Kitabı oku: «"Nicht ohne den Mut zum Wagnis ..."», sayfa 10
4.4 Die Bedeutung der Person des Jugendseelsorgers237
Die Jugendseelsorge der Kriegs- und Nachkriegszeit lebte sehr stark von der persönlichen Beziehung des Jugendseelsorgers zu den Jugendlichen. Wie aus mündlichen und schriftlichen Mitteilungen der Nachkriegsjugend immer wieder zu entnehmen ist, hinterließ die Persönlichkeit des Jugendseelsorgers nachhaltigeren Eindruck als etwaige Konzepte oder Methoden der Seelsorge. Die Jugendseelsorger waren geistliche Begleiter. Sie waren die Seelenführer, vor allem für die Jugendlichen aus den Kerngruppen, die intensiveren Austausch mit ihnen pflegten. Mit ihrer Art zu leben, weckten manche Seelsorger Berufungen zum Priester unter den Jugendlichen. Th. Schmidt und vor allem H. Aufderbeck verkörperten den „Prototyp“ dieses Jugendseelsorgers. Da sich der Lebensstil der jungen Kapläne im Allgemeinen stark vom meist strengen, gesellschaftlich abstinenten Leben der Pfarrer absetzte, konnten sie zugleich einen alternativen Lebensentwurf für die Jugendlichen darstellen. Zudem waren sie oft junggebliebene Ansprechpartner für die Belange der Jugendlichen und ihre Alltagssorgen.238 Es hing vom Engagement des Priesters ab, der sich auch für die Jugendseelsorge zuständig fühlte, bzw. später des Jugendseelsorgers oder der Helfer/innen, wie Seelsorge unter den Jugendlichen fruchtete. Dass dies nicht in allen Gebieten des Kommissariates positiv gleichermaßen gegeben war, lag auf der Hand und hatte verschiedene Ursachen. Es gab Gemeindepfarrer, die sich weniger mit der Seelsorge der Jugend beschäftigten, sei es, weil sie es nicht wollten,239 sei es, weil sie es nicht konnten oder weil sie sich mit der Jugendseelsorge überfordert fühlten. Da die Bedeutung der Seelsorge an den Jugendlichen in der Nachkriegszeit vermehrt in den Blick rückte, wurden mangels hauptamtlicher Jugendseelsorger in den ersten Jahren manche Kleriker postalisch in „hemdsärmligen” Schnellkursen in die praktische Umsetzung der Jugendseelsorge eingeführt und von Th. Schmidt240 bzw. H. Aufderbeck241 mit Material oder sehr handfesten Empfehlungen für die Durchführung von Jugendabenden und Jugendfreizeiten versorgt.242
Angesichts der unzureichenden Strukturen der sich neu ausrichtenden Jugendseelsorge im Kommissariat Magdeburg wurde die Notwendigkeit eines eigenen Diözesanjugendseelsorgers immer deutlicher. In einer Besprechung zwischen Erzbischof Jaeger, Pfarrer Kollwitz und Dechant Nolte wurden im November 1945 die ersten Weichen für die Gliederung der Jugendseelsorge im Bereich Paderborn-Ost gestellt.243 Bereits am 1. Dezember 1945 wurden für die Provinz Sachsen des Erzbistums Paderborn zwei nebenamtliche Jugendseelsorger beauftragt. J. Menne244 wurde mit der Arbeit an der weiblichen und Th. Schmidt mit der Arbeit an der männlichen Pfarrjugend betraut.245 Doch die beiden nebenamtlichen Jugendseelsorger waren schon bald mit dieser Arbeit derart überlastet, dass der Erzbischof dem Propst nahelegte, für deren Entlastung zu sorgen.246 Dass aber eine solche Aufgabe wie die der Jugendseelsorge unter den Bedingungen des Kommissariates Magdeburg nicht von nebenamtlichen Jugendseelsorgern bewältigt werden konnte, wurde ebenfalls schon bald offensichtlich. Verschiedene Vorschläge, die beiden nebenamtlichen Jugendseelsorger zu entlasten, wurden diskutiert.247 Noch bevor das spätere Jugendamt errichtet wurde, begann die Suche nach einem geeigneten hauptamtlichen Jugendseelsorger. Schon seit 1946, mit seiner Ernennung zum Dekanatsjugendseelsorger in Halle, bemühte sich H. Aufderbeck um die Anstellung eines hauptamtlichen Jugendseelsorgers.248 Erst zwei Jahre später, mit der Errichtung des Seelsorgeamtes, wurde eine solche Stelle grundsätzlich bewilligt. Doch es dauerte weitere zwei Jahre, bis der erste hauptamtliche Jugendseelsorger seine Arbeit aufnehmen konnte, im Kommissariat Magdeburg zu einem viel späteren Zeitpunkt als in den anderen Ordinariaten.
