Kitabı oku: «Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990», sayfa 2
Neue „Errungenschaften“ in der Schule
DDR-Briefmarken der 50er Jahre.
Nachdem anfangs nur Milch oder Kakao und Brötchen in der großen Pause an die Kinder ausgeteilt wurden, ist an unserer Löfflerschule 1951/52 die Schulspeisung eingeführt worden.
Im Kellergeschoss der Nordwestseite waren Räume zu einem geeigneten Speisesaal mit angrenzender Küche ausgebaut worden. Hier unten wurde das von einer städtischen Zentralküche angelieferte warme Essen in der großen Pause bzw. nach Ende des Unterrichts von den Schülern eingenommen. Zwei angeworbene Frauen aus der Elternschaft waren angestellt, das Essen auszugeben und für Ordnung und Sauberkeit im Speisesaal zu sorgen. Diese warme Schulspeisung erfuhr damals eine hohe Wertschätzung. War sie doch in einer Zeit, wo noch Lebensmittel wie Fleisch, Butter, Milch, Zucker u. a. nur in geringen Rationen auf Lebensmittelmarken zugeteilt wurden, eine zusätzliche markenfreie und preiswerte Mittagsmahlzeit für die Kinder in der Schule. Es war ein warmes Essen, meist mit Kartoffeln, dann und wann Nudeln, Gries oder Hülsenfrüchten, mit Gemüse, manchmal mit geringer Fleischeinlage. Doch in so einer Zeit des Mangels schmeckte dieses einfache Mittagessen fast jedem Stadtkind!
Solch eingeführte Besserungen wie die Schulspeisung wurden sogleich öffentlich als neue „soziale Errungenschaften“ gepriesen. Selbst wenn mich so eine großsprecherische propagandistische Herausstellung abstieß, begrüßte ich die Schulspeisung als eine nützliche, fürsorgliche Einrichtung.
Eine ähnlicher Hervorhebung erfuhr die Schulfunkanlage, die 1952/53 in unserem Schulhaus eingebaut wurde. Sie galt ebenso als eine bedeutende Neuerung und Errungenschaft, als ein bemerkenswertes technisches Hilfsmittel bei der schulischen Erziehung der Kinder.
Der Patenbetrieb unserer Schule, das Reichsbahnausbesserungswerk Gotha (RAW), hatte sich angeboten und bereit erklärt, mit Hilfe seiner Funktechniker in der Patenschule „Löfflerschule“ eine Schulfunkanlage zu installieren. Trotz Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung war das Vorhaben innerhalb eines Vierteljahres realisiert worden.
Von einer zentralen Schaltanlage im Direktorzimmer aus konnte man mittels Mikrophon und etwa 25 angeschlossenen Lautsprechern je nach Bedarf Sprech-, Musik- und Rundfunksendungen in die Klassenräume übertragen. Auch über zwei größere Lautsprecher an der Außenfront auf den Pausenhof hinaus.
Einige Kollegen/innen, darunter auch ich, wurden in diese Funkanlage eingeführt und sowohl für die technische Bedienung als auch für die Nutzung verantwortlich gemacht. Wir waren anfangs begeistert, suchten nach bestmöglichen technischen Wegen und originellen Ideen, um interessante und erzieherisch wirksame Sendungen auszuwählen oder selbst zu gestalten. Vor allem Schulfunksendungen der Rundfunkanstalten konnten wir in einzelne Klassen oder Klassenstufen hinein übertragen, auch generelle Anweisungen des Direktors und organisatorische Mitteilungen oder Informationen durchsagen. Von Beginn an überdachten wir auch, wie wir mit Hilfe der Schulfunkanlage Einfluss nehmen könnten auf die Einhaltung von Disziplin und Ordnung an der Schule. Da meinten die Kollegen der Schulleitung, man sollte in den Hofpausen einen aufsichtführenden Lehrer am Fenster des Direktorzimmers postieren, der von da aus mit guter Übersicht auf den Pausenplatz, durch ein Mikrophon und über die Außenlautsprecher auf das Verhalten der Schüler einwirken könnte. Und als wir diese besondere „Hofaufsicht“ einführten, reagierten die Schüler positiv. Rangeleien oder rasantes Herumtollen hörte auf, wenn die Betroffenen über Lautsprecher öffentlich angesprochen wurden.
