Kitabı oku: «Der Parzival Wolframs von Eschenbach», sayfa 3

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Belakane – die Magie der Sinne

Nach vielen siegreichen Kämpfen im Dienst des Baruchs von Bagdad legt Gachmuret an der Küste des Landes Zazamank an, dessen Bewohner «schwarz wie die Nacht» sind. Als er in das belagerte Patelamunt einreitet, in einem prunkvollen Zug mit riesigem Gefolge und mit triumphaler Geste sein Heldentum zur Schau stellend, da «sah er viele dunkelhäutige Damen, die waren schwarz wie die Raben anzuschaun». Auch wenn er zunächst «wenig Lust» verspürt, «bei den Mohren zu bleiben», strebt er dann doch die Begegnung mit dem Fremden an, das sein Interesse geweckt hat. Ein wesentlicher Charakterzug Gachmurets ist eben seine Weltoffenheit, die sich auch hier über die anfängliche Befremdung hinwegsetzt. Dem entspricht auch die Art und Weise, wie im Folgenden die Kämpfe um die Königin dargestellt werden: Nicht die Hautfarbe bestimmt die Front zwischen den streitenden Parteien, auf beiden Seiten kämpfen «Weiße» und «Schwarze». Von außen bedrängen Weiße und Schwarze die Stadt von zwei Seiten, von innen verteidigen Weiße und Schwarze die Stadt gemeinsam. Wie Gachmurets Teilnahme an der Gefolgschaft des Baruchs schon erkennen lässt, ist Wolframs Weltsicht nicht von der Ablehnung fremder Kulturen, Religionen oder auch Hautfarben bestimmt.

Schon im Prolog ist deutlich geworden, dass wir bei Wolfram nicht weit kommen, wenn wir seine Worte und Bilder statisch auffassen und auf bestimmte definierbare Bedeutungen festlegen. Wir wären dann, wenn auch auf intellektueller Ebene, dem «tumben» Knaben Parzival ähnlich, der endlos am Bach entlangreitet, weil er die «dunklen Furten», vor denen die Mutter ihn gewarnt hat, mit der äußeren Erscheinung identifiziert. Wolfram spielt aber mit den Bedeutungsebenen, wodurch seine Charakterisierungen oft einen humoristischen Anschein bekommen. Inwieweit «hell» und «Tag» oder «dunkel» und «Nacht» moralische Wertungen enthalten, geht aus dem situativen Zusammenhang hervor, der sich ständig wandelt. Vom Leser wird erwartet, dass er das «fliegende Gleichnis» jeweils richtig versteht. Wolfram ist weit davon entfernt, Kausalverknüpfungen zwischen der Hautfarbe oder sonst einer Äußerlichkeit und der charakterlichen oder moralischen Qualität einer Person herzustellen. Wenn Stapel übersetzt: «Einer tauigen Rose glich sie freilich nicht, denn sie war schwarz», dann ist das irreführend, denn Wolfram stellt die betreffenden Aussagen nicht in diesem Sinne kausal nebeneinander. Er macht das Gegenteil: Indem er Belakanes Schönheit und ihren Seelenadel hervorhebt, zeigt er gerade, dass diese für ihn nicht von der Hautfarbe abhängen. «Ist etwas lichter als der Tag, dem gleicht nicht die Königin. Sie hatte fraulichen Sinn und war auch ansonsten ritterlich gebildet, wenn auch einer tauigen Rose ungleich. Von schwarzer Farbe war ihr Schein, ihre Krone ein leuchtender Rubin: ihr Haupt konnte man dadurch schön sehen. (ist iht liehters denne der tac, dem glîchet niht diu künegin. si hete wîplîchen sin, und was abr anders rîterlîch, der touwegen rôsen ungelîch. nâch swarzer varwe was ir schîn, ir krône ein liehter rubîn: ir houbet man derdurch wol sach.)»

