Kitabı oku: «Grenzgänger», sayfa 3

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Tag 4 (21.07.18): Von Tettau nach Sonneberg.

km: 156 -192

Morgens muss es schnell gehen. Ich hänge mit meinen Tagebuchaufzeichnungen hinterher – wie so oft mit vielen Dingen in meinem Leben. Ich versuche immer zu viele Sachen gleichzeitig zu erledigen. Vollgestopft mit Erlebnissen und Eindrücken, körperlich abends so richtig schön ausgelaugt, dass es nur für ein Bier und ein kräftiges Essen reicht. Total ermattet falle ich dann ins Bett, das sich mir gerade anbietet. An Tagebuch schreiben nicht mehr zu denken.

Am nächsten Morgen Frühstück mit Dietrich Schütze, der aus seinem bewegtem Leben erzählt, von den Anfängen der Kommune Wildberg in Tettau, der Zeit in Frankfurt im Revolutionären Kampf , von dem Leben in der Kommune, wechselnden, aber auch stabilen Beziehungen, die das ganze Leben bestehen und gegenseitigen Halt geben. Vor ein paar Monaten sind auch Beiträge über die Anfangszeit und Geschichte der Wildberg-Kommune erschienen, die u. a. der FOCUS Online nachgedruckt hat, so z.B. „ Auch Revoluzzer werden älter: So erging es den Bewohnern, als sie aus der Kommune auszogen “ (19.04.2018) und „ Sex´n´Drugs´n Rock and Roll in der Provinz? Als die Studenten auf dem Land Kommunen gründeten “ (20.04.2018) So werden die 70er und 80er Jahre im Frankenwald noch einmal lebendig.

Wir treffen am Morgen auch Angelika, Dietrichs Frau, die uns ihre mehr als dreißig gewebten Wandteppiche und ihren Webstuhl zeigt. Sie gibt mir einen Einblick in ihre Denk- und Arbeitsweise. Es entwickelt sich ein sehr persönliches Gespräch über unser beider Leben, die Erfahrungen der Kindheit und der Jugend. Sie überreicht mir ein Geschenk: ihren Gedichtband „ … ob es mir denn entgangen, dass ich geweint hab …“ (amicus verlag, 2010) mit einer sehr persönlichen Widmung und guten Wünschen für die weitere Reise. Ich bin berührt.

Dietrich führt uns im anderen Teil des sehr großen Bauernhauses durch die verschiedenen Räume, in denen sich viele seiner selbst gemauerten Kachelöfen befinden. Der untere Teil ist als Café vermietet und läuft anscheinend gut. Eine urige Atmosphäre. Erinnerungen an gemeinsame politische Theateraufführungen mit Otto Buchholz aus Herford, der uns immer und immer wieder in unseren Gesprächen begleitet.

Dietrich hat zahlreiche zeitgenössische Dokumente gesammelt. Fotos aus den 70er Jahren. Zeitungsberichte von der Öffnung der Grenze. Wir sprechen über die Zeit vor 1989 (Probleme mit den US-Truppen, die durch den Hof fahren wollten, um die Grenze zu kontrollieren). Die Bewohner der Kommune haben kurzerhand mal Barrikaden aufgestellt. Auseinandersetzung mit den Ämtern und dem Bürgermeister. „ Kein Wunder, dass wir manchmal einen auf die Fresse bekommen haben, so wie wir uns manchmal verhalten haben .“


Angelika und Dietrich Schütze mit uns auf dem Wildberghof bei Tettau

Der restliche Tag ist relativ schnell erzählt: Fahrt talabwärts zuerst durch den Wald, dann durch ein schönes Tal nach Pressig. Unterwegs eine alte NVA-Kaserne, die nun als Paint-Ball-Eldorado mit allerlei DDR-Militaria ausgerüstet ist. NVA-Fahne, die kopfüber aufgehängt ist. Ostalgie der Jugend?

