Kitabı oku: «Mörderische Liebe», sayfa 2
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Im Reiterstübchen bullerte der eiserne Holzofen, die Flammen züngelten rot hinter der Glastür und verbreiteten eine wohltuende Wärme. Zu seinem Einstand hatte Tom einen Kaffeeautomaten mitgebracht, der keine Wünsche offen ließ. Mit den Espressobohnen aus Steiners Kaffeerösterei stand unser Reiterstübchen dem kleinen Café in Neuenheim in nichts nach. Iris füllte zischend-heiße Milch in ein Latte Macciato-Glas, ich nahm einen doppelten Espresso mit zwei Stückchen Zucker. Wir setzten uns an den Ofen, versonnen rührte ich in meinem großen Schwarzen herum, als die Tür aufging. Ein kalter Luftzug drang herein, ich schluckte – da stand er! Mindestens ein Meter 90 groß, genau wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Jetzt erschien er mir doch ein bisschen älter, ich schätzte ihn auf Ende vierzig, vielleicht Anfang 50, doch er sah drahtig und durchtrainiert aus. Im Erraten des Lebensalters meiner Bekannten war ich noch nie gut gewesen.
„Hallo“, sagte er mit einem breiten Lächeln. „Da sitzt ja mein Publikum! Darf ich Sie zu einem Gläschen Prosecco einladen?“ Die Frage war an Iris gerichtet, doch ich antwortete schnell, bevor Iris den Mund aufmachen konnte. „Gerne, ein Gläschen Prosecco wäre jetzt genau das richtige.“ Keine Ahnung, was in mich gefahren war, ich trank um diese Tageszeit nie Alkohol und außerdem hatte ich meinen doppelten Schwarzen noch nicht einmal zu Hälfte ausgetrunken. Ich sah Iris an, die Mühe hatte, ihr Grinsen zu verbergen. Er ging zur Bar, öffnete den Kühlschrank und kam mit drei Gläsern und einer Flasche Sekt zurück.
„Ich bin Luis Maertens“, sagte er, als er die Gläser füllte. Wir prosteten uns zu.
„Der Leierhof gefällt mir; ich suche ein ruhiges Plätzchen, um zu trainieren. Auf meinem Hof geht es zu wie in einem Bienenhaus. Das ist gut fürs Geschäft, sehr gut sogar“, fügte er mit einem schelmischen Grinsen hinzu, „doch meinem Fango bekommt es gar nicht. Ich gäbe viel darum, wenn ich Fango hier unterstellen könnte.“
„Ihren Fango? Und ich dachte, Sie wären unser neuer Stallnachbar?“ Meine Enttäuschung musste mir an der Nasenspitze abzulesen sein. Es war mir peinlich und ich wartete nur auf eine Gelegenheit, diesen Eindruck zu verwischen.
„Im Augenblick ist keine Box frei, hat Tom gesagt“, sagte Luis. „Ich habe mich auf die Warteliste setzen lassen.“
„Die Situation kann sich schnell ändern, stimmt`s, Vera?“
Iris hatte recht. Ich musste daran denken, wie ich vor drei Jahren verzweifelt nach einer Box für Nine gesucht hatte. Auf dem Leierhof hatten sie uns auf die Warteliste gesetzt. Und schon am nächsten Tag hatte ich ein Angebot bekommen. Und dann hatte die ganze Geschichte ihren Anfang genommen, das Gute und das Unheimliche, die ganze Reihe der Ereignisse, die bis zu Margas Tod geführt hatte.
„Ach Vera, häng nicht so an den alten Sachen“, sagte Iris. „Es muss doch nicht gleich wieder ein Pferd an einer Kolik eingehen!“
„Iris, bitte!“ Kolik war für mich ein Reizthema und Nines einziger Schwachpunkt. Bei diesem Wort reagierte ich allergisch. Doch Iris plapperte sorglos weiter. „Es gibt viele Möglichkeiten, warum eine Box plötzlich frei werden kann.“ Worauf wollte sie hinaus? Auf einen Reitunfall, der die Besitzerin zur Aufgabe des Reitsportes zwingt? Oder auf einen schweren Sehnenschaden oder einen Beinbruch, Verletzungen, bei denen nur noch der Gnadenschuss in Frage käme? Vielleicht hatte sie auch die plötzliche Verarmung einer Pferdebesitzerin im Sinn, Arbeitslosigkeit oder Insolvenz, auch das war auf dem Leierhof schon vorgekommen.
„Eine Stute könnte gedeckt werden und für ein paar Monate in einen Zuchtstall wechseln“, sagte Iris. Luis, der unsere Unterhaltung amüsiert mitverfolgt hatte, wurde auf einmal ernst: „Ach wirklich? So eine Möglichkeit besteht? Davon hat mir dieser Bud Spencer gar nichts verraten.“
Luis hatte Toms Ähnlichkeit mit dem Sheriff also auch wahrgenommen!
„Tom weiß von nichts“, sagte ich. Iris schaute mich verdutzt an.
„Ich habe ihm noch nichts gesagt. Aber es stimmt! Gerson und ich haben beschlossen, dass Nine ein Fohlen bekommen soll.“
Ich hatte ein bisschen übertrieben, von einem Beschluss konnte keine Rede sein, doch ganz falsch war meine Bemerkung auch wieder nicht.
„Vera, ist das wahr? Dann lass uns alles zu dritt besprechen; heute Abend, wenn es euch passt? Ich habe einen neuen Anhänger gekauft, morgen hole ich ihn ab und in drei Tagen fahre ich wieder zurück nach Montmirail, da könnte ich Nine gleich mitnehmen.“
„Wohin? Nach Montmirail?“ sagte Luis betont beiläufig.
„Ein kleines Dorf im Schweizer Kanton Jura“, sagte Iris. „Ich wohne noch nicht lange dort, doch so viel weiß ich: Montmirail ist ein zauberhaftes Dorf mit ausgesprochen liebenswürdigen und freundlichen Bewohnern.“ Ganz entgegen ihrer nüchternen und sachlichen Art kam Iris richtig ins Schwärmen. „Ich habe in kurzer Zeit viele gute Freunde und hilfsbereite Nachbarn gefunden, und es gibt dort eine Menge Pferdefreunde.“
„Ach wirklich?“, sagte Luis ein bisschen gelangweilt. „Montmirail, sagten Sie?“
„Würde mich sehr wundern, wenn Sie es kennen würden.“
„So? Ja, es klingt wie nach einem Kaff am Ende der Welt!“
„Genau“, sagte Iris, „und das gefällt mir so gut. In dieser abgelegenen Gegend haben sich früher die wilden Gesellen gesammelt – Anarchisten, Schmuggler und Wiedertäufer.“ Iris war dabei, sich festzuquatschen. Luis warf mir einen Blick aus seinen schwarzbraunen Augen zu, bei dem mein Herz wie wild zu klopfen anfing.
„Iris, ich glaube, wir müssen los.“ Ich stand auf und stellte mein Glas und meine Kaffeetasse in den Spülstein. Mein Herz hatte sich beruhigt und ich wollte lieber kein Risiko eingehen. „Es ist schon spät, zehn nach sechs.“ In einer Stunde würde Gerson nach Hause kommen.
Iris nickte. „Ja, wir haben noch etwas vor.“ Sie gab Luis die Hand. „Ich wünsche Ihnen viel Glück, ich hoffe, Vera kann mir bald berichten, dass Sie mit Ihrem Pferd auf dem Leierhof eingezogen sind.“
„Ich komme ab sofort zwei-oder dreimal pro Woche mit Fango zum Reiten“, sagte er zu mir. Es klang, als ob er mir etwas anvertrauen wollte, das nur uns beide anginge und zwischen uns bleiben sollte. Dann gab er mir die Hand und suchte meinen Blick. „Bis bald also.“
Draußen hatte es aufgehört zu regnen. Schweigend ging ich mit Iris zum Parkplatz. Eine merkwürdige innere Unruhe hatte mich gepackt; ich hätte gerne mit ihr über Luis Maertens gesprochen, sie nach ihrem Eindruck gefragt, doch ich wusste nicht, wie ich es anfangen sollte. Iris öffnete die Tür ihres Range-Rovers und setzte sich auf den Fahrersitz. „Kannst du um 20 Uhr bei uns sein? Damit wir mit Gerson sprechen“, sagte ich.
Iris nickte und blieb sitzen, ohne den Zündschlüssel ins Schloss zu stecken.
„Was ist los, warum sagst du nichts?“
„Ich warte, weil – wolltest du mir nicht noch etwas sagen?“
Mit ihrer Feinfühligkeit und ihrem Gespür für Zwischentöne hatte Iris meine Gedanken erraten, und ich bekam einen roten Kopf, das war mir peinlich. Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar, es fiel mir schwer, die richtigen Worte zu finden.
