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Tag 1 (18.07.2018): Von Raitschin zur Juchhöh
km: 19 – 55
Nachts schlafe ich schlecht. Um drei Uhr wache ich auf. Schmerzen im linken Fuß. Zwei Stunden lang geht mir vieles durch den Kopf: Schaffe ich die 1.400 Kilometer entlang des Grünen Bandes bergauf und bergab? Was tue ich mir hier eigentlich an? Wie soll das die nächsten Wochen weitergehen, wenn ich schon nach 20 Kilometern körperliche Probleme bekomme? Was hat mich eigentlich dazu getrieben, diese Reise in die eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu unternehmen? Nach zwei Stunden ausgefüllt mit Schmerzen und Fragen schlafe ich wieder ein.
Gutes Frühstück im Gasthaus Raitschin: Ei, frisches Obst, Cappuccino etc. Gegen halb neun voll bepackt losgekommen.
Wir fahren nach Schwesendorf. Nach weiteren, wenigen Kilometern gelangen wir zum Dreiländereck (tschechisch: Trijmezi) mit einer Staatsgrenze -Tafel, tschechischen Hoheitsschildern und Wappen ( Ceska Republika ), deutschem Fähnlein, das jemand in der Mitte kreisrund ausgeschnitten und an einen Baum geklemmt hat. Grenzsteine von 1844, mit einem nachgemalten „D“ darauf. Geschichtsfälschung? Die tschechische Seite ist dagegen sehr gut mit Informationstafeln und Ähnlichem ausgestattet.

Start: Dreiländereck Tschechien- Bayern – Sachsen
Hier beginnt also der deutsche Teil des so genannten Eisernen Vorhangs, der sich von Nord nach Südost durch ganz Europa zog. Deutsche Teilung auf 1.400 km. Ein Ergebnis des Überfalls Nazi-Deutschlands auf Polen im September 1939, des 2. Weltkrieges mit ca. 50 Millionen Toten und der Beschlüsse der Alliierten Siegermächte, dokumentiert im Potsdamer Abkommen Anfang August 1945. Die Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen, der Kalte Krieg in den ersten Nachkriegsjahren, der in die Gründung der Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1949 und der Deutschen Demokratischen Republik am 7. Oktober desselben Jahres mündete. Eine Grenze, die in den 50er Jahren immer undurchlässiger wurde, bis dann am 13. August 1961 mit dem Bau der Mauer in Berlin die deutsche Teilung im wahrsten Sinne des Wortes für die nächsten knapp vier Jahrzehnte zementiert oder besser gesagt einbetoniert wurde.
Doch zurück zur Gegenwart. Wir entscheiden uns für die harte Tour und folgen dem direkten Grenzverlauf: auf einem kleinen Steg über den Grenzbach und die Fahrräder über zwei Haine hinweg- bzw. durchgeschoben. Dort stoßen wir zum ersten Mal auf die DDR-KFZ-Sperre mit Betonteilen, die gerade noch zu erkennen ist.

Die ersten 25 km nach Mödlareuth
Dann unsere erste Fahrt auf dem ehemaligen Kolonnenweg, ausgelegt mit löchrigen Betonplatten, alles sehr holprig. Es macht sich bezahlt, dass wir Trekkingräder mit breiten Reifen haben. Dazu habe ich auch noch eine gute Federgabel vorn und unter dem Sattel ein Federparallelogramm.
Nach ca. einer Stunde Ende Gelände: das Gras ist so hoch, dass es sich in der Kettenschaltung meines Fahrrads festsetzt und an ein Weiterfahren nicht mehr zu denken ist.
Es fängt ja gut an!

Über Stoppelfelder nach Posseck
Mit vereinten Kräften befreien wir die Zahnritzel von den Gräsern. Dann geht die Fahrt weiter über das gerade abgeerntete Feld kilometerweit, holpernd weiter Richtung Posseck, einem ehemaligen Grenzort auf DDR-Seite.
An einer Gasstation, wenige Meter von dem früheren Grenzverlauf entfernt, treffen wir auf zwei Monteure, die sich in der Mittagspause ein bisschen sonnen. Sie berichten von ihren Erfahrungen vom November 1989. Sie fuhren mit dem Trabbi nach Hof, wo alle Straßen verstopft waren. Sie hätten sich an den vollen Schaufenstern die Nasen plattgedrückt. Nein, heute gebe es keine großen Unterschiede mehr zwischen Bayern und Sachsen, Fachkräfte würden überall gesucht. Im Vogtland gibt es anscheinend nur 6 Prozent Arbeitslosigkeit. Hat sich in den letzten drei Jahrzehnten seit dem Fall der Mauer in der ehemaligen DDR doch alles normalisiert und verbessert?

Mödlareuth – „Little Berlin“
Nach den vorherigen Erfahrungen mit dem Kolonnenweg folgen wir ab Posseck meist den Landstraßen der Grenztour 3. Es geht durch kleine Orte, wir treffen auf freundliche Leute, die Antwort geben, wenn man nach dem Weg fragt. Aber so langsam wird es anstrengend. Kurze, wohltuende Pause auf einer Bank am Waldrand mit Blick auf eine schöne Kirche (St. Clara, Heinersgrün) Danach wird es richtig schön proppenheiß, aber der Akku bringt den E-Motor in Schwung und wir kommen die Hügel gut hoch.
Über Münchenreuth geht es nach Mödlareuth – die Amerikaner nannten es „Little Berlin“ -, dem ehemals zweigeteilten Ort, der Vorbild für die ZDF-Serie „Tannbach“ war.
Gespräch mit einem ehemaligen Grenzsoldaten, der 1964 ein paar Monate Dienst bei den DDR-Grenztruppen abgeleistet hat. Alles sei relativ easy gewesen. Ja, es habe sogar Kontakte zwischen West und Ost gegeben. Eine West-Frau aus Mödlareuth, die Bierflaschen trug, wurde von DDR-Grenzern angesprochen, sie solle doch mal ein paar Bier rüberbringen. Die Flaschen seien doch leer, antwortete sie. „ Dann bring uns nachher auf dem Rückweg doch ein paar volle mit.“ Gesagt, getan. Kein Problem. – Kleiner (inoffizieller) innerdeutscher Grenzverkehr.
Später ergibt sich eine Diskussion mit einer Frau auf dem Museumsgelände. Die Entwicklung und die Ereignisse nach der Wende beschämen sie. Zuerst fand sie Arbeit im schwäbischen Backnang, weil die eigene Lederfabrik in Hirschberg stillgelegt worden war. Nach zwei Jahren im Westen war allerdings auch in Backnang Schluss. Viele Leute wussten zu DDR-Zeiten, wie es im Westen aussah, aber sie hätten sich blenden lassen. Damals hätten sie geschimpft und heute wieder. „ Andererseits: Die Politiker hören ja nicht auf uns!“ Sie hat große Zweifel, wenn sie betrachtet, wie der NSU-Prozess in München verläuft.
In der Gaststätte „Grenzgänger“ auf der thüringischen Seite genießen wir leckeren Kuchen und Radler. Dors ist froh, dass er seinen, sorry, den Akku seines Fahrrades aufladen kann.
Beim Besuch des Museums auf der bayrischen Seite sehen wir eine Filmdoku und viele alte Fahrzeuge, die beiderseits der Grenze zum Einsatz kamen. Eine Freianlage mit Beton-Mauer und Grenztürmen sowie dem Sperrzaun haben wir vorher auf der DDR-Seite besichtigt.

Grenzmuseum Mödlareuth
Gegen Ende des Nachmittags geht es weiter zum Gasthaus „Juchhöh“. Dort werden wir durch die Wirtsleute freundlich empfangen. Beim Unterstellen der Fahrräder gibt es einen ersten Austausch mit dem Wirt: Er habe kein Mitleid mit den Leuten, die an der Grenze umgekommen sind. Alle zweihundert Meter hätten ja entsprechende Warnschilder gestanden! Ich bin sprachlos angesichts der mehreren hundert Toten, die bei Fluchtversuchen aus der DDR in den Westen an der Grenze umgekommen sind.
Wir erhalten zwei einfache Zimmer und zum Abendbrot einen gut schmeckende Strammen Max, obwohl die Küche eigentlich geschlossen ist.
Unser Gasthaus war faktisch das Freizeitzentrum für die Reservisten der Nationalen Volksarmee (NVA), die in der Nachbarschaft in einer öden Kaserne untergebracht waren. Der Wirt war auch eine Zeit lang im Einsatz dort und konnte offenbar den nachfolgenden Jahrgängen in seiner Kneipe in den dienstfreien Stunden attraktive Zerstreuung bieten. Die holprig gereimten Gruß-Devotionalien ganzer Kompanien an den Wänden aus den Siebziger und Achtziger Jahren bezeugen dies.
Im Zimmer, einfach, aber sauber, erstmal Wäsche gewaschen. Schwertransporter und große Laster donnern im Affentempo am Haus und meinem Fenster vorbei. Starke Geräuschbelästigung. Schlimmer als auf einem Autobahnparkplatz. Egal, um kurz vor zehn geht es ins Bett. Total kaputt und geschafft.
Tag 2 (19.07.2018): Von Juchhöh bis Nordhalben
km: 55 – 92
Die Nacht im Gasthaus „Juchhöh“ habe ich besser geschlafen als die erste Nacht in Raitschin, trotz starker Geräuschkulisse: Schwerlasttransporter, die auf der Straße vorbeigebrettert sind.
Sehr gutes Frühstück von den Wirtsleuten zubereitet. Der Wirt zeigt uns das Fotoalbum eines ehemaligen Offiziers der DDR-Grenztruppen mit Fotos der Bauarbeiten des Autobahnübergangs 1985-1987. Die west-deutsche Baufirma HOCHTIEF hat mitgebaut.
Start um 8.30 Uhr nach Hirschberg. Serpentinen mit vielen Kanalschächten. Genau wie zwischen Kassel und Landwehrhagen. Erinnerung an meine Bundeswehrzeit Ende der Sechziger Jahre in Kassel. Habe damals keine Sicherheitsstufe bei der Bundeswehr wegen meiner DDR-Verwandtschaft Ersten Grades bekommen.
Hirschberg: ehemalige Lederwarenstadt. Fast das ganze Fabrikareal wurde nach 1990 platt gemacht. Nazikunst aus 1937 in Form von drei überlebensgroßen Arbeiterstatuen sind vor dem Museum ausgestellt.
Fahrt entlang der Saale an Schieferabbau vorbei. Landschaftlich sehr schön. Überquerung der Autobahn bei Rudolfstein, Weiterfahrt über Sparnberg nach Pottiga. Gespräch mit einer älteren Frau: ehemalige Grenzer von Ost und West treffen sich alle 4 Wochen. Herr Oe. aus der BRD organisiere das.

Blick auf die Saale bei Sparnberg
Skywalk-Aussichtsplattform: Gespräch mit W. aus Naila. Sportlicher 80-Jähriger mit E-Mountainbike, früher in der Laufszene aktiv, Berlin Marathon, erzählt von den ersten sieben Zügen mit Flüchtlingen aus der Prager Botschaft („ 260 Menschen in einem Waggon, 6 in jeder Toilette“ ), die er als Eisenbahner Anfang Oktober in Hof hat eintreffen sehen.
Danach eine etwas kürzere Begegnung mit einem ehemaligen DDR-Bürger, der im November 1989 an den Demonstrationen in Plauen teilgenommen hat. Mit Fahne, eher unpolitisch, aber: „ Mielke und die anderen führenden DDR-Politiker hätte man an die Wand stellen sollen!“
Jahre vorher habe ein Freund versucht in den Westen zu fliehen, ein halbes Jahr Haft in Chemnitz, danach Bautzen. Später freigekauft von der BRD. Lange Zeit vorher war er mal in einer Kneipe, als ein 15-Jähriger sagte, dass sie sich demnächst in München bei der Olympiade 1972 treffen würden. Danach musste er zur Staatssicherheit (Stasi) nach Plauen, wo man u.a. versuchte ihn anzuwerben. Später wurde dann das Verfahren eingestellt.

Gespräch mit einem 80-jährigen Zeitzeugen
Fahrt in Pottiga den steilen Berg hoch und dann hinunter nach Blankenstein. Unterwegs am alten DDR-Kino mit großer Deutschland-Fahne vor-bei. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein.
Blankenstein: Beginn des Rennsteigs. Den Berg hoch nach Schlegel, an der Wegespinne aber nach Seibitz ins nächste Tal, mit dem Ergebnis, dass wir Richtung Krötenmühle die Räder einen Berg hochschieben müssen. Durch Wiese und Wald bis an den Kolonnenweg und durch Matsch auf die Westseite zur Krötenmühle. Dort ein Schild mit klarem Hinweis: „ Durchgang auf eigene Gefahr .“ Überall auch Hinweise auf Minen. Ein Mann kommt uns entgegen und weist uns darauf hin, dass wir uns auf Privatgelände befinden. Man kenne sich in der Gegend aber nicht so recht aus. Er kommt aus Stuttgart, wohnt hier seit sechs Jahren. Ich sage nur: „ Du bist also auch ein Flüchtling .“ – Er nickt.
…Dann zurück, eine Stunde weiter auf dem Kolonnenweg Richtung Titschendorf, aber zur Sicherheit biegen wir nach einiger Zeit wieder ab auf die bayrische Landstraße. Dors gewinnt Tsching-Tschong-Tschang. Wieder Berg hoch nach Carlsgrün. Eine freundliche Frau, die uns die Richtung nach Langenbach zeigt. Eigentlich wollen wir heute noch bis Tettau kommen.

Blick aufs malerische Saaletal bei Pottiga
Langenbach: Die Sonne brezelt fürchterlich. 26 Grad im Schatten. Gegen drei bin ich total fertig und muss mich im Schatten erstmal ausruhen. Wir sagen erstmal sicherheitshalber bei Dietrich in Tettau, unserem eigentlichen Ziel heute, ab.
Weiter! Kneipe oben links im Dorf: dort eine radebrechende Brasilianerin, die uns wegen Kuchen zur Bäckerei schickt. Die erweist sich allerdings als geschlossen. „ Obrigado“ und ein Lächeln ist auf ihrem Gesicht zu sehen.
In Heinersberg keine Kneipe, aber ein Ausländer vom Balkan, der sein Auto mit Münchner Kennzeichen belädt, gibt uns sehr nett Auskunft. Die Bevölkerung in Deutschland hat sich halt in den letzten 50 Jahren im Westen verändert. Auf thüringischer und sächsischer Seite gibt es keine Ausländer, höchstens welche aus München …, Leute, die sich nach der Wende im Osten preiswert Haus und Grundstück gekauft haben.