Es regnet und regnet. Wir quälen uns den Berg zu dem thüringischen Sonneberg hoch und dann wieder runter. Dors‘ Brille beschlägt und es wird so langsam auf der Straße gefährlich. Ich empfinde den Regen zunächst als Befreiung nach all den Tagen der Hitze. Wir kommen nach Sonneberg, eigentlich gießt es so, dass es Regenberg heißen müsste.

In einer Bäckereifiliale unterhalten wir uns sehr nett mit der Verkäuferin, die uns erstmal Kaffee, Bratwürste und Kuchen anbietet. „ Wer Arbeit will, bekommt welche. “ Die Tochter hat BWL mit Schwerpunkt Personal studiert, in Bayern gearbeitet und freut sich jetzt nach der Babypause, dass sie im thüringischen Sonneberg in einem neuen Betrieb anfangen kann. Eine Frage der Mentalität!? – Die Antwort: „ Ja


Ehemalige DDR-Grenzkaserne.

Jetzt Paintball-Gelände mit DDR-Emblemen und -Militärfahrzeugen

Wir entscheiden uns heute nach km 192 insgesamt und nur knapp zwei Stunden Fahrzeit schnell eine trockene Unterkunft zu besorgen und beziehen kleine Einzelzimmer im Hotel zur Schönen Aussicht . Was schön sein soll beim Blick auf die befahrene Straße, ist mir schleierhaft. Beide verfallen wir kurz nach Mittag erst einmal in eine Art Komaschlaf und setzen uns am Nachmittag zusammen und versuchen – vergeblich – die von mir schon mal angefangenen Blogs bei VAKANTIO und JIMDO zum Laufen zu bringen. Wir, besser gesagt Dors, entscheidet sich für einen Blog, der bei wordpress.org gehostet wird.

Abends dann ein Rostbrätl in einer urigen Thüringer Kneipe. Denise, die sehr junge Bedienung, spricht uns mit „ Du“ an, Dors ist ein wenig pikiert, es erinnert ihn an seine Kindheit im Ruhrpott. Wir sprechen über mein „ Du“ ’, wenn ich hier während der Reise mit fremden Leuten, vor allem Männern, spreche. Es ist Teil des „Erbes“ aus alten Zeiten auf dem Bau, als Bier- und Fernfahrer. Es folgen sehr persönliche Gespräche über die Siebziger Jahre, Beziehungen in der DDR etc.

Ergänzung:

Hans Wenzel, Wissenschaftler aus Berlin, den ich während meiner Zeit von 2013 bis 2015 in Moldawien an der Akademie der Wissenschaften kennengelernt habe, hat mir freundlicherweise noch ein E-Mail mit eigenen Erinnerungen geschickt. Er ist in Sonneberg geboren und beschreibt auch das Schicksal seines Vaters, des Leiters der dortigen Sternwarte, nach der Wende. Ich zitiere mit seinem Einverständnis aus seiner E-Mail vom 16.08.18 an mich:

Ich bin in Sonneberg aufgewachsen (geboren 1960), wo noch immer mein Vater lebt. Ich kenne daher das dortige Grenzgebiet sehr gut, sowohl aus DDR-Zeiten (natürlich nur die Thüringer Seite) als auch danach. Die Klößerei in Ketschenbach ist mir sehr gut bekannt! Es gibt auch in Sonneberg eine Ausgabestelle der Klößerei ….

Ich könnte viele Grenzerlebnisse berichten. Unvergessen sind für mich die Zugfahrten von Sonneberg nach Saalfeld über Probstzella mit der Dampflok entlang des Todesstreifens, begleitet von Hunden, welche an gespannten Stahlseilen entlang der Grenze liefen, und die gefürchteten Ausweis-Kontrollen durch die „Trapo“ (Transportpolizei, blaue Uniformen). Die Hunde wurden übrigens nach der Wende an Privatpersonen in Ost und West vermittelt, wobei sie nicht immer ein besseres Leben als vorher hatten (meistens wahrscheinlich aber schon).

