Kitabı oku: «Die kleine Stadt», sayfa 3

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II.

Um fünf, be­vor es heiß ward, mach­te der Ad­vo­kat Be­lot­ti, schon im schwar­zen Rock, der hin­ten spitz ab­stand, sei­nen Mor­gen­spa­zier­gang. Wie ge­wöhn­lich woll­te er, um auf die Stra­ße zu ge­lan­gen, durch den Gar­ten des Palaz­zo Tor­ro­ni hin­ab­stei­gen; hin­ter ei­ner Säu­le im Flur kam aber Sa­ve­rio her­vor, der Haus­meis­ter, Kam­mer­die­ner und Gärt­ner, und stell­te die Hand an den Mund.

»Herr Ad­vo­kat!«

»Was gibt es, Sa­ve­rio?«

Da der Die­ner flüs­ternd sprach, tat auch der Ad­vo­kat es.

»Der Herr Baron ist die Nacht drau­ßen ge­we­sen. Noch im­mer ist er drau­ßen.«

»Ah! die­se Jä­ger. Die Jagd, mein Freund, ist eine Lei­den­schaft, die einen Mann ganz hin­nimmt. Wenn ich Ih­nen von mir selbst spre­chen soll …«

»Aber es han­delt sich nicht um Jagd, Herr Ad­vo­kat. Er ist ins Gast­haus ›Zum Mon­d‹ ge­gan­gen und noch nicht wie­der her­aus­ge­kom­men.«

Der Ad­vo­kat öff­ne­te den Mund und er­hob den Zei­ge­fin­ger.

»Schau, schau«, sag­te er, – und er be­gann zu la­chen, zu­erst ein laut­lo­ses La­chen und dann wie ein hei­ser ras­seln­des, wor­aus Hus­ten und Spei­en ward. Als er zur Ruhe kam, mit auf­ge­ris­se­nen Au­gen:

»Wer­den wir einen Skan­dal ha­ben, Sa­ve­rio?«

Und er bot dem Die­ner die Zi­ga­ret­ten­büch­se.

»Die Frau Baro­nin schläft. Ich habe im Schlaf­zim­mer des Herrn al­les um­her­ge­wor­fen, als sei er früh auf­ge­bro­chen, und ich habe die Nacht bei der Haus­tür ver­bracht.«

»Wenn Sie nicht wä­ren, Sa­ve­rio! Möch­te er’s nicht zu weit trei­ben und heim­keh­ren, be­vor alle auf der Stra­ße sind. Ich gehe, da­mit uns nie­mand bei­sam­men sieht. Jetzt ist tie­fes Schwei­gen ge­bo­ten, Sa­ve­rio.«

Rück­wärts mach­te der Ad­vo­kat sich aus dem Hau­se. Den Mor­gen­spa­zier­gang hat­te er ver­ges­sen; der Schau­platz des Au­ßer­or­dent­li­chen ver­lang­te sei­ne Ge­gen­wart. Hin­ter ihm, im Cor­so, war ein ei­li­ger Schritt: Don Tad­deo. Der Ad­vo­kat grüß­te herz­haft.

»Ein schö­ner Mor­gen, wie, Re­ve­ren­do?«

Der Pries­ter sah ihn an mit ganz ro­ten Au­gen, zog die Sou­ta­ne en­ger um sei­nen ma­ge­ren Kör­per, als fürch­te­te er eine Berüh­rung, und – klapp, klapp – war er um die Ecke. Der Ad­vo­kat starr­te hin­ter­her.

»Kaum, dass er an die Kap­pe ge­grif­fen hat. Weiß er –? Und er steckt mit der Baro­nin zu­sam­men. Wir wer­den einen Skan­dal ha­ben.«

Un­ge­wöhn­lich be­lebt, schwän­zel­te er den noch stil­len Cor­so hin und drück­te sich, dem letz­ten Dom­fens­ter ge­gen­über, plötz­lich um die Ecke, wo es ab­wärts zum Gast­haus ging. Nun lag es da, noch halb schla­fend, beim Rin­nen des Brun­nens, an sei­nem klei­nen stroh­be­sä­ten Platz, mit den Stäl­len links, der Wein­lau­be drü­ben, – und im zwei­ten Stock stand ein Fens­ter of­fen. »Sieh da«, sag­te sich der Ad­vo­kat, »sie lie­ben die fri­sche Luft. Aber jetzt wäre es Zeit, zu er­wa­chen.« Er bück­te sich nach ei­nem Stein­chen und warf es, hef­tig keu­chend, ins Fens­ter. »Sie schei­nen recht sehr er­mü­det und wer­den auch wis­sen, wo­von.« Wie er das zwei­te Stein­chen auf­las, er­schi­en un­ter dem Hau­stor ne­ben dem Wirt Ma­land­ri­ni der Baron Tor­ro­ni selbst. Er war wie im­mer im braun­ka­rier­ten Jagd­an­zug, mit der Flin­te über der Schul­ter, und stürz­te sich schon ein großes Glas Wein in den Sch­lund.

