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Kitabı oku: «Abendstunden», sayfa 2

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Ricketicketack

I

Vor nicht gar langer Zeit noch besuchte ich die Meierei, auf welcher der Anfang dieser Erzählung spielt. Sie steht zwischen Desschel und Milgem, etwa zwölf Meilen östlich von Antwerpen und ist von Bauern bewohnt, von denen kaum einer sich mehr des Namens Jan Daelmans erinnern kann.

Wie malerisch dieß Haus auch da liegt, so bietet es doch nichts Besonderes für das Auge. Donnerwurz und grüne Moose wuchern auf dem alten Dache; die bröckelnden Mauern bergen sich hinter reichen Rebenranken; Hühner und Tauben spazieren auf dem Hofe und im Stalle mahlen drei glänzende saubere Kühe den weichen Klee.

Schöner ist die eigenthümliche Umgebung des Meierhofes. Vor ihm dehnt sich eine unermeßliche Haide bis zur fernsten Grenze des Horizonts; hinter dem Blumengärtchen eilt ein Bach den Moorweiden zu und saftiggrüne Erlen und Weiden baden ihre Wurzeln in der silbernen Heidenader; prächtig wölbt sich der blaue Himmel drüber, geheimnißvoll zirpen die Grillen umher und lustiger schmettern die Vögel um die hübsche Oase der weiten Sandwüste.

Noch hatte sich an einem schönen Morgen des Jahres 1807 die Sonne nicht über die Fläche der Haide erhoben, kaum hörte man hier und da ein Vöglein das Vorspiel zu dem großen Morgensange der Natur beginnen; in dem Innern des Hofes herrschte dieselbe stille; nur in einer Kammer brannte ein kleines Feuer leise prasselnd unter dem weiten Kamine, tickte ruhelos die Wanduhr und summte eintönig in einer halbdunkeln Ecke ein Spinnrad.

An ihm saß ein Mädchen; ihrem Gesichte nach zu schließen, hätte man sie auf etwa fünfzehn Jahre schätzen können; ihre Kleidung war eben nicht sehr gesucht, eher nachlässig, doch ihre Züge hatten etwas Fremdes, etwas Edles, welches die Aufmerksamkeit des sie Betrachtenden wohl fesseln und ihn mitleidig zu ihr hinziehen konnte. Schön war sie darum nicht zu nennen, denn sie war weiß wie Marmor, und wenn ihre dunkelschwarzen Augen unter den langen Wimpern hervor einen Blick voll Gluth aussandten, dann schienen sie eher hart und unangenehm. Doch gab es auch Augenblicke, wo der schwarze Apfel langsam und träge umirrte, wo ein frohes Lächeln diese Züge verklärte, wie wenn eine Stimme der Freude in ihrem Herzen aufgetaucht sei; dann mochte man sie schön nennen, ein albastern Bild der hinwelkenden Blume, die ihren Kelch nach der Sonne öffnet, obschon ein Wurm ihre Wurzel seit lange durchnagte.

Seit einer Stunde saß sie schon vor dem Spinnrade und ließ achtlos den Flachs durch die Finger gleiten; ein tiefer Traum schien einer dichten Wolke gleich sie umlagert zu haben, die Welt war für sie nicht da; eine überirdische Freude leuchtete aus ihrem Angesicht.

Welch lichte Gedanken stiegen dann auf aus ihrer Brust? Das wußte sie selber nicht. Sie öffnet den schönen Mund, sie singt. Wohl muß das Lied hinreißend sein, wenn es ihre Gefühle überträgt; ihre Stimme klingt süß und rein, doch leise, fast wie der Ton eines fernen Silberglöckchens; sonderbar, eigentümlich aber ist das trippelnde Liedchen und es scheint wenig zu passen zu dem Ganzen, welches aus ihren Zügen spricht. Hier sehe das Lied:

 
Ricketicketack,
Ricketicketu.
Eisen warm,
Hoch den Arm,
schlaget zu,
Ricketicketu.
 

Hat sie es aber gesungen, dann sinkt sie wieder in ihr sinnen zurück.

Während sie also sich selbst vergessend vor dem Spinnrade saß, kam eine schon bejahrte Frau die Treppe hinunter und trat in die Kammer. Dem gebieterischen Blicke zufolge, den sie auf das kaum noch glimmende Feuer und das träumerische Mädchen warf, konnte es wohl niemand anders, als die Pachterin sein. Ihre Augen erglühten zornig, sie flog auf die Spinnerin zu und schlug sie so hart ins Gesicht, daß die Arme fast von dem Stuhle zur Erde stürzte.

