Kitabı oku: «Mörderischer Galopp»

Yazı tipi:

Inhaltsverzeichnis

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

41

42

43

44

Die Autorin

Danksagung

Heide-Marie Lauterer

Mörderischer Galopp

Reiterkrimi

spiritbooks

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 2011 spiritbooks, 73230 Kirchheim/Teck

Verlag: spiritbooks, www.spiritbooks.de

Autor: Heide-Marie Lauterer

Herausgeber: Ulrike Dietmann

Coverfoto: Abramova Kseniya

Autorenporträt: Gülay Keskin

Grafik: vectors seamartini

Druck und Verlagsdienstleister: tredition

Printed in Germany

eBook-ISBN: 978-3-944587-89-9

Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.

Die Autorin

Heide-Marie Lauterer, langjährige Schriftführerin des Heidelberger Reitvereins und Pferdebesitzerin kennt sich aus in den Höhen und Tiefen des Reiterlebens. Sie veröffentlicht Kurzkrimis und ist Mitglied der Autorenvereinigung "Mörderische Schwestern".

Für Hans-Jürgen, meinen Mann


1

„Wie heißt sie denn?“

„Nine-Days-Wonder“, sagte er. „Eine Nerwa-Tochter.“

Der Name gefiel mir, er klang geheimnisvoll und schön, aber Nerwa sagte mir gar nichts. Natürlich wusste ich, dass es sich um ihre Abstammung handelte – aber da kannte ich mich überhaupt nicht aus. Glücklicherweise schien der Händler meine Verlegenheit gar nicht zu bemerken. „Ihr Vater war der Vollblüter Aggregat und ihre Mutter war die schwarzbraune Trakehnerstute Nerwa. Ihre Töchter sind ihr wie aus der Rippe geschnitten – Namibia, Narcisse, Nexe, – und wie sie alle heißen – haben es im großen Sport zu beachtlichen Meriten gebracht.“

Ich schluckte. So ein Pferd war für mich bestimmt zu teuer. Ich hatte mir eine Grenze gesetzt, über die ich auf keinen Fall hinausgehen durfte, als Berufsanfängerin konnte ich nicht gleich in die Vollen gehen. Ich hatte gerade meine Doktorprüfung bestanden und gleich darauf eine Stelle gefunden. Mitten in der Heidelberger Altstadt, zum Universitätsplatz und zu meinem Lieblingscafé war es nur ein Katzensprung, die Bibliothek lag um die Ecke und meine Chefin hatte mir ein eigenes Büro im Institut in Aussicht gestellt. Vertraglich geregelte Arbeits- und Urlaubszeiten, ein regelmäßiges Einkommen und eine interessante Aufgabe, die mir genug Zeit ließ, meinem Hobby nachzugehen. So jedenfalls hatte ich mir meine neue Arbeit vorgestellt, denn sonst wäre ich wohl kaum auf die Idee mit dem Pferd gekommen. Seit meiner Kindheit hatte ich von einem eigenen Pferd geträumt und jetzt sah ich mich plötzlich in der Lage, mir diesen Traum zu erfüllen. Doch dieses Pferd kam für mich nicht in Frage, ich traute mich nicht einmal nach dem Preis zu fragen.

Der Händler schien mein Zögern gar nicht zu bemerken. Er öffnete die Boxentür, streifte der Stute ein Stallhalfter über und zog sie ziemlich unsanft aus ihrem Stall auf den Hof hinaus. Dort band er sie an einem Geländer fest. Doch die Stute, die widerwillig und schläfrig hinter ihm hergetrottet war, ließ plötzlich das Weiße in ihren Augen blitzen, stampfte mit ihrem Vorderhuf so zornig auf den Steinboden, dass die Funken sprühten, verlagerte dann ihr ganzes Gewicht auf die Hinterhand, sodass sich der Anbindestrick bis zum Äußersten spannte und nur nicht zerriss, weil der Panikhaken im letzten Augenblick nachgab. Doch jetzt war das Pferd frei und galoppierte mit donnerndem Hufgetrappel davon.

