Kitabı oku: «Es gibt kein Glück», sayfa 2

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Rosemarie hatte noch nie an eine Heirat gedacht. Sie wußte ja, daß sie kränklich und häßlich sei, und es war auch noch nie ein junger Mann in ihr Leben getreten, der einen Wunsch nach Vereinigung in ihr erweckt hatte. So war sie von den Worten der Tante nicht sonderlich erschüttert worden, und nur der Gedanke an die ewige Schonung war ihr gräßlich.

»Das ist ja nicht so schlimm, daß ich nicht heiraten darf, Tante Herta, ich hätte es auch ohnedies nicht getan. Ich weiß ja, daß ich häßlich bin. Wenn ich mich nur nicht immer schonen müßte, dann sollte mich das andere wenig verdrießen. Du kannst ganz ruhig sein, ich heirate nie«, sagte sie ziemlich ruhig.

Herta v. Ribnitz war zufrieden mit der Wirkung ihrer Worte.

Seit dieser Reise nach Berlin waren fast zwei Jahre vergangen. Rosemarie war nun inzwischen einundzwanzig Jahre alt und mündig geworden. Nominell war sie unumschränkte Herrin von Waldeck und über ihr Vermögen. Aber in Wirklichkeit war Herta v. Ribnitz die Herrscherin über alles und wurde von den Untergebenen als solche angesehen und respektiert.

Heinz v. Ribnitz besuchte schon seit Jahren das Gymnasium einer benachbarten größeren Stadt und kam nur in den Ferien nach Hause. Er sollte auf Wunsch seiner Mutter später Landwirt werden.

Und Rosemarie lebte stille Jahre. Ihr gesundes Naturell bäumte sich mehr und mehr gegen den Zwang auf, den man ihr auferlegte, und verleitete sie dazu, heimlich, ohne Tante Hertas Wissen, ihre jungen Kräfte zu regen und anzustrengen. Und das bewahrte sie vor einem kraftlosen Verblühen und Welken.

Sobald sie sich allein wußte, nahm sie im instinktiven Drange allerlei Leibesübungen vor, die ihr Tante Herta in übertrieben ängstlicher Besorgnis untersagte. Sie lief und kletterte wie ein Eichhörnchen, ohne darauf zu achten, ob sie sich dabei erhitze. Sie ruderte sogar heimlich. Der Park war auf der einen Seite von einem Fluß begrenzt. Dort lag an einem schmalen Steg ein hübsches, schlankes Ruderboot. Bei sehr warmem, sonnigem Wetter durfte Heinz seine Kusine zuweilen ein Weilchen spazierenfahren. Rosemarie mußte dann aber, in warme Tücher eingehüllt, stillsitzen. Das gefiel ihr wenig. Aber wenn sie Tante Herta abwesend oder beschäftigt wußte oder sonst niemand in der Nähe war, der sie verraten konnte, kettete sie das Boot los, sprang hinein und ruderte mit einem Frohgefühl ohnegleichen kraftvoll und geschmeidig flußaufwärts. Ach, wie war sie glücklich in solchen Stunden gestohlener Jugendlust. Dann fühlte sie sich gesund und frei und mochte nicht denken an Krankheit und ängstliche Schonung.

Wie grausam Herta v. Ribnitz gegen das Kind ihrer Schwester war, kam ihr selbst gar nicht so recht zum Bewußtsein. Soweit es nicht ihre Pläne kreuzte, gönnte sie Rosemarie alles Gute. Die Hauptsache war ihr, daß diese unvermählt blieb. Sie sorgte außerdem dafür, daß Rosemarie immer so unvorteilhaft wie möglich gekleidet war, damit sie niemand begehrenswert erschien.

Rosemarie war so ziemlich gleichgültig gegen ihr Äußeres geworden und hatte sich drein gefunden, häßlich zu sein. Auch war sie fest entschlossen, niemals zu heiraten. Sie kam ja auch fast gar nicht mit jungen Herren in Berührung, und ihr Sinn war kindlich unberührt geblieben. Ihr Herz hatte sich noch in keiner Weise geregt.

Doch vor einigen Wochen hatte sie mit einem jungen Manne eine Begegnung gehabt, die sie seltsam berührte. Niemand wußte darum.

Sie war eines Morgens, als Tante Herta auf die Felder hinausgeritten war, wie ein junges Füllen, das sich der Fesseln ledig fühlt, durch den einsamen Park gestürmt und hatte am Fluß das Boot losgekettet. Sich der gewonnenen Freiheit freuend, war sie bis über Waldecker Gebiet hinaus gerudert. Gewöhnlich machte sie halt an der Stelle, wo der Fluß eine starke Biegung macht. Dort ruhte sie oft eine Weile aus und sah nach Schloß Teklenburg hinüber. Das war einst das schönste und stolzeste Schloß in der Umgegend gewesen. Jetzt lag es aber unbewohnt und verwahrlost und die Wirtschaftsgebäude daneben waren baufällig und verfallen.

Rosemarie konnte das Schloß nie ohne eine leise Wehmut betrachten. Da drüben hatten einst liebe Freunde ihrer Eltern gewohnt. Das Schloß gehörte noch dem jungen Freiherrn Henner v. Teklenburg, der aber schon lange nicht mehr nach Hause gekommen war.

Sie konnte sich noch sehr gut des jungen Freiherrn erinnern. Er war, als ihr Vater noch lebte, oft in Waldeck zu Gast gewesen, und sein sonniges Wesen hatte manchen Lichtblick in das traurige Dasein des Kranken gebracht.

Der junge Freiherr hatte Teklenburg als stark zusammengeschmolzenen und wenig einträglichen Besitz von seinem Vater geerbt. Aber trotzdem seine Vermögensverhältnisse sehr ungünstig waren, hatte er stets einen frohen Sinn. Henner war Offizier bei den Gardedragonern, und er dachte nicht daran, seinen Abschied zu nehmen, um den Rest seines Besitzes selbst zu verwalten. Er sah das Nutzlose des Beginnens ein.

Das stolze Schloß verfiel mehr und mehr, denn es fehlte an Kapital, es instand zu halten.

Wenn Henner auf Urlaub daheim war, weilte er täglich in Waldeck. Oft holte er sich Rat und Hilfe bei Rosemaries Vater, wenn es einmal gar nicht mehr weitergehen wollte. Ein großer Teil der Teklenburgschen Wälder und Felder war von Herrn v. Waldeck gekauft worden, weil sie Henner nicht mehr halten konnte.

Rosemarie erinnerte sich noch deutlich einer kleinen Szene aus den letzten Lebenstagen ihres Vaters. Sie hatte neben ihm gesessen und mit ihm geplaudert, als Henner gemeldet wurde und eintrat. Rosemarie hatte bleiben dürfen.

Henner v. Teklenburg hatte sich lächelnd einen Sessel herbeigerückt. Rosemarie sah ihn noch vor sich in seiner schlanken Größe. Er zählte damals wohl fünfundzwanzig Jahre. Halb lachend, halb seufzend hatte er zu dem Vater gesagt:

»Ich bin einmal wieder auf Urlaub gekommen, um Geld flüssig zu machen, Herr v. Waldeck. Weiß Gott, ich liege so krumm wie möglich, aber meine jammervollen Einkünfte werden immer geringer. Wenn das so weitergeht, muß ich wahrhaftig eines Tages in den sauren Apfel beißen und mich nach einer reichen Frau umsehen, damit Teklenburg nicht vollends verkommt. Dann nehme ich meinen Abschied und fange an, wieder aufzubauen. Man hängt doch mit allen Fasern an der Heimat — an der Scholle, wenn man auf dem Lande großgeworden ist.«

»Es wäre ja jammerschade, lieber Henner, wenn Teklenburg noch mehr herunterkäme. Also will ich Ihnen wünschen, daß Sie bald eine reiche Frau finden, die Ihnen aus allen Nöten hilft«, hatte der Vater geantwortet.

Henner hatte gelacht. »So schnell wird das nicht gehen, Herr v. Waldeck, denn es wird nicht leicht sein für mich, eine passende Frau zu finden. Sie muß nicht nur reich sein, sondern auch hübsch, so hübsch, daß ich mich mit gutem Willen in sie verlieben kann. Denn ohne dies tue ich's nicht. Zuwider darf sie mir nicht sein, denn ein ehrlicher Mensch will ich bleiben.«

Rosemarie hatte mit großen Augen zugehört, und er hatte sie neckend ein wenig an ihrem dicken Hängezopf gezogen und von etwas anderem gesprochen.

Als er dann gegangen war, hatte Herr v. Waldeck seine müde Hand auf Rosemaries Kopf gelegt und hatte gesagt:

»Henner ist ein prachtvoller Kerl, ein wahrer Ritter ohne Furcht und Tadel. Das wäre mal ein Schwiegersohn nach meinem Herzen, trotz seiner Armut. Gelt, Rosemarie, dir gefällt er auch?«

Kindlich lächelnd hatte sie genickt. »O ja, ich mag ihn gern leiden, du bist immer froh, wenn er hier ist. Und er hat so gute, lustige Augen.«

»Ja, trotzdem es ihm wahrlich nicht sehr gut geht, läßt er sich nicht unterkriegen. Na — wer weiß, wie sich noch alles fügt.«

Und an diese Unterredung, die in ihrer Erinnerung haftengeblieben war, mußte sie an jenem sonnigen Frühlingstag denken, da sie in ihrem Boote an der Flußbiegung rastete und nach Schloß Teklenburg hinüberschaute. Und ihre Gedanken beschäftigten sich weiter mit Henner und mit dem, was sie seither von ihm gehört hatte. Wiedergesehen hatte sie ihn nicht seit der Beerdigung ihres Vaters, zu der er extra auf wenige Stunden aus der Residenz gekommen war.

Jobst v. Steinau, ihr Vormund, der ebenfalls mit Henners Vater befreundet gewesen, brachte zuweilen Kunde von ihm nach Waldeck.

Henner v. Teklenburg hatte sich, etwa zwei Jahre nach dem Tode ihres Vaters, mit einer jungen Dame verlobt. Er hatte sich in das sehr schöne junge Mädchen heftig verliebt, ohne zu wissen, wer sie war. Erst nachdem er sie einige Male gesehen, war es ihm endlich gelungen, sich ihr vorstellen zu lassen. Und da erst hatte er erfahren, daß Alice v. Sternfeld die Tochter eines neugeadelten Großindustriellen war, dessen Reichtum überall bekannt war.

Henner hatte sich sofort um Alice beworben. Er hatte sie wahrhaft geliebt und war sehr glücklich gewesen, daß sie sich seinen Bewerbungen gegenüber nicht ablehnend verhielt.

Da ihr neugeadelter Vater dringend eine Verbindung seiner einzigen Tochter mit einem Mann aus altem Adelsgeschlecht wünschte, begünstigte er die Bewerbung des jungen Freiherrn, dessen Geschlecht zu den ältesten des Landes gehörte.

Alice v. Sternfeld fand Henner ganz sympathisch und fügte sich ohne Widerstreben dem Wunsche des Vaters, ohne indes ihrem Verlobten eine so heiße Liebe entgegenzubringen, wie er für sie empfand.

Das Gerücht von Henners Verlobung mit einer Millionenerbin machte damals in den heimatlichen Kreisen viel Aufsehen.

Schon sollte mit der Renovierung von Schloß Teklenburg begonnen werden. Henner gehörte nicht viel mehr von dem Erbe seiner Väter als das Schloß, der schöne alte Park mit dem prachtvollen Baumbestand und einige Acker, die er verpachtet hatte. Alles andere hatte er nach und nach verkaufen müssen, da ihm niemand den zusammengeschmolzenen Besitz beleihen wollte. Auf die Rückerwerbung des Grundbesitzes legte sein zukünftiger Schwiegervater durchaus kein Gewicht, da Henner auf Wunsch seiner Braut Offizier bleiben sollte. Aber das feudale alte Schloß sollte im alten Glanze erstehen, und außerdem sollten die alten Wirtschaftsgebäude abgetragen und nur eine neue Stellung für Pferde und Wagen und eine Automobilgarage aufgebaut werden. Herr v. Sternfeld hatte bereits einen Architekten nach Teklenburg geschickt und ihn beauftragt, Pläne und einen Kostenanschlag zu machen. Auch diese Nachricht verbreitete sich schnell in der ganzen Umgegend. Aber kaum war der Architekt von Teklenburg wieder abgereist, da tauchte ein neues Gerücht auf, das sich bald zur Wahrheit bestätigte.

Henners Verlobung mit Alice v. Sternfeld war von ihm selbst gelöst worden. Zugleich hatte er ein Duell gehabt mit seinem Freund und Kameraden Herrn v. Simar. Alice v. Sternfeld hatte ihren Verlobten hintergangen und heimliche Zusammenkünfte mit Herrn v. Simar gehabt. Henner hatte sie in einer gravierenden Situation in den Armen seines besten Freundes überrascht, und es war zu einem Eklat gekommen. Im Duell hatten sich dann die beiden Freunde gegenübergestanden, und Henner hatte dem Zerstörer seines Glückes in die linke Schulter geschossen, so daß dessen linker Arm für alle Zeit gelähmt blieb. Er selbst war unversehrt geblieben und erhielt nur eine kurze Festungshaft.

Dieses Erlebnis mußte einen tiefen und schlimmen Eindruck auf ihn gemacht haben. Nach Verbüßung seiner Festungshaft hatte er seinen Abschied vom Militär genommen und ein wildes, tolles Leben begonnen, ohne auf das vernünftige Zureden seiner Bekannten zu achten. Seine Liebe zu Alice Sternfeld mußte sehr stark und tief gewesen sein, und zugleich war er von einer tiefen Bitterkeit erfüllt wegen der Untreue seines Freundes. Man sagte, er sei ein völlig anderer Mensch geworden und führe ein ganz unsinniges, zügelloses Leben, um seinen Groll und Schmerz zu betäuben. Das Leben schien allen Wert für ihn verloren zu haben. Wie von aller Vernunft verlassen, wirtschaftete er drauflos und vergeudete mit vollen Händen, was ihm noch geblieben war. Er verschleuderte die letzten Äcker, um Geld in die Hände zu bekommen, und dann ließ er alle noch vorhandenen alten Möbel aus Schloß Teklenburg verkaufen. Zuletzt begann er gar, den herrlichen alten Park abzuholzen. Er ruhte nicht eher, bis er völlig ruiniert war.

Vor einigen Wochen hatte Rosemarie gehört, wie Jobst v. Steinau zu ihrer Tante gesagt hatte:

»Nun ist Henner Teklenburg zu Ende mit seinem Latein. Jetzt hat er nichts mehr, was er zu Gelde machen kann, denn für das verwahrloste Schloß und die verfallenen Wirtschaftsgebäude gibt ihm niemand einen Heller. Ich bin doch gespannt, ob er nun endlich wieder zur Vernunft kommt. Schade um ihn — er war trotz allem ein Prachtmensch. Aber er hat sich selbst verloren — weil ihm ein Weib und sein Freund die Treue brachen. Es kann einem das Herz umdrehen. Man hat den Prachtkerl doch aufwachsen sehen und hat seine Freude an ihm gehabt. Was bleibt ihm nun noch? Er geht vor die Hunde. Entweder muß er nun hinüber über den großen Teich — oder — «

Jobst v. Steinau hatte eine bezeichnende Gebärde gemacht, als wenn er eine Pistole an die Stirn setzte.

Da hatte Rosemarie plötzlich einen stechenden Schmerz in ihrem Innern empfunden. Sie hatte im Geiste Henner wieder vor sich gesehen, so wie er damals mit ihrem Vater sprach. Und es tat ihr nun etwas im Herzen weh bei dem Gedanken an ihn, den ihr Vater so geliebt hatte. Und die Worte, die der Vater damals zu ihr gesprochen, klangen ihr im Ohr: »Das wäre mal ein Schwiegersohn nach meinem Herzen, trotz seiner Armut. Gelt, Rosemarie, dir gefällt er auch?«

Ganz betrübt war Rosemarie geworden, daß Henner sich nun selbst ins Verderben gestürzt hatte. Sie konnte sich gar nicht von dem Gedanken losreißen. Wie unglücklich mußte er sein über die Untreue seiner Braut, daß er sich in seinem Gram sein ganzes Leben zerstörte und sich wie ein Unsinniger zu betäuben suchte.

Rosemarie begann plötzlich mit Vorliebe Romane zu lesen, die sie bisher nicht geliebt hatte. Tante Herta hatte ihr auch diese Lektüre verboten. Aber an dies Verbot hielt sie sich nun nicht mehr. Sie verschaffte sich die Bücher heimlich aus der Bibliothek, und sie las sie, wenn sie allein in ihren Zimmern oder auf ihrem Lieblingsplätzchen im Geäst des Lindenbaumes saß.

Und sie begann über das Wesen der Liebe nachzudenken.

Mit Vorliebe ruderte sie nun auf dem Flusse so weit, bis sie Schloß Teklenburg liegen sah. Und dann träumte sie, sie sähe dort Henner an der Seite einer schönen jungen Frau, und sie hörte wieder sein warmes, lustiges Lachen.

So saß sie auch an jenem Frühlingstage in ihrem Boot und sah träumerisch nach Schloß Teklenburg hinüber. Und plötzlich schrak sie aus ihren Träumen empor. Sie hörte dicht neben sich das Aufschlagen eines anderen Ruders und erblickte ein altes, verwittertes Boot. In diesem Boote aber saß ein schlanker Mann im Anfang der dreißiger Jahre. Er hatte ein scharfgeschnittenes, schmales Gesicht mit düsteren Augen.

Rosemarie war noch nie jemand bei ihren heimlichen Ruderausflügen auf dem Fluß begegnet. Aber das alte verwitterte Boot kannte sie. Es lag sonst da drüben an dem schmalen, verfallenen Steg. Und als sie dem Insassen des Bootes in das finstere Gesicht sah, zuckte sie wie in jähem Schmerz zusammen. Dieses trotzig verbitterte Gesicht hatte sie einst froh und in sonniger Heiterkeit vor sich gesehen. Sie wußte nicht, weshalb ihr dieser Anblick so wehe tat. Aber unwillkürlich entfuhr ein Ausruf ihren Lippen: »Henner v. Teklenburg!«

Da blickte der Mann in dem Boote auf, in Rosemaries vor Überraschung gerötetes Gesicht. Er hielt einen Augenblick die Ruder an und richtete sich empor.

»Ah — das ist das kastanienbraune Haar, das ich in Waldeck oft in den Händen gehalten habe. Ich kenne es an der aparten Schattierung. Also Fräulein Rosemarie! Kind — es lohnt sich nicht, meine Bekanntschaft aufzufrischen. Du tust besser, mir weit aus dem Wege zu gehen. Ich bin ein wilder Gesell geworden, einer — dem nichts mehr heilig ist. Um deines Vaters willen, den ich einst geliebt — geh mir weit aus dem Wege!«

So rief er mit schneidender Schärfe. Und dann setzte er wieder die Ruder mit trotziger Wildheit ein, daß das Wasser hoch aufspritzte. Und wie ein Pfeil flog das Boot davon, nach der von Waldeck entgegengesetzten Richtung zu.

Rosemarie saß wie erstarrt und sah ihm mit weit geöffneten Augen nach. Und das Herz tat ihr noch viel weher als zuvor.

Zu Hause erwähnte sie natürlich kein Wort von dieser Begegnung. Es wußte ja niemand, daß sie auf dem Flusse gerudert hatte. Aber auch ohnedies hätte sie nicht davon sprechen können.

Einige Tage später saß sie vormittags gegen elf Uhr auf ihrem Lieblingsplatz in der Lindenkrone — und dachte an Henner Teklenburg. Und da erblickte sie einen Reiter auf dem schmalen Weg, der draußen am Park vorüberführte. Es war der, an den sie eben gedacht hatte.

Auch heute saß er mit dem trotzig verächtlichen Gesichtsausdruck von neulich auf seinem Pferd — es war sein letzter Besitz — und sah finster vor sich hin.

Rosemarie wagte nicht, sich zu rühren, damit er sie nicht entdeckte. Sie hielt sogar den Atem an, bis er vorüber war. Aber dann neigte sie sich vor und folgte ihm mit den Augen.

Sooft sie nun konnte, saß sie um diese Zeit wartend in der Lindenkrone. Noch einige Male kam er um dieselbe Zeit auf seinem Pferde vorüber. Zuweilen im wildesten Tempo, aber manchmal ließ er das Pferd auch gehen, wie es wollte. Einmal hielt er eine ganze Weile gedankenlos in ihrer Nähe und starrte vor sich hin, während sein Pferd an einem Baumstamm schnupperte. Und da hörte sie einen tiefen, schweren Seufzer aus seiner Brust emporsteigen.

Rosemarie war zumute, als fühle sie sein ganzes Unglück mit ihm. Es gab nun plötzlich für sie einen Menschen auf der Welt, für den sie ein brennendes Interesse empfand, um dessen Wohl sie sich sorgte, wie um ihr eigenes, nach dessen Anblick sie sich sehnte und der ihr das Blut schneller durch die Adern trieb. In diesen Tagen erwachte Rosemarie, ohne daß es ein Mensch ahnte, aus ihrem Schattendasein zum warmen, vollen Leben. Ihre junge Seele streifte die kindliche Gleichgültigkeit und Unbefangenheit ab und reifte zu der eines jungen Weibes.

Wie im Traum ging sie umher und lebte mit ihren Gedanken in einer ganz anderen Welt als bisher.

Jobst v. Steinau hatte es vor kurzer Zeit erst als Neuigkeit nach Waldeck gebracht, daß Henner v. Teklenburg in sein verfallendes Schloß heimgekehrt war. Dort hause er wie ein Einsiedler mit seinem Diener, der schon als Bursche während seiner Offizierszeit in seinen Diensten gestanden hatte und der ihm anscheinend auch jetzt im Unglück treulich anhänge.

Jobst v. Steinau hatte, sobald er von Henners Rückkehr vernommen, ihn aufsuchen und ein ernstes, vernünftiges Wort mit ihm sprechen wollen.

»Der Bursche behauptete aber, sein Herr empfange keine Besuche und wolle niemand sehen. Wie ich trotzdem in den Bau eindringen wollte, verstellte mir der Bursche den Weg wie eine Mauer, und ich glaube, er hätte mich in aller Ehrfurcht und Bescheidenheit glatt an die Luft gesetzt, wenn ich nicht freiwillig gegangen wäre.«

So sagte Herr v. Steinau halb lachend, halb ärgerlich.

Auch heute saß Rosemarie erwartungsvoll auf ihrem Wachtposten. Und auch heute kam er wieder den einsamen Weg entlang geritten.

Ganz langsam schritt das Pferd aus und knabberte hier und da an einem Grashalm. Die Zügel ruhten lässig in Henners Hand, und er achtete, in Gedanken verloren, kaum auf das Tier.

Rosemarie sah ihm nach, soweit sie sehen konnte. Fast hätte sie dabei auf ihrem luftigen Sitz das Gleichgewicht verloren. Darüber erschrak sie und erwachte aus ihren Träumen.

»Wenn ich ihm doch helfen könnte — ach, wenn ich ihm doch helfen könnte!«

So dachte sie mit schmerzlicher Inbrunst. Sie wußte nicht, daß das, was sie für Henner empfand, Liebe war. All ihre Gedanken umkreisten mit einer unbeschreiblichen Innigkeit und Inbrunst seine Person. Sie empfand tiefen Schmerz darüber, ihn leiden zu sehen, und hätte willig und ohne Zaudern das schwerste Opfer gebracht, um ihn wieder froh zu machen und ihm aus seiner drückenden Lage zu helfen.

In tiefes, schmerzliches Sinnen verloren, stieg sie von ihrem Sitz herab und ging langsam durch den Park nach dem Herrenhause von Waldeck zurück.

Das war ein imposanter, schloßähnlicher Bau mit weit ausgedehnten Seitenflügeln und einem hochstrebenden Mittelbau, zu dessen Portal eine Freitreppe emporführte.

Die Wirtschaftsgebäude lagen etwas abseits, hinter den Bäumen versteckt. Aber man hörte fleißiges Hantieren und laute Zurufe der Knechte und Mägde herüberschallen.

Als Rosemarie die Freitreppe emporsteigen wollte, kam Frau v. Ribnitz gerade auf ihrem Pferde durch das Tor an der Parkmauer geritten und rief sie an. Rosemarie wartete, bis die Tante herbeikam. Aber es lag kein freudiger Ausdruck auf ihrem Gesicht. Noch ehe Herta v. Ribnitz vor Rosemarie anhielt, kam der Stallknecht herbeigelaufen und half ihr vom Pferde.

Schnell war sie an der Seite des jungen Mädchens und umfaßte zärtlich ihre schlanke Gestalt.

»Warst du im Park, Herzkind? Hast du dir auch nicht zuviel zugemutet? Du siehst blaß aus. Fühlst du dich auch ganz wohl?«

So drang sie besorgt in Rosemarie.

Diese atmete lief auf, wie ein Mensch, der wieder eine schwere Bürde aufnehmen muß, die er eine Weile abgelegt hatte.

»Ich bin ganz wohl, Tante Herta«, sagte sie monoton, wie einen auswendig gelernten, oft wiederholten Spruch.

»Und wo ist Heinz? Hat er dir nicht Gesellschaft geleistet?«

»Doch, bis vor kurzer Zeit. Jetzt arbeitet er an seinen Ferienaufgaben.«

»Ja, richtig. Nun, das muß auch sein. Komm, geh mit hinein und ruhe dich ein wenig.«

Als Tante Herta sie nun, sorglich und zärtlich auf sie einsprechend, ins Haus führte, preßte Rosemarie die Lippen aufeinander.

Sie war froh, als ihnen in der Vorhalle Heinz entgegenkam. Er war für heute mit seinen Arbeiten fertig.

Seine Mutter sah mit aufleuchtenden Augen auf den hübschen schlanken Jüngling. Er war ihr sehr ähnlich und zu ihrer innigen Befriedigung hatte er auch nichts von dem leichtsinnigen Charakter seines Vaters geerbt. Er war schon jetzt ein fleißiger, gewissenhafter Mensch, der ernst und eifrig an seiner Ausbildung arbeitete.

Heinz liebte seine Mutter herzlich und erblickte in ihr ein leuchtendes Vorbild aller Vortrefflichkeit und Ehrenhaftigkeit. Froh begrüßte er sie, und ihre Augen strahlten mit heißer Zärtlichkeit in die seinen.

»Nun stehe ich dir wieder zur Verfügung, Rosemarie«, sagte er zu seiner Kusine, nachdem er die Mutter begrüßt hatte. »Wollen wir wieder in den Park hinausgehen? Soll ich dich ein wenig auf den Fluß hinausrudern?«

Rosemarie schüttelte schnell den Kopf. Sie wollte nicht, daß sie etwa in Heinzes Gesellschaft Henner Teklenburg begegne.

»Nein, Heinz, laß uns lieber ein wenig musizieren.«

»Gut, wie du willst, Rosemarie.«

»Aber strenge dich ja nicht zu sehr an, mein Herzkind, hörst du!« ermahnte Frau v. Ribnitz.

Rosemaries Augen blickten matt und erloschen, und ihr Mund zuckte nervös.

»Nein, nein — keine Sorge«, erwiderte sie seufzend. »Wie soll ich mich denn dabei anstrengen?«

»Ach, Kind, du wirst so leicht nervös. Bei deinem Zustand kann man nicht vorsichtig genug sein.«

Rosemarie wollte etwas erwidern. Aber dann hielt sie es doch zurück und preßte die Lippen fest aufeinander.

Stumm ging sie neben Heinz in das Musikzimmer, während Frau v. Ribnitz zu ihren Zimmern hinaufstieg, um sich umzukleiden.

Rosemarie nahm am Flügel Platz und begann ein Vorspiel. Sie spielte sehr schön und beseelt. Heinz nahm inzwischen seine Violine zur Hand.

Er spielte oft und gern mit Rosemarie. Sie begleitete ihn sehr verständnisvoll. Und so verging ihnen jetzt eine Stunde in angenehmster Beschäftigung.

* *

*

Henner v. Teklenburg hatte keine Ahnung, daß ihm Rosemarie v. Waldeck ein so brennendes Interesse entgegenbrachte und ihn oft heimlich im Vorüberreiten beobachtete.

Er wählte zu seinen Ausritten den stillen Waldweg, der an der Waldecker Parkmauer vorüberführte, weil dieser, wie er wußte, meist menschenleer war. Sah er ja einmal von ferne jemand auftauchen, dann ritt er schnell quer durch das Unterholz in den dichten Wald hinein, um einer Begegnung zu entgehen. Er vermied jedes Zusammentreffen mit Leuten, die ihn kannten. Er wollte nicht mit Fragen nach seinem Ergehen behelligt werden.

Die wenigen Worte, die er in verbissener Ironie aus seinem verwitterten Boote Rosemarie v. Waldeck zugerufen hatte, waren die einzigen, die er, außer mit seinem Burschen, mit einem Menschen gesprochen hatte, seit er vor drei Wochen nach Teklenburg zurückgekehrt war.

Er bedauerte diese Heimkehr zuweilen heftig. Was wollte er noch hier, wo ihn alles daran erinnerte, wie glücklich und froh er früher, trotz seiner bescheidenen Verhältnisse, gewesen war! Wollte er sich davon überzeugen, wie heruntergekommen und verwahrlost der Sitz seiner Väter war? Wollte er den abgeholzten Park wie eine stumme und doch beredte Anklage auf sich wirken lassen? Wäre es nicht besser gewesen, er hätte sich diesen qualvollen Anblick erspart?

Er wußte selber keine Antwort auf diese Fragen zu geben. Endlich, als der letzte Rest seines Besitzes vergeudet war, wich der Rausch plötzlich von ihm: Mit tiefem Ekel vor sich und seinem sinnlosen Treiben sah er um sich. Ein fürchterliches Gefühl der Selbstverachtung schüttelte ihn und brachte ihn zur Erkenntnis, wie weit er sich selbst verloren hatte.

Und in dieser Erkenntnis hatte er die Pistole vor sich hingelegt, um ein Ende zu machen. Er mochte nicht mehr den schalen Rest des Lebens ertragen.

Aber in dieser Stunde — dem dunklen Nichts gegenüber — kam es plötzlich wie heiße Sehnsucht nach der verlorenen Heimat über ihn. Er wollte sie abwehren, ihr nicht nachgeben. Was sollte ihm noch dieses weichliche, erschlaffende Gefühl?

Doch sie ließ ihn nicht los, diese Sehnsucht. Und schließlich sagte er sich mit bitterer, höhnischer Ironie:

»Eine Kugel kann ich mir auch dort durch den Kopf jagen, wo ich geboren bin. Und da man mich doch in der Gruft in dem verwahrlosten Schloß meiner Väter bestatten wird, so spare ich den Menschen die Mühe, mich als Leiche dorthin zu befördern.«

So hatte er sich entschlossen, die Heimat noch einmal wiederzusehen und dort zu sterben, um seinem verfehlten Leben ein Ende zu machen.

Er hatte die Pistole wieder fortgelegt und dann nach seinem Burschen gerufen, der ihm seit seiner Militärzeit treu und ergeben anhing.

»Kulitz, packen Sie meine Sachen — alles, was noch mir gehört. Und rechnen Sie mit der Wirtin ab. Ich reise nach Teklenburg. Das eine meiner Pferde, den ›Harras‹, bringen Sie heute noch zu Baron Seidlitz. Ich habe ihn verkauft. Da liegt das Geld — dreitausend Mark. Nehmen Sie davon, was Sie brauchen, um die letzten kleinen Rechnungen zu bezahlen. Mein anderes Pferd soll mit nach Teklenburg gehen.«

Henner dachte daran, daß ihn sein Lieblingspferd ›Sleipner‹ noch einmal durch die verlorenen heimatlichen Wälder tragen sollte, ehe er der Welt Valet sagte.

Kulitz sah seinen Herrn mit großen, ernsten Augen an.

»Zu Befehl, gnädiger Herr.«

Henner nickte. »Und noch etwas, Kulitz — wenn Sie mir ›Sleipner‹ nach Teklenburg geschafft haben, dann — dann müssen Sie sich nach einer anderen Stellung umsehen — ich habe kein Geld mehr, einen Diener zu bezahlen. Das ist alles, was ich noch besitze — und ich habe nun gar nichts mehr zu verkaufen.«

Kulitz blickte seinen Herrn unverwandt an, und nur in seinen Augen schien Leben zu sein. Das starkknochige, derbe Gesicht mit der vorspringenden Stirn und dem breiten, energischen Kinn schien unbewegt.

»Gnädiger Herr verzeihen — aber ich bleibe immer beim gnädigen Herrn«, erwiderte er ruhig.

Henner fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

»Mensch — es geht doch nicht, wir müssen uns trennen. Ich bleibe nur kurze Zeit in Teklenburg, dann — ja — dann trete ich eine große Reise an — wahrscheinlich über den großen Teich. Einen Diener kann ich da nicht gebrauchen — da werde ich mich ohne einen solchen behelfen müssen.«

Kulitz blieb ruhig wie zuvor.

»Ohne mich werden der gnädige Herr doch nicht fertig.«

»Ich werde es lernen müssen, Kulitz. Und — ich kann ja wahrscheinlich kaum für mich die Überfahrt bezahlen. Also bleiben Sie hier, ich werde Sie einem meiner Bekannten warm empfehlen.«

Kulitz schüttelte den Kopf.

»Es nutzt nichts, gnädiger Herr werden mich nicht los. Die Überfahrt kann ich für mich selbst bezahlen und behalte auch noch etwas übrig für die erste Not. Gnädiger Herr haben mich bisher so gut bezahlt.«

Henner warf sich aufatmend in einen Sessel.

»Guter Kerl — Sie dürfen mich nicht weich machen mit Ihrer treuen Anhänglichkeit, das kann ich jetzt gar nicht gebrauchen. Was denken Sie sich nur? Das geht doch nicht. Wenn diese drei braunen Lappen fort sind, gibt es nichts mehr zu holen bei mir. Was wollen Sie denn bei einem Herrn, der am Hungertuche nagt?«

»Mithungern! Das kann ich besser als der gnädige Herr. Und arbeiten kann ich auch — zur Not für zweie — bis der gnädige Herr da drüben mal festen Fuß gefaßt hat. Gnädiger Herr dürfen mich nicht fortjagen, ich sorge mich sonst zuschanden. Und ich bitte sehr, daß ich mit nach Teklenburg und dann mit nach Amerika darf.«

Henner sah in das ernste, treuherzige Gesicht des Burschen, und in seinen Augen schimmerte es seltsam.

»Was haben Sie denn davon, wenn ich Ihnen das erlaube, Kulitz?«

»Die Freude, daß ich meinem gnädigen Herrn nützlich sein kann.«

Henner seufzte düster auf. »Das ist verdammt wenig, mein Sohn. Sie sollten sich lieber nach einer besseren Stelle umsehen.«

In Kulitz' Gesicht zuckte es. »Gnädiger Herr können mich fortjagen — aber freiwillig gehe ich nicht, solange ich noch hoffen kann, nützlich zu sein. Ohne meinen gnädigen Herrn säße ich wahrscheinlich auf Lebenszeit im Loch. Gnädiger Herr haben doch nicht vergessen — ich weiß, was ich gnädigem Herrn zu danken habe. Wenn mich mein Herr Leutnant damals nicht beim Schlafittchen gepackt hätte, als ich mich auf den Unteroffizier Harms stürzen wollte — ich hätte ihm den Schädel eingeschlagen, weil er mich so drangsaliert hatte und mich auch noch um meine Ehre und Reputation bringen wollte. Da hat mich aber mein Herr Leutnant, als ich vorstürzen wollte, beim Kragen gepackt und mich festgehalten und hat mich angeschnauzt, ganz laut: Kerl, paß doch auf, du stolperst mir ja über meine Stiefel. Hast du keine Augen im Kopfe? — Und leise hat mir mein Herr Leutnant zugeflüstert: Ruhig Blut, Kulitz — Sie machen sich unglücklich. — Und da bin ich zu mir gekommen und der Unteroffizier Harms hat nichts sagen können. Und mein Herr Leutnant hat dann herausgebracht, daß nicht ich, sondern ein anderer auf meiner Stube gestohlen hatte, und meinen ehrlichen Namen wiederhergestellt. Und zu alledem hat mich dann mein Herr Leutnant noch als seinen Burschen angestellt, trotzdem ich damals noch ein ungeschickter Tolpatsch war, und hat mich gut gehalten und mir so viel vertraut. Und wenn ich alle guten Zeiten bei meinem gnädigen Herrn genossen habe, so will ich nun auch die schlechten Zeiten mit ihm durchmachen, damit ich endlich meine Dankbarkeit und Ergebenheit beweisen kann.«

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