1948 begann H. Aufderbeck als dessen Leiter mit dem Aufbau des Seelsorgeamtes für das Kommissariat Magdeburg. Unter den verschiedenen Dezernaten249 entstand auch das Dezernat Jugendseelsorge, das mit einer Stelle eines hauptamtlichen Jugendseelsorgers ausgestattet werden sollte. Allerdings erwies sich die Suche nach einem geeigneten Referenten für die Abteilung Jugendseelsorge als äußerst schwierig, vor allem, da der für H. Aufderbeck geeignetste Kandidat, Th. Schmidt, bereits im Vorfeld abgesagt hatte. Stattdessen wurde J. Menne am 29. Januar 1948 zwar zum ersten Diözesan-Jugendseelsorger für den östlichen Anteil des Erzbistums Paderborn für alle Fragen der Mannes- und Frauenjugend ernannt. E. Fromme sollte ihm bei Arbeit an der Frauenjugend helfend zur Seite stehen.250 Er trat aber als solcher nicht in Erscheinung und lehnte diese Berufung ab. Bereits vor seiner Ernennung hatte er ernsthafte Bedenken dagegen ausgesprochen.251 Argumentativ konnte J. Menne zwar seine Berufung nicht verhindern, erreichte aber durch seinen Widerstand und seine Passivität, dass er, obwohl er fast ein Jahr lang von verschiedenster Seite dazu ermuntert wurde,252 diesen Posten nicht antreten musste. Die Suche nach einem anderen hauptamtlichen Jugendseelsorger gestaltete sich weiterhin äußerst schwierig, nachdem nach J. Menne auch der nächste naheliegende Kandidat, Th. Schmidt,253 wiederholt dieses Angebot abgelehnt hatte. Obwohl H. Aufderbeck noch im Juli 1948 darauf gehofft hatte, dass es sich J. Menne überlege,254 waren er und W. Weskamm bereits auf der Suche nach Alternativen.255 Es gab jedoch keinen, der sich aus dem Kommissariat freiwillig zur Verfügung gestellt hätte.256 Doch es war wohl nicht nur ein personelles Problem, das für die schleppende Ernennung eines Diözesanjugendseelsorgers verantwortlich war. Wie ein Schreiben von Propst Weskamm an Erzbischof Jaeger nahelegt, gab es aus Paderborn auch nach der Errichtung des Jugendamtes noch kein „grünes Licht“ für eine neue hauptamtliche Stelle.257 Bis zu einer endgültigen Lösung wurde Th. Schmidt als vorläufiger Diözesanjugendseelsorger nebenamtlich eingesetzt.258 Auch diese Alternative war, zumindest für Th. Schmidt, nur ein vorübergehender Kompromiss. Damit aus diesem Provisorium kein Dauerzustand würde, brachte Th. Schmidt wiederholt seinen Unmut über diese Notlösung zum Ausdruck.259 Im Oktober 1948 wurde ihm zur Unterstützung A. Grawe zum Diözesan-Jugendseelsorger für die weibliche Jugend im Kommissariat bestellt.260 Dieser Kompromiss mit zwei nebenamtlichen Stellen wurde von Propst Weskamm wohl schon als eine mögliche Lösung angesehen.261 Die ungeklärte Situation um den Posten des Leiters des Jugendamtes sollte aber noch bis 1950 anhalten.262 Propst Weskamm konnte Ende 1948 nur resignierend die Wiederherstellung des Zustandes von 1945 feststellen.263 Bis zur Entlastung des kommissarischen Leiters Schmidt durch den Jugendseelsorger Brinkmann im Jahre 1950 arbeiteten weiterhin auch Jugendseelsorger aus anderen Diözesen unterstützend im Kommissariat.264 Außerdem gab es hin und wieder Hilfe aus Paderborn.265 Diese Unterstützung war zwar nicht planbar, wurde aber dennoch als wohltuend und entlastend dankbar angenommen.
