Kitabı oku: «Love and Crime», sayfa 4
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„Harley?“, höre ich die laute und aufgebrachte Stimme meines Vaters aus dem Wohnzimmer nach mir rufen.
Ich bleibe auf der obersten Treppenstufe noch stehen und betrachte das Chaos, dass der Einbrecher hinterlassen hat. Türen stehen offen, die Schubladen der Schränke, die sich im Flur befinden, sind aufgerissen und der Inhalt wurde überall auf dem Boden verteilt. Sogar die Bilderrahmen liegen auf dem Boden. Ich bin zwar noch nicht von der obersten Treppenstufe weggekommen und habe deswegen zwar noch nicht in die Zimmer kontrollieren können, allerdings bin ich mir sicher, dass es da genauso aussieht.
„Hier bin ich.“ Ich versuche so normal wie möglich zu klingen. Die Wut hat mich mittlerweile fest im Griff und die konnte ich in der Vergangenheit auch schon nur schwer für mich behalten.
Es dauert, doch schließlich höre ich Schritte hinter mir auf der Treppe. Ich brauche nicht nachzuschauen, um zu wissen, dass es mein Vater ist, der da hinter mir stehen bleibt. Zum einen gibt es sonst keinen, der hier auftauchen sollte und zum anderen schlurft er immer über den Boden, sodass man ihn daran sofort erkennen kann.
„Oh Mann“, seufzt er, nachdem er stehen geblieben ist. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er sich über den Nacken fährt und verzieht das Gesicht, als würde er Kopfschmerzen bekommen. Nach den letzten Stunden kann ich das Gefühl aber sehr gut nachvollziehen. Mir geht es nicht anders.
„Ich glaube, heute ist nicht unser Tag“, erkläre ich und sehe ihn kurz an, bevor ich mich wieder dem Chaos zuwende.
„Ich bin nur froh, dass euch nichts passiert ist.“ Mit diesen Worten umarmt er mich kurz und lächelt mich an. „Geh am besten zu den anderen und lasst euch den Abend nicht versauen. Ich rufe die Kollegen an. Sobald wir eure Aussagen brauchen, werde ich dich holen.“ Er macht einen Schritt zur Seite, sodass ich nach unten gehen kann.
Ohne ein weiteres Wort von mir zu geben, verschwinde ich. Ich bin so in meine Gedanken vertieft, dass ich mit Katie zusammenstoße, als ich das Wohnzimmer durchquere.
„Kannst du mir vielleicht mal erklären, was zurzeit los ist bei dir? Erst wird der Wagen aufgebrochen, mit dem du unterwegs bist und wenige Stunden später wird bei euch eingebrochen? Soviel Action bin ich von dir nicht gewohnt.“
Mir ist klar, dass sie gerne eine Antwort auf die Fragen haben will. Aber ehrlich gesagt würde ich die auch gerne wissen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es mit mir zu tun hat. Schließlich bin ich erst seit einem Tag in der Stadt. Und da werde ich wohl kaum genügend Zeit gehabt haben, um mich mit einem Kriminellen anzulegen.
Das kann ich also ausschließen.
„Ich weiß es nicht“, sage ich deswegen und zucke mit den Schultern.
Sie sieht mich so an, als würde sie mir kein Wort glauben. Doch es ist die Wahrheit. Und da es nichts mit mir zu tun haben kann, gehe ich davon aus, dass es um meinen Dad. Schließlich ist er Polizist und Monica hat ja selber gesagt, dass er zurzeit viel arbeitet.
„Ich weiß nicht, was hier los ist. Also entweder hat es mit der Arbeit meines Vaters zu tun oder es ist einfach nur ein Zufall“, erwidere ich.
„Zufall?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtet sie mich. „Du glaubst doch wohl selber nicht, dass man das noch als Zufall bezeichnen kann. Wäre beides an verschiedenen Tagen passiert, hätte ich es vielleicht als Zufall bezeichnet. Aber nicht so“, stellt sie fest, während sie mir hinausfolgt.
Seufzend bleibe ich stehen und drehe mich in ihre Richtung.
„Selbst wenn es kein Zufall ist, ist es sicherlich nicht meine Aufgabe herauszufinden, was dahinter steckt oder wer. Das ist die der Polizei. Ich muss mich um ein paar andere Dinge kümmern, unter anderem einen Job zu bekommen. Und mit alldem habe ich schon mehr als genug zu tun.“
„Du bist nicht neugierig?“
„Ich gebe zu, dass ich schon ein wenig neugierig bin. Ich bin schließlich die Tochter eines Polizisten und habe auch seine Gene abbekommen. Aber das ändert nichts daran, dass ich nicht einmal wüsste, wo ich überhaupt anfangen soll. Und da ich Fettnäpfchen nur so anziehe, ist es das Beste, wenn ich mich raushalte.“
Kurz bleibe ich noch so stehen und schaue sie an. Ich sehe ihr an, dass sie noch etwas erwidern will. Doch ich bin froh darüber, dass sie genau das nicht macht. Bevor sie es sich noch anders überlegen kann, drehe ich mich um und gehe wieder auf die Party.
Wenn man mal davon absieht, dass ich noch einmal geholt werde, um meine Aussage zu machen, verläuft der Abend ruhig. Auf jeden Fall ruhiger als der restliche Tag. Doch das ändert nichts daran, dass ich wieder einmal das merkwürdige Gefühl habe, als würde mich jemand beobachten. Schnell rede ich mir ein, dass es nur daran liegt, weil ich von so vielen Menschen umgeben bin, die alle mit mir sprechen wollen.
Als ich spät in der Nacht endlich in meinem Bett liege, gehe ich die Vorkommnisse noch einmal durch. Die letzte halbe Stunde habe ich damit verbracht mein Schlafzimmer wieder aufzuräumen. Ich bin noch einmal alle Dinge durchgegangen, konnte aber nicht feststellen, was fehlt. Das Letzte, was ich will, ist, morgen früh sofort wieder daran erinnert zu werden, was geschehen ist. Ich bin mir nicht sicher, ob der Plan auch funktioniert.
Immer wieder habe ich die Sekunden vor meinem inneren Auge, als der Typ an mir vorbeigelaufen ist. Immer wieder versuche ich einen Anhaltspunkt zu finden. Etwas, an dem man ihn erkennen könnte. Doch da ist nichts. Und selbst wenn ich es finden würde, so wäre die Wahrscheinlichkeit doch sehr gering, dass man den Typen überhaupt ausfindig machen könnte. Denn das ist das einzige, was ich mit Gewissheit behaupten kann.
Dass es ein Mann war.
Die Statur kann unmöglich zu einer Frau gehört haben.
Auf dem Flur höre ich meinen Dad und Monica, die sich noch unterhalten. Um mich abzulenken, drehe ich mich auf die Seite und schaue aus dem geöffneten Fenster hinaus. Der Himmel ist klar, sodass man die Sterne leuchten sehen kann. Normalerweise beruhigt mich der Anblick, jetzt ist das aber nicht der Fall. Es dauert noch, bis ich endlich einschlafe.
Als ich am nächsten Morgen wach werde, tut mir jeder einzelne Knochen weh und mein Kopf dröhnt, als hätte ich in der letzten Nacht eindeutig zu viel getrunken.
Ein paar Minuten bleibe ich liegen. Gestern habe ich noch gehofft, dass ich heute die Geschehnisse des letzten Tages verarbeitet habe und nicht ständig daran denken muss. Doch der erste Gedanke, der sich nun in mein Gedächtnis schleicht, gilt dem Einbruch. Seufzend schiebe ich die Decke zur Seite, stehe auf und mache mich fertig. Gleichzeitig beschließe ich, dass ich mich bei meinem Vater erkundigen werde wie es aussieht, sobald ich ihn sehe.
Im Vorbeigehen greife ich nach meiner Handtasche, bevor ich nach unten gehe. Dort werde ich bereits vom Geruch von frischen Brötchen begrüßt.
„Setzt dich“, fordert Monica mich auf, nachdem ich die Küche betreten habe. Sie zeigt auf einen der Stühle.
„Ist alles in Ordnung?“, erkundige ich mich vorsichtig, nachdem ich prüfend den Tisch betrachtet habe. Auf ihm stehen Wurst, Käse und verschiedene Marmeladensorten. Außerdem Obst, was in Stücke geschnitten wurde.
„Ja, wieso sollte nicht alles in Ordnung sein?“, erwidert Monica. Sie dreht sich nicht ein einziges Mal in meine Richtung. Deswegen gehe ich leise zum Tisch und setze mich.
„Dir ist aber schon bewusst, dass du das nicht hättest machen müssen, oder?“, erkundige ich mich vorsichtig.
„Willst du nichts frühstücken?“
„Das meine ich nicht“, murmle ich vor mir her.
Verzweifelt suche ich nach den richtigen Worten, aber ich finde sie nicht. Ich glaube sogar, dass es sie überhaupt nicht gibt.
„Schon klar. Aber die Wahrheit sieht so aus, dass es schon ein wenig merkwürdig ist, wenn eine fremde Person das Haus durchsucht.“ Mehr braucht Monica nicht von sich zu geben. Ich kann mir auch so denken, was ihr durch den Kopf geht. Mir ging es in der letzten Nacht auch nicht anders.
„Soweit wir es gestern feststellten, wurde nichts geklaut“, fährt sie fort.
Ich weiß nicht, ob ich über die Nachricht erleichtert sein soll oder nicht. Wie sich herausgestellt hatte, wurde auch im Auto nichts geklaut. All das sorgt dafür, dass ich wieder an die Worte meiner Freundin denken muss.
Zufall.
Es ist nur ein Wort, doch es setzt sich in meinem Kopf fest. Ein paar Mal versuche ich es zur Seite zu schieben, doch es gelingt mir nicht. Gedankenverloren nehme ich meine Kaffeetasse in die Hand und will einen Schluck hinausnehmen. Doch kaum kommen meine Lippen mit dem heißen Getränk in Berührung, zucke ich zusammen und verschütte den Inhalt auf dem Tisch.
„Verdammt“, murmle ich.
„Ich glaube die Ereignisse von gestern haben uns alle ziemlich durcheinander gebracht.“
„Ich würde es eher auf meine Schusseligkeit schieben“, entgegne ich. „Aber so kann man es natürlich auch machen.“
Das leise Lachen meiner Stiefmutter dringt an mein Ohr. Es sorgt dafür, dass ich auch lachen muss. Und nachdem, was alles geschehen ist, ist das ehrlich gesagt eine nette Abwechslung.
„Und was hast du heute noch so schönes vor?“
„Ich muss gleich noch ein paar Unterlagen im Rathaus abgeben. Es amtlich machen, dass ich nun hier lebe.“
„Ich würde dir ja meinen Wagen geben, aber der wird noch die nächsten Tage in der Werkstatt stehen.“
„Das brauchst du nicht. Danach wollte ich nach einem Auto suchen.“
„Bist du dir sicher?“
„Ihr braucht eure Autos und wenn es mit dem Job klappt, werde ich früher oder später auch einen brauchen. Schließlich kann ich ja nicht immer zu Fuß gehen. Das würde auf Dauer doch zu viel Zeit in Anspruch nehmen.“
Monica sieht so aus, als würde sie davon ausgehen, dass ich es mir gleich anders überlege. Das mache ich nicht. Außerdem verschafft ein eigenes Auto mir ein wenig Unabhängigkeit. Doch das werde ich ihr nicht unter die Nase halten. Ich bin mir sicher, dass es die nächste Unterhaltung nach sich ziehen würde und das will ich gerade nicht.
„Haben die Polizisten gestern noch mehr gesagt?“, erkundige ich mich, nachdem ich mir nach dem Frühstück meine Tasche übergehängt habe.
„Bis jetzt habe ich noch nichts gehört. Vielleicht erfährt dein Vater heute ja etwas Neues. Wieso fragst du?“ Während sie spricht, dreht sie sich in meine Richtung.
„Ich bin nur neugierig“, murmle ich.
Schweigend frühstücken wir weiter. Doch es macht auch keiner von uns Anstalten sich zu unterhalten. Ich versuche all das zu verstehen, während Monica wahrscheinlich noch damit beschäftigt ist, alles zu verarbeiten.
„Ich werde mich jetzt auf den Weg machen. Sonst schaffe ich heute überhaupt nichts mehr. Wir treffen uns später bestimmt noch“, verabschiede ich mich von ihr, nachdem ich meinen Teller in die Spüle gestellt habe.
„Ja, und falls du von deinem Vater hörst erinnere ihn bitte daran, dass er noch beim Elektriker anrufen soll.“
„Mach ich“, verspreche ich ihr und verschwinde.
Während ich die Richtung der Stadt einschlage, kann ich nicht verhindern mich umzublicken. Doch weit und breit kann ich nirgends den dunklen Geländewagen erkennen. Oder sonst jemanden, der sich auffällig verhält. Ich wüsste auch gar nicht, was ich machen sollte. Als ich das erste Mal zu ihm hingegangen bin, war es eher eine Kurzschlussreaktion. Ich bin mir nicht sicher, dass ich mir das ein zweites Mal trauen würde.
Und obwohl ich nichts und niemanden erkennen kann, macht sich wieder einmal das Gefühl in mir breit, dass jemand in der Nähe ist. Es gibt nicht den kleinsten Grund dafür, doch ich werde es auch nicht los. Genauso wie gestern hält es sich beharrlich.
Um mich davon abzulenken, konzentriere ich mich auf meine Umgebung. Mittlerweile befinde ich mich in einer Gegend, in der es einige Geschäfte gibt. Mütter schieben Kinderwagen hin und her, während sie sich unterhalten. Ältere Leute sitzen vor den wenigen Cafés, die es hier gibt, und unterhalten sich.
Als ich das Rathaus erreiche bleibe ich stehen und betrachte es kurz. Es ist nicht sonderlich groß, aber das hier ist auch keine riesige Stadt wie Los Angeles oder New York. Vor dem Backsteingebäude befinden sich riesige Säulen, die bis zur dritten Etage hochgehen und dort den Balkon stützen. Auf der jährlichen Parade steht dort oben immer der Bürgermeister, zusammen mit dem Polizeichef der Stadt und ein paar anderen Politikern, und verfolgt von dort aus alles. Und ganz oben befindet sich ein riesiger Turm, der eine Uhr beherbergt.
Hundert Meter weiter rechts befindet sich das Polizeigebäude, in dem mein Vater arbeitet, und die Feuerwehr.
Immer zwei Stufen auf einmal nehmend gehe ich nach oben und will die Tür aufdrücken, als sie jemand auf der anderen Seite öffnet und sie mir beinahe ins Gesicht knallt. Ich kann schnell genug ausweichen, wobei ich das Gleichgewicht verliere. Bevor ich die Treppen hinunterfallen kann, greift jemand nach meinem Handgelenk und hindert mich so daran.
Es dauert, bis ich realisiere, dass es derjenige ist, wegen dem ich erst zur Seite gesprungen bin. Und bei noch genauerem Hinsehen erkenne ich, dass mir ein älterer Streifen-Polizist gegenüber steht.
„Sorry, ich habe Sie überhaupt nicht wahrgenommen“, entschuldigt er sich.
„Kein Problem. Ich ziehe das Pech förmlich an. Erst gestern wurde mein Auto aufgebrochen und in dem Haus meiner Eltern befanden sich Einbrecher“, erkläre ich und ziehe die Schultern ein Stück nach oben. So zeige ich ihm, dass es mich nicht stört. In gewisser Weise habe ich mich mittlerweile dran gewöhnt, dass mir ständig irgendein Mist passiert. Meine Ankunft hier war ja auch nicht unbedingt besser.
„Du bist die Tochter von Barker“, stellt er fest, nachdem er überlegt hat. Sein Gesicht erhellt sich merklich. „Ich bin Rayn Henderson.“
„Ja, die bin ich“, erwidere ich hingegen nur.
„Willkommen in Tarpon Springs. Ich hoffe, der heutige Tag wird besser als gestern.“ Mit einem frechen Grinsen auf dem Gesicht betrachtet er mich. Die Geste sorgt dafür, dass ich mir sicher bin, dass es mittlerweile die Runde gemacht hat und jeder darüber in Kenntnis gesetzt ist, was geschehen ist.
Eigentlich wollte ich nach meinem Termin hier meinem Dad noch einen Besuch abstatten. Unter den Voraussetzungen lasse ich es aber lieber sein.
„Danke“, gebe ich nur freundlich zurück und gehe an ihm vorbei. „Ich bin mir sicher, dass wir uns noch einmal über den Weg laufen werden.“
Henderson nickt einmal kurz, ehe er sich umdreht und ebenfalls verschwindet. Ich bleibe an Ort und Stelle stehen und schaue ihm nach.
„Aber glaube ich nicht, dass es ruhiger bei mir wird“, flüstere ich leise, ehe ich im Inneren des Gebäudes verschwinde.
6
Ich habe zwei Staatsangehörigkeiten. Zwei! Eigentlich sollte man meinen, dass es die Sache einfacher macht. Schließlich bin ich keine Einwanderin in dem Sinne. Dennoch sieht die Sache ein wenig anders aus.
Bereits vor ein paar Wochen habe ich einen Haufen Unterlagen zugeschickt bekommen, die ich ausfüllen musste, oder die ich ausfüllen lassen musste. Und nun sitze ich vor der Verwaltungsangestellten und schaue ihr zu, wie sie auf jedes zweite Dokument, zumindest kommt es mir so vor, ein Siegel stempelt und sich das nächste vornimmt. Zwischendurch habe ich sogar die Befürchtung, dass sie einen Grund dafür findet, nein zu sagen. Schließlich kann ich es nicht mal eben ein zweites Mal ausfüllen lassen.
Doch nach einer Stunde stehe ich endlich wieder draußen auf dem Bürgersteig und kann durchatmen. Ich hasse solche Gänge. Vor allem deswegen, weil sie immer Wörter benutzen, von denen ich mir sicher bin, dass ein paar darunter sind, die sie selber nicht verstehen, nur um sich wichtig zu fühlen. Und genauso geht es mir jetzt auch. Mein Kopf schwirrt, weil sich so viele Informationen darin befinden, dass ich sie gar nicht alle auf einmal verarbeiten kann. Aber die Hauptsache ist, dass alles nun durch ist und ich mir darüber keine Sorgen mehr machen muss.
„Was machst du denn hier?“, dringt die tiefe Stimme meines Vaters zu mir hindurch. Ich drehe mich in seine Richtung und erkenne, dass er mit zwei Männern, die vielleicht nur ein paar Jahre älter sind als ich, vor einem Wagen steht und sich unterhält.
„Nachdem ich vorhin beinahe von einem deiner Kollegen über den Haufen gerannt worden wäre, habe ich meine Unterlagen beim Rathaus abgegeben und bin nun ganz offiziell eine Einwohnerin von Tarpon Springs“, erkläre ich ihm, wobei sich meine Laune wieder ein wenig hebt.
„Das ist ja super. Dir steht nichts mehr im Weg.“ Freudig schließt mein Dad mich in seine Arme.
„Wen haben wir denn da? Habt ihr Mal wieder einen Verbrecher gefangen?“, ruft einer der Polizisten. Kurz schaue ich zu ihm, bevor ich mich in die Richtung drehe, in die er sieht.
Doch was ich da sehe überrascht mich. Einige Meter von mir entfernt steht der Typ, den ich am Flughafen gesehen habe.
„Was?“, entfährt es mir. Ich bleibe neben meinem Dad stehen und schaue ihn an, als wäre er ein Alien.
„Thomas ist nicht so gut auf Kopfgeldjäger zu sprechen. Die drei machen einen harten Job und waren uns schon öfters eine große Hilfe“, erklärt mir mein Dad.
„Kopfgeldjäger?“ Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen nach oben.
„Ja, das sind die, die …“, beginnt er mir zu erklären.
„Ich weiß, was die machen“, unterbreche ich ihn und schüttle den Kopf.
Klar, er ist breit gebaut und er ist sicherlich niemand, mit dem ich mich freiwillig anlegen würde. Genauso wie seine Freunde. Doch damit habe ich auch nicht gerechnet. Nun erkenne ich aber die Waffe, die er an seinem Gürtel trägt, und die Handschellen, die sich auf der anderen Seite befinden.
„Die Jungs arbeiten für eine riesige Firma in Miami, die überall Außenstellen hat“, fährt er fort. So wirklich höre ich ihm nicht mehr zu. Noch immer verarbeite ich, dass ich mit einem Kopfgeldjäger zusammen gestoßen bin und keine Ahnung hatte. Ich war mir immer sicher, dass man sie sofort erkennen würde. Ich meine, man sie doch schon aus der Entfernung ausmachen können.
Die letzten Minuten haben mir das Gegenteil bewiesen.
„Na, Zane“, begrüßt mein Dad ihn, als sie an uns vorbeigehen. „Wen habt ihr jetzt wieder zurückgebracht?“
„Nur zwei kleine Fische. Aber auch die müssen sich an die Regeln halten“, erwidert er und sieht mich an.
Es kommt mir so vor, als würden sich all meine Sinne nur noch auf ihn konzentrieren. Es fällt mir schwer, mich nicht zu sehr von ihm einnehmen zu lassen. Um wenigstens ein wenig Desinteresse zeigen zu können, rufe ich mir in Erinnerung, dass mein Vater neben mir steht und zwei seiner Kollegen direkt hinter mir, die uns wahrscheinlich beobachten. Und es hilft, zwar nur ein wenig, aber besser als nichts.
Mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen, was mein Herz schneller schlagen lässt, als wäre ich erst dreizehn, geht er an mir vorbei, steigt in seinen Ford Raptor und verschwindet, während seine Kollegen mit einem dunklen Geländewagen fahren.
Er sieht so aus wie der, der vor unserem Haus stand. Ich erkenne, dass der hier viel größer ist. Und auch wenn es mich erleichtert aufatmen lässt, so hat es mir doch einen kleinen Schrecken eingejagt.
Kurz bleibe ich noch so stehen und schaue ihnen nach. Doch als ich merke, dass mein Vater sich wieder auf mich konzentriert, reiße ich mich zusammen.
„Ich werde mich jetzt auch auf den Weg machen und mir noch ein paar Autos anschauen. Vielleicht ist ja etwas dabei“, verabschiede ich mich schnell von ihm. Ich winke seinen Kollegen noch zu, bevor ich mit großen Schritten an ihm vorbeieile. So schnell wie möglich will ich von hier verschwinden.
Ich spüre den Blick meines Vaters in meinem Rücken, bis ich um die nächste Ecke gebogen bin. Und auch, wenn ich gerade eigentlich in die falsche Richtung gehe, so ist es doch besser, als ihm eine Angriffsfläche zu geben.
Es dauert ein wenig, bis ich das erste Autohaus erreicht habe. Auf den ersten Blick erkenne ich, dass hier nichts für mich zu finden ist, was ich mir leisten kann. In der Ausbildung habe ich nicht sehr viel verdient. Und das, was ich zurücklegen konnte, ging zum größten Teil für den Umzug drauf, sodass nicht viel übrig geblieben ist.
Seufzend ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche heraus, als ich das leise Klingeln höre.
„Ich habe nachgedacht“, begrüßt mich Katie aufgeregt.
„Worüber?“, frage ich sie, obwohl ich es mir bereits denken kann.
„All das, was gestern passiert ist“, erklärt sie, während ich weiter gehe.
„Ich bin ganz Ohr“, erwidere ich, auch wenn ich eigentlich keine Lust habe, mich schon wieder darüber zu unterhalten.
„Ich gehe mal davon aus, dass du dir keinen Ärger aus Deutschland mitgebracht hast. Deswegen kann es nur einen Grund für all das geben.“
Ich warte darauf, dass sie weiter spricht, doch das macht sie nicht. Katie liebt die dramatischen Pausen. Ich hingegen hasse sie. Und in dem Fall sogar noch mehr.
„Jetzt sag schon“, fordere ich sie auf, nachdem sie auch nach mehreren Sekunden noch nichts von sich gegeben hat.
„Es kann nur sein, dass du mit jemanden in Kontakt gekommen bist.“ Ich kann das Stöhnen nicht für mich behalten, was sich einen Weg meine Kehle hinauf sucht. Außerdem verdrehe ich die Augen, wobei ich aber froh bin, dass sie das nicht merkt.
„Ich habe die ganze Fahrt über mit niemandem gesprochen und ich habe nichts in meinen Taschen gefunden, die dort nichts zu suchen haben. Sonst hätte ich es schon längst entdeckt und meinem Dad gegeben. Und nein, mein Koffer wurde auch nicht vertauscht, falls das deine nächste Frage wäre.“
Es ist ruhig in der Leitung. Vor meinem inneren Auge kann ich beinahe sehen, wie sie das Gesicht verzieht und über meine Antwort nachdenkt. Sie sucht nach einer anderen Lösung für das Problem.
„Hör zu, ich freue mich darüber, dass du eine Lösung versuchst zu finden. Aber das musst du nicht. Ich bin mir sicher, dass die Polizei schnell herausfinden wird, wer es war. Und es wurde in beiden Fällen ja nichts geklaut.“ Die letzten Worte murmle ich mehr vor mir her, als das ich sie wirklich sage.
Während ich spreche, fällt mein Blick auf einen dunklen Geländewagen, der dem, den ich vor unserem Haus und in der Stadt beobachtet habe, verdammt ähnlich sieht. Sofort bleibe ich stehen, als wären meine Füße plötzlich mit dem Boden verwachsen. Er fährt gerade um eine Ecke und ist schon bald verschwunden. Doch genauso, wie ich mir vorhin sicher war, dass es nicht der Wagen war, so bin ich mir jetzt sicher, dass er es ist.
„Harley? Bist du noch dran?“, fragt mich Katie und zieht meine Aufmerksamkeit so auf sich.
„Ja“, murmle ich.
„Bist du dir sicher? Du scheinst plötzlich ganz woanders zu sein.“
„Erinnerst du dich noch an den schwarzen Geländewagen, der am Strand war?“ Meine Stimme klingt vorsichtig, doch meine Augen beobachten noch immer die Stelle, an die der Wagen verschwunden ist.
„Ja, es ist ja erst zwei Tage her“, antwortet meine Freundin.
„Er ist wieder da.“
„Was?“ Ihre Stimme ist so schrill, dass ich mein Handy ein Stück entfernt halten muss, da ich die Befürchtung habe, dass ich sonst einen Hörschaden bekomme. „Wo bist du? Ich komme sofort.“
„Musst du nicht arbeiten?“
„Nein, heute habe ich ausnahmsweise mal einen freien Tag. Dafür habe ich die letzten drei Wochen aber auch durch gearbeitet.“
„Genieße ihn. Du brauchst nicht extra zu kommen. Ich bin mir sicher, dass ich mich nur vertan habe. Schließlich gibt es zahlreiche Autos in der Stadt. Sie ist zwar nicht riesig, aber dennoch groß genug, damit hier mehr als zwei Autos herumfahren, die sich ähneln.“
„Du spielst die Detektivin und ich soll meine Auszeit genießen. Dir ist schon klar, dass das nicht sehr fair ist, oder?“
„Ich spiele nicht.“ Ich versuche meinen Einwand so laut und sicher wie möglich von mir zu geben. Aber sogar ich merke, dass das nicht klappt. Katie und ich haben uns in den letzten Jahren nicht sehr oft gesehen. Doch wir haben uns jeden Tag geschrieben und regelmäßig miteinander telefoniert. Deswegen bin ich mir sicher, dass sie durchaus merkt, dass ich mit meinen Gedanken eigentlich ganz woanders bin.
„Der Vater ist ein Cop und sie will mir wirklich vormachen, dass sie nicht spielt. Schick mir eine Nachricht und wir treffen uns da.“ Kaum hat sie ausgesprochen, legt sie auf. An dem Ton ihrer Stimme kann ich erkennen, dass es auch gar nichts bringen würde, wenn ich ein Argument dagegen vorbringe.
Deswegen schicke ich ihr meinen Standort, auch wenn ich mir sicher bin, dass es nichts bringen wird.
Dennoch muss ich zugeben, dass die letzten Sekunden wieder den Gedanken in mir heraufbeschworen haben, dass etwas nicht stimmt. Mein Verstand sagt mir, dass ich es nicht vor meinem Dad verheimlichen sollte. Aber ich will nicht, dass er sich Sorgen macht, wo wahrscheinlich nicht einmal ein Grund ist. Deswegen schiebe ich die Möglichkeit entschieden zur Seite.
Und sollte es doch so sein, kann ich es immer noch machen.