Kitabı oku: «Meine Gedanken zur Zeit», sayfa 4
Verklärend erinnern
Es ist gerade eine Woche her, dass wir bei uns zu Hause die Oleanderbüsche in ihren großen, schweren Töpfen in die Garage verfrachtet haben. Sogar der empfindliche Zitronenbaum durfte die ersten drei Novemberwochen noch im Garten verbringen, ehe er sein Winterquartier beziehen musste, so ungewöhnlich warm und sonnig war diese Zeitspanne.
Und heute zünden wir bereits die erste Kerze auf unserem Adventkranz an. Der Übergang von einem fast spätsommerlichen Herbst in die Vorweihnachtszeit kam also heuer besonders abrupt, es war fast ein Sprung und kein langsames Hinübergleiten.
Erinnerungen an die Kindheit mögen wohl manchmal trügerisch sein, verklärt durch die Jahrzehnte und durch das liebevolle Gedenken an die längst verstorbenen Eltern und Großeltern. Aber der Advent ist für mich mit Winter verbunden, mit Schlittenfahren und mit dem Bauen von Schneeburgen, hinter deren Wällen wir Schneebälle sammelten, um bedrohliche Krampusse oder andere Schreckgestalten dieser Jahreszeit abzuwehren. Advent, das waren Eisblumen an den Fensterscheiben und Bratäpfel im Ofen.
Gerade als Historiker, der sich mit einer Epoche beschäftigt, für die es noch Menschen gibt, die die Zeit selbst erlebt haben, weiß ich, wie kompliziert die Sache mit der persönlichen Erinnerung ist. Tatsächlich Erlebtes mischt sich mit dem, was man gehört, gelesen, in Fotoalben gesehen oder mit Freunden diskutiert hat. Erinnern ist ein gesellschaftlicher Vorgang, er vollzieht sich in einem familiären oder breiter sozialen Umfeld.
Lassen Sie mich das mit einem persönlichen Beispiel erläutern. Als meine Familie vor ein paar Jahren bei einer Amerikareise wieder einmal in die kleine Stadt Ithaca im Staat New York kam, wo wir 1990 ein gutes halbes Jahr lebten, antwortete meine Tochter, die 1990 drei Jahre alt war, auf die Frage nach dem Wiedererkennen, sie erinnere sich an fast alles, weiß aber nicht, ob es ihr individuelles Gedächtnis ist, oder nur das gespiegelte Bild der Fotos und Erzählungen, die in der Familiengeschichte ihren großen Platz haben. Sie hat ein Bild der Jahre 1990 und 1991 im Kopf, aber es ist nur zum Teil ihr eigenes Gedächtnis an konkrete Ereignisse und Orte, es wurde von uns Eltern, vom großen Bruder, von Freunden mitgeformt.
Selbst meine Erinnerung an diese nun gerade ein Jahrhundertviertel zurückliegende Adventzeit in den USA ist schon von Nostalgie überformt und durch die eigenen Erzählungen zumindest leicht schräg in meinem Kopf fixiert. Da ist vorerst der Winter in Upstate New York, ein Winter, wie wir ihn hier nicht kennen. Da legen Schneestürme die Stadt schon mal zwei Tage lahm, und wir kämpften uns von unserem Hügel hinab in ein Einkaufszentrum, um einen Flug nach Florida zu buchen, um ein paar Tage der Eiseskälte entfliehen zu können, was wir dann alle mit einem furchtbaren Sonnenbrand bitter bereuten.
Da gibt es aber auch, um die Brücke zum heutigen Tag zu schlagen, die Geschichte unseres Adventkranzes, den meine Frau in einem Bastelkurs mit Freundinnen gebunden hatte. Groß wie ein Wagenrad und schief, so hing er dann in unserer kleinen Wohnung von der Decke, ohne Kerzen, denn die waren und sind dort streng verboten, und wir wollten ihn nicht elektrisch beleuchten. Und es gibt die Geschichte vom Weihnachtsbaum-Schneiden im verschneiten Wald, wo jeder Baum 25 Dollar kostete und unsere Kinder daher auf einen großen Baum bestanden, dessen Transport schon eine einzige Katastrophe war und der schließlich gut einen Meter höher war als unsere Decke im Wohnzimmer.