»Ah!« rief der Ad­vo­kat so­gleich. »Herr Baron, was für eine schö­ne und ge­sun­de Be­schäf­ti­gung ist die Ihre! Wäre ich nicht an mei­ne Stu­dier­stu­be ge­fes­selt –. Und wo­hin geht es an die­sem glän­zen­den Mor­gen? Aufs Feld, nach Ler­chen? Wohl gar ins Ge­bir­ge ge­gen den Eber?«

»Ich bin ge­kom­men«, er­klär­te der an­de­re, »um den jun­gen Mann ab­zu­ho­len, der hier wohnt: die­sen Sän­ger …«

»– den Herrn Gen­na­ri«, er­gänz­te der Wirt. »Ich wer­de Sor­ge tra­gen, dass er den Herrn Baron nicht war­ten lässt. Be­mü­hen Sie sich nicht!«

»Er hat mir ver­spro­chen, so­gleich fer­tig zu sein. In­zwi­schen gehe ich vor­an.«

Er drück­te dem Ad­vo­ka­ten die wei­che Hand und ver­schwand rasch.

Der Wirt räus­per­te sich vor­sich­tig.

»Se­hen Sie das of­fe­ne Fens­ter?«

Der Ad­vo­kat zwin­ker­te.

»Er ist gar nicht zu Hau­se ge­we­sen«, sag­te der Wirt. »Er ist über­haupt nicht heim­ge­kom­men.«

»Ah! dann ist es also nicht die­ses Zim­mer?«

Ma­land­ri­ni zwin­ker­te.

»Das ist das an­de­re, da­ne­ben. Das Fräu­lein schläft jetzt wei­ter.«

»Es scheint, sie hat es nö­tig. Ah! die­ser Baron.«

»Ein rich­ti­ger Edel­mann«, be­merk­te der Wirt.

Sie sa­hen sich an, lei­se fun­kelnd.

»Und der an­de­re?« be­gann der Ad­vo­kat wie­der. »Der Ko­mö­di­ant? Auch er ist drau­ßen? Da gibt es viel­leicht et­was noch Stär­ke­res? Mein Freund, mir be­ginnt zu ah­nen, dass wir Din­ge er­le­ben wer­den in der Stadt …«

Der Wirt seufz­te. Dann aber, mit Hän­de­rei­ben:

»Das Gute ist da­bei, dass wir ein we­nig Be­we­gung her­be­kom­men … Ent­schul­di­gen Sie mich, ich de­cke lie­ber gleich selbst in der Lau­be die Ti­sche. Mei­ne Frau wird erst spät her­un­ter­kom­men. Sie schläft noch, denn ihr ist et­was Au­ßer­or­dent­li­ches zu­ge­sto­ßen. Wie ich die Au­gen öff­ne und sie ver­geb­lich an mei­ner Sei­te su­che, tritt sie ins Zim­mer, sieht ver­wacht aus und er­klärt mir, dass die See­le ih­res Va­ters sie hin­aus­ge­ru­fen habe. Die See­le habe ver­langt, dass ich nicht ge­weckt wer­de. So viel Rück­sicht!«

»Das ist der Aber­glau­be der Frau­en«, sag­te zor­nig der Ad­vo­kat. »Wie lan­ge noch wer­den wir ihre Er­zie­hung den Non­nen über­las­sen! Sie glau­ben doch nicht an die­se al­ber­ne Ge­schich­te, Ma­land­ri­ni?«

»Wie wer­de ich. In den Frau­en geht man­ches vor, was wir nicht ken­nen. Man muss Ge­duld ha­ben.«

»Aber sa­gen Sie doch, die­ses Mäd­chen! Gleich die ers­te Nacht! Hät­ten Sie das etwa ge­glaubt, Ma­land­ri­ni?«

»Wa­rum nicht?« – und der Wirt fuhr auf. »Ist das Gast­haus ›Zum Mon­d‹ denn ein Klos­ter? Und üb­ri­gens, was weiß man. Nur was Sie er­zäh­len, Ad­vo­kat.«

»Oh!«

Der Ad­vo­kat leg­te die Hand aufs Herz.

»Die­ser Pries­ter scheint ge­wusst zu ha­ben«, sag­te er noch und dreh­te nach­denk­lich von dan­nen, »warum er die Ko­mö­di­an­ten nicht zu sei­nen Schäf­chen hin­ein­las­sen woll­te. Man muss zu­ge­ben, dass sei­nes­glei­chen sich auf Men­schen ver­steht.«

»Wol­len Sie auf die Stra­ße?« rief Ma­land­ri­ni ihm nach. »Dann be­nut­zen Sie doch die Gar­ten­pfor­te!«

»Sie ha­ben recht« – und der Ad­vo­kat kehr­te um. »Man muss bei sei­nen ru­hi­gen Ge­wohn­hei­ten blei­ben. Seit sie­ben­und­zwan­zig Jah­ren habe ich mei­nen Mor­gen­gang nicht sechs­mal ver­säumt, und ich hof­fe ihn noch wei­te­re sie­ben­und­zwan­zig Jah­re zu ma­chen.«

Hin­ter dem Hau­se ging er den Wein­hü­gel hin­ab, er­reich­te drun­ten die Stra­ße – noch über­git­ter­ten die Schat­ten der Pla­ta­nen sie dicht – und nahm den Hut ab, um sich zu trock­nen. »Ah, hier at­met man. Sol­che Luft ha­ben sie nicht in den großen Städ­ten, un­se­re bra­ven Künst­ler … Der Baron weiß die­se Wei­ber zu neh­men, wie es scheint. Man sagt, dass er als Of­fi­zier –. In Ron­do­ne soll er ein Kind ha­ben … Aber schließ­lich, was ist da­bei? Al­les wohl­be­dacht, könn­te es sein, dass auch ich –. Der Jun­ge der An­drei­na, mag sie es mit der Treue auch nie­mals ge­nau ge­nom­men ha­ben, der Jun­ge wird mir je­des Jahr ähn­li­cher … so­weit ein Bau­er mir äh­neln kann. Da­mals warf ich die An­drei­na ein­fach in das Korn. Mit der Ko­mö­di­an­tin muss man es eben­so ma­chen.«

