Sadece Litres'te okuyun

Kitap dosya olarak indirilemez ancak uygulamamız üzerinden veya online olarak web sitemizden okunabilir.

Kitabı oku: «Abendstunden», sayfa 7

Yazı tipi:

II

Nachdem der schlaftrunkene Franz so unerwartet das Gespräch der beiden Liebenden unterbrochen, hatte Gerhard das Lebewohl für ewig nicht wiederholt; er wollte Lina den Schmerz sparen, doch schien sein Abschied auf immer unwiderruflich, denn sein Entschluß war gefaßt, das reine, edle Mädchen nie sein schmachbeflecktes Loos theilen zu lassen.

Unsichern, doch schnellen Schrittes durcheilte er die Straßen, welche vom Vlierstege nach seiner Wohnung führten, und stand, ehe er es noch dachte, in der Nähe des Walles an einer Thür, deren rother Anstrich sagte, daß der Scharfrichter von Antwerpen in dem Hause wohne.

Er klopfte; ein Knecht öffnete und Gerhard frug:

»Nun, Jan, war der Schulz hier?«

»Ja, er geht just weg. Euer Vater befahl mir, Euch zu sagen, daß er Euch erwarte.«

Gerhard eilte die Stiegen empor und trat in ein Zimmer, in welchem sein Vater krank zu Bette lag.

Der Alte war bleich und mager; man sah, daß eine an seinem Herzen nagende Qual seine Wangen durchpflügt und die verglasten Augen tief in ihre Höhlen hineingedrängt hatte.

Wiewohl alle zehrenden Krankheiten den Körper so austrocknen, daß nur die Gebeine und Haut davon überbleiben, lassen sie dem Geiste doch all seine Kraft; es scheint selbst, daß je mehr der Leib vergeht, desto stärker der Geist wird. So war es auch bei dem alten Scharfrichter der Fall; obschon krank und matt an allen Gliedern, war es so licht in seinem Innern, wie in den Tagen blühendster Gesundheit. Als Gerhard in die Kammer trat, wandte der Alte das starre Auge ihm zu; er sprach aber nicht.

Gerhard griff schnell nach einem Stuhle und setzte sich zu Häupten des Vaters; steckte dann seine Hand unter die Bettdecke, um des Greises dürre Hand zu suchen; die drückte er krampfhaft in der seinen und frug mit von banger Erwartung bebender stimme:

»Der Schulz war hier, Vater. Sage mir doch schnell, was ist mein Urtheil? Muß ich Henker werden?« —

»Sohn,« antwortete der Alte traurig, »ich habe alles bei dem Schulzen versucht, aber er will nicht, daß unser Knecht deine Stelle vertrete. Weder Geld noch Bitten konnten ihn erweichen; du mußt Henker werden, mein armer Sohn.«

Der Unglückliche hatte dieß Urtheil wohl geahnt, doch traf die Bestätigung desselben ihn schwer.

Ein eisiger Schauder überlief seinen ganzen Leib.

»Morgen also soll meine letzte Hoffnung untergehn!« rief er wie verzweifelnd; »morgen muß ich ein bezahlter Mörder werden!«

»Sohn,« fiel der Alte tief ergriffen ein, »bereite Dich zu einem Leben voll Foltern, voll Qual. Jedwedes Haupt, welches Du abschlägst, wird einem Steine gleich auf Dein Herz fallen, und wenn der Steine genug darauf liegen, dann stirbst Du, wie ich jetzt . . . Aber Sohn, es giebt über uns einen Richter, der all unser Leiden vergütet!« —

»Gott, blieb denn nicht ein Weg, nicht ein Mittel unangewandt, keine Hoffnung mehr, muß es denn durchaus sein?« frug Gerhard mit immer steigender Angst.

»Sohn,« sprach der Alte, die Augen dem Tische zuwendend, »nimm das Buch, welches da liegt, der Schulz ließ es hier, und lies das aufgeschlagene Blatt.«

Gerhard las, seine Wangen erglühten in Zorn und Wuth, und er warf das Buch zur Erde.