Erinnerungen verklären. Wir verdrängen den Gutteil der belastenden Erfahrungen und runden die schönen Erlebnisse zur Erinnerung ab. Selbst im Erinnern an Schmerzliches findet sich dann Trost, wie wir das etwa in den Gesprächen mit Menschen, die das Kriegsende erlebt haben und darüber zu reden bereit waren, erfahren konnten. ,,Erzählt, was ihr erlebt habt“ nennt sich die Serie, die samstags in „Steiermark Heute“ ausgestrahlt wurde, und die uns Menschen in ihren Verarbeitungsstrategien beim Erinnern an Schweres und Schreckliches zeigt. Erinnern wird hier zur Botschaft an die nächsten Generationen, zur Warnung vor Aggressionen und Vorurteilen und zum Aufruf zum menschlichen Umgang miteinander.
Wie werden wohl in 20, 50 oder 70 Jahren die Familienerzählungen jener Menschen aussehen, die derzeit jene Schrecken durchmachen, die unsere Generationen der Eltern oder Großeltern erfahren mussten? Wird es ein Bild ergeben, das neben Ängsten und Verlusten auch Platz hat für Hoffnungen, positive Erfahrungen oder gar für Dankbarkeit? Werden schöne Momente verankert sein? Wird man Erleben in die eigene Lebensgeschichte so einordnen können, dass nachkommende Generationen daran teilhaben können, dass sie also Teil des kommunikativen Gedächtnisses werden? Werden diese Menschen einst über Fotoalben sitzen, die sie auf den Fluchtrouten, vor den Zäunen, in den Lagern zeigen? Wie werden dann wir Steirer vorkommen? Als freundliche Helfer oder hartherzige Herbergsverweigerer?
Gerade im derzeitigen Reden von Werten, die Zuwanderer nun von und bei uns lernen sollten, könnten wir uns selbst in der Geschichte der Herbergssuche einer hochschwangeren Frau, die ein Notquartier im Stall zwischen Ochs und Esel findet, recht gut spiegeln.
Sendung vom 29. November 2015
Optimismus und ein Lächeln
Zehn Tage nach dem Jahreswechsel wird wohl bei vielen Menschen ein Teil der guten Vorsätze schon über Bord gegangen sein. Manche werden schon wieder zur Zigarette gegriffen haben, der man strikt abgeschworen hat, andere haben vielleicht den geplanten Morgensport schon wieder eingestellt. Das sind Zeichen von Willensschwäche, aber in zwölf Monaten kann man es ja erneut versuchen.
Wichtig aber wäre es, zwei gute Vorsätze nicht aufzugeben: Der erste ist der Versuch, seiner Umwelt freundlich zu begegnen, den Mitmenschen mit einem Lächeln in die Augen zu blicken. Das macht für alle, nicht zuletzt für mich selbst, den Tag leichter. Und der zweite ist, auch in den schwierigen Zeiten den Optimismus nicht zu verlieren. Sicher, es gibt genügend Gründe, besorgt oder gar verzagt in die Zukunft zu blicken, aber ganz ohne Optimismus, ohne den Willen, die Dinge zum Guten zu wenden, ist der halbe Weg nach unten schon angetreten.
Unsere Eltern und Großeltern können ein Lied davon singen, wie man mit Optimismus und mit dem Glauben an eine gestaltbare Zukunft über Krisen hinwegkommen kann. Es ist heute gerade 70 Jahre her, dass die erste Generalversammlung der Vereinten Nationen tagte, nach einem Krieg, der 60 Millionen Menschenleben gefordert hatte und der mit dem Holocaust das schlimmste Verbrechen der Menschheit in das Geschichtsbuch des blutigen 20. Jahrhunderts eingetragen hatte. Und die UNO führte die Staatengemeinschaft zusammen und verpflichtete alle, drei Jahre nach dem Ende des blutigen Ringens, auf die Erklärung der Menschenrechte.
Sicher, das hat die Welt nicht in allen Teilen friedlicher gemacht. Stellvertreterkriege wie etwa in Korea, blutige Unabhängigkeitskämpfe und Bürgerkriege in Afrika, Errichtung von Diktaturen in Lateinamerika kosteten Millionen Menschen auch seither das Leben. Der Weltfriede war nicht eingetreten. Aber es gab ein Verhandlungsforum und eine Weltöffentlichkeit, die zumindest moralisch einschreiten konnte.
Bei uns im Land selbst packte man an, um aus Trümmern eine neue Existenz zu bauen. Bundeskanzler Figl konnte zu Weihnachten 1945 den Menschen noch gar nichts versprechen, nicht einmal Fensterkitt zum Einpassen der Glasscheiben, aber schon fünf Jahre später startete das österreichische Wirtschaftswunder, das mit Kühlschränken, Waschmaschinen, Autos und Fernsehapparaten ein neues Lebensgefühl einläutete. Klar, dahinter stand auch Hilfe von außen, aber ohne den Optimismus der Wiederaufbaugeneration wäre dieser Weg nicht gangbar gewesen.
Da gab es natürlich auch Verdrängung und Verleugnung der Mitschuld an den grausamen Ereignissen der Jahrzehnte zuvor. Aber man hatte erfasst, dass der Nachbar nicht der Feind ist, dass man sich zusammensetzen und über die Differenzen reden kann, dass die zivilisierte Diskussion sinnvoller ist als jede Gewalt. Man hatte sich zu einem Miteinander für eine gemeinsame Zukunft entschieden.
Wir haben fast vergessen, dass sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zehn Millionen Menschen auf der Flucht befanden und außerhalb ihrer Heimatländer lebten. Dazu kamen jene, die die Alliierten aus den Konzentrationslagern befreit hatten. Die Million, die damals in Österreich Zuflucht suchte, wurde in großen Lagern untergebracht und mit der Hilfe von internationalen Organisationen ernährt. Viele dieser Menschen oder deren Nachkommen zählen heute zur Elite in unserem Land. Sie haben den Integrationsprozess geschafft und in Österreich eine neue Heimat gefunden.
Es ist wirklich bewundernswert, woher die Menschen damals ihren Optimismus und ihre Zukunftsgläubigkeit nahmen. Sie stellten sich den ungeheuren Problemen, packten an und schafften es. Vor allem aber bereiteten sie meiner Generation, die in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg geboren wurde, eine Startrampe in eine Zukunft, von der die Generationen vorher wohl nicht einmal zu träumen wagten. Materielle Sicherheit, Bildungschancen, Aufstiegswege, Mobilität, Fremdsprachen, all das lag vor uns und wurde durch den Optimismus der Vorgängergeneration bereitgestellt.
Verglichen mit der damaligen Zeit sind die Herausforderungen der Gegenwart wohl eher bescheiden. Sicher, die Wirtschaftskrise hat uns im Griff, die Zahl der Arbeitslosen steigt und der Flüchtlingsstrom, der an unsere Grenzen und durch unser Land fließt, wird nicht geringer. Wir sehen zudem einen europäischen Desintegrationsprozess, der Menschen wie mich, für die Europa das große Friedensprojekt war und ist, erschreckt. Wir wissen heute auch nicht, ob unsere Kinder ein vergleichbares Ausmaß an materieller Sicherheit erreichen können, wie es für uns Selbstverständlichkeit war. Und wir sehen eine Politikergeneration, der wir die Lösungskompetenz für die Zukunftsfragen nicht wirklich zutrauen. Das macht auch Töne stark, die wir schon für Vergangenheit hielten, die ganz sicher aber keine zukunftsweisenden Signale für Österreich, für Frankreich, für Polen oder Ungarn sind. Das ist alles nicht erfreulich, aber es sollte und darf kein Grund zu Resignation und Pessimismus sein. Die Wirtschaft kennt das Gesetz der sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Wenn wir also eine düstere Zukunft erwarten, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie tatsächlich düster wird, sehr viel größer, als wenn wir positive Signale und Hoffnung ausstrahlen.
Gehen wir daher das neue Jahr mit Schwung und Optimismus an. Packen wir an, seien wir solidarisch, hilfsbereit und freundlich. Strecken wir die Hand aus, wenn wir Menschen in Not sehen, und schenken wir unserer Umwelt ein Lächeln. Das kostet gar nichts, macht aber für alle den Tag schöner und das Leben ein ganz klein wenig leichter.