Mein Vater war wissenschaftlicher Leiter der Sternwarte Sonneberg-Neufang. Obwohl selbst SED-Mitglied, wurde er von der Stasi überwacht und drangsaliert, weil er einige Entwicklungen in der DDR als überzeugter Kommunist ablehnte.

Leider musste die Sternwarte nach der Wende auf Empfehlung des Wissenschaftsrates die wissenschaftliche Arbeit fast vollständig einstellen, sodass mein Vater sich arbeitslos melden musste (später arbeitete er noch an einem DFG-Projekt mit, was ein Kollege aus einem Max-Planck-Institut für ihn beantragte).

Ein typisches Beispiel, dass im Osten nach der Wende viel ohne Sinn und Verstand platt gemacht wurde, aber auch von westdeutscher Solidarität.

Ich habe eine kurze Biographie meines Vater auf Wikipedia geschrieben: https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang Wenzel . Ein nicht ganz typisches ostdeutsches Wissenschaftlerleben.“

Vielen Dank an Hans Wenzel für diese Information und persönlichen Anmerkungen, die auch ein differenziertes Licht auf die Zeit nach 1989 werfen.

Tag 5 (22.07.2018): Von Sonneberg nach Eisfeld.

km: 184 – 222

Der Tag fängt mit Regen an, der Himmel weint: Dors will heute wieder Richtung Heimat. Vor der ‘Schönen Aussicht’ treffen sich die Sonneberger Mittdreißiger, eher wohl Mittvierziger, im durchgestylten Fahrrad-Outfit … Wenn die wüssten.

Nach dem Frühstück hilft mir Dors noch schnell den Computer bzw. ein paar Programme auf Vordermann zu bringen, damit das ganze Ding schneller läuft. Das Zimmer ist übersät mit Klamotten, die in die beiden Packtaschen und in die Vordertasche passen müssen, dazu noch Zelt, Isomatte und Kamera-Stativ. Voll bepackt wie ein Esel.

Schnell noch etwas Geld von der Sparkasse geholt. Im Osten wie im Westen Paläste. Die Kommunen haben es ja … Dann zum Bahnhof und Dors verabschiedet. Der Himmel weint, leise tropft es auf den Sattel.

Im Regen durch Sonneberg, alles relativ gepflegt, kurz vor der Grenze eine syrische (?), junge Familie auf dem Bahnhof, also doch, es gibt sie auch hier im Osten, zum Glück noch keine ausländerfreien Zonen. Im Zug noch ein kurzein Interview mit Dors über seine bisherigen Eindrücke.


Ketschenbach bei Neustadt b. Coburg: Gaststätte Klößerei

Männer holen den Sonntagsbraten

Richtung Neustadt bei Coburg noch ein Gespräch mit zwei Arbeitern, die sonntags (?) an einer Waschanlage Ausbesserungsarbeiten durchführen. Sie kommen aus dem Westen und arbeiten im Osten. Wohl kein Einzelfall, wie sich in den nächsten Tagen herausstellen sollte. Der „Marktkauf“ lässt in einiger Entfernung grüßen: Subvention Ost?

In Neustadt bei Coburg fällt mir als erstes der türkische Fußballverein auf. Die Häuser machen einen nicht so gepflegten Eindruck wie im thüringischen Sonneberg. Einbildung, Vorurteil? Auf dem Marktplatz ein Gespräch mit einem ca. 55-jährigen Frührentner, der seinen kleinen Hund Gassi führt. „ Schauen Sie sich doch mal den Marktplatz hier an! Nichts mehr los hier, alles runtergekommen .“ Berichtet von seinen Fahrten in den 70er und 80er Jahren zu den Verwandten in die Sperrzone, Treffen in Sonneberg. Die Stasi hörte immer zu.

