Kitabı oku: «Selbstbiografie», sayfa 8
7. Letzte Lebensjahre
(1885-1890)
Schliemanns Haus – Ägyptisches Reisen – Weitere Ausgrabungspläne – Wiederaufnahme der trojanischen Ausgrabungen – Ergebnisse der letzten Ausgrabung – Die Ansiedlung mykenischer Zeit in Troja – Schliemanns Krankheit – Tod und Leichenfeier
Wenn der ehemalige mecklenburgische Kaufmannslehrling nun von einer Ausgrabung heimkehrte, wohnte er im schönsten Hause Athens. In der Jugend arm, von schwachem Körper, in seinem Blick auf die nächste Heimat beschränkt, in seinen Interessen notwendig bedacht auf das liebe tägliche Brot, lebte er jetzt im Besitze dessen, was er sich erworben, im Besitze seiner großen materiellen Güter, im Genusse einer nie versagenden gestählten Körperkraft, im Unterhalt der persönlichen Verbindungen, deren er in allen Ländern besaß, in der Pflege der Forschungen, welche er dem homerischen Altertume widmete. Er war eine originale Erscheinung, und den Zauber, den eine in sich geschlossene Persönlichkeit mit weiten Zielen und großen Erfolgen immer ausüben wird, hat er in vollem Maße ausgeübt. Seine merkwürdige Laufbahn, der Glanz seiner Entdeckungen prägte sich der gebildeten Welt ein, zog sie an. Wer nach Athen als Reisender kam, mochten es Engländer, Amerikaner, Deutsche oder Angehörige anderer Nationen sein, sie gingen nach dem Besuche der Akropolis und der Museen auch zu Schliemann. ’Ιλίου Μέλαθρον polytonisch soll heißen »die Hütte von Ilion«, hatte er das Haus getauft, das er seiner Frau Sophie und sich gebaut, in Erinnerung an die Tage, wo sie mitsammen in dürftiger Holzhütte auf der Burg von Ilion gehaust hatten. Bellerophon und Telamon wurden die Diener gerufen, welche den Fremden am Eisengitter der mit Eulen und troischen Hakenkreuzen verzierten Tür empfingen. Im Mosaik des Treppenflurs war Geschmeide von Mykenä nachgebildet. Von den Wänden des säulengetragenen Treppenhauses strahlten in großen goldenen Lettern homerische Verse entgegen. Die Zimmer des Hausherrn, Arbeitszimmer und Bibliothekssaal lagen im obersten Stockwerk; von den vorgelegten Loggien aus fiel der Blick auf die Akropolis von Athen, welche die dahinter untergehende Sonne purpurn und goldig umsäumte. Dort fand man den Herrn in lebhafter Geschäftigkeit, sei es in dem zu neuen Ausgrabungen vorbereitenden Briefwechsel begriffen, sei es in der Verwaltung seines Vermögens tätig, sei es einen altgriechischen Schriftsteller oder einen neuen, der sich in altgriechisches Gewand bequemt hatte, lesend. Den Gelehrten, der hier eintrat, redete er in der ihm liebsten Sprache an, einem Griechisch, das er sich aus homerischen und andern altgriechischen Bestandteilen zurechtgemacht; es ist für die ruhelose Selbständigkeit des Mannes bezeichnend, daß, nachdem er nun Griechenland zu seinem ständigen Aufenthalte erwählt, er nicht so sehr die heutige griechische Sprache annahm, sondern vielmehr ein besonderes Idiom pflegte, welches sich ihm aus seinem eigentümlichen zähen Studium der homerischen Welt gebildet hatte. Wer sich auf diese Konversation nicht einlassen konnte, für den verfügte Schliemann je über die Sprache seines Vaterlandes. Gastfreiheit, das war die alte griechische Tugend, welche Schliemann aus seinem Homer neu geschöpft hatte, und Frau Sophie, die Griechin, stand ihm darin zur Seite. Ihre Erinnerungen, ihre Ideale waren eins; wenn er aus dem reichen Schatze seines Gedächtnisses die Verse Homers mit verzücktem Pathos rezitierte, so wußte sie fortzusetzen, wo er aufhörte.
Das Verweilen in dem trauten Kreise der Seinigen zu Athen, der aus seiner Frau und seinen beiden Kindern Andromache und Agamemnon bestand, war aber für den rastlos Planenden nur je eine vielleicht in den letzten Jahren etwas weiter ausgedehnte Pause, in welcher er begonnene Arbeiten abschloß und neue vorbereitete. Der Sommer führte ihn meist zu seinen Freunden nach »Europa«, wie man von Athen aus sagt, und zu seinen Häusern, deren er zu Paris und Berlin besaß. Die Verwaltung seiner Besitzungen in Kuba machte für ihn noch im Jahre 1886 eine Fahrt über den Atlantischen Ozean nötig. Im selben Jahre reiste er auf wenige Tage nach London. Ein britischer Reporter hatte sich berufen gefühlt, gegen die Auffassung des Palastes von Tiryns Einspruch zu erheben, indem er der Ansicht war, daß eine Kirche, welche in die Trümmer der Burg in byzantinischer Zeit hineingebaut worden ist, gleichzeitig mit dem Palaste entstanden wäre, und er hatte es vermocht, den Altmeister der Architekturforschung in England, Penrose, auf seine Seite zu bringen. In Gemeinschaft mit Dörpfeld verteidigte Schliemann vor einer dazu berufenen Versammlung seine Aufstellungen; es fiel ihnen nicht schwer, durch die Klarheit der Tatsachen den Fachmann von der Wahrheit zu überzeugen. Schliemann selbst ward die Ehre zuteil, daß das Royal Institute of British Architects ihm die große goldene Medaille verlieh.
Im Winter 1886/87 ist er auf einer Nilfahrt begriffen. Es mochte nach längerer angestrengter Arbeit – damals hatte ihn die französische Ausgabe eines die Bücher »Ilios« und »Troja« zusammenfassenden Werkes beschäftigt – über ihn ein Bedürfnis nach Ruhe gekommen sein, welcher er in Einsamkeit zu pflegen gedachte. Es entsprach aber vor allem in Ägypten das hohe Altertum der Geschichte und ihrer Denkmäler so recht seiner phantastischen Begeisterung für älteste Sage und Geschichte. Wie Virchow es sagt, »die Erwägung, daß zu der Zeit, wo die homerischen Gedichte entstanden, ja vielleicht schon zur Zeit als Troja blühte, die ägyptische Kultur bereits Jahrtausende alt war, und daß Zeugen dieser Kultur noch heute erhalten sind – diese Erwägung drängte sich mächtig in alle seine Betrachtungen ein«. Er schwelgte schon in seinem Gemüte, wenn er die hohen Jahreszahlen der ägyptischen Dynastien, die er sich fest eingeprägt hatte, aufsagen konnte. Auf seiner ersten Reise dorthin, im Jahre 1858, hatte er seine Unkenntnis der Landessprache bald beklagt, da er bei dem Vertrage mit dem Schiffskapitän arg geprellt worden war. Darum hatte er sich wahrend der Fahrt auf die Erlernung des Arabischen geworfen, arabische Schriften auswendig gelernt und es so weit gebracht, daß er in kurzem nicht nur keines Dolmetschers mehr bedurfte, sondern auch arabisch schreiben lernte und die Fortsetzung seiner Reise durch Syrien bereits in einem arabischen Tagebuch schilderte. Diesmal erzählt er sein Leben und Treiben in einem ausführlichen griechischen Tagebuch. Den Diener, welchen er als einzigen Begleiter von Athen mitgenommen, um ihn in der milden Luft von seinem Brustleiden zu kurieren, muß er gleich bei Beginn der Reise in einem kleinen Orte zurücklassen. So fährt er die drei Monate ganz allein auf einem Segelschiffe, das er für sich gemietet, den Nil hinauf bis nach Luxor und kehrt dort um; die arabische Mannschaft der Barke ist seine einzige Gesellschaft. »Trotz aller Mißhelligkeiten, wenn Windstille oder Gegenwind das Fortkommen hindert, ist mein einziger Kummer«, schreibt er, »die Eile der Zeit. Wahrlich niemals ist mir die Zeit so schnell vergangen, als jetzt, wo ich allein bin. Das macht, wie mir scheint, die Mannigfaltigkeit meiner Beschäftigungen. Um 7 Uhr stehe ich auf und wandle eine halbe Stunde auf dem Verdeck auf und ab, trinke Tee, esse drei Eier und gehe noch eine Stunde umher, indem ich rauche. Sogleich danach nehme ich eine Stunde ein arabisches Buch vor und zwei Stunden den Euripides. Darauf frühstücke ich, gehe wieder eine Stunde und lese weiter wissenschaftliche Bücher bis ½ 5 Uhr. Später gehe ich bis 6, diniere und wandle noch 1 ½ Stunden, den erquickenden Luftzug der Wüste genießend. Bevor ich mich niederlege, schreibe ich mein Tagebuch.« Mit Lebhaftigkeit und Anschaulichkeit schildert er darin die Bebauung des Landes und die Sitten seiner Bewohner, mit großer Gewissenhaftigkeit führt er die Denkmäler auf, deren er ansichtig geworden ist. Daneben tritt in seinen Notizen eine Seite hervor, welche auch sonst bei Schliemann eine Rolle gespielt hat, seine Träume; vor allem so oft ihm seine Angehörigen im Traume erscheinen, zeichnet er das ausführlich auf. Die Reise in das Land der Pyramiden sagte ihm so zu, daß er sie im darauffolgenden Winter wiederholte, diesmal nicht allein, sondern von seinem Freunde Virchow begleitet. Dessen Erinnerungen verdanken wir eine Schilderung, aus der hervorgeht, welchen Eindruck die Persönlichkeit Schliemanns bei den Arabern der Wüstendörfer hervorrief, wie sie den weißen Wundermann anstaunten, der nicht allein wie ihre Priester und Richter ihre Sprache lesen, sondern auch schreiben konnte und des Nachts inmitten ihres Kreises unter den Palmen vor der Hütte ihres Häuptlings die Suren des Koran in seiner ekstatischen Weise deklamierte, so daß die Gläubigen zum Schlusse im Gebet ihr Haupt neigten und mit der Stirn die Erde berührten.
Von solcher Reise heimkehrend, fühlte Schliemann die Kraft zu neuen Unternehmungen in sich. Es hatten ihn in Nubien die Wandgemälde der Tempel gefesselt, in welchen der große Ramses und sein Geschlecht die Kriege gegen die Völker des Nordens, gegen die Cheta, die Hittiter, und die Belagerung ihrer Stadt Kadesch am Orontes hatten darstellen lassen. Schon seit langer Zeit war er durch Sayce auf die Zusammenhänge aufmerksam gemacht, welche die Kultur von Troja mit jenen Völkern haben müsse. Aber der Plan, Kadesch auszugraben, wurde durch den Ausbruch der Pest in Mesopotamien vereitelt. Nicht besser ging es ihm mit einem zweiten Vorhaben, welches ihn in den letzten Jahren vielfach beschäftigt hat, einer Grabung in Knossos auf Kreta. Dort hoffte er den Pfeiler zu der Brücke zu finden, welche einst das Eindringen der »mykenischen« Kultur vom Orient nach Griechenland vermittelt hat. Er reiste mit Dörpfeld nach Kreta, sah dort die Trümmer eines großen Palastes in der Weise desjenigen zu Tiryns fast zutage liegen und gewann die Aussicht, das Schloß des ersten Seeherrschers der Griechen, des Königs Minos, wieder aufzudecken. Aber die Verhandlungen über den Erwerb des Grundstückes und über die Eigentümerrechte an den zu erwartenden Funden zogen sich in die Länge, bis schließlich der Ausbruch der Unruhen in Kreta jede Unternehmung unmöglich machte. Da war es ein Glück, darf man sagen, daß unter allen Gegnern Schliemanns einer der am wenigsten berechtigten den Anstoß gab, daß er noch einmal zu seinem geliebten Troja zurückkehrte.
Ohne jemals die Ruinenstätte von Hissarlik erblickt zu haben, hatte seit einer Reihe von Jahren Hauptmann a. D. Boetticher in einer Anzahl von Artikeln die Ansicht aufgestellt und mit Hilfe einzelner ungenauer Angaben aus Schliemanns ersten Büchern scheinbar begründet, daß die Burg von Troja nichts anderes sei als eine große Feuernekropole. Er hatte Schliemann sowohl wie Dörpfeld beschuldigt, falsche Aufnahmen und falsche Darstellungen von dem Sachverhalt gegeben, ja sogar mit Absicht zerstört zu haben, was ihrer Auffassung von dem Bestehen eines alten Palastes widersprechen konnte. Boetticher legte dem Anthropologenkongreß, der sich im Sommer 1889 in Paris versammelte, ein Buch über dieses Thema vor und, wunderbar genug, fand das Werk in einem hervorragenden französischen Altertumsforscher einen Verteidiger. Schliemann selbst war auf dem Kongreß zugegen. Da er sah, wie verwirrend das Boettichersche Buch wirkte, so entschloß er sich kurz, er lud seinen Gegner zu sich nach Troja zu einer Besprechung vor den Ruinen und faßte gleichzeitig den Plan, die Arbeit dort in großem Maßstab wieder aufzunehmen. »Hoch lebe Pallas Alhena!« so leitete er den Brief ein, in welchem er Dörpfeld noch von Paris aus seinen Entschluß mitteilte. Die Konferenz fand in den ersten Tagen des Dezember in Hissarlik statt, und wenn auch der Gegner sich auf die Dauer nicht überzeugen ließ, so hatte Schliemann doch die Genugtuung und Beruhigung, daß die als Zeugen erschienenen Sachverständigen, Professor Niemann aus Wien und der kgl. preußische Major Steffen, seine und Dörpfelds Ansichten bestätigten.
Am 1. März des folgenden Jahres wurden dann, nachdem durch den Botschafter Herrn von Radowitz die Erlaubnis von der türkischen Regierung ausgewirkt worden war, die Grabungen in Troja zum letzten Male von Schliemann wiedereröffnet. Er kehrte immer gern zu dem freien Plateau über der Skamanderebene zurück; hier wurzelte sein Enthusiasmus, er war hier heimisch geworden, kannte Land und Leute, und die Leute kannten ihn. Neben der Hoffnung auf neue Ergebnisse lag ihm jetzt auch sehr daran, daß die Errungenschaft seiner langjährigen Arbeit, die Erkenntnis von dem Bestehen einer Burg an dem von Homer gefeierten Platze, nicht durch ein Wiederaufkommen der Boetticherschen Hypothese in Frage gezogen würde, und es war ihm daher Bedürfnis, möglichst vielen und kompetenten Gelehrten das Ausgrabungsfeld zu zeigen. Überhaupt trat das Streben, jedermann eine klarere Vorstellung zu vermitteln von dem, was seine Arbeiten für das Studium der ältesten Geschichte der Griechen beigetragen hatten, bei ihm in den letzten Jahren stark hervor; deshalb auch hatte er auf eine Anregung der Verlagsbuchhandlung F. A. Brockhaus in Leipzig seine gesamten Ausgrabungen und ihre Ergebnisse durch Dr. Carl Schuchhardt in einem vortrefflichen Buch übersichtlich zusammenfassen lassen. In ähnlicher Absicht wurde jetzt dicht bei dem Ausgrabungsgebiet ein Barackenlager errichtet – Schliemanopolis hat man es scherzhaft genannt –, in welchem vierzehn Freunde Unterkunft fanden. Schon im ersten Monat füllten sich die Räume. Denn da Boetticher in den Zeitungen seine Angriffe fortgesetzt hatte, so hatte Schliemann sich veranlaßt gesehen, für Ende März Einladungen zu einer zweiten größeren internationalen Konferenz ergehen zu lassen. Auch diese konnte nur rückhaltslos Schliemanns und Dörpfelds Auffassungen billigen. Dazu hatte sich auch Virchow mit eingefunden. Nach Schluß der Konferenz machten die beiden Freunde noch einmal den beschwerlichen Ritt zum Ida: und auf dieser Reise wurde zum ersten Male Schliemanns verhängnisvolles Ohrenleiden in bedenklicher Weise bemerkbar. Virchow erkannte, daß Knochenauftreibungen in beiden Ohren eine schwere Operation nötig machen würden, riet aber, vorläufig die Operation zu vertagen. In der Folgezeit klagte Schliemann wohl manchmal über Schwerhörigkeit, indessen konnte man der Lebhaftigkeit des Achtundsechzigjährigen nur wenig sein Leiden anmerken, so sehr war er mit seinen Ausgrabungen und seinen Gästen beschäftigt, deren jede Woche fast neue gebracht hat. Noch in den letzten Wochen war es ihm eine besondere Freude, seiner Frau und seinen Kindern in der erweiterten Ansiedlung auf Hissarlik ein gefälliges Heim zu bereiten.
Es waren in der Hauptsache zwei Aufgaben, welche Schliemann und Dörpfeld sich für die Richtung ihrer Arbeiten gestellt hatten und an deren Lösung sie im Gegensatz zu früher ungestört gehen konnten, da diesmal niemand die Anfertigung der Pläne hinderte: eine gründliche Säuberung der sogenannten zweiten Stadt und ferner eine Grabung außerhalb derselben, um die spätere Geschichte des Ortes und den Anschluß einer Unterstadt eventuell festzustellen.
Bei den Arbeiten im Bereiche der zweitältesten »Stadt« oder richtiger Burg, zeigte sich, daß innerhalb dieser einen von acht oder neun Ansiedlungsschichten im Hügel von Hissarlik allein drei Perioden von Erweiterungsbauten zu unterscheiden sind. Die älteste, am weitesten nach innen liegende und also den kleinsten Kreis umschließende Ringmauer wurde erst jetzt heraussondiert. Zweimal haben die Herren der Burg dann den Kreis weiter ausgedehnt, indem sie je durch eine vorgelegte Mauer die ältere verdecken und dadurch den Innenraum der Burg vergrößern ließen. Im Zusammenhang mit dem Mauerbau und mit der je veränderten Anlage der Tore wußte auch regelmäßig ein Neubau des Herrscherpalastes geschehen. Über die alten Fundamentmauern legte man Bauten in abweichender Richtung an, so daß sich der aufgenommene Grundriß ihrer Reste wie das Bild mehrerer übereinanderliegender Netze ausnimmt. Einstweilen hebt sich nur das oberste Netz mit ziemlicher Klarheit ab. Wer die Räume des großen Burgtores passiert hatte, mußte im Innern, ähnlich wie in Tiryns, noch ein kleines Torgebäude durchschreiten, ehe er zu dem Vorhof gelangte, in welchem die großen Megara der Herrscherfamilie eins neben dem andern angelegt waren. Aus der Tatsache der steten Wiederholung und Erweiterung so ausgedehnter Anlagen erhalten wir eine Ahnung von den Wechselfällen, von der reichen Geschichte überhaupt, welche ihrer Zeit diese Burg an der Dardanellenstraße durchgemacht hat. Sie lag so tief im Schutt vergraben, daß wir bisher nicht einmal in ein bestimmtes Jahrtausend ihre Glanzperiode verweisen können. Wir kennen den Namen der Völkerschaft, die damals hier gewohnt hat, nicht. Schliemann selbst hat sich darin mehr und mehr resigniert; es war nur natürlich und wissenschaftlich richtig, daß in seinen Büchern die Beziehungen der Funde dieser Ansiedlungen auf Homer etwas seltener wurden, je mehr sich das Bild dieser Burg erweiterte. Um des Mangels an historischer Verknüpfung willen mag man eine gewisse Öde beim Anblick dieser Trümmer empfinden, aber sie wird ausgeglichen durch die gebotene Möglichkeit, hier älteste Ansiedlungsformen eines Mittelmeervolkes in einer Ausdehnung wie sonst nirgends zu erkennen.