»Verfluchtes Gesetz, das mich schon im Mutterschooße zum Blutvergießen, zur Schande verurtheilte! O Menschen! so schrieet ihr mir denn schon in der Wiege zu: Das Kind gehört nicht uns, ’s ist eines Henkers Erstgeborner! Schande über ihn! Einer giftigen Schlange gleich krieche er sein Leben durch, geflohen, gehaßt! – Und da lag ich und lachte der leuchtenden Sonne entgegen und spielte mit meinen Henkershändchen!« —

Vergebens suchte der Alte Gerhard zu beruhigen; alles war verloren. In der Hoffnung, daß der Schlaf wohlthätig auf ihn wirken werde, sprach er endlich:

»Das lange Reden hat mir die Brust angegriffen; ich will dir nur noch einen Rath geben. Wenn du morgen das Schaffot besteigst, dann schaue nur ja nicht auf’s Volk; die Tausende von Augen, die alle von blutsüchtiger Neugier glühen, würden dich verwirren und zittern machen. Denke, du seiest mit dem armen Sünder allein und nimm das Maaß wohl bei dem Schlage, denn wenn es dir mißglückte und du das Haupt nicht in einem Streiche abschlügest, dann erhöben sich tausend Stimmen gegen dich und – ich sähe dich vielleicht nie wieder. Ich werde unterdessen zu Gott bitten, daß er in Gnaden dir Kraft gebe, ein Werk zu vollbringen, welches ihm gewiß mißfällt. Geh denn Sohn – und nimm meinen Segen mit dir.«

Noch hätte Gerhard seine Klagen nicht geendet, aber der Alte wischte sich eine Thräne aus dem Auge und diese unterdrückte Alles, was er noch vorbringen wollte. Er schied mit einem innigen:

»Schlaf wohl, guter Vater, Schlaf wohl.«

In seine Kammer getreten, riegelte er die Thüre hinter sich zu, setzte sich vor dem kleinen Tische nieder und stützte das Haupt in die offene Hand; sein Auge schloß sich nicht, es war starr.

Die Sonne des andern Morgens fand ihn noch in derselben Stellung.

III

Der folgende Tag war ein herrlicher Lenztag. In recht wohlthätiger Wärme leuchtete die Sonne von dem transparenten Azurgewölbe, an dem nur hie und da ein graues Wölkchen leicht hinzog. Der Einfluß der reinen, duftigen Luft wirkte mächtig auf die Bürger von Antwerpen. Alle Straßen waren bedeckt mit Spaziergängern, die in den schönen, neuen Feierkleidern prunkten; die Kinder spielten wieder im Freien und eine zahllose Menge kleiner Käferchen, welche sich aus den umliegenden Feldern über die Stadt verbreitet hatten, botschaftete, daß die Natur von Neuem ihren Schooß erschlossen hatte.

Gegen zehn Uhr hatte sich die ganze Menge bei der Liebfrauenkirche versammelt, um die Prozession zu sehen, die eben auszog. Mit entblößtem Haupte ließen Alle die prächtigen Standarten und Fahnen vorbeiwogen. Als endlich aber das Allerheiligste nahte, da sank ein Jeglicher in stummer Anbetung nieder auf die Steine des Marktes.

Der Prozession folgten unmittelbar die Mitglieder der sechs Gilden. Zuerst kamen die Brüder der Fechtergilde, dann die Kolbeniere, die von dem alten und jungen Fußbogen und die des alten und jungen Handbogens. Als diese alle vorbei waren, wurde die Bewegung unter dem Volke stärker und ein jeder schrie:

»Der Umgang! der Umgang!«

Es war der Umgang wirklich; ihn eröffnete ein ungeheurer Fisch, der in gemaltem Wasser schwamm, einen Kupido auf dem Rücken und echtes Wasser in Menge im Bauche trug. Von Zeit zu Zeit versandte er das Letztere in ansehnlicher Quantität aus seinen Naslöchern, und Wehe dem, der dann in der Nähe stand.

Dem Wallfische folgte der Riese Drüon-Antigon, der gemächlich in die Söllerfenster hineinschaute, Delphine, Neptun auf seinem Wagen, der Parnaß mit den Musen, Fortuna und noch viel Anderes.

Während die Menge jede neue Vorstellung mit lautem Klatschen und Jauchzen begrüßte und der Jubel kein Ende fand, saß der arme Gerhard am Siechbette seines Vaters, die Arme übereinander gekreuzt. Es war nicht mehr der Jüngling mit den schönen schwarzen Locken, die seinen bleichen Zügen einen so männlichen Ausdruck liehen. Die eine Nacht hatte ihn verwüstet – tiefe Runzeln furchten sein Gesicht und sein Haar war – schneeweiß. Die gräßlichen Seelenfoltern hatten so sehr auf seine Nerven eingewirkt, daß das mindeste Geräusch ihn zittern machte, und wenn die Glocke von St. Jakob eine Stunde mehr rief, dann rann kalter Schweiß ihm von der Stirne und die grauen Haare sträubten sich empor.

Bis zwei Uhr Nachmittags saß er also da; um sechs Uhr sollte die Hinrichtung stattfinden. Der Alte sah ängstlich auf ihn hin und zwei große Thränen drängten sich ihm in die matten Augen. Endlich hub er also an:

»O Gerhard, Gerhard, bedenke doch das Wehthum deines alten, kranken Vaters, bedenke, was ich leiden muß, wenn ich dich also sehe. Weißt du wohl, daß diese deine Gemüthsstimmung mir eben so schrecklich ist, wie ein Brechen des Stabes über deinem Haupte? Was sagst Du mir Anders damit als: diesen Abend wird das rasende Volk mich in Stücke reißen, die zappelnden Glieder unter die Füße treten und Du, Vater, kannst dann sehen, wie Du sie auf dem Galgenfelde zusammensuchest.«

»Ja, das weiß ich wohl,« antwortete Gerhard mit hartnäckiger Kälte; dem Alten aber jagten die Worte eisige Schauder durch alle Glieder. Ein fürchterliches Geheimniß durchschaute er in denselben. Mit aller Kraft, die ihm noch geblieben, richtete er sich dann auf, zog Gerhard zu sich und schlang ihm die magern Arme um den Hals, indeß er ihn unter strömenden Thränen auf die bleichen Wangen küßte.

»Sohn, Sohn!« rief er, »Du willst denn sterben? Du hegest in Ruhe diesen sündigen Gedanken, wirfst Dich freiwillig als Opfer in die Arme des grausamen Pöbels? Mich schwachen Greis willst Du allein hier zurücklassen? Du dachtest wohl nicht, Gerhard, welche Undankbarkeit in dem Entschlusse liegt.«

Diese Worte, die Umarmung wirkten gleich einem Zauberschlage auf Gerhard; er konnte ihrem gewaltigen Eindrucke nicht Widerstand leisten, er schrak vor sich selbst zurück. Liebe und Kindespflicht lebten neukräftig in ihm auf und wie Fieberroth glühten seine Wangen.

»In Gottes Namen denn!« rief er. »Sie wollen es, es sei. Weine nicht mehr, Vater. Dein Sohn soll ein Henker werden, und das mit einem Henkersherzen!«

Wie sehr aber betrog der arme Gerhard sich selbst und seinen Vater! Es war kein Muth, der ihn beseelte, es war Verzweiflung. Lassen wir ihn einstweilen in Thränen gebadet an der Brust seines Vaters, wir werden ihn bald anderswo wiederfinden.

IV

Wir wir schon sagten, sollte der verurtheilte Schiffer Hermann um sechs Uhr Abends hingerichtet werden.

Lange schon vor dem verhängnißvollen Augenblicke sah man große Haufen Volkes aus dem Sankt Georgsthore dem Galgenfelde zuströmen. Keine der öffentlichen Belustigungen hatte mehr Zuschauer, als das in Hoffnung stehende Schauspiel, wobei ein Menschenhaupt grinzend von dem Schaffotte rollen sollte, während der Boden rings von Menschenblut dampfte.

Das ganze, weite Galgenfeld war bedeckt mit Neugierigen. Frauen jeden Standes und Alters standen da mit Söhnen und Töchtern; der Greis selbst, der während des ganzen Jahres den Heerd nicht verließ, war noch einmal aus seinem Eckchen gekrochen, den armen Sünder sterben zu sehen. Jubel und Lachen scholl aus der dichten Menge empor zu den halb von den Raben zerfressenen Leichnamen, die an dem Galgen und auf dem Rade noch zur Schau standen.

Neben dem Schaffotte aber stand ein Mädchen, dessen Herz hörbar an den bangen Busen pochte; gerne hätte sie ihren Thränen freien Lauf gelassen, aber sie war dahin gekommen, um dem neuen Scharfrichter Muth einzuflößen, um also durch den schnellen Abschnitt des Lebensfadens des Verurtheilten den Lebensfaden ihres Geliebten zu sichern. Es war Lina. Franz stand in seinem braunen Sonntagsmantel und dem breitrandigen Hute ihr zur Seite. Lina hatte ihm die Gefahr mitgetheilt, in der Gerhard’s Leben schwebte und er hatte geschworen, dem den Kopf einzuschlagen, der es wagen würde, einen Stein gegen den Henker aufzuheben.

Es begann schon zu dunkeln, als der Armesünderkarren heranfuhr. Der Verurtheilte saß, fast ganz in schwarz gekleidet, mit einem Geistlichen zur Seite, in der Tiefe des Wagens; vorne Gerhard mit dem großen Richtschwerte, seinen Knecht neben sich.

Es ist unmöglich zu sagen, was in des Scharfrichters Herzen vorging; seine Augen waren niedergeschlagen, er wagte nicht auf das Volk zu schauen. Hätte das Schwert ihn nicht kennbar gemacht, man hätte schwerlich errathen können, wer der Hinzurichtende gewesen, Hermann oder er; es war sichtlich, jener war viel weniger beschämt und trübe, als Gerhard. Ohne es zu wissen, bestieg er das Schaffot; was um ihn herum vorging, davon sah er nichts; selbst Lina bemerkte er nicht, obschon diese ihm öfters durch ihrem Bruder Zeichen geben ließ.

Die Henkersknechte wollten den Verurtheilten auf das Schaffott führen, doch der gab vor, er habe seine Beichte nicht wohl gesprochen und wolle nun erst ganz sein Gewissen säubern, da er doch sehe, daß keine Gnade mehr für ihn wäre. Vielleicht hegte er Hoffnung auf Selbstbefreiung, wozu die stets mehr wachsende Finsterniß ihm allerdings einigen Schein geben konnte; sahen doch die, welche nur in etwa entfernt von dem Schaffotte standen, kaum mehr, daß sich etwas darauf, regte. Das Volk wurde inzwischen ungeduldig und schrie laut zur Beschleunigung des Blutwerkes. Nun brachte man den armen Sünder mit Gewalt auf das Gerüste und ließ ihn niederknieen; der Henkersknecht entblößte ihm den Hals und wies Gerhard auf eine Stelle desselben, als wollte er sagen: »Hierhin schlaget, Meister!«

Beim Anblicke des bloßen Fleisches, in welches er hauen sollte, erwachte Gerhard aus seinem Hinbrüten. Seine Beine zitterten, daß das Schaffot bebte, und das Schwert entsank seinen Händen. Da das Zeichen zur Ausführung des Urtheiles noch nicht gegeben war, achtete das Volk nicht darauf; der Knecht hob das Eisen auf und reichte es Gerhard wieder; krampfhaft hielt er es in der Faust.

Endlich gab die Rothe-Ruthe das Zeichen zum Schlagen, aber Gerhard hörte nichts und sah ebensowenig den rothen Stab sich senken. Bereits begann das Volk zu murren, als der Knecht rief:

»Schnell, Meister, schnell!«

Mit all dem Muthe, mit all der Kraft, die ihm noch übergeblieben, erhob Gerhard das Schwert über dem Halse des Verurtheilten; er war fest entschlossen, zuzuschlagen. Aber nochmal übermannte ihn Scham und Angst; er wußte nicht, was er that. Rasend endlich holte er zu einem Schlage aus, dessen Gleichen nie geführt worden, doch in dem Augenblicke wandte der arme Sünder den Kopf und stieß einen jämmerlichen Schrei aus – Gerhard’s Muth sank, er ließ das Schwert auf des Schiffers Leib fallen, ohne ihn selbst zu verwunden.

Der Missethäter, dem beim Falle des Schwertes ein kalter Schauder den Leib überlaufen hatte, sprang nun plötzlich empor, streckte seine Arme nach dem Volke aus, und schrie um Hilfe, weil man ihn muthwillig martere.

Das genügte, die Menge aufzubringen. Nur eine Stimme erhob sich aus ihr:

»Schlagt ihn todt! Schlagt ihn todt, den Menschenquäler!«

Steine schwirrten durch die Luft nach Gerhard’s Haupt, doch nur in geringer Anzahl; der Haidensand des Galgenfeldes bot ihrer nicht viele.

Der arme Scharfrichter stürzte halb sinnlos dem Volke entgegen auf den Rand des Schaffottes, kreuzte die Arme willig über der Brust und schrie:

»Da, hier, wirf mich zu Tode, blutdürstig Volk!«

Nun kannte die Wuth der Menge keine Gränzen mehr. Die Frauen, Kinder und bessere Bürger flüchteten nach allen Seiten, der Pöbel drängte sich dem Blutgerüste racheschreiend näher und näher. Die Verwirrung stieg mit jedem Augenblicke. Auf dem Schaffotte hatten sich die Gerichtsdiener um Gerhard und den Verurtheilten geschaart, den Ersten zu schützen, den Zweiten, der alle Gewalt anwandte, zu entfliehen, fest zu halten. In dem Augenblicke schlich ein Mann im braunen Mantel schnell auf das Gerüste, zog Gerhard am Aermel und flüsterte ihm ins Ohr:

»Schnell, Lina beschwört Dich bei Gott und ihrer Liebe, zu kommen, um rasch ein Wörtchen mit ihr zu sprechen; sie steht unten; komme schnell!«

Zugleich sprang er selbst zur Rechten unters Volk, um Gerhard die Stelle anzuweisen, wo Lina sein harrte; dieser folgte bald; konnte er der Geliebten ein letztes Lebewohl weigern? Kaum stand er aber bei Lina, als Franz ihm den braunen Mantel um die Schultern warf, den breitgerandeten Hut ihm auf den Kopf drückte, seinen Arm in den Lina’s fügte, und beide fortpressend, flüsterte:

»Schnell, still und kühn durch die Menge, und in den Busch hinter’s zweite Werk!«

Als er sah, daß Lina ihm gehorchte, und Gerhard sich stumm hinwegführen ließ, lief er schnell nach der andern Seite des Schaffottes und lärmte und schrie da dergestalt, daß die Menge nicht anders glaubte, als er habe den Henker unter Händen, und sich ungestüm um ihn herum drängte, wodurch Gerhard und Lina ganz ungestört und frei ihren Weg verfolgen konnten. Franz raste unterdeß, wie ein Besessener:

»Schlagt todt! schlagt todt! Hier ist der Menschenquäler! Haben müssen wir ihn!« Alles drängte sich nun auf das Blutgerüste; trotz dem kräftigen Widerstand der Gerichtsdiener wurde der Verurtheilte befreit, und wollte man nun die Gerichtsdiener zwingen, zu sagen, wohin sie den Henker geschafft hätten.

Einer aus der Menge hatte bemerkt, daß Franz Hut und Mantel einem Fremden umgeworfen, auch wie dieser am Arme eines Mädchens plötzlich in der Richtung nach dem Walde verschwunden war; als man den Henker nun nicht fand, schloß er ganz richtig, daß der Flüchtling es gewesen sein müsse, und eilte wüthend den Beiden nach. Hinter einem Busche endlich sah er sie verschwinden; fluchend vor Freude und Blutdurst stürzte er hinter ihnen drein, riß Gerhard’s Mantel ab – da funkelte ihm das rothe Henkerskleid entgegen; ein schwerer eisenbeschlagener Stock schwirrte durch die Luft, und Gerhard sank. Damit noch nicht zufrieden, wollte der Rasende noch weiter seine Wuth an dem Unglücklichen auslassen, doch Lina warf sich mit der Kraft der Verzweiflung ihm entgegen und hielt ihn so allgewaltig umschlungen, daß er kein Glied rühren und nur durch Flüche und Verwünschungen sich Luft machen konnte.

Glücklicherweise war das Getöse des Pöbels an dem Schaffotte so arg, daß keiner dieser Flüche bis dahin dringen konnte; sonst hätte Lina sich bald von mehreren Feinden umzingelt gesehen, und dann wäre wohl keine Rettung mehr gewesen, weder für sie, noch auch für Gerhard, den man selbst als Leiche mißhandelt hätte. Lange aber konnte sie es doch nicht aushalten gegen ihren Gegner, ihre Kraft wich mit jeder Minute mehr, und der einzige Trost, der ihr zu bleiben schien, war, auf der Leiche ihres Gerhard ihren letzten Athemzug auszuhauchen. Schon nahten schnelle Schritte dem Orte, schon glaubte sie sich verloren, – doch nein, es war Franz, der herbeieilte. Ein Blick auf Gerhard sagte ihm deutlich genug, was vorgefallen; in einem Sprunge stand er neben seiner Schwester, faßte mit kräftiger Hand ihren Gegner, und riß ihn zu Boden, griff ihn dann bei den Beinen und schleifte ihn weg mit sich, indem er schnell Lina zurief:

»Verbirg Gerhard im Gebüsche! Lebt er noch, dann ist er gerettet! schnell!schnell!«

Pfeilgeschwind flog er mit dem Andern dem Blutgerüste wieder zu, fortwährend schreiend:

»Victoria! Hier ist der Kerl!«

»Schlagt todt! Schlagt todt!« antwortete die Menge. In einem Augenblicke stand das Blutgerüste einsam, alles schaarte sich um Franz, alles schrie:

»Der Henker! Der Henker!«

Und hundert Schläge von Stöcken, Steinen, Messern sanken auf den Heulenden, der nun einmal der Henker sein mußte, und um so weniger erkannt werden konnte, da Dunkel und Wuth Aller Augen blendeten, und der Blutschrei jedes seiner Worte übertäubte. Er lebte keine Viertelstunde mehr; seine Kleider flogen in tausend Läppchen umher, seine Leiche war unkenntlich.

Franz ließ die Menge bei dem Rachewerke und eilte seiner Schwester wieder zu, die neben Gerhard knieete und den Himmel um Gnade für ihn anflehte. Eine flüchtige Untersuchung sagte dem braven Franz, daß noch Leben in dem regungslos Daliegenden sei; er lief einem nahen Graben zu, und kam bald mit einem Hute voll Wasser zurück, welches er über Gerhard’s Gesicht und Brust sprengte. Langsam kam dieser wieder zu sich; das erste, was er fühlte, waren Lina’s glühende Lippen, das erste, was er sah, ihr durch Thränen hindurch in Freude glänzendes Auge.

Sobald er seine Kräfte wieder gewonnen hatte, verließen sie die Stelle und kehrten möglichst behutsam nach der Stadt zurück, wo Gerhard sich in Lina’s Wohnung verborgen hielt, bis die Liebfrauenglocke Mitternacht schlug. Dann ging er, von Franz begleitet, dem einsamen Henkershause zu.

Der alte Scharfrichter klagte noch auf dem Siechbette um den verlorenen Sohn, als die Thüre der Kammer sich öffnete und Gerhard in seine Arme stürzte; da rieb er sich die Augen, frug, weinte, bat, flehte um Gewißheit, denn es schien ihm nur ein schöner Traum, aber Gerhard küßte ihn so herzlich und so lange auf die bleichen magern Wangen, preßte ihn so innig an die Brust, daß der glückliche Vater vor Freude zu sterben meinte.

»O Sohn, Sohn!« rief er endlich. »Wie bist Du so gesegnet! Von dem Tode nicht nur gerettet, sondern auch von der Schande! Der Fluch, der über uns waltet, endigt nur mit dem Tode und . . . ja Du bist todt.«

»Und ich vergoß kein Blut!« fiel Gerhard wonnetrunken ein.

»Dann lebe fern von hier,« fuhr der Alte fort, »verlaß Antwerpen, nimm deine Lina, liebe sie stets und treu und segne Dich der Himmel! Deine Söhne werden keine Henker im Mutterschooße genannt werden, Du wirst über sie nicht weinen, wie ich über Dich geweint. Die Ersparnisse meines Vaters und die meinigen befreien Dich für immer von Armuth. Gebrauche sie wohl und sei glücklich . . . «

Langsam brach des Alten stimme; die Rührung, die Freude hatte ihn zu sehr getroffen; Gerhard konnte des Dankes kein Ende finden; an Worten gebrach’s ihm, nicht aber an Thränen . . .

*                   *
*

Lange noch nachher lebte der Henkerssohn Gerhard zu Brüssel unter anderem Namen, in treuer Liebe vereint mit seiner Lina. Und als er endlich sein letztes Stündlein nahen sah, da umringten zahlreiche und brave Kinder sein Lager, und unter ihren Gebeten schlummerte er selig hinüber.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
06 aralık 2019
Hacim:
260 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок