Kitabı oku: «Vernichten», sayfa 7

Yazı tipi:

»Die Damen werden gleich bereit sein«, sagte er. »Was möchten Sie trinken? Geht alles aufs Haus.«

Sein Kiefer klappte herunter. Er wusste zwar nicht, was er erwartet hatte, aber das sicher nicht.

»Was heißt das – was für Damen?«, stammelte er.

»Der King sagt, Sie sollen sich amüsieren. Es wird etwas dauern, bis er Sie empfangen kann.«

»Amüsie…«

Das Wort blieb ihm im Halse stecken, denn die beiden Sirenen, die ihn in die Mitte nahmen, entsprachen haargenau seinen schönsten Träumen im ›Hague Hilton‹. Dort hatte er zwar nie geträumt, aber wenn er hätte, dann nur von diesen beiden. Da war er sich hundertprozentig sicher, zweihundertprozentig. Er suchte vergeblich Blickkontakt zum Alten. Der hatte sich diskret zurückgezogen. Wie nach einem geheimen Drehbuch küsste ihn jede der Damen auf eine Wange, eine Hand auf seinem Po, die andere gefährlich nah am Schritt. Dann flüsterten sie ihm ins Ohr:

»Na Danny, Süßer, wollen wir ein wenig Spaß machen?«

Spaß haben, meinten sie wohl. Der Akzent hörte sich russisch an. Die beiden waren sicher zehn Jahre jünger als er, mit andern Worten: blutjung, fast noch Mädchen, schätzte er. Sie glichen sich wie Schwestern. Andererseits sahen für ihn alle hübschen jungen Russinnen gleich aus. Beide trugen gelbe Korsagen mit schwarzen Spitzen, Strapse und schwarze Netzstrümpfe. Die Füße steckten in hochhackigen Lackschuhen. An den Ohren klingelte billiger Schmuck. Sonst nichts. Die Höschen hatten sie in der Eile vergessen, was ihm endgültig die Sprache verschlug. Zarte Hände begannen sein im Knast etwas verkümmertes Glied zu massieren.

»Willst uns zugucken bei Lecken, Danny, Süßer?«, flüsterte eine.

Er hatte sich unversehens in einen heißen Porno geträumt, aber es war kein Traum. Solche Szenen konnten unmöglich in seinem Kopf entstehen. Dafür fehlte ihm schlicht die Fantasie. Die Hose löste sich vom Körper ohne sein Zutun. Das Glied verschwand vollständig im Mund eines Mädchens. Binnen Sekunden wuchs es zu staatlicher Grüße heran, was die junge Dame locker wegsteckte. Hatte die Schwertschluckerin gelernt? Der Gedanke streifte ihn nur kurz, denn ihre Kollegin hing jetzt bäuchlings am nächsten Tisch, Beine gespreizt, beide Eingänge weit offen. Er brauchte sich nur noch zu entscheiden. Die Schwertschluckerin nahm ihm die schwere Entscheidung ab, streifte mit dem akrobatischen Mund ein Kondom über und führte den harten Danny in den oberen Tunnel, während sie die Klitoris der Kollegin liebevoll streichelte. Diesen Porno hatte er noch nicht gesehen. Er musste ihn unbedingt aufnehmen. Es war sein letzter Gedanke, bevor sich das Gehirn ganz auf die Südhälfte des Körpers konzentrierte. Kaum eingefahren, entlud er, was nicht nur ihm ein Stöhnen entlockte. Sein Danny schrumpfte augenblicklich, obwohl es noch viel zu tun gab. Es musste am Koks liegen.

Die Schwertschluckerin brachte ihm ein Glas Sekt zur Stärkung. Die Wirkung verblüffte. Statt zu erfrischen und ihn zu neuen Taten anzuspornen, machte ihn das Getränk schnell schläfrig. Er musste sich auf den Boden setzen, wo er stand, kippte um und verlor das Bewusstsein.

Als er die Augen wieder aufschlug, wähnte er sich im Knast. Es war stockdunkel und es stank nach verschwitzten Turnschuhen. Irgendetwas stimmte nicht an dieser Erinnerung. Die Geräuschkulisse passte nicht zum Bild. Motorengeräusch, wenn auch gedämpft wie in einer gut isolierten Luxuslimousine, drang an sein Ohr. Er saß in einem fahrenden Auto. Es war der schwarze Sack über dem Kopf, der so entsetzlich stank. Fluchend versuchte er, ihn herunterzureißen, doch die Hände klebten hinter seinem Rücken zusammen. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Würde er sich doch nur erinnern, wie zum Teufel er hierhergekommen war. In seinem Kopf klaffte eine Lücke so schwarz wie der Sack.

»Nur noch fünf Minuten, Mijnheer«, sagte eine Männerstimme, »dann haben Sie es überstanden.«

Die Stimme klang sanft und unaufgeregt wie die eines netten Henkers. Panik ergriff ihn.

»Was überstanden?«, wollte er ausrufen.

Mehr als ein verzweifeltes Krächzen gelang ihm nicht. Da war sie wieder, die Stimme des Henkers:

»Keine Sorge, Mijnheer, wir sind gleich da.«

Der Gegensatz zwischen dem stinkenden Sack und der ausgesuchten Höflichkeit jagte ihm kalte Schauer über den Rücken. Ohnmächtig begann er zu strampeln und auszuschlagen, so gut es ging. Er spürte eine Hand auf seiner Schulter. Sein Herzschlag setzte aus.

»Beruhigen Sie sich. Es ist gleich vorbei«, sagte eine andere sanfte Stimme neben ihm.

Er erstarrte, wagte kaum zu atmen. Ausdrücke wie »überstanden« oder »bald vorbei« eigneten sich keineswegs, um ihn zu beruhigen. Da konnten die Wörter noch sanfter daherkommen. Die Fahrt verlangsamte sich. Der Wagen kam zum Stillstand. Wieder wollte sein Herz aussetzen. Knast hin oder her, auf solche Übungen war er nicht vorbereitet. Während er sich fieberhaft fragte, was er falsch gemacht hatte, ging die Tür neben ihm auf, und der Henker bat ihn höflich, auszusteigen. Jemand schnitt den Kabelbinder an seinen Händen durch und zog vorsichtig den Sack vom Kopf.

»Wir sind da. Der King erwartet Sie im Garten«, sagte der Henker in der Uniform eines Chauffeurs mit Mütze und weißen Handschuhen wie in alten amerikanischen Filmen.

Dabei deutete er eine leichte Verbeugung an, als wollte er sich für sein Wohlverhalten bedanken. Der Herr mit der unglücklichen Wortwahl, der neben ihm gesessen hatte, begleitete ihn stumm zu einem weitläufigen, flachen Gebäude, das an eine texanische Ranch aus dem Fernsehen erinnerte. Der Gedanke, abzuhauen, streifte ihn flüchtig, doch angesichts der langen Beine und der Pistole seines Begleiters ließ er es bleiben. Der Mann führte ihn auf kürzestem Weg durchs Haus und wieder ins Freie. Er traute seinen Augen nicht. Was der Chauffeur als Garten bezeichnet hatte, erwies sich als ausgedehnter Park mit üppig blühenden exotischen Blumen, die er noch nicht einmal auf Fotos gesehen hatte. Verschiedene Abteilungen mit unterschiedlicher Bepflanzung gruppierten sich um einen Pool vom Ausmaß eines kleinen Sees. Oder war es ein See? Befand er sich überhaupt noch in den Niederlanden?

Außer zwei Gärtnern war weit und breit niemand zu sehen, bis ein Kopf am Beckenrand auftauchte. Eine junge Dame, Japanerin allem Anschein nach, materialisierte sich neben dem unscheinbaren Mann mittleren Alters, der aus dem Wasser stieg. Kichernd rieb sie ihn mit einem Frotteetuch trocken, dann verschwand sie so plötzlich, wie sie erschienen war. Sein Begleiter hatte sich auch in Luft aufgelöst. Er war allein mit dem King.

Der gefürchtete Herr über Drogen und Weiber glich einem Uhrmacher, den er als kleiner Junge kennengelernt hatte. Nichts deutete darauf hin, dass er einem mächtigen Boss der Unterwelt gegenüberstand. Nichts außer dem Gesichtsausdruck, der so emotionslos und unterkühlt wirkte, als trüge er eine Maske. Der King deutete auf einen Liegestuhl.

»Setz dich, Danny – ich darf dich doch Danny nennen?«

Er stammelte etwas Unverständliches, das mit Mijnheer endete, und gehorchte.

»Vergiss den Mijnheer. King genügt. So nennen mich alle meine Freunde.«

Er nahm einen der zwei Drinks von Clubtisch zwischen den Liegestühlen.

»Den solltest du probieren, aus eigenen Passionsfrüchten, schmeckt köstlich.«

Wieder gehorchte Danny und sog ein wenig süßen Saft aus dem Strohhalm, während ihn der King mit seinen Blicken röntgte.

»Du bist doch mein Freund, Danny?«, fragte er unvermittelt.

Die unerklärliche Spannung zwischen ihnen schnürte ihm die Kehle zu. Mehr als ein stummes Nicken lag nicht drin. Der King nahm es befriedigt zur Kenntnis.

»Ich möchte mich für die Unannehmlichkeit auf der Fahrt entschuldigen. Es war leider notwendig. Nur eine Handvoll Leute kennt den Weg hierher, und je weniger du über mich weißt, desto besser für beide.«

Der Groschen fiel eine Sekunde später.

»Heißt das, die gleiche Prozedur auf der Rückfahrt?«, platzte es aus ihm heraus.

Sein schmerzverzerrtes Gesicht reizte den King zum Lachen.

»Ich fürchte, das lässt sich nicht vermeiden, Danny. Die Kabelbinder lassen wir diesmal weg, da du jetzt weißt, worum es geht und sicher keine Dummheiten machst.«

»Aber …«

Seine Stimme versagte. Man widersprach einem König nicht, in den Niederlanden schon gar nicht.

»Was willst du mir sagen?«

»Der Sack – er stinkt nach Knast.«

Diesmal brach der King in lautes Gelächter aus, ohne das Gesicht zu verziehen.

»Knast – herrlich«, sprudelte es aus ihm heraus. »Das verstehe ich natürlich, dass dir davor graust. Meine Leute werden sicher eine passende Augenbinde finden.«

Dannys Verunsicherung wuchs mit jedem Zug am Strohhalm. Was wollte der King von ihm? Er war ein ganz kleiner Fisch, da machte er sich keine Illusionen. Sein Bruder Jan hatte ihm oft genug zu verstehen gegeben, was für ein kleines Licht er war, wenn auch ohne Absicht. Nun gehörte er plötzlich zum exklusiven Freundeskreis des Kings. Warum zum Teufel? Die Bombe musste jeden Augenblick platzen, fürchtete er. Der King aber spielte weiterhin den großzügigen Gastgeber.

»Wie war dein Besuch bei Natalia und Ivana?«, fragte er mit verträumtem Blick, das Gesicht immer noch frei von jeder Regung. Er wartete nicht auf die Antwort, sprach sogleich weiter: »Es sind die Besten. Ich sollte sie auf die Ranch holen.«

Die Erinnerungsfetzen in Dannys Hirn fügten sich beim besten Willen nicht zu einem vernünftigen Bild zusammen. Er spürte, wie ihm der kalte Schweiß auf die Stirn trat, als er dem King ins Gesicht log:

»Spitze, die beiden sind unschlagbar zusammen.«

»Du sagst es Danny, du sagst es.«

Die Lunte brannte. Er spürte es in den Nieren. Tatsächlich beendete der King den Small Talk mit der Ankündigung:

»Du könntest klasse Weiber wie die beiden öfter haben, Danny. Cracks, die sich mit Computern auskennen, kann ich gut gebrauchen.«

»Ich weiß nicht …«

»Sei nicht so bescheiden. Der gute Timmy hat dich genau beobachtet – Zeit genug hatte er ja im ›Hague Hilton‹.«

Die Lunte brannte intensiver. Funken sprühten. Wie lang noch, bis die Bombe platzte? Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu warten.

»Ich bin sogar überzeugt, dass niemand sonst diesen Auftrag erledigen kann, nur du, Danny Willems.«

»Was für ein Auftrag?«, fragte er mit erstickter Stimme.

Der King deutete eine beschwichtigende Handbewegung an.

»Es ist im Grunde ganz einfach, ein Klacks für einen wie dich. Jeder, der sich einigermaßen mit Computern auskennt, könnte es tun, aber …« Er legte eine Pause ein, um dem Folgenden mehr Gewicht zu verleihen, bevor er fortfuhr: »Nur du bist der Bruder von Jan Willems.«

Der Schock verschlug ihm die Sprache. Er hatte mit allem Möglichen gerechnet aber nicht damit. Er musste den King falsch verstanden haben. Doch nicht Jan! Der lebte auf einem ganz andern Planeten als der King.

»Was – hat – Jan damit zu tun?«, stammelte er schließlich.

»Gar nichts, das ist es ja. Dein Bruder wird uns einen kleinen Gefallen erweisen, von dem er nichts ahnt.«

Er gab es auf, den King verstehen zu wollen, und sah schweigend zu, wie sein seltsamer Gastgeber einen Zettel entfaltete, der im Bademantel gesteckt hatte.

»Lies!«, befahl er ohne weitere Erklärung und reichte ihm den Zettel.

Es war eine Art Gebrauchsanweisung, abgefasst in englischer Sprache. Obwohl sie nur ein paar Zeilen umfasste, musste er sie zweimal lesen, dann schüttelte er den Kopf und sagte:

»Das geht nicht. So etwas könnte nur Jan selbst tun.«

Der King hatte wohl mit einer solchen Reaktion gerechnet. Das erste Mal deutete sein Mund ein verständnisvolles Lächeln an, als er antwortete:

»Genau das dachten wir zuerst auch, aber dann hat uns der Himmel dich geschickt, Danny. Du wohnst bei Jan in derselben Wohnung. Wo ist also das Problem?«

»Er ist mein Bruder.«

»Ach die Familie – nicht diese Leier, Danny. Ich weiß, wie du zu Jan stehst und er zu dir. Im Übrigen wird er gar nichts bemerken, wenn die Sache glatt über die Bühne geht. Du wirst den King doch jetzt nicht enttäuschen, Danny.«

Seltsamerweise ärgerte er sich in diesem Moment über Jan statt über das wahnwitzige Ansinnen des Kings. Der Verdacht, ein Tipp von Jan hätte ihn in den Knast gebracht, kroch wieder hoch. Zuzutrauen wäre es ihm. In Jans Moralvorstellung galt ein Jahr Knast wohl als reinigendes Gewitter. Ein leiser Fluch entfuhr ihm. Unschlüssig blickte er vom Zettel zum King und wieder auf den Zettel.

»Zehn Riesen und die Mädchen«, bemerkte sein Gastgeber beiläufig und fügte an: »wenn die Sache erledigt ist.«

Auf einen Schlag sausten die schönsten Dinge durch seinen Kopf, angeführt von der Honda CB 750, dem Traum aller Biker. Zehn Riesen! Sein Entschluss stand fest, bevor er sich dessen bewusst wurde. Im Grunde war es leicht verdientes Geld.

»Bis wann?«, fragte er.

Jetzt gelang dem King ein richtiges Lächeln.

»Das ist mein Danny. Ich wusste, auf dich ist Verlass.«

Er schnippte mit zwei Fingern. Wie durch ein Wunder erschien die fröhliche Japanerin. Sie reichte ihrem Herrn ein Tablett mit einer tiefen Verbeugung. Darauf befanden sich ein flaches Paket und ein Fünfhunderteuroschein, in den ein Briefchen eingewickelt war, wie er es von Timmy bekommen hatte. Der King gab ihm beides.

»Da drin findest du das Material, und nimm das als Anzahlung. Du musst dich beeilen. In spätestens achtundvierzig Stunden muss der Auftrag ausgeführt sein. Schaffst du das?«

»Klar«, sagte er, Augen auf dem großen Schein.

Wiesbaden

Uwe Wolf schreckte hoch. Hatte der Alarm seines Überwachungsprogramms angeschlagen? Hastig richtete er sich im Sessel am Pult auf, wo er die halbe Nacht geschlafen hatte. Der mittlere Monitor zeigte den Bildschirmschoner. Seine Finger flogen über die Tastatur. Die psychedelischen Schlieren des Screensavers lösten sich auf und machten der gewohnten Oberfläche Platz, deren Ordnung nur sein gesundes Gehirn verstand. Die Kolleginnen und Kollegen schienen in dieser Beziehung samt und sonders über Lücken in der Logik zu verfügen. Das Hauptfenster des Schnüfflers war zwar immer noch online und zeigte rege Netzwerk-Aktivität an aber keine Spur eines Hits, der den Alarm hätte auslösen können. Kopfschüttelnd wollte er sich ein Wasser aus dem Kühlschrank holen, da klingelte es wieder. Das Geräusch stammte vom Schreibtisch gegenüber. Die neue Kollegin, oder wer immer sie war, rührte in der Teetasse aus Meißner Porzellan.

»Kannst du nicht aufpassen?«, herrschte er sie an. »Du veranstaltest hier ein Glockenspiel, während ich zu arbeiten versuche!«

Sie stockte mitten in der Bewegung, dann zog sie den Löffel ganz vorsichtig heraus und legte ihn weit weg von der Tasse auf den Schreibtisch. Sie sagte kein Wort. Gut so, die Störung war beseitigt, jedenfalls für einige Stunden, nahm er an. Als er mit einem Wasser ans Pult zurückkehrte, sah er sie an einem andern Platz aufgeregt mit dem schönen Peter diskutieren, der schon ebenso lang wie er in der IT des BKA arbeitete, obwohl er nicht das hellste Licht war. Das hinderte ihn nicht daran, jedem Rock den Hof zu machen, und die Frauen ließen es sich gefallen. Alles viel zu kompliziert und unnötig. Er verstand diese Menschen nicht.

Die Eindringlinge waren clever. Sie hatten sich elegant Zugang zum Datenbank Cluster in Den Haag verschafft. Social Engineering nannten die Laien den Trick, um an Benutzerkennungen und Passwörter zu gelangen. Social Espionage war der korrekte Ausdruck, denn die Hacker hatten nicht Mitarbeiter des Rechenzentrums ausgehorcht, um sich Zugang zu verschaffen, sondern im Müll gegraben, bildlich gesprochen, bis sie auf den sträflich vergessenen Account des Ex-Technikers gestoßen waren. Was hatten Sie sonst noch gefunden? Wichtiger noch: In welchen Mülleimern hatten sie gestöbert? Er nahm nicht an, die Hacker wären physisch durchs Rechenzentrum oder die Büros von Europol spaziert, um Klebezettel an den Bildschirmen und Notizen von Passwörtern in den Schubladen zu sammeln. Diese Methode galt zwar als höchst effizient und funktionierte erwiesenermaßen in jedem Unternehmen, aber das Risiko, in den Gebäuden von Europol erwischt zu werden, wo jeder Winkel während vierundzwanzig Stunden am Tag von Kameras überwacht wird, schätzte er als zu hoch ein.

Nein, die Hacker hatten die Daten des Ex-Technikers wohl ganz einfach im Internet gefunden. Moderne Firewalls schützten zwar das Informationssystem, aber falls der Techniker auch nur einmal unter seinem Account übers Netz gechattet oder eine Mail verschickt hatte, war es für professionelle Hacker ziemlich leicht, an seine Daten zu gelangen. Chat- und Mail-Programme, Webbrowser sowieso, übermittelten Passwörter oft unverschlüsselt. Das war die wahrscheinlichste Theorie. Er müsste sie nur noch durch eigene Suche im Netz verifizieren, doch das sparte er sich. Er würde zu viel Zeit verlieren. Möglicherweise suchten die Kollegen in Den Haag ohnehin schon im Netz nach Sicherheitslücken.

O. K., die Hacker hatten also kurzzeitig einen fremden Account benutzt. Der war sofort nach Entdeckung gesperrt worden. Welchen Schaden konnten sie in der Zwischenzeit angerichtet haben? Er traute den Aussagen der Kollegen im Rechenzentrum nicht. Die hatten die Logfiles des Systems ausgewertet und so gut wie nichts gefunden, als hätten sich die Angreifer tatsächlich nur für ein paar Konfigurationsdaten des Clusters interessiert. Nichts zu finden in den Logs konnte auch etwas ganz anderes bedeuten. Der gehackte Account verfügte über temporären ›root‹ Zugang. Mit dem einfachen Befehl ›sudo‹ verwandelte sich der angemeldete Benutzer in einen Superuser mit Privilegien, die praktisch alle Eingriffe ins System erlaubten. Schweißperlen traten auf seine Stirn, während er sich tausend Minenfelder ausmalte, welche die Eindringlinge binnen Sekunden hätten anlegen können. Für Profis war es zudem möglich, die Systemlogs so zu manipulieren, dass alle Spuren verwischt wurden.

Die Falle, die er den Hackern gestellt hatte, war so gut wie nutzlos. Er hielt die Angreifer für Professionelle, die wussten, was sie taten. Solche Typen dachten wie er. Wie würde er einen Angriff planen? Er hatte nicht nachgedacht. Die Falle war ein kindischer Schnellschuss gewesen. Aus Ärger trank er fast die ganze Flasche Sprudelwasser, verschluckte sich und hustete, bis alle Augen im Großraumbüro auf ihm ruhten. Er tat, als wären sie nicht vorhanden, was ihm nicht schwerfiel. Vielleicht hatte er doch nicht alles falsch gemacht.

Fieberhaft begann er, die vielen Hundert Megabytes an Klartext und verschlüsselten Daten, die sein Schnüffler während der Nacht gesammelt hatte, mit neuen Filtern zu analysieren. Er vergaß alles um sich herum, reagierte weder auf Fragen der Kollegen noch auf Telefonanrufe, was außer der Neuen niemanden befremden würde. Nach einer knappen Stunde gab es Gewissheit: Er war nicht der einzige Sniffer im System. Ohne die Augen vom Bildschirm zu nehmen, griff er zum Telefon. Sein Handy klingelte im selben Moment, als er anrufen wollte. Ärgerlich sah er aufs Display. Die Nummer kannte er. Er vergaß keine Telefonnummern. Der Zopf rief an.

»Was wollen Sie?«, fragte er unwirsch.

Der ruppige Ton überraschte die Hauptkommissarin aus Berlin nicht. Sie kam ohne Umschweife zur Sache:

»Mir ist noch etwas eingefallen, was vielleicht bei der Suche nach den Hackern helfen könnte. Ist es möglich, dass sich die Typen besonders für eine Datenbank namens PD-27 interessieren? Und noch eine Frage: Kann es sein, dass es sich um professionelle russische Hacker handelt?«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Lange Geschichte. Falls etwas dran ist, werde ich Sie über die Hintergründe informieren. Rufen Sie mich bitte auf dieser Nummer zurück, sobald Sie was haben.«

Damit legte sie auf.

Na bitte – warum konnten nicht alle Menschen so unkompliziert sein? Die seltsamen Fragen der Kommissarin bewogen ihn, mit dem Anruf nach Den Haag zuzuwarten. Er passte die Filter an und startete eine neue Analyse der gesammelten Daten. Zeile um Zeile erschienen die Ergebnisse auf dem Bildschirm, erst in großen Abständen, dann immer schneller.

Die Analyse stoppte. Die tabellarische Zusammenfassung am Schluss war so aufschlussreich, dass sein Gehirn einen Überschuss an Dopamin erzeugte. Nur so konnte er sich erklären, weshalb er plötzlich zur Neuen hinüber blinzelte und sagte:

»War nicht so gemeint.«

Dann hatte er sich sofort wieder unter Kontrolle. Höchste Zeit für den Anruf nach Den Haag. Wie es schien, waren die Kollegen im Rechenzentrum ziemlich beschäftigt. Es dauerte satte zehn Minuten, bis er den richtigen Mann in der Leitung hatte. Er sparte sich überflüssige Floskeln und sagte auf Englisch:

»Ich habe bis jetzt sieben ›NICs‹ im ›promiscuous mode‹ entdeckt.«

Er hörte mehrere Stimmen fluchen. Offenbar hatten sie ihn auf Lautsprecher geschaltet.

»Seven?«, rief der Kollege erschrocken. »Wir wissen, dass ein Netzwerk Interface Controller offen ist – also im ›promiscuous mode‹ arbeitet.«

Er gab die Adresse des betroffenen ›NIC‹ bekannt.

»Der ist auch auf meiner Liste«, bestätigte Uwe. »Aber wie gesagt, es sind noch eine Reihe anderer ›NICs‹ betroffen. Ich schicke euch die Liste.«

Die Hacker wollten auf Nummer sicher gehen und hatten bereits mehrere Netzwerk-Computer so umprogrammiert, dass sie nicht nur die an sie adressierten Daten verarbeiteten und weiterleiteten, sondern alles, was durch die Drähte floss: Sniffer. Damit konnten die Eindringlinge alles abhören, was über das weitverzweigte Netz von Europol ausgetauscht wurde.

»Die Typen interessieren sich offenbar für das IS, besonders PD-27«, fuhr er weiter. »Ich konnte ihre Spur bis auf einen Proxyserver in der Ukraine verfolgen. Dort ist leider Schluss, da das Netz zu früh heruntergefahren worden ist.«

Diese Spitze musste sein. Schließlich war es nichts als die Wahrheit. Wer auch immer das Kappen aller Verbindungen veranlasst hatte, war dafür verantwortlich, dass der Angriff nun nicht weiter zurückverfolgt werden konnte. Er musste es den Kollegen im Rechenzentrum überlassen, alle Komponenten des Clusters und des Netzwerks gründlich zu prüfen. Mehr konnte er im Augenblick nicht tun.

Die Glückshormone bauten sich schnell wieder ab. Er verfiel in nachdenkliches Schweigen, ein Phänomen, das seine Kollegen völlig unzutreffend schon mal als Totenstarre bezeichneten. Sein Hirn arbeitete umso intensiver. Er ließ alle Beobachtungen der letzten Stunden noch einmal wie einen Film vor seinem geistigen Auge ablaufen. Dazu brauchte er keinen Computer. Seine Neuronen und Synapsen zeichneten alles präzise auf, jederzeit abrufbar. War ihm etwas aufgefallen, das er als unwichtig verdrängt hatte? Die gesammelten Daten enthielten eine Menge E-Mail-Adressen, die das Analyseprogramm zuverlässig in unverdächtige, unbekannte und Krüppel einteilte. Krüppel waren Adressen mit auffälligen Namen oder Server-Bezeichnungen, Adressen, die oft unvollständig, verkrüppelt anmuteten. Wie zum Beispiel ›cu@salamis‹. Die seltsame Zeichenkette tauchte regelmäßig in den Daten auf, die über die gehackten ›NICs‹ geroutet worden waren. Zufall? Jahrelange Erfahrung machte ihn misstrauisch.

Er verharrte im Zustand vollkommener Bewegungslosigkeit, bis der schöne Peter sich mit einem fröhlichen Ausruf von der Neuen verabschiedete:

»See you!«

Er fand sich besonders unwiderstehlich, wenn er englische oder besser: amerikanische Brocken in seiner Konversation fallen ließ, widerlich. Peter war noch nicht an der Tür, als Uwe schlagartig aus der Starre erwachte.

»Ich Vollidiot!«, rief er laut.

Die Neue ließ vor Schreck die Teetasse fallen, was ihn jetzt nicht weiter störte. Warum hatte er nicht sofort geschaltet? Es war so offensichtlich: ›cu@salamis‹ war keine E-Mail-Adresse. Es handelte sich um eine versteckte und doch offensichtliche Botschaft. ›cu‹ stand für die amerikanische Unsitte, Wörter durch einzelne Buchstaben oder Ziffern zu ersetzen, die ähnlich oder gleich klangen, wie etwa 4, englisch four, für die Präposition for. Oder eben ›cu‹ für Englisch »See you« – »Wir sehen uns«.

›cu@salamis‹ bedeutete also »See you at Salamis«. Obwohl er keine Ahnung hatte, was Salamis bedeutete, empfand er die Botschaft als klare Drohung, eine hämische Drohung der Hacker, nichts weniger. Nach kurzer Internetsuche gab er den Versuch auf, die Botschaft auf diesem Weg verstehen zu wollen. Vielleicht war Salamis ein Code bei Europol, der nicht bis in die Niederungen der IT in Wiesbaden durchgesickert war. Er nahm das Handy und benutzte die Rückruffunktion, um den Zopf in Berlin anzurufen.

»Salamis?«, fragte die Kommissarin erstaunt, nachdem er den Zusammenhang erklärt hatte. »Sagt mir im Moment nichts. Geben Sie mir ein paar Minuten. Ich rufe zurück.«

Die paar Minuten entpuppten sich als eine geschlagene halbe Stunde. Ihre Stimme klang, als staunte sie selbst über ihre Antwort.

»Es gibt keinen solchen Geheimcode, soweit wir überblicken können«, begann sie. »Salamis ist eine Insel in der Ägäis nahe Athen, aber das wissen Sie sicher schon. Unsere Spezialisten glauben jedoch nicht, dass die Insel selbst gemeint ist. Falls der Text tatsächlich eine Botschaft darstellt, könnte er im Sinne einer Metapher auf die Seeschlacht bei Salamis hindeuten.«

»Eine Seeschlacht als Metapher – ich verstehe nicht.«

»Da sind Sie nicht allein, Uwe«, lachte sie. »Ich erkläre es so, wie ich es verstehe. 480 vor Christus hatten die Perser unter Xerxes bereits Athen erobert und die Griechen bei den Thermopylen geschlagen. Sie waren auf dem besten Weg, ganz Griechenland zu unterwerfen und damit eine Basis für die Ausdehnung des Reichs nach Europa zu etablieren. An diese groben Züge der Geschichte kann ich mich aus der Zeit am Gymnasium erinnern, ungern zwar, aber immerhin.«

480 vor Christus – er fragte sich, wo die Lektion hinführen würde.

»Die Perser schickten eine riesige Kriegsflotte durch die Ägäis nach Griechenland«, dozierte sie weiter. »Es sah schlecht aus für die Griechen, aber mit einer List gelang es ihnen, die schwerfälligen, großen Kriegsschiffe der Perser in die Meerenge bei Salamis zu locken, wo sie ihre Überlegenheit nicht ausspielen konnten. Viele persische Schiffe wurden von den wendigen, kleinen, griechischen Booten versenkt. Die Perser zogen sich vernichtend geschlagen aus Europa zurück.«

»Zum Glück«, murmelte er.

In seinem Kopf jagten sich die Gedanken. Binnen Sekunden erdachte er IT-Szenarien, die sich irgendwie mit der Schlacht bei Salamis vergleichen ließen, und verwarf sie wieder. Der Zopf störte die Gedankengänge nicht und wartete schweigend auf seine Reaktion. Die alte Geschichte ergab einfach keinen Sinn. Die Angreifer wurden vernichtend geschlagen. Das war vielleicht gut für das Abendland, aber weshalb sollten die Eindringlinge ihre eigene Niederlage ankündigen?

»Die Griechen sind die Hacker!«, platzten beide fast gleichzeitig heraus.

»So wird ein Schuh draus«, sagte Chris, die Kommissarin. »Ich habe die ganze Zeit falsch herum gedacht.«

Genau wie er selbst, dachte Uwe. Der Fehler war verständlich und doch kindisch. Er hatte automatisch angenommen, die Hacker müssten sich als Angreifer sehen wie die Perser in der Geschichte. Schließlich griffen sie Europol an, nicht umgekehrt.

»Falls etwas dran ist an dieser Salamis Metapher, müssen wir umdenken«, bekräftigte Chris.

»Einverstanden«, murmelte er, auf ihre Erklärung wartend.

»Gehen wir davon aus, dass sich die Hacker als die Griechen der Geschichte sehen. Sie verteidigen sich also gegen die an sich überlegene Kriegsmacht von Europol. Sie, oder wie ich vermute, ihre Auftraggeber, fühlen sich massiv bedroht und müssen sich verteidigen. Bedroht wovon?«

Diese Frage war aufgrund der spärlichen Fakten nicht zu beantworten, also schwieg er.

»Wenn wir wüssten, wovon sie sich bedroht fühlen, könnten wir uns besser schützen, nicht wahr?«

»Durchaus möglich«, räumte er ein. »Vielleicht sind aber die bisherigen Aktionen der Hacker nur eine List, um uns in eine Falle zu locken, wie bei Salamis.«

Er konnte sich nicht vorstellen, in welche Falle die Kollegen in Den Haag tappen würden. Nur eines wusste er: Sie steuerten mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Katastrophe zu.

Den Haag, Niederlande

Die Untätigkeit war unerträglich. Danny Willems hielt es nicht mehr aus auf dem Sofa vor der Glotze, in der ›Studio Sport‹ lief mit einem neuen Fifa-Skandal, der ihn noch weniger interessierte als die nackten Weiber auf andern Kanälen. Er eilte in die Küche, riss die Kühlschranktür auf, griff sich ein Grolsch, zögerte und legte es mit einem Seufzer zurück. Heute Nacht war Alkohol tabu. Was er brauchte, wäre das Briefchen mit dem weißen Pulver, aber das war leer. Wo zum Teufel blieb Jan? Er hatte schon einen Tag verloren, weil sein Bruder neuerdings vierundzwanzig Stunden am Tag im Rechenzentrum verbrachte. Die schienen seit einigen Tagen im Krisenmodus zu operieren, mit Jan als Leiter des Betriebs an vorderster Front. Es könnte ihn den Kopf kosten. In dieser Beziehung verstand der King keinen Spaß. Das wusste er, ohne ihn zu kennen. Irgendwann musste doch auch Superman Jan pennen und die Klamotten wechseln! Das Warten zermürbte, dabei brauchte er diese Nacht alle Sinne im Overdrive. Es war seine letzte Chance. Er würde sie nutzen – ohne Rücksicht auf Verluste.

Hundertmal war er versucht gewesen, Jan unter einem Vorwand aus dem verfluchten Rechenzentrum zu locken. Die Gründe, die ihm einfielen, muteten mit jedem Mal absurder an. Jan überlisten, das konnte er sich abschminken. Dazu brauchte es andere Kaliber als den kleinen Danny, musste er sich eingestehen. Andererseits hätte es schnell ein Ende mit dem kleinen Danny, wenn er diesen Auftrag zur Zufriedenheit des Kings erledigte – sonst auch. Ging es dem King gut, ging es ihm gut. Das war die einfache neue Weltformel. Ik krijg de pest!, dachte er mit einem tiefen Seufzer, als ihn die Vorstellung streifte, was Natalia und Ivana alles mit ihm anstellen würden.

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
531 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783967526974
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