Kitabı oku: «Schlehenbusch», sayfa 2

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Familienmomente
Samstagnachmittag, 11. September 2010

„Ach, da bist du ja endlich“, wird Bernd von Judith, Claudia und Sarah empfangen. Und Judith setzt hinzu: „Du musst deinen kleinen Schreihals ein bisschen rum tragen, bis er sein Bäuerchen macht. Danach kannst du ihn in sein Bettchen legen. Wir gehen schon mal in die Küche. Komm nach, sobald Simon schläft. Claudia wird dir helfen.“

Damit legt sie Bernd das brüllende Bündel Simon, das ihr gemeinsamer Sohn ist, in den Arm. Die beiden Frauen verdrücken sich. Man hört sie die Treppe runterpoltern.

Nun ist er mit Simon und Claudia allein. „Gib ihn mir, Papa“, sagt Claudia, nachdem sie Bernd vorsichtig umarmt hat, um das Baby nicht zu erdrücken, „bei mir ist Simon immer sofort still. Gib ihn mir, Papa!“

Und wirklich ist Simon in Claudias Armen sofort still, strahlt seine Halbschwester an und nuckelt an seinem Schnuller, während sie ihm sein Bäuchlein reibt. „Siehst du, Papa, ich kann das schon. Geh ruhig runter zu den Anderen. Ich lege ihn nachher auch ins Bett!“

Was soll Bernd tun? Er ist froh, dass Claudia ihren Halbbruder so gern hat und ihre Aufgabe ernst nimmt. Damit kommt sie wohl immer weiter von dem Schock frei, der ihr im Januar zugefügt wurde. Da war ihre Mutter vor ihren Augen brutal ermordet worden und Claudia danach selbst einige Tage in der Gewalt von Entführern gewesen, ehe sie unter dramatischen Umständen befreit werden konnte. Und das Erlebnis vor ein paar Wochen in Sonogno, als das Häuschen überfallen wurde, in dem sie mit Judith und zwei Polizisten Wache schob, war auch noch zu verarbeiten. Polizistenkinder haben es manchmal schwer!

Partyvorbereitungen II
Samstagnachmittag, 11. September 2010

In der Küche wird eifrig gewerkelt. Die Frauen haben Bernds Speiseplan mit den Vorspeisenrezepten gefunden und die Auberginen bereits, gewürfelt und gesalzen, beiseite gestellt. Sarah Schwan brutzelt in zwei Pfannen Zucchinischeiben, Egon Schneider schält kleine Zwiebeln für Cipolle in Balsamico. Daneben schrubbt Judith junge Möhrchen, an denen sie noch einen Zentimeter des Stielansatzes gelassen hat.

„Richtig so?“, fragt sie Bernd, als er ihr über die Schulter sieht, und Bernd nickt.

Die beiden Küchenmädchen schälen Gurken oder kratzen Paprika aus. In einer Backröhre wirft die Haut der ersten Partie Paprikahälften bereits Blasen. Bernd zieht die Bleche schnell heraus und legt klatschnasses Küchenpapier auf die roten Paprikateile. - Hilde Schneider, welche die Haut der Paprika abziehen soll, ist nicht zu sehen.

„Bernd, Du musst noch mal weg zum Bäcker Schultheiß“, ruft Ute, „oder hast du die zehn Stangen Weißbrot und die dreißig Brezen für morgen schon bestellt? – Und dazu musst du noch beim Metzger in Frickingen zwei elektrische Kessel abholen und sechzig Paar Weißwürste. Und pass in Frickingen auf. Da bereiten sie alles für den Herbstmarkt vor. Da findest du keinen Parkplatz.“

„Brezen, Weißwürste … und Kessel?“, ist Bernd sehr erstaunt, „davon wusste ich bisher nichts!“

„Klar“, lacht Ute, „wäre ja auch Hilde Schneiders Ding gewesen. Die hat doch den Chor zur Abschiedsvorstellung für Egon geordert.“

„Weiß ich schon“, seufzt Bernd, „da wird sich Egon aber wenig freuen. Der hört lieber Klassik!“

„Weiß ich auch“, grinst Ute, „vielleicht will sie Egon ärgern, vielleicht aber nur ihre Jungs mal wieder direkt hören. Ist ja egal. Jedenfalls hat Kalle beim Vertragsabschluss gemeint, natürlich wäre auch Verpflegung fällig. Ein Weißwurstfrühstück würde langen. Die Gage für die Spendenkasse sei beliebig, sofern diese dreihundert Euro überträfe. - Die Spende, die Weißwürste und die Getränke für den Chor und die Managerschüler übernimmt Edwin. Dafür essen und feiern unsere neun Managerschüler mit. Hilde hat die Würste bestellt und die Brezen leider vergessen. – Düse also los, regulier das mit den Weißwürsten und den Kesseln, und bring bitte noch ein Eimerchen süßen Senf und saure Gurken mit! Und wenn du noch frische Eiszapfen oder Radieschen fürs Weißwurstfrühstück erwischen könntest, gäbe das ein Superplus für Dich!“