Einige Lehrer, z. B. die Kollegin B., dachten sich Hörspiele aus, mit denen wir über den Schulfunk auf bestimmte Klassen erzieherisch Einfluss nehmen wollten. Ich erinnere mich an ein Hörspiel, in dem wir das Bekritzeln und die Beschädigung von Schulbänken zum Thema gemacht hatten. Insgesamt zeigten sich die Schüler beeindruckt, sie nahmen die „Erziehung“ über den Schulfunk ernst.
Bald griff die Lokalzeitung diese Neuerung im Schulbetrieb der Löfflerschule auf. In einem ausführlichen Artikel berichtete sie von den „guten Beispielen der Schulfunkarbeit an der Löfflerschule“.
Abgesehen von der fragwürdigen oder dauerhaften Nutzbarkeit jener Schulfunktechnik, hat sie doch fürs erste nach außen hin Aufmerksamkeit erregt. Womit die Löfflerschule da in Erscheinung trat, das wurde als „fortschrittlich“ gewertet, was auch immer man damals unter „Fortschritt“ verstand. Dorffunk, Stadtfunk, Schulfunk waren geschätzte technische Mittel der politischen Agitation. Und wer „voranschreitend“ eine Schulfunkanlage einsetzte, dem traute man selbstverständlich „fortschrittliche“ Absichten zu. Galt es doch, politische Anliegen, wie „die Friedenspolitik von Partei und Regierung“, die „Deutsch-sowjetische Freundschaft“, den „Aufbau des Sozialismus“ und den „Kampf gegen den westdeutschen Militarismus“, mit allen Mitteln zu propagieren und möglichst jedermann einzuhämmern.
„Transparentitis“
Das „positive“ Ansehen der Schule musste oder konnte auch – nach damaligen politisch-propagandistischen Gepflogenheiten – durch eine entsprechende agitatorische Sichtwerbung am Schulhaus erwirkt oder bewiesen werden. Politische Transparente an der Fassade des Schulhauses sollten den „positiven“ politischen und „revolutionären“ Charakter einer Schule nach außen hin sichtbar machen. Daher mussten Schulleitung, Lehrer und Schüler für eine aktuell politisch dekorierte Fassadengestaltung sorgen. In den Augen der SED und der Staatsfunktionäre waren Schulen nicht unparteiliche Bildungs- und Erziehungsanstalten, sondern aktive politische Agitationszentren, die nach außen in alle Öffentlichkeit sichtbar wirken sollten. Sie hatten dem „ideologischen Kampf“, also dem „Klassenkampf“ zu dienen. Die Lehrer, im Dienst des Staates verpflichtet, sollten vor Schülern und Eltern als „Klassenkämpfer“ auftreten, und die Schule musste dies auch durch ihr äußeres Bild, nämlich durch politische Sichtwerbung, beweisen bzw. vorzeigen. Das bedeutete für Schulleitung und Lehrer permanent, Transparente und immer wieder Transparente zu bauen: möglichst großflächig, lang, breit und hoch, mit aktuellen politischen Losungen als Imperative und Verpflichtungen, an den Fassaden des Schulgebäudes gut sichtbar aufgehängt und sicher befestigt. Das war in zu- und abnehmender Wellenbewegung, je nach Intensität und Wechsel der politischen Kampagnen, eine Kraft zehrende Arbeit, die die Lehrer zusätzlich zu leisten hatten. Schon die Beschaffung des nötigen Materials war problematisch. Langwierig dann das Schriftmalen auf rotem, blauem oder weißem Tuch im Leistenrahmen, nachmittags, meist unter Anleitung der Zeichenlehrer und unter Hilfe älterer Schüler. Und zuletzt das schwierige Aufhängen und das gegen den Wind sichere Befestigen an der Fassadenwand durch uns Lehrer. Unser Zeichenlehrer, Kollege W., hatte einen Hauptteil dieser Arbeit zu leisten. Das ging so weit, dass er vom Unterricht freigestellt werden musste, damit vor einer bevorstehenden „Volkswahl“ schnell noch die nötigen aktuellen Transparente an die Hauswand kamen. Ich erinnere mich, wie er auch große Wandbilder für die Außenfront und für die Aula gemalt hat, mitunter Kopien zeitgenössischer Künstler. Für seine Monumentalbilder bevorzugte er Figuren oder Motive von Max Lingner. Eines der größeren Wandbilder – ich sehe es noch deutlich vor mir – zeigte in einer vergrößerten Kopie, wie die Bürger von Calais einen im Hafen ausgeladenen amerikanischen Panzer mit vereinten Kräften über den Kai ins Wasser stürzen – das als Zeichen eines aktiven Friedenskampfes gegen die „Kriegspläne des amerikanischen Imperialismus“.
