Kitabı oku: «Irrlichter und Spöckenkieker», sayfa 5

Yazı tipi:

14

Es war ein Morgen wie aus dem Bilderbuch. Die Luft war erfüllt von Vogelgezwitscher, die Fliederbüsche standen in voller Blüte, und der Frühling zeigte sich von seiner schönsten Seite.

Stine hatte das schöne Wetter genutzt und alle Fenster des Hofes einer gründlichen Reinigung unterzogen. Nun stand sie auf dem Hof und betrachtete stolz ihr Werk.

»Jetzt mach mal eine Pause, wie wäre es mit einem Tee? Ich habe in der Küche Gebäck gesehen.«

Bauer Clausen kraulte dem Hofhund das Fell und gesellte sich zu Stine. In letzter Zeit machte ihm sein Rücken oft zu schaffen. Ein altes Ischias-Leiden quälte ihn und ließ die Feldarbeit zur Last werden. So nutzte er gerne die kleinen Pausen, um sich auszuruhen und seinen Rücken für kurze Zeit zu entlasten.

»Morgen nimmst du dir einen Tag frei. Die Hausarbeit kann ruhig mal warten. Sie läuft nicht weg.«

Der alte Marten Clausen wusste Stines Arbeit auf seinem Hof zu schätzen. Das Mädchen war fleißig, und er bewunderte ihre Kochkunst. Aus wenigen Zutaten zauberte sie die köstlichsten Gerichte. Den Clausenhof hatte sie in kurzer Zeit in ein wahres Schmuckstück verwandelt.

Bunte Vorhänge und Tischtücher gaben der großen Wohnküche eine gemütliche Ausstrahlung. Handtücher und Bettzeug wurden stets gebügelt, und zu den Mahlzeiten standen frische Blumen auf dem Tisch.

»Ach Bauer was soll ich denn mit einem freien Tag anfangen? Meine Großeltern habe ich gerade erst besucht«, Stine strich eine Haarsträhne aus der Stirn und fuhr fort:

»Wenn du nichts dagegen hast, bleibe ich lieber hier. Morgen werde ich ein neues Kuchenrezept ausprobieren, mit Zuckerstreuseln, das wird dir gefallen.«

Bei ihrem Einkaufsbummel vor einigen Tagen hatte Stine in der Gemeindebücherei ein Sachbuch über Traumdeutung entdeckt und nun brannte sie darauf dieses Buch baldmöglichst zu lesen. Es war schon eine Weile her, dass die »weiße Frau« ihr im Traum erschienen war und Stine hoffte mit aller Kraft, dass es so bleiben möge. Wenn sie nachts träumte, dann meistens von Jan, der ihr Leben momentan ganz schön durcheinander brachte. Vielleicht hatte die Liebe, mit ihrer unendlichen Kraft einen bösen Zauber gebrochen? Stine seufzte, so etwas gab es wohl nur im Märchen.

Clausen schüttelte den Kopf. So ein junges Ding wusste nichts mit einem freien Tag anzufangen? In seiner Jugend war das anders. Jede freie Minute hatte er als junger Bursche auf dem Fußballplatz verbracht. Ein berühmter Fußballspieler wollte er werden, doch dann war sein Vater gestorben und er hatte den Hof übernehmen müssen. So zerplatzen Träume …

»Ja, wie du willst«, sagte Marten und begleitete Stine in die Küche. Während das Mädchen einen großen Kessel Wasser auf die Herdplatte stellte, machte Clausen es sich im Sessel bequem und stopfte seine Pfeife. Gerade als der Nachrichtensprecher im Radio berichtete, dass Winston Churchill aus gesundheitlichen Gründen als Premierminister zurückgetreten war, schlug der Hofhund an. Wütend riss er an der Kette. Die Gänse, die gerade noch friedlich auf der Wiese nach Futter suchten, stoben laut schnatternd auseinander und suchten das Weite.

»Was ist denn da draußen los?«

Der Bauer legte die Zeitung zur Seite und eilte auf den Hof. Mit lautem Getöse und großer Geschwindigkeit näherte sich ein Motorrad und kam erst kurz vor dem Dielentor zum Stehen. Eine hochgewachsene Gestalt in schwarzer Lederkluft stieg von dem Gefährt und reichte dem Bauern die Hand.

»Da staunst du was? Das ist eine Hercules, die Maschine habe ich gerade gekauft. Sieh sie dir nur genau an, ist das nicht ein Schmuckstück? Willst du vielleicht mal eine Probefahrt machen?«

Mit dröhnender Stimme begrüßte der Mann Marten Clausen. Dann drehte er sich um und sah überrascht zu dem Mädchen hinüber, das dem Bauern nach draußen gefolgt war. Das anzügliche Grinsen im sonnengebräunten Gesicht des Viehhändlers ließ seine Gedanken erahnen. In seinen Augen glitzerte es verdächtig. Er konnte kaum den Blick von Stine lassen.

Clausen betrachtete neugierig das Motorrad und brummte:

»Du musst ja viel Geld haben, dass du dir so was leisten kannst, Kruskopp.«

Missmutig runzelte der Bauer die Stirn. Er hatte Zeit seines Lebens sparen müssen, um über die Runden zu kommen, für solche Spielereien hatte er absolut nichts übrig.

»Dein Viehtransporter reicht dir wohl nicht mehr, oder? Jetzt muss auch noch ein Motorrad her. Damit kommt man bei den Deerns bestimmt gut an, stimmt`s?«

Der Viehhändler hatte indessen sein Motorrad abgestellt und ging lächelnd auf Stine zu. Ohne auf Clausens Bemerkung einzugehen griff er ihr unter das Kinn und hob ihren Kopf ein wenig an. Sein Blick wanderte an ihr hinunter und blieb schließlich an ihren nackten Füßen hängen.

»Was haben wir denn da? So etwas Hübsches hatte der alte Clausen aber schon lange nicht mehr auf dem Hof«, sagte er leise, während er ausgiebig ihre Beine musterte.

»Wie heißt du denn, Süße?«

Ärgerlich schüttelte Stine die Hand des Viehhändlers ab, trat einen Schritt zurück und murmelte:

»Stine Knudtsen heiße ich.«

»Ach, du bist eine Knudtsen. Die Enkelin von Ole, habe ich Recht? Was machst du denn hier auf dem Clausenhof?«

Kruskopp steckte sich eine Zigarette an und setzte sich breitbeinig auf die Bank, während er Stine nicht aus den Augen ließ. Marten Clausen beobachtete ihn misstrauisch. Kruskopp war ein Schürzenjäger, kein Mädel war vor ihm sicher. Stine musste sich vorsehen, Marten wollte keinen Ärger mit ihrem Großvater riskieren.

»Was Stine auf meinem Hof macht, geht dich nichts an. Was willst du eigentlich hier? Du bist doch sicher nicht gekommen, um mir dein neues Motorrad vorzuführen.«

Roluf Kruskopp streckte seine langen Beine weit von sich und zog an seiner Zigarette. Genüsslich blies er den Rauch durch seine gelblich verfärbten Zähne.

»Ich wollte dich fragen, ob du Ferkel abzugeben hast. Die Schweinepreise sind im Augenblick gut, wenn du willst, können wir ins Geschäft kommen.«

Clausen dachte einen Augenblick nach, bevor er antwortete.

»In einer Woche sind unsere Ferkel soweit, dann kannst du sie haben. Jetzt noch nicht.«

Zustimmend nickte Kruskopp und schwang sich wieder auf sein Motorrad.

»Ich komme dann in einer Woche mit dem Viehtransporter vorbei. Über den Preis unterhalten wir uns noch. Ach …«, Kruskopp war noch etwas eingefallen.

»Habt ihr schon gehört, dass die alte Trientje vermisst wird? Sie ist schon seit Wochen nicht mehr gesehen worden. Wenn du mich fragst - ist nicht schade drum, soll der Teufel sie holen! In Oldsum gibt es jetzt eine junge Hebamme, ein süßes Mädchen. Ich glaube sie heißt Lina und ist mit dem Schmied Hinrichsen verwandt. Eine Zuckerschnecke, sag ich dir.«

Stine horchte auf. Lina Hinrichsen war ihr gut bekannt. Lange Jahre war sie mit ihr in die gleiche Schule gegangen und konnte sich sehr gut an das blonde, zurückhaltende Mädchen erinnern. Lina war die Klassenbeste ihres Jahrgangs und sehr ehrgeizig. Stine war immer davon ausgegangen dass Lina einmal Lehrerin werden würde. Darum war sie jetzt überrascht zu hören, dass Lina den Beruf der Hebamme gewählt hatte.