Und doch, so ganz zeitlos und aller Anknüpfung spottend sollten die trojanischen Altertümer nicht mehr bleiben. Es war der große Gewinn von Schliemanns letzter Unternehmung, daß sich das Verhältnis der beiden prähistorischen Kulturen, der älteren trojanischen und der mykenischen, deren Erschließung auf klassischem Boden der Zähigkeit Schliemanns zu danken ist, bis zu gewissem Grade klärte. Schliemann ließ an einer Stelle vor den Ringmauern der zweitältesten Burg graben. Sicher hatten diese Mauern einstmals mit freier Stirn über die Täler des Skamander und Simois hinweggeschaut. Was sich also davor an Ansiedlungsschutt schließlich bis zu einer Höhe von 16 Meter aufgetürmt vorfand, mußte jünger sein als die sogenannte zweite Stadt. Aus der Ansicht auf S. 62 läßt sich eine Vorstellung gewinnen von den hier vorliegenden Verhältnissen; links ist dort die Burgmauer sichtbar und rechts davor steigen die Schuttmauern an, welche nach dem Untergang der Burg entstanden sind. Die Römerzeit hat den Schlußstein dieses ganzen Schuttbaues geliefert, ihre wohlerkennbaren Mauern sind die am höchsten zutage liegenden. Von ihnen aus bis hinab zu der Sohle der Burgmauer lassen sich querdurch sechs Ansiedlungsschichten verfolgen. Die Bewohner derjenigen drei Schichten, welche unmittelbar auf den Niedergang der zweiten Stadt folgen, haben nach Ausweis der Funde ein ebenso urtümliches rohes Hausgerät besessen, wie die Bewohner jener älteren Burg selbst (vgl. S. 55). Das ändert sich erst, als zum vierten Male nach der Zerstörung der Burg der Platz besiedelt worden ist, als der Schutt die Höhe von 8 Meter erreicht hatte und in ihm der steinerne Unterbau der alten Burgmauer vergraben lag. Das Geschirr, welches in dieser Höhe zwischen den Häusertrümmern hervorgezogen wurde, hatte zumeist ein feineres Aussehen. Der Grund dieses Fortschritts ist aus der Masse der Funde selbst zu erschließen. Zweierlei Tonware findet sich darunter. Einerseits Vasen aus lichtem Ton und mit reich aufgemalten Mustern, ganz wie diejenigen, welche Schliemann zuerst in Mykenä in erstaunlicher Anzahl und in überraschender Mannigfaltigkeit ausgegraben hatte und die dann vielerorts im Mittelmeergebiet aufgetaucht waren. Sie kennzeichnen sich meist als eingeführte Ware, so auch in Troja: denn ihr meisterhaft fein geschlämmter Ton und die Zierlichkeit ihrer Form sticht scharf von der zweiten Gattung, der weit überwiegenden Masse, ab, die, obwohl weiter entwickelt, dennoch die offenbarsten Beziehungen zu der in der trojanischen Landschaft heimischen, aus den tieferen Schichten bekannten Ware besitzt. Man darf annehmen, daß die Einfuhr der mykenischen Ware beim troischen Töpferhandwerk Epoche gemacht hat. Allem Anschein nach hatten die ältesten Bewohner von Troja die Näpfe und Töpfe, deren sie im Hause bedurften, auch in der Hausarbeit durch ihre Frauen und Sklaven herstellen lassen; und wenn wir wohl annehmen dürfen, daß in der Zeit derjenigen Ansiedlung, in welcher die mykenischen Vasen sporadisch auftreten, bereits ein eigenes Töpferhandwerk sich entwickelt hatte, so war die Gilde der Töpfer, von geringer Anwendung der Töpferscheibe abgesehen, doch nicht über die einfachsten Techniken, wie sie eben auch im einzelnen Hause geübt werden konnten und geübt wurden, hinausgekommen. Und nun kamen die Händler auf ihren Schiffen von jenseits des Meeres, kramten an den Küsten des Hellespont ihre staunenswerte Ware aus und erzählten von den großen Fabriken, in welchen diese Becher und Kannen und Krüge für die ganze Welt des Mittelmeeres in einer technischen Vollendung und in einer Sicherheit des Stils angefertigt wurden, die auch uns Modernen trotz aller Vervollkommnung der technischen Hilfsmittel stellenweise die höchste Achtung abnötigt. Die Konkurrenz hatte einen Wettbewerb im Lande zur Folge. Man verarbeitete den Ton reiner und fester, hielt auf eine reinere Farbe, gab den Gefäßen eine sauberere, gefälligere Form, vervollkommnete auch zweifellos das Brennverfahren, hielt auf einen reicheren, das Gefäß umspinnenden Linienschmuck und wußte dem Ganzen einen gleichmäßigen firnisartigen Glanz zu verleihen. Zwar hat man gleichwohl nicht die Zierlichkeit und Farbenpracht der mykenischen Ware erreicht; von der Lust zu ornamentieren abgesehen, die nun einmal von altersher in dieser Landschaft bescheiden war und so auch geblieben ist, mochten die troischen Töpfer des feinen Tons und anderer Hilfsmittel entbehren, welche der Boden, aus welchem jene Gefäße stammten, hergab. Aber doch legten sie damals den Grund zu einer Tonindustrie, welche dann nach Ausweis von Funden in den höheren Schichten über ein halbes Jahrtausend bestanden hat und noch die Griechen des 7. und 6. Jahrhunderts, welche die Troas besetzt hatten, sozusagen beherrschte.
