Kitabı oku: «Vom klugen Umgang mit Gefühlen», sayfa 2

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Was passiert im Gehirn bei einem Kontrollverlust?

Wie oft und wie intensiv jemand die Kontrolle über seine Gefühle verliert, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Es gibt sie, Individuen, die eigentlich nie die Kontrolle über ihre Gefühle verlieren. Was auch geschieht, sie bleiben ruhig und überlegt. Das kann sogar andere zum verstärkten Ärger führen, wenn sie es nicht ertragen können, dass jemand trotz der offensichtlich aufregenden Situation teilnahmslos bleibt. Wenig oder keine Gefühlsregung zu zeigen, stört fast immer die soziale Kommunikation, die auch über den Austausch von Gefühlen stattfindet. Wer in einem Gespräch nicht »mitschwingt«, Gefühle unterdrückt oder nicht erkennen lässt, wird schnell langweilig. Das Gegenüber hat das Gefühl, keinen Kontakt zu haben, da etwas Entscheidendes fehlt. Wer hingegen in südeuropäischen Ländern Menschen beobachtet, die freundschaftlich miteinander in Kontakt sind, erkennt leicht, dass nicht nur das gesprochene Wort eine Bedeutung hat. Mindestens gleichwertig, wenn nicht bedeutender sind Gestik, Mimik und Intonation. Für kühle Nordländer erscheint alles übertrieben, überschwänglich und besonders gefühls­betont. Mit Sicherheit spüren einige auch Neid, wenn sie so viel Temperament erleben.

Viel mehr als den meisten bewusst ist, können Kontrollverluste das Leben negativ beeinträchtigen. So wie es Menschen gibt, die fast nie die Kontrolle über ihre Gefühle verlieren, gibt es andere, die sehr häufig hierdurch in schwierige Situationen geraten.

Frau G. ist leicht kränkbar, jede noch so geringe Kritik an ihrer Person bringt sie in emotionale Schwierigkeiten. Wie auf Knopfdruck verändern sich Denken und Fühlen. Sie geht in den »Verteidigungsmodus« und sucht nach Argumenten, um die Kritik zurückzuweisen. Was jetzt besonders auffällt, sind Übertreibungen, die im Denken von Frau G. zu beobachten sind. Sie glaubt, völlig wertlos zu sein, so als würde sie als Person absolut zurückgewiesen. Sie steigert sich in immer stärkere Wut hinein und wird die negativen Gefühle erst nach längerer Zeit wieder los. Die ständige Angst vor Kritik führt zu Zurückhaltung und übertriebener Vorsicht in zwischenmenschlichen Kontakten.

Natürlich kann Frau G. nicht immer und spontan ihren Ärger zeigen, etwa wenn Personen anwesend sind, die ihr besonders wichtig sind oder denen sie sich unterlegen fühlt. In diesem Fall schluckt sie ihren Ärger, der im Anschluss an die Szene viele Stunden, eventuell Tage anhalten kann.

Im Falle einer Kritik an ihrer Person übernimmt das emotionale Gehirn von Frau G. quasi die Regie. Das ist zwangsläufig der Fall, da es sich hier um einen automatischen Mechanismus handelt. Der gesamte Vorgang unterliegt nicht der willentlichen Kontrolle. Die Amygdala reagiert, da sie die Situation – Kritik zu erfahren – als bedrohlich für die Person empfindet. So erleben unendlich viele Menschen ihre Realität.

»Ich bin nicht wütend!« – So ruft Herr K. und glaubt das wirklich. Alle, die ihn beobachten, stellen jedoch eine deutliche Erregung fest. So sehr Herr K. bemüht ist, seinen Ärger nicht zu zeigen, gibt es offensichtlich in seinem Inneren etwas, das stärker ist. Der Ort, an dem starke Gefühle angesiedelt sind, ist das sogenannte Limbische System. Zentral sind hier die Amygdala und die darum herum liegenden Nervenbahnen und Schaltkreise zu nennen. Sie machen das emotionale Gehirn des Menschen aus. Manchmal hat uns das Limbische System im Griff, etwa bei starker Freude, in der Verliebtheit oder wenn wir sonst wie Rauschhaftes erleben. Aber auch bei starkem Ärger oder Hass. Mit etwas Abstand betrachtet würde man erkennen, dass in diesen Situationen das logische Denken in den Hintergrund tritt. Man ist beispielsweise für Argumente nicht zugänglich. Eventuell ist auch ein zeitlicher Abstand wichtig, damit der Blick für die gesamte Situation realistischer wird. Vor einer wichtigen Entscheidung erst eine Nacht zu schlafen ist in vielen Fällen eine weise Maßnahme.

Im Falle des Kontrollverlustes ist jedenfalls der Neokortex als rationale Instanz ziemlich ausgeschaltet. Im Limbischen System findet sozusagen eine Überschwemmung statt und unsere Gefühle haben uns im Griff. Amygdala Highjacking nennt der bekannte amerikanische Autor David Goleman diesen Zustand3. Hier hat Radikales stattgefunden. Highjacking bedeutet Entführung, völlige Inbesitznahme, Kidnapping. Damit wollte er einen Zustand beschreiben, der bei einem emotionalen Kontrollverlust entsteht. Wenn sich alles nur noch in der Amygdala abspielt, sind andere Hirnregionen quasi ausgeschaltet. Realistisches Nachdenken und Überlegen sind nicht möglich. Je mehr sich ein Mensch z. B. in seine Ärgergefühle hineinsteigert, umso weniger ist es ihm möglich, objektiv zu bleiben, und andere, etwa konträre Argumente, zu sehen bzw. zu akzeptieren. Wer mit starken Ärgergefühlen konfrontiert ist, tut immer gut daran, eine Zeit verstreichen zu lassen, bis die erste Wut vor­über ist, damit eine nüchterne Betrachtung der Begebenheit möglich wird. Dies zu wissen ist von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, den Kontrollverlust zu erforschen und gegebenenfalls zu vermeiden. Wenn es einmal passiert ist, kann man nur sehr schwer den Kontakt zum Neokortex herstellen und rationales Denken in den Vordergrund bringen. Der Kontrollverlust ist ja gerade ein Selbstläufer, der nur schwer zu stoppen ist. Wer ihn vermeiden will, sollte gar nicht erst anfangen, sich in seine Gefühle hineinzusteigern. Das ist mitunter leichter gesagt als getan.

Wie kommt es zu Kontrollverlusten?

Stellen wir uns folgende Szene vor: Zwei Männer stehen an der Theke und trinken ihr Feierabendbier. Herr A. ist mit dem Tag, so wie er gelaufen ist, zufrieden. Er trinkt sein Bier aus und geht nach Hause. Herr B. spült erst einmal seinen Ärger hinunter. Er ist unzufrieden und langsam spürt er, dass der Alkohol seine Wirkung tut. Er fühlt sich erleichtert und bestellt ein weiteres Bier, um die Wirkung zu steigern.

Von außen ist der entscheidende Unterschied kaum zu erkennen. Tatsache ist jedoch, dass Herr B. Alkohol als Problemlöser missbraucht.

Das klassische Merkmal der Suchtkrankheit ist der Kontrollverlust. Ein Suchtmittel wie etwa Alkohol sollte emotionale Probleme lösen: Ärger, Unzufriedenheit, Angst, Trauer, Frustration etc. beseitigen. Das Problem beginnt mit der »Dosissteigerung«, das bedeutet, dass immer mehr Suchtmittel benötigt wird, um eine euphorisierende Wirkung zu erreichen.

Suchtkranken ist es schließlich nicht mehr möglich, eine Erleichterung zu erzielen, egal wie viel sie konsumieren. Exzessiver Konsum führt bestenfalls zur völligen Betäubung. Die Entzugserscheinungen zwingen zum weiteren Missbrauch der Droge. Die körperliche und psychische Abhängigkeit dominiert den Alltag. Dieses Wissen kann Suchtkranken helfen, abstinent zu bleiben. Wenn es sowieso keine positive Wirkung mehr geben kann, lohnt es sich nicht, wieder anzufangen.

Endorphine sind Botenstoffe, die ähnlich wie Opiate für positive Gefühle sorgen. Das emotionale Gehirn hat Rezeptoren, die für Endorphine empfänglich sind. Diese körpereigenen Drogen kann man z. B. durch Sport, etwa Joggen, erzeugen. Dies ist für die Gesundheit sehr positiv. Wer regelmäßig Sport treibt, sorgt für körperliches Wohlbefinden. Untersuchungen zeigen, dass Sport ein wirksames Mittel gegen Depression ist und auch das Immunsystem gestärkt wird. Problematisch wird dies jedoch, wenn versucht wird, mithilfe von Joggen emotionale Probleme zu bearbeiten. Es ist in Ordnung, wenn man sich mal den »Frust von der Seele rennt«. Wird dies jedoch zum dauerhaften Problemlöser, reduziert sich allmählich die Wirkung der körpereigenen Droge, sodass man immer mehr investieren muss, damit die Wirkung eintritt. Der Kontrollverlust (man kann mit dem Joggen nicht mehr aufhören) zeigt wieder, dass mit falschen Mitteln versucht wurde, ein tieferes Problem zu lösen. Fast immer lässt sich dies auf ein gestörtes Selbstwertgefühl zurückführen.