Als Bernd draußen ist, um loszufahren, fehlt Kalles ISETTA 600 immer noch. – „Was ist bloß mit dem los?“, denkt er, „ist dessen frisch aufgemöbelte Karre mal wieder stehen geblieben?“

Über die plötzliche Erweiterung seiner und Egon Schneiders Abschieds-Party mit Seemannschor und Managerschülern ist er auch nicht ganz glücklich. Er fragt sich, wie die Leute miteinender harmonieren und ob seine Einkäufe dafür reichen. Aber dann fällt ihm zu seiner Beruhigung ein, dass er nach dem letzten Vorspeisenbüffet noch drei Tage die Kollegen in der Dienststelle mit den Resten versorgen konnte, weshalb auch für Sonntag alle sofort und voller Vorfreude bei der Einladung zugesagt haben.

Bestell- und Holdienst I
Samstagnachmittag, 11. September 2010

In der Bäckerei Schultheiß ruft Bernd lieber an, bevor er in seinen GOLF steigt. Denn wenn die Schranke unterm Auerbuckel geschlossen sein sollte, hat er wegen der Schlange des Gegenverkehrs keine Chance abzubiegen oder in der Nähe zu parken und dann zur Bäckerei zu laufen.

„Ach so“, meint Hermann Schultheiß am Telefon, „das Stangenweißbrot hat Ute Eberle gestern schon bestellt, als sie hier war. Das hat sie wohl wieder vergessen bei dem Stress. Die Brezen und das Weißbrot werden wir morgen früh frisch backen. Lieber zehn Brezen mehr. Und noch zwanzig Butterbrezen extra. Ich kenne meine Kumpel vom Chor. Morgen um zehn bringe ich alles frisch mit, bin ja beim Singen dabei!“

„Gut, Hermann“, meint Bernd, „ach, dann bring bitte auch noch Butterbrezen für die neun Manager mit, die dabei sein werden. Die kennen Deine Spezialität vielleicht auch noch nicht.“

Auf dem Weg nach Frickingen zur Metzgerei sieht Bernd Kalles ISETTA 600 und Chucks Rostlaube in er Einfahrt zur Müllumladestation Füllenwaid parken. Die Station ist am Samstagnachmittag geschlossen, sonst gäbe es sicher Ärger mit anderen, denen sie die Zufahrt versperren.

Die beiden stehen neben ihren Wagen und gestikulieren heftig. Chuck schwenkt einen Schnellhefter in der Hand und winkt Bernd zu. Aber auf Chucks Gelabere hat Bernd heute keine Lust. Deshalb winkt er nur kurz zurück und drückt aufs Gaspedal.

„Eigentlich wäre Chucks Karre doch im Müll bestens aufgehoben“, denkt er während der Weiterfahrt und muss grinsen, „aber leider nehmen die bei der Füllenwaid solche Rostlauben nicht an. Und als es die Abwrackprämie gab, hat sich Chuck wohl nicht trennen können – oder er hatte nicht genug Kohle für einen Neuwagen. Ein verrostetes GOLF-Cabrio der ersten Serie hat doch seinen gewissen Charme und schmückt einen alten Mann mehr als ein Kleinwagen ohne Stil!“

Chuck und Kalle
Samstagnachmittag, 11. September 2010

Was Chuck und Kalle zu bereden haben, ist etwas merkwürdig und schwierig.

„Warum hast du meine Frau angerufen, Kalle? Bist du bekloppt? Jetzt fängt sie total an zu spinnen und hat mir das Konto sperren lassen!“

„Was heißt das, du Komiker? – Ich hätte sie längst anrufen sollen. Wenn ich daran denke, was du so mir nichts dir nichts gesagt hast, als dir in meinem Büro das Bild von meinem einen Klienten zu Gesicht kam. Das ist doch wohl mehr als gesponnen! – Und deine Frau hat sicher…“

„Nein, Kalle, deinen Klienten ‚Franz’, wie du ihn nennst, finde ich schon noch. Und meine Frau denkt nur ans Geschäft. Die will weiter nur unsere Plaketten für die Autos verkaufen. Aber die Plaketten habe ich schon lange sichergestellt. Da kommt sie nicht mehr ran. – Kennst du übrigens meinen neuesten Aufkleber ‚Ich bremse nicht für Banker und Politiker’?“

„Nee, den kenn ich nicht!“

„Kannste auch nicht kennen, Kalle, weil sie den nicht drucken und verkaufen will. – Gäbe angeblich nur Schwierigkeiten. Dabei war damals mein Aufkleber DDR = Dumm Dreist Rücksichtslos jahrelang ein Renner. – Sie vertraut einfach meiner Nase nicht mehr ….“

„Es haben sich ja auch genügend Leute beschwert, Chuck, nachdem ihnen beim Urlaub in Ungarn die Autos mit diesem Aufkleber reihenweise demoliert wurden.“

„Siehste, Kalle! Da hast du es wieder! Da steckte die STASI dahinter. Die war ja auch in Ungarn bei den Urlaubern aktiv. Hat die dort ausspioniert! – Und der Franz … - Wir müssen endlich die Spuren der Vergangenheit klären. Wann bist du nun so weit, dass wir losfahren können?“

„Ich hab keinen Bock auf eine Fahrt in deiner Rostlaube, Chuck. Man weiß ja nie, bei welchem Schlagloch die endgültig auseinander bricht. Und zu Fuß mit meinen zwei Krücken – Nee!“

„Aber ich habe es komplett vorbereitet, Kalle. Hier im Schnellhefter steht alles. Geld haben wir genug für die Tour. Soll eine Abschlussreise werden und später ein Buch geben. Fünf Stationen – ein Leben soll es heißen ….“

Bestell- und Holdienst II
Samstagnachmittag, 11. September 2010

Auf dem Rückweg von Frickingen sieht Bernd nur noch Chucks Rostlaube in der Einfahrt zur Füllenwaid stehen, Verdeck geschlossen. Der Schnellhefter, mit dem Chuck gewinkt hatte, liegt auf dem Verdeck. Bernd hält an, nimmt die Mappe auf, geht einmal um Chucks Wagen herum und will sie hineinlegen. Verschlossen. Auch unter dem Verdeck lässt sich nichts durchschieben. Er hat keine Zeit, länger zu suchen. Die Arbeit wartet, und die Weißwürste müssen in die Kühlung. So steckt er die Mappe in das Handschuhfach seines GOLF und düst weiter zum Dorfgemeinschaftshaus in Nussdorf.

Dort sind einige Seekameraden und die Manager schon dabei, Tische und Bänke aufzustellen, Papiertischdecken aufzulegen sowie das Geschirr und die Bestecke zu richten. Die Musikanlage steht betriebsbereit vorn auf der Bühne.

„Wenn wir Zeit haben, machen wir so was doch gern“, lacht einer der fleißigen Helfer, der gerade seine Gitarre mit der Anlage abgleicht und einen Schluck aus einer Flasche „Tannenzäpfle“ zu sich nimmt. „Kalle hat uns den Job hier angeschafft, und der Eberle uns einen Kasten Tannenzäpfle hingestellt.“ - Von Kalle aber keine Spur.

Weil Bernd sich suchend umblickt, als er kurz danach die Weißwürste aus dem Auto herein trägt, ergänzt der Gitarrist:

„Wenn du den Kalle suchst: der war nur kurz hier. Ist sofort mit dem Eberle zusammen weg. Hat von Schlehenbusch und Schneider Egon geredet. Ich weiß auch nicht, was das soll. – Jedenfalls: der Kühlschrank für die Weißwürscht ist hinten in der Küche, soll ich ausrichten, und die beiden Wurstkessel sollst du gegenüber der Getränkeausgabe hinstellen, aber keinesfalls anschließen. Und morgen beim Aufheizen sollst du aufpassen, dass die Sicherungen nicht rausfliegen! Verlängerungskabel fehlen auch noch, die sollst du organisieren.“

„Wieder eine Aufgabe mehr“, denkt Bernd, als er sich Richtung Managervilla davon begibt, „und nachher muss ich schauen, dass ich den Schlüssel rechtzeitig bekomme. Sonst machen die Seebären und die Managerlehrlinge hier Party, so wie die jetzt schon in Form sind.“

Schlehen II
Samstagnachmittag, 11. September 2010

Kalles ISETTA 600 steht zwar draußen vor der Managervilla neben Helene Hanckes CITROËN PLURIEL und Schneiders altem OMEGA, als Bernd wieder eintrifft. Doch drinnen ist wieder von Kalle keine Spur. In der Küche geht es dafür hoch her. Von Egon Schneider ist dort auch nichts zu sehen. „Is abgeschwirr“, meint Helene Hancke, die gerade die Balsamico-Zwiebeln aus der Pfanne in einen Schüssel gibt, „hat in der Pfann Zwiebel rühr soll. Is weg mit Kall un Niko Mach, …“

„Und um was geht es dabei?“, kann Bernd Helenes Rede unterbrechen.

„Kall hat gesag, Mach hätt Unruh-Franz zu Unrech eingesperr. Müss sofort geklär wer. Hat drauf bestann, dass Egon un Mach mit zum Golfplatz. Mach woll unbeding sein Karr fahr.“

„Und danach sind die drei Drückeberger weg“, ergänzt Hilde Schneider, „als ob es hier nichts zu tun gäbe, Bernd. Jetzt müssen Sie für meinen faulen Gemahl mit schaffen!“

„Bernd“, mischt sich Judith ein, „du musst unbedingt das Rinderhack für die kleinen Fleischbällchen würzen. Die pürierten Zwiebeln und eingeweichte Semmelbrösel nach deinen Angaben sind schon drin. Die Eier müssen noch dran. Es fehlen auch Salz, Pfeffer und deine speziellen Kräuter. Später kannst du mit dem Braten beginnen. Ich muss wieder zu Simon! – Deine Gurken für das Tzatziki habe ich übrigens schon gehobelt und mit Salz und Dill gemischt. Der griechische Joghurt dafür steht im Kühlschrank!“

So hat Bernd alle Hände voll mit Hackbällchen und Tzatziki zu tun, während Edwin Eberle nur kurz reinschaut und sich wieder zum Dorfgemeinschaftshaus begibt, um die Getränke in die Kühlung zu geben, die Seemänner und Manager nach einer weiteren Helfer-Flasche Tannenzäpfle mit einer Besprechung zu verabschieden und danach das Dorfgemeinschaftshaus zuzusperren.

Der Gedanke, was Egon und Machmal mit Kalle beim Golfplatz wollen, geht Bernd beim Braten der Rinderbällchen und später dem Anmischen seines Tzatzikis, der scharfen roten Sauce und dem Finishen anderer Vorspeisen mit fein gehacktem und in Balsamico in der Pfanne geschwenktem Knoblauch sowie gehackter Petersilie durch den Kopf. Währenddessen beschwert sich Helene Hancke noch einmal bei ihm, bevor sie nach Hause fährt, dass der Machmal ihr komische Avancen mache, obwohl der doch wisse, dass sie den Karl habe.

Bernd hört nur mit einem halben Ohr hin, weil er sich an Helenes Obergefränkisch immer noch nicht gewöhnen kann.

Er wird später nachfragen müssen, sobald Egon Schneider zurück ist, was es nun mit dem ominösen Schlehenbusch auf sich hat. Sollte Kalle dort oben am Golfplatz genau an der alten Stelle eine Leiche gefunden haben, wo vor einem halben Jahr das Hundegerippe lag? – Das wäre doch sehr merkwürdig! Und was kann Chuck damit zu tun haben? - Vielleicht sollte er später doch noch einen Blick in den komischen Schnellhefter in seinem Handschuhfach werfen.

Schlehen III
Samstagnachmittag, 11. September 2010

Egon Schneider will sich zuerst nicht äußern, als er mit Kalle zusammen am Managerhaus abgesetzt wird und Mach mit hochrotem Kopf gleich weiter fährt. „Da hat Machmal wohl Mist gebaut“, meint Schneider nur.

Kalle ist sauer und raunzt Bernd an: „Wärst du Komiker gleich von Owingen aus ne Schleife rauf zum Golfplatz gefahren, hätten wir vielleicht noch was gefunden. Aber so war nix mehr da. Wir haben ohne den Franz nicht mal mehr gefunden, wo der Stock gesteckt hat. Und der Mach hat den Franz einfach verhaftet. – Warum hast du bei der Füllenwaid nicht angehalten?“

Die Frage nach dem Nichtanhalten überhört Bernd einfach. „Ist der Franz etwa dein Klient?“, tut er verblüfft, wohl wissend, dass Franz von Unruh die Sache im Frühjahr sehr ernst genommen und Kalle mit Nachforschungen beauftragt hat.

Franz fand nämlich, zumindest behauptete er das, damals oberhalb des Golfplatzes im trockenen Gras und dem Brennesselverhau unter einem blühenden Schlehenbusch ein menschliches Skelett. Etwa zweihundert Meter von der einzelnen liegenden Kugel des Denkmals für die Opfer des Flugzeugzusammenstoßes aus dem Jahre 2001 entfernt. Er hatte seinen Wanderstock an den Wegrand gesteckt, die Stelle damit markiert und die Polizei verständigt, weil er dachte, man habe damals nach dem Flugzeugunglück vielleicht eine der Leichen nicht gefunden. Und das wiederum war äußerst unwahrscheinlich, weil man damals tagelang mit Hundestaffeln alles in der Umgebung abgesucht hatte.

Als die Kollegen von der Streife mit Franz von Unruh an den Platz kamen, fanden sie nur das kopflose Gerippe eines großen Hundes, und ringsherum war alles total verwühlt. Franzens Wanderstock fort! Und Bernd hatte bei der Suche, nachdem das Hundegerippe bereits weggeschafft worden war, aus reiner Neugier und um den Franz zu beruhigen, weitergemacht. Dabei war ihm ein einzelner silberner Ohrhänger in die Finger gekommen. Sehr verschmutzt und stark oxidiert, aber ohne irgendwelche sonstigen Spuren, wie das Labor später bestätigte. Wem der Ohrhänger verloren gegangen war, konnte man nur vermuten, dem Hund wohl kaum. Sicher hatte eine Frau diesen Hänger verloren. Wann allerdings und auf welche Weise, blieb ein Rätsel. Und ob es einem Opfer des Flugzeugzeugunglücks zuzuordnen war, schien auch nach der metallurgischen Untersuchung des Silbers nie klar zu sein.

Egon Schneider tippte darauf, dass das Schmuckstück bei einem heftigen Liebesakt auf dem lauschigen Rasenfleck neben dem Schlehenbusch verloren gegangen sein könne. Bernd war eher der Meinung, Schneider habe da Altmännerphantasien. Der Ohrhänger sei beim Schneiden von blühenden Schlehenzweigen für die Vase oder beim Schlehensammeln im Herbst unter den Strauch geraten. Aber das wäre sowieso nicht mehr zu ermitteln.

Wenn jemand seinen Hund auf diese Weise entsorgt hatte, so war es auch klar, warum sich weder Hundemarke, noch sonstige Erkennungszeichen fanden. Die Akte über das Hundegerippe und den Ohrhänger bei einem angeblichem Menschenskelett wurde also geschlossen, nachdem in der gesamten Gegend kein Hundebesitzer für die fragliche Zeit ermittelt werden konnte, der wegen unerlaubter Tierkörperbeseitigung hätte belangt werden können.

Jedenfalls hatte Franz von Unruh keine Ruhe gegeben, weil damals sein wertvoller Knotenstock mit den schönen Silbernägeln verschwunden war. Und Kalle war seither mit nutzlosen Nachforschungen im Wanderverein Ludwigshafen-Bodman und sonst wo beschäftigt, die ihm allerdings ein paar EURO in die notleidende Kasse seines Detektivbüros spülten.

Zugriff Mach
Samstagnachmittag, 11. September 2010

Was Bernd zu der heutigen Festnahme des Franz von Unruh zu hören bekommt, ist wirklich merkwürdig.

„Der Franz“, so erzählt Kalle, „hat heute früh bei seinem Powerwalking von der alten Owinger Straße zum Golfplatz und weiter nach Brachenreute beim Schlehenbusch von damals seinen Wanderstock stecken sehen. Er hat sich natürlich gefreut und gleich nachgeguckt, ob noch alles dran war. Zwei Nägel mit Silberwappen fehlten. Als er den Stock aus dem Boden zog, war der Griff klebrig: Blut war dran, schlecht abgewischt. Und beim genaueren Hinschauen fand sich auch an der Spitze und darüber Blut. Da hat er den Stock wieder in den Boden gesteckt und die Polizei gerufen. Heute Nachmittag nimmt der Machmal ihn fest. Die zwei fehlenden Silbernägel würden in einer Frauenleiche stecken, sagt der Mach. Die Frau sei mit dem Stock regelrecht gepfählt worden. Beim Herausziehen des Stocks seien die Nägel wohl abgerissen und in der Leiche geblieben. Und nur Franz könne der Täter sein, denn das sei schließlich dessen Wanderstock.“

„Frauenleiche? – Wo?“, fragt Bernd.

„In der kleinen zugewachsenen Stelle bei Owingen oberhalb der Kreisstraße nahe dem Golfplatz. Da haben die Leute vor Jahrzehnten Kies rausgeholt und später von dem anstehenden bröseligen Molassefelsen den Scheuersand für Holztische und Holzdielen abgeschabt.“, erklärt Schneider. Und Kalle wendet sich an Bernd: „Da wachsen jetzt Holunder, Hasel- und Schlehenbüsche drum rum. Musst du doch vom Schlehensammeln her kennen.“

„Ach so, da, Kalle“, geht Bernd ein Licht auf, „du meinst die zugewachsene Stelle im Feld. Hatte immer gedacht, das sei ein alter Bombentrichter aus dem Zweiten Weltkrieg. Hatte mich gefragt, ob es einer der Fehlwürfe bei der Bombardierung des Bahnhofs Überlingen im Frühjahr 1945 gewesen sein könne, bis mir ein Bauer aus Owingen erklärt hat, dass man an solchen Stellen im Acker Kies gefunden und für den Hausbau genommen habe!“

„Genau die Stelle, Bernd, Genau die“, nickt Kalle, „der Traktorfahrer musste beim Maisernten austreten. Und als es so komisch hinter den Brennnesseln plätscherte, in die er reinpinkelte, hat er nachgeschaut und gemerkt, dass er statt auf ein paar helle große Steine auf eine Frauenleiche pieselte, die dahinter lag. Weiter hinten haben deine Kollegen von der Spusi später noch ein halb ausgegrabenes älteres Gerippe entdeckt. Und es hing nur ein einzelner silberner Hänger am Ohr der neuen Leiche, sonst war die splitterfasernackt. Daneben steckte ein Spaten im Boden. – Und daran pappte ein kurzes Gedicht. – Wäre doch was für Sie, Schneider.“

„Deshalb parkten heute Nachmittag die Kollegen da oben an der Straße und gingen zu den Büschen“, schüttelt Bernd den Kopf und setzt erschüttert dazu: „Aber warum hat der Mach den Franz verhaftet?“

„Zwei Indizien“, seufzt Kalle, „seine Fingerabdrücke an seinem Stock und die Silbernägel vom Stock in der Frauenleiche.“

„Kein Beweis, solange er das Alibi nicht überprüft hat“, lässt Bernd raus, „der Stock war schließlich seit dem Frühjahr weg. Und zum anderen?“

„Zum anderen“, seufzt Kalle, „ist die ermordete Frau Franz von Unruhs Putzfrau. Mit der hatte er vor kurzem einen heftigen Streit. Die Putzfrau hatte war noch von seiner seligen Frau eingestellt worden. Franz hat sie aus Pietät behalten und über Vieles hinweggesehen, hat er erzählt. Vor einer Woche wurde es ihm aber zu bunt, als sie das Treppenhaus, die Fenster wie die Treppen, mit nur einem halben Eimer Wasser geputzt hat. Einem Fünfliter-Eimerchen wohlgemerkt. Der Dreck war nur verteilt, statt entfernt. So hat er es mir erzählt. Da habe er den Haus- und Wohnungsschlüssel zurück verlangt, und den habe die nicht mal dabei gehabt. Und dann habe er ihr beim Weggehen nachgerufen, dass er sie schmutziges Weib umbringen würde, falls sie sich noch einmal blicken ließe, außer, um die Schlüssel abzuliefern. Und die könne sie in den Briefkasten werfen. Das wiederum hat ein Mieter aus dem Haus dem Mach erzählt. Und der hat den Franz verhaftet, weil dieser wohl den Drohungen die Tat habe folgen lassen. – Ich kenne den Franz. Der tut keiner Fliege was zu Leide. Eher hätte ihm nach dem Rauswurf die Putzfrau wohl was angetan.“

„Und was das schmutzige Weib, sonst so getrieben hat, außer schlecht zu putzen, ist wohl auch noch gar nicht untersucht?“, hakt Bernd nach.

„Genau“, meint Egon Schneider, „Kollege Nikolaus Mach ist der Mann der schnellen Irrtümer und bequemen Lösungen. – Ich bin froh, dass ich mit ihm nicht mehr zusammenarbeiten muss. Die paar Wochen haben mir gereicht. Soll sich doch mein Nachfolger Borräus mit ihm rumärgern. – Wo ist übrigens das Gedicht geblieben?“

„Das kurze Gedicht hat der Machmal eingetütet“, berichtet Kalle, „Hab im Büro einen Blick drauf werfen können. Schreibmaschine. So etwas besitzt der Franz gar nicht mehr! Der arbeitet mit Computer. Das Gedicht ist ganz kurz. Deshalb habe ich es mir auch gemerkt.“

Hast zu lange rumgehurt,

kann nicht länger warten,

alte Hexenausgeburt,

dich trifft nun der Spaten.

„Hübscher Vierzeiler“, meint Egon Schneider, „gelungen bis auf den nicht ganz reinen Reim warten auf Spaten.“

„Aber grauslich“, setzt Bernd hinzu, „und ob es der Spaten war oder der Wanderstock, der die ‚Hexenausgeburt’ am Kopf tödlich getroffen hat, wird wohl der Gerichtsmediziner sagen. Die Hexenausgeburt erklärt aber das Pfählen. Und der Zettel besagt, dass es ein kaltblütig geplanter Mord war. Den Gedichtzettel muss der Täter doch wohl schon zum Tatort mitgebracht haben.“

„Und es ist eine Menge Hass im Spiel“, ergänzt Schneider, oder Neid …!“

„Das hilft dem Franz im Augenblick wenig“, legt Kalle enttäuscht nach, „weil er der Putzfrau das Entsprechende doch nachgeschrien hat. Übrigens soll an dem Spaten tatsächlich Blut geklebt haben.“

„Wie sieht eigentlich der Ohrhänger an der Putzfrau aus, hast du den gesehen?“, interessiert sich Bernd.

Kalles Aussage: Habe das Ding nur von der Ferne gesehen. Irgendwas Silbernes hilft Bernd nicht weiter. Auf den seinerzeit unter dem Hundegerippe gefundenen Ohrhänger passt nur Silber. Dennoch macht es Bernd neugierig. Es wird ihm klar, dass der Fall eine ganz andere Dimension haben könnte, falls der Anhänger ….

„Hm“, meint er darum, „seit wann ist der Franz von Unruh eigentlich Witwer? Habe ich da was verpasst? – Der zog doch manchmal mit so einer hübschen Blonden rum, wenn ich mich nicht irre!“

„Dazu kann ich was sagen“, reagiert Schneider, „das war im Jahr, bevor Sie nach Überlingen kamen, Breunecke. Zumindest die offizielle Tot-Erklärung war in dem Jahr davor. Also vor zwölf Jahren wurde er Witwer. Franz von Unruh war zur Zeit des Verschwindens seiner Frau gerade mit der Cousine seiner Frau auf Verkaufstour im Schwarzwald. Die Cousine ist die hübsche Blonde. Die Geschäfte waren etwas über Kaffeefahrt-Niveau angesiedelt, glaube ich. Jedenfalls konnte die Cousine sein Alibi bestätigen und ist allem Anschein nach heute noch manchmal bei ihm. Frau von Unruh wollte den Aussagen nach zu ihrer Schwester nach Winterthur in die Schweiz fahren, ist dort aber nie angekommen. Weil sie wegen Depressionen behandelt wurde, haben wir ein Jahr nach der Vermisstenmeldung schließlich Suizid angenommen und jede Suche eingestellt, obwohl ein Abschiedsbrief fehlte. Danach kamen die offizielle Tot-Erklärung und der Erbschein für den Herrn von Unruh. Dazu noch das Erbe der Schwägerin in der Schweiz. Die war nämlich kurz nach ihrer Schwester gestorben und war auch eine Depressive und in Behandlung. Familienübel. Also wohl auch Selbstmord. Der Franz von Unruh hat den Tod seiner Frau nie ganz verwunden und hält sich seither mit seinem Power-Walking fit, wenn er zwischen seinen Verkaufstouren zu Hause ist. Man kann ihn dann von der Alten Owinger Straße über den Lugenhof und den Brachenreuter Wald seine Schleife rennen sehen, manchmal bis Höllwiesen hin. Den komischen Knotenstock trägt er dabei wie die olympischen Springer der Antike abwechselnd links und rechts. Manche Leute wollen ihn auch in Stock-Vorhalte wie mit dem Karabiner bei der Bundeswehr hüpfen gesehen haben oder bei Beugeübungen mit dem Stock auf dem Rücken. - Mit dem Erbe seiner Frau und der Schwägerin hat er damals alle vier Wohnungen in dem Haus an der alten Owinger Straße gekauft und die anderen drei vermietet. Damit hat er sich als Vierzigjähriger fast ganz zur Ruhe gesetzt.“

„Das ist doch alles harmlos, Chef“, wirft Bernd ein, „was soll da etwa verdächtig sein?“

Und Egon Schneider wiegt den Kopf: „Nun frage ich mich, ob ich damals etwas übersehen habe, Kollege Breunecke. Ärgerlich, dass ich damals nicht daran gedacht habe.“