Ungeachtet der offenen Stelle des Jugendseelsorgers begann das neu errichtete Jugendamt dennoch mit seiner Arbeit. Als erste zentrale Aufgaben des Jugendamtes für das Jahr 1948 waren drei Jugendwallfahrten und die Durchführung von Helferschulungen an fünf verschiedenen Orten geplant.266 Damit waren die Kapazitäten des nebenamtlichen Jugendseelsorgers mehr als ausgeschöpft. Auch im folgenden Jahr war Th. Schmidt mit vier von ihm durchzuführenden Jugendseelsorgerkonferenzen zum Thema „Lebendige Gemeinde im EKM" genügend ausgelastet.267
4.5 Die Aufgabenfelder der Jugendseelsorge
Die „Pastoral der ersten Stunde“ wurde zunächst von einer Reihe äußerer Faktoren beeinträchtigt. Da waren vor allem die personalen Fragen, die Suche nach willigen Jugendseelsorgern und die Problematik der räumlichen Gegebenheiten zu lösen. Im Krieg waren die Gebäude vieler Pfarreien zerstört worden,268 zugleich entstanden in manchen Gemeinden erstmals neue katholische Jugendgruppen, so dass kommissariatsweit überall Räume fehlten. Vor allem für das regelmäßige Treffen der Pfarrjugend waren angemessene Räumlichkeiten jedoch äußerst wichtig. Daher wichen die Jugendgruppen auch in Privatwohnungen oder in die Wohnungen der Seelsorger aus. Mitunter wurden solche Treffen anfangs durch die Sperrstunde oder durch polizeiliches Einschreiten beeinträchtigt.269 Neben ausreichenden Gemeinderäumen fehlte auch ein geographisches Zentrum für die Jugendseelsorge des Kommissariates Magdeburg, ein eigenes Jugendhaus. Die Fahrten nach Hardehausen ins Jugendhaus des Erzbistums Paderborn waren sehr beschwerlich und wurden mit der Zeit aus politischen Gründen zu riskant.
Da es keine pastoralen Programme für die Jugendseelsorge gab, bestimmten das Improvisationstalent der Seelsorger und die äußeren Gegebenheiten das „Konzept“. Es lag in der Persönlichkeit des Seelsorgers und in seinem Talent begründet, wie sehr er die Jugend ansprechen konnte. Die ausdrücklichen Inhalte waren dabei zweitrangig. Die Seelsorge an der Jugend war als Jugenderziehung darauf angelegt, die Jugendlichen durch Vermittlung von Glaubenswissen und durch modellhaftes Vorbild der jugendlichen Helfer zu lebendigen Gliedern der Kirche zu erziehen und sie für ihre Aufgaben in Familie und Gemeinde zu befähigen. Die Jugendseelsorge der Nachkriegszeit war dabei durch eine betonte, oft vom Jugendseelsorger inspirierte Spiritualität geprägt. Teilweise kam diese Spiritualität der Jugend in heute extrem anmutenden Zügen, die sich an bündische Ideale anlehnten, zum Ausdruck.270
Bei der Vermittlung der christlichen Grundvollzüge wurden die Seelsorger in den Gemeinden durch die anfangs noch sehr spärlichen regionalen Angebote des Jugendseelsorgeamtes unterstützt. Die Einführungen in den „rechten“ inneren und äußeren Vollzug der heiligen Messe, ins persönliche Beten, in die Heilige Schrift und die wichtigsten Glaubenswahrheiten waren bei allen angebotenen Kursen in der Jugendseelsorge vorrangig.271 Die Verantwortlichen in der Jugendseelsorge versuchten, den Jugendlichen in Kursen „Christuserfahrungen“ zu vermitteln und sie zu befähigen, diese in ihren Heimatgemeinden weiterzugeben. Für die Heimabende272 als wichtiges Element der Jugendseelsorge hatte sich ein typischer Stil herausgebildet. Singen,273 Schrifttext, Gebet und thematischer Teil waren dessen Eckpfeiler. Mit diesen Elementen war sowohl der emotional-erfahrungsorientierte als auch der erzieherische Anspruch der Jugendseelsorge mehr oder weniger ausgefüllt. Das Gelingen des Heimabends hing vor allem von dessen Leiter ab. Sowohl durch einen Seelsorger als auch durch einen Jugendhelfer konnten solche Heimabende geleitet werden.274
In manchen ihrer liturgischen Vollzüge war die Diasporajugend ihrer Zeit weit voraus. Bestimmte Gottesdienstformen, die die katholische Jugend bereits seit längerem praktizierte, sollten sich erst nachkonziliar breitenwirksam durchsetzen. Als fester Bestandteil der Jugendseelsorge entwickelte sich schon in der Zeit des Nationalsozialismus eine eigene Gottesdienstkultur. Bereits Mitte der 1930er Jahre erlebte der spätere Weihbischof Rintelen275 als Seelsorger in Halle erste Versuche, die deutsche Sprache in der Liturgie der dortigen Propsteigemeinde zu beheimaten. Ergänzend zum üblichen lateinischen Gottesdienst wurden den Jugendlichen von einem zweiten Priester an einem „Erklärungsaltar“ die deutschen Texte „simultan“ nahe gebracht. Diese Praxis wurde während der Kaplanszeit von H. Aufderbeck in Halle weiter ausgeweitet. Im regelmäßigen Austausch mit dem Leipziger Oratorium, bestärkt und unterstützt von gleichgesinnten Kaplänen aus dem Dekanat und geduldet vom Hallenser Propst Morsbach, versuchten die beiden Kapläne der Propstei H. Aufderbeck und M. Fritz die Liturgie in lebendiger Art der Jugend nahe zu bringen. Audrucksformen fanden diese „liturgischen Experimente“ in den regelmäßigen Jugendpredigten, den Gemeinschaftsmessen am Mittwoch und in der Komplet am Samstagabend, die koedukativ von Mädchen und Jungen gefeiert wurde.276 Diese aktiven Gottesdienstformen, meist aber nur in den ausdrücklichen Jugendgottesdiensten der wenigen Stadtgemeinden möglich, bedeuteten eine Entwicklung zu einer aktiveren Teilnahme am Gottesdienst gegenüber dem Gottesdiensterleben der Pfarrgemeinden, das sich auf das Beten und Singen religiöser Texte und das beschauliche Verfolgen des liturgischen Geschehen beschränkte.