»Was hast du gesagt, Trientje ist verschwunden? Ach, die war schon öfter für eine Weile weg. Vielleicht ist sie auf dem Festland, sie soll dort einen Bruder haben.«

Marten klopfte die Tabakreste aus der Pfeife und steckte sie in die Jackentasche.

Auch in Utersum kannte man die alte Hebamme, und schon oft hatte sie Clausen mit ihrer selbstgebrauten Medizin wieder auf die Füße geholfen. Jeder wusste, dass Trientje auf der ganzen Insel zu Hause war. Niemand machte sich Gedanken, wenn sie mal eine Zeit lang nicht gesehen wurde.

Mit ohrenbetäubendem Geknatter startete Roluf Kruskopp seine Maschine.

»Wahrscheinlich ist sie an ihren eigenen Pillen krepiert, wer weiß das schon«, schrie er gegen den Lärm an, bevor er in einer rasanten Kurve mit dröhnendem Gelächter vom Hof fuhr.

15

»Ich fahre jetzt zur Post, in etwa zwei Stunden bin ich wieder zurück. Hoffentlich bleibt es trocken, da oben sieht`s nach Regen aus.«

Stine schwang sich auf ihr Fahrrad, winkte dem Bauern Clausen noch einmal zu und fuhr über den schmalen Kiesweg zur Hauptstraße hinüber. Sie freute sich auf den Nachmittag und hatte sich viel vorgenommen. Beim Schneider Ennen wollte sie hereinschauen um nach neuen Stoffen zu sehen, und beim Schuster Wiemers standen ihre Sonntagsschuhe zur Abholung bereit. Der kräftige Westwind hatte die leichten Morgennebel fast vertrieben, die ersten Regenwolken zogen über die Marsch. Wenn sie noch trocken ins Dorf kommen wollte, musste sie sich beeilen. Ich werde die Abkürzung durch die Kieferschonung nehmen, dachte Stine und bog in den schmalen Feldweg ein. Wie eine zweite Haut legte sich die Feuchtigkeit der letzten Nebelschwaden auf ihre Kleider und behinderte sie beim Vorwärtskommen.

Zu allem Überfluss kam der Wind jetzt von vorne. Sie musste kräftig in die Pedale treten. Ich hätte besser bis morgen gewartet, dachte Stine, als sie plötzlich hörte, wie jemand leise ihren Namen rief.

»Stine, so warte doch.«

Stine horchte auf und wandte sich um. In rasantem Tempo kam ein junger Mann hinter ihr her geradelt, der ihr sehr gut bekannt war.

»Jan!«

Sie verlangsamte ihre Fahrt und wartete, bis der Freund sie eingeholt hatte.

»Ich bin auf dem Weg nach Süderende, um mit dem Pfarrer zu sprechen«, sagte Jan atemlos.

»Meine Eltern feiern in einigen Wochen ihre Silberhochzeit. Ich wollte eine Messe bestellen.«

»Dann gibt es wohl ein großes Fest. Wenn der Bürgermeister seine Silberhochzeit feiert, wird sicher das ganze Dorf eingeladen, oder?«

Stine stieg vom Rad und knöpfte ihre Jacke zu. Der Wind frischte auf, die ersten Regentropfen fielen und zeichneten ein bizarres Muster auf den Asphalt. Zusehends verdunkelte sich der Himmel. In der Ferne vernahm man ein leichtes Grollen, das stetig näher kam.

»Jan, es gibt ein Gewitter! Wir werden es nicht mehr bis ins Dorf schaffen.«

Hastig zog Stine ihre Jacke über den Kopf, um sich ein wenig vor dem Regen zu schützen. Es dauerte nur wenige Minuten, bis das dünne Kleid des Mädchens völlig durchnässt war.

»Komm, hier in der Nähe ist ein Unterstand, da können wir warten, bis das Unwetter vorbei ist.«

Jan schwang sich auf sein Rad und fuhr los. Vorsichtig umfuhr er die knöcheltiefen Pfützen, die sich inzwischen auf dem Feldweg gebildet hatten.

Stine versuchte, es ihm gleich zu tun, doch es gelang ihr nicht. Die Jacke war ihr längst vom Kopf gerutscht und flatterte nun wie eine Fahne im Wind. Das Kleid klebte an ihren Beinen, und die Schuhe waren vom Wasser durchtränkt. Den Einkaufsbummel würde sie nachholen müssen. In den nassen Kleidern konnte sie sich nirgendwo sehen lassen. Hoffentlich machte der Bauer sich keine Sorgen, wenn sie zum verabredeten Zeitpunkt nicht zurück war.