„Und woran haben Sie nicht gedacht, Chef?“, hakt Bernd nach. „Ich habe in der Schweiz wohl noch nicht genau genug nachgeforscht, wie das beim Tod der Schwägerin des Unruh Franz zugegangen ist.“, denkt Schneider laut nach. „Nur: bitte kein Wort davon zum Mach! Der hält das für ein weiteres Indiz, das gegen den Franz spricht. Und über den Franz habe ich damals nur gehört, dass er sich immer liebevoll um seine zehn Jahre ältere Frau gekümmert habe. Einen anderen Eindruck habe ich bei den vielen Befragungen damals auch nicht bekommen. Das Testament seiner Frau wurde uns von einem Notar aus Winterthur zugestellt. Das war auch in Ordnung. Dass der Franz jemals so ausfallend geworden wäre wie gegenüber der Putzfrau, ist mir völlig neu.“

„Dann empfiehlt es sich doch, dem nachzugehen, was die Putzfrau getrieben hat. So etwas wie rum gehurt kann doch wohl nur vom gehörnten Ehemann oder einem abgelegten Freund stammen“, meint Bernd, „und ein harmloser Wandersmann erschlägt selten eine Frau und rammt ihr danach noch den Spazierstock durchs Herz, weil sie eine Hexe ist.“

„Aber ein jähzorniger Wandersmann vielleicht schon“, meint Schneider nachdenklich, „vielleicht habe ich den Franz Unruh damals falsch eingeschätzt. Wir müssen uns umhören, warum die Frau von Unruh ihre Depressionen hatte. Wir haben uns damals einfach und diskret mit der Feststellung begnügt, dass sie in Behandlung war, und bis ein Psychoklempner mit seinen Erkenntnissen rausrückt, dauert es auch etwas.“

„Aber Chef“, wendet Bernd ein, „Sie glauben doch wohl nicht, dass der Franz von Unruh seinen geliebten Knotenstock über ein halbes Jahr irgendwo versteckt, um später damit seine Putzfrau zu erschlagen und auch noch zu pfählen!“

„Das nicht, Breunecke“, sinniert Schneider, „aber vielleicht soll der Stock ein Wink für uns sein, genauer nachzuschauen, wie das mit dem Tod von Unruhs Frau und seiner Schwägerin war. – Falls es sich bei dem Gerippe nämlich um die Reste von Unruhs Frau handeln sollte, wird es pikant!“

„Nee, Chef“, widerspricht Bernd, „in diesem Fall hätte man das Skelett wohl im Frühjahr schon an Ort und Stelle unter dem Schlehenbusch liegen gelassen und nicht das Theater mit dem kopflosen Hundegerippe inszeniert, um den Franz und uns zu veräppeln. Denn hätte der Unruh Franz nur ein kopfloses Hundegerippe gesehen, wäre er wohl kaum auf die Idee gekommen, die Polizei zu rufen. Zumindest der Totenschädel muss damals wirklich dort gelegen haben, wie käme der Unruh sonst zu der Aussage? - Hatte Frau von Unruh etwa einen Hund, der mit der Frau verschwunden ist? – Ich meine, der Franz hätte davon was erzählt und an der Stelle unterm Schlehenbusch nach Halsband und Hundemarke geschaut, als das Skelett nicht mehr da war. Und haben Sie schon mal einen Schäferhund mit Ohrgehänge gesehen?“

„Sehen Sie, Breunecke“, nickt Schneider, „gerade das hat mich im Frühjahr bei dem Hundegerippe auch irritiert. Der Hund der Unruhs ist ein paar Tage vor der Frau von Unruh verschwunden. Wann genau, weiß keiner. Und der Franz von Unruh hat damals gesagt, dass das Weglaufen des Hundes seiner Frau wohl in deren Depression den Rest gegeben haben könne. Zuletzt ist die Frau Unruh tatsächlich ohne ihren Hund, aber mit einem sehr auffälligen neongrünen Lederkoffer auf der Fähre von Meersburg nach Konstanz gesehen worden. Wollte wohl länger bei ihrer Schwester in Winterthur bleiben. Der Schiffsführer hat damals wenigstens bezeugt, sie gesehen zu haben. Dem hatte sie schon ein paar Tage vorher erzählt, als sie in die Schweiz gefahren war, dass sie traurig wäre, weil ihr Hund entlaufen sei. Beim Grenzübertritt in Kreuzlingen hat man den auffälligen Koffer sogar durchsucht. Das wissen wir von den Grenzern. Typische Frauenkleidung sei im Koffer gewesen. Ganz normal. - Und dann verlor sich die Spur. – Das mit dem Hundehalsband klären wir vielleicht noch. – Oder machen Sie sich dran, Kalle, wenn Sie den Franz besuchen. Fragen Sie ihn, warum er im Frühjahr nach einem Hundehalsband gesucht hat?“