Er hielt an, sah angst­voll um­her, wie nach ei­nem pas­sen­den Platz, und trock­ne­te sich noch­mals. Un­ter der Stra­ße stie­gen die Öl­bäu­me, schwach­sil­bern, die Erd­stu­fen hin­ab und setz­ten über den Fluss, der um ihre dun­keln Wur­zeln glän­zen­de Schlei­fen wand. Die letz­ten da­hin­ten und die wei­ßen Ge­höf­te zwi­schen ih­nen schie­nen vom Meer be­spült: so tief blau­te schon die hei­ße Ebe­ne. Über ihm blick­te dem Ad­vo­ka­ten die Stadt nach, aus blin­ken­den Schei­ben, Mau­ern, die zwi­schen zwei Zy­pres­sen ein we­nig klaff­ten, und ganz schwar­zen Tor­bo­gen. »Wo die­ser Te­nor steckt! Denn sa­gen wir nur die Wahr­heit: in ei­nem Win­kel der Stadt wird er wohl die Nacht ver­bracht ha­ben. Zu den­ken, dass er bei der Frau ei­nes mei­ner Freun­de ist, – der einen sehr gu­ten Schlaf ha­ben muss. Soll­te es nicht der Pol­li sein, mit sei­nem Schnar­chen? Ver­gan­ge­nen Herbst hat er so­gar beim Erd­be­ben wei­ter­ge­schnarcht! Vi­el­leicht lässt sichs ihm an­se­hen. Das müss­te man ei­nem Man­ne doch an­se­hen! Eh, eh, es hat sein Gu­tes, als Jung­ge­sel­le zu le­ben. In je­dem der Häu­ser dort oben kann jetzt der Ko­mö­di­ant sei­ne Din­ge trei­ben: nur in mei­nem treibt er sie si­cher nicht … Und beim Ca­muz­zi? Wie steht es beim Ca­muz­zi?« Das auf­ge­blüh­te Ge­sicht des Ad­vo­ka­ten fiel ein, da er an sei­nen Feind, den Ge­mein­dese­kre­tär, dach­te.

»Er ver­dient es wie kein zwei­ter, die­ser Igno­rant, die­ser Un­ver­schäm­te! Ah! set­ze noch ein­mal dein höh­ni­sches Lä­cheln auf, Freund, – und aus dei­ner Stir­ne sieht man es in­des­sen kei­men!«

Der Ad­vo­kat tat einen tie­fen, glück­li­chen Atem­zug.

»Das ist wirk­lich ein sehr schö­ner Mor­gen.«

»Aber lei­der«, be­merk­te er dann, »scheint die­se klei­ne Frau Ca­muz­zi zu­frie­den. Dem Se­ve­ri­no Sal­va­to­ri, der sie in sei­nem Korb­wa­gen um­her­fah­ren woll­te, hat sie geant­wor­tet: nicht ein­mal über den Platz bis vor die Dom­tür! Und doch soll­te ihre Mut­ter da­bei­sein. Aber die Ca­muz­zi ist be­schei­den und stolz, sieht nie­mand an, geht im­mer nur zur Kir­che. Nicht viel, und sie ge­hört zu der Gar­de des Don Tad­deo … Nein«, muss­te der Ad­vo­kat er­ken­nen, »von ihr lässt sich nur we­nig hof­fen.«

Er rich­te­te sich so­gleich wie­der auf.

»Aber auch an­de­re wä­ren nicht zu ver­ach­ten, und ich mei­nes­teils hät­te nichts da­ge­gen, wenn die Frau des Dok­tors –. Ah! die da ist eine Las­ter­haf­te: das fühlt man. Denn ers­tens ist sie zu dick, um tu­gend­haft zu sein. Und hat sichs erst ge­zeigt, dass sie dem Ko­mö­di­an­ten Ge­fäl­lig­kei­ten er­weist: – denn was ist der Ko­mö­di­ant, und sind an­de­re etwa we­ni­ger gut? Wenn ich’s recht be­den­ke, hat­te ich in be­treff ih­rer schon längst mei­ne Vor­sät­ze ge­fasst. Ihr Gat­te soll se­hen, dass der Zu­cker, den er bei mir fest­stel­len woll­te, so et­was nicht ver­hin­dert. Zu­cker, wenn noch so we­nig, bei ei­nem Mann wie mir! Und ich soll et­was da­ge­gen tun! Der Dok­tor wird se­hen, was ich tue! Ah! Ah!«