»Was ist das! Du faul Stück! Sitzest da zu schlafen, wie ein Vieh! Willst du das Feuer anmachen oder ich nehme einen Stock und schlag dich wacker, du Thunichtgut, die du bist!«

Das Mädchen erhob sich und ging zum Feuer. Sie war die rohe Behandlung der Pachterin wohl schon seit lange gewohnt, denn ihre Marmorzüge verriethen weder Betrübniß noch Schmerz; nur auf der einen Wange brannte ein rother Flecken, der genugsam zeigte, wie hart der Schlag gewesen war.

Sobald die Pachterin das Feuer unter dem Kessel flammen sah, ging sie zur Treppe und schrie aus aller Macht:

»Auf, auf, ihr faule Strick! soll ich euch heraus holen, ihr Schlafmützen? Wacker, Trine, Bärbel, Jan! ’s ist meiner Seel schon vier und noch liegt das Volk und streckt alle vier von sich.«

Wenige Augenblicke später kamen die Gerufenen.

Die beiden Mädchen waren die Töchter des Hofes, sie konnten etwas weniger mehr, denn zwanzig Jahre zählen, waren übrigens echte Bäuerinnen, schwerfällig und stark gebaut und ohne allen Reiz.

Jan zählte gegen siebzehn Jahre; seine Züge waren rauh, doch regelmäßig und recht männlich; es lag etwas sehr bewegliches darin und man sah ihm an, daß, hatte die Natur ihn auch geistig nicht reich betheilt, er doch ein wackerer Junge sein mußte. Seine blauen Augen und langen blonden Haare gaben seinem Wesen vor Allem etwas Gutmüthiges und sein Herz war in der That so.

Er allein trat auf das Mädchen zu, welches noch am Feuer stand und sprach leise zu ihr:

»Guten Morgen, Lena.«

Noch leiser antwortete sie:

»Dank, Jan. Guten Morgen.«

Bevor jeder in dem Pachthofe an die Arbeit ging, wurde der Kaffee auf den Tisch gebracht und die Pachterin schnitt jedem sein Butterbrod. Das arme Lenchen bekam für ihr Theil kaum so viel, daß ein Kind damit genug gehabt hätte; doch schien sie dieß nicht zu bemerken und in ihrem Auge, in ihren Zügen war nicht die geringste Klage über die Härte der Pachterin zu lesen. Jan hingegen schaute recht mitleidig auf sie hin und als er sah, daß sie ihr Brod fast verzehrt hatte, schob er ihr ein Stück von dem seinen zu, so oft nur die Augen seiner Mutter nach einer andern Seite gerichtet waren.

Nach dem Frühstück verließ Jan mit seinen Schwestern das Haus, um an sein Tagewerk zu gehen. Lena blieb mit der Pachterin allein, um bei der Butterstange zu stehen, während der Hund die Buttermühle drehte.

Sobald die Milch in die Stange gegossen und Alles zum Buttermachen bereit war, ging die Pachterin in den Hof, um den Hund zum Mühlenrade zu holen, doch – der Hund lag todt in seinem Häuschen. Da kannte ihr Zorn keine Grenzen mehr, wie rasend stürzte sie in die Kammer, schlug Lena abermals ins Gesicht, stieß sie aus dem Hause und rief dann:

»Da siehst du, abscheulicher Strick! hast ihm gestern kein Fressen gegeben und’s Thier ist vor Hunger krepiert. Will dich aber lehren! Hier!«

Und sie schlug die schweigende aufs Neue und ärger, während sie rief:

»Schweig, daß du berstest, eigensinnig Stück! ’s wohl wieder nicht wahr, he? daß du dem Hund kein Fressen geben hast, he? Willst du sprechen, oder ich brech dir Hals und Bein.«

»Pachterin,« sprach Lena fast gleichgültig. »Ich hab dem Hund gestern sein Fressen geben, die Schüssel steht ja noch voll vor dem Häuschen.«

»Was, Schüssel voll?« schrie die Andere. »Betrügerin die du bist. Diesen Morgen hast das Essen in die Schüssel gelegt; meinst, ich kennte deine Streich nit? sollt es aber bereuen, du, und dafür selbst in der Buttermühl laufen. Und damit marsch, in die Mühl hinein!«

Diese neue und unerhörte Mißhandlung traf Lena hart; sie bebte an allen Gliedern und stand inmitten der Kammer mit gesenktem Haupt und schlaff hängenden Armen, einer Verurtheilten gleich, welche zum Schaffot geführt werden soll. Dennoch sprach sie kein Wort.

Dieß stille Dulden gefiel der Pachterin nicht; sie riß einen Ast aus dem Holzbündel, das neben dem Kamine lag und hob ihn, wie wenn sie damit auf Lena hätte zuschlagen wollen.

»Willt du schnell in die Mühl hinein? Gehst du oder nit?«

Die Arme sank in die Knie, streckte flehend die Hände empor, schlug das feuchte, schwarze Auge recht bittend auf das Weib und sprach nun:

»Ach, habt doch Mitleid mit mir. Ich will ja in die Buttermühl, aber schlagt mich um Gotteswillen nicht mehr!«

In demselben Augenblicke flog die Thür mit Gewalt auf und Jan sprang in die Kammer, er lief zu Lena, hob sie auf und sprach mit mühsam unterdrücktem Aerger zu seiner Mutter:

»Aber Mutter, wie kannst du doch so sein! ’s ist doch allzeit das selbe Lied. Ich kann wahrhaftig nicht mehr aufs Feld, ohne daß ich dich gegen die arme Lena schreien und toben höre, wie gegen ein stummes Vieh. Willst du sie todt haben, dann schlag sie doch lieber auf einmal todt. Siehst du denn nicht, daß sie krank ist und auszehrt?«

Bei den letzten Worten stürzten helle Thränen aus Jan’s Augen und er fügte ruhiger und flehend hinzu:

»Ach Mutter, laß sie doch in Ruhe. Sonst sieh, ich sag dir’s – ich geh mit den ersten Soldaten, die vorbei ziehen und du siehst mich zeitlebens nicht wieder.«

»Ich sag dir, sie soll in der Buttermühl laufen. Will sie lehren, den Hund krepieren zu lassen,« schrie die Pachterin.

»Was sagst du da?« frug Jan entrüstet. »Sie? Lena? In der Buttermühl laufen? Hoho, Mutter, das geht zu weit. Jetzt sag mir schnell, ob du darauf bestehst; schnell, schnell!«

»Da sieh mir doch den Narren stehn und zittern!« rief die Alte spottend. »Und was wär’s denn, wenn ich darauf beständ?«

»Dann sage ich dir, Mutter,« entgegnete Jan ernst und fest; »sobald Lena in der Buttermühl ist, bin ich aus dem Haus und bändest du mich mit Ketten fest; und wenn du es mir nicht glauben willst, ich schwör dir den schrecklichsten Eid darauf.«

Da bebte die Pachterin vor Aerger und Wuth; sie mußte wohl sich fügen, denn Jan war das einzige männliche Wesen auf dem Hofe und besaß bereits Kraft und Erfahrung genug, den früh gestorbenen Vater zu ersetzen. Seine Entfernung wäre der Fall des ganzen Hofes gewesen.

»Daß sie mir aus den Augen geh, das faule Stück!« rief die Alte. »Weg mit der weißen Kuh auf die Weid, Mensch, und laß dich mit sehen vor vier Uhr oder ich komm dir tüchtig an den Leib! Und du, Jan, fort und sag der Trine, daß sie buttern soll.«

Lena ging langsamen Schrittes dem Stalle zu, die Kuh zu holen. An der Thüre wandte sie sich nach dem ihr folgenden Jan um und warf ihm einen matten aber innigen Blick zu, wie wenn sie hätte sagen wollen: »Dank dir, du beschützest eine Leiche. Will für dich beten, wenn ich in den Himmel komme.«

II

Sie zog mit der Kuh zum Bache, das spärliche Gras aufsuchend, welches seinen Rand umsäumte. Schritt vor Schritt ging sie vor dem Thiere her, welches an einem Leitseil ihr folgte. Da wo die Haide an die tiefer liegenden moorigen Wiesen stößt, und Erlen und Wachholder dichter sich drängen, verließ sie den Fußpfad. Eine Buche steht da einsam; ein Vogel hat sie wohl gesäet, denn so weit man sehen kann, findet man kein Laub, welches dem ihren gliche. An dem Fuße des Baumes sank Lena nieder; sie beugte das Haupt tief, schaute regungslos vor sich hin, das Leitseil entfiel ihrer Hand und die gewohnte Träumerei kam über sie.

Nun, in freier Luft, unter dem schönen tiefblauen Himmel entlastete sie ihr Herz von der ganzen schwere der Betrübniß, welche über sie gekommen; ihr Mund klagte nicht, kein Seufzer entstieg ihrer Brust, doch ein stilles Bächlein heller Perlen rollte in ihren Schooß. Lange, sehr lange saß sie also da; doch ließen ihre Thränen langsam nach und endlich hob sie das Haupt und sang ruhiger ihr altes, liebes Liedchen:

 
Ricketicketack,
Ricketicketu.
Eisen warm,
Hoch den Arm,
schlaget zu,
Ricketicketu.
 

Was bedeuteten nur die sonderbaren Verse? Man würde Lena vergebens darum gefragt haben, denn sie wußte selber nicht, wie es kam, daß ohne ihr Wissen, ohne ihren Willen fast die trippelnden Worte ihr unaufhörlich auf die Lippen kamen. Schwach erinnerte sie sich, daß Jemand einst ihr dieselben vorgesungen hatte, doch das war schon lange, lange her. Obschon es nur undeutlich sprach, hatte sie es doch immer lieber gewonnen und immer mehr wurde es der Gefährte ihrer Freuden und Leiden.

Nachdem sie es einigemal wiederholt, und immer fröhlicher es wiederholt, schien sie ganz ihre unglückliche Lage vergessen zu haben; Friede strahlte aus ihrem Angesicht, sie stand auf, brachte munterer die Kuh an eine bessere Stelle der Weide und lief dann einem Sandhügel zu, der sich ein wenig weiter über die Fläche erhob.

Man sah, daß sie dieses Plätzchen öfter besuchte, denn die Stelle, wo sie sich niederließ, war von öfterm Sitzen tief eingedrückt. Die Hände am Knie schaute sie von da auf einen bläulichen Punkt am äußersten Ende des Horizonts hin. Es mochte wohl eine Stadt sein, dieser Punkt, oder ein größerer Ort; immerhin lief ein Weg von ihm aus und in hundert spielenden Bogen über die Haide hin, bis er sich an dem Pachthofe in dem Moore verlor. Sie glich der Waise eines Fischers, die von hoher Dünenspitze das ruhigere Meer überschaut, eines Bootes harrend, welches doch nie mehr wiederkehren wird. Doch war ihr Loos nicht ganz ein solches. Wohl erharrte sie auch etwas, doch wußte sie nicht, was es war, wonach ihr Herz sich sehnte. Unbeweglichen Auges schaute sie dem Wege nach, hoffend wohl, daß auf ihm einst ihr Erlöser zu ihr eilen würde; dabei aber kannte sie doch Niemand in der Welt, ihre Umgebung ausgenommen, und Hunderte von Reisenden konnten vorüberziehen, ohne daß sie Acht auf einen derselben gegeben hätte. Närrin nannten die Töchter des Pachthofes sie darum, doch das war sie durchaus nicht.

Stetes Leiden und der Druck gänzlicher Verstoßenheit hatten Lena sich ein eignes Leben nach innen schaffen lassen, die Einsamkeit, zu welcher sie meist verwiesen war, ihren Geist verfeinert und ihre Phantasie gestärkt. Was mit ihr vorging, das erwog und überdachte sie gar wohl, das fühlte sie tief, doch die summe alles Erwägens, alle ihre Gefühle verschloß sie tief in ihrer Brust.

Schon beschien die Sonne den westlichen Abhang des Sandhügels; es war seit lange Nachmittag und noch immer saß Lena, das Auge fest auf dem blauen Punkte. Sie hatte Hunger und fühlte es wohl und herbe, doch blieb sie sitzen.

Da drang ein junger Bauer vorsichtig durch die Erlen am Rande des Baches hin; dann und wann wandte er den Kopf nach dem Pachthofe, als fürchte er entdeckt zu werden, bis endlich er an der Buche stand, an welcher das Mädchen vorher geweint hatte. Dort angekommen kehrte er sich gegen den Sandhügel, hielt die Hände zu beiden Seiten des Mundes, um der stimme eine sichere Richtung zu geben, und rief:

»Lena! Lena!«

Die Gerufene stand auf von ihrem Sitze und nahte langsam dem Bauern, der mit dem Finger neben sich zeigend, sie zum Sitzen einlud. Als sie dieß gethan, holte er unter seinem Kittel eine dicke schnitte Brods und ein Stück Speck hervor, theilte das letzte auf dem Brode mit seinem Messer in kleine Stückchen und bot es dem Mädchen; dann langte er auch ein Krüglein Bier aus der Tasche, lehnte es an einen Wachholderstrauch und sprach leise:

»Da Lena hast du Essen und Trinken.«

Das Mädchen schaute ihn mit tiefem Danke an und genoß das Gebrachte.

