Kitabı oku: «Der Kopf», sayfa 8

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»Wir haben keine Nachtruhe«, sagte Hummel, zum zweitenmal umkehrend, weil er sich nicht trennen konnte. »Wir haben noch keine Sonntagsruhe, wie in England, und selbst des Nachts darf der Zahlungsfähige die Menge der Enterbten zu seinem Auswurf machen, wer denkt an Fürsorge, sei's nur für Frauen und Kinder. Sehen Sie hier den unumwundenen Kapitalismus im Rohzustand! Das kommt nie wieder, haben wir ihn erst in Arbeit genommen, sind wir erst hindurch.«

»Wenn Sie hindurch sind«, wandte Terra ein, »werden Sie nicht mehr im Ostendtheater gespielt, sondern wo es fein ist, und der Kapitalismus hat dann Sie in Arbeit.«

»Sie glauben nicht, daß ein Umschwung kommt?«

»Nicht vom Stückeschreiben«, sagte Terra; und da Hummel seine Zuversicht in die Literatur umfassend begründete, forderte er ihn auf, statt des langweiligen Cafés, eine rötlich sich darbietende »Musichall« zu betreten, zehn Schritte von Unter den Linden. Durch den engen Gang und über eine schmutzige Treppe gelangten sie in eine Weinkneipe mit Bühne. Droben saßen im Halbkreis schön frisierte weibliche Gestalten, halbnackt wogend in meergrünen, ponceauroten oder pailletierten Kleidern, die straff die breiten Knie umspannten und die hohen goldenen Stiefeletten den Blicken freigaben. Die Sechste, deren Stuhl zur Zeit leer stand, sang atemlos in das tolle Treiben des bleichen Klavierspielers hinein, zwei andere bedienten den Saal, ihretwegen schien sogar Streit zu herrschen zwischen den Tischen, obwohl der Saal nicht voll war. Weine für drei Mark und höher waren nicht Vielen erlaubt, Hummel überließ jede Verantwortung seinen Begleitern. An ihrem leeren Seitentisch behielten sie die Bühne halb im Rücken.

Hummel unterbrach sich nur, um zu trinken, aber Terra ergriff die Gelegenheit. »Womit wollen Sie sich an die Welt, wie sie ist« – über den Saal und die Bühne hin beschrieb er eine Geste – »heranmachen? Mit Ihrem Mitleid. Ich meinerseits bin felsenfest überzeugt, daß die Welt Ihnen Ihr Mitleid noch nicht einmal mit fünfzig Pfennigen gutschreibt.« Hummel lächelte still. »Ich will nichts dafür.« – »Man soll für alles etwas wollen«, behauptete Terra, »Sie beleidigen die göttliche Weltordnung«, – da trank Hummel nur noch. Das Mädchen droben, besten Gestalt breiter als lang war, ließ sich vernehmen: »Erna und ihr Theodor gehn energisch vor. Sie schmachten, sie schmachten, daß die Nähte krachten.« Nach jeder Strophe rollte sie nachlässig zweimal die Hüften und drohte, ohne ihre ablehnende Miene zu verziehen, wie ein Schelm mit dem Zeigefinger. Terra rief:

»Reden Sie doch zwischen Ihren Kulissen wie eine ganze Legion Engel, im Parkett sitzt kein Börsenpirat, der nicht einflußreicher wäre als Sie. Bilden Sie immerzu Vereine zur Herbeiführung einer Weltwende, ein einzelner junger Mann, Wilhelm der Zweite, der ungehemmt nur seine Persönlichkeit ausschreit, dringt unvergleichlich weiter und tiefer, als alle Ihre Werbungen für eine sittliche Gemeinschaft. Zwanzig Jahre nach dem einträglichsten Kriege möchtet ihr dies Volk vergessen machen, woher seine Wohlfahrt stammt; da ist die Erzwand, vor der ihr verhungern könnt.«

Hummel, am Boden der Flasche angelangt, schlug mit den Armen Rad. »Daß Sie es nicht sehen! Sie wie ich sind ein Geschöpf jenes Krieges, des letzten. Ein blutgetauftes Geschlecht wie unseres mußte kommen, um, wissend von jung auf, der Welt den Frieden zu bringen. Die Lösung der sozialen Frage ist der ewige Friede!«

»Ich bin kein Grünschnabel mehr«, erwiderte Terra. »Auch sagt mir meine gröbere Natur, daß Geist sich am durchschlagendsten im Handeln zeigt. Das Völkchen gefällt mir«, sprach er in den Lärm, denn der Streit, den die Tische um die bedienenden Damen führten, war in eine Prügelei übergegangen. Ein wahrer Igel aus wehrhaften Männern wälzte sich, hackend und beißend, in der Pfütze, die ein umgeworfener Sektkübel verbreitete. Kampfrichter stiegen auf Stühle und gaben wilde Zurufe von sich, die Damen des Hauses kreischten hingerissen, der Kapellmeister paukte den Hohenfriedberger Marsch. Terra, aufmerksam in dies kleine, aber bewegte Leben versenkt, dachte: »Blutgetauftes Geschlecht.« Ein gutes Wort. Alle mörderischen Beziehungen, deren er sich blitzhaft bewußt geworden war auf jener schwindelnden Nachtfahrt, vom Turm die Spiralen hinab bis vor die Blutlache, worin zwei Ringer verröchelten, alle wurden festgehalten und klargestellt. »Ich vertrete mit besonderem Vorrecht mein blutgetauftes Geschlecht.« Ein Tag in der Generalagentur für das gesamte Leben, und eine Leiche! Er mischte sich in die Angelegenheit der beiden Athleten und der Schlangenbändigerin, schon machten sie alle reinen Tisch und brachten sich um. Katastrophen keimten in ihm und Seinesgleichen. Sofort zeigte sich ihm das Gesicht Seinesgleichen, das feindlichste, nächste, das verachtungstarrende, der Sünde des Ehrgeizes verfallene Gesicht Mangolfs! »Der geht mit mir! Er sähe mich gar zu gern unten, ich tauche aber auf, und fahren wir einst in den Orkus ab, dann sicher zusammen!« Terra knirschte frohlockend, er blickte, entrückt, in die fernsten Flammen seines Lebens. Da zuckte er auf, nahe an seinem Ohr war ein inbrünstiges Flüstern, Kurschmied. Er flüsterte: »Helfen Sie mir, ich winde mich in den unerträglichsten Zweifeln! Sie, mit ihrem unstillbaren sittlichen Bedürfnis, sollten den Krieg wollen?« Terra, den Blick auf dem kämpfenden Igel: »Was ich muß, will ich.«

»Sie wollen nicht«, sagte der Wirt des Lokales, »aber sie müssen;« – und zusammen mit seinen männlichen Angestellten riß er den Igel in Stücke. Zur Besänftigung der Gemüter schlug der Kapellmeister eine mildere Weise an, und eine resedagrüne Dame sang: »Aus dem Himmel segnet uns die Mutterliebe, daß in unseren Herzen heil'ge Unschuld bliebe. Sag' mir nur das eine, einzig holder Mann, ob man auch wie Du im Himmel küssen kann.« Sie sang mit einer Stimme rauh vom Trinken, aber umso getragener. Als sie, um zu segnen wie die Mutterliebe, die Arme hob, erschienen darunter große feuchte Flecken, und nach dem küssenden Himmel schielte sie hinauf, als sei es doch nicht geheuer mit ihm. »Prost«, sagte Hummel, versöhnlich gestimmt. »Aber was wollen Sie nur? Garnichts?«

Terra trennte sich gerade von dem Anblick der Sängerin, da fragte das bedienende Mädchen: »Gefällt Ihnen die?« Die Kellnerin war ein Baby, mit einer Schärpe, einem Häubchen, woran blonde Locken befestigt waren, und einem Korallenkettlein auf dem mächtigen Busen. Sie sagte sauer: »Die bildet sich ein, sie ist hier die einzige wirkliche Künstlerin, daß ich nicht lache!«

»Lachen Sie nach Herzenslust, mein Fräulein! Wollen Sie mir nur gestatten, daß ich meinem Freunde eine Frage beantworte, die schlechterdings keinen Aufschub leidet. Sie bringen inzwischen gütigst noch zwei Flaschen.«

Eingeschüchtert verzog sich das Baby. Terra kam dem Zutrinkenden gemessen nach. »Tatsächlich will ich nichts – fast nichts, oder doch nicht viel; nur einfache praktische Dinge, zum Beispiel, daß mir niemand auf die Hühneraugen tritt. Daß man nicht fortsieht, wenn ich dastehe – und nicht lacht, bei dem was ich der Welt zu sagen habe.« Denn Hummel und auch Kurschmied lächelten. Das Baby brachte die Flaschen und füllte ungebeten auch für sich selbst ein Glas. Terra trank mit ihr, mit den Herren, und noch ein drittes Glas für sich allein, immer stumm wie ein Erbitterter. »Nun erzählen Sie nur weiter. Kleiner«, sagte das Baby.

»Ich gehe durch Demütigungen, wie durch einen Platzregen, und man ist erstaunt, daß ich kein warmer und trockener Gesellschafter bin.«

»Mir gefallen Sie«, rief das Baby. »Sie origineller Kunde!«

»Nur Demut überwindet die Welt«, stammelte Hummel, müde und unglücklich, er hatte seine Bettschwere. Terra straffte sich nur noch mehr, seine Stimme schwang. »Eure schlafmützige Menschenbeglückung imponiert keiner Seele, solange ihr nicht ernstliche Anstalten trefft, sie bei Euch selbst vorzunehmen. Es gibt, genau besehen, nur eine einzige wirksame Idee; keiner, der an Geld und Gut zu viel besitzt, fürchtet sich vor einer anderen. Was ich von geistigem Dynamit in mir habe, hat jede Hure«, schmetterte Terra durch die Nase.

»Nanu?« machte das Baby. Die Musik war aus für heute, die Tische hörten auf Terra, die zweite Kellnerin, in der Tracht einer Spreewälder Amme, gesellte sich zu dem Baby, sie stützte sich auf seine Schulter. »Jede Hure«, schmetterte Terra, »hat ihre Geltung bei Gott, ihre Unverletzlichkeit, geistige Hoheit, ihr Recht auf Menschenwürde!«

»Bravo!« riefen das Baby und die Amme, sie machten Fäuste gegen die Tische, die wieherten. »Der Kampf um meine Menschenwürde«, schmetterte Terra, »ist ein für allemal mein ganzer Daseinsgrund auf Erden.« – »Und das Saufen«, rief jemand. – »Verschaff' ich mir Achtung,« Terra hob das Glas, er grüßte ringsum, »prost Rest, dann hab' ich sie auch Euch verschafft!« Er trank im Stehen, und alle folgten. Das Baby fiel ihm schluchzend um den Hals, die Amme sagte: »Endlich ein feiner Mann in dem Lokal!«

Von dem einmütigen Hochgeschrei erwachte Hummel, er nahm den Kopf von den Armen und wünschte einen Morgentrunk, aber Terra hatte bezahlt und brach rüstig auf. »Nur keine Wehmut, mein Fräulein!« sagte er noch zu dem heulenden Baby. »Niemand auf der Welt dankt es Ihnen, wenn Sie zur Heilsarmee gehen. Machen Sie gute Geschäfte!«

Draußen in der naßkalten Vorfrühe krümmte Hummel die Schultern und begann, schwach wie ein Kind: »Es ist doch schrecklich, was tue ich jetzt.« – »Sie gehen nach Haus, mit Herrn Kurschmied.« – »Ist das eine Freude?« fragte der Ärmste; und Terra: »Hier gehen noch immer vereinzelte Damen umher. Ich bin gern bereit –« Da brach der Dichter in Tränen aus. »Sie sind nicht mein Freund«, sagte er, sich fassend. »Aber der Erste sind Sie, der sich erbietet, mir eine Freude zu bezahlen, die Anderen denken, es sei genug mit der Notdurft. Viele verehren mich, aber keinem fällt es ein, daß ich, mit oder ohne warmes Zimmer, ein schwer beladener Mensch bin. Einmal doch solltet ihr mir die Last herunternehmen, ganz kurz, nur wenige Stunden der Nacht. Darauf warte ich, warte und warte.« Er schüttelte die Arme zum regnerischen Himmel hinan. Niemand unterbrach ihn. »Ein Fest mit Blumen, Silberzeug und Musik, das ganze Haus voll herrlicher Frauen, und alles nur um meinetwillen!« Lachende Schwärmerei, seine Stimme ward Tenor. »Ein Wink von mir, sie sind berauscht, oder stehen in ihrer Schönheit da, wie Marmor. Sie lesen in meiner Seele, sie kennen mich endlich, ich bin nicht mehr allein, und mir ist leicht. O leichte Nacht!« – und Hummel, Flügel schlagend in seinem durchsichtigen Kragenmantel, tat schwebende Schritte, schwebte auf die rauchige Spur eines Sonnenaufganges zu, Aura genug für seine hingehaltene Stirn.

Vorbeigehende blieben stehen, ein Schutzmann, der drüben daherkam, machte beobachtend kehrt. »Lassen Sie ihn nicht allein«, sagte Terra, der zurückblieb, zu Kurschmied. »Nur ein Wort!« bat Kurschmied. Die Halbkreise um seine Augen schimmerten bläulich. »Ich sterbe vor Scham, ich habe an Ihnen gezweifelt!« – »Schon gut.« – »Legen Sie mir eine Buße auf, die in mehr als Worten besteht. Eine Tat für Sie! Jede Tat!« – »Wir werden sehen«, entschied Terra und ging seiner Wege.

Ich habe eine Verabredung, bedachte er, und betrat das Café National. Nur an einem Tisch war noch Leben, aber, wie vorhergesehen, unterhielt Mohrchen es. Er saß umschlungen mit zwei weiblichen Stammgästen; von der Leibesfülle der drei Personen umfaßt, ward das Marmortischchen klein wie eine Untertasse. Die drei Sektgläser klirrten aneinander, als Terra, seitwärts, sich auf eine Polsterbank setzte. Beim Trinken bemerkte Mohrchen ihn im Spiegel; das ganze Gesicht ein Zwinkern, trank er ihm zu. Terra sagte laut schnarrend: »Leichengeruch ist nicht Jedermanns Sache.«

»Nehmen Sie bei uns Platz, hier ist keiner«, gluckste Mohrchen. Die eine der Damen äußerte erfahren: »Der Herr ist gewiß von der Anatomie? Macht uns alles nichts.« Aber Terra saß stumm und unverwandt, seine Augen brannten dort im Halbdunkel. Die Dame gestand: »Mir wird ganz anders.« Mohrchen fragte über die Schulter: »Sie ruhen wohl aus von Ihrem Tagewerk? Es hat sich gelohnt.« Terra, furchtbar: »Mörder! Sie haben die Generalagentur für das gesamte Leben am Spieltisch umgebracht.« Da lachte Mohrchen.

»Mit mir konnte der Selige noch hundert Jahre arbeiten, hätten Sie uns nicht gestört. Alles nur, weil ich mich nicht rechtzeitig bis sieben Uhr zurückbemüht hatte wegen einer Perlenkette –«

Er suchte in seinen Taschen.

» – die falsch war,« – und über die Schulter warf er sie Terra zu.

Viertes Kapitel. Die Wiedergefundenen

Doktor Wolf Mangolf wirkte im Auswärtigen Amt als Privatsekretär des Staatssekretärs Grafen Lannas. Jung, gelehrig und gelenkig, jeder Repräsentation schauspielerisch gewachsen, zugleich leicht und feurig, schmeichelte er den Augen des reifen Diplomaten nicht weniger als seinem Geist. Er hatte zu gefallen, ehe er nützte und lange bevor man ihn ernst nahm. So warb er noch eifriger um die Mitglieder des Hauses, als um amtliche Geltung. Der Genießer Lannas dankte dem launig beflissenen Neuling an seinem Tisch die gehobene Stimmung der Damen, seiner Freundin Altgott, des Fräuleins Knack, sogar seiner Tochter, – obwohl der junge Mann hier sichtlich einem Vorurteil begegnete. Dafür verfügte sein Sohn Erwin in dem Privatsekretär über einen Gefährten von untergebener Stellung, der ihm geistig nützte, ihn aus seinem Halbschlaf rüttelte und in Bewegung setzte.

Ach! der Privatsekretär hatte nicht nur den Sohn Erwin auszuführen, in kostspieligen Lokalen ihm teure Frauen vorzustellen, nur damit der junge Graf am Ende ihre Handtasche oder ihren Schuh, ohne den Fuß, in sein Notizbuch zeichnete, – und für dies alles das Geld zu beschaffen. Kein weibliches Wesen durfte im Haus sein, das von Mangolf nicht entzückt war: angefangen mit der Gräfin Altgott, dieser ehemaligen Opernsängerin und Reliquie aus dem Leben des Staatssekretärs, die unbegrenzten Zutritt zu seiner Tochter hatte. In ihrem Schwanken zwischen Lust nach einem Abenteuer und der Sorge um ihre Stellung, war sie dem am gefährlichsten, der hier geradeso abhing wie sie. Die Tochter selbst, ein Widerstand aus Spott und Mißtrauen, war tagtäglich wieder zu entwaffnen und, ob sie wollte oder nicht, mit dunkler Verehrung zu umgeben. Bellona Knack, die Erbin des Schwerindustriellen, erleichterte ihm ihre Behandlung, kein Zweifel, sie war selbst in ihn verliebt, welche Hoffnung! – aber auch vor ihr stand ein Wächter, Herr von Tolleben, adelig und zur großen Karriere berufen ... Blieb es auch nur bei den Damen? Lisa, die Jungfer der Komtesse Alice, mußte nicht weniger gewonnen werden. Sogar ein Windspiel, das beim Eintritt des Privatsekretärs nicht freudig gewedelt hätte, wäre zur Gefahr geworden. Da galt es vor allem mit dem persönlichen Diener des Grafen Lannas gut zu stehen, ihm in gelegener Stunde die Zigarettentasche hinzuhalten und, bot jener eine Zigarre von noch so verdächtiger Herkunft dafür an, sie zu nehmen. Am Abend auf seinem stillen Zimmer beobachtete der Privatsekretär an sich die verurteilte und ausgebrannte Miene eines Sträflings, der seit dem Morgen Sand karrt in Unehren. Schon beim Auskleiden stöhnte er wie in bösen Träumen auf, neuerfüllt von Enttäuschung durch Bellona, Demütigung durch die Tochter des Hauses. Er erlebte es nochmals, wie der Tolleben ihn zu flüchtig grüßte, und fühlte sich wieder auf die Schulter geklopft von jenem Knack, der doch herkam, um Millionen zu holen, nicht ohne den Einfluß Mangolfs.

Sein von allen vorausgesetzter Einfluß auf den Chef war das einzige, das ihn hier zum Menschen erhob, bei jedem Wort, jeder Handlung ging es ihm um diesen Einfluß. Er schob dem Tolleben gute Gedanken unter; ein Feind, der auf seine Kosten vor dem Minister glänzen durfte, verzichtete vielleicht darauf, Mangolf bei ihm zu verlästern. Er befürwortete die Geschäfte Knacks, in der Hoffnung, daß Lannas von solch einer Kraft sein Lob hören werde ... Er befürwortete sie aus noch direkteren Gründen. Die vor Jahresfrist abgelehnte Heeresvorlage alsbald durch ein neues Wehrgesetz abzulösen, wohl gar zugunsten der geplanten Flotte: es schien so kühn, was einem Staatsmann eingeflüstert wurde, daß es ihn mit der Person seines Sekretärs zum mindesten beschäftigte, ihn an sie gewöhnte. Nie war dies zu erreichen mit den zarten Mitteln der Gesittung. Mangolf hatte, in der Erinnerung an die erste Stunde seiner Bekanntschaft mit dem Gebieter, sich seiner Nächte beraubt, um italienisch zu lernen, was ganz ohne Eindruck blieb. Es wäre daher ganz gegen den Vorteil des Sekretärs gewesen, hätte er die Argumente des Gebildeten, menschlich Gesinnten offen vorgebracht. Geboten schien es dagegen, sie auf unscheinbare Art dem Staatsmann nahezulegen, der sie gern einmal aufgriff und im Gespräch hin und her wendete, wie einen Bleistift oder sein Monokel. Dreißig Minuten Kulturvortrag des Ministers, dann war es Zeit für den Sekretär, an härter Gegebenes zu mahnen, worauf Graf Lannas, lieber als vorher, mit dem Kenner seiner Bedürfnisse übereinkam, es sei notwendig, weiterzurüsten. Für die verständnisvolle Behandlung, die er durch seinen Sekretär erfuhr, und damit das besondere Geschöpf seiner Gunst mit eigenem Gewicht vor die Welt trete, machte er ihn nach überstandener Probezeit zum Geheimrat.

Dies hatte zur Folge, daß nicht mehr der Diener Rettich, sondern nur noch Knack ihm Zigarren anbot. Auch wuchs das Staunen der fremden Unterhändler, wenn der den Staatssekretär vertretende Knabe seinen Titel nannte. Für Mangolf freilich bestand die bittere Gewißheit, daß jede seiner Erhöhungen an die Person seines Gönners gebunden blieb. Er galt, solange jener galt, und auch dies war mehr Schein als Gehalt. Denn Lannas liebte die Arbeit nicht, und geheime Kräfte gab es in den Hintergründen des Auswärtigen Amtes, die der Vordergrundsfigur des Staatssekretärs erst ihre Richtung wiesen, ja, gegebenenfalls auch gegen sie sich würden gehalten haben ... Dem Privatsekretär blieb nur übrig, aus seiner vorläufigen Ergebung eine Pose zu machen, die eine Eifersucht wie Tollebens, zur Not besänftigte. Tolleben bekundete durch eine Art furchtbarer Gedämpftheit seiner mächtigen Person, daß er den grünen Jungen pflichtgemäß sich gleichstelle, aber Mangolf wehrte ab, wo es ging. »Wir begegnen uns nur ganz äußerlich auf derselben Rangstufe, verehrter Baron! Für Sie ist sie ein Übergang, ich bin schon am Ende.« Oder: »Meinesgleichen, mit begrenztem Fortkommen, hat leicht urteilen. Sie dagegen tragen, im Hinblick auf Ihre Zukunft, ein Stück Verantwortung mit.« Er ging so weit, in Bewunderung nach den Gesichtszügen des Riesen aufzuschauen. »Ihre Ähnlichkeit mit dem größten Staatsmann behält ihre Bedeutung.«

Hierbei ertappte ihn die Tochter des Hauses. Mit einem Lächeln ihrer schmalen Augen, das durch dunkle Wimpern blitzte und nichts Gutes verhieß, bemächtigte sie sich Mangolfs. Sie wartete, bis Tolleben den Salon verließ, jetzt hielt sie ihren Feind für sich allein. »Danke«, sagte sie. »Soeben sahen Sie den guten Tolleben gerade so schwärmerisch traurig an, wie sonst mich.« Er zuckte die Achseln, er sagte sich, er müsse Tolleben fallen lassen. »Habe ich nicht die Wahrheit gesprochen? Der Herr, der dort abgeht, wird alles nur seinem Gesicht verdanken.«

Sie verzog die Lippe. »Man muß Sie nur verstehen.« Er fuhr fort, als hörte er nicht. »Ich komme von unten und muß Talent haben. Was reicht für einen Tolleben aus? Die Geste.« – »Die vielleicht seltener ist als Talent«, sagte die junge Dame.

»Bliebe er nur im Stil!« sagte Mangolf und sah sie an. »Aber er ist ein armes Aktengeschöpf, schon verzwergt in den Provinzämtern, aus denen Seine Exzellenz ihn hervorholte.«

»Als unseren Vetter«, ergänzte die Komtesse Lannas. Er gab zurück: »Damit Sie meine Aufrichtigkeit sehen. So einer schlägt mit der Faust auf den Tisch wie ein toller Junker, aber da fliegt der Staub seiner Mühsale auf. Seine Exzellenz kennt die Zweideutigkeit der Erscheinung und benutzt sie. Warum wollen Sie es mir vorwerfen, daß auch ich sie kenne?«

Sie unterbrach. »Hatten Sie nicht einen Freund? In München waren Sie doch zwei?«

»Komtesse meinen den auffallenden jungen Menschen –«

»Von dem Sie nie sprechen.«

»Ich sagte schon, daß ich von unten komme. Meiner alten Freunde rühme ich mich nicht.«

Unter seinem Blick fürchtete sie zu erröten. Sie lachte wie toll, jetzt durfte sie Farbe haben. Er faltete mißbilligend die Brauen, mit den Augen suchte er zu entkommen. Plötzlich begann er weich, ja leidend: »Ich habe ihn sehr geliebt. Einst war er mein Vorbild, mein Gewissen. Sein Geist ist steil, nicht biegsam wie meiner.«

»Er berechnet nicht?« fragte sie dazwischen.

»Und geht darum unter,« sagte Mangolf, schwermütig und bescheiden. »Es sind vielleicht die höchsten Menschen, die nicht anerkennen wollen, daß mit der Welt zu rechnen sei. Was ist aber die Folge? Sie verfallen der Halbwelt.«

»Das heißt?« fragte sie, so bleich, daß die Wimpern wie Speere drohten.

»Er hat sich, rätselhafterweise, in unehrenhafte Geschäfte eingemischt, sein Name steht im Zusammenhang mit dem Skandal einer Berliner Schwindelagentur.«

»Er ist hier!« Sie wandte sich heftig fort, der in die Wand gelassene Spiegel zeigte im klaren Profil dies aufgerissene dunkle Auge, und an dem gestrafften mageren Arm eine kleine gespreizte Hand. Mangolf sagte leise und schonend:

»Was ihn nicht abhält, seine alten Abenteuer zu pflegen. Die vernünftelnden Naturen neigen zu einer ganz vernunftwidrigen Lüsternheit, ich erwähne es der Seltsamkeit wegen.«

»Klatsch ist immer spannend«, sagte sie schnell und trat vor. »Wie steht es mit Ihnen und meiner Freundin Bella Knack? Ich will sie Ihnen verraten, sie liebt Sie. Aber die ist weltklug. Ihr Gatte darf nur der führende Staatsmann von morgen sein. Sie verstehen, derselbe, der die Geschütze baut, muß auch die Macht haben, den Krieg zu erklären. Überlegen Sie sich den Fall«, rief sie triumphierend und sah nun ihn erbleichen.

Er zitterte, vor der jähen Enthüllung des Tiefsten, Geheimsten, wovon er träumte. Mit äußerster Anstrengung machte er seine Stimme müde und löschte seine Miene aus. »Wenn Sie den verbotenen Traum ahnen könnten«, er sah auf ihren Mund, um ihre Augen zu vermeiden, »dem ich mich in Stunden ohne Selbstachtung irren Herzens überlasse: ach, Komtesse, ein Wort wie Ehrgeiz rührt nicht einmal an die Tür meines letzten Geheimnisses«, und er hob, mit ungeheuchelter Befangenheit, die Augen zu den ihren auf. Die ihren waren schmal und blitzend, vielleicht lockten sie, aus dem nach oben gewendeten Gesicht. Das Fräulein sagte klar: »Sie sind zu stolz. Man kniet hin.«

Seine Knie zuckten, steiften sich wieder, zuckten – so schnell wie seine Gedanken widerstanden und nachgaben. »Eine Falle? Nicht vielmehr Eifersucht? Aber sie haßt mich. Gleichwohl will sie zur Macht; wer fühlt das, wenn nicht ich. Sie fürchtet mich, wegen der Macht, die ich im Bunde mit Knack erobern könnte. Ich muß sie täuschen. Ein Kniefall, dann komme was will!« Da brachen die Knie schon ein, er lag am Boden. Sogleich sprang sie vom Spiegel fort. Den Finger hingereckt: »Nun sehen Sie sich an!« – und lief tanzend davon, wie ein Schulmädel. Ein Zimmer weiter noch lachte sie.

Mangolf kniete vor sich selbst, mit der Maske kalter Verzückung und nüchtern wie je. Er prüfte: dort vor ihm, die breite, gelbliche Stirn, die rechnete und litt, die Augen, vertieft durch die Kränkung. Aufstehend sagte er sich, sie sei gesandt, ihn zu stärken. In seinem Zimmer freilich weinte er. Wie leidenschaftlich ergab sich das verwundete Haupt einem kühlen Kissen und dem immer bereiten Tröster Schlaf.

Kurz darauf, es war bald Weihnacht, saß Mangolf allein in seinem Büro, als mit einem Beamten, der die Tür öffnete, ungebeten ein Besucher eintrat. Mangolf fiel, totenbleich, in seinem Sessel rückwärts, er sah Terra. Der Beamte wollte den Fremden hinausdrängen, Terra aber trat dafür zu vertraut und klangvoll auf. »Mein armer Freund!« rief er. »Finde ich Dich doch noch hier? Man wollte wissen, Du seiest schon in Ungnade gefallen.«

Ein Blick des Privatsekretärs, und der Beamte verschwand, wenn auch zögernd. »Eine empörende Rücksichtslosigkeit!« Mangolf fuhr auf. Terra setzte sich, er betrachtete gelassen den Freund, bevor er äußerte: »Genau das Wort mußtest Du sprechen.«

Mangolf stieß seinen Sessel mit dem Fuß fort. »Das ist Verfolgung! Schon in München hast Du mich verfolgt.«

»Noch heute werfe ich es mir als unverzeihlichen Leichtsinn vor, daß ich Dich bei Deinem jetzigen Chef einführen durfte.« Terra sprach würdevoll. »Sämtliches Unheil, das Du im Staate jemals anrichten solltest, kommt auf mein Haupt.« »Laß Deine schlechten Scherze! Man horcht an der Tür.« Mangolf trat nahe vor Terra hin, er verdeckte ihn. »Reden wir offen! Was willst Du? Ich sage Dir gleich, daß meine Stellung wohl auszeichnend, aber darum auch bedroht ist. Neue Erschwerungen verträgt sie nicht, und Du wärest mehr als erschwerend. Du bist vernichtend.«

»Du überschätzest mich.« Terra lehnte mit der Hand schlicht ab.

»Du würdest hier nicht weit kommen. Ich würde über Dich fallen und Dich nachziehen. Aber erscheinst Du überhaupt mit Ambitionen? Wie ich Dich kenne, weit eher, um mir in den Weg zu treten.«

»Du überschätzest jetzt Dich«, welches höfliche Bedauern den Freund außer sich brachte. »Nochmals, was willst Du? Soll ich Dir einen Teil meines Gehaltes anbieten, wenn Du mich verschonst? Dich wird es nicht beleidigen.« – »Nicht einmal berühren.« Darauf maßen sie einander.

Terra begann wieder. »Wir sind alte Freunde. Ich kenne Deine Schwäche wie Deine Stärke. Unsere Freundschaft wird ganz gewiß bis zu unserer letzten Stunde währen. Du selbst hast gegen mich recht behalten, als Du es voraussagtest. Es war bei einer Gelegenheit, die wieder mir unerwünscht kam.«

Mangolf zeigte eine dunkel vertiefte Miene. Er sah die ewige Wiederkehr des Gewesenen und eine vorausbestimmte Spur bis an das Ende. »Dein Geld würde ich nehmen, wenn ich es brauchte«, hörte er den andern sagen. »Ich bin ein durchschnittlicher Student, wohlgesinnt und arbeitsam.«

»Leider bist Du es nicht schon seit Beginn Deines hiesigen Aufenthaltes«, wandte Mangolf ein, aber da wuchs Terra von seinem Sitz auf.

»Du scheinst falsch unterrichtet über die segensreiche Wirksamkeit, mit der ich mich in Berlin einführte. Ich habe den Weg zum schlichten Handeln wieder gefunden. Mein ganzes Selbstgefühl schöpfe ich seither aus der Arbeit.«

Der Privatsekretär fragte sich schon, ob er aufatmen dürfe. Nur noch die Frage: »Was führt Dich her?«

»Außer unserer Freundschaft,« setzte Terra gehoben an, »nichts anderes, als meine wahre Verehrung für Seine Exzellenz Deinen hohen Chef, – wenn ich seine Tochter, die junge Gräfin, denn unerwähnt lassen soll,« schloß er beziehungsvoll.

Da ließ Mangolf sich als tote Masse in seinen Schreibsessel fallen. »Du bist also wahnsinnig genug, verliebt zu sein in –. Das ist die Katastrophe!« – wobei er sich in die Haare griff. »Aber ich weigere mich, zu Deiner Einführung auch nur einen Schritt zu tun.« Er sprang auf, er lief durch das Zimmer. »Das einfache Gesetz der Selbsterhaltung gibt mir das Recht, Dich zu verleugnen. Ich verleugne Dich!« preßte er hervor, indes Terra, die Zunge im offenen Mund bewegend, ihm eifrig nachsah. Da ging eine Seitentür auf. Jemand kam rückwärts über die Schwelle und drüben war deutlich Graf Lannas zu bemerken, sein durch die Mitte gezogener Scheitel, sein Grübchen. Die Blicke Lannas' und Terras begegneten sogar einander.

Der Eintretende wandte sich her: Tolleben. Beim Anblick Terras zuckte er schon zurück und verfinsterte sich, – statt dessen plötzlich ausgestreckte Hand und »da sind Sie ja«, sozusagen kameradschaftlich. Eine Art verdächtigen Einverständnisses lag in dem Wort, Terra überlegte es sich, bevor er die Hand nahm. Aber schließlich wußten sie gleich viel von einander, – wenn nicht die Frau von drüben das Gleichgewicht verschoben und trotz allen Schwüren ihn vollends diesem Menschen verraten hatte, das Geld, das er nahm ... Terra erschauderte.

Mangolf staunte über nichts mehr. »Die Herren kennen sich«, sagte er mit Ironie. »Ja wie denn nicht«, machte Tolleben. »Immer fidel seitdem?« Terra ließ es sich gesagt sein. »Wir waren aber beide sternhagelvoll« – mit burschikosem Gelächter, und versuchsweise schlug er den einflußreichen Mann auf den Arm. Tolleben rührte sich nicht.

Hier ging wieder die Tür auf. Graf Lannas selbst bewegte sich freundlich herein, warf ein Papier auf den Tisch seines Sekretärs, dann aber, als wäre das Papier nur ein Anlaß gewesen, wandte er sich Terra zu und sagte »lieber Terra«. Tolleben machte vor Schrecken Front, Mangolf tat beschäftigt.

»Lieber Herr Terra, Sie haben mir etwas zu sagen«, stellte der Staatssekretär fest, ohne erst zu fragen. »Kommen Sie mit hinein«, – wobei er schon voranging. Hinter seinem ungeheuren Tisch, worauf jeder Stoß Akten von einem Band Goethe beschwert war, ließ der Staatssekretär sich nieder. »Ihnen biete ich keinen Sitz an,« sagte er, »weil ich Sie bitten will, mir wieder den Ariost vorzusprechen. Sie wissen sicher vieles auswendig. Fahren Sie fort, wo wir aufhörten!« Schon nahm er die weiche Haltung ein, in der er lauschen wollte. Die Lider sanken, der Scheitel glänzte mild und fett.

Als Terra aufhörte: »Wenn Sie wüßten, was für eine Wohltat Sie mir bringen! Seit zwei Stunden nehme ich Vorträge entgegen.« Er holte eigenhändig einen bequemen Stuhl für Terra herbei. »Übrigens sprechen Sie noch immer nicht musikalisch genug. Der Reiz des Erlebnisses ist le divin imprévu, mit dem Wort eines meiner Lieblingsschriftsteller.« Dann kamen Fragen nach dem Studium, und dann die Aufforderung, zum Frühstück zu bleiben. »Ich muß hier noch eine oder zwei Nummern über mich ergehen lassen. Gehen Sie einstweilen hinauf zu den Damen.« Er rieb sich die Hände vor Vergnügen über die eigene Vorurteilslosigkeit. Als auf sein Glockenzeichen ein Diener erschien, stand der Staatssekretär in vornehmer Haltung da. »Führen Sie Herrn Terra zu den Damen.«

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