Mühe bereitete uns die Auswahl der Losungen für die Transparente. Wir versuchten unsachliche Parolen zu vermeiden und vorgegebene penetrante oder pathetische Formulierungen abzuwandeln in vertretbare Fassungen. Wir als Schule wollten nicht die plumpen Phrasen agitatorisch hinausschreien! Waren wir doch eher darauf bedacht, von innen heraus ein seriöses Gesicht zu wahren. Von Seiten der SED-Kreisleitung kontrollierte und bewertete man die propagandistische Fassadengestaltung! Ein einziges Transparent allein an der Vorderfront unseres Schulgebäudes „verlor“ sich und genügte nicht. Meist sahen wir uns gezwungen, drei aufzuhängen, um zu beweisen, dass unsere Schule auf dem Posten war.
Diese obligate, belastende Transparentitis, wie wir es nannten, wurde in den 70er und 80er Jahren nach und nach nicht mehr so genau genommen. Sie setzte sich jedoch unvermindert fort bei der Gestaltung und Ausschmückung unserer Marschkolonnen am 1. Mai und bei anderen öffentlichen Vorbeimärschen bzw. Pflichtdemonstrationen. Hier blieb es dabei, durch möglichst zahlreiche und aktuell „passende“ tragbare Spruchbänder, Tafeln, Fahnen und Fähnchen das politische Gesicht der Schule nach außen hin unter Beweis zu stellen.
Wir wissen: Die geforderten „Trag- und Winkelemente“, so in der Partei-Sprache benannt, blieben ein wichtiger Bestandteil der öffentlichen SED-Paraden bis 1989.
Partei und Schule
Ich rede hier, wenn ich von Schule spreche, immer noch von materiellen Bedingungen und politischen Begleiterscheinungen. Wäre es nicht angebracht, zuerst über Unterricht, Lehrtätigkeit und Erziehung zu schreiben? Aber da zögere ich. Über dieses Hauptgeschäft zu reden, das schiebe ich vorerst noch vor mir her. Ich denke, ohne die staatlich vorgeschriebenen und politisch oktroyierten Rahmenbedingungen zu beschreiben, kann man die schwierige Arbeit eines Lehrers im ersten Jahrzehnt der DDR nicht verstehen. Von politischer Einflussnahme auf die Schule war bei dem bereits Gesagten schon die Rede. Nun scheint mir nötig, davon ausführlicher zu berichten, wie die Staatspartei, die SED, und deren Parteiapparat bzw. Funktionäre auf Erziehung, Bildung und Unterricht in unserer Schule eingewirkt haben.
Ich war seit März 1950 Kandidat der SED, wurde 1952 (am Ende der Kandidatenzeit) nach entsprechender Überprüfung als Mitglied in die SED aufgenommen und dann so fest und endgültig eingebunden, dass mein berufliches Leben als Lehrer künftighin nicht mehr zu trennen war von meiner Bindung an die Partei. Einige Geschehnisse und persönliche Erlebnisse aus meinem Parteileben, besonders in den harten Zeiten der 50er Jahre, haben sich in mir so fest eingeprägt, dass ich sie bis heute nicht vergessen kann. Manche Belege oder auch Notizen von einst habe ich mir aufgehoben, immer in dem Gedanken: Halte das fest, das glaubt dir sonst später niemand. Als Mitglied der SED verstand ich mich zwar bis zu einem gewissen Grade als sozialistisch denkender Mensch, kam aber nicht los von einem zehrenden Misstrauen gegenüber „meiner“ Partei. Manche meiner Erfahrungen, z. B. bei meinem „Parteieintritt“ in der Pädagogischen Fachschule, standen im Widerspruch zu meinen gewonnenen politischen Anschauungen. Ich hatte mich in den Nachkriegsjahren mit Hitler, mit der Nazi-Diktatur und mit dem II. Weltkrieg auseinandergesetzt, zunächst autodidaktisch und anschließend vor allem durch meine Studien während meiner Ausbildung zum Geschichtslehrer. Damit hatte ich fürs erste die selbst miterlebte NS-Gewaltherrschaft – so weit möglich – verarbeitet. Doch wie sich das „neue antifaschistisch-demokratische“ System“ in der Praxis dann darstellte, vor allem wie die SED als sozialistische Arbeiterpartei absolut und erbarmungslos herrschte und seit 1952 den revolutionären Übergang zum Sozialismus mit Gewalt diktierte und auch innerhalb der Partei Zwang ausübte und Unterwerfung verlangte – damit kam ich nicht zurecht. Die Rücksichtslosigkeit gegenüber gutwilligen Menschen wurde mit der Notwendigkeit eines Klassenkampfes und mit dem Dogma von der „Diktatur des Proletariats“ begründet! So einer Diktatur begegnete ich, der ich eine Diktatur schon hinter mir hatte, mit großer Skepsis.
