Kitabı oku: «Hilfskreuzer „Chamäleon“ auf Kaperfahrt in ferne Meere»

Yazı tipi:

Hilfskreuzer „Chamäleon“

auf Kaperfahrt in ferne Meere

Heinz-Dietmar Lütje

Hilfskreuzer „Chamäleon“ auf Kaperfahrt in ferne Meere

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2013

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Copyright (2013) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Coverzeichnung: Nach einer Postkarte von Fritz W. Schulz:

Deutscher Hilfskreuzer im Kampf

ISBN 9783954888023

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Cover

Titelseite

Impressum

Vorwort

1. Der Kommandant

2. Ein Frachter wird zum Kriegsschiff

3. Erprobung in der Ostsee

4. Auslaufen zur Feindfahrt

5. Der Durchbruch

6. Die erste Beute

7. Täuschungsmanöver

8. Kriegsrat

9. Äquatortaufe

10. Umtarnung und Erprobung

11. Schlag auf Schlag

12. Zwischen Pflicht und Gefühl

13. Gegenmaßnahmen

14. Anerkennungen und Weisungen

15. Totalverluste

16. Leergefegte See

17. Ein Admiral irrt

18. Freunde und Kameraden

19. Bordflugzeug in Not

20. Erste Mine – Wirf!

21. Da waren es nur noch zwei

22. Gesucht: Eine Oase in der Wüste

23. Gute und weniger gute Nachrichten, aber klare Worte

24. Ein harter Hund, dieser Aussie

25. Dr. Susan Mager übernimmt

26. Auch das Schlechte hat sein Gutes

27. Die Liebe der Matrosen

28. Kirk-Island

29. Auf zu neuen Taten

30. Berlin, Oberkommando der Marine – Seekriegsleitung

31. „Chamäleon wird gejagt“

32. Hurrikan

33. Vater werden ist doch schwer

34. Nauru

35. Aufkeimender Verdacht und noch eine Hiobsbotschaft

36. Teufelskerl oder mit dem Teufel im Bunde

37. Der Wunsch des Führers sei Euch Befehl

38. Scheiden tut weh

39. Abschied im Feuerhagel

40. Schwimmende Werft und großer Bruder

41. Gefecht im Mittelatlantik

42. Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter

43. Luftkampf

44. Im Geleitzug

45. Das Glück ist verbraucht

46. Gefangen

47. Überraschung

Vorwort

Nachdem die Fesseln des Versailler Vertrages gefallen waren und die schwunghafte Aufrüstung der deutschen Wehrmacht begann, war auch Großbritannien als die Seemacht Nummer 1 bestrebt durch multinationale und bilaterale Verträge allgemein zu einer Begrenzung der Seerüstung zu gelangen. Obwohl das Deutsche Reich bereits im März 1935 die allgemeine Wehrpflicht einführte kam es dennoch am 18. Juni 1935 zum Abschluss des Deutsch-Britischen Flottenvertrages. Dieser Vertrag begrenzte die deutsche Flottenstärke in allen Schiffsklassen – ausgenommen U-Boote – auf 35% der britischen. Für U-Boote wurde zunächst eine Begrenzung von 45% festgelegt, mit der Maßgabe, dass Deutschland später beim U-Bootsbau bis auf 100% der britischen U-Bootstonnage aufstocken dürfe.

Mit dieser Vereinbarung hatte Großbritannien gegen andere Vereinbarungen – so auch die Beschlüsse von Stresa im April 1935 – eindeutig verstoßen und hiermit auch den Versailler-Vertrag letztendlich selbst ad absurdum geführt und zudem die einseitige Verkündung der deutschen Wehrhoheit hingenommen und damit praktisch anerkannt. Für Hitler bedeutete das, nunmehr den Ausbau der Kriegsmarine zu forcieren und die Verkündung eines Flottenbauprogrammes, das unter anderem noch zwei Schlachtschiffe von über 50.000 Tonnen sowie zwei Schlachtkreuzer und 16 Zerstörer umfasste. 1937 wurde dann eine Zusatzvereinbarung zwischen Deutschland und Großbritannien getroffen, mit dem Zugeständnis der Briten, dass das Deutsche Reich nunmehr im U-Bootsbau im Verhältnis zur britischen Flotte gleichziehen durfte.

Im Gegensatz zu der sehr forcierten Aufrüstung des deutschen Heeres und der Luftwaffe wurde dennoch die Aufrüstung der Kriegsmarine bis Mitte 1938 sträflich vernachlässigt, da Hitler mindestens bis zu diesem Zeitpunkt davon ausging, trotz seiner Expansionspolitik mit Großbritannien zu einem Modus Vivendi zu gelangen. Mitte 1938 ließ Hitler aber dann Großadmiral Raeder als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine wissen, dass er eine künftige Gegnerschaft Englands nicht mehr ganz ausschließen könne und drängte daher auf die beschleunigte Fertigstellung der beiden deutschen im Bau befindlichen Schlachtschiffe Bismarck und Tirpitz sowie den Bau weiterer Großkampfschiffe.

Während Hitler meinte eine schlagkräftige Flotte mit stärksten Schiffstypen zur Durchführung seiner weiteren Ziele zu benötigen, die erforderlichenfalls auch die britische Flotte mit Aussicht auf Erfolg bekämpfen könne, vertrat der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine die Auffassung, dass zur Bedrohung und Abschnürung des für England lebenswichtigen Nachschubs insbesondere der U-Bootsbau forciert werden müsse und daneben – statt schwerster Einheiten – Panzerschiffe der Admiral-Spee-Klasse gebaut werden sollten, die aufgrund ihres großen Aktionsradius wohl am geeignetsten erschienen, auch in überseeischen Aktionen die britische Seezufuhr zu bekämpfen und dennoch aufgrund ihrer respektablen Armierung auch britischen Seestreitkräften mit Aussicht auf Erfolg gegenüber treten zu können. Hitler widersprach dieser Auffassung mit dem Hinweis, das er die Flotte vor 1946 für seine weiteren politischen Zwecke nicht benötigen werde, so dass durchaus die Voraussetzung für einen langfristigen Aufbau einer starken, schlagkräftigen Schlachtflotte gegeben seien. Aufgrund dieser Planung Hitlers wurde zunächst ein Flottenbauprogramm beschlossen, das den Gesamtstand der deutschen Kriegsmarine im Jahre 1946 auf 10 Großkampfschiffe, 15 Panzerschiffe, vier Flugzeugträger, fünf schwere Kreuzer, 22 leichte Kreuzer sowie eine entsprechend große Anzahl von Zerstörern, Torpedobooten, U-Booten usw. gebracht hätte. Insgesamt war eine Soll-Stärke von ca. 800 Einheiten mit über 200.000 Mann geplant.

Als aber dann am 01. September 1939 der Zweite Weltkrieg begann und vier Tage darauf die Kriegserklärung Englands und Frankreichs erfolgten war die deutsche Flotte in keinster Weise für den Seekrieg gegen England – und nicht ganz zu vergessen auch den französischen Seestreitkräften – gerüstet. Deutschland verfügte lediglich über die Schlachtschiffe Scharnhorst und Gneisenau sowie die drei Panzerschiffe Deutschland, Admiral Graf Spee und Admiral Scheer sowie die schweren Kreuzer Admiral Hipper und Blücher sowie 6 leichte Kreuzer der Städte Klasse.

Zusätzlich in Ausrüstung befindlich waren die Schlachtschiffe Bismarck und Tirpitz sowie der Flugzeugträger Graf Zeppelin, der nie fertiggestellt wurde, und die schweren Kreuzer Prinz Eugen, Seydlitz und Lützow.

Für überseeische Operationen gegen die englische Seezufuhr waren somit lediglich Scharnhorst und Gneisenau sowie drei Panzerschiffe wirklich geeignet, da die zwei schweren Kreuzer Admiral Hipper und Blücher aufgrund ihres deutlich geringeren Aktionsradius für die ozeanische Kriegsführung nur als bedingt einsatzfähig angesehen werden mussten. Die deutsche U-Bootflotte verfügte zu Beginn des Krieges über lediglich 57 Einheiten, der die gleiche Anzahl britischer U-Boote gegenüberstand. Hiervon war aber für die ozeanische Kriegsführung, insbesondere für den zu erwartenden Hauptkriegsschauplatz Nordatlantik nur etwa ein Drittel geeignet, so dass unter Berücksichtigung des An- und Abmarschweges, sowie nötige Ausrüstungs- und Werftliegezeiten, nicht einmal zehn Boote gleichzeitig im Nordatlantik stehen konnten. Damit allein konnte die Versorgung der britischen Inseln nicht annähernd kriegsentscheidend geschwächt werden. Deshalb wurde aufgrund der äußerst positiven Erfahrungen aus dem ersten Weltkrieg sofort nach Ausbruch der Feindseligkeiten begonnen ein umfangreiches Hilfskreuzerprogramm auf die Beine zu stellen.

Hilfskreuzer – richtig bezeichnet als Handelsstörkreuzer (HSK) – waren Handelsschiffe, die von der Kriegsmarine übernommen und entsprechend ausgerüstet wurden. Diese wurden üblicherweise mit sechs 15 Zentimeter-Geschützen sowie zum Teil einer entsprechenden Torpedobewaffnung und leichten Waffen versehen. Die Hauptaufgabe dieser Einheiten bestand darin, durch Bekämpfung der gegnerischen Handelsschifffahrt – hierzu zählten auch mit kriegswichtigen Gütern (Konterbande) für den Gegner beladene neutrale Schiffe –den Feind zu zwingen, seine Versorgungsrouten zu ändern und durch ein Konvoisystem den Nachschub insgesamt erheblich zu verlangsamen. Hinzu kommt die Bindung eines erheblichen Teils der gegnerischen Flotte durch die Sicherung der Handelsschifffahrt und die Jagd auf diese Störenfriede.

Getarnt als friedliche Handelsschiffe, mit wechselnden Schiffsnamen und Nationalitäten, haben diese Handelsstörkreuzer ausgezeichnete Erfolge bei der Bekämpfung des gegnerischen Nachschubes und der Zersplitterung der feindlichen Seestreitkräfte errungen, auch wenn sie sich am Ende dem übermächtigen Gegner nach tapferer Gegenwehr geschlagen geben mussten.

Die Geschichte der Feindfahrt eines solchen Handelsstörkreuzers ist Gegenstand des nachfolgenden Romans.

Ausdrücklich sei darauf hingewiesen, dass es sich hier um eine fiktive Handlung und auch fiktive Personen, ausgenommen historischer Personen, handelt, so dass jede Übereinstimmung von Handlungen und Namen mit tatsächlich lebenden oder toten Personen rein zufällig und keinesfalls beabsichtigt wäre. Das gleiche gilt auch für zufällige Übereinstimmungen genannter Schiffe mit vielleicht tatsächlich zu jener Zeit die Weltmeere befahrenden Schiffen aller Nationalitäten.

1. Der Kommandant

Berlin, 8. September 1939, 22.30 Uhr, Oberkommando der Kriegsmarine.

Im zweiten Stock im Westflügel des Gebäudes schob Kapitän zur See von Preuss einen größeren Aktenstapel auf die linke Seite seines alten, massiven Schreibtisches und schaute auf die 3 verbliebenen dünnen grauen Aktendeckel vor sich. Er fingerte sich eine neue Zigarette aus der grünen Packung „Eckstein“ vor sich, steckte diese in Brand und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, um die eben getroffene Entscheidung nochmals zu überdenken.

Nach einigen Minuten straffte er sich, drückte mit einer eckigen Bewegung den Stummel der Eckstein im überfüllten Ascher aus und griff zum Telefon. „Preuss, sagen Sie, Hälmer, ist der Admiral noch zu sprechen? Gut, dann melden Sie mich bitte an, ich komme sofort rüber.“

Wenige Minuten später stand von Preuss vor Vize-Admiral Scheidel.

„Ich danke Herrn Admiral, dass Herr Admiral mich noch so spät empfangen“, sagte von Preuss in strammer Haltung vor dem Schreibtisch des etwa gleichaltrigen Admirals stehend, „aber ich glaube, diese drei entsprechen den Vorstellungen des Herrn Admiral.“

„Nun lassen Sie mal, mein lieber Preuss“, entgegnete Admiral Scheidel, „ich fürchte, die Sache eilt wirklich, denn der Krieg lässt sich bekanntlich auch keine Zeit.“ Mit diesen Worten erhob sich der Mitt-Fünfziger hinter seinem Schreibtisch, der mit seinem fast weißen Haar, schmaler, kleinwüchsiger Statur und intelligentem Gesicht, mehr wie ein Gelehrter als ein Seeoffizier wirkte und deutete auf den Besuchersessel vor seinem fast spartanisch einfach wirkenden Schreibtisch.

Der Admiral lächelte, schob von Preuss die geöffnete Zigarettendose zu und meinte: „Wen haben wir denn da“, und blickte vielsagend auf die dünnen Aktendeckel in der rechten Hand des Kapitäns.

Von Preuss dankte nickend und nahm eine der von ihm zwar weniger geschätzten mit Filter und beeilte sich, dem Admiral Feuer zu geben. Als die Zigaretten brannten, rekapitulierte von Preuss aus den Personalakten.

„Tja mein Lieber“, meinte der Admiral, als sein 1. Stabsoffizier seinen Bericht beendet hatte, „gute Arbeit, mein Lieber. Aber von Ihnen ja auch nicht anders zu erwarten.“ Der Admiral streckte die Linke aus und nahm die drei Aktenhefter entgegen, blätterte diese seinerseits noch kurz durch und sagte: „Wirklich mein lieber Preuss, ganz ausgezeichnet, ich kann mich Ihren Vorschlägen nur anschließen, alle drei bestens geeignet als Kommandant eines Hilfskreuzers. Nur werden wir den guten Kapitän Schmid und wohl auch unseren gemeinsamen Crew-Kameraden Leusen wohl kaum ganz auf die Schnelle von ihren jetzigen Kommandos freistellen können. Bleibt also zur sofortigen Verwendung nur der junge Waldau.“

„Jawohl, Herr Admiral“, beeilte sich von Preuss seinem Admiral zuzustimmen. Der Admiral erhob sich. „Gut mein Lieber, veranlassen Sie alles weitere. Ich möchte den Waldau schnellstens hier sehen.“

Dietrich Waldau, 34-jähriger Korvetten-Kapitän der deutschen Kriegsmarine und z.Z. Kommandant des Zerstörers „Arndt Griepen“, hatte gerade sein Frühstück in der Küche des elterlichen Bauernhofes in Reher bei Plön beendet. Seine Mutter war noch im Kindbett verstorben, so dass er diese gar nicht gekannt hatte. Seinen Vater, Karl-Heinz Waldau, aktiver Seeoffizier des 1. Weltkrieges, schwer verwundet in der Skagerak-Schlacht auf dem Kreuzer „Frauenlob“, hatte es in den Wirren nach Beendigung des ersten Weltkrieges von der alten Heimat Bremerhaven, nach Schleswig-Holstein verschlagen, wo er seine zweite Frau Magda kennenlernte und 1920 heiratete. Kurz nach der Hochzeit starb der zu dieser Zeit bereits vom Tode gezeichnete Schwiegervater, so dass Karl-Heinz Waldau sich plötzlich gezwungen sah, den Bauernhof der Schwiegereltern zu übernehmen und selbst Bauer zu werden. Durch die Heirat mit Magda sah er sich glücklicherweise auch in die Lage versetzt, seinem Sohn endlich ein Zuhause zu bieten, der bisher die ersten Jahre seines Lebens bei den Großeltern in der Nähe von Emden aufwuchs und bis zur Hochzeit seines Vaters bei dessen Bruder Oskar und seiner Frau, einem Lehrerehepaar, in Bremen wohnte.

Dietrich Waldau, vom Vater, Großeltern und jetzt auch Stiefmutter Magda, die ihm eigentlich eine wirklich herzensgute Mutter geworden war, seit jeher „Didi“ genannt, war eigentlich ganz froh, trotz des Kriegsausbruches einige Tage unerwarteten Urlaub zu haben. Aber sein Schiff, der Zerstörer „Arndt Griepen“, war durch dringend erforderliche Überholung der Maschinen und Einbau zusätzlicher Flakbewaffnung in der Kriegsmarine-Werft Kiel für mindestens 10 Tage ausgefallen. Da er von Plön aus im Bedarfsfall jederzeit in weniger als zwei Stunden zu seinem Schiff zurückkehren konnte, bestand also keine Veranlassung, diese Möglichkeit nicht zum Besuch der Eltern zu nutzen, zumal sich hierbei auch die Gelegenheit ergab, der vom Vater wohl ererbten Jagdleidenschaft im elterlichen Revier zu frönen.

Dietrich Waldau war eigentlich mit Leib und Seele Seeoffizier. An der Küste aufgewachsen, hatte er sich bereits von frühester Jugend an für alles, was mit der Seefahrt zu tun hatte, sehr interessiert und natürlich auch mit größtem Eifer den Seekrieg 1914 bis 1918 verfolgt und im jugendlichen Unverständnis manchmal bedauert, hieran nicht aktiv teilnehmen zu können. Nach mittelprächtigem Abitur hatte er dann das große Glück, als Offiziersanwärter, trotz der großen Bewerberzahl, auf die wenigen freien Plätze, in die Reichsmarine aufgenommen zu werden.

Sein unbedingter Wille, Seeoffizier zu werden, ließ ihn auch alle Schleifereien und Ungerechtigkeiten auf dem Weg dorthin in Kauf nehmen, ohne „allzu dumm aufzufallen“, was damals manche angestrebte Offizierslaufbahn beendet hat, bevor die ersehnten Leutnantsstreifen in Empfang genommen werden konnten.

Da ihm in frühester Jugend bei den Großeltern und später auch bei Onkel und Tante, dem Lehrerehepaar in Bremen, eigentlich nie Ungerechtigkeiten widerfahren waren, geschweige denn, von Seiten seines Vaters, der ebenso wie sein Lehrerbruder, stets bemüht war, auch Dietrich zu einem ehrlichen, aufrechten aber auch nachdenklichen Menschen zu erziehen, der alle Ungerechtigkeiten verachtete und durchaus nicht bereit war, diese widerspruchslos hinzunehmen, fiel es ihm besonders schwer, insbesondere auch die zum Teil recht niederträchtigen und mit voller Absicht ungerechten Schleifereien der Unteroffiziere während der Grundausbildung – und zum Teil auch noch während der Kadettenausbildung auf einem Segelschulschiff, ohne Aufbegehren zu schlucken.

Mag sich der Leser selbst ein Urteil darüber bilden, ob grobe Ungerechtigkeit und bewusste Schikane der Unteroffiziere den Kadetten gegenüber, die immerhin künftige Seeoffiziere und damit Vorgesetze ihrer Ausbilder werden würden, der richtige Weg zum angestrebten Ziel gewesen sei? Hierbei mag jedoch berücksichtigt werden, dass es gerade in der – später als Großdeutschen Wehrmacht bezeichneten – Reichswehr allgemein und nicht desto weniger auch in der deutschen Kriegsmarine vorherrschend im Unteroffizierskorps die Auffassung gab, dass – Offiziere eine Art des Homo Sapiens seien, die ohnehin nur aufgrund der Fähigkeiten ihrer Unteroffiziere und Feldwebel überhaupt in die Lage versetzt seien, „lebensfähige Wesen“ zu sein.

Hier sei eine Episode aus der Schulschiffzeit des jungen Waldau geschildert:

Der Großsegler der deutschen Kriegsmarine lief – unter Segel, nachdem das Schiff – völlig ohne Benutzung der Hilfsmaschine – von Kiel auslaufend bis in den Pazifik und an die japanische Küste gelangt war in die Bucht von Yokohama ein. Das Segelschulschiff hatte nur noch Bramsegel und Klüver stehen und machte trotzdem aufgrund der günstigen Windverhältnisse immer noch eine Fahrt von etwa sieben Knoten. Dieses letzte Stück der langen Reise, unmittelbar vor dem Ankern, forderte Offizieren und Besatzung des Großseglers noch einmal alles seemännische Können ab, denn in diesem relativ schmalen und schwierigen Fahrwasser herrschte starker Verkehr von Schiffen aller Größen. Dazwischen wimmelten geradezu kleine Wasserfahrzeuge aller Art, wie Fischerboote und Dschunken, die sich einen Teufel um internationale Seerichtlinien wie Wasserstraßen- oder Schifffahrtsordnung scherten.

Am Abend des 24. Juni 1924 hatten Schiff und Besatzung dann endlich das Endziel der Ausbildungsreise erreicht. Das Schiff lag gegen den Strom vor Anker und es wurde „Klarschiff“ befohlen. Müde und erschöpft fielen Stammbesatzung und Seekadetten nach dem spätabendlichen „Backen und Banken“ in den wohlverdienten Schlaf.

Nachdem am Morgen des darauffolgenden Tages der offizielle Teil des Besuches – zumindest teilweise – durch Besuch des Hafenkapitäns, des deutschen Konsuls und anderer Honoratioren, abgewickelt war, bekam die erste Kadettendivision Gelegenheit zum Landgang in Gruppen á 12 Mann, jeweils begleitet von einem Unteroffizier.

Unter der letzten 12er Gruppe befand sich – alphabetisch verständlich – auch der Seekadett Waldau. Die gesamte Gruppe nahm in mustergültiger Haltung Aufstellung vor dem diensthabenden Obermaat Sonnenberg. Dieser musterte mit grimmigem Gesicht und dem ihm eigenen überheblichen Getue die Angetretenen: „Na, wollen mal sehen, ob man Euch überhaupt von Bord lassen kann, ohne die ganze Marine unsterblich zu blamieren.“ An Uniform und blankgewichsten Schuhen sowie peinlichst sauberer Rasur, fand Sonnenberg offensichtlich nichts auszusetzen und wandte sich nun, stets bemüht, doch noch das eine oder andere festzustellen, das ihm Gelegenheit gegeben hätte, einen Kadetten vom Landgang auszuschließen, den Feinheiten zu.

„Taschentücher“, brüllte Sonnenberg im besten Kommisston und nahm die Parade der ihm entgegengehaltenen grauen Marinetaschentücher ab. „Na, die Rotzlappen scheinen ja in Ordnung. Aber irgendetwas werden wir schon noch finden“, bei diesen Worten verzog sich sein Nussknackergesicht und er grinste impertinent, von seiner eigenen Wichtigkeit überzeugt. „Fingernägel“ Erneut schritt Sonnenberg das Häuflein der 12 Aufrechten ab. Auf seine Gesichtszüge malte sich bereits die Enttäuschung, da er nun beim besten Willen nichts auszusetzen fand. Aber da war ja noch der linke Flügelmann, Seekadett Waldau. Sonnenberg musterte dessen ihm entgegengestreckten Hände hingebungsvoll und ganz langsam überzog ein leichtes Grinsen seine Züge. War er doch noch fündig geworden. „Ja, was haben wir denn da? Haben Sie mit diesen Flossen etwa gerade Ihre Großmutter beerdigt? Sie haben ja Flossen wie ein Totengräber, dem die Schaufel geklaut wurde.“

Waldau straffte sich. „Bitte Herrn Obermaat melden zu dürfen …“, setzte Waldau an, wurde aber sofort in gebührender Lautstärke von Sonnenberg unterbrochen. „Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass das unter Ihrem rechten Daumennagel keine Schuhwichse ist? Die Portion reicht ja aus, um eine ganze Korporalschaft als Neger zu tarnen. Ist ja glatte Verschwendung von Ausrüstungsgütern.“

Waldau wusste, es war gelaufen. Dennoch unternahm er einen neuen Versuch. „Bitte Herrn Obermaat melden zu dürfen, es handelt sich um schwarze Farbe.“ „Hähähähä“, meckerte Obermaat Sonnenberg wie ein prämierter Ziegenbock, „nun sagen Sie bloß noch, Sie Anstreicher, man hat Ihnen befohlen, die Fingernägel schwarz zu malen.“ Waldau versuchte vergeblich, dem gefürchteten Ausbilder darzulegen, dass es zu dieser erheblichen Verunreinigung unter seinem rechtem Daumennagel von immerhin fast der Größe eines Stecknadelkopfes beim Pönen der Ankerkette gekommen war, wusste aber selbst genau, dass er sagen konnte, was er wolle. Sonnenberg hatte halt sein Opfer gefunden. So kam es, wie es kommen musste. „Wenn Sie Saulappen schon die kostbare Farbe auf Ihren Dreckspfoten, statt auf der Kette, verteilen und dann noch zu faul sind, sich die Flossen richtig zu waschen, dann müssen Sie eben warten, bis der Nagel ausgewachsen ist. So kommen Sie jedenfalls nicht von Bord. Und in der Zwischenzeit werden Sie sich mal sinnvoll betätigen und mal lernen, was Reinigen heißt, Sie Drecksau“, schnarrte der Obermaat. „Sie melden sich in genau sechs Minuten beim Maat Kleensang zwecks Reinigung der Mannschaftslatrine – aber mit der Zahnbürste – Sie Schnarchlappen.“

Was blieb Didi also anderes übrig, als ein ergebenes „Jawohl, Herr Obermaat“, zu schmettern und dem Befehl nachzukommen?

Kleensang stand seinem Vorbild und Vorgesetzten Sonnenberg schließlich in nichts nach und sorgte dafür, dass Waldau inbrünstig mit seiner Zahnbürste fast sechs Stunden lang in der Mannschaftslatrine sich als Saubermann betätigen durfte.

Es soll nicht verschwiegen werden, dass Waldaus Rache fürchterlich war. Bekanntlich gleichen sich bei der Marine die Zahnbürsten wie ein Ei dem anderen. So besteht auch kein Unterschied zwischen der Zahnbürste eines allgewaltigen Ausbilders und der eines Seekadetten. Nach getaner Arbeit und durchaus nicht allzu intensiver Reinigung des Arbeitsgerätes vertauschte er, mit satanischer Schadensfreude, seinen Gebissreiniger mit dem des verehrten Obermaats. Es ist nie bekannt geworden, ob dieser sich von da an mit noch mehr Inbrunst der Pflege seines Gebisses gewidmet hat, weil vielleicht die Zahnpasta plötzlich einen angenehmen Beigeschmack hatte?

Didi Waldau schulterte also – nach vollendetem Frühstück – die Doppelflinte, nachdem er sich noch einige 16er Schrotpatronen in die rechte Seitentasche seiner Lodenjacke gesteckt hatte, pfiff seinem Jagdhund Jockl, einem Deutschdrahthaarrüden, und wollte die elterlichen 3 Fischteiche visitieren, um evtl. die eine oder andere Ente zur Bereicherung des Abendessens zu erbeuten. Voller Jagdpassion sprang Jockl freudig an ihm hoch. Herr und Hund wollten gerade den elterlichen Hof verlassen, da sah Waldau den Landbriefträger, Herrn Ploog, auf seinem Dienstfahrrad herannahen und in die Hofeinfahrt einbiegen. Er verhielt erwartungsvoll, sehr zum Unmut seines auf ganz andere Aktivitäten hoffenden Hundes.

„Na, Herr Ploog, nun sagen Sie bloß nicht, Sie haben etwas für mich“, grinste Waldau den ihm seit Jahren bekannten Landbriefträger an. „Jawohl Herr Korvettenkaptän“, entgegnete Landbriefträger Ploog und nahm unwillkürlich Haltung an, „sogar ein Telegram.“ Er übereichte Waldau dieses mit wichtiger Geste. „Sogar vom OKM.“

Waldau bedankte sich, bot dem örtlichen Postgewaltigen noch eine Zigarette an und pfiff seinem vierbeinigen Jagdgefährten, der sich bereits Richtung Wald etwas über Gebühr weit entfernt hatte. Der Hund kam – zwar etwas widerwillig – aber immerhin, er kam und Waldau öffnete das Telegramm. Der Text lautete: „Sofort in Marsch setzen. Stopp. OKM, Kaptän z.S. von Preuss melden. Stopp. OKM Abt. A III..” Waldau faltete nachdenklich das Telegramm und schob es in die Brusttasche seines Jagdhemdes, streichelte seinen Hund und meinte,

„Jockl, tut mir leid, Alter, wird nichts mit der Entenjagd. Nimm’s nicht so schwer, Kamerad.“

Herr und Hund gingen in Haus zurück, wo sie bereits von den Eltern, die das Zwischenspiel auf dem Hofplatz durch das Fenster verfolgt hatten, erwartet wurden. „Was ist, Junge“, fragte der Vater. „Schlechte Nachricht“? „Wie man’s nimmt“, meinte Waldau jr. und reichte seinem Vater das Telegramm. „Zumindest wird es Jockl bedauern, da aus der Jagd wohl nichts mehr wird. Ich muss wohl sofort nach Berlin. Ich ziehe mich um. Seid bitte so nett, und stellt mir die schnellste Verbindung nach Kiel fest.“

Am späten Vormittag des darauffolgenden Tages lief der D 312 in Berlin ein. Korvetten-Kapitän Waldau prüfte noch kurz im spiegelnden Glas den korrekten Sitz der Uniformmütze und bestieg eines der vor dem Bahnhof wartenden Taxis. Da die Züge noch fast friedensmäßig verkehrten, nur unter den Fahrgästen waren mehr Uniformierte festzustellen, hatte Waldau die Reise schnell und eigentlich recht erholsam hinter sich gebracht, nachdem er zuvor in Kiel noch sein Köfferchen gepackt und erforderliche Formalitäten erledigt hatte. Natürlich hatte ihn während der ganzen Zeit vornehmlich die Frage beschäftigt, was ihn beim Oberkommando der Marine erwarten würde? Da er sich nicht bewusst war, irgendwelche „Bolzen“ gedreht zu haben und diese auch allgemein auf weit unterer Ebene abgehandelt wurden, konnte es sich also nur um eine Sache von wirklich herausragender Bedeutung handeln. Vielleicht auch ein neues Kommando, aber welches? Schließlich befasste sich hiermit auch üblicherweise nicht die oberste Marineführung. Nun, wie dem auch sei, er würde es ja bald wissen.

