Kitabı oku: «Das letzte Steak», sayfa 4

Yazı tipi:

»Die Männer, die stritten – haben Sie verstanden, worüber sie sprachen?«

»Wie denn«, lachte er verächtlich. »Die versteht doch keine Sau, die Neger.«

»Wie bitte?«, fuhr sie überrascht auf. »Habe ich Sie richtig verstanden? Sie glauben, es waren zwei Schwarze?«

»Gesehen habe ich nichts, aber die hatten beide so komische Stimmen.«

Sie beendete die Vernehmung und suchte als Erstes die Toilette auf, um sich zu modernisieren. Sven unterhielt sich mit dem Staatsanwalt, als sie hinzutrat.

»Nun, haben wir ihn?«, fragte Richter.

Sein zufriedenes Gesicht ließ nur eine Antwort zu, die falsche.

»Schmitz’ Geschichte passt zu den Indizien und Zeugenaussagen«, gab sie zu bedenken.

Sven rümpfte die Nase. »Du glaubst ihm?«

»Außer dem kaputten Handy haben wir nichts Verdächtiges bei ihm gefunden. Außerdem gibt es keinen Hinweis auf die Tatwaffe. Sein Taschenmesser kommt nicht für die Tat infrage. Und – warum soll er den Streit zwischen zwei Schwarzen erfunden haben?«

»Scheint mir naheliegend bei diesem Nazi«, entgegnete Sven.

»Wir suchen also den unbekannten Dritten«, stellte Richter ärgerlich fest. »Das gefällt mir gar nicht, müssen Sie wissen, ganz und gar nicht. Ich will diese Sache so schnell wie möglich vom Tisch haben. Es gibt wahrlich anderes zu tun.«

Kopfschüttelnd eilte er zu den Aufzügen.

»Kannst du mir verraten, was in seinem Kopf vor sich geht?«, fragte Sven mürrisch.

Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht ist es der zunehmende Realitätsverlust im Alter.«

Sven beobachtete durch den Spiegel, wie Schmitz unruhig auf und ab lief. Unvermittelt stand Chris’ Freundin Caro von der Kriminaltechnik neben ihnen.

»Ich fürchte, er muss mal«, schmunzelte sie.

»Den Gedanken hatte ich auch schon«, murmelte Sven.

Caro reichte Chris ein Blatt Papier. Es war ein Fax aus Stuttgart.

»Ich dachte, das würde euch interessieren«, bemerkte sie dazu.

Die Techniker des Landeskriminalamts hatten Schmitz’ DNA mit den Spuren an der Leiche verglichen: Ergebnis negativ. Die Konsequenz lag auf der Hand.

»Wir müssen ihn laufen lassen«, sagte Chris. »Ich informiere Richter.«

»Viel Spaß«, knurrte Sven grimmig.

Tübingen

Er wusste jetzt, wer der Mann war, mit dem der Reporter so lang über seinen Freund gesprochen hatte. An jenem Abend hatte er ihn am Schlossberg aus den Augen verloren. Ein paar grölende Spätheimkehrer, die eigentlich noch keinen Alkohol trinken durften, hatten ihn kurz abgelenkt, da war der Alte zwischen den Häusern verschwunden. Erst am nächsten Morgen bei Tageslicht entdeckte er den Pfad zum Schloss hinauf. Oben im Schutz der Bäume beim Schlossgraben hatte er den ganzen Nachmittag den kleinen Parkplatz und die wenigen Häuser an der Straße beobachtet. Er durfte auf keinen Fall aufgeben. Der Alte war zu gefährlich. Endlich, gegen Abend, geschah es. Sein Mann tauchte oben am Ende des Fußwegs auf und überquerte die Straße. Er ging auf eine altertümliche Villa zu, leerte den Briefkasten und betrat das Haus. Seither hatte er es nicht mehr verlassen. Es war eine einsame Gegend. Neugierige Touristen verirrten sich kaum hierher, sodass er ungestört auf seinen Augenblick warten konnte. Es begann zu dunkeln. Die Vögel im Geäst über ihm gaben endlich Ruhe. Nach und nach erloschen die Lichter in den Häusern. Wer in dieser Gegend wohnte, ging früh zu Bett. Auch im Haus des Alten wurde es dunkel, bis auf einen Lichtschimmer im Garten über dem Neckar.

Es war soweit. Geräuschlos und unsichtbar wie ein Phantom huschte er auf das Grundstück, ums Haus herum zur Terrasse und spähte ins Zimmer, aus dem der Lichtschein drang. Der alte Mann saß lesend am Fenster. Sonst befand sich an diesem Abend niemand im Haus. Das glaubte er sicher zu wissen. Selbst wenn jemand in einem der Zimmer schliefe, spielte es keine Rolle. Das Phantom würde niemanden wecken. Wie aus dem Nichts materialisierte er vor der Terrassentür und klopfte leise an die Scheibe. Der Alte reagierte genau wie erwartet. Statt zu erschrecken, blickte er ihn nur verwundert an, legte das Buch beiseite und öffnete die Tür.

Wiesbaden

Chris hob den Hörer ab.

»Gute Nachrichten«, sagte Caro. »Wir konnten die Daten auf dem Chip des Handys rekonstruieren. Der Telefonspeicher ist im Eimer, aber der Chip war noch lesbar.«

Die erste wirklich gute Nachricht in diesem Fall, der eigentlich gar nicht ihrer sein sollte.

»Na also, schieß los.«

»Ein wenig Begeisterung hätte ich schon erwartet«, gab Caro zu bedenken. »Die meisten Kontakte gehören zu Nummern mit der Vorwahl +264 61.«

Chris tippte die Ziffern wie elektrisiert ins Suchfenster auf ihrem Computer.

»Du brauchst nicht nachzusehen. Es ist die Vorwahl von Windhoek, Namibia. Der Besitzer des Handys heißt Usko Mwilima. Er ist – war – Journalist bei der Zeitung ›Namibian‹ in Windhoek. Du hast alles in der Mail.«

»Jetzt solltest du mich sehen!«, platzte Chris heraus. »Ich glühe vor Begeisterung. Vielen Dank, ich liebe euch Laborratten.«

Caros Mail enthielt nicht nur das Ergebnis der Analyse, sondern ein erstaunlich umfangreiches Dossier über den namibischen Journalisten, Artikel, die er veröffentlicht hatte und die Zeitung, für die er arbeitete. Sie wählte die Telefonnummer der Redaktion. Minutenlang hörte sie dem elektronisch verfremdeten Rhythm and Blues in der Warteschlaufe zu, bis eine Frauenstimme sie erlöste.

»Ich möchte bitte mit Usko Mwilima sprechen«, sagte sie, nachdem sie sich vorgestellt hatte.

Die Antwort kam erst nach langem Zögern: »Ich werde Sie zurückrufen.«

Sie blieb ungeduldig sitzen, hörte mit einem Ohr zu, wie Sven immer abenteuerlichere Argumente vorbrachte, um den Preis der neuen Stoßdämpfer für seinen ruinierten Boxster zu drücken. Schließlich knallte er den Hörer auf die Gabel und holte tief Luft. Er kam nicht dazu, ihr sein Leid zu klagen, denn beide Telefone klingelten gleichzeitig. Die Frau aus der Redaktion hielt ihr Versprechen.

»Sie möchten Mr. Mwilima sprechen?«

»So ist es.«

»Es tut mir leid, Kommissarin. Mr. Mwilima ist außer Haus. Worum geht es?«

»Können Sie mir sagen, wann er zurückkehrt?«

Die Frau zögerte. »Nein – das ist schwer zu sagen, wenn er auf Recherche unterwegs ist.«

»Wo ist er denn unterwegs, woran arbeitet er?«

»Das ist vertraulich. Warum interessiert sich die deutsche Polizei für ihn?«

Die ausweichenden Antworten bekräftigten Chris’ Verdacht, die Redaktion tappte selbst im Dunkeln über Mwilimas Schicksal. Dabei würde es bleiben bis zur sicheren Identifikation des Opfers.

»Wann hatte er zuletzt Kontakt mit der Redaktion?«

»Vor etwa einer Woche, soweit ich mich erinnere. Hören Sie, ich muss jetzt wirklich wissen, weshalb Sie …«

»Es geht um eine Zeugenaussage«, flunkerte sie. »Um sie zu verifizieren, müssen wir mit Mr. Mwilima sprechen. Wir haben versucht, ihn auf dem Handy zu erreichen, aber er meldet sich nicht.«

Sie las die Handynummer von Caros Mail ab und fragte:

»Das ist doch seine Nummer, nicht wahr?«

»Ja!«, platzte die Frau überrascht heraus. »Woher haben Sie die?«

Punkt eins ist immerhin geklärt, dachte sie erleichtert. Aber war Mwilima auch das Opfer? In Caros Unterlagen fand sich nicht ein einziges Foto von ihm. Sie war auf die Mitarbeit dieser Frau angewiesen, also antwortete sie behutsam:

»Ich darf leider keine Einzelheiten über die laufenden Ermittlungen bekannt geben. Das werden Sie sicher verstehen. Trotzdem hätte ich eine Bitte: Wären Sie so nett, uns ein aktuelles Foto von Mr. Mwilima zu mailen?«

»Ein Foto? Warum?«

»Wie gesagt, wir müssen Zeugenaussagen verifizieren.«

Nach dem Austausch der Mailadressen legte sie auf. Der Kontakt zum Umfeld des Opfers war hergestellt, die endgültige Identifikation nur noch eine Frage von wenigen Stunden oder gar Minuten. Ihrem frühen Feierabend stand also nichts mehr im Wege. Diesmal würde der arme Jamie nicht mit herzerwärmend betretenem Gesicht vergeblich am Frankfurter Flughafen warten. Sie begann, den Schreibtisch aufzuräumen.