Wollen wir verstehen, warum man die Königin nicht treffend mit der Metapher «lichter Tag» charakterisieren kann und inwiefern sie der «tauigen Rose» ungleich ist, müssen wir etwas gründlicher vorgehen. Beobachten wir zunächst, was sich zwischen ihr und Gachmuret abspielt und wie sich die Beziehung zwischen ihnen entwickelt. Im Verlauf des Gesprächs erfahren wir, warum Krieg ist in Zazamank. König Isenhart hat seinen Minnedienst für Belakane mit dem Leben bezahlt. Mit der völlig überzogenen Forderung, ohne Rüstung für sie in den Kampf zu ziehen und ihr so seine Liebe zu beweisen, hat sie den Geliebten in den Tod getrieben. Auch diese Situation hat eine spätere Parallele, nämlich in der Beziehung zwischen Sigune und Schionatulander. Doch während Sigune am Tode des Geliebten und ihrer Schuld verzweifelt und dem Getöteten nachstirbt, wendet sich Belakane schon einem neuen Liebhaber zu, als sie noch wegen der alten Schuld im Krieg steht. Ihre innere Verbindlichkeit hält sich offenbar in Grenzen, obwohl es ihr eigentlich, wie Wolfram betont, nicht an Sittlichkeit mangelt. Auch sie ist offenbar ein widersprüchlicher Charakter.

Was sie vom Andenken an den ehemaligen Geliebten abzieht, ist der Sinneseindruck, den Gachmuret auf sie macht. Das Sinnliche in der Begegnung mit Gachmuret wirkt auf sie mit magischer Kraft und bestimmt von nun an ihr Handeln: «Ihre Augen fügten ihr hohen Schmerz zu, als sie den Anschewin sah. Der war so minniglich anzusehen, ob es ihr lieb war oder leid, dass er ihr Herz ganz öffnete, das vorher ihre Weiblichkeit verschloss. (ir ougen fuogten hôhen pîn, dô si gesach den Anschevîn. der was sô minneclîche gevar, daz er entslôz ir herze gar, ez wære ir liep oder leit: daz beslôz dâ vor ir wîpheit.)» Gachmuret erwidert diese Empfindungen in gleicher Weise. So ist jeder der beiden von der Erscheinung des anderen fasziniert, und schon die ersten Gesten ihrer Begegnung drücken Sinnlichkeit und Erotik aus. «Sie nahm ihn bei der Hand: … und sie setzten sich in die weiten Fenster auf eine samtene Steppdecke, darunter lag ein weiches Federbett.» In dem nun folgenden Gespräch fällt der Kontrast auf zwischen Belakanes Tränen der Trauer und ihrem erotischen Verlangen, das eigentlich die Grundstimmung der Begegnung von Anfang an prägt. «Durch die Tränen warf sie Gachmuret immer wieder verschämt neugierige Blicke zu. Da meldeten ihre Augen dem Herzen, er sei ein wohlgeschaffener Mann … Es entstand dort zwischen den beiden ein einvernehmliches Verlangen: sie sah hin, er sah her.» –

Erstaunlich ist, dass die im Krieg stehende Stadt und ihre Bewohner keinerlei Anzeichen von Hunger und Nahrungsnot erkennen lassen, wie es in der vergleichbaren Pelrapeire-Aventüre Parzivals beschrieben wird. Es gibt zwar Schmerz und Verwundung, diese scheinen aber nicht die Lebenskräfte aufzuzehren. Auch die Königin lebt in all ihrer Trauer üppig und ist das blühende Leben. So lässt sie es sich auch nicht nehmen, eigens mit ihren Damen in Gachmurets Quartier zur Mahlzeit zu erscheinen und ihm eigenhändig den Braten aufzuschneiden – was ihm geradezu peinlich ist. «Dann bot sie ihm zu trinken und kümmerte sich um sein Wohl: auch nahm er alles wahr, die Art ihrer Gebärden und ihre Worte.» Gachmuret fühlt sich wie gefangen von ihrer sinnlichen Ausstrahlung. Die folgende Nacht, die er noch allein verbringt, wird ihm zu lang, nicht nur, weil es ihn zum Kampf drängt, sondern weil er sich ohnmächtig fühlt gegenüber der Wirkung der Königin auf ihn: «Er fühlte sich völlig machtlos gegen die schwarze Mohrin, des Landes Königin. Wie ein geflochtenes Reis wand er sich so stark, dass ihm die Glieder krachten.» – Wenn Gachmuret später seine Gattin Belakane fluchtartig und bei Nacht und Nebel verlassen wird, ist es wie eine Befreiung aus dieser Ohnmacht. Er nimmt dafür sogar die alles andere als ehrenvolle, unangekündigte und heimliche Form der Trennung in Kauf, weil er sich regelrecht losreißen muss.

Blutsbande und Rittertum

In seinem Abschiedsbrief an Belakane können wir auch Genaueres über Gachmurets Abstammung und die Herkunft seiner Familie erfahren. Dass er empfänglich ist für die sinnliche Ausstrahlung der Königin, liegt ihm gewissermaßen im Blut. Er trägt nämlich «Feenblut» in sich, worauf Wolfram auch an anderen Stellen hinweist. Ganz oben in der Ahnenreihe steht als Stammvater Mazadan, worin man mac adam, Adams Sohn vermuten kann. Dessen Gattin war die Fee Terdelaschoye, übersetzt etwa «Erde oder Land der Freude», was jedenfalls darauf hinweist, dass die «irdischen Freuden» ein wesentlicher Grundzug in der Genealogie der Familie darstellen. Auch der Name «Anschaue» könnte von Wolfram als derartiger Hinweis auf das Sinnliche gemeint sein, was er allerdings im Dunkeln lässt. Zugleich ist eine Fee aber auch etwas Überirdisches, indem sie den Willen der geistigen Welt widerspiegelt und den Menschen auf sein Schicksal verweist. Im Märchen treten Feen daher bei der Geburt und in schicksalhaften Momenten auf. Wir können hier auch einen Hinweis auf das sinnlich-übersinnliche Doppelwesen Gachmurets und seine seelische Zerrissenheit sehen, die er nie überwinden wird.

Das weltliche Rittertum mit seinen Minneregeln und Tugendidealen, wie sie in den Liedern und Erzählungen vom Artushof urbildlich lebten, hatte in der Gesellschaft des Mittelalters eine bedeutende erzieherische Funktion. Im Unterschied zum Mönchtum bestand diese gerade nicht in der Askese, sondern in der Bejahung der Sinnesfreuden, in der Verfeinerung und Veredelung der Sitten und der Formen des gesellschaftlichen Lebens. Dies beinhaltete auch, zumindest als Ideal, die Lösung aus überkommenen Blutsbindungen: Ritter war man nicht von Geburt, Ritter konnte man nur werden, indem man einen inneren und äußeren Bildungsgang beschritt. Allein, in den Untergründen der Seelen lebte und brodelte weiterhin eine brutale Wildheit, die in den ritterlichen Kampfspielen ihren Blutzoll forderte oder auch, wie im Falle Belakanes und Isenharts, in der rücksichtslosen Übertreibung von Minnediensten.

In die Kämpfe um Patelamunt sind Ritter aus vielen Teilen Europas verwickelt, vom hohen Norden bis zum spanischen Süden. Sie sind angereist, weil sie durch verwandtschaftliche Beziehungen mit den streitenden Parteien verbunden sind. Da es sich um einen Rachefeldzug für den gefallenen König Isenhart handelt, hat man den Eindruck, die Stadt werde von der Blutrache heimgesucht, und man erwartet ein schlimmes Gemetzel. Umso erstaunlicher ist dann, dass uns vielmehr ein Kräftemessen in der Form von Zweikämpfen dargestellt wird, und zwar nach den strengen Regeln der ritterlichen Tjoste: Wer Sicherheit bietet, kann mit Vertrauen und Wohlwollen rechnen. So werden durch den Einsatz des Ritters von Anschaue immer mehr Ritter entwaffnet, es gibt keine Toten mehr, ein durchbohrter Arm wird als schlimmste Verwundung beschrieben. «Gestern kam ich an, heute bin ich hier Herr geworden über das Land», sagt Gachmuret nach den Kämpfen im Gespräch mit seinem Oheim Kaylet, der zu den Besiegten gehört. «‹Mich hat die Königin mit der Hand gefangen, da wehrte ich mich mit Minne. So rieten mir die Sinne.›» Kaylet setzt hinzu: «‹Mir scheint, mit den Waffen deiner Liebenswürdigkeit hast du die beiden Heere bezwungen (ich wæn dir hât dîn süeziu wer betwungen beidenthalb diu her).›» Wir sehen also an der Form und am Ausgang der Belagerungskämpfe eine Zügelung der Kampfwut und eine Besänftigung des Rachedurstes, ein Ergebnis der ritterlichen Bildung. Mit veredelten Empfindungskräften kann Gachmuret die Dämonen der Kriegslust besänftigen.

In der Darstellung der Kriegsparteien wird uns ein Geflecht verwandtschaftlicher Beziehungen beschrieben, das sich über ganz Europa und bis in den Orient hinein erstreckt. Wir lernen hier eine Eigenart der Wolframschen Darstellung kennen, in der sich der Autor deutlich von der Erzählweise Chrétiens absetzt. «Der Parzival», so heißt es in einer Dissertation hierzu, «darf als der Höhepunkt einer Entwicklung der Genealogie in der Dichtung gelten. In keinem der untersuchten Werke ist der gesamte Aufbau und die innere Bindung so offensichtlich auf den Zusammenhang der Generationen und der Familie ausgerichtet wie in Wolframs vielschichtigem Roman.»1 Die Detailtreue in der Beschreibung genealogischer Zusammenhänge stellt hohe Anforderungen an das Gedächtnis des Lesers, und man wird kaum einen Überblick über das Ganze gewinnen, ohne auf eine Skizze der verschiedenen Stammbäume zurückzugreifen.

Wann immer im Handlungszusammenhang menschliche Begegnungen stattfinden, tauschen die Betreffenden ihre verwandtschaftliche Herkunft aus, oder diese wird dem Leser in irgendeiner Form mitgeteilt, wobei sie dann nicht selten in zahlreiche Verästelungen hinein verfolgt wird. Dabei handelt es sich keineswegs um bedeutungsloses Beiwerk, das parallel zur Handlung verläuft und auch außen vor gelassen werden könnte, sondern das Geschehen wird von diesen Zusammenhängen wesentlich mitbestimmt, und die Personen beziehen ihre Handlungsmotivationen großenteils aus diesen Beziehungen. Hierbei geht es oft um Fragen der Erbfolge und um Erbansprüche: Nicht nur sind die Widersacher Parzivals vorwiegend Ritter und Fürsten, die ihn seiner Erblande beraubt haben, auch die Ermordung des Roten Ritters, in dessen Rüstung Parzival dann schlüpft, ereignet sich in einer Situation, in der dieser seine Erbansprüche gegenüber dem Artushof geltend macht.

Indessen begnügt sich der Erzähler nicht mit der Nennung von Verwandtschaftsgraden. Auch in der Vergabe von Personennamen unterscheidet sich seine Erzählweise von der Chrétiens, bei dem selbst zentrale Figuren oft namenlos erscheinen, wie das «Fräulein unter der Eiche», «die Mutter» oder «der Gralskönig». Durch Wolframs Personalisierung entsteht nun ein stärkerer Kontrast zwischen der Zugehörigkeit zu einer Familie oder einem Geschlecht einerseits und der konkreten Individualität andererseits. Zudem bietet die persönliche Namensgebung noch andere Möglichkeiten, Sinnbezüge herzustellen. Zum einen wirkt eine namentlich genannte Figur konkreter, wirklichkeitsnäher, zum anderen bietet ein Name die Gelegenheit, Charakteristisches anklingen zu lassen. Ähnliches gilt auch für nichtpersonale Namen, beispielsweise für geographische Orte. Teils sind die Namen der äußeren gesellschaftlichen, geschichtlichen oder geographischen Wirklichkeit entnommen, teils sind sie eindeutig aus einem höheren Sinnzusammenhang abgeleitet. Dazwischen gibt es alle nur erdenklichen Übergänge, wobei der Sinn teils gar nicht oder nur entfernt zu erahnen, teils eindeutig erkennbar ist. Wolfram «spielt» mit diesen Namen im eigentlichen Sinne, hält uns in der Schwebe zwischen Wirklichkeit und Idee. Ähnlich ist es mit den Familienbeziehungen. Nimmt man die Darstellungen Wolframs wortwörtlich als naturgetreue Abbilder äußerer Verhältnisse, gerät man in eine Fülle von Ungereimtheiten und Unsinnigkeiten.

Untersucht man beispielsweise die Herkunftsbeschreibung, wie sie Gachmuret in seinem Abschiedsbrief darstellt2 – es ist die einzige zusammenhängende Genealogie im ganzen Epos, die anderen muss man selbst zusammensetzen –, dann ergeben sich bemerkenswerte Altersverhältnisse zwischen den Personen. Insbesondere die Vertreter des Artus- und des Anschaue-Geschlechts erscheinen gegenüber denen der Gralsströmung völlig überaltert. Gawan ist fast eine Generation älter als sein Freund Parzival, und Ither ist ein besonderes Rätsel: Der Beschreibung Trevrizents nach müsste er eigentlich als «Neffe» Gachmurets3 der Generation Parzivals angehören, zugleich könnte er aber auch als Geliebter oder Gatte Lammires, der Schwester Gachmurets, zur Generation von Artus gehören – woraus sich ja auch seine Erbansprüche ableiten –, und dem Stammbaum nach könnte er zum Zeitpunkt seiner Ermordung durchaus ein Greis gewesen sein. Ob das nun beabsichtigt ist, wie neuere Untersuchungen nahelegen,4 oder ob es sich um versehentliche Unklarheiten in dem ansonsten mit akribischer Genauigkeit ausgearbeiteten Verwandtschaftssystem Wolframs handelt, sei dahingestellt. In keinem Fall haben wir es mit einem genauen Abbild äußerer Verhältnisse zu tun. Das verwandtschaftliche Beziehungsgeflecht sollte deshalb, ähnlich wie die Namensgebungen, nicht im naiv-faktischen Sinne aufgefasst werden, sondern in erster Linie als Mittel der künstlerischen Aussage. Gachmuret löst sich zwar – vorübergehend – von der Familienbindung und sucht den Dienst unter der «höchsten Hand», doch auch im fernen Orient kreuzen immer wieder Verwandte seinen Weg. Die ausführliche Darlegung väterlicher Abstammung in seinem Abschiedsbrief an Belakane zeigt, dass er in seinem inneren Selbstverständnis weiterhin eng in das Geflecht der Verwandtschaftsbeziehungen eingebunden ist. Deutlicher kann man den Zustand der inneren Zerrissenheit dieses Menschen nicht zum Ausdruck bringen als mit der Unterbreitung seines Stammbaums in einem Abschiedsbrief, in dem er sich von eben der Ehefrau lossagt, die seinen Stammhalter im Leibe trägt.

Zahlensymbolik: Polaritäten in Potenz

Die Symbolik in Wolframs Sprache ist äußerst vielfältig und bedeutungsreich. Sie bildet neben der begrifflichen Ebene der Sprache eine zweite, ergänzende Bedeutungsebene, die selten erläutert wird und sich dem Leser auch nur schwer erschließt, sodass das ohnehin komplizierte Handlungsgefüge zusätzlich in eine Atmosphäre des Rätselhaften und Geheimnisvollen gehüllt ist. So gibt es bestimmte Zahlen, Farben, auch Gegenstände, insbesondere Edelsteine, die immer wiederkehren und sich als Bedeutungsträger geradezu aufdrängen. In der Tat wird man bei genauerem Betrachten die Erfahrung machen können, dass die Symbolik oft auf eine imaginative Tiefenschicht des Geschehens verweist, die mit rationalen Begriffen gar nicht beschreibbar wäre. Im Unterricht wird man deshalb, wenn Textausschnitte referiert werden, auf eine möglichst bildhafte, anschauliche Schilderung achten, aber man wird sicherlich nur einen Bruchteil der Symbolik erschließen können und sich auf das Wesentlichste beschränken müssen. So werden auch in der vorliegenden Arbeit gelegentlich Hinweise und Anregungen zur Symbolik gegeben, die man zur Vertiefung des Textverständnisses eigenständig weiterverfolgen mag. Anhand der Bedeutungen der Zahl 2 und ihrer Potenzen sollen im Folgenden exemplarisch einige Gedankenwege und Begriffsbildungen aufgezeigt werden, die sich dabei anbieten.

Belakane wird von zwei Seiten bedrängt. Auf der einen bedrohen sie die Angreifer aus dem eigenen Kulturkreis, auf der anderen Seite greifen die Fremden aus dem fernen Nordwesten an. Von der Umgebung der umkämpften Stadt erfahren wir ansonsten wenig, außer dass sie am Meer liegt. Umso größeres Gewicht erhält die Aussage, dass sie sechzehn Tore hat, von denen jeweils acht von einem gegnerischen Heer belagert werden. Nimmt man diese Zahlen nicht nur als schmückendes Beiwerk, kann man feststellen: Es dominiert die Zwei mit ihren Potenzen. Wir können einen konsequent durchgeführten Dualismus beobachten, der die Thematik des Prologs wieder aufgreift.

Die Zwei kann Streit und «Zwist» zur Folge haben, sie ist aber auch die Grundlage aller Entwicklung in Polarität und Steigerung. Welche Richtung sie weist, nach oben oder unten, ist offen. Betrachten wir die verschiedenen Potenzen der 2: Die 4 ist die Zahl alles Irdischen, Körperlichen, Gewordenen, der sichtbaren, «gegenständlichen» Schöpfung, wo sich die Dinge gegenüberstehen. Man denke an die vier Elemente, die vier Jahres- und Tageszeiten, die vier Himmelsrichtungen, die vier gleichen Winkel des Rechtecks, das Kreuz, die vier leiblichen Wesensglieder des Menschen. Wir erleben Beständigkeit, Dauer, Festigkeit, aber auch die Erstarrung, den Tod. Mit der 2 in dritter Potenz kommen wir nicht nur zum Raum: Die Doppelung der 4 – die indogermanische Dualform «oktou» heißt ursprünglich «die beiden Viererspitzen» – bildet auch die vollkommene Leiblichkeit. Die beiden Teile, die Geschlechter Mann und Frau, können in Gegensatz und Krieg geraten, aber zusammen bilden sie den ganzen natürlichen Menschen. Betrachten wir die Ziffer 8 mit ihrer Doppelgestalt als Lemniskate, bekommen wir ein Gespür für diese Verbindung des Gegensätzlichen.

Zeitlich gesehen ist mit der 8 alle Entwicklung vollendet und umfasst deren Totalität. Wir sprechen von «acht Tagen», wenn wir eine abgeschlossene Woche bezeichnen – hier wird Zeit zum vollendeten Zeit- «Raum». Zugleich kann aber auch Neues eröffnet werden: Am «achten Schöpfungstag» wird aus der vollendeten väterlichen Schöpfung durch die Erlösungstat Christi eine neue geboren. Zu deren Entwicklung gehört auch der «achtgliedrige Pfad» Buddhas: die Gesamtheit des rechten irdischen Tuns zur Vervollkommnung des Menschen.

Das Achteck wirkt in sich geschlossen und kommt der Kreisform schon nahe. Im Sakralbau spielt es eine große Rolle. Man denke an den Felsendom in Jerusalem mit seiner wechselhaften Geschichte, jenen Schnittpunkt der drei großen monotheistischen Religionen. Das Tor der irdischen Geburt, wo die Leiblichkeit vollendet und bereit ist, damit ein Geistwesen in sie einziehen kann als in seinen «Tempel», wird auch im Christentum mit der Acht verbunden: Taufkapellen im Namen Christi und der Auferstehung als Vollendung der irdischen Leiblichkeit sind in der Regel Achtecke, wie beispielsweise das herrliche Baptisterium in Florenz mit seinen kosmischen Mosaiken. Viele Bauten der Templer sind oktogonal, und schließlich beruht die Vorstellung, die sich Albrecht von Scharfenberg in seinem «Jüngeren Titurel» vom Gralstempel macht, auf oktogonalen Formen.

In der «Doppelzwei» oder der potenzierten Zwei haben wir die Gesamtheit der Elementarzustände und Ganzheit der Naturreiche, in der «Doppelvier» oder Acht die Krönung dieser Naturentwicklung im menschlichen Leib als dem Tempel des Geistes. Geometrisch ergibt sich der Kubus als einander gegenüberliegende Vieren im irdischen Raum. Wir werden später, im Zusammenhang mit dem Gral, noch auf die Figur des Würfels zu sprechen kommen. Mit der «Doppelacht», der potenzierten Vier, kommen wir nun noch einen Schritt tiefer in das Wesen des Leiblichen. Dieses neue Ganze ist nicht mehr Ergebnis natürlicher Entwicklung, hier steht der individuelle Menschengeist nun in der Entscheidung, Herr im eigenen Haus zu werden. Dies will der achtgliedrige Pfad, der zur Ausbildung der sechzehnblättrigen Lotusblume führt: zur Herrschaft des Geistes über den Leib.5 Dem steht gegenüber, was «die sechzehn Wege des Verderbens»6 genannt wurde: die Herrschaft des Leibes über die Seele durch die Macht der Instinkte, die Kapitulation der Menschlichkeit vor den Kräften der tierischen Natur und damit der sukzessive Verlust aller Entwicklungsmöglichkeiten. «Es gibt sechzehn Gruppen menschlicher Instinkte und Leidenschaften und so gibt es auch sechzehn Tiergruppen.»7 Unter anderem in den Vorträgen zum Lukas-Evangelium hat Rudolf Steiner auf die Bedeutung des achtgliedrigen Pfades hingewiesen: «Heute ist die Menschheit darauf angewiesen, nach und nach diesen achtgliedrigen Pfad geistig-seelisch sich anzueignen … Sie ist so weit gediehen, wie sie gediehen ist in der Entwickelung der sechzehnblättrigen Lotusblume, die eines der ersten Organe ist, deren sich die Menschen in der Zukunft bedienen werden. Wenn aber dieses Organ entwickelt sein wird, dann wird eine gewisse Herrschaft des Seelisch-Geistigen über das Physische eingetreten sein.»8

Die Begegnung der beiden Kulturkreise, des Orients und des Okzidents, kann in konstruktiver und in destruktiver Form geschehen. In den heranrückenden Truppen Friedebrants gegen die acht Tore auf der einen Seite und den Heeren Isenharts bei der Belagerung der acht Tore auf der anderen Seite haben wir es mit einer destruktiven Doppelung zu tun. Durch sechzehn Tore kann jetzt das Verderben eindringen. Der Zerstörung und der physischen Gewalt, symbolisiert durch das Wappen der Gegner, den durchstochenen Ritter, versucht Belakane sich durch eine Anbindung an das Geistige zu erwehren, was in ihrem Wappen, der erhobenen Schwurhand, zum Ausdruck kommt. Mit dem Verlust Isenharts ist das geistige Band aber zerrissen, die Seele ist führungslos. Der Konflikt wäre unlösbar und müsste unweigerlich ins Verderben führen, träte nicht Gachmuret an die Stelle Isenharts. Diese geistige Nachfolge wird – allerdings erst im Nachhinein und in durchaus fragwürdigem Zusammenhang – bildhaft symbolisch durch die Übernahme des diamantenen Helms, des «Adamas», ausgedrückt.

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672 s. 4 illüstrasyon
ISBN:
9783772543586
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