Kitabı oku: «Das Halsband», sayfa 5

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7.

Gräfin Thea hatte sich schon einige Tage vor ihrer Abreise nach Berlin brieflich mit dem ihr gerühmten Auskundschafter in Verbindung gesetzt. Sie hatte um eine Unterredung gebeten und angefragt, ob sie ihn zu einer bestimmten Zeit in ihrem Berliner Hotel erwarten dürfe.

Herr Anton Völker hatte der Gräfin geantwortet, daß er pünktlich zur Stelle sein würde.

Gräfin Thea hatte danach ihre Abreise für den nächsten Morgen festgelegt und war auch dann programmmäßig mit ihrer treuen Grill in Berlin eingetroffen.

Am nächsten Vormittag, Punkt elf Uhr überreichte ihr Grill eine schlichte Visitenkarte.

»Anton Völker.«

»Führe den Herrn herein, Grill, und bleibe im Nebenzimmer, daß wir von niemand gestört werden,« sagte Gräfin Thea.

Grill verschwand und gleich darauf trat ein mittelgroßer, gutgekleideter Mann von ungefähr vierzig Jahren in das elegante Hotelzimmer. Gräfin Thea sah forschend in sein bartloses, nicht uninteressantes Gesicht, in dem das Kinn und die Nase besonders charakteristisch waren. Die tiefliegenden grauen Augen hatten mehr den Ausdruck eines Künstlers oder Gelehrten, doch leuchteten sie zuweilen seltsam auf.

Artig und höflich, als ein Mann von guter Erziehung, verneigte er sich vor ihr.

»Frau Gräfin Theodora Wildenfels?« fragte er mit einer ruhigen, sympathischen Stimme.

»Ich bin es, Herr Völker — bitte, nehmen Sie Platz. Ich muß Ihre Aufmerksamkeit eine Weile in Anspruch nehmen.«

Sie deutete auf einen Sessel. Völker ließ sich darauf nieder und betrachtete mit diskretem Interesse das leidvolle, gütige Gesicht der vornehmen Aristokratin.

»Meine Zeit gehört Ihnen, gnädigste Gräfin. Ich bitte, ganz darüber zu verfügen. Je ausführlicher Sie mich mit Ihren Wünschen bekannt machen, je besser kann ich Ihnen dienen.«

Gräfin Thea holte tief Atem und begann dann zu erzählen von dem vor fünfzehn Jahren verschwundenen Halsband. Sie schilderte genau die Veranlassung zur Entlassung des Rendanten Horst und sagte ihm, daß ihr Mann damals nur von einer Anzeige Abstand genommen hatte, weil Horst schon seit vielen Jahren seine Stelle verwaltete und sonst ein sehr tüchtiger Beamter gewesen wäre. Außerdem wäre es ihm unangenehm gewesen, mit der Polizei in Berührung zu kommen.

»Auch ich hatte meinen Mann aus Mitleid mit Horst's Familie selbst darum gebeten, ahnungslos, daß ich selbst am Verschwinden des Halsbandes schuld war,« fuhr sie fort.

Völker, der bisher unbewegt ihrem Bericht gefolgt war, sah sie bei diesen Worten mit einem seiner seltsam forschenden Blicke an.

»Sie selbst?« fragte er aufmerksam.

»Ja, ich selbst. Denken Sie sich mein Erschrecken, als ich vor einigen Tagen das Halsband in einem Geheimfache meines Schreibtisches fand, wo ich es damals in der Zerstreuung selbst hingelegt hatte.«

Wieder traf sie ein intensiv aufleuchtender Blick.

»Bitte, weiter,« sagte er aber nur.

Gräfin Thea schilderte ihm nun ihre Unruhe, ihre Gewissensbisse, daß durch ihre Unachtsamkeit so viel Leid und Schmach über einen ehrlichen Mann und seine Familie gebracht worden war. Sie hatte sich schon so in den Gedanken eingelebt, daß es wirklich so war, wie sie es erzählte, daß sie kaum noch das Gefühl hatte, die Unwahrheit zu sagen. Sie schloß ihren Bericht mit der Bitte, Völker möge seine ganze Kunst, all seinen Scharfsinn aufbieten, um den jetzigen Aufenthalt der Familie Horst zu ermitteln, damit sie ihre Schuld wieder gut machen könnte. Das sei ihr Auftrag, den sie ihm zu erteilen habe.

Völker verneigte sich, als sie zu Ende war und zog ein ziemlich starkes Notizbuch hervor.

»Gestatten Sie mir nur einige Fragen, gnädigste Frau Gräfin. Wissen Sie, wohin sich damals der Rendant Horst mit seiner Familie gewendet hat?«

»Ja, sie sind nach Venezuela ausgewandert, wahrscheinlich, um sich dort eine Farm zu kaufen.«

»Können die Mittel hierzu sehr groß gewesen sein?«

»Kaum, da sie nur aus Ersparnissen während der Zeit seiner Tätigkeit bestanden haben können.«

»In welchem Monat sind sie ausgewandert?«

»In der Mitte des Juli.«

»Bitte wollen Sie mir nun eine möglichst genaue Personalbeschreibung der drei Menschen liefern?«

Gräfin Thea tat das und Völker notierte sich einiges. Dann fragte er weiter:

»Hatte die Familie Horst Verwandte in Deutschland?«

»Soviel ich weiß, nicht.«

»Auch nicht in Amerika?«

»Das scheint mir ausgeschlossen.«

»Schön — das würde vorläufig genügen. Nun eine andere Frage, Frau Gräfin: Würden Sie für die Kosten einer Reise nach Venezuela aufkommen, wenn meine Nachforschungen von hier aus erfolglos wären?«

Gräfin Thea nickte lebhaft.

»Selbstverständlich. Ich bitte Sie, sich durch den Kostenpunkt gar nicht beeinflussen zu lassen. Mir liegt unendlich viel — alles — daran, meine Seelenruhe wiederzufinden und mein Unrecht gut zu machen.«

»Sie geben mir also in allem freie Hand?«

»Vollständig. Bitte, nennen Sie mir die Summe, die ich Ihnen anweisen lassen soll.«

»Vorläufig genügen mir einige hundert Mark. Müßte ich nach Venezuela reisen, würde ich mir eine neue Anweisung ausbitten.«

»Wie Sie wünschen. Jedenfalls bitte ich Sie, sich ausschließlich meiner Angelegenheit zu widmen.«

»Das soll geschehen. Auf welche Weise darf ich Ihnen Nachricht zukommen lassen über meine Ermittelungen?«

»Am besten, Sie suchen mich in Wildenfels auf, wenn Sie irgend welche Erfolge zu verzeichnen haben. Sonst bitte ich um briefliche Nachricht unter meiner Adresse.«

Völker notierte sich auch das und steckte sein Notizbuch wieder zu sich. Dann erhob er sich.

»Haben Sie sonst noch irgend welche Befehle, gnädigste Frau Gräfin?«

»Nein, Herr Völler, mir liegt nur diese Angelegenheit am Herzen. Glauben Sie, daß ich mir Hoffnung machen darf?«

Völker lächelte ein wenig. »Die Unruhen, die gerade kürzlich wieder in Venezuela stattgefunden haben — eigentlich hören sie nie ganz auf — machen die Nachforschungen schwierig. Von hier aus ist wohl kaum etwas zu erreichen. Aber ich habe schon schwierigere Aufgaben gelöst. Und schlimmstens Falles unternehme ich die Reise. Persönliche Nachforschungen führen dann meist zu einem Resultat.«

Gräfin Thea reichte ihm die Hand. »Ich würde Ihnen zu großem Dank verpflichtet sein und werde mich sehr erkenntlich zeigen für Ihre Bemühungen. Meine ganze Hoffnung habe ich auf Sie gesetzt.«

»Ich hoffe, Sie nicht zu enttäuschen. Gestatten Sie, daß ich mich zurückziehe, ich will sofort Vorbereitungen treffen.«

»So gehen Sie und Gott helfe Ihnen und mir.«

Völker verneigte sich tief und ging.

Gräfin Thea sah ihm in Sinnen verloren nach. Als gleich darauf Grill eintrat, rief sie ihr lebhaft entgegen:

»Grill — ich glaube, dieser Herr Völker findet sie. Sein kluges Gesicht hat mich mit Vertrauen erfüllt.«

»Das will ich hoffen. Aber Frau Gräfin dürfen sich nun nicht mehr über die ganze Angelegenheit aufregen.«

»Das will ich auch nicht, gute Grill. Nun laß einen Wagen holen. Wir wollen für meinen Enkel doch eine kleine Ueberraschung einkaufen. Etwas muß ich ihm doch von Berlin mitbringen. Mit dem Dreiuhrzuge fahren wir wieder heim. Mein Geschäft ist hier erledigt.«



8.

Einige Tage später, es war ein Regentag, saß in Gräfin Thea mit Lothar in ihrem Salon. Susanne war gleich nach ihrer Rückkehr nach Berlin gereist und wollte wenigstens eine Woche fortbleiben. In Susannes Abwesenheit nahm auf Gräfin Theas Wunsch der Kandidat Wetzel meist den Tee in ihrer Gesellschaft. Sie liebte es, mit dem jungen Manne über allerlei Dinge zu plaudern und auch über Erziehungsfragen zu debattieren. Susanne kümmerte sich aus einem gewissen Trotz gar nicht mehr um Lothars Erziehung, weil man ihr Wetzel aufgenötigt hatte als Erzieher ihres Sohnes. —

Auch heute stellte sich der Kandidat pünktlich zur Teestunde in Gräfin Theas Wohnzimmer ein. Er hegte eine große Verehrung für die alte Dame, während er Gräfin Susanne nur den schuldigen Respekt erwies.

In seiner frischen, ungezierten Art neckte er sich erst noch ein wenig mit Lothar, nachdem er Gräfin Thea die Hand geküßt hatte. Ein Diener rollte den Teetisch herein und Grill servierte den Tee. Gräfin Thea liebte es nicht, andere Dienerschaft um sich zu haben, wenn sie in ihren Gemächern weilte. Ein anderer als der Kandidat Wetzel hätte wohl, der Trauerstimmung des Hauses angemessen, einen ernsten oder gar melancholischen Ton angeschlagen. Aber er plauderte frisch und lebendig, scherzte mit Lothar und ließ keine trübe Stimmung aufkommen. Auch bei den gemeinsamen Mahlzeiten hielt er es so. Gräfin Susanne hatte deshalb sein Benehmen roh und taktlos genannt ihrer Schwiegermutter gegenüber. Gräfin Thea hatte jedoch die Absicht des Kandidaten erkannt und gebilligt:

»Lothar ist jetzt in einem gefährlichen Alter. Gemütsbedrückungen in dieser Zeit haben oft die schlimmsten Folgen. Lothar muß daher in seinem Schmerz um den schweren Verlust abgelenkt werden, um seine körperliche und geistige Frische nicht zu verlieren!« So hatte Gräfin Thea den Kandidaten verteidigt. Susanne rümpfte jedoch nur die Nase und sprach von Plebejermanieren und leeren Ausflüchten.

Lothar zuliebe stimmte Gräfin Thea in den munteren Ton mit ein und Lothar befleißigte sich wieder, seine geliebte Großmama aufzuheitern. So halfen sie sich gegenseitig über die traurige Stimmung fort. Der Tee war eingenommen worden und Grill war geräuschlos hinausgegangen, als sie nicht mehr gebraucht wurde.

Aber gleich darauf trat sie mit lebhaft gerötetem Gesicht wieder ein und überbrachte ihrer Herrin eine Visitenkarte.

»Der Herr wartet unten im kleinen Empfangssalon,« sagte sie mit einem bedeutsamen Blicke.

Gräfin Thea nahm die Karte und richtete sich überrascht auf, als sie gelesen hatte. »Anton Völker« stand auf der Karte.

Sie erhob sich sofort.

»Ich muß dich jetzt mit dem Herrn Kandidaten allein lassen, Lothar. Eine wichtige geschäftliche Angelegenheit ruft mich ab. Der Regen hat aufgehört, vielleicht machst du einen Spaziergang.«

Sie küßte Lothar, nickte Wetzel freundlich zu und ging schnell hinaus.

Wenige Augenblicke später trat sie zu Völker in den kleinen Salon neben der Halle.