Die Topfscherben sind das Füllhorn archäologischer Weisheit, pflegte Schliemann zu sagen. Doch nicht sie allein zeugen von dem Aufschwung, welchen die troische Landschaft in mykenischer Zeit genommen hat. Die Ansiedlung dieser Epoche hat sich bisher nur über einen kleinen Raum von wenigen hundert Quadratmeter verfolgen lassen, aber dabei sind doch schon die ansehnlichsten Gebäudereste aufgedeckt worden, welche man überhaupt bisher im Schuttberg von Hissarlik, abgesehen von den spätgriechischen und römischen Bauten, beobachtet hat. Dörpfeld erkannte den Grundriß eines Megaron, dessen Grundmauern eine Dicke von 1,60 Meter haben, und unmittelbar daran stößt ein zweites Gebäude, dessen Fundament eine Breite von über zwei Meter besitzt. Eine Ansiedlung mit so mächtigen Gebäuden ist schwerlich dorfähnlich zu nennen. In diesem Zusammenhange verdient auch die Beobachtung Schliemanns erwähnt zu werden, daß an den stolzesten Denkmalen der troischen Ebene, an den großen Grabhügeln, sich vielfach die monochrome Topfware wiederfindet, welche in Hissarlik gleichzeitig mit der »mykenischen« auftritt. Sollten also auch die Heroengräber Reste dieser zweiten glanzvollen Zeit der Herren von Troja sein?
Schliemann begrüßte die erste mykenische Bügelkanne, welche auf dem bezeichneten Platze zum Vorschein kam, als die Leitmuschel in der Chronologie der trojanischen Altertümer. Und das mit Recht. Freilich besteht für die Zeit ihres Imports noch ein weiterer Spielraum: sie wäre nach den letzten in Ägypten gemachten Entdeckungen zwischen 1500 und 1000 vor Christi Geburt anzusetzen. Was man früher wohl immer schon aus der größeren Einfachheit und Urtümlichkeit der Funde geschlossen hatte, daß die »zweite Stadt« eine bedeutend ältere Kultur habe als Mykenä und Tiryns, läßt sich jetzt aus den trojanischen Schichten selbst ersehen. Drei Ansiedlungsperioden liegen noch zwischen der zweitältesten und der mykenisch-trojanischen Burg. Einen wie langen Zeitraum das bedeutet, läßt sich nicht einmal vermuten, ehe nicht weitere Anhaltspunkte sich bieten.
Beide, die zweitälteste Burg und die mykenisch-trojanische Burg, zu welcher eine der in der Peripherie des Hügels bisher nur durchschnittenen und nicht weiter verfolgten Ringmauern gehören wird, sind älter als die Zeit der Entwicklung des griechischen Epos, als Homer. Es entsteht daher aufs neue die Frage: welches ist die von den Achäern zerstörte Stadt des Priamos gewesen, die uralte oder diejenige, in welcher sich die Spuren derselben Kultur finden, deren größte Entfaltung wir aus dem Sitz des Atridengeschlechts, aus Mykenä, kennen? Die Lösung dieser Frage verschob Schliemann auf das kommende Jahr, aber der Tod hat dem Streben des unermüdlichen Forschers ein Ziel gesetzt.
Am 31. Juli, als Hitze und Fieberdünste den Aufenthalt auf Hissarlik unerträglich zu machen begonnen hatten, stellte Schliemann die Arbeiten dort ein. Er dachte am 1. März des folgenden Jahres weiterzugraben. Er kehrte nach Athen zurück, verfaßte mit Dörpfeld zusammen einen kurzen vorläufigen Bericht über die Ausgrabungen, ordnete einige häusliche Angelegenheiten und wartete die glückliche Wiederkehr seiner Kinder und seiner Frau, welche ihrerseits eine Kur in Deutschland gebraucht hatte, ab, um kurz darauf am 12. November, Virchows Rat entsprechend, sich dem Professor Schwartze in Halle zu der notwendig gewordenen Ohrenoperation zu stellen. Nach fünftägiger Reise ging er vom Bahnhof zur Konsultation. Schon am andern Tag wurde die Operation, Ausmeißelung der krankhaften Knochenvergrößerungen, an beiden Ohren vollzogen. Im Gefühl seiner Kraft den Gefahren trotzend, verließ er Halle am 12. Dezember. Eilends wie in gesunden Tagen reist er zu seinem Verleger Brockhaus nach Leipzig, dann auf einen Tag zu Virchow nach Berlin, besichtigt mit ihm eine Neuausstellung seiner trojanischen Sammlungen im Völkermuseum, plant mit dem Freunde die Reisen für das nächste Jahr und ist am 15. bereits in Paris. Er muß dort einen Arzt konsultieren, der eine neue Untersuchung vornimmt, aber alle Schmerzen nicht achtend treibt es ihn nach wenigen Tagen von Paris nach Neapel, wo er vorhat, die neuen Erwerbungen der Museen und die letzten Ausgrabungen von Pompeji zu sehen. Bereits hatte er seine baldige Rückkunft den Seinigen nach Athen gemeldet, da erreicht sie am 26. die traurige Botschaft, daß sich eine Entzündung vom Ohr auf das Gehirn geworfen, daß er bewußtlos zu Neapel liegt, daß die Ärzte an seinem Leben verzweifeln. Und wenige Stunden darauf kommt die Nachricht, daß er geendet.
Die Leiche haben sein langjähriger Freund Dörpfeld und der älteste Bruder der Frau nach Athen gebracht. Einer der ersten, welche der Witwe sein Beileid ausdrückte, war der Souverän des Reiches, welchem er seine trojanischen Funde schenkte, Kaiser Wilhelm II. Am Nachmittag des 4. Januar kam in dem Saale seines Hauses, wo er so oft zu heiterer Geselligkeit seine Freunde, jung und alt, vereint hatte, die Trauergesellschaft zusammen, um dem großen Manne die letzte Ehre zu geben. Zu Häupten des Sarges stand die Büste Homers, welcher ihn zu seinen wissenschaftlichen Taten begeistert hatte; den Sarg hatten diejenigen geschmückt, die ihm für sein Werk dankbar waren: die Kaiserin Friedrich, die griechische Königsfamilie, die Stadt Berlin, die wissenschaftlichen Institute Athens, und mit ihnen viele andere Freunde und Bekannte. König Georg, der Kronprinz Konstantin und die Minister von Griechenland bezeugten durch ihr Erscheinen den Dank, welchen das Volk empfinden muß, dessen Ruhm Schliemanns Tätigkeit gewidmet war, dessen älteste Vergangenheit ihm durch Schliemann in ungeahnter Weise erschlossen worden ist; diesen Gefühlen gaben der Generalephor der Altertümer, Herr Kavvadias, und der Senior der griechischen Altertumsforscher, der Dichter Rizos Rangabé, jeder in seiner Weise, Ausdruck. Der Gesandte der Vereinigten Staaten, Mr. Snowden, rühmte den Bürger seines Landes, der den zähen großen Sinn des amerikanischen Privatmannes so glänzend bewiesen hatte. Der treue, andauernde Genosse bei Schliemanns Arbeiten, Dörpfeld, konnte ihm als Freund und als Vertreter der deutschen Wissenschaft die Abschiedsworte zurufen: Ruhe aus in Frieden, du hast genug getan!
Nun ruht er, der im Leben nicht ruhen mochte, an dem Platze, den er sich bei Lebzeiten ausgesucht, wo nach den Plänen von Professor E. Ziller in altgriechischem Stil ein Mausoleum errichtet werden soll. Ihn grüßen im Tode die Akropolis mit dem Parthenon, die Säulen des Zeus Olympios, der blaue saronische Golf und jenseits des Meeres die duftigen Bergketten der Argolis, hinter welchen Mykenä und Tiryns liegen.
Schliemanns Grabmal in Athen.