Warum dann, so kann berechtigt gefragt werden, bist du in die SED eingetreten? Eine ausführliche Antwort darauf habe ich an anderer Stelle schon gegeben. Hier nur noch einmal kurz gefasst: Es war mein opportunistisches Zugeständnis gegen Ende meiner Studienzeit, nachdem mir Dozenten nach zwei „Aussprachen“ mahnend vorgehalten hatten: „Wer sich politisch nicht klar bekennt und entscheidet, der kann auch nicht Lehrer werden in der Schule der DDR!“ Das war – sechs Wochen vor dem Examen – für mich wie eine Erpressung!
Wenn diese SED-Partei in jener Zeit mit ihren Mitgliedern, mit ihren Genossen, politisch überzeugend, auch im gewissen Sinne kameradschaftlich und vor allem tolerant und verständnisvoll umgegangen wäre, wenn sie ihre demokratische Verpflichtung hoch- und eingehalten hätte, dann wäre ich ihr wahrscheinlich bereitwillig gefolgt. Doch wenn ich als Genosse der Partei immer wieder zu spüren bekomme, dass Klassenkampf und Diktatur des Proletariats für mich nichts anderes bedeutet als der von oben nach unten hierarchisch weiter getretene Druck und Zwang, zu denken und zu tun, was eine Parteiführung oben befiehlt und was sie zur einzigen Wahrheit erklärt, dann fühlte ich mich eher als Sklave dieser Partei und nicht als ihr Genosse und politischer Gefährte. Und gewissenlose Karrieristen oder fanatische Eiferer auf allen Stufen des Machtapparates mischten bereitwillig mit – als Befehlsempfänger nach oben und als mittelgroße und kleine Tyrannen mit dem rohen Stiefel der Macht nach unten. Selbständig denkende Genossen, die sich kritisch äußerten, wurden zur Raison gebracht oder als „sozialdemokratische Abweichler“ oder „Klassenfeinde“ verunglimpft und beiseite geräumt. Wer die von der Partei „wissenschaftlich erarbeitete“ und verkündete „Wahrheit“ nicht billigen wollte, der war entweder dumm oder ein politischer Feind. Wer gegen Machtmissbrauch aufbegehrte oder verfassungsrechtliche demokratische Rechte oder gar persönliche Meinungsfreiheit einforderte, dem drohte, als „unverbesserlicher Nazi entlarvt“ zu werden. Diese Partei erzeugte Angst, nicht nur nach draußen hin, sondern vielfach auch bei ihren eigenen Genossen innerhalb der Partei.
In der Gewissheit solcher Parteimacht im Rücken, sahen sich manche Genossen der SED-Parteigruppe in der Schule mitunter auch verführt, auf unterster Ebene ein bisschen Macht mit auszuüben. Meinen ersten Schock erhielt ich, nachdem ich in einer der ersten Versammlungen der SED-Gruppe an der Schule (bei etwa 10 – 12 Mitgliedern von 28 Lehrern) miterlebt hatte, wie zwei Genossinnen in politisch-intriganter Weise über zwei parteilose „bürgerliche“ Kolleginnen herzogen, die ich bereits als anständige Menschen und tüchtige, erfolgreiche Lehrerinnen kennen und schätzen gelernt hatte.
Doch die meisten Genossen/innen strebten gemeinsam mit der Schulleitung danach, die von oben vorgegebenen politischen Weisungen im Interesse vernünftiger Regelungen entweder formal auszuführen oder möglichst human vertretbar abzuwandeln. Der Genosse Schulleiter und sein Stellvertreter wollten möglichst ohne große politische Aktionen und ohne penetrante Agitation einen ruhigen, ungestörten und vernünftigen Schulbetrieb aufrechterhalten und sichern, während SED-Funktionäre der Kreisleitung oder des Schulamtes von außen mit Parteiauflagen, politischen Kampagnen oder mit politischen Blitzeingriffen wiederholt den kontinuierlichen Unterrichtsbetrieb störten.
Da kam zum Beispiel ein Anruf von der Kreisleitung, von dem für Schulen zuständigen Sekretär, dass unverzüglich die politische Sichtwerbung an der Außenfront der Schule verbessert werden müsse. Man habe gesehen … und das genüge keinesfalls! Oder es wurde eine breite politische Kampagne an die Schule in Auftrag gegeben, sofort „operativ“ einzugreifen und mitzutun. Ich erinnere mich, wie Schüler, sogar der 6. Klassen, Aufsätze in Briefform mit politischem Inhalt schreiben und an westdeutsche Bürger schicken mussten. Diese Kinder sollten darin im aufklärerischen Sinne erwachsene Menschen in der BRD agitieren und für die „friedliebende Deutschlandpolitik der DDR“ werben! – Besonders nach SED-Parteitagen und vor „Volkswahlen“ wurden die Schulen zu politischen Kampagnen und Aktionen verpflichtet. Meist zielten die gestellten Aufgaben darauf ab, Lehrer, Schüler und Eltern durch eine ideologische Offensive gefügig zu machen. Jeder müsse doch das „Aufbau- und Friedensprogramm von Partei und Regierung“ unterstützen und selbstverständlich für „die Macht der Arbeiter und Bauern zum Wohle des Volkes“ eintreten! Wer wollte da dagegen sein?! So sei es doch ganz selbstverständlich, dass alle (guten) klassenbewussten Menschen ihre Stimme schon am frühen Morgen des Wahlsonntags „für Frieden und Sozialismus“ „offen“ abgeben!
1952/53 wurde ich zum Parteisekretär „gemacht“. Das heißt, die Genossen von Schulleitung und ins Vertrauen gezogene Genossen hatten für die nötige Mehrheit gesorgt und eine Bestätigung durch die Kreisleitung einkalkuliert. Meine Stellung als Parteisekretär an der Schule solle die Mehrheit der „Gemäßigten“ sichern helfen, so der Genosse Schulleiter. Ich ließ mich überreden, ohne mir bis ins einzelne bewusst zu sein, was mir da aufgebürdet wurde. Bald fühlte ich mich überfordert. Und mich womöglich gar als politischer Klassenkämpfer an der Schule aufzuspielen, das kam für mich nicht in Frage. Der Schulleiter war zwar bemüht, mit mir als Parteisekretär vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Er nahm mich gelegentlich zur Seite, besprach mit mir intern, wie wir uns an der Schule gegenüber vorgegebenen politischen Auflagen verhalten oder wie wir die geforderten schulpolitischen „Arbeitspläne“ konzipieren sollten u. dgl. Immer mit der Absicht, sinnlose, den Schulbetrieb störende und belastende Aktionen wenigstens abzuschwächen und die ganze Politisierung der Schule in Grenzen zu halten. Doch selbst wenn ich vernünftigen Willens war, drückte mich die Zwangsjacke.
Das Schlimmste für mich waren die regelmäßigen Schulungen der Parteisekretäre im Haus der Kreisleitung der SED! Meist war es dort der verantwortliche Funktionär für Propaganda, der die aktuellen Ziele der Partei erläuterte und uns Parteisekretären der Schulen die politischen Aufgaben auferlegte. Wir mussten monatlich schriftliche Berichte über die an der Schule geleistete „politische Arbeit“ vorlegen, aus besonderem Grund auch vor der Versammlung mündlich vortragen. Wer von den anwesenden Parteisekretären schlecht abschnitt, musste „Selbstkritik“ üben und versäumte Aufgaben nachholen. Dieses Erscheinenmüssen bei der herrschenden Kreisleitung zum Rapport, zum autoritären Befehlsempfang, wirkte auf mich niederdrückend, und ich war froh, wenn unsere Schule nicht negativ genannt wurde.
