Kitabı oku: «Der Kopf», sayfa 2
»Sie waren bei mir?« fragte sie nur.
»Warum vermuten Sie es?«
»Waren wir nicht verabredet? Nur: ich Sie sehe, fällt es mir ein.« Auf seinen empörten Blick antwortete sie: »Haben Sie etwas? Ach, das Kollier. Danke, ich fand es auf dem Tisch, es gefällt mir.«
»So geht es nicht,« sagte er heiser. »Ich setze mein Leben auf Sie, ich bin drauf und dran, mit Ihnen durchzugehen. Sie aber stellen sich jedesmal wieder, als sei nichts vorgefallen.«
»Wie langweilig,« dachte sie, »und hier, wo man gesehen wird. Die Spitzel des Fürsten sind überall, er könnte seine Zahlungen einstellen.« – »Kind!« sagte sie hell. »Wenn Sie erst groß und Kavalier sind, werden Sie von selbst an den Ruf der Frauen denken.«
»Da Sie doch morgen mein sein können!« Er raunte beschwörend.
»Darauf soll ich mich verlassen. Seien Sie meinetwegen beleidigt, aber wie weit kommen Sie denn mit mir?«
Er verstand nicht: mit dem Geld; er schwur feurig, um die Welt reiche seine Liebe. Sie sagte: »Und wie kann ich es verantworten vor Ihren Eltern? Auch eine Schwester haben Sie.« Sie lachte ihr freies, farbloses Lachen. »Wissen Sie, daß Ihre Schwester mir ähnlich sieht?« – was ihn vor Freude und Schrecken stumm machte.
»Und wenn man von Jemand spricht –« sagte sie da und sah hinüber. Was war das? Lea? Und mit Mangolf! Soeben verschwanden sie hinter einer Reihe von Lastwagen.
»Ein hübscher Junge«, sagte die Frau. »Es ist mein Freund«, sagte Terra, – worauf sie lachte. Warum? Er zog die Brauen in Falten. »Sie gehen spazieren.«
»Wie wir«, – immer lachend.
»Es regnet. Wir täten besser, uns unterzustellen,« bemerkte er plötzlich und trat in das Tor einer Wirtschaft. Sie blieb davor stehen, sie sah den Beiden nach, wie sie hinter den Fuhrwerken hervorkamen. »Ihre Schwester will zum Theater? Sehr richtig, dahin gehört sie. Gute Figur, nicht spießig.«
»Gehen wir weiter!«
»Nein. Es regnet.« So folgte er ihr in das Gastzimmer. Es war leer, frisch gescheuert und roch nach kleinen Leuten. Er dachte, die Brauen gefaltet: »Wie kommt man hierher? Und dieser Ton über meine Schwester?«
Sie saß am Tisch und beobachtete gelassen sein Platzwechseln. Dann sagte sie: »Claudius – warum sind Sie verstimmt? Auch eine Schwester ist eine Frau.«
Die schöne Stimme konnte nicht trösten, sie war nicht biegsam. Aber ihre klare Hand, die sie entkleidet hatte, kam auf dem Tisch zu ihm hin. Er packte sie, er packte auch ihren Arm. »Eine Frau wie Du! Sprich kameradschaftlich von ihr, es ist eine Ehre. Sei ihre Freundin! – da Du meine Frau bist. Komm mit mir!«
»Lächerlich, ich bin zu alt für Dich.«
»Morgen fangen wir beide das Leben erst an.«
»Du stellst Dir das Leben einfach vor.«
»Ich stelle es mir vor mit Deinem Gesicht und Deinem Körper.«
»Ich kann es mir doch nicht mit Deinem vorstellen.«
»Du mußt. Ich will es.«
»Darin hat mir noch keiner befohlen.«
»Du bist zu weit gegangen mit mir. Ich bin nicht Dein Geliebter, aber ich bin mehr. Eine Verbannte, die in Prozessen liegt, keinen Mann sehen darf, weil sie verfolgt wird, und wirtschaftlich so gut wie seelisch und sozial vor die Hunde kommen kann, bevor ihre Verhältnisse sich ordnen lassen, ist mir um den Hals gefallen, weil ich mit allem erdenklichen Zartgefühl auf ihre bedrohliche Lage einging. Sie ziehe endlich die Konsequenzen!«
Sie maß nachdenklich seine gedrungene Gestalt, die plumpen Finger, die sich lösten und verschlangen, das vom Zorn bewegte Gesicht. Nach der Prüfung waren ihre Augen wärmer.
Unvermittelt fragte sie: »Sagen Sie doch, lieber Freund, mußte das Kollier denn sein?«
Er überzeugte sich durch einen Blick, ob es wirklich wahr sei, sie denke an seine Verhältnisse. Plötzlich fiel er mit den Lippen auf ihre Hand, er stöhnte: »Madelon!«
Sie streichelte ihm zerstreut den Kopf, lachte und begann von einem anderen Kollier, einem sehr teueren, für das ihr früherer Mann, der Bankier, ihr einen Teil des Geldes, den übrigen aber schon der Fürst geliefert hatte – jeder ohne Wissen des andern. Jeder war entzückt von seinem billigen und reichen Geschenk, unglücklicherweise sagten sie es einander und bereuten dann beide. Dies war sogar der Anfang ihrer jetzigen Schwierigkeiten gewesen, der Fürst hatte kein volles Vertrauen mehr gefaßt. »Ihr Kollier, lieber Freund, ist hoffentlich nur mit Ihrem Geld bezahlt, ich werde keine Unannehmlichkeiten haben?«
Ach! nur dafür hatte sie Sinn. Er klopfte heftig auf den Tisch, zahlte, nahm seinen Mantel. »Wir gehen?« fragte sie, und folgte gehorsam. Er wäre sonst ohne sie gegangen.
Die Straße war schon dunkel, ungebeten nahm sie seinen Arm. »So gefallen Sie mir besser«, sagte sie klar. Er schwieg. So kamen sie zum Hafen; sie fragte nicht, warum in eine solche Gegend. Keine Geräusche der Arbeit mehr, und anstatt des Gewühls der Träger und Gehilfen streiften nur mehr vereinzelte Gestalten, die die Hände in den Taschen hielten, wie Fledermäuse an ihnen vorbei. Aus einer rinnsteinartigen Seitengasse, wo ein roter Punkt glomm, drang ein Schrei. Da blieb sie stehen, sie hielt dringend seinen Arm fest.
»Der Anwalt sagt, man wisse nicht. Manchmal schlägt alles fehl. Eine Unglücksserie, sagte Nepfer, der Bankier. Was tun? Ich bin für Sorgen wahrhaftig nicht geboren.«
Er hielt still, er ließ sie immer schwerer werden. Schon lag sie an seiner Schulter, er fühlte berauschend jedes Schluchzen. Sie sagte unter Schluchzen, aber immer mit dieser von Gefühlen ungefärbten Stimme: »Ich denke nicht nur an mich, wie Du meinst. Sonst wäre ich längst mit Dir durchgegangen. Ich will nicht, daß Du durch mich herunterkommst.«
Im Herzen jubelte er: Durch Dich, in den höchsten Himmel! – hielt aber still und ließ sie noch schwerer werden. Schon mußte er sich fest auf das Pflaster stemmen. »Nur Ferien will ich mir einmal machen.« Sie seufzte tränenfeucht. »Einige Tage keine Sorgen haben. So lange kann ich wohl unbemerkt verschwinden. Daß nur auch Deine Familie nichts merkt!«
Ihr dämmerweiches Gesicht lag nahe unter seinem Mund, er wühlte sich hinein, und sie empfing ihn, atmend, die Augen geschlossen. Aus der Gasse drang ersterbend jener Schrei.
Sie kehrten um, er faßte noch keinen Gedanken. Sie schritt lässig, ihre Hüfte glitt über die seine hin. Allmählich rührte sich sein Bewußtsein. »Dies ist nun das Leben, an meinem Herzen halte ich die Frau von drüben. Dies sind nicht mehr die harmlosen Freuden im Schutz der Familie, wie meine alten Flammen, oder wie Lea und Mangolf. Es ist der Ernstfall.«
»Madelon!« – nur um Besitz zu ergreifen von ihrem Namen, ihrem Sein. Sie sagte aber: »Den Namen will ich von Dir nicht hören.« Vertraulich die Stimme gesenkt: »Sage Lili! So nennst nur Du mich.«
Er stutzte, aber warum enttäuscht sein. »Ich bin auch der Einzige, für den meine Schwester Lea heißt.«
»Siehst Du, ganz wie ich.«
Hierin versenkte er sich.
Da sah er, ihr Haus war schon nahe. Tatkraft her! »Mein Kind, Du wirst sofort Deinen Koffer packen«, sagte er klar und endgültig. Er bezeichnete das Dorf, das Gasthaus, wo sie heute Nacht den Frühzug erwarten sollten. Ihre Antwort brauchte er nicht, er gab ihr kurz die Hand. Sie ließ seine Hand aus der ihren zurückgleiten, bis zu den Fingerspitzen, die hielt sie noch. Dabei hatte sie, in dem schwach erhellten Flur, ein rätselhaftes Lächeln und neigte den Kopf ein wenig nach der Seite, wo die Treppe lag.