„Achtung Minen“- Hinweisschild bei Klösterle
In Nordhalben am Bahnhof im Tal steht ein Triebwagen wie früher zwischen Kassel und Hannoversch Münden. Erinnerung an die Schulzeit in den 60er Jahren. 10 Minuten, zweieinhalbmal Skat gespielt. Keine Smartphones und gar nichts. Wie haben wir das bloß ausgehalten …?
Dors: „ Hast du keinen Sprit mehr?“ Ich: „ 15 % Steigung schaffe ich nicht mehr.“ Dann aber doch das E-Bike auf Turbo gestellt und ab geht die Post den Berg hoch. Oben kaputt bei der Bäckerin angekommen. Stolz erzählt sie uns von den Aufnahmen zum Film „Der Ballon“ mit Regisseur Bully Herbig, der mit vielen Leuten vom Set in ihrem Café verkehrte. Der Film erzählt die Geschichte der Flucht zweier Familien aus der DDR, die Ende der Siebziger Jahre mit einem Heißluftballon hinüber in den Westen gelangt sind. In der nächsten Zeit soll er in die Kinos kommen.
Wir finden gegen fünf Uhr nachmittags Unterkunft in der „Post“ in Nordhalben. Ich bin richtig kaputt und schlafe erst einmal ein. Dors weckt mich. Ein kaltes Bier und dann gegen Abend, als es etwas frischer wird, über Stock und Stein durch den Wald hinauf nach Titschendorf. Dort begegnen wir einem Mann, der gerade grillen will. Er gibt eine nette, zunächst recht knappe Antwort. Später fängt er an zu erzählen: Er war selbst DDR-Grenzer, 1967 bei den Grenztruppen in Titschendorf, das wie in einem fast zugebundenen Sack umzingelt war, nach drei Seiten ringsum die BRD. Er berichtet von seiner Zeit bei der Armee.
Ich kann mich gut in ihn hineinversetzen, weil ich 1967 auch beim Militär war, allerdings bei der Bundeswehr. Er erzählt von der harten Grundausbildung und einem DDR-Grenztruppenoffizier, der mit dem System nicht mehr klarkam und geflohen ist. Bei dem Versuch, kurze Zeit später seine Familie nachzuholen, wurde er von den Grenztruppen festgenommen und verurteilt, 1960 dann soll er in Leipzig geköpft worden sein. Wie mag es der Familie wohl gegangen sein? Eine deutliche, brutale Warnung für andere, die mit dem Gedanken an eine Republikflucht spielten. Es folgte ein längeres Gespräch vor seiner Haustür über die Jahre in Ost und West. Nach der Wende hat dann mein Gesprächspartner in Nordhalben in der Metzgerei gegenüber dem Gasthaus, in dem wir Unterkunft gefunden haben, 20 Jahre lang gearbeitet.
Danach zurück zur „Post“: Schaschlik-Tag. Es schmeckt uns gut. Ein fränkischer Rotwein und eine Flasche Wasser dazu. Ausgleich des Flüssigkeitsverlusts. – Gespräch über den 1. FC Nürnberg, die Clubberer, und Arminia Bielefeld mit einem Mann vom Nachbartisch, jedoch auch über DDR-Geschichte. Geschichtsunterricht etc. („ Thälmann: ja, wurde behandelt. Judenverfolgung im 3. Reich: nein“ ). Der 63-jährige Mann arbeitet bei der Bank und ist ein passionierter Fahrradfahrer. Würde gerne auch mal so eine Tour machen. Zum Thema Flüchtlinge: in seiner evangelischen Gemeinde wurde schon viermal Kirchenasyl gewährt. „ Menschlichkeit ist notwendig in den heutigen Zeiten. Die aktuelle Völkerwanderung werden wir eh nicht stoppen können. “
Ein anderer Gast, ursprünglich aus Cottbus (dem „ Mittelpunkt des früheren deutschen Reiches“ ), hat sieben Jahre in der Nähe von Böblingen bei Stuttgart gearbeitet, ist aber auf Dauer mit der Mentalität der Schwaben nicht zurechtgekommen und dort immer ein Fremder geblieben. Deshalb ist er mit Frau und siebenjährigem Kind nach Nordhalben gezogen und hat ein Haus direkt neben der Gaststätte gekauft. „ Preiswert im Verhältnis zu Stuttgart !“ Er gehe gerne auf Menschen zu, spricht auch von seinem Besuch beim Fanklub der Münchner Löwen. Dann folgt eine kontroverse und emotionale Diskussion zwischen den beiden Männern über die heutige Flüchtlingspolitik. Die SPD wolle den Kapitän eines Rettungsschiffes ehren. – Totales Unverständnis und Ablehnung.
Tag 3 (20.07.2018): Von Nordhalben nach Tettau
km: 92 – 156
Im Gasthaus „Zur Post“ habe ich gut geschlafen. Es war eine Wohltat im Gegensatz zur vorangegangenen Nacht in Juchhöh. Obwohl es den Charme der 80er Jahre hatte, war es sehr ruhig. Am Morgen beobachte ich, wie sich eine ältere Frau aus Nordhalben mit einer Flüchtlingsmutter mit Kind unterhält und versucht ihr zu erklären, was auf dem Informationszettel steht. Sobald wir in den Westen kommen, merken wir, dass in diesem ländlichen Raum die soziale Zusammensetzung offenbar anders ist als auf der Ost-Seite: Es gibt Gastarbeiter und Flüchtlinge.
Wir fahren entlang der Erlebnisstraße der deutschen Einheit, genießen die kleinen Landstraßen mit mäßigen Steigungen, kommen an einer Kuhherde mit einem Bullen, der äußerst schwer an der Last seiner Hoden zu tragen hat, vorbei. So etwas sieht man bei uns nicht.
Kurz vor Lehesten gelangen wir zu einem auffälligen Denkmal: Der Altvaterturm ist eine Wallfahrtsstätte der Vertriebenenverbände. Erika Steinbach, die frühere CDU-Politikern und jetzige Vorsitzende einer AfD-nahen Stiftung, ist auf den ausgehängten Fototafeln zu sehen. Auf mehreren Etagen wird an die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus dem Sudetenland, dem Erzgebirge, aus Schlesien und der Altvaterregion im heutigen Tschechien erinnert. Natürlich auch an die Gräueltaten, die an der deutschen Bevölkerung in den Jahren 1945-1947 begangen worden sind. Benesch-Dekrete. Allerdings kein einziges Wort über die Vorgeschichte und die Ursachen der Vertreibung, die Gräueltaten während der deutschen Besatzungszeit, vom Holocaust ganz zu schweigen.
Ich denke an die rechtzeitige Flucht von Wilma Iggers und ihrer Familie aus Bischofteinitz / Horsovsky Tyn im Jahr 1938, an ihre Verwandten, die nicht emigrieren konnten und folglich umgekommen sind und die multimediale Dokumentation im Rahmen des Projektes „ Zwei Seiten der Geschichte – Erinnern für eine gemeinsame Zukunft “ ( www.zweiseitendergeschichte.de ). An diesem Projekt des Herforder gemeinnützigen Vereins Brücken Bauen e. V. – Verein zur Förderung von interkultureller Verständigung verbringe ich seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten einen gewissen Teil meiner Freizeit gemeinsam mit den Freund/innen und Kolleg/innen des Vereins.
Gespräch mit einem ehemaligen Maurer über das Leben im Osten und Westen, früher und heute. Früher habe es im Osten mehr sozialen Zusammenhalt gegeben.
…Durch einen Tannenwald geht es bergab. Der kleine Pfad ist mit Steinen und Wurzeln übersät. So lege ich mich zum ersten Mal mit dem Fahrrad hin. Ich stürze vom Rad, rolle gekonnt wie ein Stuntman ein paar Meter den Waldboden herunter – nichts passiert! Dors macht ein Foto zur Dokumentation des Sturzes… und schmunzelt.

Altvaterturm: Sturz - Das ging schief bei der Abfahrt
In Lehesten kommen wir an dem Historischen Schieferbergbau, einem technischen Denkmal, vorbei. Dors ist wieder in seinem Element. Leider ist eine Führung erst um 14.00 Uhr möglich. Ich kaufe mir eine kleine Schiefertafel mit Schwamm und Lappen. Erinnerungen werden wach an die Einschulung im Herbst 1955 in Röhrig, als wir unsere ersten Schreibversuche auch noch auf der Schiefertafel unternahmen. Lappen zum Abwischen der Buchstaben nicht zu vergessen.
In Steinbach an der Haide fällt uns mitten im Ort der wunderschöne und große Blumengarten ins Auge, dessen Parzellen sich die Dorfbewohner teilen. Andreas Kieling hat ihn, glaube ich, auf seiner Reise entlang der deutsch-deutschen Grenze in seinem Buch `Ein deutscher Wandersommer´ ebenfalls beschrieben. Ich spreche mit einer älteren Dame. Die Nachbarin, eine Frau – ist es die, die er in seinem Buch abbildet? – gibt bei unserem Anblick Fersengeld.

Blick auf Schiefersee in der Nähe von Lehesten
Wir fahren runter bis ins Tal zur Einöde Falkenstein, wo sich bis in die sechziger Jahre die Bayrische Bierbrauerei Karl Schneider befand. Mitten durch den Gebäudekomplex verlief die Grenze zwischen BRD und DDR. Ein rotes Auto steht auf der Veranda. Wie ist es da hingekommen und haben wir es hier mit Kunst am Bau zu tun? Ein Gedenkstein erinnert an die Öffnung der Mauer im Jahre 1989.
Parallel zu Straße und Bahn, auf Radwegen fahrend, kommen wir nach Probstzella. Das Grenzmuseum im Bahnhof ist geschlossen, nur noch mittwochs sowie samstags und sonntags geöffnet. Ein Symbol für das nachlassende Interesse an der deutsch-deutschen Geschichte? Dors erfährt von einem coolen Jugendlichen, dass das `Haus des Volkes´ in Probstzella zwar ein Hotel sei, aber dass er da wohl nicht reinkommen würde. Ein beeindruckendes Gebäude im Bauhausstil. Wir trinken Kaffee und essen verschiedene Sorten Kuchen. Noch geht es uns gut.

Haus des Volkes in Probstzella – Bauhausstil
Nun treten wir gegen halb vier den Rest unserer Tagesreise nach Tettau zu Dietrich Schütze und seiner Frau Angelika an. Wir verpassen den Weg zur Burg Lauenstein und fahren vom Ort Lauenstein eine 13-prozentige Steigung 5 Kilometer weit rauf. Ich im Turbo. Dors schiebt mindestens den halben Weg. Er kommt in einem erbärmlichen Zustand auf der Bank mit der schönen Aussicht, wo ich es mir gemütlich gemacht habe, an. Mein Akku ist dafür fast leer. Wir fahren bzw. schieben weiter. Im Wald muss ich etwas ausruhen … Ich lege mich am Straßenrand auf ein Stück Rasen und strecke alle Viere von mir. Ich bin total platt…
An der nächsten Weggabelung fahren wir in Richtung Thüringer Warte in der Hoffnung, die Gaststätte „Zum Löwen “ zu finden. Akku aufladen! Es ist aber die verkehrte Richtung. Also zurück! Mit letzter Kraft, zum Glück rollt es bergab, kommen wir auf einem modernen Gehöft bei Ebersdorf an, wo uns eine junge Bäuerin Strom-Asyl gewährt. Eine Stunde Zwischenstopp und viele Informationen über Viehwirtschaft. Die 14 Tage alten Kälbchen saugen an den Fingern. Das kitzelt fürchterlich! Bin ich das Ersatzmuttertier?

Lauenstein: 13 Prozent Steigung auf 5 km – Wir sind beide total fertig
Dann geht es noch einmal für einige Kilometer bei 11 Prozent Steigung die Frankenwaldhochstraße bergauf, bis wir auf der Höhe sind. Ein großes Kreuz mit Stacheldraht. Daneben am Rennsteigweg Hinweisschilder auf ein Gehöft, das sowohl zur DDR als auch zur BRD gehörte. Bewohner hatten wohl beide Ausweise. Irgendwann wurde es geschleift, abgerissen.
Über Klein-Tettau strampeln wir nach Tettau. Es ist mittlerweile kurz nach acht Uhr. Noch einmal 16 Prozent Steigung, allerdings zum Glück nur 1,5 Kilometer, und wir sind endlich auf dem Wildberg 18 angelangt! Begrüßung durch Dietrich. Hier war ich mit Otto Buchholz, meinem leider viel zu früh verstorbenen Freund und Kollegen, im Jahre 1992 schon einmal, als wir von Eisenach den Rennsteig entlanggewandert sind.
Erinnerungen an gemeinsame Zeiten mit Otto Buchholz. Weshalb Dietrich und Angelika sowie eine Reihe anderer alternativer, linker Aussteiger aus dem Rhein-Main-Gebiet 1975 hier in die Einöde, in die Wildnis, keine 50 Meter von der Grenze entfernt, gegangen sind… – sehr spannend und beeindruckend. Natürlich fragen wir ihn auch nach den Ereignissen im November und Dezember 1989. Nähere Einzelheiten erfahren wir auch aus dem Brief an seine Geschwister, geschrieben im Dezember 1989, in dem er die großen Veränderungen detailliert und in beeindruckender Weise aus persönlicher Sicht beschreibt. Ein wirklich zeitgeschichtliches Dokument der Wendezeit.
Am Abend lassen wir uns dann im „Anno Domino “ unten im Ort eine herrliche Pizza schmecken und führen ein sehr interessantes und differenziertes Gespräch mit der jungen Kellnerin. Sie ist in Lehesten geboren und im Alter von 7 Jahren mit ihrer Mutter hier nach Tettau in den Westen gekommen. Bei den jungen Leuten gebe es keine Unterschiede, sagt sie. Kinder aus Tettau gingen in das thüringische Neustadt bzw. Sonneberg in die weiterführenden Schulen und nicht in das bayrische Kronach.
Die Pizza war wohl doch zu fettig: mitten in der Nacht Sodbrennen. Die Knochen tun weh, die Muskeln sind angespannt. Das war bisher der körperlich härteste Tag – 60 km Berg hoch und Berg runter. Wir fahren zukünftig immer mit der Angst, dass der Akku nicht lang genug hält.