Er rieb die Hän­de, schwenk­te sich her­um und lach­te keu­chend nach der Stadt hin­auf. Dann fiel er in Nach­den­ken: sie sah ganz an­ders aus. Noch ges­tern hät­te man man­ches nicht für mög­lich ge­hal­ten. Na­tür­lich gab es in ihr die Din­ge, die es über­all gibt. Ab­ge­se­hen von dem Hau­se in der Via Tri­po­li: auch die Wä­sche­rin­nen auf dem Bäcker­berg kann­te je­der; und der Ad­vo­kat war per­sön­lich be­son­ders gut un­ter­rich­tet über die Wit­we ei­nes städ­ti­schen Zoll­be­am­ten, die vor­geb­lich Hüte auf­putz­te. Fer­ner be­stan­den die Gerüch­te be­züg­lich der Mama Pa­ra­di­si und des al­ten Man­ca­fe­de; neu­er­dings und halb­laut auch die über Frau Ma­land­ri­ni und den Baron Tor­ro­ni, – die der Ad­vo­kat seit heu­te früh für un­wahr­schein­lich hielt. Jetzt aber han­del­te es sich nicht mehr um die oder jene. Kaum eine blieb, nun der Ko­mö­di­ant um­ging, noch un­er­reich­bar; und das Pri­ckelnds­te wäre viel­leicht den­noch ge­we­sen, wenn im sel­ben Au­gen­blick, wo der Baron Tor­ro­ni sei­ne Frau mit je­nem Mäd­chen hin­ter­ging, die Baro­nin es ihm mit dem Te­nor ver­gol­ten hät­te! Der Ad­vo­kat ward er­fin­de­risch, sein Geist schweif­te aus und ver­wan­del­te die Stadt in sein frei­es Jagd­ge­biet. Dem Ko­mö­di­an­ten folg­te er selbst auf dem Fuße, in je­des Schlaf­zim­mer. Vor dem der Baro­nin hat­te er eine alte Scheu zu über­win­den; aber dann hüpf­te er, mit ei­nem Schnipp­chen, auch über die­se Schwel­le.

*

Von sei­ner Fan­ta­sie ver­jüngt, war er da­hin­ge­eilt, ohne zu mer­ken, wie sei­ne Arme ru­der­ten und wie es un­ter sei­ner Perücke her­vor­troff. Auf ein­mal, schon hin­ter dem öf­fent­li­chen Wasch­hau­se und auf hal­b­em Weg nach Vil­las­cu­ra, sah er sich dem Ko­mö­di­an­ten ge­gen­über: ihm selbst. Je­ner grüß­te und woll­te lang­sam vor­bei; aber der Ad­vo­kat fuhr auf, nach Luft schnap­pend.

»Das ist doch … da sind Sie: also, da sind Sie.«

»Da bin ich, zu Ih­rer Ver­fü­gung«, be­stä­tig­te der Te­nor.

»Das heißt« – und das le­der­far­be­ne Ge­sicht des Ad­vo­ka­ten ging in ein zy­ni­sches Lä­cheln aus­ein­an­der, »wer weiß, zu wes­sen Ver­fü­gung Sie hier sind.«

»Was wol­len Sie sa­gen?« frag­te der jun­ge Mann. Un­ver­mit­telt ward er dro­hend aus­se­hend.

»Nichts, o nichts. Sie ge­hen spa­zie­ren, wie ich be­mer­ke, Herr Gen­na­ri. Sie sind früh auf. Ich habe, müs­sen Sie wis­sen, die klei­ne Ei­tel­keit, je­den Mor­gen der ers­te drau­ßen zu sein: aber was tut es ei­nem Man­ne Ihres Al­ters, auch ein­mal um fünf das Bett zu ver­las­sen, wo er eine glän­zen­de Nacht ver­bracht hat.«

»Mei­ne Nacht«, sag­te der Te­nor mit feind­se­li­ger Zu­rück­hal­tung, »war sehr we­nig glän­zend. Ges­tern Abend emp­fand ich ein Be­dürf­nis spa­zie­ren­zu­ge­hen und wich da­bei von der Stra­ße ab. Dann be­deck­te sich, wie Sie wis­sen, der Him­mel, ich fand nicht mehr zu­rück und habe ir­gend­wo dort un­ten in den Wein­fel­dern mich schla­fen ge­legt. Sie se­hen die Erde an mei­nen Klei­dern.«

Der Ad­vo­kat wand­te ihn um und mus­ter­te al­les.

»Das ist er­staun­lich.«

Da­rauf mach­te er eine gleich­gül­ti­ge Mie­ne.

»Sie ha­ben also aus­ge­ruht. Dann schla­ge ich Ih­nen vor, mich zu be­glei­ten. Ich zei­ge Ih­nen un­se­re Ge­gend, mein Herr. An Vil­las­cu­ra wer­den Sie vor­bei­ge­kom­men sein, wie?«

»Ich weiß nicht, mein Herr, was Sie mei­nen. Ich sag­te Ih­nen schon, ich war dort un­ten.«

Der Ad­vo­kat sah ihn vor­wurfs­voll an, zog schwei­gend einen Ta­schen­spie­gel her­aus und hob ihn vor das Ge­sicht des an­de­ren.

»Was soll das?« frag­te der Te­nor, aber er sah hin­ein, – und er fand sei­ne Au­gen dar­in noch fins­te­rer, als er sie ge­wollt hät­te, denn sie wa­ren um­rän­dert und das Ge­sicht sehr blass. Aus sei­ner kör­ni­gen Mar­mor­bläs­se war die Wär­me ge­wi­chen, und die schwar­ze Haar­wel­le über der Stirn, die Bar­ren der Brau­en, der dick­ro­te Mund spran­gen ge­walt­sam her­vor aus dem grel­len Weiß.

»Ich sage nicht«, er­klär­te der Ad­vo­kat, »dass es Ih­nen schlecht ste­he, über­näch­tig aus­zu­se­hen. Der Schön­heit von euch Jun­gen schla­gen die Stra­pa­zen eu­rer Näch­te gut an. Wehe uns rei­fen Män­nern! Aber was ich an­deu­ten woll­te: ein ru­hi­ger Schlaf auf der wei­chen Erde des Wein­ackers, in lau­er Nacht­luft, hät­te Sie schwer­lich so zu­ge­rich­tet.«

Er streck­te, be­vor der an­de­re auf­brau­sen konn­te, bei­de Hand­flä­chen hin.

»Mein Herr, Sie hal­ten mich of­fen­bar für Ihren Feind. Ich bin nicht Ihr Feind, mein Herr. Im Ge­gen­teil, ich bil­li­ge durch­aus, dass die jun­gen Leu­te, noch dazu wenn sie Künst­ler sind, sich un­ter­hal­ten. Was tut es üb­ri­gens mir, der ich Jung­ge­sel­le bin. Mei­ne ver­hei­ra­te­ten Freun­de frei­lich wer­den in ih­rer Aner­ken­nung nicht so weit ge­hen« – und der Ad­vo­kat wag­te wie­der ein Lä­cheln.

»Also ich bin Ihr Freund, mein Herr, und wenn Sie mir – als Gent­le­man wer­den Sie es na­tür­lich nicht tun – ver­ra­ten wür­den, in wel­chem Hau­se un­se­rer Stadt Sie die­se Nacht ver­bracht ha­ben: Sie könn­ten sich ver­las­sen auf den Ad­vo­ka­ten Be­lot­ti.«

Die Mie­ne des Te­nors rüs­te­te plötz­lich ab, er sah fried­lich, so­gar un­be­tei­ligt aus.

»Ach so«, mach­te er. »In der Stadt, glau­ben Sie –. Wa­rum auch nicht?«

Und er be­gann zu la­chen, mit leich­ter, hel­ler Glo­cken­stim­me. Der Ad­vo­kat rieb sich die Hän­de.

»Se­hen Sie wohl? Wir fan­gen an, uns zu ver­ste­hen. Wie soll­ten üb­ri­gens zwei Män­ner wie wir sich nicht ver­ste­hen, wenn es sich um die Frau­en han­delt.«

»Sie ha­ben recht!« und der Te­nor lach­te stär­ker. Der Ad­vo­kat stieß ihm sei­nen Zei­ge­fin­ger vor den Ma­gen.

»Ah! Spaß­vo­gel! Un­se­re Stadt ge­fällt Ih­nen wohl? Sie ist klein, aber das hin­dert uns kei­nes­wegs an ele­gan­ten und hei­te­ren Sit­ten. Un­se­re Frau­en: nun, wir sind un­ter uns jun­gen Leu­ten, nicht wahr?«

»Frei­lich! Spre­chen Sie!«

»Wenn ich dürf­te! Nur das eine: die, bei der Sie die­se Nacht wa­ren, bin ich si­cher, auch mei­ner­seits zu ken­nen.«

»Ich bin da­von über­zeugt!« rief der Te­nor und lach­te bei­na­he ver­zwei­felt.

Der Ad­vo­kat war ganz in Feu­er, er schlug die Luft mit bei­den Han­drücken.

»Sie wür­den stau­nen, woll­te ich Ih­nen die vol­le Wahr­heit sa­gen über mich und über die jün­ge­ren Kin­der un­se­rer bes­ten Fa­mi­li­en.«

Er war ste­hen­ge­blie­ben und zeig­te dem jun­gen Man­ne sei­ne auf­ge­ris­se­nen Au­gen, die nicht zuck­ten.

»Sie sind be­wun­derns­wert«, ver­setz­te der Te­nor mit Nach­druck, und sie gin­gen wei­ter. Als der Ad­vo­kat ver­schnauft hat­te:

»Dass ich nicht ver­ges­se, in Vil­las­cu­ra Eier zu kau­fen.«

»Was ha­ben Sie mit Ih­rer Vil­las­cu­ra?«

»Oh! Sie wer­den schon wie­der so düs­ter, wie der Name der Vil­la. Er ge­fällt Ih­nen nicht? Ich brin­ge von dort, um den Stadt­zoll zu spa­ren, mei­ner Schwes­ter zwei Dut­zend Eier mit. Es ist eine Ge­wohn­heit.«

»Aber die­se Vil­las­cu­ra ist nir­gends zu se­hen. Wie lan­ge sol­len wir denn ge­hen?«

»War­ten Sie, bis die Stra­ße sich um den Berg wen­det! – und be­trach­ten Sie in­zwi­schen die­se schö­nen Mais­pflan­zun­gen, die Öl­hai­ne bis weit ins Tal hin­ein: sie ge­hö­ren zu der Vil­la, die Sie nicht lei­den mö­gen, mein Herr. Der Herr Nar­di­ni ist un­ser größ­ter Öl­pro­du­zent: drei­hun­dert Hek­to­li­ter jähr­lich. Ob­wohl er mein po­li­ti­scher Geg­ner ist, wer­de ich nie­mals leug­nen, dass er sei­ne Ge­schäf­te ver­steht und da­durch der Ge­gend nützt. Was sei­ne Ge­sin­nun­gen be­trifft, so sind sie be­kla­gens­wert. Die­ser ver­stock­te Alte gibt sich als Stüt­ze der hie­si­gen Pries­ter­par­tei her. Da­bei hät­te er, fünf Jah­re sinds, Mi­nis­ter wer­den kön­nen! Die Be­din­gung war ein­zig, dass er sei­ne En­ke­lin mit dem Nef­fen des eh­ren­wer­ten Ma­cel­li ver­hei­ra­te­te, ei­nes großen Tie­res aus der De­pu­tier­ten­kam­mer, – und dar­an schei­ter­te der Plan, denn der alte Nar­di­ni ist dar­auf ver­ses­sen, die Alba ins Klos­ter zu sper­ren. Wa­rum er­schre­cken Sie denn?«

»Ich er­schre­cke nicht. Ein Stein hat mir weh ge­tan; die­se Schu­he tau­gen nicht für das Land.«

»Aber un­se­re Stra­ßen sind gut! Es sind Distrikt­stra­ßen, – und nicht län­ger als sie­ben Jah­re ist es her, dass die Re­gie­rung zu ih­rer Er­neue­rung fast hun­dert­tau­send Lire aus­ge­ge­ben hat.«

Der Ad­vo­kat ließ mit der großen Zahl sei­nen Mund los­ge­hen wie eine Ka­no­ne.

»Dazu kommt, dass die Vi­zi­nal­we­ge, auf mei­nen An­trag und ge­gen den Rat des Ge­mein­dese­kre­tärs, zu glei­chen Tei­len von der Stadt­ge­mein­de und der Frau Fürs­tin Ci­pol­la …«

»Gibt es denn ein Frau­enklos­ter hier?« frag­te der Te­nor.

»Wa­rum? Die Frau Fürs­tin, de­ren Be­sit­zun­gen in die­ser Ge­gend ich zu ver­wal­ten die Ehre habe, lebt in der großen Welt, in Rom, mein Herr, in Pa­ris … Aber na­tür­lich, auch ein Frau­enklos­ter ha­ben wir, ob­wohl wir bes­ser et­was an­de­res da­für hät­ten; und ich wer­de es Ih­nen zei­gen. Sie den­ken wohl Ihre Küns­te an je­nen hei­li­gen Un­ter­rö­cken zu er­pro­ben? Ah! er schreckt vor nichts zu­rück. Aber das eine dür­fen Sie im­mer­hin ver­ra­ten: die Dame der ver­gan­ge­nen Nacht wird dick ge­we­sen sein, wie?«

»Wer weiß.«

»Denn ich ver­ste­he mich dar­auf: Sie sind ganz der Ty­pus der Di­cken, – die üb­ri­gens am we­nigs­ten Wi­der­stand leis­ten, wie all­ge­mein be­kannt. Aber hier ste­hen wir vor der Vil­la, die Ih­nen un­auf­find­bar schi­en. Und da Sie sich in der Ge­sell­schaft des Ad­vo­ka­ten Be­lot­ti auf­hal­ten, ist es Ih­nen er­laubt, mein Herr, die Pfor­te zu­rück­zu­sto­ßen und zwi­schen die­sen lan­gen He­cken den Duft der Ro­sen zu at­men.«

Der Ad­vo­kat fass­te Fuß und at­me­te ge­räusch­voll.

»Scheint es nicht ein Traum? Am Ende die­ses Gan­ges von Ro­sen und Zy­pres­sen das stil­le Haus, mit sei­nen zwei weit vor­grei­fen­den Flü­geln und dem ver­schwie­ge­nen Trakt in ih­rer Mit­te, tief da­hin­ten in grün­li­cher Däm­me­rung, un­ter der Berg­wand! Wen­den Sie nicht ein, sol­che Lage nach Nor­den sei un­ge­sund: ich weiß es zu gut; – aber wie poe­tisch ist die­ser Schat­ten, feucht duf­tend, durch­rauscht vom Was­ser­fall, über dem Sie dort oben un­ser neu­es Elek­tri­zi­täts­werk er­bli­cken, und er­füllt mit Blu­men. Ah! mein Herr: Blu­men, Mu­sik und Frau­en!«

Plötz­lich be­gann er durch die Hän­de zu keu­chen:

»He, Nic­co­lo! Die Eier!«

In­des der Bur­sche nä­her kam, wi­ckel­te der Ad­vo­kat hin­ter sich ein lan­ges Netz her­vor.

»Dass du mir fri­sche gibst, Nic­co­lo! Dass du rich­tig zählst: zwei Dut­zend!«

Er rief hin­ter­her:

»Die Frau Ar­te­mi­sia denkt noch im­mer an je­nes fer­ti­ge Kücken, das in ei­nem dei­ner Eier auf den Tisch kam.«

Dann fass­te er den Te­nor un­ter den Arm.

»Kom­men Sie doch, mein Freund! Wa­rum so schüch­tern? In mei­ner Beglei­tung sind Sie hier zu Hau­se.«

Nel­lo Gen­na­ri streng­te sich an, sein Zit­tern zu un­ter­drücken. Er er­schrak vor den Far­ben der Ro­sen, die in der Nacht, als er hier ge­kniet hat­te, er­lo­schen ge­we­sen wa­ren. Das Haus war, dort in­nen zwi­schen sei­nen bei­den Flü­geln, so schwarz ge­we­sen wie die Luft, und in je­nem Win­kel hat­te, starr und weich, das fast er­stick­te Licht ge­zö­gert, zu dem er ge­be­tet hat­te.

Der Ad­vo­kat führ­te ihn, seit­wärts vom Hau­se, ge­gen die wei­ße Ba­lus­tra­de hin­auf. Die Bü­sche an der Trep­pe spritz­ten Trop­fen, da Nel­lo sie streif­te, und dro­ben ließ der Ge­ruch ur­al­ter, nie be­sonn­ter Zy­pres­sen ihn er­schau­ern, wie vor dem Gra­be. Die schwe­ren Bäu­me er­stie­gen, eine Schar düs­te­rer Pil­ger, in Paa­ren den Berg, und auf­ge­hal­ten durch Klüf­te, zer­streu­ten sie sich, um, sel­te­ner und schwä­cher, die Kup­pe zu er­rei­chen. Ein fast fens­ter­lo­ses Ge­mäu­er starr­te vom Ran­de des Fel­sens, des­sen graue Aus­buch­tung es ver­län­ger­te, senk­recht auf die Vil­la her­ab: wa­chend und dro­hend.

»Das Klos­ter«, er­klär­te der Ad­vo­kat. »Die hier kön­nen es aus ih­ren Fens­tern se­hen und sich mit den hei­li­gen Un­ter­rö­cken gu­ten Tag sa­gen. Sie tun es auch, sie ge­hö­ren zur Fa­mi­lie, – und jede Frau die­ses Hau­ses zieht schließ­lich in je­nes hin­auf.«

Er führ­te den jun­gen Mann eine Stre­cke fort und raun­te:

»Schon die Frau des Al­ten ist dort oben ge­stor­ben. Oh, das sind Ge­schich­ten, die nie­mand mehr ver­bür­gen kann. Sie soll ihm ent­flo­hen sein, mit ei­nem Of­fi­zier; und als sie, krank und reu­ig, zu­rück­kam, hat er sie da oben ein­quar­tiert. Auch sei­ne Toch­ter ist, als ihr Mann tot war, hin­auf­ge­stie­gen und hat dro­ben schnell ge­en­det. Wa­rum ster­ben hier alle, sind trau­rig und hal­ten es mit den Pries­tern? Es wird am Schat­ten lie­gen; denn kaum, dass den Rand des Gar­tens zur Mit­tags­stun­de ein we­nig Son­ne be­rührt; – und man mag sa­gen, was man will, das Le­ben im ewi­gen Schat­ten verdirbt das Blut und ver­schlech­tert den Cha­rak­ter. Wol­len Sie ein Bei­spiel? Ge­hen Sie nach Spel­lo hin­un­ter: es liegt in der Son­ne. Alle Män­ner ha­ben dort Te­nor­stim­men, alle Frau­en sind dick und schön. Ge­gen­über, am Nor­dab­hang, ist La­ci­se. Nun wohl, mein Herr: die Frau­en von La­ci­se sind gelb und schmut­zig und die Män­ner al­le­samt Räu­ber.«

»Ja­wohl, ja­wohl. Aber Sie sag­ten, dass aus die­sem Hau­se jede Frau dort oben …«

»Jede kommt ins Klos­ter« – und der Ad­vo­kat schob mit ge­spreiz­ter Hand alle Hoff­nung fort.

»Aber, heut­zu­ta­ge …«

Nel­lo muss­te hin­un­ter­schlu­cken.

»– ist man auf­ge­klärt, nicht wahr?«

Da der Ad­vo­kat nur die Luft aus­stieß –

»Auch wird ein al­ter, al­lein­ge­blie­be­ner Mann sich nicht frü­her als nö­tig von sei­ner Toch­ter tren­nen.«

»Nö­tig? Sie wis­sen also nicht, was solch ein Fa­na­ti­ker nö­ti­ger hat: die Lie­be ei­ner Toch­ter oder den Se­gen der Pfaf­fen? Oh! mein Herr, es ist nur all­zu ge­wiss, dass un­se­rer Ge­gend ein großer Scha­de be­vor­steht und eine un­se­rer reichs­ten Er­bin­nen in sträf­li­cher­wei­se der Welt, der bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft, dem Fa­mi­li­en­le­ben und dem ge­mei­nen Nut­zen ent­zo­gen wer­den wird!«

Die Mie­ne des Frem­den hat­te auf ein­mal et­was Dunkles und Höh­ni­sches.

»Ge­wiss war­te­te schon man­cher auf sie? Und in der Stadt wer­den Sie einen Zir­kel ha­ben, wo Alba als jun­ge Frau ge­tanzt und Ge­dich­te her­ge­sagt hät­te? Und den Ar­men hät­te sie Sup­pe ge­kocht? Hät­te auch Lieb­ha­ber ge­habt? Vi­el­leicht Sie selbst, Herr Ad­vo­kat?«

»Eh! weiß man das je­mals?« keuch­te Be­lot­ti und riss Schul­tern und Arme zu­rück. Der jun­ge Mann wen­de­te sich um­her. Aber auf­la­chend:

»Auch die Klös­ter wol­len le­ben; und dort oben wird sie we­nigs­tens al­lein und frei sein!«

Ah! tau­send­mal lie­ber woll­te er sie dort oben ver­schwun­den, be­gra­ben wis­sen, als le­bend un­ter Ge­mei­nen, auf ge­mei­nen Plät­zen, in ge­mei­nen Ar­men!

»Sie wird rein sein«, dach­te er, in­des der Ad­vo­kat ihn ent­täuscht be­trach­te­te, und wun­der und be­ben­der: »Nie wer­de ich sie wie­der­se­hen. Aber auch kein an­de­rer wird sie se­hen.«

Da sprang er zu­rück und griff nach dem Ge­län­der.

»Was ist ge­sche­hen?« frag­te der Ad­vo­kat er­schreckt. Der Te­nor hielt die Hand aufs Herz ge­drückt und ant­wor­te­te nicht. Der Ad­vo­kat folg­te sei­nem ver­stör­ten Blick, der in die of­fe­ne Ter­ras­sen­tür ging.

»He! Nic­co­lo! Da sind wir«, rief er, und der Bur­sche kam her­vor mit dem ge­füll­ten Netz.

»Ah, Sie sind schreck­haft, jun­ger Mann« – und Be­lot­ti klopf­te Nel­lo auf die Schul­ter. »Sie ha­ben Ner­ven: wie alle Künst­ler. Man weiß auch, wo­von.«

Er zwin­ker­te und klopf­te. Nel­lo ent­riss ihm die Schul­ter. Er beug­te sich über die Ba­lus­tra­de und schloss die Au­gen. Sie hät­te es sein kön­nen! Was soll­te ge­sche­hen, wenn er sie wie­der­sah! Schon die­se Nacht, ver­lebt in ih­rem Be­reich, un­ter Din­gen, die ihre wa­ren, hat­te ihn ent­zückt und er­schöpft.

Er stieg, un­be­ach­tet von den bei­den, die über den Preis der Eier strit­ten, in den Gar­ten hin­ab. War nicht dies die Bank, auf der er ge­ruht hat­te und wo ge­wiss auch sie sich nie­der­setz­te? Im Dun­keln hat­te er auf dem Wege nach ei­ner Spur ih­res Fu­ßes ge­tas­tet, hat­te sei­ne Hand dar­in ge­kühlt und sei­ne Lip­pen dar­auf ge­drückt. Wo war nun die Spur?

»Habe ich sie mir denn vor­ge­täuscht? Ach, ich schmei­chel­te mir auch, der Nacht­wind brin­ge mir den Duft ih­res Zim­mers: ih­ren Duft; und bloß das Beet hier war es, das ich roch. Ich bin ein Narr, bin lä­cher­lich. Habe ich nicht auf die­sen Brun­nen­stu­fen zu ster­ben ge­dacht – und von ihr ge­fun­den zu wer­den, wenn sie am Mor­gen die Fri­sche des Quells auf­such­te? Jetzt ist es schon heiß, mich dürs­tet, und ich füh­le mich, noch un­ter ih­ren Fens­tern, so fern von ihr und al­lein.«

Er sah in der Scha­le, wor­aus er trank, sei­ne schmerz­er­füll­ten Au­gen, hör­te auf den be­grün­ten Qua­dern, die Zy­pres­sen­rei­he ent­lang, sei­nen dump­fen Schrit­ten zu und fand die klei­ne Pfor­te wie­der, die er schon bei tiefer Nacht in den An­geln ge­ho­ben hat­te, da­mit sie nicht knarr­te. Auf der Land­stra­ße ging er rasch da­von; und im Ge­hen brei­te­te er die Arme aus, und nun wie­der, und schüt­tel­te dazu den Kopf.

*

Als der Ad­vo­kat Be­lot­ti ihn ein­hol­te, sah Nel­lo ver­wirrt um­her: wo war er doch?

»Mein ar­mer jun­ger Freund, Sie müs­sen taub ge­wor­den sein; ich schreie und schreie: Sie lau­fen im­mer ra­scher …«

Da der Te­nor sich nicht ent­schul­dig­te, tat Be­lot­ti es. Er habe war­ten las­sen; aber wenn man wüss­te, wie ge­nau sei­ne Schwes­ter es mit den Ei­ern neh­me; – und er wog das Netz in der Hand.

»Die schlech­ten muss ich be­zah­len. Ah, die Frau­en! Aber be­ach­ten Sie das städ­ti­sche Wasch­haus! Ich bin es, der sei­ne Er­rich­tung be­an­trag­te und, wie­der ein­mal dem Igno­ran­ten Ca­muz­zi zum Trotz, durch­ge­setzt hat. Es hat mir Ge­nug­tu­ung be­rei­tet, zum Wohl der Frau­en ar­bei­ten zu kön­nen, und sie sind mir er­kennt­lich da­für, sie ver­brei­ten mei­nen Ruf als Volks­freund. Gu­ten Tag, Fa­nia, gu­ten Tag, Nanà!«

Der Bar­bier No­nog­gi kam ih­nen ent­ge­gen. Er ging wip­pend und ganz auf die lin­ke Sei­te ge­legt. Rechts trug er sei­ne ab­ge­schab­te Le­der­ta­sche und schwenk­te sie bei je­dem Schritt, in­des der lin­ke Arm steif blieb. Bis auf den Bo­den zog er schon von wei­tem den Hut, gri­mas­sier­te und kräh­te dazu:

»Gu­ten Mor­gen den Her­ren! Welch glän­zen­der Tag. An sol­chem Tage stirbt man nicht!«

»Wir den­ken nicht dar­an, No­nog­gi«, er­wi­der­te der Ad­vo­kat. »Ihr geht wohl zum Nar­di­ni? Grüßt ihn von mir: ich sei heu­te be­reits in Ge­schäf­ten bei ihm ge­we­sen.«

»Sie se­hen schlecht ra­siert aus«, sag­te der Bar­bier zu Nel­lo Gen­na­ri. »Das miss­fällt den Frau­en, mein Herr. Wenn Sie sich mit dem Sitz auf je­nem Stein be­gnü­gen wol­len – er ist im Schat­ten – be­die­ne ich Sie so­gleich … Sie wol­len nicht? Sie ha­ben un­recht. Wir se­hen uns also ein an­der­mal. Euer Die­ner, ihr Her­ren!«

Der Ad­vo­kat rief ihn zu­rück. Er war­te­te, bis der Bar­bier nahe her­an­ge­kom­men war, sah sich um und sag­te halb­laut:

»No­nog­gi, habt Ihr den Baron ge­se­hen? … Ich auch schon. No­nog­gi, es ist et­was vor­ge­fal­len zwi­schen ihm und je­ner Frem­den im ›Mon­d‹, der Ko­mö­di­an­tin …«

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