Sendung vom 10. Jänner 2016
... zur Bildung
Schulschluss
An den Universitäten ist in diesen Tagen das Studienjahr zu Ende gegangen. Die meisten Prüfungen sind absolviert und unsere Studierenden, die ja großteils auf Zusatzeinkommen angewiesen sind, haben schon ihre Ferialarbeit begonnen, sofern sie eine ergattern konnten. Nur wenige können in den Ferien ihr Studium vorantreiben oder einfach die freie Zeit genießen, zu groß ist der ökonomische Druck geworden, der auf der studierenden Jugend lastet.
Ferialarbeit ist aber auch meist eine große Chance. Es geht nicht nur um das Geld, sondern auch um das Kennenlernen der Arbeitswelt, um das Eintauchen in normalerweise fremde Denkmuster und Kulturen. Ich habe mein Geld damals als Student im Gastgewerbe verdient, aber viele meiner Freunde waren mutiger und sind in ganz fremde Welten eingetaucht. Da wurde in einer schwedischen Papierfabrik gejobbt, und einige Kollegen waren angeblich sogar in Skandinavien, um Leichen zu waschen. Mein Sohn war mehrere Sommer bei der Müllabfuhr und meine Tochter wird heuer in der japanischen Landwirtschaft arbeiten. All das sind Lebenserfahrungen, die sich einprägen und die der sozialen Sensibilisierung dienen. Und diese scheint mir wichtig, denn Studieren ist bei uns noch immer ein Privileg. Obwohl am Ende meist nicht mehr das große Geld oder die sichere Stellung winken, ist es doch so, dass die Höhe der Qualifikation die Chancen im Beruf entscheidend beeinflusst. Daher sollten die Begabten jedenfalls studieren.
Bei der Studienwahl sollten aber Interesse und Begabung entscheiden und nicht die vermeintlichen Chancen im Beruf. Die kann langfristig niemand garantieren. Hat man aber nach seinen Neigungen studiert, so sollte man zumindest nicht in frustrierenden Tätigkeiten enden.
Berufswünsche und -möglichkeiten ändern sich zudem rasch. Ich habe etwa Lehramt Deutsch und Geschichte studiert und sah mich abwechselnd entweder als Schriftsteller oder aber als Lehrer, etwa in Hermagor, wohin ich ein konkretes Angebot hatte, noch bevor ich mein Studium abgeschlossen hatte. Gekommen ist es dann anders, durch das Unerwartete
Um aber überhaupt studieren zu können, muss man erst durch mindestens zwölf Jahre im Bildungssystem. Und da ist jeder Jahresabschluss eine Zeit voller Hoffen und Bangen. Jetzt ist es zu spät, die Entscheidungen für heuer sind gefallen und das Zeugnis, das es in wenigen Tagen gibt, ist nun nicht mehr beeinflussbar. Jetzt kommen gute Vorsätze zumindest für dieses Schuljahr nicht mehr zeitgerecht.
Allen Schülerinnen und Schülern, aber auch allen Eltern sei gesagt, dass die Aufregungen dieser Tage zu jedem Leben gehören. Auch ich habe gezittert, hatte meine Angstfächer und meine Albträume. Und mein Bildungsweg stand durchaus an Scheidewegen. Mit 13, schon zwei Jahre von zu Hause weg und den ersten Stürmen der Pubertät hilflos ausgesetzt in einem Mittelschülerheim, in dem ich der mit Abstand Jüngste war, da war nicht nur ich, sondern wohl auch meine Familie verunsichert, ob das Gymnasium die richtige Entscheidung war. Viel hat nicht gefehlt, und ich wäre ein Jahr später in einer anderen Ausbildungsform gelandet. Und bei der Matura hätte ich zumindest in Latein durchaus scheitern können.
Wenn ich darauf zurückschaue, dann weiß ich, wie viel im Leben vom Zufall und vom Glück abhängt. Auch das lange Begleiten meiner Kinder durch das Schulsystem macht demütig. Die kurvenfreie Autobahn hin zur Universität gibt es wohl für fast niemanden in unserer Gesellschaft. Und es gibt die Beispiele, dass das Scheitern in der Schule durchaus noch höchst erfolgreiche Lebensläufe zulässt. Viele in unserem Land, die dieses politisch, ökonomisch oder kulturell gestalten, waren keine Helden der Schulzeit. Da stehen Wiederholungen, Schulwechsel, Nachhilfe oder Scheitern in den Biographien.
Wenn ich meinen „Sub auspiciis präsidentis“-Ring betrachte, der mir beim Einbruch in unser Haus gestohlen wurde, den mir aber meine Universität als Replik besorgt hat, so lasse ich oft die Zufälle und glücklichen Fügungen Revue passieren, die mich durch die Oberstufe der Mittelschule und das Studium geführt haben. Erfolg und Scheitern liegen oft ganz nahe beisammen.
Wichtig scheint mir zu sein, dass schulische Leistung fair gemessen wird. Ich hatte meine Konflikte, die sich auf die Noten auswirkten, ich hatte aber auch Menschen, die mir mit zu positiven Vorurteilen gegenüberstanden. An der Universität anonymisieren wir wichtige Prüfungen, um diese Faktoren auszuschalten. Im Schulwesen scheint mir die Zentralmatura ein richtiger Weg zu sein, um die Urteile unabhängig von persönlichen Befindlichkeiten treffen zu können.
Noch wichtiger ist allerdings, dass die jungen Menschen, die jetzt schwere Tage durchmachen, emotional aufgefangen werden. Jetzt zu schimpfen oder zu strafen, nutzt wenig. Jetzt braucht es das verständnisvolle Gespräch und die Entwicklung von Strategien zur Verbesserung in der Zukunft. Nachhilfe ist keine Schande, auch andere Formen der Hilfe stigmatisieren nicht und sollten bei Bedarf in Anspruch genommen werden. Auch wir haben im Erziehungsprozess einmal professionelle Hilfe in Anspruch nehmen müssen, und es hat wirklich geholfen.
Jetzt steht unser Sohn im Beruf und unsere Tochter hat ihr Studium gut im Griff. Wir können uns erst einmal, nach dem eigenen Zittern und dem Mitzittern mit den Kindern, zurücklehnen und milde über die Sorgen von Freunden, Nachbarn oder Kollegen lächeln. Aber wenn es dann eine nächste Generation geben wird, werden wir wohl als Großeltern bei Schulschluss vor dem Schultor stehen, Enkelkinder in die Arme schließen und Tränen trocknen.
Machen Sie aus dem Zeugnis, sollte es Ihren Erwartungen nicht entsprechen, kein Drama. Gehen Sie so damit um, dass positive Energien freigesetzt werden können, damit es nächstes Mal besser wird.
Sendung vom 5. Juli 2009
Schulsysteme
Nun sind sie also wieder vorbei, die Sommerferien dieses Jahres. Die Schultaschen für das kommende Schuljahr sind gepackt und ein Großteil der jungen Leute geht wohl mit froher Erwartung in die kommenden Wochen und Monate.
Es gibt viel berechtigte Kritik an unserem Schulsystem. Man kann vorrechnen, dass es eines der teuersten Schulsysteme der Welt ist und dass trotzdem die Leistungen der Schülerinnen und Schüler nicht berauschend sind. Das signalisiert zumindest der regelmäßig durchgeführte Pisa-Test, der die Kenntnisse der Kinder international vergleicht. Und es gibt zu viel Bürokratie in unsinnig abgestuften Formen. Besonders aber wird kritisch angemerkt, dass viel zu früh ein Auslesesystem greift und soziale oder regionale Ungerechtigkeiten nicht wirkungsvoll genug ausgeglichen werden.
Hier gibt es ein breites Feld von notwendigen Verbesserungen. Vor allem kann es sich kein Land der Welt leisten, Begabungsreserven zu vergeuden. Und nur allzu oft bestimmt noch die Herkunft über die Chancen im Bildungssystem.
Ich bin im Lavanttal aufgewachsen. Von allen meinen Mitschülern aus der Volksschule ging niemand in ein Gymnasium. Die Begabteren saßen in St. Gertraud im ersten Klassenzug der Hauptschule, die anderen im zweiten. Und wären mein Bruder und ich nicht Lehrerkinder gewesen, hätte das Experiment, uns von der Hauptschule ins Gymnasium wechseln zu lassen, wohl niemand gewagt. Mein Bruder hatte es deutlich schwerer, nach der dritten Klasse Hauptschule die Aufnahmeprüfung in die vierte Klasse Gymnasium zu wagen, Latein nachzulernen und vieles mehr. Ich wechselte nach einem Jahr Hauptschule in die zweite Klasse des Gymnasiums, 60 km von zu Hause, damals eine Weltreise.