Kurz vor 12.00 Uhr hielt der schwarze Opel und Waldau entlohnte den Fahrer, griff sich seinen Koffer und strebte gemessenen Schrittes auf den Eingang zu. An den salutierenden Posten vorbei betrat der Korvettenkapitän das Gebäude und gelangte schließlich – mit Hilfe eines beflissenen Oberleutnants zur See, der ihm auch sein Köfferchen abnahm, bis zum Vorzimmer der Abteilung A III. Dort wurde er zunächst in eine Art Vorzimmer, in dem ein jüngerer Kapitänleutnant sowie zwei Schreibkräfte geschäftigt wirkten, geführt. Nach einigen Minuten, die sich für Waldau wie Ewigkeiten dehnten, öffnete sich die große Doppeltür und mehrere Offiziere verließen den dahinterliegenden Raum. Der Kapitänleutnant erhob sich und verkündete Waldau, ihn jetzt beim Herrn Kapitän anzumelden. Wenige Augenblicke später erschien der Vorzimmerkrieger und bedeutete dem Korvettenkapitän ihm zu folgen. „Korvettenkapitän Waldau, Herr Kaptän“, meldete der Kaleu und Waldau beeilte sich zu melden, „Korvettenkapitän Waldau wie befohlen zur Stelle, Herr Kaptän.“

Kapitän zur See von Preuss hatte sich bereits erhoben, dankte für die Meldung und wies zu einer kleinen ledernen Sitzgruppe linker Hand seines Schreibtisches. Die Offiziere setzten sich, wobei Waldau genau auf eine Karte des Nordatlantiks blickte, die einen Großteil der ihm gegenüberliegenden Wand einnahm. Erwartungsvoll blickte er den vorgesetzten Offizier an, der ihn seinerseits noch einmal kritisch musterte.

„Ganz ehrlich, Herr Waldau, eigentlich hatte ich Sie frühestens morgen erwartet“, meinte der Kapitän jovial und bedeutete dem Jüngeren, sich der auf dem Tisch befindlichen Rauchwaren zu bedienen. Waldau griff zur Zigarette, ließ das massive Tischfeuerzeug aufschnappen und entzündete sein Stäbchen.

„Ja, nun sagen Sie einmal, Herr Waldau, konnten Sie denn die Dienstgeschäfte so zügig abwickeln?“ Waldau beeilte sich, die Frage des Kapitäns zu beantworten, „Jawohl; Herr Kaptän, ich bin sofort nach Erhalt des Telegramms auf die „Griepen“ zurückgekehrt, die – wie Herrn Kaptän sicherlich bekannt – ja leider für eine Reparaturdauer von noch mindestens einer Woche ausfallen wird und habe daran anschließend sofort die erforderlichen Gespräche mit dem Inspektor der Werft geführt und alle weiteren Arbeiten meinem IO sowie dem LI übertragen.“ Auf den etwas skeptischen Blick seines gegenüber beeilte sich Waldau hinzuzufügen. „ich bin sicher Herr Kaptän, da ich mich voll und ganz darauf verlassen kann, dass diese beiden alles Erdenkliche tun werden, das Schiff schnellstens wieder einsatzfähig melden zu können. Auch der Wertinspektor hat dieses ausdrücklich zugesichert.“

„Sehr schön“, entgegnete der Ältere, „nach allem, was sich aus Ihrem bisherigen Werdegang bei der grauen Dampferkompanie gemäß Ihrer Personalakte herauslesen lässt, besteht für mich auch kein Zweifel, dass Sie Schiff und Besatzung voll im Griff haben – was wohl bei dem Boot und seiner anfälligen Turbinenanlage – gar nicht immer einfach für Sie und Ihren LI gewesen sein wird.“

„Aber das wird ja jetzt für Sie bald Vergangenheit sein, denn wir …“, hier brach von Preuss ab, um fortzufahren, „aber sagen Sie, lieber Waldau, Sie müssen ja Stunden unterwegs sein; haben Sie überhaupt Gelegenheit gehabt, noch zu essen?“ „Nein, Herr Kaptän, aber darauf wird es sicherl…“ Hier wurde er von seinem Gegenüber unterbrochen: „Nee, nee, lassen Sie mal, mit knurrendem Magen redet es sich schlecht.“ Der Kapitän erhob sich, wandte sich Richtung des auf dem Schreibtisch befindlichen Telefons, überlegte es sich dann aber offensichtlich anders und verließ kurz den Raum. Durch die schalldichte Tür konnte Waldau nicht vernehmen, was im Vorzimmer gesprochen wurde, aber wenige Augenblicke später kehrte Kapitän zur See von Preuss zurück und nahm wieder Platz.

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