„Verdammt“, entfuhr es dem Händler und ich hatte den Eindruck, dass er sich nur deshalb vor weiteren und noch schlimmeren Flüchen zurückhielt, weil er auf mich keinen noch schlechteren Eindruck machen wollte. „Irgendetwas hat sie erschreckt, sie ist sonst immer sehr brav.“ Aber davon war der Stute nichts anzumerken. Sie galoppierte immer noch in engen Zirkeln auf dem Hof herum und alle Versuche des Händlers und seiner Helferin, das Tier zu beruhigen, erreichten nur das Gegenteil.

„Lassen Sie mich mal“, sagte ich. Ich wunderte mich über mich selbst – woher nahm ich plötzlich dieses Selbstvertrauen, ein fliehendes Pferd aufzuhalten? Bisher hatte ich doch nur Schulpferde geritten und in den Ferien manchmal das Pony meiner Freundin gepflegt. Ich weiß nicht, was mit mir geschah, ich fühlte nur, wie ich plötzlich ganz ruhig wurde. Langsam näherte ich mich der Stute. „Hoooo, hooo“. Sie spitzte die Ohren, als sie meine Stimme hörte, fiel in einen leichten Trab, ging ein paar Schritte und blieb stehen. Dann drehte sie sich zu mir um und schaute mich aufmerksam an. Ich streckte die Hand aus und forderte sie auf, zu mir zu kommen. Und genau das tat sie.

„Das ist Ihr Pferd“, sagte der Händler anerkennend. „Nine-Days-Wonder, die Nerwa Tochter“, fügte er hinzu und es klang, als spräche er von einer Prinzessin. Doch erst als ich selbst im Sattel saß, wusste ich, was er gemeint hatte. Ich hatte das Gefühl auf einer rosa Wolke zu schweben. Noch nie hatte ich ein Pferd geritten, das so weich und feinfühlig auf alle meine Hilfen reagierte. Als ich abstieg und den Sattelgurt lockerte, drehte sich die Stute zu mir um und legte mir ihren Kopf auf die Schulter. Es war mir, als wolle sie mir etwas ins Ohr flüstern, doch ich verstand es nicht, weil der Händler im gleichen Augenblick zu reden anfing.

„Jetzt kann ich es Ihnen ja sagen – es gibt nicht viele Leute, die mit dieser Stute zurechtkommen – aber Sie beide scheinen die gleiche Wellenlänge zu haben – ich mache Ihnen einen guten Preis – Sie brauchen nur einzuschlagen.“

Colorado Rocky Mountains high – ich hatte den Oldies-Sender eingestellt und dieses Lied spielten sie nur für mich. Ich fuhr durch die sanften Kraichgauhügel zurück nach Hause und sang aus vollem Herzen mit, den Text kannte ich auswendig. He left yesterday behind him, you might say, he was born again, he found a key to every door. Genau so ging es mir in diesen Minuten, ich kam mir vor wie neugeboren, ich fühlte mich glücklich, frei und leicht, als ob ich ohne Sattel durch die Prärie galoppierte, auf meiner Stute Nine-Days-Wonder, immer geradeaus, der Sonne nach. Alles andere lag hinter mir, die schweren Prüfungen, die Suche nach dem richtigen Pferd, und die schwierige Anfangszeit mit Gerson. Er würde jetzt daheim auf mich warten, in unserem Zuhause, begierig darauf, meine Neuigkeiten zu hören.