Besonders in den Jahren 1952/53, nach der II. Parteikonferenz mit ihren Beschlüssen zum „Aufbau des Sozialismus in der DDR“, nahm der politische Druck zu. Jedem Bürger, jedem Genossen und vor allem jedem Lehrer musste nun „klargemacht“ werden: Jetzt „verschärft sich der Klassenkampf, … der politische Gegner verstärkt seine feindlichen Angriffe gegen unseren jungen Staat und unser sozialistisches Aufbauwerk“, … daher seien „verstärkte Wachsamkeit und erhöhte Anstrengungen … “ unbedingt erforderlich usw. Was nichts anderes hieß, als dass die bereits praktizierte Diktatur entsprechend verschärft und zugespitzt würde. – Im Schulbereich des Kreises Gotha hatte dies auf radikale Weise der damalige Schulrat B. umgesetzt. Man konnte sagen: Der Genosse Schulrat herrschte uneingeschränkt. Er zitierte die Schulleiter zum Befehlsempfang und verlangte die bedingungslose Ausführung seiner Weisungen. Gegen den „Klassenauftrag“ gab es keinen Widerspruch.
Einmal geriet ich persönlich in sein Blickfeld: Im Winter 52/53 bestellte er mich zu sich und teilte mir kurz und bündig mit, dass ich mit Beginn des folgenden Schuljahres in Güntersleben als Schulleiter eingesetzt werde, und zwar an der „ersten sozialistischen Schule im Kreis Gotha“! Dort sei die erste Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft im Kreis Gotha gegründet worden, und in diesem „ersten sozialistischen Dorf des Kreises“ brauche man einen jungen, klassenbewussten, zuverlässigen Genossen als Schulleiter, und ich – ein aus der Arbeiterklasse stammender Genosse und bewährter Lehrer – sei für diese verantwortungsvolle Aufgabe besonders prädestiniert und deshalb ausgewählt worden. Mir verschlug es die Sprache, und ich versuchte mich zu wehren: Ich fühle mich da völlig überfordert, sei keinesfalls geeignet … keine Erfahrung in Sachen Schulleitung … zu jung … erst zwei Jahre im Schuldienst … …längst nicht fertig mit fachlicher Ausbildung usw. Er ließ absolut nichts gelten, zeigte keinerlei Verständnis und quittierte alle meine Begründungen kurz mit den Worten: „Der Mensch wächst mit der Größe seiner Aufgaben!“ Ich sah für den Augenblick keinen Ausweg, bat um Bedenkzeit – zwei Tage wenigstens. Ärgerlich sagte er zu, aber drohte mir: „Wenn nicht, dann kriegst du den Parteiauftrag!“ – Nach zwei Tagen fand ich mich wieder ein – mit einer schriftlich verfassten Ablehnung. Der Genosse Schulrat war nicht in seinem Büro. Ich atmete auf, übergab mein Schreiben eiligst seinem Stellvertreter und verschwand so schnell wie möglich. Nun bangte ich, was da noch folgen würde. Aber das befürchtete Nachspiel blieb aus. Wenig später erfuhr ich, wer an meiner Stelle nach Güntersleben beordert worden war. – Meine Ablehnung gründete sich einerseits auf meine Unsicherheit; für die Aufgabe eines Schulleiters fühlte ich mich wirklich zu unerfahren; doch viel stärker war meine Sorge, als Schulfunktionär unter der Herrschaft der Partei noch fester und unentrinnbar in dieses absolute Machtgefüge eingebunden zu werden. Ich fürchtete, diesen Druck und Zwang psychisch nicht aushalten zu können, und sah moralisch die Gefahr, in die Rolle eines angepassten politischen Funktionärs abzugleiten.
Vor herausragenden politischen Ereignissen, wie Wahlen, politischen Gedenk- oder Feiertagen, auch nach unerwarteten politischen Geschehnissen oder zu aktuell politischen Anlässen wurden auch die Schulen aufgefordert, ihre Meinungen oder Schlussfolgerungen öffentlich darzulegen. Das heißt, die Partei forderte von Lehrerkollegien, schriftlich ihre geschlossene parteiliche Meinung in Form von Resolutionen oder Selbstverpflichtungen zu formulieren und dem politischen Auftraggeber zuzuschicken. Möglichst so passgerecht, dass man sie in der Presse propagandistisch verwenden könnte.
Ich erinnere mich, wie auf dem Höhepunkt des jahrelangen, primitiven und an religiösen Fanatismus grenzenden Stalinkultes, unmittelbar nach dem Tode Stalins, eine breit angelegte, in alle Lebensbereiche hinein wirkende politische Kampagne und Verpflichtungs-Bewegung in Gang gesetzt worden war.
Ich zitiere dazu Auszüge aus dem
„Beschluß des Sekretariats der Kreisleitung der SED Gotha vom 12. 3. 1953“, der in Form eines Schreibens, 14 Punkte enthaltend, allen SED-Grundorganisationen zugestellt wurde:
1. Sämtliche Parteiorganisationen in den volkseigenen und artverwandten Betrieben und in der Privatindustrie sowie an den Schulen, in den örtlichen Organen der Staatsmacht, in den volkseigenen Gütern, Produktionsgenossenschaften, MTS und in den Massenorganisationen oder sonstigen Institutionen und Ortsparteiorganisationen werden beauftragt, die persönlichen oder im Kollektiv abgegebenen Verpflichtungen zu erfassen und in ihrer Durchführung zu kontrollieren. Über die Durchführung der Realisierung ist … zu berichten. Bei Nichteinhaltung der Verpflichtungen ist die öffentliche Kritik zu entfalten. Die betreffenden Personen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
4. Die Grundorganisationen werden beauftragt, jeden zweiten Tag über die Stadtbezirke bzw. der Kreisleitung direkt Bericht zu geben, über alle Vorkommnisse, die sich anlässlich des Ablebens des Genossen Stalins gezeigt haben. Das gilt sowohl für Verpflichtungen als auch für Erscheinungen der Arbeit des Klassengegners …. Negative Erscheinungen, die die Mitglieder der Blockparteien betreffen, müssen schnellstens … zur Diskussion gestellt werden und Schlussfolgerungen gezogen werden.
7. Genosse F …, Vorsitzender vom Friedensrat, erhält den Auftrag, dafür zu sorgen, dass einzelne Persönlichkeiten, Künstler, Professoren, Pfarrer, Doktoren usw. an die gleichen Kreise von Personen nach Westdeutschland schreiben und sie auffordern gegen den Generalkriegsvertrag*) Stellung zu nehmen.
9. Alle Genossen in den Massenorganisationen werden beauftragt, im Rahmen der starken Selbstverpflichtungsbewegung zum Ableben des Genossen Stalin, eine starke Selbstverpflichtungsbewegung von Jugendlichen für den Eintritt in die kasernierte Volkspolizei und VP-Helfer zu organisieren. Das gleiche gilt für die verstärkte Werbung für die Gesellschaft für Sport und Technik sowie für die Deutsch-Sowjetische Freundschaft.
12. Genosse B … wird beauftragt, sämtliche Schulen des Kreises zu veranlassen, daß dort ebenfalls eine starke Selbstverpflichtungsbewegung anlässlich des Todes des Genossen Stalin entfaltet wird. Es ist besonders darauf hinzuwirken, daß die Schulen … Schulen in Westdeutschland anschreiben, um sie gegen die 3. Lesung des Generalkriegsvertrages zu mobilisieren …
*) Beitritt der BRD zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. (2)
Man achte in diesem Schreiben der SED-Kreisleitung auf den imperativen Sprachstil: „ … beauftragt ….“, „zu entfalten“, „zu mobilisieren“, „zu organisieren“, „Schlußfolgerungen ziehen“ … „zur Rechenschaft zu ziehen“ usw. Ich habe an Text und Orthographie nichts geändert!
Im Frühjahr 1953 hatte die SED- und Staatsführung einen breit angelegten Angriff gegen die Kirche, insbesondere gegen die evangelisch-kirchliche Jugendorganisation „Junge Gemeinde“, eingeleitet. Diese Kampagne zielte hauptsächlich auf die Oberschulen, wo den 14 – 18-jährigen Jugendlichen kategorisch die Entscheidung abverlangt werden sollte: entweder Eintritt in die FDJ oder „Junge Gemeinde“. Das bedeutete, wer sich nicht für „unseren“ Staat, also für die FDJ, entscheidet und stattdessen weiterhin Mitglied der christlichen Jungen Gemeinde bleibt, der verdiene nicht, die Oberschule besuchen zu dürfen! Als staatsfeindliches Delikt warf man der evangelischen „Jungen Gemeinde“ vor, sie stünde durch ihre Beziehungen zur evangelischen Kirche in Westdeutschland mit dem „westdeutschen Imperialismus“ in Verbindung. Man konnte in der Zeitung lesen: „Junge Gemeinde – Tarnorganisation für Kriegshetze, Sabotage und Spionage im USA-Auftrag“ (Schlagzeile aus „Junge Welt“, Extrablatt April 1953) (3)
Auf die Löfflerschule als Grundschule (damals Klassen 1 – 8) traf diese politische Attacke nicht zu. Aber die Parteisekretäre der Grundschulen sollten in der Gothaer Arnoldi-Oberschule „zum Einsatz gebracht werden … zur Unterstützung der dort tätigen Genossen Lehrer“!
So bestellte man uns Parteisekretäre in die Kreisleitung. Dort wurden wir instruiert, noch mal „gründlich“ über den „staatsfeindlichen Charakter“ der Jungen Gemeinde „aufgeklärt“ und „mit Parteiauftrag“ verpflichtet, in der Arnoldischule mit den Jugendlichen einer jeweiligen Klasse „zu diskutieren“. Mit dem Ziel, die betreffenden Mädchen und Jungen von der Jungen Gemeinde abzuziehen und einzig und allein dem Dienst in der FDJ zuzuführen. Abschließend bekam jeder von uns die für ihn vorgesehene Klasse genannt und den bereits festgelegten genauen Zeitpunkt zur befohlenden „Aussprache.“ Wie gesagt: Das war ein „Parteiauftrag“ – fast wie ein militärischer Kampfauftrag! Keiner der versammelten Parteisekretäre von den Schulen hat widersprochen!
Mir, zu dieser Zeit noch Parteisekretär der Löfflerschule, blieb bis zu meinem Termin eine Frist von etwa 12 Tagen. – Ich wusste, was da auf mich zukam: Entweder auf die Jugendlichen dieser 11. Klasse Druck ausüben, sie einschüchtern, ihnen drohen und sie in die Enge treiben (was mir die Partei hoch anrechnen würde) oder ihnen eindeutig Toleranz zusichern, ihnen zuhören und sie selber frei entscheiden lassen. – Ich hatte unruhige Nächte und legte mir nach mehrfachen Überlegungen ein Konzept zurecht, nach dem ich vorgehen wollte, ohne die Jugendlichen dieser Klasse zu gefährden, und wodurch ich gegenüber der Partei sichtbar machen konnte, dass ich trotz „guten Willens“ für eine derartige Aufgabe nicht geeignet sei. Diesen gedachten Plan trug ich schwer mit mir herum, versuchte ihn in Gedanken zu präzisieren und auszugestalten, doch dann – ganz plötzlich und unerwartet wurde das ganze Unternehmen „Junge Gemeinde“ auf der Stelle abgeblasen!
Der 17. Juni 1953, der „Neue Kurs“ von Partei und Regierung in Verbindung mit dem Aufstand der Berliner Arbeiter und der begonnene Streik der LOWA-Arbeiter in Gotha, hatte die SED-Kreisleitung gezwungen, jene Aktion abrupt fallen zu lassen. Ich sah mich über Nacht wie befreit und war heilfroh, dass diese drückende Last von mir gewichen war. Zugleich waren jene Tage vom 17. Juni auch für uns in der Schule sehr aufregend. Der Unterricht sollte wie gewohnt weitergeführt werden, was auch geschah. Wir „Genossen“ wurden durch Kurier angewiesen, sofort „höchste Wachsamkeit“ zu üben. Ein Schulinspektor brachte zwei Kleinkalibergewehre mit Munition ins Direktorzimmer (!) und verordnete eine Nachtwache in der Schule. Das hieß, wir Genossen mussten des Nachts zu zweit als Doppelposten im Schulhaus Wache halten – gegen eventuelle „feindliche Handlungen des Klassengegners“. Über Telefon sollten wir der übergeordneten Dienststelle, also dem Büro des Schulrates, sofort Meldung erstatten, falls unserer Schule Gefahr drohe! – Wir fanden das lächerlich, setzten uns nachts zu dritt ins Direktorzimmer und spielten Skat. Ab und zu wurde angerufen und gefragt, ob alles in Ordnung sei. Nach der dritten Nacht, so glaube ich mich zu erinnern, wurden die Gewehre wieder abgeholt. Aber innerhalb der Partei herrschte weiterhin höchste Wachsamkeit.