Ein anderes Beispiel:

Händewaschen kann die Angst vor Infektionen oder Schmutz beruhigen und spielt aktuell gerade in Zeiten von Corona eine wichtige Rolle bei prophylaktischen Hygienemaßnahmen. Wenn die Angst vor einer möglichen Infektion jedoch bald wieder da ist, muss man erneut die Hände waschen. Ständiges Händewaschen führt zu einer Zwangsstörung mit typischen Kontrollverlusten. Patienten mit Waschzwang müssen ihre Hände täglich viele Male waschen.

Emotional stabile Menschen nehmen sinnvolle Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen in Anspruch, etwa Händewaschen. Emotional instabile Menschen entwickeln leicht übertriebene Ängste, z. B. vor Infektionen. Das häufige Händewaschen ist jedoch das falsche Beruhigungsmittel. Perfektionismus fördert letztlich die Ängste, da man nie gut genug ist und es keine absolute Sicherheit geben kann. Da Beruhigung nicht wirklich funktioniert, werden die Beruhigungsversuche intensiviert. Letztlich muss der Beruhigungsversuch scheitern. Jetzt hat der Mensch zwei Probleme. Die übertriebene Angst vor Infektionen, die durch häufiges Händewaschen stärker wird, und den Kontrollverlust über das Händewaschen. Diesbezüglich werden Selbstvorwürfe und Schuldgefühle entwickelt. In diesem Teufelskreis wird die emotionale Stabilität weiter geschwächt.

Der Ursprung war die übertriebene Angst vor Infektionen. Für eine Behandlung wäre hier anzusetzen. Für Betroffene ist es zunächst extrem schwer, auf ihr Beruhigungsmittel »Händewaschen« zu verzichten, da sich unweigerlich starke Ängste einstellen.

Hinter einem Waschzwang steht auch nicht selten der Versuch, Schuldgefühle zu bewältigen. Der uralte Spruch »Die Hände in Unschuld waschen« zeigt die Beziehung zwischen Schuld und sich reinwaschen. Objektiv gesehen ist jedoch klar, dass man Schuldgefühle nicht abwaschen kann. Sich beschmutzt fühlen, etwa nach sexuellem Missbrauch, kann ebenfalls zu einem Waschzwang führen, denn auch hier ist es nicht möglich, das Geschehene abzuwaschen.

Zu erkennen sind die Versuche, mit falschen Mitteln der Angst vor Infektion oder Beschmutzung Herr zu werden. Die Therapie geht den umgekehrten Weg. Betroffene werden mit Schmutz und Dreck an den Händen konfrontiert und spüren bald, dass die Angst schwindet, wenn man sich bewusst mit ihr konfrontiert.

Im Vorfeld von Kontrollverlusten geht es um ein Verhalten oder um Gefühle, die eine Beruhigung, Erleichterung oder Stimulierung erzeugen sollen. An vielen Beispielen lässt sich zeigen, dass ein typisches »Missbrauchsverhalten« stattgefunden hat. Damit ist gemeint, dass Betroffene versuchen, unangenehmen Gefühlen mit untauglichen Mitteln aus dem Wege zu gehen. Da dies nicht zum gewünschten Erfolg führt, wird der Einsatz gesteigert. Über Konditionierung wird die Wahrscheinlichkeit weiterer Kontrollverluste programmiert. Meist genügen dann bestimmte Auslöser, die den Selbstläufer initiieren.

Die Konditionierung eines Kontrollverlusts

Konditionierung ist der Fachbegriff dafür, dass das Gehirn lernt, wie auf Knopfdruck bestimmte Reaktionen zu zeigen. Das berühmteste Beispiel war der Pawlow’sche Hund. Dem russischen Verhaltensforscher Iwan Pawlow war es gelungen, zu beweisen, dass ein bestimmter Reiz, in dem Fall ein Glockenton, zu Speichelfluss bei einem Hund führte, da dieser Ton immer in Verbindung mit der Futterausgabe erfolgte. Der Glockenton löste schon nach kurzer Zeit den Speichelfluss auch dann aus, wenn noch kein Futter angeboten wurde. Das war der Beweis, dass das Gehirn auf bestimmte Reize reagiert, weil es sich erinnert. In der Fachsprache wird dieser Vorgang Konditionierung genannt. Darunter ist ein Lernvorgang zu verstehen, der automatisch abläuft, wenn bestimmte Reize eintreten. Auch hier ist ein gewisser Kontrollverlust zu beobachten, manchmal genügen kleine »Auslöser«, um das Gehirn zu starken Reaktionen zu animieren, deren man sich kaum erwehren kann.

Bei den weiteren Überlegungen wird sich immer wieder ein Problem zeigen: untaugliche Problemlösungsstrategien. Wie es zu Kontrollverlusten kommt, findet nach einem typischen Muster statt. Ein Verhalten soll Erleichterung verschaffen, da sich der Erfolg nicht in genügender Weise einstellen will, glaubt man, durch ein Mehr vom Selben das Ziel doch noch zu erreichen.

Das berühmte »sich in etwas Hineinsteigern« bedeutet, sich den Gefühlen ganz zu überlassen und dabei den Verstand auszuschalten. Nach dem Motto: »Das ist mir jetzt völlig egal, ich will meine Wut, meinen Groll, meinen Hass jetzt ungebremst ausleben.« Man sucht die Erleichterung, die Befriedigung, die Genugtuung. Ein Kontrollverlust über Gefühle, Gedanken oder Verhaltensweisen hat fast immer etwas mit Missbrauch zu tun. Missbrauch in dem Sinne, dass ein Verhalten praktiziert wird, das zwar eine direkte Erleichterung bringt, aber keine Lösung. Da dieser Missbrauch nicht immer offensichtlich ist, wird er oft nicht im Zusammenhang mit dem Kontrollverlust gesehen. So wie man Alkohol oder Drogen konsumiert, um die Stimmung zu verbessern, lassen sich auch Gefühle und Verhaltensweisen instrumentalisieren, um Effekte zu erzielen. Das ist ein so häufiger Vorgang, dass man ihn als »normales« menschliches Verhalten bezeichnen kann. Viele Menschen trösten sich mit Schokolade, wenn sie sich einsam oder frustriert fühlen. Problematisch wird das Ganze erst, wenn es sich verselbstständigt, wenn es immer wieder zu Kontrollverlusten kommt, ein unwiderstehlicher Drang vorhanden ist, immer mehr Schokolade zu essen. Weitere typische Verhaltensweisen, über die die Kontrolle verloren gehen kann, sind beispielsweise Glücksspiel, Sport, Sex …

An diesem Beispiel wird deutlich, dass eine Konditionierung stattgefunden hat. Wie auf Knopfdruck entgleiten Gefühle und werden quasi zum Selbstläufer.

Wenn man fragt, warum es immer wieder zu Kontrollverlusten kommt, dann sind Teufelskreise zu beobachten. Wer unter einem Kontrollverlust oder unter den Folgen leidet, tendiert zur Selbstabwertung. Er macht sich Vorwürfe und redet negativ mit sich selbst. Warum bin ich wieder über das Ziel hinausgeschossen? Was denken jetzt andere über mich? Warum kann ich mich nicht beherrschen? Durch die Selbstabwertungen wird die Psyche labilisiert. Dies ist wiederum die Basis dafür, dass es neue Kontrollverluste geben wird. Der Vorsatz, dass es so etwas nicht mehr geben wird – nie mehr –, gehört in aller Regel auch dazu.

Erklärsysteme

Typischerweise gibt es nach dem oder schon während des Kontrollverlustes ein »Erklärsystem«, eine Rechtfertigung, eine Beweisführung, warum alles so kommen musste. Meist bestehend aus Ausreden, skurrilen Erklärungen und Schuldzuweisungen.

Menschen, die häufiger Kontrollverluste erleben, leiden fast immer an einer grundsätzlichen emotionalen Labilität. Ein nicht gelöster Konflikt, eine Kränkung, die nicht verarbeitet wurde, eine Zurückweisung, eine Störung der Selbstwertentwicklung. Wenn es zu einer dauerhaften Veränderung kommen soll, gilt es, sich mit den Wurzeln dieser Labilität zu beschäftigen, tiefer zu bohren und das Selbstwertgefühl in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, genauer: Die Entwicklung des Selbstwertgefühls.

Die meisten Menschen haben das Gefühl, dass sie immer die Kontrolle über ihr Verhalten, ihr Denken und Fühlen haben. Psychologische Experimente beweisen nachdrücklich das Gegenteil. Das subjektive Gefühl, selbstbestimmt zu leben, ist weitgehend eine Illusion, ob uns das passt oder nicht. Was wir denken, wie wir uns kleiden, was wir essen, wird von vielen Faktoren bestimmt. Wir leben in einer Zeit, in der bestimmte Denkmuster vorherrschen, die wir unbewusst übernehmen. (Zu jeder Zeit gab es typische Denkmuster; so auch jetzt.) Wie sehr beispielsweise Werbung manipuliert, weiß eigentlich jeder, allerdings hat dieses Wissen zum Vergnügen der Werbeindustrie keine große Wirkung, wir lassen uns weiter »einlullen«. Experten gehen davon aus, dass in den sozialen Medien schon jetzt die Manipulation extrem ist und zerstörerische Kräfte die Demokratie gefährden können.

Was im großen Stil in der Gesellschaft passiert, gelingt auch im persönlichen Bereich. So saß ich einmal mit einer Gruppe Patienten zum Kaffeetrinken in einem Restaurant. Plötzlich erklärte Frau H., eine spielsüchtige Patientin, dass sie nicht im Raum bleiben könne. Ein Glücksspielautomat in der Ecke mache typische Signale, die sie magisch anzögen. Es sei einfacher für sie, wenn sie den Raum verlasse.

Ich hatte das Geräusch bis dahin nicht bemerkt, jetzt wurde mir klar, dass der Automat tatsächlich in zeitlichen Abständen mit einer Melodie »Lockrufe« produzierte, für die ich keine »Antenne« hatte. Für Spielsüchtige sind diese Signale jedoch verheerend, da der Drang zum Spielen unwiderstehlich wird. Dieses Arrangement ist nicht die einzige hinterhältige Maßnahme der Spielindustrie, um Spielsüchtige zu verführen. Wenn Frau H. aus der Klemme kommen wollte, müsste sie lernen, dieses Signal zu hassen. Sie müsste augenblicklich realisieren, welches Elend sie durch ihre Spielsucht ertragen musste. Ihr Gehirn würde sie auf diese Weise »umprogrammieren«. Der erste Schritt, den Raum zu verlassen, war richtig; mit etwas Abstand zu einer neuen Haltung zu kommen, wäre die nächste Aufgabe. Hier lässt sich Grundsätzliches erkennen: Solange Frau H. sich diesem lockenden Signal ausgeliefert fühlt, ist sie in der Opferrolle. Die innere Überzeugung lautet: Das Signal ist stärker als ich. Sobald es ihr gelingt, das Signal zu hassen, ist sie in der »Täterrolle«. Die innere Überzeugung lautet: Ich gebe meine Selbstkontrolle nicht an primitive Verführungstechniken ab, ich bin frei, weil ich nicht mehr spiele. Ich hasse Spielautomaten, weil sie mein Leben vergiftet haben.

Bestimmte Auslöser können zum Kontrollverlust führen. Das gilt tragischerweise auch für Gedanken. Bei Frau H. ist es die Nähe zu einem Glücksspielautomaten, der einen starken Impuls auslöst. Es ist nicht schwierig, diese grundsätzlich zu meiden, indem man sich nicht in ihre Nähe begibt. Für Spielsüchtige während der ersten Phase ihrer Abstinenz ist diese Distanz eine ratsame Maßnahme.

Das Gehirn produziert permanent Gedanken, und man trägt es immer bei sich. Darum ist es eventuell viel schwieriger, von Gedanken, die zu Kontrollverlusten führen, abstinent zu werden, zumal es einen Magneten zu geben scheint, der diese Gedanken förmlich anzieht. Aber auch hier ist es ratsam, auf das Problem zuzugehen und genau zu erforschen, welche Auslöser dies sind, wie sie benannt werden können. Sie gehören auf den Prüfstand, damit sie einer realistischen Bewertung zugänglich werden. Aus Angst vor der Angst wollen Betroffene mit den entsprechenden Auslösern möglichst nicht in Berührung kommen. Damit ist das eigentliche Problem beschrieben. Aber gerade die Konfrontation und die Auseinandersetzung mit dem Auslöser nimmt das Drama und damit schon viel von der Angst. Ein realistischer Blick auf das Problem hilft, die Dinge anders und besser einzuordnen. Auch hier geht es darum, die Opferrolle zu verlassen und in die Täterrolle zu gelangen. Ohne dass es zu einem Umlernprozess im Gehirn kommt, ist Veränderung nicht denkbar.

2. Amygdala-Klärung – eine Selbsthilfemethode

Amygdala-Klärung nenne ich eine Methode, die hilft, die Fehlreaktionen des Mandelkerns zu korrigieren. Sie ist mir bei den Recherchen zum emotionalen Kontrollverlust bewusst geworden. Wer weiß, welche Funktion die Amygdala hat, kann sein Verhalten und seine emotionalen Reaktionen besser verstehen. Wenn es darum geht, mehr Kontrolle über die eigenen Reflexe zu bekommen, ist eine gewisse Form der Aufmerksamkeit hilfreich. Vielen Menschen spielt die Amygdala einen Streich, nämlich dann, wenn sie Alarmzeichen sendet, die zu Angst, Wut oder sonstigen Überreaktionen führen, die der momentanen Situation jedoch nicht angemessen sind. Die Amygdala ist leider sehr häufig für falsche Signale verantwortlich. Sie kann sogar großes Unheil anrichten, nämlich dann, wenn sie ständig Angstsignale sendet, obwohl dafür kein Anlass vorhanden ist.

Das Leben der meisten Menschen wäre viel einfacher und angenehmer, wenn sie auf ihre unrealistischen, unpassenden, unangemessenen Ängste verzichten könnten. Diese sind überflüssig, können aber das gesamte Leben vergiften.

Fast jeder kennt die Situation, dass ihn ein mulmiges Gefühl beschleicht, wenn er auf einem hohen Turm steht, in einen tiefen Abgrund schaut, im Fernsehen eine dramatische Szene gezeigt wird, das Flugzeug rasant abhebt. Obwohl man sich in völliger Sicherheit befindet, will die Furcht nicht sofort weichen. Schuld ist die Amygdala, die spontan eine Situation erkannt hat, die als gefährlich identifiziert wurde. Jetzt geht es um die richtige Einschätzung. Zunächst kann man der Amygdala ein Kompliment machen, nämlich, dass sie funktioniert. Solche Einschätzungen, wie sie in diesem Augenblick passieren, können Leben retten. In wirklich gefährlichen Situationen brauchen wir spontane Impulse, die zum Handeln führen. Die Amygdala hat die Aufgabe, das tatsächliche Geschehen mit gespeicherten Inhalten zu vergleichen und Alarm zu schlagen, wenn Gefahr erkannt wird. Nachdenken ist zu umständlich, wertvolle Sekunden sind verloren, und möglicherweise wären dramatische Nachteile entstanden. Während der Autofahrt taucht plötzlich ein Hindernis auf, nur der spontane Tritt auf die Bremse kann einen Unfall verhindern. Der versierte Autofahrer macht dies, ohne nachzudenken. Im Neokortex (der Ort des logischen Denkens) wird die Situation erst anschließend analysiert: Gerade noch mal Glück gehabt; das war knapp; gut, dass ich so wach war … Aber eventuell ist die Chemie im Körper immer noch in Aufruhr, der Schock sitzt tief, die Knie zittern, im Magen ein flaues Gefühl … Allmählich kann man sich wieder beruhigen. Die realistische Einschätzung führt dahin, dass man sich wieder sicher fühlt.

Was kann man tun, wenn plötzlich ein unliebsames Gefühl entsteht, das nicht ins Geschehen passen will? Man lenkt die Aufmerksamkeit auf die Amygdala und darauf, was hier gerade geschieht.

Frau T. wird zu ihrem Vorgesetzten gerufen. Spontan überfällt sie Angst, sie fragt sich: Was will er von mir? Werde ich mög­licherweise kritisiert? Habe ich etwas falsch gemacht? Dabei sind ihre Befürchtungen unberechtigt, denn als souveräne Mitarbeiterin waren die Kontakte mit ihrem Chef stets angenehm. Nachdem sie sich mit der Methode Amygdala-Klärung vertraut gemacht hat, stellt sie sich selbst die Frage, ob der Mandelkern ihr gerade wieder einen Streich spielt. Nach kurzem Überlegen ist sie sicher, dass dem so ist. Sie atmet tief durch und lässt ein Grinsen auf ihrem Gesicht erscheinen. Die Ängste verschwinden, sie wird neugierig und überlegt, dass sie mit allem fertigwerden wird.

Nicht selten stammen Ängste aus der Kindheit und belasten die Psyche im Hier und Jetzt. Hinzu kommen die zusätzlichen Selbstabwertungen, weil man »solche Ängste« hat, weil man sich klein und wenig selbstsicher fühlt. Mithilfe von Amygdala-Klärung wird eine realistische Einschätzung der Situation möglich (»Es ist ja nur die Amygdala, die mir gerade einen Streich spielt, das muss ich nicht ernst nehmen«) und die Angst verschwindet. Frau T. fühlt sich mutiger und kompetenter, als sie ihrem Vorgesetzten entgegentritt. Werden alte Ängste bewältigt, fühlen Menschen sich erwachsener und sicherer. Dies bedeutet, dass sie mehr positive Kontrolle über ihre Ängste gewonnen haben.

Schon wenn die Frage gestellt wird: Spielt mir die Amygdala gerade einen Streich?, wird die Aufmerksamkeit auf das realistische Denken gerichtet, der Neokortex wird aktiviert. Frau T. kennt diese und ähnliche Ängste schon lange. Bereits als Kind war sie schüchtern und lebte in der Angst, nicht zu genügen.

Stellen Sie sich vor, Sie wollen die neue Attraktion »Edge« in New York besuchen, eine Aussichtsplattform in 330 Meter Höhe. Sie schauen in die Tiefe, denn Sie stehen auf einem Glasboden. Die Amygdala schlägt Alarm, das ist ihre Aufgabe, unweigerlich stellt sich Angst ein. Eine Möglichkeit wäre, den Schritt nicht zu wagen. Sie entschließen sich jedoch, den Schritt auf den Glasboden zu tun – und spüren den festen Grund. Der Neokortex (der nüchterne Verstand) kann jetzt seine Arbeit tun und versichern, dass es keine Gefahr gibt. Die Angst überwunden zu haben ist ein gutes Gefühl. Tatsächlich lassen sich Ängste genießen, wenn man sie bewältigt. Wer vor seiner Angst zurückweicht, verstärkt sie unweigerlich. Wer auf seine Ängste zugeht, kann sie genießen.

An diesem Beispiel lässt sich das Grundmuster der Angstbewältigung zeigen. Um Amygdala-Klärung anzuwenden, bedarf es: Aufmerksamkeit, Verstand und ggf. Mut.

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Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das sich über seine Ängste erheben kann. Mithilfe des Verstandes ist er in der Lage, seine Gefühle zu beeinflussen.

Immer wenn störende Gefühle auftauchen, ist die Frage berechtigt, ob sie aus früheren Programmen stammen, die in der Amygdala abgelegt sind. Man geht in eine erwachsene Position und klärt dies für sich selbst auf. In dem Moment, in dem jemand auf seine Ängste zugeht, kann der Ort des logischen Denkens, der Neokortex, die Regie übernehmen. Am Beispiel von Frau T. ist zu erkennen, dass sie ihre Angst als ein Relikt ihrer Kindheit erkannte, damit konnte sie aufhören, sie ernst zu nehmen. Darum geht es: die übertriebenen, unangemessenen Ängste nicht mehr ernst zu nehmen und sie hinter sich zu lassen. Statt der Angst entwickelte Frau T. Neugier, ein angemessenes Gefühl, und sie tat das Richtige, sie ging auf ihre Ängste zu.

Herr A. sitzt auf der Fahrt zu seiner Arbeitsstelle im Auto und fragt sich, ob er die Wohnungstür abgeschlossen hat. Er kennt diese Kontrollzwänge, die ihn schon oft dazu brachten, zurückzukehren und erneut zu prüfen, ob die Türe wirklich verschlossen ist. Auch diesmal würde er am liebsten wenden, um seine Angst zu beruhigen. Da er sich mit Amygdala-Klärung vertraut gemacht hat, erkennt er, dass sein emotionales Gedächtnis ihm einen üblichen Streich spielt. Er weiß genau, dass ihn die erneute Kontrolle kurzfristig beruhigen würde, aber dass die gleichen Zweifel, sobald er die Fahrt zur Arbeit weiter fortsetzt, wieder auftauchen würden. Er entscheidet sich, seinem Verstand zu trauen und zur Arbeit zu fahren.

In diesem Fall war es richtig, die Amygdala in die Schranken zu weisen und ihr nicht zu folgen. Jeder kann sein emotionales Gedächtnis trainieren. Würde Herr A. erneut kontrollieren, wäre die Folge unweigerlich, dass sich das Problem weiter verstärkt, die Amygdala würde weiterhin falsch trainiert. Der Kontrollzwang würde letztlich zu einem Kontrollverlust führen. Umgekehrt ist zu erwarten, dass die klare Entscheidung, den Ängsten nicht nachzugeben, die Kontrollzwänge auf Dauer zum Verschwinden bringt. Für Menschen mit Zwängen ist wichtig, dass sie sich an sinnvolle Regeln halten und nicht rückfällig werden. Kontroll­zwänge sind immer Kontrollverluste; nicht selten ist der Zwang stärker als der Wille, die Zwangshandlung nicht auszuführen.

Die Behandlung von Zwängen ist schwierig. Nur zu leicht werden Betroffene rückfällig und geben dem Drang nach, die Zwangshandlung wieder auszuführen. Dies wirkt auf der Stelle wie ein starkes Beruhigungsmittel, allerdings mit verheerenden Nebenwirkungen. Nicht nur die typischen Selbstverurteilungen nach dem Motto »Wieder habe ich etwas Unsinniges getan«, auch der Drang, sich das »Beruhigungsmittel« erneut zu beschaffen, wird verstärkt – ein Teufelskreis. An dieser Stelle kann Amygdala-Klärung helfen, indem sich Betroffene entscheiden, stärker zu sein als das, was der Mandelkern, das emotionale Gedächtnis, ihnen aufnötigen will.

Im Therapiegespräch berichtet Frau Z., dass sie extrem allergisch auf Berührungen ihres Rückens reagiere. Eine Freundin hatte ihr unvermittelt freundschaftlich auf den Rücken geklopft. Dadurch habe sie eine große Leere im ganzen Körper gespürt. Dies habe sie extrem erschüttert, und sie habe eine große Wut gespürt. Die harmlose Berührung verursachte eine starke Reaktion.

Die Erklärung ist in der Tatsache zu sehen, dass Frau Z. als Kind schweren Misshandlungen durch ihren Stiefvater ausgesetzt war. Immer wieder hatte er ihr für sie unberechenbar Schläge auf Nacken und Rücken gegeben. Die Angst vor plötzlichen Berührungen ist daher kein Zufall. Die Amygdala erkennt ähnliche Situationen, stuft sie als gefährlich ein und sendet entsprechende Signale.

Kinder, die schwer misshandelt werden, »dissoziieren«, das heißt, sie »verlassen« ihren Körper: ein Mechanismus, der hilft, die Misshandlung zu überstehen, der aber für die Seele auf Dauer schwerwiegende Folgen hat. Mithilfe von Amygdala-Klärung konnte Frau Z. ihre Reaktionen besser verstehen.

Frau M. wurde streng religiös erzogen. Als Kind war sie angepasst, aber sie litt unter den Einschränkungen. Ihr Bedürfnis, sich frei zu fühlen, war jedoch stark. Als erwachsene Frau leidet sie allerdings immer noch unter Schuldgefühlen, wenn es ihr besonders gut geht. Sie befürchtet, dass in naher Zukunft so etwas wie eine Bestrafung folgen wird. Ihr emotionales Gedächtnis spielt ihr hier einen bösen Streich. Nachdem sie sich mit Amygdala-Klärung vertraut gemacht hat, gelingt es ihr immer besser, schöne Dinge und Begebenheiten unbeschwert zu genießen. Nach dem Motto: »Manchmal spinnt meine Amygdala« – wischt sie die diffusen Ängste beiseite.

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Machen Sie sich frei von dunklen Ahnungen (wenn es denn solche gibt), denn sie gehören in die Zeit des Mittelalters. Setzen Sie an diese Stelle positive Erwartungen und glauben Sie mit Optimismus an die Zukunft. Starke innere Bilder tragen immer die Tendenz in sich, dass sie sich realisieren.

Alte, früh gelernte Ängste können das Leben einschränken. Dafür gilt es sensibel zu werden und mit Amygdala-Klärung die frühen Programmierungen zu bearbeiten. Das Ziel ist, freier, unbeschwerter und mutiger zu werden.