Wir hatten lange gezögert zusammenzuziehen, aber als wir die Entscheidung endlich getroffen hatten, ganz schnell eine Wohnung gefunden. Sie lag im Heidelberger Stadtteil Neuenheim, dem grünsten Viertel der ganzen Stadt. Die Gärten hinter den Häusern bildeten ein parkähnliches Geviert, mit alten Obstbäumen, Fliederbüschen und Rosenbeeten. Bei unserem Einzug stand der alte Kirschbaum hinter unserem Haus in voller Blüte. Von unserem Küchenbalkon sah man das Eichhörnchen, das in luftiger Höhe vom einen in den anderen Garten wechselte, oder den Buntspecht, mit seiner roten Haube, der die Rinde nach Insekten abklopfte und die gelb-grünen Sittiche, die mit aufreizenden Schreien durch die Luft schossen, aber ich war meistens so beschäftigt, dass mir für solche Musestunden die Zeit fehlte. Ich war auf Pferdesuche und in jeder freien Minute unterwegs. Gerson schüttelte über mich den Kopf: „Du tauschst einen Stall voller Pferdemist gegen ein Paradies“, sagte er.

Wenn er erst einmal Nine kennen lernte, würde er mich verstehen, dachte ich. Der Name war mir beim Mitsingen eingefallen, genauso würde ich die Stute nennen. Er war keine einfache Abkürzung, ich würde ihn nämlich deutsch aussprechen, N-i-n-e, das klang wie Tine, so freundlich und rund, genauso wie sich mir das Pferd gezeigt hatte. Ihren ganzen Namen würde ich mir für offizielle Angelegenheiten vorbehalten, vielleicht gingen wir ja mal zusammen auf ein Turnier, da machte sich Nine-Days-Wonder natürlich besser. Stolz, eigensinnig und überraschend – davon hatte sie ja auch etwas. Sie sollte es gut bei mir haben. Ich würde mir alle erdenkliche Mühe geben, um sie so unterzubringen, dass sie sich richtig wohlfühlte. Sie brauchte eine Wiese, eine große, helle Box mit einem Auslauf, noch besser wäre ein Offenstall, schon wegen des Kontaktes zu anderen Pferden. Und gutes Futter natürlich, immer frisches Wasser und saubere Luft.

Ich hatte es eilig die Wohnungstür aufzuschließen, Gerson war schon zu Hause, ich hatte sein Fahrrad an der Hauswand lehnen sehen. Aber irgendetwas stimmte nicht mit meinem Schlüssel, er klemmte und ließ sich nicht mehr nach rechts und links drehen, und ich konnte ihn nicht wieder herausziehen. Aber das machte nichts, Gerson war ja da, ich konnte also klingeln. Doch niemand öffnete. Vielleicht hört er Radio, oder telefoniert gerade, dachte ich, unsere Klingel ist zu leise, wir hätten sie schon längst austauschen sollen. Also versuchte ich es noch einmal mit dem Schlüssel, ich rüttelte ein bisschen an dem widerspenstigen Objekt, und plötzlich sprang die Wohnungstür auf.

Meine Reitstiefel ließ ich im Flur in einer Ecke stehen und stürmte in die Küche. „Gerson, stell dir vor, ich habe – “, aber ich brach mitten im Satz ab. Gerson saß am Küchentisch hinter seiner Zeitung und schien mich überhaupt nicht wahrzunehmen. Es war so ruhig, dass man ein Blatt Papier zu Boden fallen hätte hören können, die Luft in der Küche schien zu Eis erstarrt, schneidend, dass mir das Atmen schwer fiel. Ich schaute ihn an, aber er las gar nicht, sondern starrte geradeaus ins Leere. Dann machte er sich umständlich und in aller Ruhe daran, die Zeitung zusammenzufalten, schob die einzelnen Teile ineinander, Ecke auf Ecke, zog den Falz in der Mitte nach, überprüfte die Seitenzahlen und klappte den Packen Papier in der Mitte zusammen. Es war als ob er alle seine Spuren verwischen wollte, warum wusste ich nicht.

„Gerson?“ Ich fühlte einen Kloß in meinem Hals und meine Knie wurden auf einmal weich. Kein Wunder, ich war ja den ganzen Tag auf Achse gewesen und merkte jetzt erst, dass ich müde und hungrig war.

„Da bist du ja endlich – ich habe die ganze Zeit auf dich gewartet. Gegessen habe ich schon – ist dir eigentlich klar, dass wir in einer halben Stunde zum Kino verabredet sind?“

„Oh nein! Das habe ich völlig vergessen.“ Ich atmete auf, meine Schwäche verflog, jetzt war mir klar, warum Gerson so schlechter Laune war. Eine halbe Stunde würde mir gerade noch reichen, um zu duschen. Ich konnte Gerson ja auf dem Weg zum Kino von Nine erzählen, dachte ich.

„Und stell bitte deine Reitstiefel in den Keller“, sagte er, als ich mich umdrehte, um unter die Dusche zu gehen.

Am nächsten Morgen wurde ich vom Klingeln des Telefons geweckt. Es war 7 Uhr und noch nicht einmal ganz hell. Gerson blinzelte durch ein halbgeöffnetes Augenlid, murmelte etwas, das so klang wie “wahrscheinlich wieder einer deiner Pferdeleute“ und drehte sich genüsslich auf die andere Seite. Gähnend stand ich auf – es war spät geworden, gestern Abend, der Film hatte Überlänge gehabt und mich nicht die Bohne interessiert – aber das, was ich jetzt hörte, machte mich sofort hellwach. „Frau Roth, wir brauchen die Box, wann können Sie Ihr Pferd abholen?“ Der Händler klang barsch und unfreundlich und schien überhaupt nicht bereit, mir zuzuhören.

„Aber ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich erst einen Stall suchen muss“, versuchte ich, um ihn zu beschwichtigen, doch meine Antwort brachte ihn erst richtig in Rage: „Dann schauen Sie doch mal in Ihren Vertrag und lesen das Kleingedruckte zu § 3 – dort steht klipp und klar, dass das gekaufte Pferd nur solange bleiben kann, bis wir die Box brauchen. Und jetzt ist es soweit.“

Leider hatte er recht, unter Punkt 3 stand alles schwarz auf weiß, so wie er es gesagt hatte. Ich hatte den Vertrag unterschrieben, ohne das Kleingedruckte zu lesen, daran gab es nichts zu rütteln. Ich weiß nicht wie es mir gelang, aber irgendwie schaffte ich es, noch zwei Tage herauszuschinden. „Ich warne Sie“, sagte der Händler, „spätestens übermorgen bringe ich Ihnen die Stute, wohin ist mir egal – notfalls stelle ich sie Ihnen in den Garten.“

Das waren herrliche Aussichten, aber es half alles nichts, ich musste so schnell wie möglich einen passenden Stall finden.

Die beiden Reitställe, die ich mir anschaute, verdienten ihren Namen nicht. Warum der erste nicht schon längst aus Gründen des Tierschutzes geschlossen worden war, war mir ein Rätsel.

Die Anlage lag mitten im Neubaugebiet. Wo einmal Pferdekoppeln waren, taten sich jetzt gigantische Baustellen auf, hier würden in Kürze Wohnblocks und Kliniken entstehen. Die Boxen waren in einem schlimmen Zustand, dunkel, ohne Auslauf, die meisten hatten nicht einmal ein Fenster, durch das die Pferde ihren Kopf hätten stecken können. Der Stall war schlecht gemistet und die Luft stickig und feucht, ein ideales Klima, um Bakterien zu züchten. Meine Frage: „Was würde Nine dazu sagen“, brauchte ich hier gar nicht erst zu stellen, sie beantwortete sich von selbst.

Der nächste Hof auf meiner Liste lag ein paar Kilometer außerhalb der Stadt. In unmittelbarer Nähe dieser Anlage befand sich ein gigantischer Müllplatz, der im Zehnminutentakt von donnernden LKWs angefahren wurde. An dieser Zufahrtsstraße lagen die Pferdekoppeln. Dennoch fuhr ich auf den Hof, um den Pächter kennenzulernen. Doch der hatte offensichtlich vergessen, dass er sich mit mir verabredet hatte, denn er ließ mich eine halbe Stunde vor verschlossenem Hoftor warten. Ein untersetzter, dickbäuchiger Mann mit einem kugelrunden Kopf und kleinen schlauen Äuglein, die mich aufmerksam taxierten. Er war das genaue Gegenbild eines Reitlehrers, wie ich ihn mir immer vorgestellt hatte.

