werden es Ihren Freunden sicher erklären.
Er öffnete den Wagen und stieg ein. »Na los, ich folge Ihnen.«
»Wir brauchen kein Fahrzeug. Zum Kanal hinunter sind es nur ein paar Schritte.«
»Zu Fuß? Das ist nicht Ihr Ernst!«
Er mochte sich nicht ausmalen, was die Leute auf dem Land unter ein paar Schritten verstanden. Zudem brauchte er unter Umständen Material aus seinem Kofferraum.
»Kommen Sie schon, steigen Sie ein.«
Klein nahm zögernd neben ihm Platz. Er sprach leise, während er ihn zur Hauptstraße und durch den Fußgängerbereich zu einem prächtigen Fachwerkhaus lotste. Er schien sich davor zu fürchten, als Uniformierter in diesem Sportwagen ertappt zu werden.
Der Weg zwischen Kanal und Nonnenhaus führte in einen überdachten Durchgang. Dort befand sich der Tatort, wie er aus den Akten erfahren hatte. Klein führte ihn an die Stelle, wo das Opfer offenbar zu Boden gesunken war und Blut verloren hatte, bevor der Täter den Leichnam in den Kanal stieß.
»Sie werden nicht mehr viel finden«, meinte er. »Der Tatort ist gründlich gereinigt worden. Die vielen Touristen, wissen Sie.«
Es war düster im schattigen Durchgang. Sven verglich das Tatortfoto mit der Umgebung, stellte sich vor, wie die Tat abgelaufen war, und fand nur bestätigt, was in den Akten stand. Auch bei genauem Hinsehen waren keine Spuren mehr zu entdecken.
»Warten Sie einen Moment, und halten Sie die Leute fern«, bat er. »Ich bin gleich zurück.«
Er holte die UV-Lampe, den Luminol-Spray und eine Decke aus dem Wagen. Die Sachen gehörten zum Instrumentarium der Kriminaltechnik, doch Chris bestand darauf, sie stets dabei zu haben. »Wichtiger als die ›Glock‹«, behauptete sie, und er musste ihr nach vier Jahren als ihr Partner widerwillig zustimmen. Am Tatort faltete er die Decke auseinander und hielt sie so, dass möglichst wenig Licht auf die Stelle fiel, wo das Opfer gelegen hatte.
»Halten Sie sie bitte mal genau so«, forderte er den verdutzten Polizeimeister auf.
Der zögerte, bevor er die Decke mit rotem Kopf um die Schultern schlang und die Arme ausbreitete wie Batman vor dem Abflug.
»Weitergehen, es gibt nichts zu sehen!«, herrschte er die immer zahlreicheren Gaffer an.
Sven sprühte die Chemikalie auf den Boden und schaltete das ultraviolette Licht ein. Trotz der Abschirmung war es immer noch störend hell im Durchgang. Die Hoffnung, doch noch etwas zu entdecken, schwand mit jeder Sekunde. Plötzlich leuchteten jedoch einzelne Flecke auf. Wie auf den Stein projiziert, zeichnete sich die Blutlache grünlich schimmernd ab, deutlich genug, um die Lage des Körpers zu sehen.
»Heidenei!«, rief Klein verblüfft aus. »Ich dachte, die hätten gründlich geputzt.«
»Blut ist eben ein ganz besonderer Saft«, lächelte Sven.
Wie auf dem Foto konnte er den Anfang der Schleifspur zum Kanal erkennen. Noch etwas bemerkte er, was auf dem Bild nicht zu sehen war.
»Was ist das?«
Er deutete auf ein viereckiges Muster am Rand der Spur. Klein beugte sich mit ausgebreiteter Decke über ihn, was den Zuschauern großes Vergnügen bereitete.
»Könnte der Abdruck eines Etuis sein, ein Schlüsselbund vielleicht.«
Sven nickte. »Oder ein Handy, das dem Opfer aus der Tasche gefallen ist.«
Klein beugte sich tiefer. »Leuchten Sie mal hierher.«
Schwach zwar, aber doch deutlich erkennbar, zeichnete sich der Sohlenabdruck einer breiten Schuhspitze mit teilweise fehlendem Profil ab.
»Sieht aus wie ein Militärschuh«, murmelte Klein verlegen. »Davon steht nichts in den Akten.«
»Das Gefühl habe ich auch.«
Sven schluckte seinen Ärger hinunter und wies Klein an, den Tatort nochmals gründlich untersuchen zu lassen.
»Sie müssen wieder absperren«, fügte er hinzu, während er die neuen Spuren zur Sicherheit mit seinem Handy festhielt. Dann erhob er sich und erlöste Klein von seinem Umhang. Er wollte jetzt mit dem Zeugen Schmitz reden.
»Seit wann fährt ihr Bullen Porsche?«, grinste der lange, dünne Mann mit den fettigen Locken auf der Bank am Steg. Typ gescheiterter Künstler, dachte Sven. Der musste der Lange sein.
»Das ist Kriminalkommissar Hoffmann vom BKA«, sagte Klein mürrisch. »Er möchte mit euch sprechen wegen dem Toten.«
Der Lange schoss auf, wobei eine süßliche Alkoholfahne zu ihnen herüber wehte. Er versuchte eine zackige Achtungsstellung und rief aus:
»Lange meldet sich zur Stelle, Gomi – Kommissar.«
»Lass den Blödsinn«, wie Klein ihn zurecht. »Wo ist Schmitz?«
»Der Nazi? Ausgeflogen.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Sven.
»Wie ich es sage. Kurz, nachdem ihr ihn wieder habt laufen lassen, hat er seine Sachen gepackt und ist ausgeflogen, der Vogel.«
Klein hakte ärgerlich nach. »Wie, seine Sachen gepackt. Macht er Ferien oder was?«
Lange ließ seinen Blick unschlüssig vom Polizeimeister zu ihm wandern. Wie es aussah, verspürte er wenig Lust, mit Klein zu reden. Die Alkoholfahne brachte Sven auf die rettende Idee. Er bedeutete Klein, sich um die Absperrung zu kümmern, dann schlug er Lange vor, die Unterhaltung in der Kneipe weiterzuführen. Der Sandler warf seinen Kumpeln einen triumphierenden Blick zu, bevor er mit Riesenschritten voranging.
Sven fragte gar nicht erst nach Kaffee. »Möchten Sie ein Bier?«
Lange rümpfte die Nase.
»Ein Glas Wein?«
»Trester.«
Das Schnapsglas war leer, bevor er selbst den ersten Schluck heißen Kaffee getrunken hatte. Er gab vor, Langes Blick aufs leere Glas nicht zu bemerken und forderte ihn auf, seine Version der Geschichte zu erzählen. Der chaotische Bericht drohte mehrfach auszuufern, denn Lange konnte es nicht lassen, seinem Ärger über die falsche Gesinnung des verschwundenen Zeugen Schmitz Luft zu machen.
»Was ist denn so falsch daran?«, wagte Sven zu fragen.
»Mensch! Der ist ein Nazi! Schwarze sind für den nur Neger, Abschaum. Ich glaube, der war richtig froh, den schwarzen Toten da unten im Kanal zu sehen.«
»Und Sie?«
Lange starrte ihn entsetzt an. »Sehe ich aus wie ein Nazi?«
»Man sieht den Menschen oft nicht an, was sie denken.«
»Hast du eine Ahnung. Schmitz sieht und hört man es von weitem an, mit den Kampfstiefeln und seinem beschränkten Wortschatz und allem.«
»Kampfstiefel?«
Lange nickte heftig und trommelte mit dem leeren Schnapsglas im Takt marschierender SS auf den Tisch. Kampfstiefel! Die Bedeutung des Zeugen Schmitz wuchs gerade exponentiell.
»Haben Sie wirklich keine Ahnung, wo er sich aufhalten könnte?«
Lange konzentrierte sich auf sein Glas. Als das nichts fruchtete, sagte er verschmitzt:
»Hosch abr a schee Audo.«
»Wie bitte?«
»Ein schönes Auto hast du.«
»Was hat das mit Schmitz zu tun?«
»Kann man mal eine Runde drehen?«
Sven lachte laut auf. »Sie haben getrunken, Mann! Besitzen Sie überhaupt einen Führerausweis?«
»Ja, bin i denn halbbache! Ich meine doch, du sollst mich herumkutschieren.«
»Geht nicht. Das ist ein Dienstwagen.«
Lange spitzte die Lippen und hob das Glas, um den letzten Tropfen herauszusaugen.
»Das wäre ja auch eine Dienstfahrt«, sagte er nach einer Weile.
Sven sah ihn verwirrt an und wartete auf eine Erklärung.
»Brauchst nicht so verstört zu gucken. Vielleicht weiß ich ja, wo sich der Nazi versteckt.«
Schwäbische Alb
Sven fluchte leise, als die Tankanzeige aufleuchtete. Er wollte die Fahrt mit dem übel riechenden Beifahrer so schnell wie möglich hinter sich bringen. Schon die zehn Minuten bis Reutlingen reichten ihm. Jeder Unterbruch qualifizierte als Folter und verstieß klar gegen die Menschenrechte. Griesgrämig hielt er bei der nächsten Tankstelle an.
»Gut, ich muss nämlich mal«, grinste Lange.
Sven füllte den Tank, bezahlte, aber sein Beifahrer blieb verschwunden. Hinter dem Haus fand er ihn. Die brennende Zigarette im Mund, pinkelte er sichtlich vergnügt an die Wand.
»He, was soll das? Machen Sie sofort die Zigarette aus. Das ist eine verdammte Tankstelle.«
Dass Langes Abwasser ins Kellerfenster tropfte, störte ihn nicht, aber er war noch zu jung, um lebendig flambiert zu werden. Die Zigarette fiel dem Sandler aus dem Mund und erlosch in seinem Strahl. Zufrieden zog er den Reißverschluss zu, strich die Hände an der Hose ab und kam auf ihn zu.
»Im Haus gibt’s Pissoirs und fließendes Wasser«, brummte Sven angewidert.
»Ich kann nicht in geschlossenen Räumen. Ist schlecht für meine Kreativität, weißt du.«
»Ihre Kreativität wird gleich noch mehr leiden, wenn ich Sie wegen Behinderung der Justiz einbuchte. Ich frage zum letzten Mal: Sind Sie sicher, dass wir Schmitz hier finden?«
»Sicher ist nur der Tod.«
Er verspürte nicht übel Lust, den sturen Langen einfach stehen zu lassen, die Fahndung nach Schmitz einzuleiten und auf schnellstem Weg nach Wiesbaden zurückzufahren.
»Die Albstraße hinauf nach Sankt Johann, du wirst schon sehen«, sagte Lange und setzte sich mit erwartungsfrohem Grinsen auf den Beifahrersitz.
Sein Spyder war kein Auto für Bergrennen, dennoch reizte es ihn, dem Langen ein wenig Angst einzujagen. Auf der Geraden vor der ersten Spitzkehre beschleunigte er weit über die erlaubte Höchstgeschwindigkeit. Erst kurz vor der Kurve bremste er hart ab, um sogleich wieder abrupt aufs Gas zu drücken. Er schielte kurz zu seinem Beifahrer hinüber. Der hing angespannt, mit weißen Knöcheln, aber glücklich lächelnd im Gurt. Wenigstens kam er so ein paar Sekunden schneller ans Ziel, tröstete er sich. In der Ferne tauchten die ersten Häuser von Sankt Johann auf.
»Wo finden wir nun den Schnapsladen?«, fragte er.
»In Sankt Johann.«
»Sehr hilfreich. Da sind wir jetzt.«
Da sie nun wieder vorschriftsmäßig unterwegs waren, wagte Lange, sich ein wenig zu entspannen. Er reckte den Hals, als würde er sein Zoomobjektiv ausfahren.
»Wahrscheinlich auf der andern Seite am Ausgang des Dorfs«, murmelte er unsicher.
»Ich höre wohl nicht richtig«, fuhr Sven auf. »Sie wissen gar nicht, wo Schmitz’ Schwager wohnt?«
»Sagte ich doch schon. Die Adresse habe ich vergessen, aber das Haus kenne ich, wenn ich es sehe.«
»Das beruhigt mich ungemein.«
Er fuhr langsam durch das Dorf, das aus kaum mehr als der Hauptstraße bestand, gesäumt mit Fachwerkbauten und einigen moderneren Geschäften. Sie hatten die letzten Häuser fast erreicht, da bemerkte er die Reklametafel: ›Scholz Branntwein aus der Schwäbischen Alb‹.
»Da!«, rief Lange überflüssigerweise.
Einen Schnapsladen gab es zwar auch, wie er behauptet hatte, aber der Hauptzweck von Karsten Scholz’ Firma war nicht der Verkauf über die Ladentheke, sondern das Brennen von Hochprozentigem aus Trauben, Obst und Gerste. Scholz betrieb eine der wenigen Whisky-Destillerien auf der Alb. Wahrscheinlich für Kunden, die dem Scotch nicht trauten, dachte er beim Betrachten der Auslage.
»Es gibt heute leider keine Führung«, sagte die Frau hinter der Theke mit einem misstrauischen Blick auf seinen Begleiter. »Schauen Sie sich nur ungeniert um. Sie können auch gerne von unsern Produkten kosten.«
Er schüttelte den Kopf. »Danke, aber wir möchten nur mit Herrn Scholz sprechen, Karsten Scholz.«
»Mein Mann ist im Lager. Vielleicht kann ich Ihnen helfen?«
Lange öffnete den Mund, doch Sven schnitt ihm das Wort ab:
»Das kann ich mir gut vorstellen. Wir sind nämlich auf der Suche nach Alois Schmitz.«
Die Freundlichkeit wich augenblicklich aus ihrem Gesicht. Sie warf ihm einen erschrockenen Blick zu, dann murmelte sie verlegen: »Moment«, und entwischte durch die Hintertür.
Es dauerte nicht lang, bis ein vierschrötiger Mann mit grimmiger Miene den Laden betrat.
»Hier gibt es keinen Alois Schmitz«, behauptete er. »Und jetzt machen Sie, dass Sie weiterkommen, sonst rufe ich die Polizei.«
»Karsten Scholz?«, fragte Sven ungerührt, während er seine Dienstmarke aus der Tasche zog.
»Habe ich mich nicht klar …«
Scholz stockte, sobald er begriff, wer vor ihm stand.
»Kriminalkommissar Hoffmann, BKA«, stellte Sven sich vor.
Lange grinste breit, trat rasch einen Schritt vor und sagte, bevor er ihn daran hindern konnte:
»Lange, verdeckte Ermittlung.«
Sven dachte schnell ans stinkende Leder im Boxster, um den Lachreiz zu unterdrücken, doch auf Scholz schien der Schwindel großen Eindruck zu machen. Er sah ein, dass es zwecklos war, den Bruder seiner Frau weiter zu verleugnen.
»Was wollen Sie von Alois?«, fragte er kleinlaut.
»Wir müssen mit ihm sprechen. Ist er hier?«
Er brauchte Zeit, sich die Antwort zurechtzulegen.
»Ich weiß nicht«, begann er endlich zögernd. »Wir haben kein sehr enges Verhältnis, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Seine Frau kehrte zurück und beobachtete sie ängstlich aus dem Hintergrund.
»Ist er oben in der Hütte?«, fragte Lange unvermittelt zu aller Verblüffung.
Die Frau stieß einen Schreckensruf aus. Sven hatte keinen Schimmer, wovon der verdammte Lange sprach, doch dessen Frage traf offensichtlich ins Schwarze.
»Schmitz ist also in der Hütte«, sagte er mit vorwurfsvollem Blick Richtung Scholz. »Ich muss Sie bitten, uns zu begleiten.«
Wenig später folgte der weiße Porsche mit Mühe dem Geländewagen des Schnapsfabrikanten. Die schmale Bergstraße mündete bald in eine raue Naturstraße, dass der hart gefederte Boxster tanzte und schlingerte wie eine Jolle auf schwerer See.
»Geht das noch lange so?«, fragte Sven mürrisch.
Lange zuckte die Achseln. »War nie in der Hütte.«
Die Straße, nicht viel mehr als ein Saumpfad, führte durch ein Waldstück. Kurz bevor sie den Schutz der Tannen verließen, hielt Scholz an und stieg aus.
»Ich hole ihn«, sagte er. »Ist besser, wenn er nur mich sieht.«
»Kommt nicht infrage. Ich komme mit«, knurrte Sven. Lange schärfte er ein: »Sie bleiben hier und rühren sich nicht von der Stelle. Nichts anfassen, kapiert?«
Die Alm und der angrenzende Wald gehörten zum Besitz der Brennerei. Schmitz verbrachte jedes Jahr im Spätherbst ein paar Tage in der Hütte des Schwagers, wie Lange ihm erzählt hatte. Offiziell um Holz zu hacken, doch jedes Mal kehrte er mit einem Rucksack voll erlesener Wässerchen und einem ansehnlichen Schinken nach Tübingen zurück. Das war der Grund, weshalb die andern Obdachlosen den Nazi am Ammerkanal überhaupt duldeten.
Sie näherten sich der Hütte. Scholz stieß die Tür auf. Schmitz war nicht zu Hause. Schmutziges Geschirr auf dem Tisch, das Stück Brot daneben und der Beutel am Boden neben dem Ofen deuteten auf den Bewohner hin.
»Weit kann er nicht sein«, murmelte Scholz mit einem Blick auf die halb volle Weinflasche, »vielleicht auf dem Abtritt.«
Er meinte das Klohäuschen hinter dem Haus. Sven bemerkte es, als er den Kopf aus dem Fenster streckte. Tatsächlich trat ein Mann mit schütterem Haarkranz unter der Glatze auf die Wiese. Seine Füße steckten in schweren Kampfstiefeln. Er kehrte zur Hütte zurück und blieb erschrocken stehen unter dem Türrahmen, als er die unerwarteten Gäste entdeckte.
»Keine Sorge, Alois«, beruhigte Scholz sogleich. »Das ist Kommissar Hoffmann. Er möchte dir nur ein paar Fragen stellen.«
Schmitz’ blitzschnelle Reaktion verblüffte beide. Als hätte er den Leibhaftigen gesehen, nahm er Reißaus, stürmte auf den Wald zu und verschwand zwischen den Bäumen.
»Herrgottssakrament! Alois! Lass den Scheiß und komm zurück!«, schrie Scholz ihm nach, doch der Wald hatte seinen Schwager verschluckt.
»Vielen Dank für die gelungene Vorstellung«, sagte Sven ätzend.
Scholz rannte hinaus und lief laut rufend und fluchend hinter dem Flüchtenden her.
»Das hast du toll hingekriegt, Kommissar Hoffmann«, brummte Sven zerknirscht.
Er dachte nicht daran, dem Sandler nachzurennen. Falls er nicht wieder auftauchte, würde er die Fahndung auslösen. Er sah sich nochmals gründlich um in der Hütte, fand jedoch außer dem Beutel mit Schmitz’ Habseligkeiten nichts, was ihn interessierte. Er packte den Sack und machte sich auf den Weg zurück zum Auto. Scholz war bereits dort. Er unterhielt sich mit Lange. Daneben stand Schmitz mit einem Gesicht, als ginge ihn das alles nichts an.
Sven zeigte ihm den Ausweis und fragte: »Alois Schmitz, sind Sie jetzt bereit, meine Fragen zu beantworten?«
Statt den Mund zu öffnen, griff Schmitz nach dem Beutel, um ihn an sich zu reißen. Sven war schneller.
»Ihre Sachen sind beschlagnahmt. Zeigen Sie mir bitte die rechte Schuhsole.«
Schmitz duckte sich, als wollte er ihn schlagen, und suchte ängstlich nach einem Ausweg wie ein in die Enge getriebenes Reh. Alles deutete darauf hin, dass er im nächsten Augenblick wieder ausbüxen würde.
»Mir reicht’s«, schnaubte Sven.
Der Beutel fiel zu Boden. Er drehte Schmitz mit geübtem Griff die Arme auf den Rücken und ließ die Handschellen zuschnappen. Schmitz gab immer noch keinen Ton von sich. Sein Schwager protestierte umso lauter, worauf der verdeckte Ermittler Lange ihn sofort in die Schranken wies:
»Er will es nicht anders. Sonst kann er die Klappe doch auch nicht halten.«
Svens Handy klingelte. ›Chris‹ kündigte das Display an. Er ließ es klingeln. Das Letzte, was er jetzt brauchte, waren ironische Kommentare seiner Partnerin. Zuerst musste er diesen Albtraum beenden.
»Alois Schmitz, Sie kommen mit nach Wiesbaden zur Vernehmung«, sagte er kurz entschlossen. »Sie fahren mit Herrn Scholz nach Sankt Johann zurück. Ich sorge dafür, dass Sie eine Streife dort abholt.«
»Das hast du jetzt davon«, grinste Lange zu Schmitz, der immer noch nicht reden konnte.
»Lange, Sie fahre ich nachher wieder zum verdeckten Einsatzort.«
Langes Grinsen drohte das Gesicht zu sprengen, während er seine Spinnenbeine umständlich im Boxster verstaute.
Wiesbaden
Chris beobachtete Sven durch den halbdurchlässigen Spiegel. Seit einer Viertelstunde versuchte er, Schmitz zum Reden zu bringen, doch der saß blass und reglos vor dem Mikrofon, als hätte ihn die Totenstarre erfasst. Das wird nix, dachte sie. Sven zog offensichtlich denselben Schluss. Er stand auf, beugte sich über den Tisch und schaute dem ›Toten‹ tief in die Augen.
»Ihr Schweigen hilft Ihnen nicht«, sagte er mit eindringlicher Stimme. »Sie waren am Tatort, das beweist Ihr Schuhabdruck im Blut. Sie haben kein Alibi für die Tatzeit. Das Handy des Opfers lag in Ihrem Beutel, mit Ihren Fingerabdrücken. Sie hassen Ausländer, insbesondere Schwarze, beschimpfen sie als Neger. Und Sie sind geflohen. Es sieht gar nicht gut aus für Sie, Alois Schmitz.«
Damit ließ er ihn sitzen und verließ den Verhörraum. Gereizt trat er auf Chris zu.
»Sag jetzt nichts! Eine, zwei Nächte in der Zelle, und er wird reden, jede Wette.«
Es klang nicht, als glaubte er selbst daran.
»Kaffee?«, fragte sie.
»Verflucht!«
Sie übersetzte das mit Ja und ging voran zum Automaten. Es dauerte eine Weile, bis er sich beruhigte, dann bemerkte sie beiläufig:
»Vielleicht hat er einfach Angst vor dir.«
»Dazu gibt’s auch verdammt gute Gründe.«
»Sicher, bloß wird er so nicht gesprächiger.«
Er sah sie mürrisch an. »Kannst es gern selbst versuchen, wenn du das meinst.«
Sie nickte lächelnd. »Warte, es dauert nur eine Minute.«
Eilig holte sie ihre Tasche im Büro und zog sich damit auf die Toilette zurück. Vor dem Spiegel löste sie die Masche vom Zopf, schlang ihn um den Kopf und befestigte das Kunstwerk so gut es ging mit den zwei Klammern, die ihre Tasche hergab. Das Spiegelbild entsprach nicht ihrer Idealvorstellung, aber der Effekt musste genügen. Die Lippen glänzten zu stark. Mit einem feuchten Tuch rieb sie etwas Farbe ab. Zuletzt knöpfte sie die Bluse bis oben zu, machte ein strenges Gesicht und hielt nochmals stille Zwiesprache mit dem Spiegelbild.
Sven erschrak, als er sie so sah.
»Ich weiß, die Hosen stören«, grinste sie. »Was meinst du, sieht das arisch genug aus?«
Er räusperte sich verlegen, bevor ihm die passende Antwort einfiel:
»Richard Wagner wäre begeistert.«
»Gut, das reicht.«
Sie betrat das Verhörzimmer mit dem Gesichtsausdruck der Walküre vor dem Ausritt, den sie geübt hatte. Schmitz bewegte sich keinen Millimeter, aber seine Augen erwachten zu neuem Leben, verfolgten jede ihrer Bewegungen. Sie setzte sich ihm gegenüber, rückte nah an den Tisch, damit er nur das altdeutsche Oberteil sehen konnte, dann richtete sie Block und Stifte peinlich genau senkrecht zur Tischkante aus. Sie schaltete das Aufnahmegerät ein und sprach ins Mikrofon:
»Sechsundzwanzigster August, vierzehn Uhr fünfunddreißig. Fortsetzung der Vernehmung von Alois Schmitz. Anwesend sind Kriminaloberkommissarin Dr. Hegel und Alois Schmitz.«
Sie sah ihn schweigend an, bis er den Blick senkte. Zu seiner Verblüffung stoppte sie die Aufnahme wieder und schob das Mikrofon beiseite. Dann formulierte sie die erste Frage in einer Sprache, die er verstehen musste:
»Hat der Neger Sie provoziert? Haben Sie deshalb zugestochen?«
Ein Ruck ging durch seinen Körper, als spürte er selbst den Dolch zwischen den Rippen.
»Ich hab die Sau nicht …«
»Man hat es oft nicht mehr leicht als Deutscher in Deutschland. Ich verstehe …«
»Ich hab ihn nicht – er war schon tot, wie ich …«
»Wie Sie was?«
»Ich bin hingegangen, nachschauen, als er weg war.«
»Wer, der Täter? Haben Sie gesehen, wer es getan hat?«
Er schüttelte den Kopf. »Die haben gestritten.«
Schmitz war soweit. Sachte zog sie das Mikrofon wieder heran und schaltete unauffällig auf Aufnahme.
»Sie haben nichts zu befürchten, wenn Sie unschuldig sind«, beruhigte sie. »Erzählen Sie mir einfach von Anfang an, was in jener Nacht geschehen ist.«
Kaum ein ganzer Satz kam aus seinem Mund, aber er redete, nur das zählte. Am Ende der mühsamen Unterhaltung fügten sich die Bruchstücke zu einer geradlinigen Geschichte zusammen. In jener Nacht konnte er nicht schlafen. Plötzlich hörte er Schritte im Durchgang beim Nonnenhaus, dann Stimmen. Zwei Männer stritten sich, behauptete er. Das Gespräch brach unvermittelt ab. Es blieb kurze Zeit ruhig, bis er hörte, wie etwas Schweres ins Wasser plumpste. Er traute sich nicht, nachzusehen, wartete, bis der Harndrang zu stark wurde. Beim Urinieren entdeckte er die Leiche im Kanal. Etwa zehn Minuten später, als er sicher war, dass alles ruhig blieb, wagte er sich an den Tatort im Durchgang. Er sah das zertrampelte Handy am Boden liegen, hob es auf und steckte es ein, wie er alles erst einmal einsteckt, was er findet. Dabei trat er aus Versehen in die Blutlache. Kurz danach weckte er den Langen und den Benjamin. Soweit hörte sich seine Version ganz plausibel an, dachte sie, bevor sie nachhakte: