Kitabı oku: «Der leise Ruf des Schmetterlings», sayfa 3
Auch an diesem Abend war das Lokal voll und David erkannte das Mädchen von damals schon von Weitem. Sie hatte sich kaum verändert. Alles schien so zu sein wie vor vielen Jahren. Manuelle kämpfte sich zur Bar durch und wollte gerade eine Flasche Wein bestellen, als David ihm zurief, dass er lieber ein Gingerale mit viel Eis haben wolle. Der verwunderte Blick seines Freundes war ihm nicht entgangen. Sie nahmen sich ihre Getränke und versuchten, eine Ecke zu finden, wo sie ein bisschen mehr Platz hatten. Sie kämpften sich durch das Lokal nach draußen und dann weiter bis ans Ende der Piazza. Dorthin, wo die Blumen- und Zeitungsverkäufer standen. Sie waren froh, dem ganzen Trubel für einen Moment entkommen zu sein. Es war immer noch ziemlich heiß. Sie setzten sich auf eine Treppe des Brunnens und holten erst einmal tief Luft. Sie beobachteten das Treiben auf der Piazza vor ihnen, die Menschen, die an ihnen vorbeiliefen, und saßen schweigend da. David konnte fühlen, wie sehr auch Manuelle diesen Augenblick genoss, einfach nur dazusitzen und nicht zu sprechen. Vielleicht waren es die Bilder vergangener Zeiten, die durch die Köpfe der beiden Freunde gingen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit beendete Manuelle das Schweigen: »Weißt du, ich habe heute Abend mit allem gerechnet, nur nicht mit dir. Ich habe versucht, dich zu kontaktieren, hatte aber kein Glück. Ich habe es lange versucht«, sagte Manuelle. »Das hat sich wohl von selbst erledigt«, erwiderte David. »An der Verbindungsgeschwindigkeit des Universums müssen wir allerdings noch ein bisschen feilen«, meinte Manuelle. Die beiden lachten und nahmen erst einmal einen großen Schluck.
»Für mich ist heute so ein wichtiger Tag, denn mein Wunsch, in Rom mein eigenes Haus zu besitzen, ist in Erfüllung gegangen. Zusammen mit einem Mann, den ich schätze und liebe. Ich kann jetzt so leben, wie ich es mir immer gewünscht habe. Oh Mann, wenn ich daran denke, wie groß meine Zweifel und Ängste waren. Um ein Haar wäre mein Leben so verlaufen wie das vieler anderer unglücklicher Menschen in dieser Stadt. Ich hätte das Leben anderer gelebt und nicht meines. Was für ein Glück. Das habe ich alles dir zu verdanken.«
»Nein, mein Freund, das hast du dir selbst zu verdanken. Du hast deinen Entschluss gefasst und hast dich von deinem Traum nicht abbringen lassen. Mit viel Kraft und Willen hast du es geschafft. Ja! Du hast es geschafft und ich bin wirklich sehr stolz auf dich. Du hast einen harten Weg hinter dir, das ahne ich. Ich habe großen Respekt vor dir, mein Freund. In den zwölf Jahren hast du viel erreicht. Du bist dir treu geblieben. Das ist wundervoll. Du bist nur meinem Rat gefolgt und hast in dich hineingehört. Ich wusste, dass du irgendwann deine innere Stimme hören kannst und ihr folgst. Die Wahrheit war schon immer in dir. Du hast sie nur nicht hören können.«
Es kam David so vor, als würde es Manuelle verlegen machen, aber dann hob er das Glas, schaute ihn an und sagte: »Danke, David!« »Wofür?«, fragte der. »Dass du so plötzlich aufgetaucht bist. Das erste Mal vor zwölf Jahren und heute wieder. An diesem besonderen Tag.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist wirklich unglaublich, oder?« »Ich freue mich auch«, sagte David. »Da müssen wir uns wohl bei dem da oben bedanken.
Dass du die Vespa behalten hast, zeigt auch, dass du nicht vergessen hast, woher du kommst. Darüber freue ich mich.« »Was ist mit dir«, fragte Manuelle. »Mit mir? Ich bin noch genauso chaotisch wie früher. Schreibe Bücher, reise durch die Welt. Alles beim Alten«, antwortete David. Er wollte vom Thema ablenken. Was ihm aber nicht gelang, Manuelle schaute ihn an. »Nein, das glaube ich dir nicht. Ich kann sehen, dass du viel hinter dir hast, wenn ich dir das so sagen darf. Du siehst aus, als hätte dich das Leben ziemlich durchgebeutelt, wenn ich ehrlich bin. Davon abgesehen kann ich mich nicht daran erinnern, dass du jemals ein Gingerale getrunken und dafür einen guten Rotwein verschmäht hast.«
Tausend Dinge gingen durch Davids Kopf. Wieder schwiegen sie, inmitten von Hunderten von Menschen, die das Leben vor ihnen feierten, Musik, die aus allen Ecken zu den beiden drang in dieser Sommernacht. David beobachtete das fröhliche Treiben. Es kam ihm vor wie in einem Film, der in Zeitlupe vor seinen Augen ablief. Er suchte nach den richtigen Worten. Es fühlte sich an wie ein Traum, in dem er gefangen war. Er konnte alles sehen und hören, jedoch nicht eingreifen. Sie hörten und sahen ihn nicht.
»Was ist los?«, fragte Manuelle seinen Freund und legte den Arm um ihn. David fühlte sich ertappt und wiegelte einfach ab. »Ich musste an alte Zeiten denken. Die Zeit ist so schnell vergangen und ich habe gerade das Gefühl, als wäre es erst gestern gewesen, dass wir hier saßen. Es war eine gute Zeit. Was soll ich dir sagen. Es ist eine Menge passiert in dieser Zeit.«
Vielleicht sollte er es abtun und sagen: »Alles super.« Aber es war sein Freund, den er lange nicht gesehen und hier unerwartet getroffen hatte. Der Tag, an dem sein Freund sich gewünscht hatte, dass er hier wäre, mit ihm zu feiern. Und das Universum hatte es so eingerichtet, dass sie sich genau an diesem Tag heute auch trafen.
David nahm einen Schluck aus seinem Glas und sah ihn an. Seine Augen strahlten und sein Lächeln war wundervoll. Er lachte: »Weißt du, mein Freund, in diesen zwölf Jahren ist so viel passiert, dass diese Nacht nicht ausreichen würde, um dir das alles zu erzählen. Außerdem ist es dein Abend.« Davids Miene wurde wieder etwas nachdenklich. Er legte seinen Arm um Manuelle. »Dass wir hier sitzen ist ein Geschenk, weißt du das?« Manuelle lachte und nickte mit dem Kopf. »Aber geht es dir gut? Was machst du in Rom und wie lange bleibst du?«, fragte er.
»Ich bin hier, um ein Buch zu schreiben.« Davids Gesicht erhellte sich wieder. »Was für ein Buch?«, fragte Manuelle. »Einen Roman, der hier in Rom spielt.« »Das ist ja wunderbar. David, der Schriftsteller!« Die Blicke der beiden schweiften über die Piazza.
»Was hast du für Träume, David?«, fragt er nach einer Pause. »Wir haben heute nur von meinen gesprochen. Na los, verrate sie mir, bitte!«, bat Manuelle.
»Weißt du, mein Freund«, sagte der und schaute ihm dabei in die Augen. »Seitdem ich vor zwölf Jahren die Stadt verließ, hatte ich viele Träume. Damals hatte ich das Gefühl, als läge mir die Welt zu Füßen. Es war eine wirklich wunderbare Zeit, nicht wahr?« Manuelle nickte. »Ja, das war sie.« »Ich bin viel gereist, habe Unglaubliches gesehen und erlebt. Die Welt ist für mich ein wenig kleiner geworden, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben.« David schossen viele Bilder durch den Kopf. »Die Träume, die ich damals hatte, sind wahr geworden. Nicht alle, aber doch einige.«
Dann zögerte er ein wenig, er dachte auch an eine sehr dunkle Zeit in seinem Leben, wo er aufgehört hatte zu träumen. Eine Zeit, in der seine Seele zu zerbrechen drohte. Davids Leben stand auf Messers Schneide. David überlegte, ob er dieses Kapitel seines Lebens seinem Freund erzählen sollte. Er hatte sich vorgenommen, nur noch nach vorn zu schauen und dankbar zu sein für den Augenblick und die zweite Chance, die er geschenkt bekommen hatte. Er hatte noch nie mit jemandem darüber gesprochen. Er hatte die Reaktionen seiner Mitmenschen akzeptiert. Das schon. Schweigen und Missverständnisse waren die Reaktionen. Doch keiner hatte ihn jemals gefragt, wie es ihm wirklich ging.
Manuelle rempelte David von der Seite an: »Hey, was ist los, erzähl weiter!« David lachte etwas unwirklich: »Es waren viele! Ja, viele Träume sind in Erfüllung gegangen, doch manchmal habe ich mich auch ziemlich blöd angestellt und musste wieder von vorn anfangen. Ich habe leider aus meinen Träumen nicht so viel gemacht wie du, mein Freund.«
Manuelle lachte. »Auch den Traum von Frau und Kind?«, fragte er. »Ja! Auch den habe ich wiederholt.« »David, du bist wirklich verrückt.« »Manche Dinge wiederholt man eben so lange, bis man kapiert hat, dass sie so nicht funktionieren. Ich schätze, das ist ein kosmisches Gesetz.« »Du hast recht! Das muss es sein, ein kosmisches Gesetz.«
»So wie du schon immer ein schlechter Gastgeber warst. Deine Gäste warten bestimmt auf dich und Steve musst du von Stella befreien.« Manuelle erschrak: »Ach du lieber Gott, ich habe die Zeit vergessen. Du bist mir nicht böse, dass ich jetzt gehe?« »Nein, natürlich nicht. Ich danke dir für deine Zeit.« Die beiden Freunde umarmten sich zum Abschied und Manuelle meinte: »David, versuche nicht wieder, einfach abzuhauen, okay?« David lachte und nickte. »Ich versuche es!«
Damit war Manuelle noch nicht zufrieden. »Bist du wegen deines Buches hier nach Rom gekommen?« »Ja, unter anderem. Ich suche den Fluss.« »Welchen meinst du?« »Den Fluss des Lebens.« Manuelle überlegte einen Augenblick, was David wohl damit meinen könnte. Dann hob er beide Arme hoch und drehte sich einmal um sich selbst, dabei blickte er in den Himmel und lachte laut. »Da bist du ja hier genau richtig, mein Freund! Komm bitte die Tage bei uns vorbei, ja?« »Na klar«, erwiderte David. Dann verschwand Manuelle in der Masse der Menschen auf der Piazza.
David schaute ihm noch einen Moment lang hinterher und sagte zu sich selbst: ›Ja, du hast recht. Hier ist der Fluss des Lebens.‹ Er blickte in den Himmel und bedankte sich für diesen Augenblick. Er spürte in dem Moment ein Stück Glückseligkeit. ›Zufriedenheit und Stille ist in mir. Wundervoll.‹ David war glücklich.
Das Einzige, was diesen Moment noch perfekter gemacht hätte, wäre, wenn seine Kinder jetzt bei ihm wären. Er liebte seine Kinder so sehr und auch wenn er nie so für sie da sein konnte, wie er es sich gewünscht hätte, so beschenkten sie ihn mit so viel Liebe. Diese Liebe hatte ihn am Leben gehalten in den Zeiten, als er nicht mehr an das Gute im Leben geglaubt hatte. So war er sich der Liebe seiner Kinder sicher und er wusste, dass es nichts Schöneres gab.
David saß da, inmitten dieser vielen Menschen, blickte in den Sternenhimmel und spürte so viel Glück und Dankbarkeit, dass er sich fragte, warum sein eigener Vater diese Liebe von seinen Kindern nie zugelassen hatte. Dieser Gedanke machte ihn wieder ratlos und so machte er sich auf den Heimweg. Kurz bevor er in die Vicollo del Gallo einbog, blieb er noch einen kurzen Augenblick bei den Blumenverkäufern am Ende der Piazza stehen und genoss den Duft der frischen Blumen.
Ein Schmetterling

»›Hier schlägt das Herz eines Schmetterlings‹, dachte David.«
Hinter den Blumen war ein kleines Karussell aufgebaut. Es war schon sehr alt und die Musik, die zu ihm herüberdrang, klang so, als käme sie von einem alten Plattenspieler im Inneren des Karussells. Die alte Platte knarzte und stolperte vor sich hin. Die Melodie hörte sich an wie aus einem Film von Ennio Morricone und passte perfekt in die Kulisse hier. Ennio Morricone! Ja, das war er! Die Musik stammte aus dem Film Es war einmal in Amerika. Ein Lieblingsfilm von David. Der Film erzählte die Geschichte von fünf Jungen. Wie so viele kamen sie Anfang des 19. Jahrhunderts mit dem Schiff nach New York. Sie hatten nichts, außer ein paar Habseligkeiten und einen großen Traum von einem besseren Leben in der neuen Welt Amerika. Doch das Leben war hart, besonders für Jungs, die ohne Eltern nach New York gekommen waren. Also schlossen sie sich zu einer Gang zusammen und kämpften sich in den Straßen von Manhattan durchs Leben. Der Film war für ihn so wundervoll, weil er die Geschichte von Freundschaft erzählte, dem Leben und einer großen Liebe, die das ganze Leben andauerte, aber nicht sein durfte. Eine wunderschöne und tragische Geschichte. Ein Meisterwerk von Sergio Leone. Als er an den Film dachte, musste er an Alessia denken, und dieser Gedanke versetzte ihm einen Stich ins Herz. ›Was war wohl aus ihrem Leben geworden?‹, fragte er sich.
David war so fasziniert von der Musik, dass der Blumenverkäufer schon aufgehört hatte, ihm ein paar Blumen verkaufen zu wollen. Er wunderte sich nur, was ihn an diesem alten Kasten, der ihm sichtlich auf die Nerven ging, so fesselte. »Ma rompere le scatulle, questa merda di…«, schimpfte er. Was das bedeutete, ist schwer zu übersetzen. Es bedeutete auf jeden Fall nichts Gutes. David hingegen war ganz hypnotisiert von der Musik und antwortete nur: »Nein, das ist wundervoll. Das ist Musik von Ennio Morricone! Und das Karussell ist wie das Leben.« Der Blumenverkäufer schaute ihn erstaunt an. Vielleicht hielt er David für einen Touristen, der kein Italienisch verstand.
»Das Karussell des Lebens dreht sich immer weiter. Manchmal wird dir etwas schwindelig und du hast das Gefühl, es geht alles zu schnell, manchmal geht es zu langsam und du willst aussteigen, vielleicht schreist du auch mal Stopp! Aber es fährt und fährt immer weiter. Es kommen Leute dazu und fahren ein Stück mit, andere steigen wieder ab, doch das Karussell dreht sich immer weiter. Ist dir schon einmal aufgefallen, dass es sich immer in dieselbe Richtung dreht? Es hält nicht einfach mal an und fährt in eine andere Richtung. Nein, es fährt immer in die gleiche Richtung. Der Wind des Lebens kommt immer von vorn. Du hältst also deine Nase immer in den Wind. Und Ennio Morricone komponierte den Soundtrack zu deinem Leben. Das ist doch wundervoll«, sagte David und lachte.
Der Blumenverkäufer starrte ihn etwas irritiert an und fragte: »C’è un piccolo filosofo, eh? In un punto hai ragione, un po ’di vento fresco non poteva fare del male.« Was so viel hieß wie: »Du bist wohl ein kleiner Philosoph, was? In einem Punkt hast du allerdings recht, ein bisschen frischer Wind könnte wirklich nicht schaden!«
Da hörte David eine Stimme neben sich, die ihm irgendwie vertraut vorkam, doch er wusste nicht woher. Die Fremde neben ihm zeigte mit dem Finger auf das Karussell und sagte: »Als Kind bin ich oft mit dem kleinen Karussell gefahren. Natürlich in der Kutsche der Königin.« Sie lachte, dabei strahlten ihre Augen.
David drehte sich um und stand vor ihr. Ihr bezauberndes Lächeln ging David durch Mark und Bein. ›Wie hübsch sie ist‹, dachte er. Ihre zahlreichen Sommersprossen strahlten auf der hellen Haut wie Sterne, die am helllichten Tag leuchten. Ihre Haut war ganz weiß. Das Haar glänzte rötlich und war schulterlang. Ihre Statur war klein und zierlich. Das Kleid, das sie trug, war leicht und schmiegte sich an ihren schmalen Körper. Ihre Sommersandalen trug sie in der rechten Hand. Barfuß lief sie durch die Nacht.
Sie schaute ihm in die Augen und plötzlich veränderte sich ihr Blick. Wurde fragend und leicht irritiert. Sie lächelte und David hatte das Gefühl, als würde sie ihn kennen, doch das war völlig unmöglich. Sie näherte sich Davids Gesicht, stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte ihm ins Ohr. »Die Blumen sind zwar schön, aber die halten nicht so lange. Die kommen aus Holland. Die würde ich an deiner Stelle nicht kaufen. Es gibt einen Ort, da gibt es die schönsten Blumen in ganz Rom.« Der Blumenverkäufer schaute schon ziemlich mürrisch, als David verschmitzt lächelte.
Er blickte in die Augen dieses so zauberhaften Wesens und brachte kein Wort heraus. Auch sie schaute ihn an und es kam ihm so vor, als würde die Zeit stehen bleiben. »Du meinst also, ich sollte die nicht kaufen?« Sie lächelte verschwörerisch und schüttelte den Kopf. »Aber ich mag ihren Duft«, sagte er. »Es gibt Düfte von Blumen, die wirst du nicht mehr aus deinem Gedächtnis bekommen, wenn du sie einmal gerochen hast«, raunte sie. »Na, dann sollten wir aber schnell von hier verschwinden«, sagte er.
Sie schenkte David wieder dieses bezaubernde Lächeln, legte ihren Kopf zur Seite und während sie überlegte, fragte sie: »Willst du ihn sehen?« »Du meinst den Ort mit den schönsten Blumen in ganz Rom?« Sie nickte und lachte: »Wenn du willst, zeige ich ihn dir.« »Um diese Uhrzeit?«, fragte er zögernd. Doch schon hatte sie seine Hand genommen und zog ihn in die Menge von Menschen und Motorinis, vorbei an den Carabinieri. David kam es vor, als würden sie fliegen. In Zeitlupe.
Lachende, tanzende und singende Menschen flogen an ihnen vorbei, Menschen, die sich wünschten, diese Nacht würde nie zu Ende gehen. Und sie beide mittendrin. Fest hielt sie seine Hand und lief schwebend durch die Menge, wie ein Schmetterling sah sie aus. Das Kleid formte sich beim Laufen wie zwei Flügel. So unwirklich kam ihm das alles vor. Sie bogen in eine Straße ein, die von der Piazza wegführte.
Dann blieb sie plötzlich stehen und drehte sich lachend um. Ihre Sommersprossen strahlten: »Puh! Wir haben es geschafft. Bevor wir aber weitergehen, musst du mir deinen Namen verraten. Du siehst nicht nach einem Italiener aus, das ist schon mal sicher.« David lachte. »Wenn ich dich so ansehe, hast du bestimmt so einen Namen wie Paul oder so. Nein, warte, Steve?« David schüttelte den Kopf. »Ich sage ihn dir, David heiße ich.« »Bist du Amerikaner?« Er nickte. »Ist auch okay!« Sie hielt sich an ihm fest und zog sich ihre Sandalen wieder an.
Dann ging sie weiter. »Na los, David, es ist nicht mehr weit.« »Aber du hast mir ja deinen Namen nicht verraten?« Sie drehte sich um und lachte. »Den verrate ich dir später. Vielleicht kannst du ihn ja auch spüren?« Meinte sie mit spüren vielleicht erinnern? Kannten sie sich schon? David überlegte den ganzen Weg, bis sie sich wieder umdrehte und stehen blieb. Sie sagte nichts und stand einfach nur da, in ihrem weißen Kleid und ihren roten Haaren. Die blauen Augen glitzerten in der Nacht und ihre helle Haut strahlte.
»Weißt du«, sagte David nun, »gerade als wir über die Piazza gelaufen sind, da hast du ausgesehen wie ein Schmetterling!« Sie lachte: »David, ich bin ein Schmetterling! Mir fehlen nur die Flügel, und wenn ich welche hätte, dann würde ich ganz weit nach oben fliegen. Ich habe sie schon in meinen Gedanken, ich bekomme sie da bloß nicht raus! Das ist wirklich sehr schade, weißt du, denn sonst könnte ich ganz verrückte Sachen machen.« »Jetzt weiß ich auch, warum du keinen Namen hast, du bist ein Schmetterling.« Sie musste lachen und sagte: »Ja, genau. Aber was wir brauchen, sind Blumen! Und hier sind die schönsten Blumen, die du jemals gesehen hast.«
Hinter ihr war ein kleiner Laden, außen ganz weiß. Die Auslage des Ladens war so bunt wie eine Sommerwiese. Wie ein kleiner Puppenladen sah er aus. Sie schloss die kleine Tür auf und sagte: »Nun komm schon, das ist mein Laden. Pass mit deinem Kopf auf, die Männer stoßen sich hier jedes Mal den Kopf. Allerdings kommen nicht viele Männer hierher.«
David bückte sich und folgte dem Schmetterling ohne Namen. Sie machte ein paar Lichter an. Der Duft in diesem Laden war so überwältigend, dass es David die Sprache verschlug. Als sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten, sah er ein kleines Universum an Sträußen und Blumen, Kerzen und Bildern mit philosophischen Texten an der Wand. Alles war mit so viel Liebe gemacht. ›Hier schlägt das Herz eines Schmetterlings‹, dachte David.
»Du hast recht, es sind die schönsten Blumen, die ich je gesehen habe.« Der Geruch in diesem kleinen Laden fühlte sich für ihn an, als würde er auf einer Blumenwiese stehen. Er war in einer anderen Welt, in ihrer Welt.
»Gefällt es dir hier?«, fragte sie. Er drehte sich einmal um sich selbst, überwältigt von dem Geruch, den Farben und der Liebe zum Detail! Alles stand genau an seinem richtigen Platz. ›Wie sie dasteht in ihrem Kleid und mit ihren roten Haaren, passt sie genau in dieses Bild‹, dachte David. ›So fröhlich, schön und leicht.‹ Sie stand in der Mitte des Raumes, so zierlich und klein.
»Ja, du bist wirklich ein Schmetterling«, sagte er. »Und das ist deine Welt. Ich muss dir sagen, ich habe noch nie so etwas Schönes gesehen. Meine Sinne schlagen Purzelbäume!« Als er das sagte, versagte seine Stimme etwas.
Sie schaute David an und überlegte. »Was meinst du jetzt? Meinen kleinen Laden, die Blumen oder mich?« »Dieses ganze Universum, das du hier geschaffen hast.« Er holte tief Luft. Sie kam ihm näher, schaute zu ihm hoch und lächelte: »David, ich glaube …«, Pause, sie blickte in seine Augen … »ja, ich glaube, du bist schüchtern! Das gefällt mir! Weil ich genauso bin.« Sie drehte sich um, nahm eine Blume aus einem der vielen Töpfe, drückte sie ihm in die Hand und schubste ihn langsam in Richtung Tür: »Buona notte, straniero.« Dabei lächelte sie. »Laura ist mein Name.« Dann schloss sie die Tür und David stand davor. »Straniero« heißt Fremder. Merkwürdigerweise fühlte er sich nicht so. Sie war ihm nicht fremd. Sie war eine vertraute Fremde. Es war das Gefühl, ihr schon einmal begegnet zu sein. Vielleicht in einem anderen Leben, zu einer anderen Zeit.
Die kleine rote Sonne
Viele Menschen mochten Laura für ein kleines graues Mauerblümchen halten. Sie war wie unsichtbar, so kam es David vor. Vielleicht existierte sie nur in seiner Vorstellung? Nein, das konnte nicht sein, denn ihr Wesen war so zerbrechlich und leicht, doch für ein paar wenige war sie vielleicht der kleine Engel, mit ihrer blassen Haut, ihrem schmalen Körper und den roten Haaren. Die vielen Sommersprossen in ihrem zarten Gesicht mochte sie selbst nicht besonders, wenn sie sich morgens im Spiegel ansah. Aber auch damit bezauberte sie die Menschen, die in ihren Laden kamen.
Sie war etwas ganz Besonderes, auch wenn sie selbst das nie bemerkt hatte, und es hatte ihr auch noch nie jemand gesagt. Niemand bemerkte sie, wenn sie durch die kleinen Gassen von Rom lief. Manchmal kam es ihr so vor, als würde die Stadt diese kleine »rote Sonne«, wie ihr Vater sie immer nannte, verschlucken. So eine große hektische Stadt mit so vielen Menschen und Straßen und dann diese verträumte Seele. Ja, das war sie. Sie lebte in ihren Tagträumen und war deshalb nie wirklich allein. Diese Begegnung war so ein Tagtraum. Einer von vielen.
Manch einer empfand sie als »sonderbar« oder vielleicht ein bisschen verrückt. Aber wer Träume hat, dem gehört das Universum, hatte ihr Vater immer zu ihr gesagt, wenn sie auf seinem Schoß saß. »Und das Universum ist unendlich, also bist du unendlich reich und hast die Kraft, alles zu erreichen, was immer du dir auch wünschst.« Sie wünschte sich manchmal, dass ihr Vater wieder zu ihr zurückkäme. Obwohl sie wusste, dass er jetzt dort war, wo die Sterne sind, kam ihr das manchmal unendlich weit weg vor. Ab und zu träumte sie sich zu ihm hin oder träumte davon, dass sie Engelsflügel hätte, mit denen sie fliegen könnte, übers Meer fliegen. Dann gab es Nächte, da strahlte der Himmel so hell, dass er ihr etwas erzählen wollte, glaubte sie.
Ihr kleiner Laden war so bunt wie die Kleider, die sie meistens trug. Die Menschen, die ihren kleinen »Glücksladen« besuchten, waren ganz unterschiedlich. Viele waren glücklich verliebt und kauften Rosen oder Lilien und andere kauften große Sträuße. Das waren oft Männer mit einem schlechten Gewissen, die versuchten, etwas wiedergutzumachen, so glaubte sie. Sie sah das an deren Gesichtern. Traurige Menschen kamen auch zu ihr. Sie bestellten Kränze und trugen meistens schwarze Kleidung, wenn sie ihren Laden betraten. Aber auch die verließen ihren Laden mit einem kleinen Funken Zuversicht, wenn sie sahen, mit wie viel Liebe Laura die Blumen zusammenstellte. Wie eine klassische Symphonie.
Für Laura hörte sich das so an, wenn sie in ihre Arbeit vertieft war, denn die Blumen sangen. Laura konnte sie hören. »Alles, was uns umgibt, besteht aus Energie und hat seine eigene Frequenz«, so hatte sie es von ihrem Vater gelernt. Er hatte ihr so viel beigebracht. »Deshalb ziehen sich Dinge an oder stoßen sich ab. Bei den Menschen ist es aber anders, denn Reflexion zweier Menschen reflektiert sich. Wir kennen das Gefühl der Liebe, seit wir das Licht der Welt erblickt haben. Doch wir haben es schon lange vergessen. Wir suchen immer die Liebe bei jemand anderem, doch die Liebe steckt in uns. Der andere reflektiert nur die Liebe zu uns selbst. Wenn wir uns daran wieder erinnern, dann können wir wieder glücklich sein. Wir sind dann in der Lage, Liebe und Zufriedenheit zu geben, in der Lage, keine Angst mehr zu haben, verlassen zu werden oder zu kontrollieren. Weder Angst vor der Einsamkeit zu haben noch sich an jemanden zu klammern. Zu fordern. Angst zu haben oder zu lügen. Wir müssen uns nur erinnern, wie großartig und schön wir sind. Lasst uns das reflektieren. Dann werden wir das Glück finden.« Das wird kommen, daran glaubte Laura ganz fest.
Aber es gab auch Menschen, die Blumen nur für sich selbst kauften. Weil sie schöne Dinge liebten. Das waren oft alleinstehende Frauen, die nicht aufgegeben hatten, an das Gute und Schöne im Leben zu glauben. Das waren Menschen, die sich ihr eigenes Leben »glücklich machten«, unabhängig von anderen. Wenn es eben niemanden gab, der dieselbe Melodie singt, dann ging das auch sehr gut ohne. Wer sagte denn überhaupt, dass man dabei unglücklich sein muss? Niemand! So machte sich eben auch Laura ihr Leben schön und ein bisschen glücklich. Sie hatte sich ihren Traum erfüllt. Sie fühlte das Glück in sich. So nahm sie jeden Abend Blumen mit nach Hause. Das waren meistens welche, die keiner mehr kaufen würde, weil sie schon ein bisschen verwelkt waren. Sie bekamen dann einen besonderen Platz in ihrer kleinen Wohnung in der Via Sant’Agnese, einer Seitengasse der Piazza Navona.
Die Wohnung hatte zwei kleine Zimmer zur Straße hinaus und eine kleine Küche. Nichts Besonderes, aber es passte zu ihr. Das würde sie jedem sagen, der sie besuchte. Doch bis jetzt hatte sie keiner besucht. Das war aber nicht weiter schlimm. Sie würde auch nicht jeden zu sich einladen. Nein, das würde sie niemals machen. Nicht weil die Wohnung so klein war, sondern weil Laura eben so war. Liebevoll und bescheiden.
Morgens weckte sie der Geruch von frischem Brot aus der Bäckerei unter ihr. Gianna war die fleißige Bäckerin mit ein paar Kilo zu viel auf den Rippen, aber einem Herz so groß wie ihr Ofen, in dem sie das Brot buk. Morgens ganz früh, wenn Gianna schon vom Mehl eingestaubt in der Bäckerei stand, bis zu der Zeit, kurz bevor die Sterne verschwanden und die Sonne langsam über der Stadt aufging. Bevor das hektische Treiben der Stadt seinen Anfang nahm. Die Straßen und Gassen noch ruhig waren und das Zischen der Kaffeemaschinen in den kleine Bars noch zu hören war.
Gianna mochte Laura und freute sich immer über den Besuch am frühen Morgen, bevor diese zum Markt ging, um ihre frischen Blumen zu kaufen.
Laura musste oft an eine Geschichte ihres Vaters denken, wenn Gianna sich wieder mal beklagte, wie gern sie doch alles hinschmeißen würde, ihr die Arbeit über den Kopf wuchs und ihre Gelenke schon wehtaten. Gianna hatte die Bäckerei von ihrem Vater übernommen und war hier aufgewachsen – zwischen Brot, Kuchen, Kaffee und Croissants mit Zuckerguss, Hörnchen mit Vanillefüllung.
Lauras Vater hatte ihr oft die Geschichte des Elefanten erzählt, der an einem kleinen Pflock gefesselt war und der dachte, es nie zu schaffen, sich zu befreien, weil er es von klein auf versucht hatte, es aber nie geschafft hatte. Er wurde älter und immer stärker und der Pflock blieb immer so klein, doch er glaubte nicht mehr, dass er sich befreien könnte. Das war Gianna für sie. Sie könnte sich befreien, doch sie wusste nicht wie. Vielleicht wollte sie es ja auch nicht. Wer wusste das schon. Sie hatte es wohl auch noch nie versucht.
Laura liebte die Nächte. Sie schnappte sich eine Decke und kletterte auf das Dach des alten Hauses. Von hier oben hatte man einen unglaublichen Ausblick auf die Stadt und die Sterne.
Ihr Vater liebte es, in die Sterne zu gucken, genau wie Laura. Allerdings schaute er von Berufs wegen in den Himmel. Er war Astronom und Professor an der Universität in Rom, bevor er starb.
Von hier oben konnte man die Stadt spüren, wie sie pulsierte, und sich vorstellen, was alles in einer Nacht in dieser Stadt passieren kann. Alle diese Menschen, ihre Geschichten, Träume und Hoffnungen. Wo waren wohl ihre Blumen gelandet, die sie heute verkauft hatte?
Sie musste an Signor Martinelli denken, der heute in ihren Laden kam. Ein sehr eleganter, älterer Herr. Er kam immer zur selben Zeit, samstags gegen 9.30 Uhr. Er kaufte ein paar weiße Lilien mit einer roten Rose und etwas Grün. Es musste sich um eine große Liebe handeln, das sprach für die weiße Lilie. Die Rose stand für die Sehnsucht. ›Vielleicht ist sie gestorben‹, dachte Laura, denn sein Lächeln war zufrieden, nur seine Augen etwas traurig.
Er war alleinstehend, da war sich Laura ziemlich sicher. Die Tasche, die er vom Markt mitbrachte, war mit frischem Gemüse und Kräutern gefüllt, die für eine Person ausreichten. ›Signor Martinelli war also ein Mann, der die guten Dinge schätzte‹, dachte sie. Er aß gern und hatte seine Rituale, was darauf schließen ließ, dass er allein lebte und jeden Samstag die Blumen irgendwohin brachte. Vielleicht für sich selbst? Wohl kaum. Da würde er sich sicher für etwas anderes entscheiden. Lilien kaufte man für einen ganz besonderen Menschen. Er kleidete sich sehr speziell, zurückhaltend klassisch, und verwendete einen Duft, der zu ihm passte. Die Hände waren gepflegt und auch die Schuhe, passend zum Anzug. Er trug immer eine Zeitung in der Hand. Kaffee trinken auf der Piazza nach dem Einkauf und die Zeitung lesen, ja, das würde zu ihm passen. Laura konnte sein Alter schwer schätzen.
Sie würde am liebsten ans Meer fahren und auf der Harfe des Universums spielen, so wie ihr Vater ihr das erzählt hatte. Morgens lässt man die Steine bei ganz glattem Wasser über das Meer flitschen. So spielt man auf der Harfe des Universums, denn das Meer ist die Harfe des Universums.
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