„Iris“, sagte ich, „kein Wort über Luis zu Gerson, bitte.“
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Er kam schon am nächsten Nachmittag. Als ob wir uns verabredet hätten, saß er auf seinem Pferd, als ich mit Nine die Halle betrat. Luis ließ die Zügel lang, wir ritten ein paar Runden Schritt nebeneinander und plauderten. Dann saß er ab und verließ die Halle. Nach dem Absatteln schaute er uns von der Tribüne beim Reiten zu.
„Ihr versteht euch“, sagte Luis anerkennend. Er war ohne Umstände zum „Du“ übergegangen, kam unaufgefordert in die Bahn und sammelte Nines Pferdeäpfel mit dem Appel-Boy auf. Diese praktischen Geräte hatten uns die Peynibels hinterlassen. Seit ihrem Weggang standen sie auf allen unseren Reitplätzen herum und mit der Zeit hatten wir uns an ihren Gebrauch gewöhnt. Luis blieb noch eine Weile in der Mitte stehen und betrachtete Nine. „Nine Days Wonder, was für origineller Name für eine prachtvolle Stute!“ Nine hörte, dass er von ihr sprach, sie spitzte die Ohren und zeigte ihren schönsten Trab.
„Wenn ich sie so sehe, dann tut es mir richtig leid, dass Fango ein Wallach ist.“
Solche Bemerkungen überging ich einfach und konzentrierte mich aufs Reiten. Obwohl sich Nine immer noch so lebhaft und eigensinnig benahm wie am Anfang, hatte mir Iris beigebracht, mich nicht mehr durch ihre Eskapaden verwirren zu lassen. Ich hatte durch ihren Unterricht eine große Portion Sicherheit gewonnen und Nine dankte es mir; sie war viel ruhiger und durchlässiger geworden.
Luis beobachtete uns aufmerksam. „Es liegt an deinem Sitz“, sagte er. „Und an deiner ruhigen Hand.“
Hast du das gehört, Nine? Wie lange war es her, dass uns jemand mit so viel positivem Feed-Back beim Reiten zugesehen hatte? Wenn mir Iris Unterricht gab, dann achtete sie penibel auf meine Fehler, die sich immer wieder von neuem einschlichen und sie entdeckte jedes Mal etwas anderes. Iris war unbestechlich in ihren Kommentaren, es würde mich nicht weiterbringen, wenn sie nur meine Stärken lobte, sagte sie. Eine ruhige Hand! Und ein unabhängiger Sitz! Ich musste zugeben, es tat gut, was ich da gerade zu hören bekam. An diesen beiden Klippen hatte ich lange gearbeitet, jetzt schien sich endlich ein Erfolg zu zeigen.
„Vera!“ Ich schreckte auf; ich war in meine Gedanken versunken und hatte nicht bemerkt, dass Luis die Halle verlassen hatte. Ich hob den Kopf und da war er. Auf der Tribüne, nur durch eine Holzbalustrade von mir getrennt. Er hatte seine Reithandschuhe ausgezogen und sein Hände auf das Geländer gelegt. Was für lange, schmale Finger er hatte – Klavierspielerhände – wie viel Gefühl musste in diesen Fingern stecken! Unsere Augen trafen sich, sein Blick durchzuckte mich wie eine jähe Berührung mit einem elektrisch geladenen Weidezaun, den ich bis hinunter in die Zehenspitzen spürte.
„Willst du Fango reiten, ein-bis zweimal die Woche, wenn Nine weg ist?“
Ich musste erst einmal Luft holen, um mich von seinen schwarzbraunen Augen zu lösen, in denen so viel Wärme lag.
„Aber – du hast doch Mascha?“ Ich ließ die Zügel lang und klopfte Nine den Hals, ich brauchte Zeit, um meine Überraschung zu überspielen.
„Mascha? Sie kommt nur aushilfsweise“, sagte er schnell, als wolle er sich nicht mit Nebensächlichkeiten aufhalten. „Ich kann Nines Box übernehmen, wenn sie weg ist.“
„Ach, das weißt du schon?“
„Tom hat es mir gerade gesagt. Du willst doch bestimmt reiten, wenn Nine auf Mutterurlaub geht?“
Natürlich wollte ich das! Nine würde gut ein Jahr oder noch länger wegbleiben, ein Leben ohne Pferd und ohne Reiten, selbst wenn es nur für ein Jahr wäre, konnte ich mir schlecht vorstellen.
„Brauchst du eine Reitbeteiligung?“
„Nicht irgendeine, jemand Zuverlässiges wie dich; jemand mit viel Reiterfahrung und Zeit, keine Schülerin oder Studentin.“
Nine zog mir den Zügel durch die Hand und kratzte sich mit der Nase am Griffelbein, eine Unsitte, die ich ihr schon längst hatte abgewöhnen wollen.
„Meinst du nicht, dass Fango zu stark für mich ist?“
„Ach was, so wie du reitest! Das schaffst du, glaub mir. Ich gebe dir Unterricht, zeige dir seine Stärken und seine schwachen Punkte – du wirst sehen, es dauert nicht lange, bis du raus hast, wie du ihn anschieben musst.“
„Zeit genug hätte ich ...“, sagte ich und fühlte schon wieder mein Herz klopfen. Fango war mein Traumpferd! Warum eigentlich nicht? Ich konnte meine Arbeitszeiten im Reisebüro selbst einteilen und alle meine Schreibarbeiten von zu Hause aus erledigen.
„Das klingt verlockend!“, sagte ich, doch irgendetwas hielt mich davon ab, fest zuzusagen. Nine, die meine Unsicherheit spürte, machte zwei Schritte rückwärts. Ich klopfte mit meinen Absätzen sanft an ihren Bauch. Fango, dachte ich, während ich Nine den Hals tätschelte. Warum nicht? Doch was würde Gerson dazu sagen? In meine Freude über das verlockende Angebot mischte sich ein winziges Fünkchen schlechtes Gewissen. An den Wochenenden würde ich öfter mal zu Nine ins Jura fahren müssen und mindestens zwei Tage unterwegs sein. Aber davon abgesehen – würde die neue Aufgabe mich nicht zu stark beanspruchen? Zu viel Zeit verschlingen, die ich mit Gerson hätte verbringen können?
„Gibst du mir ein bisschen Bedenkzeit? Ich will es mir überlegen, Luis.“
6
„Kann ich dir irgendwie helfen?“ Wenn es um Stalldinge ging, war Gerson nicht oft so hilfsbereit.
„Ich muss nur noch das Sattelzeug putzen und die Winterdecken waschen, dann noch neue Transportgamaschen kaufen, und eine Schabracke. Das Lederhalfter, das ihr Liberty zum Einzug geschenkt hat, ist zerrissen, und ...“
„Das Fohlenprojekt scheint in einen gigantischen Konsumausflug zum Reitsportparadies Müller auszuarten“, maulte Gerson.
„Man gönnt sich ja sonst nichts“, sagte ich lachend und schob seine Kritik einfach zur Seite. Schließlich war es mein Geld, das ich zum Fenster hinauswarf.
„In drei, vier Tagen ist es soweit“, unterbrach Iris unsere Wortgeplänkel. „Ich muss meinen neuen Hänger noch zum TÜV bringen, dann kann es losgehen.“
Vier Tage, dachte ich erleichtert. Bis dahin würde ich alles Notwendige zusammengepackt haben. Ich konnte sogar noch meinen Spind saubermachen, damit Luis Platz für sein Sattelzeug hatte.
Die Vorbereitungen für Nines Reise verliefen wie geplant, es ging alles seinen Gang und doch fühlte ich mich wehmütig, wenn ich Nine mittags auf die Koppel führte. Sie schaute mich aus großen, wachen Augen an und lief aufmerksam neben mir her. Wenn ich den Führstrick löste, blieb sie bei mir stehen und legte mir den Kopf auf die Schulter. Erst wenn ich ihr einen Klaps gab und sie aufforderte, zu Pepino zu laufen, drehte sie sich um und galoppierte die Wiese hinunter. Eine Stute trug ungefähr 11 Monate. Ein ganzes Jahr oder noch länger ohne Nine, das würde mir nicht leicht fallen. Ich vermisste sie schon jetzt, bei dem bloßen Gedanken daran.
Nachdenklich stand ich am Koppelzaun. Nine stand Seite an Seite mit Pepino und kraulte ihm das Fell. Plötzlich durchfuhr mich ein Gedanke: Ich hatte sie überhaupt nicht gefragt, ob sie sich von mir trennen wollte! Und noch dazu so lange? Vielleicht wollte sie überhaupt kein Fohlen? Der Leierhof war doch seit drei Jahren ihre Heimat, hier fühlte sie sich wohl, hier hatte sie ihren Pepino und mich natürlich.
Iris konnte sich mit Pferden verständigen, sie wusste genau, was ihre Pferde von ihr wollten. Ich hatte es auch schon versucht, doch ich war mir nie ganz sicher gewesen, ob die Antworten nicht in meinem Kopfkino entstanden wären. Ich schloss für einen Moment die Augen. Geh zu ihr und frag sie. Das war Iris, ich hörte sie deutlich. Gut, dann versuche ich es. Aber was, wenn sie Nein sagt? Feigling, hörte ich Iris wieder. Du bist ein Feigling. Geh hin und frage sie.
Sie hatte es mir erklärt. Alles was ich tun müsse, war ruhig werden, im Innern still, tief atmen und Verbindung zum Erdboden und zum Himmel aufnehmen. Durchatmen und die Energie fließen lassen. Und dann meine Frage, eine Art Bild in meinem Kopf und eine Einladung an Nine, etwas dazu zu sagen. Und die Antwort? Eher ein Gefühl, ein Bild, eine Farbe, oder eine Körperempfindung, warm oder kalt zum Beispiel. Die Empfindung wäre plötzlich da, und ich wüsste sofort, dass sie nicht meinem Hirn entsprungen wäre.
Schritt für Schritt, langsam und bedächtig ging ich zu ihr. Auf halbem Weg kam sie mir entgegen, brummelte fröhlich und stupste mich von der Seite an.
Willst du ein Fohlen, Nine? Der Gedanke war da, bevor ich ihn denken konnte, und leicht und einfach kam die Antwort. Ich spürte Zustimmung und reine Freude. Von Nine ging eine wohlige Wärme aus, die auf mich übersprang und mich fröhlich stimmte. Willst du mit Iris in die Schweiz, fragte ich weiter. Auf einmal verwandelten sich meine Hände in Eisklötze. Ob es an dem kalten Nordwind lag, der gerade da aufkam? Eine Antwort war das jedenfalls nicht! Das Wetter machte mir einen Strich durch die Rechnung, mein Experiment war zu Ende. Aber konnte ich nicht doch zufrieden sein? Ich hatte meine Frage gestellt und eine wunderbare Antwort bekommen! Nine wollte ein Fohlen, und daraus folgte zwangsläufig, dass Iris sie in die Schweiz mitnahm. Vergnügt knöpfte ich meine Jacke zu und hakte den Führstrick ein. „Wir machen uns lieber vom Acker, bevor du noch eine Erkältung bekommst.“ Ich muss ihr noch eine dicke Winterdecke kaufen, dachte ich, Montmirail lag über 1000 m hoch, im Winter würde es bestimmt eisig werden.
„Hast du den Pferdepass mit den Impfungen griffbereit?“
„Was braucht sie denn?“, fragte ich mit einem mulmigen Gefühl. Meine frühere Stallfreundin Liberty hatte mir abgeraten, Nine impfen zu lassen. Und weil ich in den letzten beiden Jahren nicht mehr mit Nine auf Turniere gegangen war, hatte ich die Impfungen einfach vergessen.
„Tetanus und Pferdeinfluenza, wie alle Sportpferde“, sagte Iris.
Ich schluckte und fischte nach meinem Handy. „Könntest du bitte Nines Impfpass heraussuchen und nachschauen, wann sie das letzte Mal gegen Influenza geimpft wurde?“
Es dauerte keine fünf Minuten, bis sich Gerson zurückmeldete. „In diesem Jahr nicht, wie es aussieht, – soll ich dir den Pass vorbeibringen?“
„Nicht nötig, ich rufe lieber gleich Dr. Abnemer an, drück mir die Daumen, dass er morgen noch vorbeikommt.“
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Gerson stellte sich quer. Er benahm sich wie ein bockendes Pferd; träge, zäh und unwillig wie eines, das man in der Mittagshitze von der Weide holte um schwere Dressurlektionen zu üben.
„Du willst an drei Tagen in der Woche und wahrscheinlich auch noch am Wochenende diesen Tango reiten?“
Ich spürte, wie er alle seine Stacheln aufstellte und sie in meine Richtung drehte. „Was soll das heißen?“
„Genau das, was ich gesagt habe. Du hast Abmachungen getroffen, ohne mich zu informieren.“
„Er heißt Fango!“
Gerson musterte mich mit zusammengekniffenen Augen und schwieg.
„Du irrst dich“, sagte ich. „Ich habe ihm keine feste Zusage gegeben.“
Was als Angebot zur Versöhnung gemeint war, verfehlte seinen Zweck völlig.
„Also doch! Du hast mit ihm gesprochen. Ohne mich vorher zu fragen. Vera, das finde ich nicht fair.“
Was hatte Gerson eigentlich? Ich verstand ihn wirklich nicht. Es war seine Idee gewesen, Nine in der Schweiz decken zu lassen. Und jetzt bockte er, nur weil ich zwei oder dreimal in der Woche Fango reiten wollte. Warum spielte er auf einmal die beleidigte Leberwurst?
„Wir könnten zusammen joggen gehen, wenn du Sport machen willst.“
„Gerson! Jetzt hör mir mal zu. Wie oft soll ich es noch sagen: Reiten ist kein Sport!“
„Das ist es ja. Ich sehe voraus, dass es bei zweimal die Woche nicht bleibt. Wenn dieser Lewis, oder wie er heißt, auf Geschäftsreisen geht, oder auf Urlaub, dann bist doch du für das Pferd verantwortlich!“
Es nützte nichts, es abzustreiten. Luis hatte mir sogar Berittgeld angeboten, das würde mich verpflichten, ordentlich mit dem Pferd zu arbeiten.
Gerson ließ nicht locker. „Ich dachte, dass wir mehr Zeit für uns hätten, wenn Nine weg ist. Wir könnten spontan übers Wochenende weg fahren, oder uns nachmittags irgendwo verabreden, wir könnten endlich mal unsere Freunde besuchen und zusammen ins Kino gehen.“
Darum ging es ihm also! Und ich hatte geglaubt, Gerson hätte an Nine gedacht, als er den Vorschlag mit dem Fohlen gemacht hatte! Weit gefehlt – ich hatte mich getäuscht! Er wollte Nine wegschaffen, er war auf Nine eifersüchtig, er wollte mich für sich alleine haben und mit keinem anderen teilen, schon gar nicht mit einem Pferd.
Ich nahm mir einen Apfel aus der Obstschale und biss krachend hinein.
„Zwei-oder dreimal, Gerson, soviel Zeit habe ich übrig. Ich muss im Training bleiben, schließlich kommt Nine erst nach einem Jahr wieder zurück.“
Gerson schaute mich voller Groll an: „Du glaubst doch wohl selbst nicht, dass du das Reiten verlernst?“
Es war zwecklos, gegen seinen Ärger anzureden. Dass sich die Rückenmuskulatur schon nach wenigen Tagen zurückbildete und es lange dauerte, bis man sie wieder auftrainiert hatte, solche unter Reitern allgemein bekannten Tatsachen brauchte ich ihm jetzt nicht vorzuhalten.
Es gelang mir, vollkommen sachlich zu bleiben. „Der Besitzer von Fango übernimmt meine Boxenmiete, ich muss kein Standgeld bezahlen, das kommt meinem Geldbeutel zugute.“
Wenigstens dieses Argument schien Gerson zu besänftigen. Er zog sich einen Küchenstuhl heran und setzte sich an den Tisch, nahm sich eine Banane aus dem Obstkorb und begann sie bedächtig zu schälen. „Wer ist eigentlich der Besitzer dieses Wunderpferdes?“, fragte er nach einer Weile.
Darauf hatte ich mich vorbereitet. „Er heißt Luis Maertens; ein Pferdemann durch und durch, nicht mehr ganz jung, mit viel Geld und wenig Zeit, wie das halt so ist. Er hat was mit Immobilien zu tun und einen exklusiven Verkaufsstall.“ Das mit den Immobilien hatte ich erfunden, irgendwie schien es mir zu Luis zu passen und es würde ihn in Gersons Augen garantiert seriöser machen.
„Merde? Heißt er wirklich Merde?“ Sollte das ein Witz sein, oder war es wirklich ein Missverständnis? Vielleicht lag es an meiner weichen süddeutschen Aussprache – keine Ahnung. Merde, sollte er ruhig denken, was er wollte. Ich atmete erleichtert auf, er hatte nichts gemerkt.