Während auch schon damals in den Städten etwa jedes dritte oder vierte Kind ins Gymnasium ging, waren wir aus St. Gertraud zwei aus zweihundert. Hier gab es die große regionale und soziale Barriere.
Natürlich ist hier Österreich keine Ausnahme. Auch in anderen Ländern wird mit den größeren oder bescheideneren Möglichkeiten, eine Schulform zu wählen, selektiert. In den letzten Tagen, die meine Frau und ich in England verbrachten, sahen wir im Fernsehen eine Dokumentation über die Freundin von Prinz William. Die Eltern der jungen Dame haben ein Vermögen in Privatschulen investiert, um die Tochter in die vermeintlich besseren Kreise zu bringen. Und in den USA startet dieser Prozess mit der privaten, damit teuren, aber meist besseren (oder zumindest prestigeträchtigeren) Volksschule. An der Eliteuniversität zahlt man dann bis zu 30.000 Euro pro Jahr Studiengebühren. Ein Studium kostet also, ohne Wohnung, Ernährung, Kleidung, Transport und ähnlichem zumindest 150.000 Euro, das ist eine Summe, die das Zehnfache eines Jahreseinkommens von Durchschnittsverdienern beschreibt.
Aber es gibt auch Länder, in denen die Ausnützung der Begabungsreserven besser funktioniert. Finnland ist ein solches Beispiel, und nicht umsonst liegt dieses Land nicht nur in den Pisa-Tests voran, sondern hat rund um die Bildungseinrichtungen modernste Industriebetriebe, etwa in der Telekommunikation, aufgebaut.
Das entscheidende Merkmal des finnischen Bildungssystems ist die relativ späte Richtungsentscheidung der jungen Menschen. Sie bleiben sehr lange in einem einheitlichen System, das nebenbei auch Ganztagesarbeit von Alleinerzieherinnen möglich macht, und erst dann die Entscheidung herbeiführt, wenn soziale Benachteiligungen ausgeglichen und die Begabungsrichtungen erkennbar sind.
Natürlich ist unser Bildungssystem vielfachem Druck ausgesetzt. Die Migrationsströme haben die Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern nicht einfacher gemacht, und das meint nicht nur das Problem der Sprache, sondern auch die kulturellen Codes. Hier ist viel zu investieren, vor allem in die Vorschulpädagogik. Man braucht gerade für die Kleinsten im Bildungssystem die besten Lehrerinnen und Lehrer, vor allem solche, die sich soziale Kompetenzen aneignen konnten.
Jene Lehrer müssen keine Mathematiker, Physiker, Musiker, Sportler oder Historiker sein, sondern in erster Linie Pädagogen, mit Gespür für die Kinder.
Und dann, nach Kindergarten und Volksschule, scheint mir die gemeinsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen eine sinnvolle Weiterführung, die noch ohne gröbere ideologische Kämpfe ins Blickfeld genommen werden könnte. Meine Hauptschule in St. Gertraud hat mich jedenfalls mit den engagierten Lehrkräften nicht schlechter unterrichtet wie dies dann die Professorinnen und Professoren im Gymnasium getan haben. Aber es gab natürlich kein Latein und es gab die Defizite in den lebenden Fremdsprachen. Ein Ausgleichen der Fächer und der Inhalte könnte die Bildungsumstiege erleichtern und damit spätere Richtungsentscheidungen noch möglich machen.
Gewisse Ungleichheiten bleiben natürlich in allen Ländern bestehen. Wer in Haushalten mit vielen Büchern und frühen kulturellen Erfahrungen aufwachsen kann, der ist im Vorteil. Wer mit mehr als einer Sprache schon als Kind umzugehen gelernt hat, also über breitere Kommunikationstechniken verfügt, hat es leichter. Und ein städtisches Umfeld bietet mehr an Möglichkeiten und Herausforderungen. Gebildete und begüterte Eltern sind sicher kein Nachteil.
Im Wissen darum muss die Bildungspolitik Angleichungen anstreben, Hilfestellungen geben und nicht zu früh Türen schließen. Einiges ist ja derzeit in Bewegung, aber jedes Jahr Reformverzögerung schließt immer einen ganzen Jahrgang von den neuen Möglichkeiten aus. Daher ist Eile geboten.
Sendung vom 6. September 2009
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