Tour de Neustadt, einmal im Kreis gefahren – das einzig Gute war, dass ich durch Zufall an der Kultgaststätte, die ich schon aus der Grünen-Band-Literatur kenne, „Klößerei“, dem Gasthaus „Lindenhof“, vorbeikomme. Die Männer stehen in Schlangen vor dem Ausgabefenster und holen in ihren Kochtöpfen den sonntäglichen Braten und die Klöße. Drinnen ist die Hölle los. Ich bestelle mir eine Riesenportion Sauerbraten. Natürlich mit Klößen. Mit vollem Magen geht es weiter: die Karte in Stefan Essers sehr nützlichem Buch ` Radtouren am Grünen Band ´ lügt nicht. Einmal unfreiwillig Neustadt b. Coburg Ortsumgehung. Schließlich finde ich mit Hilfe von Einheimischen raus aus dem Gewirr Richtung Eisfeld. Der nächste Berg wartet. Wie wird der Akku das heute schaffen?

Am Froschgrundsee ein nettes Ehepaar, fitte Radler im Rentenalter: „ Nein, E-Bikes brauchen wir noch nicht.“ Sie wünschen mir eine gute Fahrt. Ein Fahrrad-Haudegen, locker über 70, rät mir von der Nebenstrecke Richtung Eisfeld ab: „ zu viel Berge!“.

In Schalkau versuche ich einen Chai in dem türkischen Imbiss zu bekommen. Ayran? Fehlanzeige. Tote Hose in dem Laden, aber nachher kommen doch noch ein paar Jugendliche und holen sich etwas zu essen.

Fahrt nach Görsdorf, wo wohl noch ein Rest der Grenzanlagen stehen soll. Unterwegs mit einem 30-Jährigen über E-Bikes gefachsimpelt. Er war mit seinen Eltern schon überall in Deutschland, Österreich und hat sogar eine Mountainbike-Tour nach Luxemburg gemacht. Die DDR? Nur vom Hörensagen. Die junge Generation geht offensichtlich anders damit um.

Am Ortseingang von Görsdorf noch kurze Diskussion mit einem Ehepaar meines Alters. „ Wie war das hier an der Grenze im Sperrgebiet“, frage ich. „ Alles ok, man hat sich halt daran gewöhnt. Nur bei Verwandtenbesuchen war es schwierig.“ In Steinwurfweite war der Westen. Fotosession an den Überresten der Mauer. Mein Stativ kommt zum ersten Mal zum Einsatz. In die Mauer haben Leute ein Loch reingeklopft. Symbolik.

Über Umwege auf der westdeutschen Seite nach Eisfeld. Oben auf dem Berg befindet sich die GüSt Rottenbach-Eisfeld. Relativ kaputt frage ich in der großen Tankstelle nach, wo man hier übernachten kann. „Waldhotel Hubertus“ – Großes Hotel: Essen bitte bis 19.30 Uhr bestellen.

Viele Tische mit Reserviert- Schildern, wie früher zu DDR-Zeiten.


Blick auf den Froschgrundsee


Mauerüberreste bei Görsdorf

Nach dem Essen (Thüringer Rostbratwürste mit Sauerkraut) falle ich mit vollem Magen ins Bett. Die Schulter schmerzt gewaltig. Die Füße freuen sich, in die Badelatschen zu kommen. Von 9 bis kurz nach 11 Uhr abends im Koma gelegen. Ist es wohl alles zu viel? Was wird wohl Dors machen?

Tag 6 (23.07.2018): Von Eisfeld nach Einöd

km: 222 – 255

Beim Aufstehen tun meine Knochen mal wieder weh. Frühstück ok. Ein Paar, über 60, sportliches Radler-Outfit, fährt die Werra runter bis nach Hann. Münden. Ich richte Grüße aus. Die Stadt, in der ich in den 60er Jahren zur Schule gegangen bin und einen rücksichtsvollen, jungen Klassenlehrer (Mathe und Physik) hatte. Er hat mich durchs Abi geschleust. Nach der Fünf in Englisch (Klasse 10) und der Fünf in Französisch (Klasse 12) durfte ich keine weitere haben. Natürlich auch vielen Dank an den leider nicht mehr unter uns weilenden Klassenkameraden Ulrich N., der mich nicht nur oft mit Hausaufgaben, sondern auch während der Physik-Klausur unterstützt hat…

In Ahlstadt steht eine wunderschöne Kirche. Ich komme mit H. ins Gespräch. Frührentner, früher Bauer, jetzt trägt er mit seiner Frau morgens ab halb drei Zeitungen aus. Unterstützung bekommt er nicht angesichts seines Besitzes an Ackerflächen. Früher war es hier ruhig, total ruhig. Das einzige, was gestört hat, waren die Amerikaner mit ihren Jeeps und Panzern, aber kein Problem. Flurschäden wurden großzügig reguliert. „ Nach 1989 musste man hier alles abschließen. Im November sind die DDR-Bürger mit den Trabbis gekommen. Kilometerlange Schlangen .“ Heute jedoch keine Ressentiments, nur vereinzelt.

Er erzählt von seiner Krankheit, Morphium, Rückenschmerzen. Keine Perspektiven und das mit Mitte Fünfzig. Das Gespräch macht mich sehr nachdenklich. Ich vergleiche seine und meine gesundheitliche Situation. Ich empfinde große Dankbarkeit.


Grenzübergangsstelle Rottenbach – Eisfeld: Grenzturm mit Museum

In Grattstadt mache ich eine Vesperpause unter einem schönen Nussbaum. Ab und an kommt ein Auto vorbei. Fast wie in den 60er Jahren in den kleinen Dörfern.

Über Heldritt fahre ich nach Bad Rodach . Die italienische Eisdiele am Marktplatz gehört mir: ein Eiskaffee. Am Nachbartisch eine relativ (wohlhabende) ausländische Familie, vermutlich Flüchtlinge (aus Syrien?), fährt nachher mit dem großen, gebrauchten Volvo weg. Das deutsche Ehepaar mittleren Alters am Nachbartisch schaut mit großen Augen hinterher. Im „Netto“ kaufe ich mir eine Banane, Zahncreme und Zahnbürste, die ich bei Dietrich liegen gelassen habe. Alles ist so vertraut (im Westen).

Auf dem Weg zur Burgruine Straufhain treffe ich einen Kollegen, einen Haibike -Fahrer aus dem Osten, der sich noch gut an die Zeiten vor der Wende erinnern kann. Alles war in den Grenzdörfern ruhig, man konnte auf der Straße spielen. „ Heute muss ich die Kinder zur Vorsicht aufrufen .“


Auf der Fahrt nach Ahlstadt – Landschaft pur

Kurz nach Straufdorf (das Museum ist geschlossen) treffe ich X. Weshalb habe ich wohl den Namen vergessen? Jahrgang 45, er erzählt mir eine Schauergeschichte, wie er im November 89 mit einem Kumpel beim illegalen Grenzübertritt vom Westen in den Osten von den Amerikanern und dem Bundesgrenzschutz festgehalten wurde. Im Laufe des Gesprächs („ Merkel hat einen jüdischen Polen als Vater… “) stellt sich heraus, dass er 1988 bei einem Verwandtenbesuch gemeinsam mit seiner Frau im Westen geblieben ist. Die Kinder blieben zurück im Osten.

Vater war bei der SS, er musste ja irgendwo mitmachen.“ „UK (unabkömmlich, HP) als LKW-Besitzer, …die Russen haben uns dann alles weggenommen, aber Putin ist in Ordnung.“ „Die Krimbesetzung war richtig“. „Die Franzosen und die Tommys waren am Zweiten Weltkrieg schuld.“ Ein Alt- bzw. Jung-Nazi wie aus dem Buche. Anscheinend hat er aber einen Narren an mir gefressen, weil ich mich halbwegs in der Geschichte auskenne. Er begleitet mich einen Teil des Weges zur Burgruine. Verabschiedung: „ Zu guten Freunden sage ich: Sieg Heil und immer dicke, fette Beute“. An dieser Stelle wird es mir zu viel: „ Auf Sieg Heil kann ich verzichten …!“ Irgendwer muss ja die AFD oder die NPD wählen …