»Sie kommen selbst — und so bald — darf ich das für ein gutes Zeichen halten?« fragte sie erregt. Völker hatte sie artig begrüßt und nun nahmen sie, sich gegenübersitzend, Platz.

»Was bringen Sie mir?« fragte die alte Dame dringend und suchte schon im voraus die Antwort von seinem unbeweglichen Gesicht abzulesen.

»Ich bringe Ihnen genaue Auskunft, gnädigste Frau Gräfin.«

Sie starrte ihn ungläubig an.

»Genaue Auskunft? Nein — das ist doch unmöglich. So bald schon — nein, ich kann es nicht glauben.«

Völker lächelte.

»Vor vier Tagen, als Sie mir den Auftrag gaben, hätte auch ich einen so schnellen Erfolg für unmöglich gehalten. Und hätte mich nicht ein Zufall begünstigt, so wären wahrscheinlich langwierige Nachforschungen nötig gewesen.«

»Sprechen Sie — o bitte — sprechen Sie — was haben Sie in Erfahrung gebracht? Sie können sich meine fieberhafte Unruhe denken.«

Völker zog sein Notizbuch hervor und gab einen kurzen, klaren Bericht.

»Der frühere Rendant von Wildenfels, Karl Heinrich Horst, hat sich am 19. Juli 1893 mit seiner Frau und seiner Tochter Annie nach Newyork eingeschifft. Von dort ist er auf Veranlassung einer Gesellschaft nach Venezuela gereist und hat sich dort eine Farm gekauft für sechstausend Dollars. Diese Farm hat er mit seiner Frau und Tochter erfolgreich bewirtschaftet, so daß er mit den Jahren einen gewissen Wohlstand erreichte, obwohl ihm das Leben durch allerlei politische Unruhen und räuberisches Gesindel sehr schwer gemacht worden ist. Sieben Jahre nach seiner dortigen Ansiedelung hat sich seine Tochter mit einem Engländer, John Warrens, der die Nachbarfarm besaß, verheiratet, nachdem sich dieser schon jahrelang vergeblich um sie beworben hatte. Dieser Ehe ist ein Töchterchen mit Namen Jonny entsprossen. Bis vor kurzer Zeit haben die beiden Familien ziemlich friedlich und glücklich gelebt. Da brachen im Anfange dieses Jahres wieder Unruhen aus. Außerdem gelang es einem abgewiesenen Freier Annies, Horst und Warrens als Parteiführer zu verdächtigen. Ohne viele Umstände wurden sie erschossen.

Frau Horst wurde durch das räuberische Gesindel ermordet, die Farmen geplündert und der Grundbesitz konfisziert. Frau Annie Warrens entkam mit ihrem Töchterchen wie durch ein Wunder. Ein treuer Diener rettete sie auf heimlichen Wegen durch dichten Wald. Nichts, als die Kleider, die sie trugen und tausend Dollars etwa an Geld konnten in Sicherheit gebracht werden. Die unglückliche junge Frau hat sich dann mit ihrem Töchterchen zurück nach Deutschland begeben, um sich hier in der alten Heimat eine bescheidene Existenz zu gründen. Vor zehn Tagen ist sie in Hamburg eingetroffen.«

Gräfin Thea hatte erregt in atemloser Spannung diesem Bericht gelauscht. Nun preßte sie erschüttert die Hände ans Herz. Die Schuld ihres Sohnes wuchs riesengroß und weckte noch inbrünstiger den Wunsch in ihr, mit allen Mitteln, die ihr zu Gebote standen, gutzumachen.

Erst, nachdem sie sich mühsam gefaßt hatte, kam ihr zum Bewußtsein, wie wunderbar es war, daß Völker so schnell und ausführlich Klarheit schaffen konnte. Was enträtselte dieser Mann in wenigen Tagen. Freilich, Joachim hatte nur vorsichtig und verschwiegen forschen können, hatte wohl auch keinen so begabten und hervorragenden Auskundschafter gefunden. Aber auch für einen Mann wie Völker grenzte dieser Erfolg ans Märchenhafte,

»Sie sehen mich fassungslos, erschüttert, Herr Völker. Das traurige Schicksal dieser prächtigen Menschen greift mir ans Herz. Daß Sie mir das alles aber in so kurzer Zeit berichten konnten, ist mir unfaßbar. Ehe Sie mir aber näheres erklären, beantworten Sie mir noch eine Frage: Ging die Spur, die Sie gefunden haben, in Hamburg verloren oder wissen Sie den Aufenthaltsort der unglücklichen jungen Frau?«

»Ich weiß ihn.«

»O, mein Gott — wie dankbar bin ich Ihnen. Sie haben mir einen unschätzbaren Dienst geleistet durch Ihre hervorragenden Fähigkeiten.«

Wieder lächelte Völker.

»Gnädigste Frau Gräfin, diesmal bin ich nur durch einen glücklichen Zufall zu einem Erfolge gekommen. Darf ich Ihnen genauen Bericht erstatten?«

»Ich bitte darum.«

Völker räusperte sich ein wenig und fuhr dann fort:

»Ich hatte mich nach Hamburg begeben, um dort erst einmal mit meinen Nachforschungen zu beginnen. In einem mir von früher her bekannten guten, wenn auch nicht erstklassigen Hotel nahm ich Wohnung. Gleich in der ersten Stunde machte ich auf dem Korridor vor meinem Zimmer die Bekanntschaft eines entzückenden kleinen Mädchens von etwa sechs Jahren, das dort mit dem Zimmermädchen in einem drolligen Gemisch von deutscher, englischer und spanischer Sprache plauderte. Ich bin ein großer Kinderfreund und konnte nicht widerstehen, mich mit der Kleinen ein wenig anzufreunden.

Dabei erfuhr ich, teils von ihr, teils von dem Zimmermädchen, daß die Mutter des Kindes unwohl zu Bette lag, müde und leidend von den Strapazen einer großen Reise. Das Zimmermädchen teilte mir redselig mit, daß sie der Dame schon wiederholt geraten habe, einen Arzt zu befragen, aber diese behaupte, nicht krank, nur müde und abgespannt zu sein. Es sei ja auch möglich, denn die arme Dame käme aus Venezuela, wo sie auf schreckliche Weise ihre Eltern und ihren Mann verloren habe. Bei der Erwähnung des Wortes Venezuela war ich aufmerksam geworden. Ich sah mir das kleine Mädchen an. Sie hatte goldblondes Haar und braune Augen. Auf meine vorsichtige Frage erfuhr ich, daß auch die Mutter des Kindes dasselbe Haar, dieselben Augen habe und trotz ihrer Mattigkeit sehr schön sei. Weiter erfuhr ich, daß die Dame schon seit einer Woche hier in dem Hotel wohne und gleich am ersten Abend eine Ohnmacht gehabt hatte, als sie in der Zeitung die Nachricht von dem Tode eines alten Bekannten gelesen habe. Ich stellte die Zeitung durch unverfängliche Fragen fest und beschloß, vorläufig meine Nachforschungen aufzugeben, um nicht aufzufallen. Zuerst verschaffte ich mir nun die fragliche Zeitung. Hier habe ich sie Ihnen mitgebracht.«

Er nahm eine Zeitung aus seiner Brusttasche und legte sie vor die Gräfin hin, auf eine Notiz darin zeigend.

»Ich fand darin die Nachricht über den plötzlichen Tod Ihres Herrn Sohnes, des Grafen Joachim Wildenfels, als ich sie gründlich durchstudierte. Ob diese Nachricht imstande war, eine erschütternde Wirkung auf die Dame auszuüben, weiß ich nicht. Ich habe Ihnen nur, um Ihnen meinen Gedankengang klarzulegen, die Zeitung mitgebracht.«

Gräfin Thea starrte auf die Zeitungsnotiz. Ihre Ahnung, daß jene blonde junge Frau Annie Horst sei, schien sich zu bestätigen. Und wenn sie bei dieser Nachricht ohnmächtig geworden war, dann war auch ihr Joachim nicht gleichgültig geworden, trotz ihrer Ehe mit einem andern.

»Weiter,« flehte die alte Dame, tonlos mit zuckenden Lippen.

»Ich bin nun bald zu Ende. Am nächsten Morgen sah ich die Kleine wieder draußen auf dem Korridor. Sie nickte mir schon ganz vertraulich zu. Ich trat zu ihr. Sie spielte am Fenster mit einer Anzahl Visitenkarten, aus denen sie ein luftiges Gebäude aufführen wollte. Es mißlang jedoch, und ich erbot mich zur Hilfe. Als ich die Karten in die Hand nahm, hätte ich beinahe einen Freudenruf ausgestoßen, denn ich las wohl zehn bis zwölf Mal: Annie Warrens geb. Horst.

Als ich noch gedankenverloren mit den Karten spielte, kam das Zimmermädchen herbei und erzählte mir, daß Mrs. Warrens heute noch elender sei, und daß sie auf eigne Gefahr einen Arzt wollte rufen lassen.

Blitzschnell entwarf ich einen Plan, um mich unverfänglich mit Mrs. Warrens in Verbindung zu setzen. Ich habe in meiner Jugend einige Semester Medizin studiert und sagte nun dem Mädchen ruhig, ich selbst sei Arzt und wolle zu ihrer Beruhigung nach der Kranken sehen. Das Mädchen meldete mich an und Klein-Jonny an der Hand, trat ich zu Mrs. Warrens ins Zimmer. Jonny sprang auf die schöne bleiche Frau zu, die auf dem Diwan ruhte. Innig umschlungen sah sie zu mir auf. Es war ein holdseliger und rührender Anblick, die schöne, bleiche Frau und das entzückende Kind.

»Mami — da ist ein Onkel Doktor, der dich gesund machen will,« sagte die Kleine.

Wirkliches Mitgefühl ließ mich fast meine Rolle vergessen. Ich sah auf den ersten Blick, daß ich es mit einer Schwerkranken zu tun hatte. In meinem Berufe beobachtet man scharf. Ich hätte nicht Arzt zu sein brauchen, um zu bemerken, daß Mrs. Warrens hohes Fieber hatte. Ich fühlte nur ihren Puls, um festzustellen, daß er meine Beobachtungen bestätigte. Es war klar, daß hier dringende ärztliche Hilfe nötig war.

Es gelang mir, das Vertrauen der armen Frau zu gewinnen. Teilweise freiwillig, teils auf meine vorsichtigen, teilnehmenden Fragen antwortend, erzählte sie mir alles, was ich Ihnen eben berichtet habe. Nur von Wildenfels und der Veranlassung, die sie und ihre Eltern nach Amerika getrieben hatte, erzählte sie kein Wort. Zum Schlusse beschwor sie mich, sie schnell wieder gesund und kräftig zu machen, denn sie dürfte nicht krank werden.

Ich war tief bewegt, gnädigste Frau Gräfin. Es lag etwas Rührendes in dem Wesen der jungen Frau und auch das liebe kleine Mädchen sah mich an, als wollte es sagen: »Nun hilf du schnell meiner lieben Mutter!« Glauben Sie mir, ich bin selten so glücklich über die Lösung einer Aufgabe gewesen, als in diesem Falle, wußte ich doch, daß ich wirkliche Hilfe bringe in der höchsten Not.

In der Voraussetzung, in Ihrem Sinne zu handeln, habe ich mir erlaubt, sofort einige Vorkehrungen zu treffen. Zuerst teilte ich der Kranken mit, daß ich leider an demselben Tage wieder abreisen müsse. Ich würde ihr jedoch sofort einen mir bekannten Arzt schicken, der ihre Behandlung übernehmen würde. Ueber den Kostenpunkt brauche sie sich keine Sorge zu machen, dieser Arzt sähe sich seine Leute an und würde nicht viel berechnen. Wenn sie schnell gesund werden wolle, müsse sie sich am besten in der Klinik des Arztes aufnehmen lassen, ich würde dafür sorgen, daß sie nicht mehr Kosten davon haben würde, als ihr der Aufenthalt im Hotel verursache.

Sie sträubte sich erst dagegen, weil sie glaubte, sie müsse sich von ihrem Kinde trennen. Ich beruhigte sie darüber und versprach ihr, daß sie Jonny bei sich behalten dürfe. Jedenfalls sei es nötig, daß sie sich meinen Anordnungen füge, sonst würde sie ihr Leiden verschlimmern.

Seufzend willigte sie ein, daß ich die nötigen Schritte tue. Sie dankte mir so inbrünstig, daß ich mich schämte, da mir dieser Dank gar nicht zukam.

Ich sagte mir, daß Sie, gnädigste Frau Gräfin, keine Kosten scheuen würden, um der unglücklichen Frau zu helfen. So suchte ich einen Frauenarzt auf, der eine Privatklinik leitet. Ich sagte ihm soviel, als er unbedingt wissen mußte, um die Sachlage zu verstehen und verbürgte mich für alle entstehenden Kosten. Das Kind wollte er erst nicht aufnehmen, aber mein Hinweis, daß ihm alles reichlich vergütet werde und daß es einfach Pflicht der Menschlichkeit sei, ließ ihn einwilligen. Morgen Nachmittag soll die Kranke, wenn es der Arzt nach der Untersuchung für nötig befindet, in die Klinik gebracht werden. Ich reiste sofort ab, um Ihnen Nachricht zu bringen.«

Gräfin Thea drückte ihm, wortlos und ergriffen, die Hand. Dann erhob sie sich und ging einige Male, nach Fassung ringend, im Zimmer auf und ab. Endlich blieb sie vor Völker stehen, ihre Augen leuchteten.

»Ich danke Ihnen — danke Ihnen tausendmal. Mit Geld allein kann ich Ihnen das nicht lohnen. Daß Ihnen ein glücklicher Zufall Ihre Aufgabe erleichtert hat, macht Ihren Dienst nicht geringer. Ich reise gleich morgen früh nach Hamburg, um die junge Frau gleich selbst aufzusuchen. Aber jetzt sollen Sie sich vor allen Dingen stärken und erfrischen. Wollen Sie heute noch nach Berlin zurückkehren?«

»Das möchte ich allerdings. Bis zum Abendzuge bleiben mir noch drei Stunden.«

»So lange sind Sie mein Gast. Ich werde dafür sorgen, daß zu rechter Zeit ein Wagen für Sie bereitsteht.«

Sie klingelte und befahl dem eintretenden Diener, daß im kleinen Speisesaale eine Mahlzeit in kürzester Zeit aufgetragen würde.

Als der Diener hinaus war, wandte sie sich wieder zu Völker.

»Sie haben die Güte und notieren mir die Hamburger Adressen — das Hotel, den Arzt und die Klinik. Inzwischen gehe ich zum Rendanten hinüber und hole Ihnen den Betrag, den ich Ihnen zugedacht habe. Entschuldigen Sie mich einige Minuten.«

Schnell und elastisch schritt sie aus dem Zimmer. Man merkte ihr an, daß ihr Wesen frischer und angeregter war, als alle Tage seit dem Tode ihres Sohnes. Sah sie doch nun ihre Aufgabe greifbar vor sich, wußte sie doch nun, daß sie den Wunsch ihres Sohnes erfüllen konnte, daß sie gutmachen konnte, wenn auch nicht an Horst selbst, so doch an seiner Tochter und ihrem Kinde.

Kurze Zeit darauf trat sie wieder zu Völker in den Salon und händigte ihm eine Summe Geldes ein. Er sah betroffen auf.

»Das ist zu viel, gnädigste Frau Gräfin — Sie belohnen mich weit über Verdienst,« sagte er verwirrt.

»Nehmen Sie nur — nehmen Sie nur,« drängte sie. »Ich allein weiß, was mir Ihr Dienst wert ist. Ich bin so froh, daß Sie mir so schnell Nachricht brachten — vielleicht wäre es sonst zu spät gewesen. Nun kommen Sie, ich führe Sie selbst in das Speisezimmer hinüber, damit Sie sich erfrischen können.«

Völker dankte mit freudig strahlendem Blick und steckte das Geld in seine Brieftasche.

»Lauter solche Aufträge — dann wäre ich bald Millionär,« dachte er.

Dann händigte er Gräfin Thea den Adressenzettel ein, den sie sorgfältig zu sich steckte.

Im Speisesaale überzeugte sie sich selbst, daß es Völker an nichts fehlte. »So, mein verehrter Herr Völker — nun muß ich mich von Ihnen verabschieden. Ich habe noch allerlei zu ordnen für die Reise. Haben Sie irgend welche Wünsche, so klingeln Sie dem Diener. Der Wagen wird zur rechten Zeit bereit stehen. Und nehmen Sie nochmals meinen herzlichsten Dank. Verschwiegenheit brauche ich Ihnen nicht anzuempfehlen, nicht wahr?«

Völker küßte ihr dankend die Hand. »Verschwiegenheit ist unzertrennlich von meinem Berufe, gnädigste Frau Gräfin.«

Sie nickte ihm noch einmal grüßend zu und ging hinaus.

Oben in ihren Zimmern angelangt, ging sie einige Male sinnend auf und ab. Dann setzte sie sich an ihren Schreibtisch und schrieb eine Depesche nieder.

»Liebe Susanne! Ich muß morgen auf unbestimmte Zeit verreisen. Bitte, kehre sobald als möglich nach Wildenfels zurück, damit Lothar nicht zu lange allein ist.«

Dann klingelte sie nach ihrer Kammerfrau. Als diese eintrat, erhob sich Gräfin Thea lebhaft.

»Grill — wir verreisen morgen früh schon wieder — diesmal nach Hamburg. Annie Horst ist gefunden worden. Ich erzähle dir das alles nachher. Jetzt lasse dieses Telegramm sofort besorgen und dann packe meinen Koffer.«

»Für wieviel Tage wünschen Frau Gräfin Gepäck mitzunehmen?« fragte Grill.

Sie war sehr neugierig, Näheres zu erfahren, aber als wohlgeschulte Dienerin mußte sie warten, bis man ihr Eröffnungen machte.

Gräfin Thea sann eine Weile nach. »Vorläufig für eine Woche, Grill. Ich weiß noch nicht, wie lange ich fortbleiben werde. Nun geh — und sieh zu, ob mein Enkel zu Hause ist, dann schicke ihn zu mir.«

»Graf Lothar ist mit dem Herrn Kandidaten zum See hinabgegangen.«

»Es ist gut, Grill, sobald er zurückkommt, soll man ihn zu mir bitten. Auch den Herrn Kandidaten.«

Grill ging geschäftig hinaus, um die ihr gewordenen Aufträge auszuführen. Ihre Herrin blieb regungslos, in Gedanken versunken, am Schreibtische sitzen und blickte mit schmerzlichem Ausdruck empor in das sonnige Gesicht ihres Sohnes. Wenn er gewußt hätte, welch furchtbares Schicksal Horst und seine Familie betroffen — wie viel qualvoller hätte er gelitten unter dem Bewußtsein seiner Schuld. — —

Als Lothar mit dem Kandidaten zurückkam, teilte ihm die alte Dame mit, daß sie auf unbestimmte Zeit verreisen müsse und gab dem Kandidaten noch einige Verhaltungsmaßregeln für den Fall, daß ihre Schwiegertochter nicht sofort zurückkäme. Lothar war sehr betrübt, daß Großmama schon wieder ohne ihn verreisen wollte. Aber als sich der Kandidat zurückgezogen hatte, nahm ihn die Gräfin bei den Schultern und sah ihm fest in die Augen.

»Mein lieber Junge — diese Reise hängt mit dem Werke zusammen, welches mir dein Vater aufgetragen hat. Nicht wahr — du bist nun vernünftig und machst mir das Herz nicht schwer durch deine Betrübnis?«

Lothar küßte ihr die Wange und nickte. »Du sollst dich nicht über mich zu beschweren haben, Großmama, wenn ich nun auch erst recht gern mit dir gehen würde, um dir zu helfen.«

Sie streichelte sein Haar.

»Wenn ich zurückkomme, Lothar — das verspreche ich dir — dann sollst du mir helfen.«

»Wieder nur durch mein Stillschweigen, Großmama?« forschte er, wenig erbaut.

»Nein — nicht dadurch. Jetzt sollst du eine wirkliche Aufgabe bekommen. Aber das Bewahren unsers Geheimnisses steht noch immer obenan.«

»Du hast ja mein Ehrenwort,« sagte der kleine Mann mit Würde. Sie küßte ihn herzlich und die Augen wurden ihr feucht.


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