Völlig durchnässt erreichten sie schließlich den Unterstand. Prüfend rüttelte Jan an den morschen Wänden des Schuppens. Die Holzbretter ächzten und stöhnten bei jedem Windstoß, doch sie hielten dem Unwetter stand. Die Strohunterlage auf dem Boden der Hütte war trotz der großen Lücken im Dach einigermaßen trocken. Kurzerhand zog Jan Jacke und Hose aus und hängte die Kleidungsstücke über einen Balken.

Mit gemischten Gefühlen schaute Stine auf den Jungen, der mit bloßen Beinen vor ihr im Stroh saß. Befangen setzte sie sich ebenfalls auf den Boden, nicht ohne einen anständigen Sicherheitsabstand zu wahren.

»Was denkst du, wie lange wird das Gewitter dauern?«

Stine fand die Idee, hier in diesem Schuppen auf besseres Wetter zu warten, inzwischen äußerst töricht. Sie wäre viel lieber sofort zurück zum Clausenhof gefahren. Dann hätte sie längst trockene Kleider an und könnte mit dem Bauern ihren Nachmittagstee genießen. Stattdessen saß sie hier in diesem zugigen Stall mit einem halbnackten Jungen an ihrer Seite. Wenn das Großmutter wüsste, dachte Stine nicht ohne Belustigung und stellte sich das entsetzte Gesicht der alten Dame vor.

»Was denkst du gerade? Warum lachst du?«

Jan rutschte ein wenig näher und strich mit einem Strohhalm zart über ihre nackten Beine. Stine zuckte zusammen und zog das Bein ein wenig zur Seite.

»Hm, ich denke nichts.«

Sie schaute durch einen Spalt der Bretterwand nach draußen. Es regnete noch immer. Grelle Blitze zuckten über den wolkenverhangenen Himmel. Wieder war der Junge ein Stück näher gerückt, und der Strohhalm berührte behutsam ihr Bein. Was sollte sie tun? Sie saß bereits unmittelbar mit dem Rücken an der Wand. Noch weiter wegrücken konnte sie nicht. Würde Jan sie jetzt küssen? Schreien oder Weglaufen kam wohl nicht in Frage und erschien ihr in diesem Moment auch ziemlich albern. Aber sollte sie sich einfach so küssen lassen?

Stine drehte ihren Kopf zur Seite und sah Jan an. Sein Gesicht war in der Dämmerung des Schuppens kaum zu erkennen, aber den warmen Glanz in seinen Augen sah Stine ganz deutlich. Wie schön musste es sein, ganz allmählich in diesem Glanz zu versinken, dachte sie. Jan legte seinen Arm um sie und drückte sie an sich. Stine lief ein Schauer über den Rücken, sie konnte an nichts mehr denken. All ihre Fragen wurden in diesem Augenblick beantwortet.

16

Am nächsten Tag meldete sich Besuch an.

Gesa Clausen, eine Schwester der verstorbenen Bäuerin, teilte dem Bauern auf einer bunten Postkarte mit, dass sie am Mittwoch mit der Fähre vom Festland in Wyk ankäme und bat darum, abgeholt zu werden. Der Bauer war zunächst gar nicht begeistert.

»Gesa ist ein unruhiger Geist, sie bringt hier alles durcheinander. Sie wird den ganzen Hof auf den Kopf stellen, und mit unserer Ruhe ist es aus und vorbei«, sagte er mürrisch zu Stine und verkroch sich hinter seiner Zeitung. Er ahnte, dass der Besuch sein Wohlbefinden ganz erheblich stören würde. Nur ungern erinnerte er sich an frühere Aufenthalte der Witwe in seinem Haus. Gesa verstand es meisterhaft, die Menschen zu beeinflussen. Ihre charmante Art und ihre lebensfrohe Ausstrahlung zog vor allem die Männer magisch an. Aber mittlerweile waren viele Jahre vergangen und Gesa war kein junges Ding mehr. Marten rechnete zurück, sie musste inzwischen um die fünfzig sein - eine Frau im besten Alter. Er seufzte, er würde die Aktivitäten seiner Schwägerin im Auge behalten.

»Absagen kannst du jetzt nicht mehr, morgen ist bereits Mittwoch. Das wäre zu unhöflich. Warum freust du dich nicht, wir haben so selten Besuch.«

Stine hatte Recht. Sie lebte jetzt fast ein Jahr auf dem Clausenhof, und noch nie hatte der Bauer Gäste empfangen. Dabei war er durchaus ein unterhaltsamer Mann. Sie erinnerte sich an die einsamen Winterabende, an denen sie sich häufig mit Kartenspielen die Zeit vertrieben. Immer gab es viel zu lachen, und oft leisteten die Knechte und Mägde ihnen Gesellschaft.

»Wenn du meinst, dann soll sie kommen. Für eine Absage ist es wohl wirklich schon zu spät. Schlafen kann Gesa in der alten Gesindekammer, die wird ja nicht mehr gebraucht«, brummte der Bauer.

»Lange wird sie es sowieso auf der Insel nicht aushalten«, fuhr er mit einem Augenzwinkern fort.

»Bei Gesa muss immer etwas los sein, das war schon früher so. Nun gut, dann bereite alles vor, was nötig ist.«

Das ließ Stine sich nicht zweimal sagen. Sie putzte und wienerte, bis die Kammer vor Sauberkeit strahlte. Und als es Abend wurde, war aus dem alten Verschlag ein gemütliches, behagliches Gästezimmer geworden. Das Mädchen freute sich auf den Besuch von Gesa Clausen. Brachte sie doch ein wenig Abwechselung ins Haus.

Manchmal vermisste Stine ein nettes Gespräch mit einer Freundin sehr.

Aber das war nicht immer so gewesen. Sie konnte sich noch gut erinnern, wie misstrauisch und ablehnend sie noch vor einem Jahr auf Gäste reagierte. Jeder Fremde bedeutete für sie zunächst erst mal eine Bedrohung. Da Stine kaum Menschenkenntnis besaß, konnte sie auch nur sehr schwer einschätzen, ob ihr Gegenüber ihr wohlgesonnen war oder ob sie lieber einen großen Bogen um ihn machen sollte. So blieb es nicht aus, dass das Mädchen sehr oft enttäuscht wurde und kaum noch Kontakt zu den Menschen suchte. Meta hatte oft erzählt, dass auch Rieke trotz aller Bemühungen nie eine echte Freundin fand. Ihr Großvater war ganz anders, er war sehr gastfreundlich, und oft wurde auf dem Knudtsenhof ausschweifend gefeiert.

An diesen Tagen hatte Stine sich immer völlig zurückgezogen.

Heute lag diese Zeit weit hinter ihr. Sie dachte lange über diese für sie so neue Situation nach. Sie konnte sich einfach nicht erklären, was diese Verwandlung herbeigeführte. Sicher hatte es etwas mit dem Umzug nach Utersum zu tun, aber auch die tiefe Liebe zu Jan trug ohne Zweifel dazu bei. Veränderungen, die sie früher in Panik versetzten nahm sie heute gelassen hin. An die »weiße Frau« dachte sie nur noch sehr selten.

»Ich fahre jetzt nach Wyk und hole Gesa ab. Ich denke, wir werden in zwei Stunden zurück sein.«

Bauer Clausen hatte seinen Sonntagsanzug aus dem Kleiderschrank geholt und ein frisches, blaues Hemd angezogen. Seine Haare, die sonst immer ein wenig wirr vom Kopf standen, waren heute mit viel Pomade straff an den Schädel geklebt worden.

Stine musste lachen, so hatte sie den Bauern noch nie gesehen. Sein Gesicht drückte Unbehagen aus, als er sich schwerfällig in den alten Benz setzte.

»Ich warte mit dem Kaffee, bis ihr zurück seid«, rief Stine ihm nach, während der Bauer mit aufheulendem Motor vom Hof fuhr.

Der Tag versprach sonnig zu werden, darum beschloss sie, den Kaffeetisch draußen unter der alten Buche zu decken.

Sie trug eine neue gelbe Bluse und einen weiten, blauen Faltenrock. Die Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz hochgebunden - eine neue Frisur, die seit einiger Zeit auf der Insel modern war.

Es gab auf dem Clausenhof nicht viele Gelegenheiten sich hübsch zurechtzumachen, umso mehr freute Stine sich auf den Nachmittag.

Auf dem Weg in die Küche fiel ihr Blick auf den Briefkasten. Ein großer Umschlag, auf dem mit schwarzer Tinte ihr Name stand, erregte ihre Aufmerksamkeit.

Die Schrift glich der ihrer Großmutter, aber warum sollte Meta ihr schreiben? Stine hatte während ihres Aufenthaltes bei Bauer Clausen noch nie einen Brief vom Knudtsenhof bekommen, darum öffnete sie neugierig das Kuvert.

»Liebe Stine.« stand in zittrigen Buchstaben auf dem Briefbogen,

»Du wirst sicher verwundert sein, von mir Post zu bekommen. Aber das, was ich Dir zu sagen habe, duldet keinen Aufschub. Ich habe vor einigen Tagen mit unserer Magd den alten Heuboden entrümpelt. Du weißt schon, den Boden, wo wir alte Möbel und Dein Spielzeug aufbewahren. Dabei habe ich in einem Schrank ein altes Tagebuch gefunden, das wohl Deiner Mutter gehörte. Ich habe keine Ahnung, wie das Buch dort in den alten Schrank gekommen ist. Ich glaube, Du solltest dieses Tagebuch lesen. Mein Gefühl sagt mir, dass es der Wunsch deiner Mutter war.

Wenn Du uns mal wieder besuchen kommst, kannst Du das Buch mitnehmen. Ich hebe es so lange für dich auf.

Wie geht es Dir, meine Kleine? Bist Du gesund und munter? Hier auf dem Knudtsenhof ist alles in Ordnung. Nur mein Rheuma plagt mich manchmal sehr.

Liebe Grüße,

Deine Großmutter«

Stine ließ den Brief nachdenklich sinken. Die Erscheinung in ihrem Traum hatte von einem Tagebuch gesprochen. Gab es einen Zusammenhang? Hatte die »weiße Frau« dieses Tagebuch gemeint?

Die Vorstellung, ein Tagebuch ihrer Mutter zu lesen, löste in ihr Beklemmungen aus. Sie hatte inzwischen durch die Erzählungen ihrer Großmutter ein ganz bestimmtes Bild von ihrer Mutter gewonnen. Möglicherweise würden die Aufzeichnungen im Tagebuch dieses Bild mit einem Schlag zerstören?

Vielleicht handelte es sich um Eintragungen, die in Zeiten der Not und Verzweiflung geschrieben wurden?

Durften diese Hilfeschreie einer gequälten Seele einfach so an die Öffentlichkeit gezerrt werden? Ihre Mutter war Zeit ihres Lebens eine unglückliche Frau, das wusste Stine von ihrer Großmutter.

Sie empfand tiefes Mitleid mit ihrer Mutter und wünschte sich manchmal, es gäbe noch eine Gelegenheit ihr zu zeigen, wie viel Liebe sie für sie empfand. Sie beschloss, beim nächsten Besuch auf dem Knudtsenhof das Tagebuch an sich zu nehmen. Ob sie es jemals lesen würde, wusste Stine noch nicht.

Der Hofhund schlug an, ein untrügliches Zeichen, dass Besuch eingetroffen war.

Stine ließ den Brief rasch in ihrer Rocktasche verschwinden und trat durch das Dielentor ins Freie.

»Herzlich Willkommen, Frau Clausen!«

Beeindruckt von der eleganten Erscheinung der Gesa Clausen streckte sie ihr die Hand entgegen.

Martens Schwägerin trug ein gutsitzendes, graues Kostüm, darunter eine weiße Rüschenbluse und hochhackige, schwarze Schuhe. Ihre graumelierten Locken bändigte sie mit Hilfe eines signalroten Hutes. Sie war durch und durch eine Dame von Welt, das musste Stine neidlos eingestehen. Bauer Clausen dagegen machte eine eher traurige Figur. Mit zerknitterter Jacke und vom Wind zerzausten Haaren stieg er mürrisch aus dem Auto. Ohne sich um seinen illustren Gast zu kümmern, stellte er die drei riesigen Koffer kurzer Hand auf dem Hof ab und fuhr anschließend den Benz in den Schuppen. Die Tatsache, dass die Koffer unmittelbar neben einer großen Pfütze standen, quittierte Gesa Clausen mit einem leichten Kopfschütteln. Doch sie fing sich relativ rasch und ging wohlwollend auf Stine zu.

»Du bist also Stine Knudtsen, ich freue mich, dich kennen zu lernen«, sagte sie liebenswürdig.

»Ich denke, wir werden gut miteinander auskommen.«

Stine konnte sich dieser Meinung nur anschließen. Gesa machte einen freundlichen Eindruck und würde sicher für frischen Wind auf dem Clausenhof sorgen.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺150,55

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
320 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783967526691
Yayıncı:
Telif hakkı:
Автор
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre