Kitabı oku: «Das Halsband», sayfa 3

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4.

Gräfin Susanne fand das Telegramm, welches ihr den Unfall ihres Gatten meldete und sie heimrief, bereits im Hotel vor, als sie in Ostende ankam. Mehr ärgerlich als betrübt gab sie ihrer Zofe und ihrem Diener Befehl, alles zur Heimreise zu rüsten.

Es blieben ihr bis zur Abfahrt des nächsten Zuges einige Stunden Zeit. Sie nahm zur Erfrischung ein Bad, frühstückte und schrieb einige Billetts an ihre Bekannten, daß sie sofort wieder abreisen müsse.

Müde und verdrießlich saß sie am Fenster und schaute hinaus auf das Meer. Unten herrschte schon reges Leben. Gräfin Susanne begriff nicht, daß alle Menschen so vergnügt aussahen. Sie konnte im Schlafwagen nicht rechte Ruhe finden. Und nun hatte sie die anstrengende Reise gemacht, um sofort wieder heimzukehren. Wieder stand ihr eine lange Bahnfahrt bevor. Und dann zu Hause, was erwartete sie da? Ein schwerer Unfall — so hatte der Arzt gemeldet. Nun konnte sie möglicherweise den ganzen Sommer in Wildenfels sitzen und Krankenpflegerin spielen. Brrr — sie schüttelte sich. Kranke Menschen waren ihr widerwärtig, sie mied sogar das Krankenzimmer, wenn ihr Sohn das Bett hüten mußte.

Was mochte nur geschehen sein? Solche Telegramme waren entsetzlich. Man hätte doch Rücksicht darauf nehmen müssen, daß sie erst die weite Reise hinter sich hatte. Kehrte sie aber nicht sofort zurück, dann war ihre Schwiegermutter sicher wieder gekränkt und beleidigt.

Sie las die Depesche noch einmal durch: »Graf Joachim von schwerem Unfall betroffen. Zustand bedenklich. Sofortige Rückreise dringend erwünscht. Dr. Kreuzer.« Nervös nagte sie an der Unterlippe. Diese Nachricht hätte etwas weniger im Depeschenstil gehalten sein sollen. Dieser Dr. Kreuzer war sehr kurz angebunden. Ihre Schwiegermutter hätte wohl dafür sorgen können, daß man ihr ausführliche Nachricht gab. Aber die war natürlich kopflos vor Schreck. Wenn ihrem Sohn oder Lothar nur ein Finger weh tat, war sie schon außer sich.

Aergerlich — zu ärgerlich und hier in Ostende hätte es so amüsant werden können.

Sie erhob sich und trat vor den Spiegel. Aufmerksam betrachtete sie ihr schönes, regelmäßiges Gesicht. Ihr Teint war frisch und zart, wie bei jungen Mädchen, obwohl sie schon im dreiunddreißigsten Jahre stand. Keinerlei seelische Erregungen hatten in diesen glatten Zügen Runen hinterlassen. Hätten die etwas zu hellen, blauen Augen nicht so kalt und seelenlos geblickt, Gräfin Susanne wäre eine vollkommene Schönheit gewesen.

Mit beiden Händen umspannte sie ihre Taille und zog an dem elegant sitzenden Reisekleide. Schade, daß sie nun um die Seebäder kam, die ihr immer so gut getan hatten. Man mußte etwas tun, um sich die jugendliche Schlankheit zu bewahren. Ihre Mutter war im Alter zu stark geworden — soweit durfte es bei ihr nie kommen.

Sie drehte sich hin und her und stieß einen leisen Seufzer aus. Ohne sich zu schmeicheln, mußte sie sich gestehen, daß sie nicht älter aussah wie fünfundzwanzig Jahre. Aber freilich — ihr großer Sohn — der kompromittierte sie: Er verriet ihr wahres Alter.

Sie ließ sich wieder nieder und seufzte von neuem. Ihre herrlichen Pariser Toiletten fielen ihr ein. Die durfte sie nun am Ende nur in Wildenfels tragen zur Erbauung für die Krautjunker der Umgegend, oder, wenn es hoch kam, für die paar Offiziere aus der nahen Garnison. Hier wären sie ganz anders zur Geltung gekommen.

Aergerlich — zu ärgerlich!

Gräfin Susanne ahnte nicht, daß sie schon am nächsten Tage würde Trauerfleider anlegen müssen. — Wie sie in Wildenfels ankam, empfing sie eine seltsame Stille. Der Wagen war am Bahnhofe gewesen, aber weder der Kutscher noch der Lakai hatten ihr gesagt, was geschehen war. Sie liebte es nicht, sich mit diesen Leuten zu unterhalten.

Nun empfing sie der Hausmeister in bedrückter, feierlicher Haltung, und in der Halle kam ihr Gräfin Thea, bleich wie der Tod, und in schwarzem Gewande entgegen.

»Mein Gott, Mama — was ist geschehen?« rief sie nun doch ernstlich erschrocken.

Gräfin Thea fühlte in diesem Augenblicke mehr denn je, daß Susanne ihren Sohn nie geliebt hatte und daß sie mit der Trauerkunde keine tiefen, unheilbaren Wunden schlagen würde. Darum sparte sie sich eine lange Vorbereitung. Sie öffnete stumm die Türe zu dem kleinen Empfangssalon und lud Susanne zum Eintreten ein. Als sie allein waren, sagte Gräfin Thea mit tonloser Stimme:

»Joachim ist diese Nacht gestorben.«

Susanne zuckte zusammen und verfärbte sich.

»Tot — Joachim tot — nein, das kann ja nicht sein,« stammelte sie.

Die alte Dame berichtete kurz, sich mühsam die Worte abzwingend, was geschehen war.

Susanne war in einen Sessel gesunken und starrte betroffen in das grausam veränderte Gesicht ihrer Schwiegermutter. In diese Züge hatte das Leid seine Runen gezeichnet. Gräfin Thea war bisher eine stattliche Frau gewesen, der man nicht anmerkte, daß sie die Sechzig begann. Diese eine Nacht hatte sie um Jahre altern lassen. Als sie zu Ende war mit ihrem Berichte, seufzte Susanne auf.

»Wie furchtbar — wie entsetzlich, Mama!«

Ein paar Tränen rannen über ihre Wangen. Sie trocknete sie umständlich mit dem feinen Spitzentuche.

Gräfin Thea hatte keine Tränen. Ihre Augen blickten erloschen und leblos. Ihres Lebens höchstes Gut war ihr auf grausame Weise entrissen worden. Sie kam sich vor, als sei sie selbst gestorben.

Susanne faßte sich bald. Sie erhob sich und küßte ihrer Schwiegermutter die Wange.

»Wir müssen es zusammen tragen, Mama. Es ist sehr schmerzlich. Wenn ich das geahnt hätte — ich wäre zu Hause geblieben. Ich bin tief erschüttert.«

Gräfin Thea erhob sich ebenfalls. »Willst du ihn sehen? — ich führe dich zu ihm.«

Susanne erschrak. Ihr graute vor allem, was mit dem Tode zusammenhing.

»Ist er — sehr verändert?« stieß sie angstvoll hervor,

»Habe keine Angst — er liegt wie im Schlafe — das Gesicht ist nicht entstellt. Aber wenn du dich scheust, so gehe nicht zu ihm.«

Susanne zog nervös an ihrem Taschentuche.

»Später vielleicht — Mama — ich bin noch so namenlos erschüttert. Und ich möchte zu Lothar. Auch trage ich noch nicht einmal ein schwarzes Kleid. Schrecklich — wie konnte ich ahnen! Ich muß mir sofort einige Kleider bestellen — ich werde kaum mehr als ein schwarzes Kleid in Vorrat haben. Schrecklich — furchtbar — wie konnte ich so Entsetzliches ahnen.«

Sie fragte nicht: Hat er sehr gelitten — hat er an mich gedacht? Fremd und kühl stand sie dem Toten gegenüber, wie sie es dem Lebenden gegenüber getan hatte. Die Sorge um ihre Kleidung nahm sie weit mehr in Anspruch, als der Verlust ihres Gatten. Und nur das Grauen dem Toten gegenüber machte einigen Eindruck auf sie. Gräfin Thea sah ihr mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke nach, als sie schnell das Zimmer verließ.

»Sie wird nicht daran zugrunde gehen — o nein — einige elegante Trauerkleider werden ihr seelisches Gleichgewicht wieder herstellen,« dachte sie bitter. Und dann barg sie das Gesicht aufstöhnend in den Händen.

»Mein Sohn — mein Joachim.«

Sie erhob sich müde und schritt hinüber in den großen Saal, in dem man die Leiche Graf Joachims aufgebahrt hatte. Jede Minute, die sie erübrigen konnte, sollte ihm gehören, solange er noch nicht der Erde übergeben war.

Gräfin Susanne suchte ihr Zimmer auf und vertauschte ihr Reisekleid mit einem schwarzen Kostüme. Dann schrieb sie eilig eine Depesche nieder an ein Modenhaus. Nachdem sie ihrer inzwischen eingetroffenen Jungfer noch allerhand Befehle erteilt hatte, ging sie hinüber in die Zimmer ihres Sohnes.

Lothar saß auf einem Sessel und hatte das Gesicht in den Armen vergraben, die auf einem Tische ruhten. Ein heftiges Schluchzen schüttelte seinen Körper. In Gegenwart seiner Großmutter hatte er sich beherrscht, jetzt, da er sich allein wähnte, brach der ganze Jammer um den Verlust des geliebten Vaters mit Gewalt hervor. Er hatte seine Mutter nicht ankommen hören und auch nicht vernommen, daß sie bei ihm eintrat. Als sie ihre Hand auf seine Schultern legte, schreckte er auf.

»Mama — ach — Mama,« schluchzte er auf. Sie beugte sich über ihn.

»Nicht so fassungslos sein, Lothar. Man muß tragen, was das Schicksal bringt,« sagte sie ermahnend.

»Ach du — du hast ihn wohl nicht so lieb gehabt. Großmama und ich — wir beide sind so furchtbar traurig — wir hatten ihn so sehr lieb. Mein armer, lieber Papa!«

In Susannes Gesicht stieg eine unmutige Röte über den etwas rebellischen Ton — und vielleicht auch im Bewußtsein, daß Lothar recht hatte. »Du hast ihn wohl nicht so lieb gehabt.« Das klang wie ein herber Vorwurf aus dem Munde ihres Kindes. Sie preßte die Lippen zusammen. Nein — sie hatte ihn nicht so lieb gehabt, hatte ihn nur geheiratet, weil es ihre Eltern so bestimmten, weil er unbedingt die vorteilhafteste Partie für die nicht sehr vermögende Grafentochter war, die ein glänzendes Leben liebte und das riesige Vermögen und den großen Besitz der Grafen Wildenfels wohl zu schätzen wußte. Aber auch er hatte sie nicht geliebt — auch er hatte sich nur dem Willen seines Vaters gefügt. Ein Schwächling war er gewesen — jawohl — ein Schwächling, der ihr durch nichts imponiert hatte. Hätte sie ihm eine Liebe aufdringen sollen, nach der er nie Verlangen gehabt? Nein — dazu war sie zu stolz. Und damit sprach sie sich frei — der Vorwurf ihres Kindes konnte sie nicht tiefer berühren.

»Du darfst nie wieder so töricht sprechen, Lothar, sonst machst du mich böse. Heute will ich nicht streng mit dir rechten. Aber bedenke wohl — man darf seine Gefühle nicht zu Markte tragen.« Lothar sah sie an mit einem Blicke, als sähe er sie zum ersten Male. Und von dieser Stunde an grübelte er oft über das Wesen seiner Mutter nach und beobachtete sie forschend. — —

Die Beisetzung des Grafen Joachim Wildenfels war vorüber. Susanne hatte dafür gesorgt, daß bei dieser Gelegenheit alle Pracht entfaltet wurde. Gräfin Thea hatte sich um nichts gekümmert, sie wich nicht von der Leiche ihres Sohnes, bis der Deckel des Sarges über ihm geschlossen wurde. Susanne hatte während der Beisetzung die rührendsten Posen eingenommen. Sie sah blendend schön aus in ihrer eleganten Trauerkleidung, die das etwas farblose Blond ihres Haares vorteilhaft hob. Und die kalten Augen erhielten durch die vergossenen Tränen einen weicheren Glanz. Es war sehr rührend anzusehen, wie sie nach der Feier ihre Schwiegermutter umfaßte und liebevoll stützend davonführte. Niemand ahnte, daß all ihr Tun nur auf die äußerliche Wirkung berechnet war. Niemand — nur Gräfin Thea fühlte die Lüge in Susannes Wesen. Aber sie zürnte ihr kaum. Susanne hatte Joachim nie geliebt, — aber auch er hatte seiner Frau im Herzen fern gestanden. Immer klangen ihr die Worte im Ohre nach, die Joachim ihr über die blonde Annie Horst gesagt hatte: »Ich habe sie geliebt, wie ich nie vorher und nachher ein Weib geliebt habe.« Und wenn ihre Gedanken einmal abirrten von dem geliebten Toten, dann befaßten sie sich mit dem Vermächtnis, das er ihr hinterlassen und schweiften suchend in die Ferne — zu Annie Horst und ihren Angehörigen.

Annie war ein schönes, liebliches Geschöpf, voll Anmut und Jugendfrische, die Tochter des früheren Rendanten Horst. Aber nie hatte Gräfin Thea geahnt, daß zwischen Annie und ihrem Sohne irgend welche Beziehungen bestanden. Wo mochte sie weilen — sie und ihre Angehörigen? Aus ihres Sohnes Aufzeichnungen hatte sie entnommen, daß sich der Rendant Horst damals mit seiner Familie nach Amerika eingeschifft und sich dann von den Vereinigten Staaten nach Südamerika begeben hatte. Bis nach Venezuela hatte er ihre Spur verfolgt, dort hatte er sie verloren und trotz aller Mühe und Ausdauer nicht wiederfinden können. Nun sollte sie selbst weiter forschen — und sie wollte es tun und nicht ruhen und rasten, bis sie ihres Sohnes Vermächtnis erfüllt und seine Schuld gesühnt hatte.

»Denk immer daran, Mutter — was du ihr Gutes tust — das tust du mir.« So hatte er zu ihr gesagt und diese Worte sollen all ihr Tun in Zukunft bestimmen. —

»Großmama — liebe Großmama — hab mich lieb,« bettelte eine zitternde Knabenstimme an ihrer Seite.

Sie schreckte auf aus ihrem schmerzvollen Brüten und legte beide Arme in inniger Liebe um ihren Enkel.

»Mein Lothar — mein liebes Kind — nun habe ich nur dich noch auf der Welt.«

Lothar umfaßte sie ungestüm.

»Großmama — du und ich — wir gehören zusammen,« sagte er mit erstickter Stimme.

Sie blieben zusammen im Wohnzimmer der Gräfin Thea, während Susanne den Trauergästen die Aufwartung machte. Mancher unter den jüngern, unverheirateten Herren sah mit besonderem Interesse auf die schöne, jugendliche Witwe.



5.

Das Leben in Wildenfels ging scheinbar seinen alten Gang. Der eigentliche Herr von Wildenfels war nun Lothar, aber bis zu seiner Mündigkeit war er unter die Vormundschaft seiner Mutter gestellt.

Gräfin Thea und ihre Schwiegertochter hatten einige Konferenzen mit dem Rendanten und den Verwaltern. Es waren erprobte Leute, die in ihrem Amte verblieben. Es würde alles seinen geregelten Gang gehen. Die Vermögensverhältnisse waren glänzend. Nicht nur, daß die ausgedehnten Güter bedeutende Einkünfte brachten, es lag auch ein großes Barvermögen in der Schatzkammer des Schlosses, wohlverborgen, in sichern Papieren angelegt. Gräfin Thea besaß allein ein eigenes Vermögen von anderthalb Millionen Mark. Ihre Schwiegertochter hatte allerdings kein nennenswertes Heiratsgut eingebracht, aber als Witwe des Grafen Wildenfels bezog sie ein glänzendes Einkommen. Lothar würde einst der Herr eines ausgedehnten Besitzes und eines großen Vermögens sein. Aber damit begnügte sich Gräfin Susannes Ehrgeiz noch nicht. Sie strebte danach, ihren Sohn draußen in der großen Welt eine Rolle spielen zu sehen. Deshalb bestimmte sie, daß er sich der diplomatischen Laufbahn widmen sollte.

Es war ihr unangenehm, daß ihr verstorbener Gatte den Kandidaten Wetzel für Jahre hinaus zum Lehrer und Erzieher Lothars bestimmt hatte. Wetzel war ihr zu selbstbewußt, seine aufrechte Art und sein freier Ton erschienen ihr zu demokratisch, sie hätte ihn gern von Wildenfels entfernt. Aber neben ihres Mannes Bestimmungen hielt ihn auch noch die Vorliebe ihrer Schwiegermutter, die »merkwürdig milde« über den »Demokraten« urteilte und ihn mehr als nötig zur Familie hinzuzog.

Als Susanne ihr eines Tages sagte:

»Es ist mir unangenehm, in so intime Berührung mit dem Kandidaten zu kommen,« hatte Gräfin Thea mit ihrem unerträglich ruhigen Blick erwidert: »Ich meine im Gegenteil, wir müssen uns so familiär wie möglich mit ihm stellen, denn er hat Geist und Seele deines Kindes in seinen Händen — er darf uns nicht nur ein bezahlter Untergebener sein.«

Damit war Susanne ein für alle Mal zum Schweigen gebracht. Aber im stillen war ihr der Kandidat sehr zuwider, weil er Lothar stets darauf hinwies, daß es viel mehr sei, ein guter, tüchtiger Mensch zu sein, als ein Graf Wildenfels. —

Es war eine Woche seit Graf Joachims Beisetzung vergangen, als die beiden Damen mit Lothar nachmittags den Tee auf der Terrasse einnahmen. Die Türen zu den reich und vornehm ausgestatteten Räumen standen alle offen, um der warmen Sommerluft Einlaß zu gewähren. Sie mündeten alle auf die große Terrasse, welche die ganze Front des Schlosses begrenzte.

Die Damen sprachen nur wenig miteinander. Lothar hielt die Hand seiner Großmutter fest in der seinen und streichelte sie zuweilen, als müsse er sie trösten.

Susanne bemerkte es, aber es tat ihr nicht weh. Sie war nicht für Zärtlichkeiten eingenommen.

Nach einer ziemlich langen Gesprächspause sagte Gräfin Thea plötzlich:

»Ich reise morgen vormittag nach Berlin, Susanne — hast du irgend etwas zu besorgen?«

Susanne sah erstaunt auf.

»Du — nach Berlin, Mama, jetzt mitten im Sommer?«

Gräfin Theas Stirn rötete sich ein wenig unter dem kalt forschenden Blicke.

»Ja, ich habe einige Besorgungen zu machen.«

»Nimm mich mit, Großmama,« bat Lothar.

»Nein, mein lieber Junge, diesmal nicht. Ich habe auch nur zwei Tage dort zu tun.«

»Soll ich dich begleiten, Mama? Du bist so angegriffen jetzt, es könnte dir etwas zustoßen,« sagte Susanne eifrig. Eine Reise nach Berlin hätte immerhin einige Abwechslung gebracht.

»Nein, nein, Susanne, ich danke dir. Grill begleitet mich, das genügt. Ich fühle mich auch körperlich kräftig genug. Bleib du nur lieber bei Lothar.«

»Mein Gott, Mama, er ist doch wahrlich alt genug, um einmal ein paar Tage allein in Wildenfels zu bleiben,« rief Susanne ärgerlich.

»Das wohl, Susanne. Aber bedenke, was jetzt Furchtbares auf ihn eingestürmt ist. Es ist mir lieber, du bleibst bei ihm.«

»Ich hätte aber auch allerlei in Berlin zu besorgen.«

»Dann kannst du vielleicht reisen, wenn ich zurück bin.«

Das war Susanne noch lieber. Sie war sehr zufrieden, daß sie nun einen Vorwand hatte, einige Zeit nach Berlin zu reisen.

Nachdem die Damen den Tee eingenommen hatten, forderte Susanne ihren Sohn zu einem Spaziergange auf. Er erhob sich sofort artig. Aber dann umfaßte er erst zärtlich Gräfin Theas Hals.

»Willst du nicht mitkommen, Großmama?«

»Nein, Lothar, ich habe noch einiges vorzubereiten für die Reise!«

»Aber ich darf doch nachher noch zu dir kommen?«

»Gern, mein Lothar.«

Mutter und Sohn schritten hinüber nach dem Parke. Lothar unterhielt sich artig mit seiner Mutter, aber es war mehr die konventionelle Plauderei zweier Menschen, die einander fernstehen, nicht ein herzliches Gespräch zwischen Mutter und Sohn.

Gräfin Thea hatte sich hinaufbegeben in ihre Zimmer. Im Vorraume saß Grill mit einer leichten Näharbeit beschäftigt.

»Bist du bald fertig, Grill?« fragte die Gräfin.

Grill hob das gutmütige Gesicht und blickte ihre Herrin über die Brillengläser hinweg an.

»Nur noch ein paar Stiche. Haben Frau Gräfin einen Befehl für mich?«

»Ja, Grill. Wenn du fertig bist, komm herein zu mir.«

Sie betrat ihr Wohnzimmer. Grill sah mit besorgtem Ausdrucke hinter ihr her und seufzte tief auf. Die treue Seele trug ihren Anteil am Leide ihrer geliebten und verehrten Herrin.

Eilig beendete sie ihre Arbeit an einem Garderobestücke Gräfin Theas. Dann trug sie es hinüber in deren Ankleideraum und verwahrte es in einem der großen Wandschränke. Sorgsam entfernte sie ein paar schwarze Fädchen von ihrer Schürze und ging hinein in das Wohnzimmer.

Gräfin Thea saß an ihrem Schreibtische, über dem das Bild ihres Sohnes hing. Sie hatte das Schmuckkästchen vor sich liegen, welches sie der Kassette entnommen hatte, die ihr Graf Joachim in seiner Sterbestunde übergeben hatte. Die Kassette hatte sie noch in derselben Nacht in ihrem Schreibtische verschlossen.

Als Grill eintrat, schreckte Gräfin Thea aus tiefem Sinnen auf.

»Komm einmal her zu mir, Grill,« sagte sie erregt. Grill tat, wie ihr geheißen wurde.

»Frau Gräfin befehlen? Mein Gott — sind Frau Gräfin nicht wohl?«

»Nur ein wenig unruhig und erregt, Grill. Du sollst gleich erfahren, warum.«

Sie sah empor in das treue Gesicht ihrer Dienerin.

»Du bist alt geworden in meinen Diensten, liebe Grill, und warst mir immer treu ergeben. Weißt du noch, wie du vor vielen Jahren hierherkamst?«

Grill nickte. Die Augen wurden ihr feucht.

»Ich weiß es noch genau — es war auch so ein schöner klarer Sommertag. Und Frau Gräfin waren damals eine wunderschöne junge Dame und der hochselige Graf Joachim trug ein weißes Kittelchen mit einem breiten Spitzenfragen. Er lachte mich freundlich an und Frau Gräfin waren so gütig, daß ich mir gleich ein Herz faßte.«

Gräfin Thea nickte wehmütig.

»Ja — damals waren wir jung und hoffnungsfroh und wußten nichts von dem, was uns die Zukunft brachte. Nun — wir haben auch glückliche Tage zusammen verlebt, so müssen wir auch die unglücklichen mit Würde tragen.«

Grill zog schnell die Hand der Gräfin an ihre Lippen. Eine Träne fiel darauf nieder. Sie wischte sie schnell mit der Schürze ab.

»Laß doch die Träne, gute Grill — ich weiß, sie kommt aus redlichem Auge. Alte treue Seele, ich hoffe, der liebe Gott läßt dich mir bis zu meinem Ende. Aber ich wollte von etwas anderem mit dir reden. Grill —kannst du dich noch auf den Rendanten Horst besinnen?«

Grill nickte lebhaft auf.

»Ganz genau, Frau Gräfin — ganz genau. Er war ein aufrechter, stattlicher Mann und hatte eine liebe freundliche Frau. Und das Töchterchen erst — das Fräulein Annie — das war ein schönes Mädchen — so ein liebes goldiges Ding.«

Die Gräfin nickte. »Ein süßes, blondes Kind.«

Grill war durch den Zwischenruf verstimmt und sah nun ein wenig unbehaglich aus.

»Frau Gräfin verzeihen — ich — ich sollte wohl nicht so von den Leuten sprechen. Ich hatte fast vergessen, was mir Frau Gräfin damals anvertraut hatten. Kein Mensch hatte ja von Herrn und Frau Gräfin mehr erfahren, als mein seliger Grill und ich. Wir haben es auch keinem Menschen weiter gesagt, obwohl sich alle wunderten, daß der Rendant mit seiner Familie so schnell von Wildenfels fortmußte. Es war auch gar so schwer, etwas Schlimmes zu glauben von dem Rendanten. Aber freilich — es mußte ja wahr sein. Und unser alter hochseliger Herr Graf war ein sehr gerechter Mann, wenn er auch sehr streng sein konnte. Ein anderer hätte wohl noch schlimmere Strafe über den Rendanten verhängt.«

Gräfin Thea hatte den Kopf in die Hand gestützt.

»Erzähle mir doch einmal, wie es kam damals — daß wir das — Halsband vermißten, ich kann mich nicht mehr so recht besinnen,« sagte sie leise.

»Oh, ich weiß es noch ganz genau. Frau Gräfin hatten das Halsband einige Wochen vorher getragen und da es ein bißchen eng war, hatten Frau Gräfin Kopfweh davon bekommen. Frau Gräfin klagten darüber, als ich es abnahm und zu den übrigen Schmucksachen legte. Ich weiß es noch ganz genau, der hochselige Graf Joachim waren zugegen und Frau Gräfin sagten ärgerlich: »Nie wieder trage ich dies dumme Halsband, das mir soviel Unbehagen schafft.« Nachher haben es Frau Gräfin selbst mit den übrigen Schmucksachen in das Rentamt getragen, damit es verschlossen wurde in den eisernen Schrank. Einige Wochen später sagten Frau Gräfin zu mir: »Grill, es ist doch zu ärgerlich, daß ich das Halsband nicht mehr tragen soll, ich mag es sonst so gerne. Weißt du, ich werde es mir einfach weiter machen lassen. Vielleicht kann der Juwelier etwas einsetzen. Geh zum Herrn Rendanten und bitte es dir aus.« Ich ging sofort ins Rentamt und richtete dem Rendanten den Auftrag der Frau Gräfin aus. Frau Gräfin können mir glauben, er war nicht die Spur verlegen, machte noch sein Späßchen mit mir und schloß den Schrank auf. Aber das Halsband war verschwunden. Wir suchten den ganzen Schrank durch — vergeblich. Ich gehe also zurück und melde es Frau Gräfin. Gleich darauf kam Rendant Horst selbst. Er war sehr bleich und aufgeregt. Ich mußte den Herrn Grafen holen und hörte von draußen noch lange erregte Stimmen. Der Herr Graf ging dann mit hinüber ins Rentamt. Da sind wohl die Schlösser genau untersucht und noch einmal das Unterste zu oberst gekehrt worden. Aber das kostbare Halsband blieb verschwunden. Es hatte wohl an die fünfzigtausend Mark gekostet. Da nun kein Einbruch vorliegen konnte und nur der Herr Graf und der Rendant Schlüssel hatten, so war kein Zweifel mehr, daß der Rendant Horst das Halsband entwendet hatte. Und er mußte fort, der Herr Graf meinten, in einem solchen Amte könne er nur einen Mann gebrauchen, der über jeden Zweifel erhaben sei. Na ja — das muß wohl auch sein. Aber lieber Gott — ehrlicher als der Rendant Horst hat nie ein Mensch ausgesehen.«

Gräfin Thea hatte schweigend, den Kopf in die Hand gestützt, zugehört. Nun hob sie das blasse Gesicht langsam empor, es war starr und schmerzzerrissen. Sie faßte der Dienerin Hand.

»Grill — Rendant Horst ist auch, allem Schein zum Trotz, ein ehrlicher Mann gewesen. Da — schau her.«

Sie öffnete mit zitternden Händen das Kästchen und hielt es ihr hin.

Grill stieß einen leisen Schrei aus.

»Das Halsband — Frau Gräfin — meiner Seel — das ist ja das verschwundene Halsband.«

Die Gräfin nickte und sah mit gramvollen Augen auf das blitzende Geschmeide.

»Ja, Grill — das verschwundene Halsband. Horst ist mit Unrecht aus seinem Dienst entlassen worden. »Ich« — sie zögerte einen Augenblick, und ihr Gesicht rötete sich — »ich selbst bin schuld daran. In der Zerstreuung legte ich wohl das Halsband hier in das schmale Fach meines Schreibtisches, das ich sonst nie benutze, und trug nur die übrigen Schmucksachen in das Rentamt. Durch einen Zufall entdeckte ich es heute — nach mehr denn fünfzehn Jahren. Grill — kannst du dir nun meine Erregung erklären? Horst wurde unschuldig entlassen. Ich sehe noch, wie er mit seiner weinenden Frau und Tochter das Rentamt verließ. Er schritt aufrecht und stolz — mein Mann nannte es im Zorne verstockt. Und die blonde Annie — ach, Grill — sie war so blaß und traurig und sah sich mit einem verzweifelten Blicke noch einmal um — so — als warte sie noch auf — auf Hilfe in der Not — ach, Grill!«

Sie lehnte sich mühsam atmend mit geschlossenen Augen zurück. Tränen quollen zwischen den Lidern hervor. Die fromme Lüge war ihr schwerer geworden, als sie selbst sich dachte. Und zugleich kam ihr mit aller Macht die Erinnerung wieder an die letzte Stunde ihres Sohnes und an sein qualvolles Leben.

Grill beugte sich erschrocken über sie.

»Frau Gräfin sollten sich beruhigen. Ein Irrtum kann jedem Menschen begegnen — und das läßt sich wohl auch noch gutmachen. Zum Glück ist ja der Herr Rendant vor Gericht nicht angeklagt worden und sonst hat niemand etwas erfahren.«

Gräfin Thea trocknete hastig die Tränen und richtete sich auf. »Ja, Grill, gut machen will ich. Nicht wahr, das kannst du mir nachfühlen?«

»Will ich wohl meinen. So gut wie Frau Gräfin sind, werden Frau Gräfin sonst keine ruhige Stunde mehr haben. Aber wo mag Horst mit seiner Familie jetzt leben? Ich glaube, er ist damals gar nach Amerika gegangen, weil er fürchtete, hier keine Stellung wieder zu bekommen. Frau Horst hat mir, dächte ich, eine Andeutung gemacht, daß sie sich in Amerika eine Farm kaufen wollten von ihren Ersparnissen.«

Gräfin Thea erhob sich und ging im Zimmer unruhig auf und ab.

»Ich muß sie finden, Grill. Und deshalb will ich morgen nach Berlin reisen. Du sollst mich begleiten. Aber nicht ein Wort darfst du von alledem verraten. Siehst du, Grill, in Berlin gibt es nun einen berühmten Privatdetektiv, ich habe kürzlich erst von ihm gehört. Den will ich sprechen und ihn beauftragen, Horsts Aufenthalt zu ermitteln. Ich habe Wunderdinge von diesem Manne gehört. Meinst du nicht auch, daß es ihm gelingen wird, Horst aufzufinden?«

»Wenn er noch am Leben ist, wird er ihn hoffentlich finden.«

»Und wenn er nicht mehr am Leben wäre — so könnte ich doch an seiner Familie gutmachen. Ach, Grill, du ahnst nicht, wie ich mich danach sehne, es zu tun.«

Grill nickte lebhaft.

»Frau Gräfin haben nie einem Menschen weh tun können.«

Gräfin Thed blieb vor ihr stehen.

»Nun geh, Grill, rüste alles zur Reise. Morgen früh fahren wir nach Berlin.«

»Sehr wohl, Frau Gräfin sollten auch guten Mutes sein. Ein Mensch kann doch nicht so ohne weiteres verloren gehen oder gar eine ganze Familie. Der Detektiv wird es schon herausbringen. Und ich bin so froh, daß der Rendant doch ein ehrlicher Mann war.«

Grill ging hinaus.

Gräfin Thea trocknete sich den Schweiß von der Stirn und trat an ihren Schreibtisch, um das Halsband wieder in die Kassette zu legen. Dann sah sie lange zu dem Bilde ihres Sohnes empor.

»Gut machen will ich, mein Joachim, hundertfältig will ich sie entschädigen, was sie schuldlos erduldet haben. Und dadurch, daß ich den Irrtum auf mich nahm, kann ich den Namen Wildenfels vor einem Flecken bewahren. Gott wird mir helfen zu sühnen,« flüsterte sie vor sich hin. Dann sank sie in den Sessel zurück und barg weinend ihr Haupt in den Händen. Die Tränen lösten endlich die Spannung ihrer Nerven und erleichterten sie.

Kurze Zeit darauf kam Lothar zu ihr.

»Da bin ich schon zurück, Großmama!«

Sie zog ihn in seine Arme.

»Warst nur kurze Zeit mit Mama spazieren?«

»Ja — Mama fand es langweilig im Parke. Und ich bin auch lieber bei dir. Willst du mich wirklich nicht mit nach Berlin nehmen? Wer soll dich denn trösten, wenn du traurig bist?«

»Ich bleibe ja nur zwei Tage, Lothar, und kann dich wirklich nicht gebrauchen. Auch müßtest du zwei Tage den Unterricht versäumen, und das sieht Herr Wetzel nicht gern.«

Lothar setzte sich zu ihren Füßen auf ein Kissen und sah zu dem Bilde seines Vaters auf. Eine lange Pause entstand. Endlich sagte Lothar aus tiefen Gedanken heraus: »Großmama, warum hat Papa nie so fröhlich ausgesehen, wie hier auf dem Bilde?«

Gräfin Thea seufzte leise.

»Damals war er noch jung und sorglos. Später drückte ihn mancherlei.«

Lothar faßte ihre Hand.

»Großmama — ich muß immerfort über die Worte nachdenken, die Papa gesprochen, als ich in der Nacht an seinem Bette stand.«

»Was waren das für Worte?« forschte die Gräfin.

Lothar sah sinnend vor sich hin. Dann sagte er fast andächtig:

»Sei stark und fest, mein Sohn — und treu dir selbst.« So sagte er zu mir. Diese Worte habe ich wohl verstanden und ich will immer daran denken und danach handeln. Aber dann sprach er etwas zu dir über mich.«

»Was meinst du?«

»Er sagte: »Wenn du das Werk nicht vollenden kannst, Mutter — dann soll Lothar alles wissen — dann soll er gutmachen.« Und da wollte ich dich fragen, ob ich dir nicht gleich helfen könnte bei dem Werke, das dir Papa aufgetragen hat?«

Gräfin Thea streichelte sein Haar. Ihr Blick umflorte sich wieder.

»Du bist ja noch ein Kind, mein Lothar.«

»O — ich bin schon sehr verständig, und vielleicht ist es dir allein zu schwer.«

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