»Jan, Gott wird dir lohnen,« sprach sie dann, »daß du mir also beistehst in meinem Jammerleben. Ich dank dir für deine Liebe und Freundlichkeit.«

Ein heftiger Schmerz wühlte unterdeß in der Brust des jungen Bauern; er sprach nicht, doch sank eine flüchtige Thräne von seiner Wange herab. Als Lena gegessen hatte, legte sie die Hand auf seine Schulter und sprach:

»Jan, mein liebster Freund, betrübe dich nicht mehr um mich. Deine Thränen thun mir mehr weh, als die Schläge deiner Mutter.«

»Vergieb’s ihr, Lena, um meinetwillen, denn wenn du ja stürbest, ohne ihr vergeben zu haben und ohne für sie zu beten, dann gäb es ja keinen Himmel für sie.«

»Ich hab ihr nichts zu vergeben, Jan; in mir wohnt kein Haß, ich denke selbst nicht mehr an mein Leiden. Ich habe bereits alles vergessen.«

»Betrüge mich nicht, Lena. Wer kann solche Mißhandlungen vergessen?«

»Ich hab’s dir mehr denn einmal gesagt und du verstehest mich nicht, weil ich mich selbst kaum verstehe. Während ich geschlagen und gestoßen werde, fühlt mein Körper wohl Schmerz, doch mein Geist bleibt frei und träumt fort von dunkeln, mir unbekannten Dingen, die vor ihm hin und her schießen und mich freuen und erheitern. Die Träume sind eine Stärkung für meine Seele, in ihnen vergesse ich Alles, sie sprechen mir von einem andern bessern Leben und lassen mich hoffen, daß ich nicht stets eine Waise bleiben werde. Soll Gott im Himmel mein Vater werden, oder soll ich meine Mutter sehen, bevor ich sterbe? ich weiß es nicht.«

»Deine Aeltern sind todt, Lena. Meine Mutter hat es mir oft gesagt, doch sei darum nicht betrübt. Sieh einmal, was ich schon für ein paar Arme habe. Noch einige Jahre und ich bin ein starker Mann. Ach, bleib doch noch so lange leben, Lena, ich will ja gern vom Morgen bis zum Abend für dich arbeiten, und müßt ich ewig dein Knecht sein.«

»Mein Knecht, du. Nein, das nicht, Jan. Sieh mich nur an und sage mir, was du auf meinen Wangen siehst.«

Der junge Bauer schlug beide Hände vor die Augen und seufzte still:

»Den Tod, ach den Tod.«

Lange blieben Beide stumm nebeneinander sitzen. Endlich faßte Jan Lena’s Hand und sprach:

»Lena, du hast deine abgestorbenen Aeltern nicht gekannt, bist von Kindsbeinen an bei meiner Mutter aufgezogen und hast da meiner Seel! mehr Betrübniß ausgestanden, als zehn Menschen tragen können. Wenn das fortdauerte, dann müßtest du sterben, das muß ich mit Thränen in den Augen selbst bekennen. Wenn man dich aber von jetzt an ruhig ließe und dich gut behandelte, würdest du dann nicht leben bleiben?«

»Leben bleiben«, wiederholte Lena. »Wer kennt sein Todesstündlein? Ich weiß, was du thun willst. Warum aber meinetwillen deine Mutter reizen und ihren Haß auf dich ziehen?«

»Warum?« rief Jan mit halbem Aerger. »Warum? Das weiß ich nicht, aber das kannst du glauben, wenn du so einen festen Gedanken oder einen Traum hast, der dir überall nachgeht, dann hab ich auch einen Gedanken, der mich bei der schwersten Arbeit so wenig, als beim tiefsten Schlafe verläßt. Der Gedanke ist, daß ich dir das Böse vergüten muß, was meine Mutter dir thut. Ach Lena, ich kann weder so schön noch so kräftig sprechen, wie du, aber um Gotteswillen, zweifle nicht dran. Von dem Tag ab, wo du stirbst, arbeite ich keinen schlag mehr, und dann legen sie mich auch bald neben dich auf den Kirchhof unter’s Gras. Und wenn du mich fragst, warum, dann weiß ich das auch nicht. Sieh, da, unter meinem Kittel klopft ein Herz das fühlt; du bist ein armes Waisenkind und das ist mir genug. Ach, bleib dann auch leben, Lena, bis ich großjährig bin, meine Arbeit wird . . .

»Nach Haus mit der Kuh!« rief in der Ferne eine drohende Stimme.

Jan stand auf, blickte noch einmal flehend in Lena’s Auge und verschwand zwischen den Erlen, während er ihr noch zuflüsterte:

»Ich komme sogleich auf den Hof. Geh nur, sie wird dich nicht schlagen.«

Lena griff nach dem Kuhseil, lenkte langsam auf den Fußsteig ein und schritt dem Hofe zu.

III

In dem Dorfe Westmal1 stand eine kleine Schmiede, in welcher vier Männer mit verschiedenen Schmiedearbeiten beschäftigt waren, der Meister nämlich und drei Gesellen. Sie unterhielten sich, soviel das Geräusch der Hämmer und Feilen zuließ, über Napoleon und seine großen Thaten. Einer der Gesellen, dessen linker Hand zwei Finger fehlten, begann just eine Erzählung aus dem Kriege in Italien, als zwei Männer zu Roß vor der Thüre der Schmiede anhielten, und einer derselben ihnen zurief:

»Heda, Mannen, mein Pferd muß beschlagen werden!«

Die Gesellen beschauten sich neugierig die zwei Fremden, welche nun von ihren Pferden absaßen. Man sah wohl, daß Beide Kriegsleute waren; einer von ihnen hatte eine mächtige Schmarre quer übers Gesicht liegen und trug ein rothes Bändchen im Knopfloch; der andere, obgleich ebenfalls in feiner Bürgerkleidung, schien ihm doch untergeordnet; er hielt das Pferd am Zaume und frug:

»An welchem Fuß, Colonel?«

»Vorn, links, Lieutenant,« antwortete der andere leicht. Während einer der Gesellen dann das Pferd nahm und es in den Nothstall führte, trat der Colonel in die Schmiede, sah sich nach allen Seiten um und nahm nun dieß, dann jenes Werkzeug zur Hand, wie wenn er es als eine alte Bekanntschaft hätte begrüßen wollen. Bald schien er gefunden zu haben, was er suchte; in der einen Hand hielt er eine schwere Zange, in der andern einen Hammer, und beschaute beides mit so sonderbarem Lächeln, daß die Gesellen gaffend und verwundert umherstanden.

Inzwischen war das Eisen in’s Feuer gelegt, der Blasbalg ächzte und ein sprühender Funkenkranz umgab die glühenden Kohlen. Die Gesellen standen, die Vorhämmer in der Hand, am Ambos, bis der Meister das Eisen aus dem Feuer nahm; dann begann das Zuklopfen.

Der Colonel hatte offenbar seine Freude daran; seine Züge belebten sich so, als hätte ihm die schönste Musik in’s Ohr gerauscht. Als aber das Hufeisen vom Ambos genommen wurde, um auf den Huf des Pferdes genagelt zu werden, da schaute er gar verächtlich drein, nahm die Zange mit dem Eisen aus der Hand des Meisters und legte es von neuem in’s Feuer, indem er sprach:

»So nicht. Was macht ihr da für ein grobes Eisen, Baas?2 So, lustig Jungens! Zugeblasen!«

Während einer der Knechte ehrerbietig folgte, warf er den Rock aus und entblößte seine nervigen Arme. Bald stand das Eisen in weißer Gluth, er nahm es, wie der besteingeübte Feuerwerker,3 drehte es noch einigemale, legte es auf den Ambos, und rief dann heiter den Gesellen zu:

»Aufgepaßt, Mannen. Ich geb’s Maaß. Wir wollen da mal ein Hüfchen schmieden, wie des Kaisers Pferde keine bessere tragen. So, nun paßt aufs Lied:

 
Ricketicketack,
Ricketicketu.
Eisen warm,
Hoch den Arm,
schlaget zu,
Ricketicketu.
 
 
Ricketicketack,
Ricketicketu,
Stahl in Gluth,
Herz voll Muth,
schlaget zu,
Ricketicketu.
 

»Da nun beschaut euch einmal das Hüfchen.«

Die Knechte besahen sich das hübsche und leichte Hufeisen mit gaffendem Munde und wie verstummt. Der Baas allein schien an etwas anderes zu denken und schüttelte von Zeit zu Zeit den Kopf, wie Jemand, der über eine Sache nicht einig mit sich selbst ist. Er trat dem Fremdlinge näher, der seinen Rock schon wieder angezogen, doch wie genau er ihn auch in’s Auge faßte, er schien ihn doch nicht zu erkennen.

Schnell war nun das Pferd beschlagen und es stand schon wieder vor der Schmiede, des Reiters wartend. Der zog zwei Napoleonsd’or aus der Tasche, legte sie auf den Amboß und drückte jedem der Gasten4 freundlich die Hand:

»Einer für den Baas – einer für die Gasten. Trinkt alle dafür einmal auf meine Gesundheit.«

Nachdem er dieß gesprochen, schwang er sich auf’s Pferd und ritt mit seinem Begleiter weiter in’s Dorf hinein.

Kaum waren die beiden Fremdlinge um die Ecke, als die Gesellen alle den Meister mit fragenden Blicken beschauten.

»Colonel, Colonel!« brummte einer von ihnen vor sich hin. »Ich sag und bleib dabei, der Kerl ist ein Schmied oder er ist es gewesen. Ich mein sicherlich, ihr müßt ihn kennen, Baas.«

»Das heißt,« antwortete der Baas, »ich hab in meinem ganzen Leben nur einen Menschen gekannt, der mit so viel Geschick ein so leicht und fein Hufeisen konnt schmieden. Und ich müßt mich sehr betrügen, wenn der Colonel nicht der Karl van Milgem wär, wißt ihr – doch nein ihr wißt’s ja nit, den die Leut immer den Ricketicketack genannt haben.«

»Wie, das sollt der lustige Schmied von Westmal sein?« frug einer der Gesellen. »Hab viel von dem Karl Ricketicketack schwätzen hören, doch’s war eben ein Lauflapp, ein Trunkert, der’s ganze Dorf in die Wirre konnt bringen. Nein, nein, der Colonel sieht allzusehr wie ein trefflich!5 Mann aus. Das ist rein unmöglich.«

Der Baas setzte sich auf den Ambos, wie einer, der erzählen will, und sprach zu den Gasten:

»Mannen, unser Taglohn ist doch schon doppelt verdient, und darum wollen wir’s Werk ein wenig ruhen lassen. Der Colonel ist wahrhaftig Karl van Milgem. Will euch doch seine Geschichte in der Kürze erzählen, dann könnt ihr selber urtheilen. Vor ungefähr sechzehn Jahren wohnte hier in derselben Schmied ein junger Kerl, der war mit der schönsten Bauernmaid aus der Gegend von Moll getraut, und die zwei sahen einander so gern, daß das ganze Dorf drüber verwundert stand. Das war denn der Karl van Milgem, von dem ich euch sprechen wollt. Der arbeitete von Morgens früh bis Abends spät, daß ihm der Schweiß von der Stirne lief und sang dabei den ganzen, lieben, langen Tag das artige6 Liedchen, welches der Colonel so gut konnt, und darum nannte man ihn so unter sich den Karl Ricketicketack. Er war stets fröhlich, witzig in all seinen Reden und es kam nie ein Wort aus seinem Mund, welches nicht hätte lachen machen. Auch war in ganz Westmal keine Seel so sehr von aller Welt geliebt, als der lustige Schmied. Er war schon ein paar Jahre getraut, hatte aber noch keine Kinder; da meinte er endlich, doch noch Vater zu werden. Nun kannt seine Freude keine Grenzen mehr, das Ricketicketack hörte den ganzen Tag nicht auf, und hier und da kamen die Leut in Angst, der Karl möchte von sinnen kommen, denn vor lauter Freud war weder Halten noch Binden an ihm. Da kam denn auch zuletzt der Tag und er wurd Vater, aber ach Armer! seine gute Frau stand nit mehr auf. Sie liegt auf’m Kirchhof begraben, da wo das eisern Kreuzchen steht. Von dem Augenblick an war Karl nicht mehr derselbe, wie vorher; er ließ den Hammer neben dem Amboß unangerührt liegen, zündete kein zweimal in der Woch sein Feuer an und begann zu trinken, als hätt er sich umbringen wollen. All seine Liedchen waren vergessen und er führte ein so schlecht Leben, daß er ein Scandal für’s ganze Dorf wurde. Wenn er dann betrunken nach Haus kam, dann ging er zu Werk wie ein Rasender, doch die Magd, welche bei ihm wohnte und das Kind pflegte, die wußt ein gut Mittel, ihn zur Ruh zu bringen. Sie gab ihm sein Töchterchen auf den Schooß, und wie trunken Karl auch war, wenn er sein Kind sah, dann war’s, als wenn ein Zauber über ihn gekommen wär. Dann lachte er so fröhlich wie zuvor, setzte das Mädchen auf seine Knie, spielte Pferdchenreiten mit ihm und sang das alte Liedchen Ricketicketack. Daß der Karl je ein ganz schlechter Mann war, glaub ich nicht; ein jeder wußt genugsam, daß der Tod seiner Frau die Ursach von seinem Verdruß und seiner Trunkenschaft war, denn jedesmal, wenn er über den Kirchhof und an dem eisernen Kreuz vorbei mußt, und wär er so trunken gewesen, daß er nicht auf seinen Beinen stehen konnt, dann liefen ihm die hellen Thränen aus den Augen, daß Jedermann es sehen konnt. Darum hatte man auch groß Mitleid mit ihm, und die Nachbarn versorgten das Kind mit Allem, ohne daß er’s wußt. Das Leben dauerte drei Jahr, da wurde Karl plötzlich krank und mußte zu Bette liegen, und das ziemlich lang. Seine Freunde hatten ihm während der Zeit – und der Pastor nicht weniger – so tapfer zugepredigt, daß er von der Trunksucht ganz genesen schien. Dafür hatte er sich ein ander Ding in den Kopf gesetzt. Er wollte das Dorf verlassen, wo das Grab seiner Frau ihm zu oft in die Augen fiel, und ohne einer Menschenseel zu sagen, wohin er wollt, geht er und verkauft seine Schmiede, wie sie weht und dreht, an meinen Vater, Gott hab ihn selig, nahm auf einen frühen Morgen sein Kind mit sich über die Haide und blieb weg, ohne daß man seitdem, weder von ihm noch von seinem Kinde mehr was gehört hätte.«

»Ah, der Colonel ist Karl Ricketicketack, da ist kein Zweifel an,« rief einer der Gesellen.

»Sicherlich, der und kein anderer,« sprach der Baas. »Er nahm manches von dem Geräth in die Hand und beschaut’s; alles nun, was ich und mein Vater gemacht oder gekauft haben, das legte er gleichgültig wieder hin; das aber was von der Schmiede Ricketicketack’s über blieb, das besah er mit einer Art von Aufregung, ihr müßt’s doch gemerkt haben, wenn ihr die Augen offen hattet; und dann seine Aussprach, ganz kempensch, seine Schnelligkeit im Schmieden und vor Allem sein Liedlein. Ja, ja, das ist ein Bursch aus unserm Dorf, setz meinen Hals dran . . . wer sollt das sagen, und nun ein Colonel, ein wahrhaftiger Colonel!«

Während die in der Schmiede also über ihren Karl Ricketicketack plauderten, waren die beiden Fremdlinge in der Herberge zur Krone angekommen, hatten ihre Pferde zu stall gebracht und selber etwas gegessen. Dann verließ der Colonel die Herberge und ging zu Fuß der großen Straße nach bis zu dem Hause des Gemeindeschreibers. Da wurde er in ein Stübchen geführt und mußte ziemlich lange warten, bis der Herr Gemeindeschreiber vom Felde heimkehrte, und unter tiefen und feierlichen Bücklingen in die Kammer trat. Er sprach:

»Herr Colonel van Milgem, euer unterthänigster Diener. Ihr wollt allergnädigst entschuldigen, daß ich . . . «

Doch der Colonel ließ ihm keine Zeit zu langen Höflichkeiten und Förmlichkeiten, faßte freundlich seine Hand und sprach:

»Wohlan denn, Freund, was habt ihr vernommen? Ist mein Kind entdeckt?«

»Nein, Herr Colonel, noch nicht,« entgegnete trübselig der Secretarius.

»Weh mir dann!« seufzte der Kriegsmann, mit der Hand verzweiflungsvoll an die Stirn schlagend. »Sollte ich denn alle Hoffnung aufgeben müssen?«

»Herr Colonel,« sprach der Secretarius, »geliebet meinen Bericht zu hören und ihr werdet finden, daß wir, ferne davon, alle Hoffnung zu verlieren, vielmehr nahe daran sind, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Ihr habt mir bei eurem letzten Besuch genug Geld hiergelassen, daß ich keine Kosten sparen mußte, und ihr mögt glauben, daß ich nichts versäumt habe, eure Gunst und die gelobten tausend Franken zu gewinnen. Höret nun, was man mir gesagt hat. Als Karl van Milgem (und der Secretarius verbeugte sich bis fast zur Erde) mit seinem vierjährigen Kinde aus Westmal fortzog, sagte er Niemanden, wohin er gehen würde; wußt es auch vielleicht selbst nicht vor großem Leid und Betrübniß. Nun habe ich aber von euch vernommen, und das ist mir auch durch meine Nachforschungen bestätigt worden, daß er zu Weelde, oberhalb Turnhout, sein Kind einem alten Schulmeister anvertraute; Peter Drießens hieß er, und wohnte mit seiner Frau einsam und abgesondert draußen vorm Dorfe. Dem gab er das Kind und ein klein eisern Kistlein, worin er das Verkaufsgeld von seiner Schmiede hatte verschlossen, und das die beiden Alten im Falle der Noth mochten öffnen, damit das Kind und sie selbst nicht Gebrechen leiden an irgend etwas. Dann ist er nach Holland gezogen und hat da, denkt man, bei den Franzosen unter Pichegrü Dienst genommen. Jedenfalls sah er sich seitdem nicht mehr nach seinem Kinde um; so erzählte man mir wenigstens in Weelde und die Leute, welche mir das sagten, hatten Peter Drießens selbst noch gekannt.«

1.Ein Dorf, eine Stunde von Antwerpen, an der Landstraße nach Turnhout mitten in der Haide gelegen.
2.Meister.
3.Der Geselle, der das Eisen im Feuer dreht und wendet.
4.Gesellen.
5.brav.
6.sonderbare