Auch die Fingerspitzen trennten sich, sie nickte und verschwand. Er ging mit weniger starken Schritten über die Straße, als er gedacht hätte.
*
Vor der Tür des Vaterhauses überlegte er, es sei viel besser, nichts zu packen, ohne Gepäck zu reisen, niemand mehr zu sehen. Die letzte Stunde gehörte dem Freund, – auf, zu ihm! Gleich ward ihm die Brust weiter. Nie anders als mit tiefer, reicher Freude hatte er diesen Weg gemacht, und wenn es täglich zweimal war. In Unruhe bedachte er, daß der Gang zu der Frau hinüber ihn nur selten so ganz beglückt habe, wie dieser, zu seinem Freund.
Das Haus hinter der alten Veitskirche, in der abendlich aufgeräumten Straße kleiner Werkstätten und Kontore, stand da wie der Alltag, verstaubt die farbigen Scheiben des Flurs, auf der engen Treppe die Spuren zahlreicher Besucher. Noch immer kamen Stimmen aus dem Zwischenstock, mit dem Schild: Mangolf, Agent. Ein Stockwerk höher trat die Mutter aus ihrer Küche gleich auf die Stiege hinaus. Sie trocknete ihre geschwollenen Hände und öffnete demütig dem vornehmen Gast jene kleine Tür. Hinter einer kleinen Tür begann, merkwürdig und bedeutungsvoll, die steile Stiege nach dem Zimmer des Freundes.
Der Freund saß am Schreibtisch, links stützte er sich auf den Deckel des Klaviers. Der Gast trat zwischen dem Feldbett und dem grünen Sopha in das Zimmer, kein Stuhl hätte mehr Platz darin gehabt. Der Freund streckte ihm aufleuchtend die Hand hin, von dem Sopha räumten sie die Bücher, Terra sagte dabei schon: »Weshalb ich besonders komme: Du bist ein Schwein. Leugnest Du vielleicht Deine Machenschaften mit dem Pfarrer und dem Theaterdirektor? Anständige Leute lassen Dir keinen Zweifel darüber, daß das nicht geht. Die bürgerliche Welt ihrerseits erkennt Deine gute Gesinnung an. Ich sehe mit Befriedigung, daß Du vernichtet bist.«
Mangolf saß und kaute an der Lippe. Er hielt die feinen Schultern gebeugt, die breite gelbe Stirn stand vorgeschoben, und er sah gramvoll aus. Terra auf seinem Sopha bebte im ganzen Gesicht vor Angriffslust. Seine schwarzen Augen brannten unter den Haaren, die tief in die Stirn wuchsen und von den Schläfen sich weit zurückzogen.
Mangolf aber entschloß sich, zu lächeln, melancholisch und witzig. »Du glaubst, ich spiele ihnen ihre fromme Komödie? Ich führe sie an der Nase.« – Womit freilich nichts gesagt war. Nur der Abrechnung war ausgewichen. Statt dessen kam ein Vorstoß von Mangolf. »Weißt Du auch schon, daß Dein Vater seinen Buchhalter Schlüter festnehmen lassen wollte?«
»Den Buchhalter im Hafenspeicher?«
»Wegen sozialdemokratischer Propaganda. Der Mann hat sich gerade noch freigeschwindelt; er sollte machen, daß er fortkommt.«
Mangolf blickte erwartungsvoll; aber Terra verriet nichts, als naives Erstaunen. Wie die Dinge im Munde der Welt ihre Gestalt änderten! Wie sie seinen Vater ansah! Sein Vater, der bedenkenreichste Mensch der Welt!
»Quatte aber hat es für angezeigt gehalten, Wechsel zu fälschen«, sagte Mangolf hohnvoll. »Die bürgerliche Ehrsamkeit eines ganzen, alteingesessenen Familienklüngels dieser ehrwürdigen Stadt wird wieder einmal mit Erfolg in Frage gestellt durch Christian Leberecht Quatte.«
Und Terra, schneidend: »Sie gehen zur Kirche, sie taufen sogar ihre Schiffe. Sie versacken in einem Geisteszustand, der links vom Nationalliberalismus nur mehr eine Art Unzucht sieht ...« Er sprach noch lange mit jener Empörung, die ihn in der Tiefe nur heiterer stimmte, – bis Mangolf einwendete, man sei hier reich, gesellschaftlich geschult, und mancher von hier ausgegangen, der weit gekommen sei. Diese Entschuldigung ließ der Patrizier Terra nicht gelten, er haßte die Stadt schlechthin – nicht mit dem Drang nach oben, der den Sohn des Agenten Mangolf quälte. Der Sohn des hochverehrten Mitbürgers Terra sagte: »Hier kannst Du nicht einmal mit viel Geld etwas werden.«
»O doch.« Mangolf straffte sich. »Denke Dir, ich wäre in der Lage, als Führer einer großen Partei das Kontor des Getreidehauses Terra zu betreten und seinem Chef besonders inhaltreiche Auskünfte zu geben über das künftige Schicksal der alten Bismarckschen Schutzzölle.«
»Was weiter?«
»Heute helfen sich die bedrohten Firmen, wie sie können.« Blick auf Terra, der verständnislos blieb. »Oft mit interessanten Mitteln. Das Schiff des Konsuls Ermelin, das neulich unterging, war erst seit kurzem hoch versichert.«
»Wenn ein Verbrechen dahinter stäke, könnte doch Ermelin nicht der Freund meines Vaters sein.«
Hier nahm Mangolf die zusammengepreßten Lippen von einander, als gäbe er es auf.
»Nun«, machte er harmlos. »Auch der Kaiser ist mit manchem befreundet. Man nennt nicht alles gleich Verbrechen.«
Terra setzte sich zurecht, es ging los. »Darüber bin ich anderer Meinung. Jene Freundschaften prägen einen Mann. Heute, 1891, sehe ich kein zweites Land, wo es noch möglich wäre, das gesamte öffentliche Leben auf eine Privatangelegenheit zu stellen, nämlich auf den persönlichen Ringkampf Wilhelms des Zweiten mit der Sozialdemokratie.«
Mangolf, voll höhnischer Anerkennung: »Er findet, die Sozialdemokratie widerspreche den göttlichen Lehren, soll heißen, seinen eigenen Interessen.«
»Das Wort: ›Die Sozialdemokratie nehme ich auf mich‹ – ist geradezu ein Jahrtausendwort, was falsches Denken betrifft.«
»Alles wörtlich auffassen – wie ein schlechter Schauspieler, der alle Sätze gleich stark bringt: mein Großvater heilig, der himmlische Appell«, sagte Mangolf und sprach selbst wie ein Schauspieler. Terra fiel ein.
»Das Gottesgnadentum!«
»Das ein romantischer Schwindel ist und nirgends eine kirchliche Stütze hat.«
»Humanität aber hat er noch niemals anders ausgesprochen als in Verbindung mit falsch.«
»Einzig die Sucht, die ganze Welt persönlich zu nehmen, kann einen Menschen dahin bringen, daß er anderen zumutet, sie sollen ihre Eltern niederschießen.«
»Er glaubt auf dem Heer zu stehen. Im Grunde aber steht er auf Paradoxen. Wie lange können sie halten?« fragte Terra.
Hier wiegte der junge Mangolf den Kopf. »Sehr lange«, sagte er nüchtern.
Der junge Terra sagte feurig: »Es ist unmöglich, daß heute, 1891, die Vernunft lange ungerächt bleibt. Wer glaubt ihm eigentlich? Sie tun so, aus Furcht, aus Klugheit, aus Snobismus.«
»Wer die Macht hat, dem glaubt man«, sagte Mangolf mit Überzeugung.
»Dann darf es keine Macht geben!«
»Sie ist aber da. Und jeder will sie mitgenießen.«
Der einmütige Marsch der Geister brach ab, die Zwanzigjährigen maßen einander, herrisch der eine, der andere trotzig.
»Du sinnst Verrat«, behauptete Terra. »Auch Du wirst Deine religiöse Komödie spielen – genau wie Dein Kaiser.«
»Und wenn? Du schwörst auf die Vernunft. Aber das Unvernünftige sitzt in uns allen viel tiefer, und in der Welt bewirkt es viel mehr,« schloß Mangolf, erhitzt und krampfig. Terra, stark und kalt: »Ausreden für Heuchler!«
»Flachkopf! Man kann Wechsel fälschen und doch aufrichtig beten. Ich berufe mich auf den Kaiser, Herrn Quatte und mich selbst.«
»Sauber muß es aussehen in so einem.«
»Ich verachte Deine Sauberkeit«, sagte Mangolf. »Das Wissen erwirbt sich erst in Abgründen, die nicht sauber sind. Was weißt Du vom Leiden.« Erhitzt und krampfig.
Terra sah ihn dasitzen mit den verdächtigen Augen der schamvoll eitlen Geständnisse. Er lehnte ab, zu hören; stand auf und drehte sich aus Platzmangel um sich selbst. »Dein Leiden! Sprechen wir es einmal klar aus! Daß das Leben nicht das Händewaschen wert ist?«
»Wer es durchschaut hat, muß es verachten«, sagte der zwanzigjährige Mangolf.
»Und kennt die verführerische Anziehung des Nichts. Ich aber kenne sie nicht,« sagte der andere. »Verachte mich ruhig! Dein Leiden liegt auf der Hand. Es rührt daher, daß Du wider Dein besseres Wissen ein großer Streber bist.«
»Werben um die Welt, wie um eine schlichte Hure – tiefe Wollust der Selbstverachtung.«
»Auch noch Dich selbst? Du verachtest zu viel, es wird Dir schaden. Ich hasse lieber.« Terra stand stämmig da. »Ich hasse die Erfolge, zu denen Du Dein Gewissen erst überreden mußt. Die Lüge schwächt. Du wirst die Aufsicht verlieren über Deine vergewaltigte Vernunft, wirst Dich verrennen und schlecht enden.«
»Mit Deiner unbefleckten Vernunft greife nur sogleich zum Revolver, früher oder später ist er Dir sicher.«
Auch Mangolf stand. Sie sahen einander glühend an, prophetisch jeder erfüllt von der ganzen Wahrheit seines Lebens, und tödlich gespannt, zu kämpfen für seine Wahrheit.
Dann trat einer zurück, so weit er konnte, und der andere strich sich über die Stirn. Sie sahen einander nicht mehr an, jeder wußte: »Ich habe ihm den Tod gewünscht.« Terra befreite sich zuerst, er lachte schwer auf. »Wären wir jetzt einfachere Naturen gewesen, wer weiß, wie dies geendet hätte.«
Mangolf sagte mit einem tiefen Lächeln: »Dann wäre es nicht um den Geist, sondern um das Geld gegangen.«
»Wie bei unseren beiden Urgroßvätern.«
»Du weißt also davon«, sagte Mangolf verhalten. Er setzte sich an das Klavier. Terra stand erschüttert noch da.
Als er auf seinen Sitz zurückgekehrt war, kam ihm unvermittelt die Frau in den Sinn – die Frau von drüben, mit der es noch heute Nacht in das Leben ging. Das Herz schlug ihm stark, er vernahm etwas wie die Lebensbrunst selbst und merkte, jener spiele Tristan.
»Ich muß fort«, sagte Terra, schon bei der Tür. Mangolf brach wider Erwarten ab und wandte sich her. Sein Jünglingsgesicht war umwölkt von schwülem Leiden.
»Klaus! Du gehst zu Deiner Geliebten.«
»Tue dasselbe, Wolf – und lebe wohl!«
Die Augen Mangolfs zitterten, ihm war es nicht wohl bei dem Triumph, den er fühlte. »Du willst also durchgehen, Klaus. Du willst sie, was weiß ich, heiraten.«
»Begreife es oder begreife es nicht!«
»Dies ist somit der Fall, wo auch Du Deine Vernunft opferst, Klaus.«
»Mit Freuden!«
»Einer Frau? Einem trügerischen Wesen, das uns schwächt?« fragte Mangolf mit tiefer Wollust. Nie hatte er die Schwester des Freundes geliebt wie in dieser Minute. Der Haß zwischen ihm und dem Freund stand demnach in einem abgründigen Zusammenhang mit seiner Liebe zu der Schwester. Fragwürdiges Erleben, wie schmerzlich befriedigte es Mangolf!
Terra schlang die Finger ineinander, er sagte halblaut, stark und eintönig: »Ich will für sie leben und sterben, arbeiten und wenn nötig, stehlen. Für sie könnte auch ich zum Streber und Lügner werden, aber dann würde sie mich nicht lieben. Und ihre Liebe wird immer für mich das einzige Zeichen sein, daß ich gesiegt habe und nicht gestrandet bin.«
Mangolf hörte dies Fieber, dies Schicksal. Er selbst, erst heute, hatte solche Worte zur Betörung einer Frau gebraucht. Dieser brauchte sie zu seiner eigenen. Mangolf sagte ernst:
»Ich könnte Dich verachten. Aber ich will Dich bewundern.«
»Denn Du bist mein Freund«, sagte Terra; und sie hielten die Hände ineinander, bevor er ging.
Er ging nach Haus; alle schienen schon zu schlafen; nahm das Notwendigste mit und stieg hinunter in den Garten. Er sah sich nicht mehr um, das Vaterhaus sollte vergessen sein. Durch die Pforte entkam er auf die Wiese, dann an das Flußufer, bestieg das Boot und fuhr zu. Er rechnete auf zwei Stunden Ruderns im sternenlosen Dunkel, barhäuptig und den Wind vom Meer auf der Stirn. Statt dessen wäre er, nahe der Flußmündung, beinahe in einen Zug von Lastkähnen hineingefahren. Die Stimme, die ihn anrief, klang bekannt. Dann ward eine Laterne erhoben. »Schlüter?«
»Der junge Herr! Soll ich vielleicht doch noch umkehren?«
»Wohin fahren Sie denn?«
»Und Sie?« fragte der Lagerverwalter mißtrauisch.
»Ich komme zu Ihnen hinauf.« – Als er oben war: »Mein Vater schickt Sie fort? Wegen des Konsuls Ermelin? Nur heraus damit!« Er sah die Kähne entlang: »Getreide?«
»Wegen des Getreides fahre ich,« gestand der Verwalter. »Auch wegen des Herrn Konsuls, damit er in den Reichstag gewählt wird. Aber bei der Gelegenheit schaffen wir gleich das Getreide fort, es ist zu billig.«
»Zu teuer, meinen Sie?«
»Der junge Herr kennt das Geschäft noch nicht. Das Getreide ist noch vor dem neuen hohen Schutzzoll hereingekommen, und viel billiger als das hiesige, es verdirbt den Preis. Es muß aus dem Land, ich fahre es hinüber.«
Der Sohn schwieg hierauf lange im Dunkeln. Als er dies ganz erfaßt hatte: »Sie helfen das Brot zu verteuern, Sie, ein Sozialdemokrat?«
»Grade darum. Ihr Vater kann zu so etwas nur Einen brauchen, der noch mehr auf dem Kerbholz hat. Man will doch wieder zurück dürfen. Ich rede nicht. Sie können beruhigt sein, junger Herr.«
»Ich bin es. Aber Sie müssen allein hinausfahren. Ich gehe in mein Boot zurück und lege an.«
Von unten fragte Terra noch: »Was machen Sie, wenn die Zollwache Sie anhält?«
Der Beauftragte seines Vaters rief herab: »Dann kehre ich um und versenke alles.«
Darauf griff der Sohn noch schneller aus. Er fuhr auf den Meeresstrand auf, und durch das wehende Gras ging er den wohlbekannten Weg in das Dorf, nach dem Wirtshaus, das ihn zu jeder Zeit des Lebens schon aufgenommen hatte, als lachendes Kind mit den freundlichen Eltern, als übermütigen Schüler unter vielen, nicht weniger graden Herzen, als Herangewachsenen mit Seinesgleichen, denen es nicht fehlen konnte. Mißverständnisse, dies Alles. Niemals war so das Leben gewesen. So war nur die Unwissenheit, die besonnte Oberfläche. Eines Tages erfuhr man eine Wahrheit, sie war ungeahnt und so furchtbar, daß Dir für immer Spiel und Lachen verging. Andere Wahrheiten gliedern sich an, die Kette wird schwerer und schwerer. Du trägst sie durch das freieste Leben als Sträfling.
In dem schlechten Zimmer unter der niederen Decke stand der Sohn und durchdachte die Miene seines Vaters, seine Miene in großen Augenblicken, seinen Ausdruck, wenn er mit sich allein war, sein Gesicht bei Nichtigkeiten, die, wer weiß warum, ewig unvergeßlich sind. Die Decke war geschwärzt von der rauchenden Lampe. Jetzt prasselte Regen an das Fenster. Das Meer dort hinten hub Schläge zu rollen an. Das Haus in Wetter und Weite bebte wie ein Schiff. Der Sohn suchte, atemlos und verzerrten Gesichtes, nach dem Gesicht eines schlechten Menschen, der sollte sein Vater sein. Er fand es nicht. Dafür vernahm er in seinem Herzen jenen Tonfall von heute Mittag, der wohlwollend, kundig und sogar schüchtern klang. Das war der Freund des Verbrechers Ermelin? Dann wissen wir um unsere eigenen Taten nicht, und eben dies ist das Hoffnungslose.
Was weiß wohl die Mutter, vornehm und kindlich sicher. Aber jener junge Leutnant, den der Sohn, noch halbwüchsig, einst durch alle Räume jagte, bis er ihn im Musikzimmer der Mutter aus einem Vorhang zog? »Ach! ich glaubte, Dein Vater sei es,« sagte der Leutnant und lachte erleichtert.
Das Haus erbebte, den Sohn kam ein Schauder an. Er selbst hatte mit heiterem Mund seine Eltern bestohlen, um zu Weibern zu gehen oder auch um ein Vergnügen, von dem man hätte sprechen können. Er hatte Freunde verleugnet. Feige Handlungen und unreine Beweggründe waren sein menschlicher Gewinn, noch bevor er einundzwanzig Jahre alt ward.
Auf einem Strohstuhl über sich selbst gebeugt, ließ er die Gesichte heraufsteigen. Unheil und kein Ende, auch die Schwester erschien: in verdächtiger Gasse am Arm seines eigenen Freundes, heimlich fortgetrieben unter fallendem Regen. Das Lachen der Frau von drüben! Er weigerte sich nicht länger, es zu verstehen ... Keine der kindlich verehrten Gestalten stand noch fest – und keiner der alten Glaubenssätze! Mit eben dem Freunde, der ihn jetzt verriet, hatte er an stolzen Tagen und in erhitzten Nächten bezweifelt, was irgend Gesetz war. Entfesselter Geist, erhaben über Sitte, Bekenntnis, Menschenfurcht, hingeflogen, wo nicht mehr Welt und auch nicht Gott war, – um jählings niederzustürzen vor die Füße einer Frau.
Er fuhr auf, ihm brannte das Gesicht. Die Frau, die er liebte, um derenwillen er floh. Alles abbrach. Alles wagte! Kommt sie schon? Die verabredete Stunde! Aber daß sie nur jetzt mich nicht ertappt! Jetzt, da ich die Beute meiner Zweifel bin. Erhabenheit des unbeugsamen Geistes, Empörung noch unerbittlicher Moral – sollten sie nichts weiter gewesen sein, als Fallstricke der Sinne? Flucht! Aufruhr! – aber wann, in welchem Zeitpunkt? Als mein Vater mir den abenteuerlichen Verkehr verbot ... So ist mein Aufruhr Vermessenheit und Lüge. Im Grunde bin ich wie Jedermann. Ich würde zu allem geschwiegen, alles leicht genommen haben, ließ man mir nur die Begehrte. Sie soll nicht kommen, ich schäme mich.
Wie aber? Es wird Tag? Er riß das Fenster auf. Rauhe Stille; erstes Grauen ohne Hoffnung auf Sonne. Wolkenbänke tief auf glanzlosem Meer. Atmen – wir atmen doch. Und hab' ich mich belogen, jetzt weiß ich die Wahrheit, auch diese letzte, daß ich ein schlechter Kerl bin. Ich fliehe mit einer schlechten Frau, so ist es, so bleibt es, ich will es nicht anders. Daß sie noch nicht kam, das hat sie gut gemacht. Jetzt mag sie kommen!
Er ging zu der Haltestelle der Bahn. Sie saß dann also in dem Frühzug, er sollte gleich einsteigen zu ihr, und fort, aus der Nacht des Erkennens und der Abschiede geradenwegs hinein in das Leben, wie es ist. Nur kein Nichtsehen mehr, keine betrügerische Wohlanständigkeit! Mit der Abenteurerin verbündet, ein großer Mann werden, ein Lump oder ein Tropf – »nur wissen um mich! Die einfachste Menschenwürde verlangt die Befreiung meines Gewissens. Man soll mir in das Gesicht schlagen, nur ich selbst will es nicht tun müssen.«
Der Zug, – da bin ich! Aufgerissen die Türen, sie saß hinter keiner. Er trat zurück, betäubt, ganz ratlos. Es war doch hart, sie hätte kommen sollen. Sie verließ ihn genau zu der Stunde, da alles ihn verließ. Jetzt heißt es, ganz allein mit Deinem aufgeklärten Gewissen hinausfahren in das Leben, das noch soeben Reiz und Zauber gehabt hatte durch sie. Auf einmal war es fahl und leer, wie hinter dem wegfahrenden Zug die morgendliche Meeresfläche. Ziehe Deinen Kahn vom Strand, steuere hinaus, kehre nie wieder! Du wirst vom Leben nur den Tod gekannt haben, aber vielleicht hat Mangolf recht, und er ist der bessere Teil ... Auch von der anderen Seite kam ein Zug, Terra stieg ein, ohne zu überlegen, Flüchtling, auch wenn er heimkehrte.
Am Bahnhof sah er, es war erst sieben. Er ging nach Hause, das Fenster im Zimmer seiner Schwester stand schon offen; es zog ihn zu ihr, er eilte hinauf, er riß die Tür auf, – da fuhr er zurück.
Die Wut verzerrte sein Gesicht so ungeheuerlich, daß die Schwester, schon bereit, gegen ihn vorzugehen, ergriffen stillhielt. Der Freund, abwechselnd bleich und rot, rang mit der Scham, dem Hochmut, der Lust zu schaden. Das Paar suchte sich nicht, als der Bruder nun dastand; es trennte sich.
Terra, mit wildem Hohn: »Die Lage berechtigt mich, zu fragen, ob Du Lea zu heiraten gedenkst.«
Worauf Mangolf: »Ich befinde mich in Übereinstimmung mit Lea, wenn ich Nein sage.« Und die Schwester nickte dazu trotzig.
Terra zog erst jetzt die Tür zu. Er trat vor, als nähme er einen Anlauf; mit Blicken von ihm zu ihr schien er auszumachen, wen von Beiden er anspringe. Da er sich nicht entschloß, sagte Mangolf ruhig, fast demütig: »Wäre es nicht vorzuziehen, daß ich gehe? Ich bin sicher, mit Deiner Schwester verständigst Du Dich dann alsbald.«
Terra knirschte, noch immer in geduckter Haltung. »Meine Zustimmung zu Deinem Abgang bekommst Du nur gegen Dein feierliches Ehrenwort, daß dies im ganzen Leben unsere letzte Begegnung gewesen sein soll.«
»Das dürfen wir nicht hoffen. Wir dürfen es auch nicht wünschen.«
»Ich erflehe es vom Schicksal.« Terra schlug sich auf die Brust. Mangolf, traurig und ironisch:
»Ich fühle, wie das Schicksal nein sagt. Lebt Beide wohl!«
Die Schwester schloß das Fenster, sie blieb davor stehen. Da sie ihn aber keuchen hörte, als liege er und sterbe, erschrak sie und sah hin. Er stand, die Stirn am Kleiderschrank, und hielt sich die Schläfen. Als er ihre Stimme hörte, »Klaus«, fuhr er herum wie gestochen. »Achte wenigstens meine Erniedrigung!« Scharf schreiend: »Lauf ihm nach! Bezähme Deinen namenlosen Drang nur nicht! Wirf Dich ihm schnell noch einmal vor die Räder, bevor der Feigling Dir durchgeht!«
Er hörte nicht, daß sie Einspruch erhob.
»Ich sah euch in der Hafenstraße. Gott gnade Dir, er schlenderte nur so als Anhang mit, der Verrat stand ihm auf der Stirn.«
Mit verzweifeltem Gelächter und vor Augen die Frau von drüben: »Das kennt man! Laß Deine Würde hier nicht verschimmeln, lauf' ihm nach!«
Erschöpft fiel er auf einen Stuhl, sie kam zu Wort:
»Es handelt sich um meine Würde nicht. Ich bin keine Verlassene. Ich will zum Theater.«
Der Bruder, erschöpft: »War dies die Vorbereitung?«
»Höhne nicht. Du weißt nicht, wie wahr Du sprichst. Ich habe letzthin so viel erfahren, daß selbst die vollsten Häuser von mir noch werden lernen können.«
Sie stand ausdrucksvoll gereckt; das weiße Gesicht, die roten Lippen verkündeten von oben ihren Schmerz und ihren Mut. Der Bruder sah von unten zu, der Mund blieb ihm offen. Dann begann er vertraulicher. »Wenn wir denn Ausnahmen wären, – man ist es doch nur in gehobenen Stunden. Dazwischen aber liegt das Leben, mitsamt dem Theater, das ein einfacher Broterwerb ist.«
Hochmütiges Lachen, und sie sagte: »Ich fühle mich stark genug, um über die toten Stunden glücklich hinwegzukommen.«
»Du? Mit einem Gewissen, wie das unsere?«
Mochte sie sich noch stolzer recken, er sagte: »Auch Du wirst zu Kreuz kriechen. Noch vor einer Stunde glaubte ich mich gewappnet gegen das Leben der Mittelmäßigen. Es hat mich wieder gründlich in der Zange.«
Die Schwester sah seinen Mund zucken, sanft sagte sie: »Jemand hat Dich enttäuscht. Gib nicht Dir und mir die Schuld. Wollen wir zusammenhalten?« Sie näherte ihm ihre schöne und noch kindliche Hand.
»Nur keine übereilten Vertraulichkeiten!« sagte er scharf.
»Wir haben uns nicht sehr beeilt. Mußt Du böse sein, weil Du jetzt wieder als kleiner Junge dastehst?«
Seine Brust hob sich. Schluchzen wollte aufsteigen, er fühlte: »Es zog mich zu Dir, drum bin ich noch da. Zu Dir allein auf der Welt.« Aber er dachte: »Um Gotteswillen, dezent bleiben!« Er nahm ihre Hand, um sie wohlwollend zu streicheln.