Kitabı oku: «Wassergeld», sayfa 4
5. Ein neuer Nibelungenschatz
Stumm drehten wir ab. Bienenfels sah mich fragend an, doch mir war nicht nach Unterhaltung. Zu tief war ich in meinen Gedanken versunken. Was wollten die Erpresser mit ihrer Aktion bezwecken? Ging es bei dieser Geschichte eventuell nicht um die Erpressung an sich, um das Reichwerden? Waren es militante Weltverbesserer, die dem Staat schaden wollten? Dafür sprach, dass es bisher keine Toten oder Verletzten gab. Dagegen sprach der riesige Aufwand der Erpresser und das fehlende Motiv. Solche gestörten Personen legten immer größten Wert darauf, dass ihre Organisation und ihre Ziele in der Öffentlichkeit publik gemacht wurden. Hier war es anders. Vermeintliche 50 Millionen Euro lagen auf dem Grund des Rheins. Nachdem Bienenfels mich abgesetzt und ich mich von ihm verabschiedet hatte, fuhr ich in meinem Wagen nach Schifferstadt. Es war ein gutes Gefühl, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Dabei fiel mir gleich meine schwangere Frau ein. Während des Fluges hatte ich auch an sie gedacht. Doch in dieser Situation hatte ich schlecht das Funkgerät zweckentfremden können, um Jutta den Auftrag zu erteilen, Stefanie anzurufen. Meine Kollegen hätten noch in Jahren über mich gelacht.
Ich hätte anhalten und mein Handy benutzen können.
Ich hätte kurz daheim vorbeifahren und ihr alles berichten können.
Ich hätte, ich hätte, ich hätte …
Ich musste persönlich mit ihr reden. Aber zuerst wollte ich die Ergebnisse unserer Aktion in Erfahrung bringen. Gerhard fand ich in Juttas Büro. Jutta sah nicht gut aus, ich würde sie gleich heimschicken. Notfalls in meiner Funktion als Vorgesetzter.
»Hallo, ihr beiden«, begrüßte ich sie. »Habt ihr noch einen Kaffee für mich?«
»Alles leer, Reiner. Wir haben nur noch auf dich gewartet, dann wollten wir heim. Das heißt, wenn ich den Weg noch finde.«
»Ich rufe Jürgen an, der bringt dich nach Hause«, lästerte Gerhard. Jürgen war ein junger Beamter, der heimlich auf seine ältere Kollegin Jutta stand. Natürlich wussten wir das alle, und jedes Mal, wenn Jürgen ihr imponieren wollte, ging etwas schief.
»Hör bloß auf, sonst flute ich morgen dein Grundstück! Ich habe da nämlich Beziehungen.«
Ich setzte mich zu ihnen an den Tisch. »Jetzt sagt mal, hat alles geklappt? Kann KPD morgen auf seiner Pressekonferenz glänzen?«
»Oh Mann, hat der getobt«, erzählte Gerhard. »Wir dachten schon, wir müssen ihn in eine Zelle stecken. Jutta meinte, sie hätte sogar Schaum vor seinem Mund gesehen.«
»Das heißt, es war alles Fehlanzeige?«
Jutta nickte. »Und dabei fing es so gut an. Nach dem zweiten Funkspruch hatten wir bereits den Sender geortet. Leider hat uns das nicht weiter geholfen. Es war nur eine Relaisstation.«
»Kannst du mir das in Laiensprache erklären?«
»Der Sender befand sich in Mannheim in der Hütte eines Schrebergartens. Er war automatisch mit einem Empfänger auf einer anderen Frequenz gekoppelt.«
Ich war baff. »Das heißt, der wirkliche Sender war woanders?«
»100 Punkte für dich, Reiner. Unsere Spezialisten waren sehr schnell, so konnten wir in dieser Hütte über den Empfänger den dritten und den vierten Funkspruch orten. Dummerweise kamen sie aus verschiedenen Richtungen. Wahrscheinlich aus einem Auto heraus.«
»Auf gut deutsch: Ihr habt keine Spur. Was ist mit dem Besitzer des Schrebergartens?«
»Ein Ehepaar weit in den 80ern. Der Mann lebt seit dem Frühjahr in einem Pflegeheim. Die Hütte des Schrebergartens war mehr als ein Jahr unbenutzt. Tut mir leid, wir haben es mit absoluten Profis zu tun. Vielleicht hätte KPD doch lieber das Landeskriminalamt einschalten sollen.«
»Das sage ihm lieber nicht«, empfahl ich ihr. »Der wird dich als Frauenbeauftragte nach Kamtschatka strafversetzen.« Suchend blickte ich mich um.
»Kekse sind auch leer«, meinte Gerhard regungslos.
»Was ist mit der Metallkiste? Seid ihr da wenigstens weitergekommen?«
»Das war eine noch größere Pleite. Damit konnte niemand rechnen. Zuerst haben wir alle Einsatzkräfte am Marx’schen Weiher zusammengezogen, ganz wie du es durchgegeben hast. Blöderweise sind die meisten von Waldsee, also von Süden her gekommen. Als ihr dann weiter über Altrip zum Rhein geflogen seid, konnten die euch nicht folgen, da die Kreisstraße überflutet ist. Die Streifenwagen mussten umkehren und über Waldsee, Neuhofen und Rheingönheim nach Altrip fahren. Das dauerte rund eine Viertelstunde.«
»Wahnsinn, die Abwurfstelle war also eine Viertelstunde lang unbeobachtet?«
»Du hörst nicht richtig zu, Kollege. Ein paar Streifenwagen waren bereits vorher in Altrip. Außerdem haben wir noch die Mannheimer Kollegen. Ihr wurdet sogar mit Infrarot gefilmt, als ihr die Kiste abgeworfen habt.«
»Na ja, dann hat sich wenigstens das Rasieren gelohnt. Wie haben die Ganoven die Kiste geborgen? Ihr habt sie doch hoffentlich erwischt, oder?«
»Würde dann KPD so getobt haben? Nein, Reiner, wir wissen nichts über den Verbleib des Behälters. Er ist im Rhein versunken, fertig. Es war seitdem niemand in der Nähe.«
»Vielleicht ein U-Boot?«
»Gut, dass du danach fragst. Auch dies können wir ausschließen. Es gibt zwar eine Reihe kleinerer militärischer und auch ziviler U-Boote und sogar unbemannte Tauchroboter. Aber alle haben eines gemeinsam: Sie können keine schwere Last bergen, ohne dass es über der Wasserlinie auffallen würde. Wir sind hier am Rhein und nicht auf dem offenen Meer.«
»Wie gehen wir weiter vor? Die alten Zeitungen bergen oder einfach alles vergessen?«
»Selbstverständlich muss die Kiste geborgen werden. Die Öffentlichkeit ist inzwischen informiert. Irgendjemand muss bei der Presse getratscht haben. Unser kleines lokales Problem, wie sich KPD ausdrückte, ist mittlerweile deutschlandweit bekannt. Alle gehen davon aus, dass tatsächlich Geld in der Kiste liegt. Morgen früh nach Sonnenaufgang werden Taucher eines Bergungsunternehmens den Behälter suchen und ihn an Land bringen. Die Wasserschutzpolizei kommt auch. KPD meinte, du würdest bestimmt gerne dabei sein wollen.«
»Um wie viel Uhr?« Ich wusste, Widerstand war zwecklos.
»Nicht so früh, erst um 8 Uhr. Morgen ist schließlich Sonntag. Treffpunkt ist die Dienststelle der Wasserschutzpolizei.«
Jutta berichtete mir noch über die Situation bei den Deichbrüchen. Nach ihren Angaben konnte frühestens am Montag mit der Reparatur begonnen werden. Anschließend stellte ich für uns alle zusammen fest, dass wir Feierabend machen. Jutta meinte, dass sie morgen gegen Mittag ins Büro kommen würde, um nach dem Rechten zu schauen.
*
Es war nach 20 Uhr, als ich zu Hause ankam. Mit einem mulmigen Gefühl schloss ich die Haustür auf. Stefanie saß im Wohnzimmer und las eine ihrer Frauenzeitschriften.
»Hallo, Stefanie, ich wollte, äh, ich will –«
Verflixt, warum musste ich gerade jetzt das Becker’sche Syndrom bekommen und rumstottern? Ich hatte ja schließlich nichts zu verbergen.
»Komm, setz dich her, Reiner. Jutta hat mich angerufen und mir alles gesagt. Du brauchst also keine Angst vor dem Nudelholz zu haben. Falls du so etwas überhaupt besitzt.«
Gott sei Dank, ich war gerettet. Jutta hatte auch ohne einen Hinweis daran gedacht. Ich nahm mir vor, mich bei meiner Kollegin angemessen zu revanchieren.
»Eins verstehe ich nicht: Ich habe sogar dein Handy geladen, warum hast du nicht angerufen?«
»Ach, du warst das mit dem Handy? Ich hatte mich schon gewundert, warum der Akku voll war. Selbstverständlich habe ich angerufen, du bist aber nicht drangegangen.«
Stefanie legte ihre Zeitschrift weg und sah mich fragend an. »Ich war heute Mittag einmal kurz im Keller an der Waschmaschine. Vielleicht habe ich das Klingeln nicht gehört?«
»Ja, ja, das war bestimmt so. Später konnte ich mich nicht mehr melden, da saß ich im Hubschrauber.«
»Okay, lassen wir das Thema. Du hast bestimmt Hunger? Ich mache dir schnell ein paar Brote. Zum Kochen ist es zu spät, außerdem bin ich mächtig müde. Die Schwangerschaft ist diesmal sehr anstrengend.«
Ich hatte verstanden. Nach dem Essen durfte ich wieder mit dem glitschigen Massageöl hantieren. Zeit genug, meiner Frau vom heutigen Tag zu erzählen und dass ich morgen früh wieder zum Dienst musste. Ihre Begeisterung hielt sich in Grenzen.
»Jetzt haben wir endlich mal ein Wochenende für uns allein und dazu ohne Kinder, und ausgerechnet dann muss so etwas passieren. Warum bist du nicht einfach Elektriker geworden?«
»Auch Elektriker haben bisweilen Schichtdienst«, antwortete ich. »Sobald wir im Lotto gewinnen, kündige ich meinen Job. Versprochen.«
»Und wer gibt für uns einen Lottoschein ab?«
*
Um 7 Uhr wütete der Wecker. Ich ließ Stefanie schlafen und machte mir ein Frühstück, wie ich es normalerweise immer zu mir nahm. Das Vollkornbrot und die anderen Sachen, die meine Frau gekauft hatte, ließ ich links liegen. Bisher hatte Stefanie mein Süßigkeitenversteck noch nicht gefunden und auch die kleine Flasche Cola, die ich im Kühlschrank ganz hinten hinter den Joghurtbechern deponiert hatte, lag noch da. Wie üblich wurde ich mit heftigem Sodbrennen belohnt. Nachdem ich mich von meiner halb schlafenden Frau verabschiedet hatte, fuhr ich nach Ludwigshafen.
Seit Monaten hing das übergroße Hinweisschild neben der B 9, um auf die Umleitung wegen des Baus der neuen Rhein-Galerie aufmerksam zu machen. ›Aufbau am Rhein‹ stand als Werbeslogan darüber. In Altrip hieß es zurzeit eher ›Abbau am Rhein‹, fiel mir ein und ich musste ironisch schmunzeln.
Der Leiter der Wasserschutzpolizei, Heinz Strommeier, erwartete mich bereits ungeduldig mit einem versteckten Blick auf seine Uhr. Seinen Kollegen, diesen Schliefensang oder wie er hieß, konnte ich nicht entdecken.
»Guten Morgen, Herr Palzki«, begrüßte er mich dennoch freundlich lächelnd. »So schnell sieht man sich wieder. Wer konnte auch damit rechnen, dass die Kiste ausgerechnet im Rhein landen wird.«
Er überreichte mir eine Rettungsweste, während er vor mir in Richtung Boot ging.
»Wissen Sie, wo wir genau hinmüssen?«
Er schaute mich über die Schulter an. »Wir haben die exakten Koordinaten, die haben Sie selbst durchgegeben. Die Filmaufnahmen, die vom Hubschrauber gemacht wurden, haben diese bestätigt. Mit unserem GPS können wir die Abwurfstelle auf wenige Meter genau orten.«
Kalte Luft strömte mir entgegen, als der Schiffsführer ablegte und den Hafen entlangbrauste. Zusammen mit Herrn Strommeier ging ich in die Kajüte. »Prima, dann wird es bestimmt nicht lange dauern, um die Kiste zu bergen. Wie bekommen wir die wieder hoch?«
»Das Hochbekommen wird nicht das Problem sein, Herr Palzki. Sobald wir dort sind, wird ein Bergungsboot mit Tauchern bei uns anlegen. Die Frage dürfte eher sein, ob wir den Behälter finden.«
»Warum denn das? Sie haben selbst gesagt, dass Sie die Stelle auf den Punkt genau festlegen können. So ein Riesending muss doch im Rhein zu finden sein, wir sind schließlich nicht auf dem offenen Meer.« Den Spruch hatte ich mir von Jutta gemerkt.
»Sie haben keine Ahnung, was sich unter Wasser abspielt. Die Kiste liegt an der tiefsten Stelle in der Fahrrinne. Das wäre noch nicht das Problem. Aber der Rhein drückt ständig unvorstellbare Mengen Kies vor sich her. Nach spätestens zwei bis drei Tagen ist die Kiste versandet. Dann finden Sie überhaupt nichts mehr. Wir haben mal einen Pkw bei Speyer gesucht, der ins Wasser gefahren wurde. Den haben wir bis heute nicht finden können, obwohl die Stelle, wo er unterging, genauestens bekannt ist. Ich möchte Ihnen keine Angst wegen der 50 Millionen machen, die Kiste liegt erst ein paar Stunden im Wasser. Trotz allem wird es kein Kinderspiel werden.«
Inzwischen fuhren wir an dem beeindruckenden Mannheimer Großkraftwerk vorbei. Gegenüber auf der pfälzischen Seite sahen wir Dächer und den Kirchturm von Altrip.
Strommeier zeigte auf die badische Seite. »Dort mündet das Becken 1 des Mannheimer Hafens. Und wenig weiter das Becken 2. Zwischen diesen Abschnitten liegt die Kiste, wir sind gleich am Ziel. Die Schifffahrt wurde für die nächsten drei Stunden gestoppt, also wundern Sie sich nicht, wenn keine Schiffe vorbeikommen.«
Ein Bergungsschiff mit einem alten, verrosteten Heckkran lag bereit. Unser Bootsführer fuhr Backbord an das Bergungsschiff und ein weiterer Beamter vertäute die beiden zu einer Einheit.
Herr Strommeier sprang mit einem beherzten Satz auf das andere Schiff. Es war nur ein guter Meter und die Höhendifferenz fast unmerklich, doch ich zögerte, ihm nachzuspringen. Durch die Wellenbewegung erschien mir der kleine Sprung alles andere als kinderleicht. Doch was sollte ich machen? Einfach stehen bleiben und abwarten? Das ging nicht, der Chef der Wasserschutzpolizei gab mir im gleichen Augenblick durch ein Winken zu verstehen, dass ich ihm folgen sollte. Gerhard würde sich totlachen, wenn er mich jetzt erleben würde, sogar mein Sohn Paul würde es amüsant finden.
»Na, was haben Sie, Herr Palzki?«, riss mich Herr Strommeier aus meinen Gedanken. »Sagen Sie bloß, Sie werden flusskrank. Das bisschen Schaukeln ist doch viel harmloser als jeder Hubschrauberflug. Kommen Sie, geben Sie mir die Hand.«
Dankbar schlug ich ein. Auf der anderen Seite angekommen, stellte er mich Markus Drexler vor. Er war der Geschäftsführer des Bergungsunternehmens, das bereits in der Vergangenheit öfter mit der Wasserschutzpolizei zusammengearbeitet hatte. Dieser Mann, Typ Reinhold Messner mit Bierbauch und den buschigsten Nasenhaaren, die ich je gesehen hatte, schaute verschämt zur Seite. Ich wusste, er war kurz davor, wegen meiner Kapriolen laut herauszulachen. Endlich sah er mich mit seinem knallroten Kopf an. Wir würden nie Freunde werden.
»Sie sind also der verantwortliche Beamte?«, brachte er mühsam gequetscht hervor, immer noch um ein Nichtlachen bemüht. Am liebsten hätte ich ihn ins Wasser gestoßen.
»Die Taucher kommen gleich aus der Kajüte und dann geht’s los. Der erste Tauchgang dient zur Orientierung, im zweiten wird dann systematisch die Fahrrinne abgesucht.«
Jetzt konnte ich endlich meine Frage loswerden, die mir seit gestern auf der Zunge lag. »Wir ankern im Moment nur wenige Meter vom Mannheimer Ufer entfernt, die Fahrrinne ist doch bestimmt in der Mitte des Rheins. Meine Vermutung ist, dass die Kiste überhaupt nicht in der Fahrrinne liegt. Im Hubschrauber hab ich’s auch deutlich gesehen, die Kiste haben wir nicht in der Mitte des Flusses abgelassen, sondern so, wie wir hier ankern, fast auf badischer Seite.«
Jetzt grölte der Reinhold-Messner-Verschnitt lauthals heraus. Er hatte ein Wahnsinnsglück, dass er mich in einem demokratischen Land kennengelernt hatte.
»Sagen Sie es ihm«, bat er den Chef der Wasserschutzpolizei. »Klären Sie die Landratte auf.«
Herr Strommeier war von einem anderen Schlag und um ein Vielfaches sympathischer. »Sie dürfen den Rhein nicht mit einer Autobahn verwechseln, Herr Palzki«, begann er seine Aufklärung. »Die Fahrrinne ist ein Bereich, in dem für die Schifffahrt eine bestimmte Wassertiefe vorgehalten wird. Und diese Rinne liegt nicht immer in der Mitte. Gerade in einer Kurve, so wie sie der Rhein hier beschreibt, wäre eine mittige Fahrrinne unpraktisch. Sehen Sie, Altrip liegt im engen Teil der Kurve, auf der Mannheimer Seite verläuft der weite Teil der Kurve. Das Wasser hat folglich an der Außenkurve einen viel weiteren Weg zurückzulegen als an der Innenseite. Können Sie mir folgen?«
So hatte ich das noch nie betrachtet. Der gute Mann hatte recht. Vom Physikunterricht ist bei mir aber noch mehr hängen geblieben. »Das würde bedeuten, dass das Wasser in der Außenkurve schneller fließt als an der Innenseite, oder?«
Herr Strommeier klatschte in die Hände. »Bravo, Sie haben es verstanden. Nicht schlecht für eine Landratte. Aber es geht noch weiter. Wenn ein Schiff talwärts fährt, möchte es möglichst schnell vorankommen. Das heißt, wenn es an der Außenkurve fahren könnte, würde es von der starken Strömung profitieren. Umgekehrt ist es bei einem Schiff, das bergwärts fährt. Es muss gegen die Strömung ankämpfen und möchte daher gerne dort fahren, wo die Strömungsgeschwindigkeit am Geringsten ist, also an der Innenseite der Kurve.«
»Dann hätten wir ja zwei Fahrrinnen«, schloss ich aus seinen Ausführungen. »In der Innenkurve für die bergwärts fahrenden und in der Außenkurve für die talwärts fahrenden Schiffe. Überkreuzen sich die Fahrrinnen, wenn die nächste Kurve in die andere Richtung geht?«
Herr Strommeier war in seinem Element. Im Hintergrund kamen zwei Taucher aus der Kajüte, die er allerdings nicht beachtete. »Sie kommen der Sache immer näher, aber ganz haben Sie es noch nicht getroffen. Es gibt fast immer nur eine Fahrrinne, die stets möglichst weit in der Außenkurve liegt, wobei die talwärts fahrenden Schiffe immer außen fahren dürfen. Daher gibt es auf dem Fluss nicht so etwas wie einen Rechtsverkehr, das wechselt je nach Kurvenlage. Mal Rechts-, mal Linksverkehr. Die Innenkurven können für die Fahrrinnen nicht gebraucht werden. Da befinden sich meistens die Buhnen.«
»Die Buhnen?«, fragte ich, während die beiden Taucher in den Rhein sprangen.
»Das sind kleine Bauwerke, die senkrecht zum Ufer in den Rhein reichen. So etwa wie Stege. Nur unter Wasser und geschlossen. Bei Niedrigwasser kann man die manchmal sehen.«
»Und für was sind die gut?«
»Da setzt sich der Kiessand ab, den der Strom mit sich reißt. Mit dieser Konstruktion bleibt die Fahrrinne länger frei.«
Ich verstand. »Jetzt ist mir klar, warum dieser Kasper gelacht hat. Wir befinden uns also tatsächlich über der Fahrrinne. Bleibt diese durch die Buhnen komplett frei von dem Kies? Dann könnte die Metallkiste ja nicht versanden.«
»Nein, so leicht macht es uns der Strom nicht. Die Fahrrinne wird regelmäßig kontrolliert, und wenn es nötig ist, wieder freigebaggert. Sobald nämlich ein etwas größerer Fremdkörper in der Rinne liegt, sammelt sich dort ruckzuck der Kies. Ich kann nur hoffen, dass wir nicht schon zu spät dran sind.«
Ein Platschen ließ uns aufhorchen. Die beiden Taucher waren wieder da. Über eine kleine Metallleiter, die am Bootsrand befestigt war, kletterten sie nach oben. Angesichts der eisigen Temperatur trugen sie dicke Taucheranzüge. Markus Drexler half ihnen, die Gesichtsmasken abzunehmen.
»Die Fahrrinne sieht sauber aus«, meinte der größere der beiden. »Die Sicht ist einigermaßen befriedigend. Im nächsten Tauchgang werden wir es definitiv schaffen, 50 Meter in beide Richtungen abzusuchen.«
Ihr Chef unterhielt sich mit seinen Tauchern in einem dermaßen komplizierten Fachchinesisch, dass ich den Sinn keines einzigen Satzes verstand. Der richtige Zeitpunkt, mich als Fachmann ein weiteres Mal einzubringen.
»Herr Drexler«, ich sprach das ›Drexler‹ so schnell und dazu pfälzisch verfärbt aus, dass es nach ›Drecksack‹ klang, »mir ist gestern im Hubschrauber der Deckel meiner Thermoskanne aus dem offenen Fenster gefallen. Meinen Sie, dass Ihre Männer danach Ausschau halten können? Es war so ein kleiner runder, ganz in Weiß.«
Herr Strommeier, der schräg hinter meinem neuen Feind stand, verkniff sich ein Grinsen.
Drexler stierte mich an und wusste nicht, ob er meinen Spruch für bare Münze nehmen sollte.
»Unser Stundensatz liegt bei 450 Euro netto«, meinte er schließlich. »Aufträge nehmen wir nur schriftlich an.«
Auf den Mund gefallen war er anscheinend nicht.
Die Taucher machten sich für den nächsten Tauchgang bereit. Diesmal nahmen sie ein beträchtliches Equipment mit nach unten.
Drexler ging in die Kajüte, als die Taucher im Wasser verschwunden waren. Das war mir nur recht, auf weitere Kommunikation mit ihm war ich nicht aus. Strommeier setzte sich auf eine Kiste und schien nachzudenken. Das würde mir auch gut tun. Besonders über den Sinn und Zweck der Erpressung. Mit enormem Aufwand und technischer Finesse wurde der Deich gesprengt und die Lösegeldübergabe abgewickelt. Und für welches Ergebnis? Schon seit gestern Abend war mir klar, dass da noch etwas nachkommen würde. Diese Schurken waren uns wenigstens einen Schritt voraus. Das Motiv, ja, das müssten wir in Erfahrung bringen. Gleich nachher würde ich mit Jutta und Gerhard darüber reden müssen.
Inzwischen hatte ich mich an das leichte Schaukeln auf dem Wasser gewöhnt. Nur ein- oder zweimal, als ein Sportboot trotz Verbot an uns vorbeiraste, spürte ich den anschließenden Wellengang im Magen und in der Speiseröhre. Ich beobachtete eine Weile den dahinfließenden Strom, bis mir langweilig wurde. Dann drehte ich mich zu Herrn Strommeier um, der in ein Taschenbuch vertieft war. Er las tatsächlich einen Krimi von Dietmar Becker. Wahrscheinlich hatte er das Buch von ihm bei seinem letzten Treffen geschenkt bekommen. Ich hatte Beckers Romane bereits gelesen und fand sie sehr wirklichkeitsfremd. Solch einen Kommissar, wie der Student ihn beschrieb, und auch die anderen skurrilen Gestalten, nein, so etwas gab’s im wirklichen Leben nicht.
»Herr Strommeier? Entschuldigen Sie bitte, ich hätte da noch eine Frage.«
Er klappte das Buch zu. »Nur zu. Es wird zwar gerade spannend, also ich meine im Buch, aber stellen Sie nur Ihre Frage.«
»Wo ist denn Ihr Kollege Schliefensang? Ich hätte vermutet, dass er sich die Suche nach der Kiste nicht entgehen lässt.«
Der Chef der Wasserschutzpolizei steckte das Buch in seine Umhängetasche. »Das wüsste ich auch zu gerne, Herr Palzki. Wir hatten fest vereinbart, dass er mitkommt. Als er nicht kam, versuchte ich, ihn telefonisch zu erreichen. Er nahm aber nicht ab. Ich kenne ihn zwar erst wenige Wochen, doch bisher war er immer sehr zuverlässig gewesen. Warten wir erstmal ab, vielleicht gibt es eine einleuchtende Erklärung.«
Meine Rettungsweste fing an, zu zwicken. Außerdem wurde es allmählich kälter, was vermutlich an dem Wind lag, der uns inzwischen deutlich stärker um die Ohren pfiff.
Strommeier griff in seine Tasche. »Das hätte ich fast vergessen, diese Liste soll ich Ihnen geben.«
Er reichte mir ein Blatt Papier, auf dem ungefähr 20 Vornamen, in der Mehrheit weibliche, standen. Hinter jedem Namen war eine Uhrzeit vermerkt.
Stirnrunzelnd fragte ich: »Ist das das Geburtsregister der letzten Nacht?«
Er scherzte. »Na ja, so viele aktuelle Modenamen stehen nicht auf dieser Liste.«
Das war mir ebenfalls aufgefallen. Walburga, Brunhilde oder Wilhelmine, wer würde heutzutage sein Kind auf diese Namen taufen?
»Seien Sie froh, dass Drexler Ihre Frage nicht gehört hat. Die Tabelle verzeichnet die Namen aller Frachter und Schiffe, die seit dem Abwurf der Metallkiste hier vorbeigekommen sind. Ihr Chef, Herr Diefenbach, bat uns, das Dokument anzufertigen. Meine Mitarbeiter haben die ganze Nacht patrouilliert und die Namen aufgeschrieben. Die meisten Schiffe werden auf weibliche Namen getauft, das soll angeblich Glück bringen.«
Ich steckte die Liste ein und hatte keine Ahnung, was KPD damit bezwecken wollte. Vielleicht vermutete er, dass einer dieser Frachter ein Mini-U-Boot an Bord hatte? Ich wusste bereits, dass dies nicht möglich war.
Die Kajütentür ging auf und Drexler kam heraus. »Sie kommen jetzt hoch«, meinte er und schaute über den Rand des Schiffes. Keine fünf Sekunden später kamen die beiden Taucher fast zeitgleich zum Vorschein. Ihr Chef ließ ein dickes Seil ab, an das sie einen Teil ihres Equipments banden. Kurz darauf standen sie an Bord und nahmen ihre Masken ab.
»Da unten ist nichts außer Kies, Chef«, sagte einer der Taucher mit einem fülligen Freddie-Mercury-Schnauzer. »Wir fanden nicht den kleinsten Hinweis auf die Kiste. Nicht einmal ein Abdruck im Kies, wo sie gelandet sein könnte. Ist es sicher, dass wir an der richtigen Stelle sind?«
»Spinn nicht herum, Joe«, fuhr ihn Drexler an. »Natürlich sind wir hier richtig. Habt ihr auch die Ränder abgesucht?«
»Klar doch, Chef«, antwortete der Kleinere und Schmächtigere, der keinen Schnauzer trug. »Wir haben sogar neben der Fahrrinne nachgeschaut. Da ist wirklich nichts. Es gibt auch keinen Hinweis, wo diese verdammte Kiste versandet sein könnte.«
Markus Drexler schaute erst Strommeier, dann mir in die Augen. »Sie haben es gehört, der Rhein hat einen neuen Nibelungenschatz. Wenn Sie nicht aufpassen, werden bald die ersten Schatzsucher hier sein.«
Strommeier besprach sich noch ein paar Minuten mit Drexler, bevor er das Polizeiboot losband und seinem Bootsführer ein Zeichen gab, zurückzufahren. Nachdenklich schaute ich vom Heck des Bootes zurück zu dem kleiner werdenden Bergungsschiff. Ich hatte ein komisches Gefühl in der Magengegend, das ich nicht deuten konnte und höchstwahrscheinlich nichts mit dem Wellengang zu tun hatte.
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