Sven beendete sein Gespräch und fragte verwundert:

»Was soll das werden?«

»Ich mache Schluss. Heute Abend werde ich bekocht.«

»Oh, ist dein Feinschmecker wieder im Land. Was kocht er denn?«

»Das hängt ganz von seiner Inspiration ab.«

»Und wo holt er seine Inspiration?«

»Also, das geht so.« Sie zog mit dem Finger Kreise um ihre Brüste. »Zuerst beginnt er hier.«

Svens Augen drohten aus den Höhlen zu treten.

Sie stand auf, fuhr langsam mit dem Zeigefinger über die Brust nach unten. »Dann sucht er hier weiter.« Der Finger rutschte in Zeitlupe weiter Richtung Hosenbund.

»Ist ja gut!«, rief Sven mit belegter Stimme, während er weiter glotzte. »Ich habe verstanden.«

»Bist du sicher?«

Sie setzte sich und beobachtete lächelnd, wie er versuchte, seine Verlegenheit zu verbergen.

»Daraus wird leider nichts«, sagte er, als sie zur Tasche griff.

»Eifersüchtig?«

»Quatsch. Es gibt Neuigkeiten aus Tübingen. Das Opfer ist in einer Kneipe gesehen worden. Der Schwarze hat sich dort mit einem älteren Weißen unterhalten, sagen die Kollegen.«

Leider war das auch schon die ganze Information. Kein Hinweis auf die Identität des Weißen, worüber sie gesprochen oder gestritten oder gelacht hatten. Es war noch nicht einmal sicher, in welcher Sprache sich die beiden unterhalten hatten.

»Wenn wir jetzt fahren, sind wir um sieben dort«, fügte er hinzu.

Jamie allein am Flughafen: Eines Tages würde ein Film mit diesem Titel gedreht, dachte sie zerknirscht. Einmal mehr würde eine unangenehme Nachricht auf ihren Geliebten warten nach der Landung, und einmal mehr schwirrte flüchtig der Vorsatz durch ihren Kopf, ihr Leben endlich vernünftig zu organisieren. Wie alle guten Vorsätze überlebte er kaum eine Sekunde. Sie schob die Pistole in die Tasche und stand auf.

»Also, worauf warten wir?«

Tübingen

Chris steckte das Telefon behutsam ein, als wollte sie Jamie nicht noch mehr verletzen.

»Manchmal frage ich mich, wie er es mit mir aushält«, sagte sie.

Sven blickte kurz zu ihr herüber, verzichtete aber auf jeden Kommentar. Ihr Gesichtsausdruck riet ihm, sich nicht in ihr Privatleben einzumischen.

»Du kennst dich aus in Tübingen?«, fragte er, als sie sich der Altstadt näherten.

»Einigermassen. Ich war ein Semester lang Gast bei den Geowissenschaften.«

»Den ›Hades‹ kennst du auch?«

»Wir waren einige Male dort. Da vorn an der Kreuzung biegst du rechts ab, dann zweimal links.«

»Stimmt«, bestätigte er beim Blick aufs Navigationsgerät.

Die Kneipe hatte sich nicht verändert: viel altes Holz, eng, proppenvoll mit jungem Volk, laut, und es roch nach Bier, Schnitzel und Pfannkuchen. Es gab nur ein wenig Platz an der Bar.

»Wir müssen mit dem Wirt sprechen«, antwortete sie auf den fragenden Blick der Frau hinter dem Tresen.

»Günther ist in der Küche. Ich glaube kaum, dass er jetzt Zeit hat. Sie sehen ja, was hier los ist. Möchten Sie essen?«

Sie schob ihnen die Speisekarten hin und kümmerte sich um die nächsten Gäste.

»Pfannkuchen à discrétion«, murmelte Sven, wobei er sich demonstrativ die Lippen leckte. »Scharf wie der Teufel mit Pfeffersalami – genau das Richtige für mich.«

Chris schüttelte den Kopf. »Glaube ich kaum.«

Sie ging um die Theke herum zur Tür, die offenbar in die Küche führte.

»He Sie, da dürfen Sie nicht rein!«, rief die Bedienung.

Sie schwenkte stumm den Dienstausweis und drückte die Tür auf.

»Günther?«

Der spindeldürre junge Mann, der erstaunlicherweise hinten und vorne Günther hieß, stand kurz vor dem Kollaps. Es war sein Normalzustand, wie sie vermutete, nachdem sie kurze Zeit mit ihm gesprochen hatte.

»Es tut mir leid«, keuchte er, während er gehetzt zwei Schnitzelteller garnierte. »Bei uns ist jeden Tag der Teufel los. Ich weiß nur, dass einer der Kellner mit den beiden gesprochen hat.«

»Wie heißt der Kellner? Wo finde ich ihn?«

Er sah ihr gequält und erschrocken in die Augen, als wäre er das Stück Fleisch, das der Koch gerade in die Pfanne haute.

»Sie glauben nicht im Ernst, dass ich mich daran erinnere.«

Er verschwand mit den Schnitzeln in die Gaststube. Ihr blieb kaum Zeit, sich zu ärgern, so schnell kehrte er zurück, um sich den nächsten Tellern zu widmen.

»Wir können uns gerne in Ruhe im Präsidium unterhalten«, schlug sie vor.

Er gestikulierte aufgeregt, dass sie fürchtete, er würde auseinanderfallen. »Hören Sie, wir beschäftigen hier viele Studenten als Hilfskräfte. Manchmal tauschen sie den Dienst. Es ist ein einziges Chaos.«

»Sieht so aus, aber Sie führen doch sicher so etwas wie eine Buchhaltung?«

»Das macht Sonja.«

Sonja unterhielt sich gerade angeregt mit Sven, als sie an den Tresen zurückkehrte.

»Sonja sagt, der Gustav Kramer, ein Student, habe mit den beiden gesprochen«, verkündete er grinsend. »Er ist auf dem Weg hierher.«

»Gustave«, korrigierte Sonja. »Gustave mit ü und weichem v am Schluss. Da legt er großen Wert darauf.«

Gustave mit ü stellte sich als ernsthafter Junge mit guter Beobachtungsgabe heraus. Seine Beschreibung des Schwarzen deckte sich genau mit den Fotos des Opfers. Der Weiße, mit dem er gesprochen hatte, war offenbar ein gepflegter, vornehm erscheinender, grauhaariger Mann, der sich beim Studenten nach Einzelheiten und Professoren an der Uni erkundigt hatte. »Vielleicht ein ehemaliger Prof«, vermutete Gustave mit ü.

Bei diesem Stichwort schlug sie sich an die Stirn. Wie blöd kann man denn sein!, ärgerte sie sich. Hastig kramte sie das Telefon hervor und rief Caro an. Ihre Freundin saß noch vor dem Computer beim BKA.

»Caro, gibt es unter den Kontakten des Opfers eine Nummer in Tübingen?«

Eine Weile blieb es still in der Leitung, dann antwortete Caro:

»In den Kontakten nicht, aber er hat zweimal eine Nummer in Tübingen angerufen an jenem Tag. Sie gehört einem Dr. Wilhelm Lorenz, Professor emeritus der Uni Tübingen.«

Chris’ Puls schnellte in die Höhe.

»Adresse?«, fragte sie lauernd.

Kapitel 3

Tübingen

Professor Lorenz war ein hoch geachteter Biologe, der sein halbes Leben lang an der Universität Tübingen gelehrt und geforscht hatte. Es gab keine weißen Flecke und keine dunklen Kapitel in seiner Biografie, soweit Chris in der kurzen Zeit herausfinden konnte. Worüber mochte er mit dem Reporter aus Namibia gesprochen haben? Bald würden Sie es wissen. Sven fuhr langsam die ruhige Quartierstraße entlang. Die schwarze Silhouette des Schlosses zeichnete sich wie ein drohender Schatten vor dem Nachthimmel ab. Einzig im Haus der Studentenverbindung, das selbst wie ein Schloss aussah, brannte Licht.

»Der wird doch nicht schon pennen«, spottete Sven.

»Er ist ein alter Mann, so wie du in einigen Jahren.«

Es tat ihr leid, den Mann wecken zu müssen, aber bei ihrer Arbeit war Rücksicht die falsche Strategie. Sie drückte lange auf die Klingel an der Tür, zweimal, dreimal. Im Haus blieb es dunkel und ruhig.

»Ausgeflogen«, vermutete Sven. »Wir sollten die Eierköpfe nebenan befragen.«

Sie drückte vorsichtig auf die Klinke. Die Tür war verschlossen.

»Ich sehe mal hinten nach«, sagte sie und ging ums Haus.

Licht schimmerte auf die Terrasse und in den Garten. Die Terrassentür stand offen. Im nächsten Augenblick sprang sie aus dem Licht in Deckung, zog die Waffe und entsicherte sie. Das Haus des Professors war ein Tatort. Der alte Mann lag reglos auf dem Rücken in der Türöffnung. Eine Blutlache hatte sich um seinen Oberkörper gebildet. Das Blut schien weitgehend eingetrocknet zu sein. Vorsichtig, nach allen Seiten sichernd, näherte sie sich dem Körper. Professor Lorenz starrte sie aus toten Augen an. Sie fühlte den Puls, obwohl sie wusste, dass jede Hilfe zu spät kam. Im Haus blieb es totenstill. Dennoch sprach sie leise ins Telefon, als sie ihren Partner alarmierte.

»Ein Stich ins Herz, kommt mir irgendwie bekannt vor«, murmelte er betroffen, als er den Leichnam sah.

»Dieselbe Vorgehensweise«, stimmte sie zu. »Der Täter hat ein einziges Mal zugestochen und eine breite, tiefe Wunde hinterlassen. Ich schätze, der Mann ist seit etwa vierundzwanzig Stunden tot.«

Sven alarmierte die Stadtpolizei, dann begannen sie, das Haus systematisch zu durchkämmen. Soweit sie durch bloße Beobachtung feststellen konnte, gab es keine Einbruchspuren. Entweder war die Terrassentür offen gewesen, oder er hatte den Täter selbst hereingelassen. Nichts deutete auf die Anwesenheit einer dritten Person hin.

»Sieht aus, als hätten sie sich gekannt«, sagte Sven.

»Oder er hat den Täter mit einem Bekannten verwechselt«, entgegnete sie nachdenklich.

Sie deutete auf die Brille, die dem Professor beim Sturz vom Kopf gerutscht war.

»Ziemlich dicke Gläser.«

Sie suchten weiter nach Spuren im Haus, ohne die spätere Arbeit der KT allzu sehr zu beeinträchtigen. Der Professor führte einen gepflegten Single-Haushalt. Alles hatte seine Ordnung, ohne pedantisch zu wirken. Nichts im Haus deutete auf Gewaltanwendung oder auch nur auf eine Durchsuchung hin. Sein Handy lag offen neben einer antiken chinesischen Vase auf dem Bücherregal. Vielleicht war es nur eine billige Nachahmung. Sie kannte sich nicht aus, aber die mindestens fünfhundert Euro in der Geldbörse auf dem Lesetisch waren bestimmt echt. Raubmord konnten sie ausschließen. Wie der Mord am Journalisten war auch dies keine Tat im Affekt. Es war kaltblütig geplanter Mord.

»Der Täter kam hierher, um den Professor zum Schweigen zu bringen«, folgerte sie.

Sven nickte. »Er wusste zu viel. Sieht so aus, als gäbe es einen Zusammenhang mit dem Gespräch im ›Hades‹. Zwei fast identische Morde in dieser Stadt und so kurz hintereinander. Das ist sicher kein Zufall. Vielleicht sind die Recherchen des Journalisten der Schlüssel.«

Unvermittelt legte sie den Finger auf die Lippen und deutete zum Flur. An der Haustür kratzte etwas. Das Schloss knackte. Chris wartete hinter der Tür. Sven sicherte aus einer dunklen Ecke im Flur. Die Tür ging auf.

»Herr Professor, sind Sie da?«, rief eine hohe Stimme.

Sie gehörte einer älteren Frau. Ihre Hand tastete nach dem Lichtschalter. Sie drückte ihn und zuckte erschrocken zusammen.

»Keine Angst«, beruhigte Chris, während sie ihren Ausweis zeigte. »Wir sind von der Polizei. Kriminaloberkommissarin Hegel, mein Kollege Hoffmann. Wer sind Sie und was tun Sie hier?«

Es dauerte eine Weile, bis sich die Frau vom Schock erholte.

»Kriminalpolizei, um Himmels willen, was ist geschehen?«, flüsterte sie schließlich ängstlich.

Sie war eine Nachbarin und alte Bekannte des Professors, die sich gelegentlich ums Haus kümmerte. Sie machte sich Sorgen, weil sie ihn den ganzen Tag nicht gesehen hatte.

»Das ist nicht normal, müssen Sie wissen«, betonte sie. »Wir sprechen jeden Tag miteinander, außer wenn er auf Reise ist, und das hätte er mir gesagt.«

«Wann hatten Sie zuletzt Kontakt mit ihm?«

»Das muss gestern so um halb vier gewesen sein. Er war auf dem Weg zur Uni. Dort hatte er einen Termin um vier. Was ist mit ihm?«

Chris brachte ihr die Nachricht vom Tod ihres Nachbarn schonend bei. Die Erschütterung der Frau war nicht gespielt. Man würde ihr Alibi überprüfen, doch Chris war überzeugt, dass sie nichts mit dem Verbrechen zu tun hatte.

»Haben Sie seither jemanden am Haus gesehen, einen Fremden vielleicht, ein Auto, das Ihnen aufgefallen ist?«

Die Frau schüttelte den Kopf. »Darf ich ihn sehen?«, fragte sie mit zitternder Stimme.

»Tut mir leid, das geht leider nicht. Das Haus ist ein Tatort. Es wird versiegelt. Ich muss Sie bitten, nach Hause zu gehen. Wir werden uns bei Ihnen melden, wenn wir weitere Fragen haben.«

Die Frau zog sich mit Tränen in den Augen zurück. Chris begleitete sie bis zur Straße. Sie wollte sie nicht allein lassen, doch die sich nähernden Blaulichter drängten sie ins Haus zurück. Ihr Handy klingelte, da überließ sie es ihrem Partner, den Arzt und die Kriminaltechniker einzuweisen. Sie drückte auf Empfang. Caro war am Apparat.

»Immer noch im Büro?«, fragte Chris müde.

»Bin schon unter der Tür. Habt ihr den Professor gefunden?«

»Allerdings. Er ist tot, erstochen, genau wie der Reporter.«

»Mein Gott – derselbe Täter?«

»Einiges deutet darauf hin.«

»Hatte der Professor Verbindungen nach Namibia?«

»Wir wissen es noch nicht. Das wird jetzt untersucht. Warum fragst du?«

»Mir ist da etwas aufgefallen, was vielleicht wichtig sein könnte.«

»Im Zusammenhang mit dem Professor?«

»Vielleicht auch. Es geht um den Mord an Mwilima. Wir haben jetzt endlich den Obduktionsbericht. Da werden Eintrittswunde und Stichkanal genau beschrieben. Wie wir von Anfang an vermuteten, handelt es sich bei der Tatwaffe um eine Art Dolch: zweischneidig mit breiter, dicker und langer, gerader Klinge.«

»Ist nicht überraschend.«

»Nein, aber jetzt kommt’s: Solche Dolche, die genau zur beschriebenen Wunde passen, wurden früher von afrikanischen Stämmen für die Jagd und bei Stammeskriegen benutzt. Bekannt und berüchtigt sind die Dolche der Owambo. Das ist der größte Volksstamm in Namibia.«

Chris brauchte einige Sekunden, um diese Nachricht zu verarbeiten, dann fragte sie:

»Wie verbreitet sind diese Dolche?«

Caro lachte. »Ich dachte, du würdest das fragen. Soweit ich bis jetzt herausgefunden habe, werden die Owambo-Dolche von Sammlern als Antiquitäten gekauft. Der Handel ist allerdings eher bescheiden. Es dürften nicht allzu viele Exemplare im Umlauf sein. Sonst ist die Waffe traditioneller Familienbesitz der Owambo.«

»Du meinst, der Täter stamme aus diesem Umfeld?«

»Spekulieren ist nicht meine Aufgabe.«

»Ich weiß, aber wenn die Tatwaffe ein solcher Dolch ist, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter ein Schwarzer aus Namibia ist. Welcher Volksgruppe gehört das Opfer an? Steht das im Obduktionsbericht?«

»Nein, aber in den Unterlagen, die du von mir bekommen hast. Mwilima stammt aus dem Volk der Herero.«

»Wir werden es hier doch nicht mit einem Stammeskrieg zu tun haben«, murmelte Chris nachdenklich.

»Kaum, außer Professor Lorenz hätte auch eine namibische Vergangenheit.«

Lag der Stadtstreicher am Ende doch richtig? Redete er sich nicht nur ein, einen Schwarzen mit dem Opfer streiten gehört zu haben? Schmitz’ Erscheinung und sein Verhalten machten aus ihm nicht gerade einen glaubwürdigen Zeugen. Andererseits entsprachen seine nachprüfbaren Aussagen den Tatsachen. Ein Namibier als Täter in einem Doppelmord in Deutschland, das hörte sich immer weniger nach einer Routineuntersuchung an, die sie rasch nebenbei erledigen konnten.

»Richter geht durch die Decke, wenn er das hört«, grinste Sven böse, als sie ihm Caros Vermutung schilderte.

Zwei Helfer transportierten den Leichnam des Professors zum Wagen.

»Geht er in die Pathologie nach Stuttgart?«, fragte sie den Arzt, der dabei stand.

Er nickte. »Wenn es so weitergeht, können die hier bald eine Filiale eröffnen.«

Seine Einschätzung des Tathergangs, des Todeszeitpunkts und der Art der verwendeten Waffe deckte sich mit ihrer Vorstellung.

»Derselbe Täter, derselbe Dolch?«, fragte sie.

»Einiges spricht dafür, aber das zu beweisen ist Sache des Pathologen und der Technik.«

Der Rettungswagen wendete. Seine Scheinwerfer streiften die beim Schloss geparkten Autos und die hochgewachsene, schwarze Gestalt am Straßenrand.

»Hast du den Schwarzen gesehen?«, zischte Sven elektrisiert.

Sie rannten los. Der Unbekannte floh in Riesensätzen. Er steuerte auf den kleinen Parkplatz zu, doch Sven schnitt ihm den Weg ab.

»Halt, Polizei«, rief sie, »bleiben Sie stehen!«

Der Schwarze jagte mit seinen langen Beinen elegant wie eine Gazelle in Richtung Park. Er verschwand zwischen den Büschen bei der Treppe zum Neckar. Zu ihrer Überraschung rannte er weiter auf dem Pfad, der um den Rundturm herum zum Hintereingang des Schlosses führte. Sie drosselte das Tempo, um Atem zu schöpfen. Der Weg, den er einschlug, war eine Sackgasse. Sie wusste, dass das Gitter um diese Zeit geschlossen war. Der Fußweg endete dort.

»Das hat keinen Sinn. Sie kommen hier nicht weiter. Geben Sie auf!«, rief sie erst auf Deutsch, dann auf Englisch.

Sie zog die Pistole und entsicherte, während sie sich vorsichtig an der Mauer entlang dem Tor näherte. Der Flüchtige mochte sich schnell und geräuschlos durch die Nacht bewegen, doch er saß in der Falle. Einen Schritt noch, dann musste sie ihn sehen.

»Geben Sie auf«, rief sie nochmals. »Treten Sie langsam hervor mit erhobenen …«

Im nächsten Moment lag sie am Boden. Ihr wurde kurz schwarz vor den Augen. Stiche durchzuckten die rechte Schulter. Die Brust schmerzte. Sie bekam kaum Luft, als hätten sie schwere Reifen überrollt und die Lunge zerquetscht. Ächzend rappelte sie sich auf. Der Schwarze war verschwunden. Ihre ›Glock‹ auch – geladen und entsichert.

»Achtung, er hat meine Waffe!«, versuchte sie zu schreien, doch mehr als ein tonloses Flüstern gelang ihr nicht.

Sie wankte unsicher auf dem Weg zurück, den sie gekommen war. Am Fuß der kurzen Treppe hielt sie an. Sie atmete vorsichtig durch. Der Druck auf der Brust wich allmählich. Gott sei Dank schien sie nicht ernsthaft verletzt zu sein. Nur die Stiche in der Schulter sorgten weiter dafür, dass der Arm wie leblos herunterhing.

»Chris! Verdammt, was ist passiert? Wo steckt der Kerl?«

Sven stürmte die Treppe herunter auf sie zu.

»Er hat meine Waffe«, keuchte sie.

Ihr Partner stieß einen wüsten Fluch aus, bevor er ihr schmerzverzerrtes Gesicht bemerkte.

»Bist du verletzt?«

Sie schüttelte den Kopf. »Wir brauchen Verstärkung. Über die Straße kann er nicht fliehen. Auf der Treppe zum Neckar hättest du ihn sehen müssen. Ich glaube, er versucht, auf dem Fußweg zur Haaggasse hinunter zu entwischen.«

Sie hetzte die Treppe hinauf, so schnell es ging.

»Los, komm, zum Wagen. Wir schneiden ihm den Weg ab.«

Sie dirigierte ihn die Schlossbergstraße hinunter bis zur Kreuzung, dann wieder rechts zurück zur Altstadt. Obwohl sie mit Blaulicht und hoher Geschwindigkeit durchs nächtliche Tübingen rasten, dauerte es zu lang, bis sie die Stelle erreichten, wo der Weg zum Schloss in die Haaggasse mündete.

»Verflucht, der ist längst weg«, schimpfte Sven.

»Er kommt nicht weit«, murmelte sie ohne Überzeugung.

Eine Streife war vom andern Ende der Stadt her Richtung Marktplatz unterwegs. Dem Flüchtigen blieb also nur der Ausweg in die Unterstadt oder wieder hoch zur Burgsteige auf der Vorderseite des Schlosses.

»Genau da rennt er hoch«, rief sie aufgeregt.

Oben am Rathaus standen drei oder vier junge Leute, die sich händeringend unterhielten und dabei immer wieder auf die Treppe zur Burgsteige zeigten.

»Lass mich raus«, sagte sie hastig. »Du fährst am besten weiter, am Marktplatz vorbei, rechts hinauf, da geht’s zum Schloss.«

»Deine Pistole …«, rief er ihr nach, doch sie jagte schon die Stufen hinauf.

Möglicherweise wohnte er im Schlosshotel und wollte dorthin zurück. Die steile, schmale Straße war menschenleer. Sie blieb unschlüssig stehen, da tauchte der Porsche unten an der Ecke auf. Sven musste den Flüchtigen bemerkt haben, denn sein Wagen brach beinahe aus, als er am Faulen Eck um die Kurve schlitterte. Der Wagen verschwand in der Gasse, die zum Holzmarkt hinunter führte. Schwer atmend hetzte sie über die groben Pflastersteine hinter ihm her. Sven wartete mit grimmiger Miene am Anfang der Gasse auf sie.

»Der verdammte Idiot rannte die Treppe hinunter zurück zum Marktplatz. Dort verschwand er rechts um die Ecke. Wo zum Teufel bleibt die Streife?«

Die Antwort kam aus dem Lautsprecher des Funkgeräts:

»Sichtkontakt. Der Verdächtige flüchtet die Lange Gasse hinunter Richtung Hafengasse. Nehmen Verfolgung auf.«

»Endlich«, seufzte Sven erleichtert.

»Freu dich nicht zu früh«, warnte sie. »Dort gibt es überall enge Seitengassen, die kein Fahrzeug passieren kann.«

»Wo will er eigentlich hin? Müsste er nicht eher über den Neckar, wenn er aus der Stadt verschwinden will?«

»Nicht unbedingt«, antwortete sie in Gedanken versunken. »Ich kann mir vorstellen, was er vorhat. Angenommen, er ist nicht in Tübingen abgestiegen, dann wird er wohl mit dem Auto hergekommen sein. Unten am Stadtgraben gibt’s ein Parkhaus. Vielleicht sollten wir dort auf ihn warten.«

Sie beschrieb ihm den Weg und gab den Verdacht über Funk weiter.

»Klein hier, wir sind in der Nähe. Gehen in Stellung.«

Sven grinste. »Polizeimeister Klein«, murmelte er, »das ist wohl eine Nummer zu groß für ihn.« Laut sprach er ins Mikrofon: »Achtung! Der Verdächtige trägt eine schussbereite Pistole. Nur unauffällig beobachten. Wir sind in fünf Minuten vor Ort.«

Kleins Streife hielt sich an die Anweisung. Als sie sich der Einfahrt zum Parkhaus näherten, war nirgends ein Streifenwagen zu entdecken. Sie fuhren ein Stück weiter, hielten an und stiegen aus. Wie aus dem Nichts stand plötzlich ein Uniformierter neben ihnen.

»Klein«, grüßte Sven erfreut.

»Bis jetzt alles ruhig«, meldete der Polizist zackig. »Mein Partner ist im Haus. Keine verdächtige Bewegung. Ein silbergrauer Audi hat vor zwei Minuten das Parkhaus verlassen. Frau am Steuer, weiß.«

»Kennzeichen?«, fragte Chris aus reiner Boshaftigkeit, da die Schulter immer noch höllisch brannte.

Zu ihrer Verblüffung las Klein das Kennzeichen ungerührt von seinem Notizblock ab. Minuten vergingen, ohne dass sich etwas regte. Hin und wieder fuhr ein Auto auf der Hauptstraße vorbei. Aus Kleins Funksprechgerät tönten leise kurze Meldungen. Der Flüchtige verstand es offenbar geschickt, sich unsichtbar zu machen. Seit der Flucht durch die Lange Gasse hatte ihn niemand mehr gesehen.

Es knackte im Funkgerät.

»Kalle, er ist da«, flüsterte eine Stimme im Lautsprecher.

Es ging los. Sie nickte Sven zu, mehr brauchte es nicht, damit jeder wusste, was zu tun war. Ihr Partner rannte zur Ausfahrt, durch die der Flüchtige ins Parkhaus eingedrungen sein musste. Sie blieb mit Klein draußen, um die Personenausgänge zu überwachen. Mit dem Funkgerät hörten sie, was drinnen vorging. Eine Weile blieb es ruhig, bis ein kurzer Piepser verriet, dass jemand eine Autotür öffnete. Das Schloss klickte.

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22 aralık 2023
Hacim:
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