H. Aufderbeck ermunterte die Jugend, sich ihrer Bedeutung als Teil der Gemeinschaft der vom Herrn Gerufenen bewusst zu werden. Die Jugendlichen seien nicht stumme Zuschauer eines heiligen Geschehens, sondern Mitvollziehende der Mahlfeier des Herrn. Aus diesem Grunde sei es selbstverständlich, dass sie außer den gewöhnlich gebeteten Akklamationen auch andere Teile der Liturgie wie das Kyrie, das Gloria oder das Sanctus laut mitbeteten.277 Die Jugend war mit solchen religiösen Ausdrucksformen gegenüber der üblichlicherweise „sprachlosen Gemeinde“ schon einen Schritt weiter. Weg vom religiösen „Versorgungsdenken“ versuchte sie, durch aktive Teilnahme als Vorbeter aus dem Schott und als Mitbeter, mehr von der Liturgie zu verstehen und diese mitzugestalten. Dass dies als religiöser Ausdruck zum Selbstverständnis der Jugend in dieser Zeit gehörte, zeigt auch die Tatsache, dass sich Jugendliche vor den gemeinsamen Fahrten am Wochenende ganz selbstverständlich zu Gruppenmessen in der Pfarrei trafen.278
4.5.1 Die Beheimatung der Flüchtlinge und der Vertriebenen279
Wie die anderen Bereiche der Seelsorge war auch die Jugendseelsorge des Kommissariates in der Nachkriegszeit vor allem Vertriebenenseelsorge. Die weitaus größere Zahl der katholischen Jugendlichen entstammte hier unterschiedlichen landsmannschaftlichen Traditionen, die infolge der Kriegswirren und der Deportationsvereinbarungen280 aus ihrer Heimat in die Fremde geflohen und vertrieben waren. „Folgt man zeitgenössischen Beobachtern, so waren 1948 viele Vertriebene nicht nur objektiv unerwünschte und abgelehnte Fremde, zugleich herrschte subjektiv unter Vertriebenen selbst ein ‚Gefühl des Fremdseins’ vor.“281 Das betraf auch den religiösen Bereich.282 In ihrer Enttäuschung suchten die Flüchtlinge und Vertriebenen vor allem bei ihren Leidensgenossen und Landsleuten Halt in ihrer Bedrängnis. Dieser Rückzug in ein „Ghetto“ war in der SBZ nicht erwünscht und infolge der Politik der SMAD nur bedingt möglich. Da die sowjetischen Gebietsforderungen für die Vertreibung der Deutschen aus Gebieten östlich von Oder und Neiße hauptursächlich war, versuchte die sowjetische Besatzungsmacht durch gezielte Propaganda die Folgen ihrer Politik zu kaschieren.283 Aus diesem Grunde war es in der SBZ den Vertriebenen zu keiner Zeit möglich, sich landsmannschaftlich zu organisieren. Folglich kam es in der SBZ schon bald zu einer relativ erfolgreich umgesetzten „Privatisierung dieser Vertriebenenidentität“.284 Allein die Kirchen, die sich um die Beheimatung der Flüchtlinge und Vertriebenen bemühten, konnten einen institutionellen Schutzraum als Alternative anbieten. Als eine der wichtigsten organisatorischen Aufgaben stand vor der sich entwickelnden Jugendseelsorge in Magdeburg, noch mehr als die Frage nach den Konzepten, das Erfassen der Jugendlichen im gesamten Bereich des Kommissariates. Die bisher vereinzelte Diasporajugend und die über das gesamte Kommissariat verstreute katholische Jugend der Vertriebenen sollte sich als eine Jugend mit eigener, neuer Identität zusammenfinden.
Nachdem bereits 1944 und 1945 infolge der Bombardierung der westdeutschen Großstädte eine große Zahl von Westflüchtlingen in das Gebiet des Kommissariates geströmt war, erreichte vor und nach dem Ende des Krieges eine ungleich größere Flut von Flüchtlingen und Vertriebenen aus dem ehemaligen Osten des Deutschen Reiches den mitteldeutschen Raum. Im November 1949 waren es über 1 Million Flüchtlinge und Vertriebene, die in Sachsen-Anhalt registriert waren.285 Die Westflüchtlinge während der Zeit des Krieges waren noch von geringer Relevanz für die Pastoral der Diasporagemeinden gewesen, denn sie kamen oft als Schulklassen in die dörflichen Gebiete und nur für eine kurze Zeit. Zudem beschäftigten sich eher die Ortsseelsorger mit ihnen, als dass sie von der Gemeinde wahrgenommen wurden. Mit dem Zustrom der Flüchtlinge und der Vertriebenen aus dem Osten aber ergab sich eine ganz neue Situation, die von den Gemeinden nicht ausgeblendet werden konnte. Der neuerliche Zustrom war auch nicht vergleichbar mit dem üblicherweise wirtschaftlich bedingten Zuzug von Katholiken in den vorausgegangenen 100 Jahren in das Gebiet der mitteldeutschen Diaspora. Seit dem 19. Jahrhundert kamen Katholiken meist nur als „Saisonarbeiter“ in die Zentren der Industrie oder als „Schnitter“ in die Landwirtschaft. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts hatten sich mit dem Zuzug katholischer Familien wieder die ersten katholischen Gemeinden im Ursprungsland der Reformation gebildet. In dieser Zeit verdoppelte sich die Zahl der Katholiken in diesen katholischen Gemeindezentren jeweils erst nach ca. 50 Jahren.286 Nach Ende des Zweiten Weltkrieges erhöhte sich die Zahl der Gemeindemitglieder um ein Vielfaches innerhalb von nur zwei Jahren. Auch wenn die vorliegenden Statistiken stark variieren, kann von einer vier- bis fünffachen Zahl der Nachkriegskatholiken in Mitteldeutschland im Vergleich zur Zeit der Weimarer Republik ausgegangen werden.287 Die verschiedenen Ströme von volkskirchlich geprägten Vertriebenen mit den beheimateten Diasporachristen zusammenzuführen, stellte eine bedeutende Herausforderung dar. Erschwerend wirkte sich dabei aus, dass die Assimilation der ankommenden Massen in relativ kurzer Zeit bewältigt werden musste. Notwendigerweise gab es nun viele volkskirchlich aufgewachsene Katholiken selbst in Orten, in denen seit der Reformation keine katholischen Gemeinden mehr existiert hatten. Die Verteilung der Katholiken erfolgte flächendeckend über das gesamte Kommissariat hinweg und war nicht mehr, wie noch im 19. Jahrhundert, regional begrenzt. Aber Gemeinden formierten sich nicht automatisch aus einer genügend großen Anzahl von katholischen Vertriebenen. Viele der ortsansässigen Priester waren mit deren Betreuung überfordert und die ebenfalls vertriebenen „Rucksackpriester“ pendelten zwischen den Orten, ohne bereits in ein neues Bistum inkorporiert zu sein. Die russische Besatzungsmacht wie auch die westlichen Alliierten waren bestrebt, die Vertriebenen nicht als geschlossene Gruppen entsprechend der Herkunftsorte neu anzusiedeln. So wurde verhindert, dass sich der Unmut über das zugefügte Unrecht bündeln konnte. Auch die Integration der Neuankömmlinge in die neuen Lebenszusammenhänge ist durch die Vereinzelung beschleunigt worden. Dabei wurde von den Besatzungsmächten in Kauf genommen, dass das den Vertriebenen zugefügte Schicksal von ihnen als noch belastender empfunden wurde. Durch die Vermischung der verschiedenen deutschen Volksgruppen kam es zu eigenartigen Gemeindekonstellationen. Mitten im evangelischen Kernland mussten Schlesier, Sudetendeutsche, Ostpreußen und Karpato-Ukrainer gemeinsam mit den Diaspora-Katholiken versuchen, eine katholische Gemeinde zu bilden. Trotz der gemeinsamen Taufe waren sie in ihren religiösen Bräuchen sehr heterogen. Dennoch sollte der gemeinsame katholische Glaubensvollzug eine sehr wichtige Rolle bei der Integration der Vertriebenen in die Gemeinden bekommen.
Rein statistisch nahm mit den ankommenden Vertriebenen der Anteil der Jugendlichen in den Gemeinden zwar sehr schnell zu. Doch es dauerte einige Zeit, bis sie, obwohl numerisch dominant, in den Pfarreien auch wahrgenommen wurden, bzw. dort in Erscheinung traten.288 Das hing wohl damit zusammen, dass die Vertriebenen in der ersten Zeit nicht damit rechneten, dass der Aufenthalt in der Fremde eine Dauerlösung werden würde. Sie hofften noch auf die Rückkehr in ihre Heimat. Aber es lag wohl auch in den wechselseitigen Vorbehalten der jeweils unterschiedlich religiös sozialisierten Jugendlichen der Diasporagemeinden auf der einen und der Jugendlichen aus den katholischen Gebieten Ostdeutschlands auf der anderen Seite gegenüber dem jeweils Fremden. Für den Bereich der Jugendseelsorge gab es noch eine andere Gruppe unter den ankommenden Jugendlichen, auf die das Augenmerk gerichtet werden musste. Neben den in vielen Zügen und Trecks aus dem Osten kommenden Jugendlichen waren es ja auch noch die aus der Kriegsgefangenschaft oder den Arbeitseinsätzen zurückkehrenden älteren Diaspora-Jugendlichen, die sich in ihren Heimatgemeinden wieder einfanden. Deren Zahl war zwar deutlich geringer, die ihnen entgegengebrachte Zuwendung aber war ungleich höher. Von ihren Jugendgruppen wurden sie sehnsüchtig erwartet. Sie waren oft Vorbilder der zu Hause gebliebenen Jugendlichen gewesen, an denen diese sich in den vergangenen Monaten und Jahren orientiert hatten.289
Wie die restliche einheimische Bevölkerung waren auch deren Jugendliche nicht unvoreingenommen gegenüber den Flüchtlingen. Als eingefleischte Diaspora-Jugend waren die katholischen Jugendlichen in den Städten Mitteldeutschlands in geschlossenen Gruppen mit einem gewissen Maß an Elitebewusstsein organisiert, was sich abgesehen von der engagierten Sorge um die Neuankömmlinge auch in gewissen Vorbehalten gegenüber jenen ausdrückte. Diese Vorbehalte schlugen sich sogar in der Sprache nieder.290 Die religiöse Sozialisation der oft dörflich und traditionell aufgewachsenen Jugend der Vertriebenen unterschied sich sehr stark von der meist städtischen Diasporajugend. Die Vertriebenen waren geprägt durch die alltäglichen christlichen Bräuche im vertrauten Umfeld, in dem sie als volkskatholische Jugendliche aufgewachsen waren. Daher standen sie der für sie ungewohnten religiösen Praxis der städtischen Diaspora mitunter reserviert gegenüber. Die zahlenmäßige Überlegenheit der Jugend aus den Ostgebieten, oft so groß, dass die Jugendlichen der Vertriebenen in manchen Gemeinden die bisherige Jugend der Anzahl nach stark dominierten, machte allein noch keine Beheimatung aus.291 Das manchmal sehr ausgeprägte Selbstbewusstsein der Diasporajugend war auch nicht immer einladend. Schwieriger noch war die Situation auf dem Lande. Dort gab es zumeist kein katholisches Jugendleben, in das sie integriert werden konnten. Die ihrer Wurzeln beraubten Jugendlichen hatten weder eine katholische Jugendgruppe noch einen Seelsorger als Ansprechpartner.
Auf der anderen Seite mussten die einheimischen Seelsorger und die wenigen Jugendseelsorger erfahren, dass ihre bewährten Methoden der Diasporaseelsorge bei den Vertriebenen nicht in dem Maße fruchteten, wie sie es gewohnt waren.292 Vom ganzen Dorf, der ganzen Pfarrei oder der Altersgruppe begangene katholische Feiertage, die regelmäßig stattfindenden Gebetskreise, die Mitgliedschaft in den Marianischen Congregationen oder die Teilnahme an Wallfahrten gehörten zu den vertrauten religiösen Vollzügen der Jugend aus den Ostgebieten. Solche Angebote gab es in der Diaspora nicht. In Erinnerung an gewohnte Gruppenabende mit 100 Jugendlichen in Breslau oder die Wallfahrten zum Annaberg mit zehntausend Jugendlichen, bestimmt vom eigenen Gepräge des schlesischen Brauchtums, wie der besonderen Marienfrömmigkeit, mussten sich die Jugendlichen in der neuen Diasporasituation fremd vorkommen. Die Jugend in der Diaspora hingegen wuchs schon immer in einer Situation der Minderheit auf, die auch eine in sich relativ geschlossene Gruppenbildung nach sich zog. Außer dass man sich zur katholischen Jugend zugehörig fühlte, gab es also vorerst nicht allzu viele Gemeinsamkeiten.293 Beide Gruppen lebten zunächst so stark nebeneinander, dass sogar über die Bestellung eines eigenen „Flüchtlingsseelsorgers“ nachgedacht wurde.294 1948 wurde das „Dezernat für Flüchtlingsseelsorge“ mit der Aufgabe eingerichtet, die Integration der Vertriebenen zu unterstützen.295 Als nebenamtlicher Referatsleiter fungierte O. Müller. Das Dezernat bestand allerdings nur für kurze Zeit, denn es lag auch im Interesse einer geordneten Pfarrseelsorge, die verschiedenen Gruppen der vertriebenen Katholiken möglichst schnell in die bestehenden bzw. neu entstandenen Gemeinden zu integrieren.
Die katholische Jugend der Diaspora wurde von den Seelsorgern ermuntert, Kontakt zur Jugend aus den Ostgebieten aufzunehmen. Dazu zählte zunächst einmal die persönliche Begrüßung am Bahnhof durch die Jugendlichen des Ortes.296 Wer sich in die bestehenden Jugendgruppen einbringen wollte, wurde auch recht schnell integriert.297 Aber es gab auch weniger behutsamen Umgang mit den Vertriebenen. In dieser Weise konnte der Vorschlag von W. Weskamm verstanden werden, für die „Flüchtlinge“ besondere Gottesdienste abzuhalten, damit sie den religiösen Sinn ihrer Heimsuchung verstünden und sich der Seelsorge des Kommissariates bewusster einordnen könnten. Dazu wurden besondere Einkehrtage, „Missionen“ oder sogenannte „Triduen“298 für die Vertriebenen im ganzen Bereich des Kommissariates angeboten.299 Die mit den Vertriebenen ziehenden Seelsorger versuchten den Leidensbrüdern und –Schwestern, so weit es ging, Beistand zu leisten. Der Bischof vom Ermland, M. Kaller, selbst Vertriebener, oder andere versuchten als „Flüchtlingsseelsorger“ den Heimatvertriebenen bei der religiösen Bewältigung ihres Schicksals zu helfen.300 Aus den Tagebuchnotizen der Michaelgruppe von Halle-Mitte zu diesem Tag wird die von Bischof Kaller vermittelte theologische Interpretation der Vertriebenenproblematik deutlich. Die Aufgabe der Jugend unter den Vertriebenen sei es, ihr Leiden als Sühneopfer für das deutsche Volk und die sündige Welt zu ertragen. Daraus ergäbe sich zugleich die Aufgabe für die Jugend der Diaspora, die Teilnahmslosigkeit zu überwinden und die heimatlosen Brüder aufzunehmen. Die gegenseitige Bereicherung und neu gewonnene Lebenskraft drücke sich im gemeinsamen Gebet und gemeinsamer Arbeit aus.301
Die Jugend aus dem Osten hatte ihre Heimat verloren und sie stand in der Auseinandersetzung mit der Diaspora davor, auch ihre traditionellen religiösen Ausdrucksformen aufgeben zu müssen. Dem volkskirchlichen Christentum wurde zudem die besondere Vorbildfunktion der Diasporachristen gegenübergestellt. Auch wenn sie sehr pauschalisierend klingen mag, brachte die Tagebuchnotiz eines Jugendlichen aus Halle damaliges Empfinden auf den Punkt: „Die Jugend der Umsiedler kommt aus Gebieten, in denen oftmals eine Äußerlichkeit und Lauheit im religiösen Leben eingetreten ist. Sie können aus dem Geist lebendigen Glaubens, wie ihn am schönsten die Vorpostenstellung der Diaspora heranzieht, neue Kraft empfangen.”302 Die Christen der Diaspora verstanden sich als etwas Besonderes. Sie waren es, die unter schweren Bedingungen ausgehalten hatten, demgegenüber sei das christliche Leben unter volkskirchlichen Bedingungen einfacher zu gestalten gewesen. Oft hatten die Seelsorger mit der Mentalität der Jugend aus den Ostgebieten zu kämpfen. Die Erwartungen der Jugendseelsorger entsprachen nicht unbedingt den Bedürfnissen der Jugendlichen, wie Pfarrer Schmidt resignierend feststellen musste. Er beklagte sich darüber, dass eine große Schar Jugendlicher sich zurückhielte und „für eine intensive Arbeit in unserem Sinne und Formung im bündischen Stil in keiner Weise ansprechbar“ sei. Selbst in der Einschätzung der Vertriebenen wurden noch Unterschiede gemacht. Vertriebener war nicht gleich Vertriebener und Flüchtling nicht gleich Flüchtling.303 Bei manchen Klerikern hatten unter den Vertriebenen besonders die Sudetendeutschen einen schlechten Ruf.304 Derartige Stigmatisierungen verdeutlichen, dass nicht von allen Seelsorgern die besondere Problematik der heimatlosen Jugendlichen wahrgenommen wurde. Diese Haltung der Priester behinderte zugleich die Beheimatung der Vertriebenen.305 Letztendlich lösten sich erst mit dem Verschmelzen von Diasporajugend und der Jugend aus den Ostgebieten in den folgenden Jahren solche Schwierigkeiten allmählich auf.
Ungeachtet aller anderen Faktoren war die seelsorgliche Arbeit unter den Vertriebenen auch dadurch erschwert, dass ganz selbstverständliche Dinge für die religiöse Praxis fehlten. Es gab keine einheitlichen Lieder, nicht einmal eine überall gebräuchliche Melodie bei gleichem Text.306 Auch die religiösen Bedürfnisse und Frömmigkeitsformen der Jugendlichen waren verschieden. Das zeigte sich schon bei der Begrifflichkeit. So wurden in Halle die Jugendlichen darauf hingewiesen, statt wie bisher bereits üblich vom „Gottesdienst“ wieder von der „Heiligen Messe“ zu sprechen, um die Hinzukommenden nicht zu verwirren.307 Die Jugendlichen, die in volkskirchlichem Kontext sozialisiert waren, fühlten sich in dem religiös eher herausfordernden Alltag der Diaspora nicht wohl. Wallfahrten, das katholische Milieu, die vielfältigen Formen der Marienverehrung fehlten oder waren in der Diasporasituation nur lokal ausgeprägt. Die Unterschiede verstärkten die Befürchtungen der Seelsorger, dass die Flüchtlingsjugend von der relativ geschlossenen, ansässigen Jugend nicht aufgenommen werden könnten.308 Auch wenn Einzelbeispiele zeigen, dass dem nicht so sein musste, war es oft sehr schwierig, zwei derart unterschiedliche Traditionen zu verschmelzen. Der pastorale Ansatzpunkt für die Seelsorge an der Jugend aus den Ostgebieten war aus diesem Grunde in erster Linie, alle Jugendlichen zu sammeln mit dem Ziel, in jeder Gottesdienststation mindestens eine gemeinsame Jugendgruppe zu gründen und durch den gemeinsamen Glaubensvollzug die Verschiedenheit der beiden Seiten zu überwinden.309
Doch es gab nicht nur die „traditionellen“ Jugendlichen unter der Jugend aus den Ostgebieten. Auch in Schlesien gab es ähnliche Jugendaktivitäten wie in der Diaspora. Die Jugendseelsorger im Osten wurden ebenso wie in der Diaspora von Laienhelfern bei der Gestaltung von Heimabenden unterstützt. Darüber hinaus wurde aus den Jugendgruppen der Sudetendeutschen heraus ähnlich Opposition gegen den Nationalsozialismus geleistet wie anderenorts in Deutschland. Und auch die Jugend des Ostens war zum Teil durch den Einfluss der Jugendbewegung geprägt.310 Schließlich war G. Moschner Schlesier und auch der Jugendbund Quickborn hatte seine Wurzeln in Schlesien. Zumindest in den städtischen Regionen hatte Quickborn nicht unerheblichen Zuspruch bei den Jugendlichen gehabt,311 mit der Einschränkung, dass von diesen bündischintellektuellen Gruppierungen eher nur ein kleiner Teil der Jugend der Volkskirche angesprochen wurde und weniger die Masse.312 So waren für diese Jugendlichen aus den Ostgebieten liturgische Elemente wie der gemeinsame Opfergang, die „missa recitata“ oder die Feldgottesdienste nicht neu. Auch das christliche Laienspiel wurde sowohl in volkskirchlicher wie auch in der Tradition der Diaspora als Möglichkeit der Glaubensverkündigung gepflegt. An die bisherigen Traditionen anzuknüpfen aber war ihnen nicht möglich. Schließlich hatten die Vertriebenen aus den Ostgebieten nur in den Pfarrgemeinden die Möglichkeit, in begrenztem Rahmen ihr religiöses Brauchtum zu pflegen. Überall sonst war in der SBZ den „Umsiedlern“ oder „Neubürgern“ jede Art landsmannschaftlicher Betätigung untersagt, da diese Art von Aktivität als revanchistisch eingestuft wurde.