Blick von der Burgruine Staufhain

Im Turbogang des E-Bikes geht es zur Burgruine hoch. Fantastischer Ausblick. Mit dem Stativ mache ich „repräsentative“ Fotos mit Blick in alle Richtungen. Ein sportlicher Opa, ca. Anfang bis Mitte 50, kommt mit seiner Frau und den zwei Enkeln aus Hannover den Berg hoch. Alles vorbereitet: Schatzsuche und Orientierungsaufgaben mit dem Kompass. Ein Erlebnis für die Enkelkinder. Der sportliche Opa hat mit dem Fahrrad auch schon viele Touren in Deutschland etc. gemacht, allerdings ohne E-Bike, wie er stolz betont. „ Früher war alles ruhig in unserem Ort im Sperrgebiet.“

Trauert er der alten DDR-Zeit nach? – Ich glaube eher nicht.

Eigentlich will ich da oben die Nacht verbringen (weshalb habe ich überhaupt das Zelt mitgenommen?). Aber dann habe ich doch Manschetten bekommen und auch nicht genügend Wasser dabeigehabt. Also, den steilen Berg wieder runter und auf die Suche nach einer Unterkunft. Es ist mittlerweile sechs Uhr und der Asphalt der Landstraße reflektiert die Hitze des Tages (gut über 30 Grad). Die Autofahrer von West nach Ost (HBN – Hildburghausen) rasen nach Hause. Für mich noch alles etwas unwirklich, wenn man 40 Jahre lang die Grenze als nahezu undurchlässig erfahren hat.

Auf der letzten Rille komme ich in der Country-Scheune in Einöd mit seinen laut Wikipedia 43 Einwohnern an. In einem Haus an der Landstraße haben sie noch ein kleines Zimmer unter dem Dach. Als das Haus gebaut wurde, war Dachisolierung wohl noch ein Fremdwort… es ist brütend heiß. Dafür ist das Essen reichhaltig und mächtig, aber es liegt mir im Magen. Ich bin am Abend mal wieder so richtig kaputt und das Laufen tut weh.

Tag 7 (24.07.2018): Von Einöd nach Rieth

km: 255 – 292

Um 9 Uhr, als ich frühstücke, ist es schon wieder unerträglich warm. Mal wieder ein Tag mit weit über 30 Grad! Das Packen der tausend Sachen in die beiden gelben Ortlieb -Packtaschen, rechts und links am Hinterrad, ist immer mit mühseliger Arbeit verbunden. Hinzu kommt die blaue Lenkertasche, in der das Wichtigste verstaut wird: Handy, Ladegerät, kleine Wasserflasche, Fotoapparat, Verbandskasten, gelbes Hals- / Kopftuch, Fototasche und vor allem das Sonnenschutzmittel, Faktor 50. Meine Hautärztin und die zahlreichen ambulanten Beseitigungen von gefährdeten Hautstellen lassen grüßen! Den gelben Plastiküberzug für den Sturzhelm habe ich meistens auf dem Helm. Sieht klobig und bullig aus, aber ich fühle mich wohler auf der Landstraße. Passive Sicherheit. – Das Schicksal von Otto Buchholz, der sich mit dem Fahrrad zu Tode gestürzt hat, ist immer im Hinterkopf!

Ich verlasse Einöd in Richtung Poppenhausen und komme an einem gepflegten Denkmal für 20 erhängte polnische KZ-Insassen vorbei. Es waren wohl zufällig ausgewählte Buchenwald-Häftlinge, die als Racheaktion für den Tod eines deutschen Bauern durch einen polnischen Zwangsarbeiter ihr Leben lassen mussten. Es ist, wie ich später erfahre, der Initiative eines Ehepaares aus Poppenhausen zu verdanken, dass dieses Mahnmal in den 90er Jahren errichtet wurde. Blumenschmuck der umliegenden Gemeinden lässt vermuten, dass es regelmäßig gepflegt wird. Ich würde diese Menschen gerne kennenlernen, aber irgendwie bin ich noch der Meinung, ich müsse vorankommen auf dem Weg entlang der Grenze und der eigenen Geschichte.


Mahnmal für die 20 ermordeten polnischen KZ-Häftlinge

In Poppenhausen erfahre ich von einem Ehepaar mittleren Alters, dass direkt hinter dem Dorf früher der 500 Meter-Sperrzaun stand und man daher nicht oder nur in Ausnahmefällen den Ort des Grauens zu DDR-Zeiten besuchen konnte. Dieses Ehepaar berichtet mir auch von der Zeit vor der Wende. Alles war ruhig und man habe sich eingerichtet. Später geht die Frau mit mir in die protestantische Kirche, die im Wesentlichen mit finanzieller Eigenleistung und durch freiwilligen Arbeitseinsatz wieder vorbildlich restauriert wurde. Es ist bemerkenswert, weil der Ort nur 99 Einwohner hat. Das Verhältnis zu den bayrischen Nachbargemeinden ist unproblematisch. Seit 20 Jahren arbeitet die Frau im Schichtbetrieb im Bayrischen. Das Dorf Poppenhausen feiert alle zwei Jahre mit zwei anderen Gemeinden gleichen Namens.

Ich folge dem Kolonnenweg und in Käßlitz, dem südlichsten Ort der ehemaligen DDR, erwischt es mich in sengender Hitze: Ein Platten im Vorderreifen. Mühselig hole ich das Flickreparatur-Set hervor und borge mir Wasser beim etwas unwilligen Nachbarn, damit ich feststellen kann, wo sich das Loch im Schlauch befindet.


Kolonnenweg bei Poppenhausen: Wer liebt, der schiebt…

Nach einer Stunde habe ich es vollbracht, allerdings bekomme ich mit meiner Luftpumpe nicht genügend Luft auf den Vorderreifen. Mit der westlichsten Stelle der DDR am Plattenweg wird es also nichts.


Käßlitz: südlichstes Dorf der ehemaligen DDR

Schlauchreparatur in der Mittagshitze

Ich komme an einem in der Hitze penetrant riechenden Schweinestall vorbei und freue mich im nahegelegenen Wald über den Schatten und die springenden Forellen in dem Teich. Ein Fischreiher schreckt bei meiner Weiterfahrt auf. Ein Opa mit seinem Enkelkind erzählt mir von Fürsorgezöglingen, die in einem bayrischen Steinbruch arbeiten mussten und in den 60er oder 70er Jahren versuchten, über die Grenze in die DDR zu fliehen. Einer verlor durch eine Mine dabei ein Teil seines Beines.

Über Schweickershausen geht es auf der Landstraße nach Rieth, einem Ortsteil von Hellingen, wo ich im Gasthaus „Beyersdorfer“ ein Zimmer und etwas Gutes zu essen bekomme. Rostbrätl. Die Männer am Stammtisch diskutieren natürlich über die Hitze, den Fall Özil und dass Hoeneß mit seiner Kritik an dem Fußballspieler mit türkischen Wurzeln vollkommen Recht habe. Es fällt mir auf, dass die Menschen hier in Thüringen einen fränkischen Dialekt sprechen.

Später berichtet ein Polier davon, wie er mit den polnischen und rumänischen Bauarbeitern auf seinen Baustellen zurechtkommt. Mir drängt sich der Vergleich mit den Zwangs- und Fremdarbeitern der Kriegszeit auf. Menschen 2. Klasse?


Wegemarkierung Bayern - Thüringen

Das Zimmer ist okay, aber dass man durch die Tür sehen kann, ob jemand auf der Toilette sitzt, ist nicht so prickelnd …

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