„Was für ein Pferd haben Sie denn?“, wollte er als erstes wissen. „Eine sechsjährige Stute, eine Nerwa-Tochter“, sagte ich. Als hätte ich ein Zauberwort ausgesprochen, fing der Mann an auf mich einzureden. „Sie brauchen bestimmt Beritt? Und Reitstunden? Da sind Sie bei uns richtig!“ Während unseres Gespräches wurde ich das Gefühl nicht los, dass er sich im Stillen überlegte, wie es auf meinem Bankkonto aussah. Die einzige freie Box, die er mir anbieten konnte, befand sich ganz hinten in einem dunklen Stallgebäude, das gleichzeitig als Heulager genutzt wurde. Als er mir den Preis für dieses Loch nannte, drehte ich mich auf dem Absatz um und verlies grußlos den Hof.

Als ich den Zündschlüssel umdrehte, musste ich an Gerson denken. Was mein Verhältnis zu Nine-Days-Wonder betraf, hatte er sich schnell eine Meinung gebildet. Er bezeichnete mich als Pferdenärrin, die wie alle Pferdefrauen von einem gefährlichen Virus befallen sei. Aber damit nicht genug, setzte er hinzu, wenn es hart auf hart käme, würde ich mich nicht für ihn, sondern für das Pferd entscheiden.

Wie sehr er mit dieser Unterstellung ins Schwarze getroffen hatte, merkte ich jetzt auf der Stallsuche. Ich konnte ja nichts dafür – es war mir, als ob man Nine-Days-Wonder und mich zu einem Paket zusammengeschnürt hätte, dessen Schnüre von Tag zu Tag fester gezurrt wurden. Diesen Druck spürte ich, denn ich sagte mir, dass ich eine große Verantwortung übernommen hätte – eine Verantwortung für ein Wesen, das mich brauchte, weil es nicht für sich selbst sorgen konnte. Es kam mir sogar vor, als ob Nine und ich so etwas wie eine Schicksalsgemeinschaft bildeten.

Mit bangem Herzen machte ich mich auf den Weg zu dem dritten Hof auf meiner Liste. Was sollte ich bloß anfangen, wenn sich auch dieser Stall als Pleite herausstellte? „Wenn alle Stricke reißen“, hatte Gerson geulkt, „stellst du Nine eben in die Garage beim Nachbarn.“ Er hatte leicht reden, seine Surfbretter und seine beiden Mountainbikes waren leichter unterzubringen als ein Pferd.

Der Leierhof lag in Stadtnähe wie eine Insel im tosenden Verkehrsstrom, umgeben von einem dichten Netz von Straßen und Autobahnen. Aber wenn man die richtige Ausfahrt erwischte und dann noch den Schleichweg an den Ami-Kasernen vorbei über die Felder nahm, sah man überall Pferde auf grünen Wiesen grasen. Der Leierhof schien wie für einen Werbeprospekt entworfen. Ich stellte meinen Golf auf dem Parkplatz unter einem alten Nussbaum ab. Weil ich ein paar Minuten zu früh angekommen war, vertrieb ich mir die Zeit, indem ich einen passenden Text zu dem Prospekt entwarf: „Genießen Sie Ruhe und Frieden vor den Toren der Großstadt. Unsere hochqualifizierten Fachkräfte verbessern Ihr reiterliches Können und den Ausbildungsstand Ihres Pferdes. Luxuriöse Pferdeboxen machen unsere Anlage noch attraktiver“, genau das war es doch, was ich suchte!

Eine junge, sympathisch wirkende Frau in Reithosen führte mich wenig später durch die Anlage. Im Stall duftete es nach Heu, die Pferdeboxen waren sauber, luftig und hell, Nine-Days-Wonder würde sich hier wohlfühlen, da war ich mir sicher.

Doch gerade, als wir den Stall verlassen wollten, hörte ich Schreie. Das Gebrüll klang beängstigend, ein Mann versuchte verzweifelt, ein Pferd zum Aufstehen zu zwingen. Vielleicht hatte sich das Tier festgelegen und er brauchte Hilfe?

„Kommen Sie“, sagte die Frau zu mir und schob mich schnell dem Ausgang zu. Es schien ihr nicht recht zu sein, dass ich den Grund für die Aufregung erfuhr. Aber jetzt war ich neugierig geworden. Ich trat an die Gittertür heran, hinter der ich die Schreie gehört hatte. Mir bot sich ein schrecklicher Anblick. Im zerwühlten Stroh lag ein Pferd mit weitaufgerissenen, blutunterlaufenen Augen. Es lag auf der Seite und streckte alle Viere von sich. Das Fell klebte nass und schwarz am Körper, ich hätte nicht sagen können, ob es sich um einen Braunen oder einen Rappen handelte. Das Tier röchelte, Schaum trat vor das Maul, sein Leib hob und senkte sich, der Kopf lag flach im Stroh, es war zu schwach, um ihn zu heben. Ein großer, hünenhafter Mann mit schwarzem Vollbart traktierte das Pferd mit Fußtritten. „Steh` auf“, schrie er es an, aber der Wallach verdrehte nur seine Augen und atmete immer flacher.

„Das Pferd stirbt!“ Ich zitterte am ganzen Körper. Meine Begleiterin versuchte mich zu beruhigen. „Eine Kolik“, sagte sie. „Das Pferd neigt dazu. Iwan, der Pfleger hat den Tierarzt gerufen. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.“

Mit weichen Knien und einem mulmigen Gefühl im Bauch folgte ich ihr hinaus zu den Außenplätzen. Vor der Weide lag das große Dressurviereck. Eine Frau auf einem eleganten Fuchs übte fliegende Galoppwechsel. Um das Pferd herum sprang laut bellend eine grauschwarz gesprenkelte Dogge. Der blonde Pferdeschwanz, der im Takt hin- und herwippte, ließ die Reiterin jünger aussehen, als sie vielleicht war. Mit ihren Reitkünsten würde ich mich nicht messen können, aber was Nine-Days-Wonder anging, brauchte ich mir keine Sorgen zu machen.

Alles was ich hier draußen sah – die gepflegten Reitplätze, die Reiterin, bei der es sich bestimmt um eine bekannte Turnierreiterin handelte, und die großen, mit leuchtend weisen Holzgattern umzäunten Weiden – ließen mich den traurigen Vorfall im Stall schnell vergessen. Gerade als ich mich entschlossen hatte, nach dem Preis einer Box zu fragen, sagte die junge Frau: „Im Augenblick ist unser Stall voll. Ich kann Sie aber vormerken.“

Meine Enttäuschung stand mir auf der Stirn geschrieben. Endlich hatte ich einen Hof gefunden, der rundum meinen Vorstellungen entsprach und ausgerechnet hier hatten sie keinen Platz für uns! Ich hatte nur noch einen Tag Galgenfrist und morgen musste ich die anderen Höfe auf meiner Liste besichtigen. Aber wer weiß – vielleicht geschah ja ein Wunder und sie konnten mir hier doch eine Box anbieten? Ich versuchte meine Enttäuschung so gut es ging zu verbergen und ließ mich auf die Warteliste setzen.

Und tatsächlich – zu meiner größten Überraschung erhielt ich schon am nächsten Abend einen Anruf. Eine der schönsten Boxen im Stall sei gerade frei geworden, ich solle mich schnell entscheiden. Natürlich sagte ich sofort zu.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
18+
Hacim:
222 s. 5 illüstrasyon
ISBN:
9783944587899
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu