Kitabı oku: «Baas Gansendonck», sayfa 5
VII.
Hochmuth ist die Quelle alles Uebels
Spät am Nachmittage stand Karl in einem hochgewachsenen Gebüsch, sich mit dem Rücken an eine Birke lehnend.
Dort vor ihm, auf der anderen Seite des Grabens, lag der Jagdhof des Herrn von Bruinkasteel.
Schon lange befand sich der Jüngling an diesem einsamen Orte; er wußte selbst nicht, wie und warum er dahin gekommen war. Während er mit schrecklichen Träumen in der Seele achtlos durch die Felder streifte, hatte ein Herz ihn dahin geführt, um einen Kelch, der noch weit bitterer war, zu leeren. Dort stand er jetzt, wie ein gefühlloses Bild, die Augen starr auf die Wohnung des Barons heftend, und nur von Zeit zu Zeit Leben äußernd durch ein Lachen der Verzweiflung oder ein krampfhaftes Zittern seiner Glieder. Seine Seele lag auf der Folterbank; seine gequälte Phantasie drang durch die Mauer, hinter der Lisa sich befinden mußte. Er sah sie neben dem Baron sitzen, hörte Liebeserklärungen und verführerische Schmeichelreden; er überraschte gierige Blicke, und sah, wie der Baas Gansendonck mit Gewalt die Keuschheit seiner Tochter unterdrückte, und dann . . . dann wußte die schwache Lisa nicht mehr, was sie thun sollte – sie ließ den Baron ihre Hand angreifen und sie mit dem befleckenden Blicke schändlicher Verführung betrachten.
Armer Karl! So versetzte er seinem Herzen zahlreiche Wunden und zwang eine überspannte Phantasie, gräßlich in denselben zu wüthen, um den Schmerzenskelch bis auf die Hefen zu leeren.
Nachdem er lange sich solchen schweren Träumen hingegeben und von ihnen gelitten hatte, verfiel er in eine Art von Geistesschlaf. Die Spannung, in der er sich befunden, ließ nach; auf einem Antlitze sah man nur noch den ruhigen Ausdruck der Ermattung; sein Kopf sank auf eine Brust, und mit halb geschlossenen Augen blickte er auf die Erde. Plötzlich drangen einige ferne Saitenklänge zu seinem Ohr und mit diesen die fast unhörbaren Töne einer Männerstimme.
Wie undeutlich dieser Gesang auch war, er wirkte gewaltig auf des Jünglings Gemüth. An allen Gliedern zitternd und voll Rachsucht, die sich in seinen Zügen aussprach, sprang er auf, als ob ihn eine Schlange gebissen hätte. Seine Augen schossen glühende Blicke, seine Zähne knirschten, krampfhaft ballte er die Hände . . . Er kannte den verhaßten Gesang; er hatte ihn schon an diesem Morgen gehört, wie eine Stimme aus der Hölle; welche zu Lisas Ohr von schändlichen Begierden gesprochen. Verzehrend brannten noch in seinem Herzen die entehrenden Worte, welche aus Lisas Munde dem Verführer entgegenklangen.
In seiner Verzweiflung brach der Jüngling die Eichenzweige in Stücke und murmelte mit schrecklichen Lauten . . . Die Töne des Gesanges wurden deutlicher; das Wort: »Je vous aime« drang durch die Eichen; es ward von dem Baron mit solchem Feuer, mit solchem innigen Gefühl gesungen, daß es unmöglich anders als unmittelbar an Lisa gerichtet sein konnte. Ganz außer sich und nicht wissend, was er thue, lief Karl durch den Graben, erkletterte den andern Rand desselben und verschwand in dem dichten Laube von Haselbüschen, die sich längs einem breiten Wege hinzogen. Sich immer verbergend, kroch er wie ein wildes Thier durch das Gebüsch fort, bis er sich einer dunklen Laube nahte. Es waren hier zwei Anpflanzungen von Buchen in weniger Entfernung von einander angelegt, und man hatte mit großer Sorgfalt ihre Aeste zu einer schattigen Laube zusammengebogen. Obwohl die letzten Strahlen der Sonne noch auf der einen Seite die Bäume beschienen und einzelne Blätter als helle Punkte sich strahlend von dem tieferen Grün abhoben, so war es doch in derselben sehr dunkel.
Der Jüngling schlich sich durch den Baumgang und nahte sich dem Hause und dem Saal, in welchem der Baron und seine Gäste sich befanden. Drei oder vier Schritte weit von einem Fenster dieses Saales standen mehrere Sireenbüsche, deren Blumen gewiß im Sommer die ganze Wohnung mit ihrem süßen Duft erfüllen. Mitten in diesem dunklen Verstecke befand sich Karl und sah gerade und ungehindert in das Gemach hinein.
Wie klopfte ihm das Herz! wie wallte das Blut in seinen Adern! Er konnte Alles gewahren, Alles hören; denn der Wind und die Fröhlichkeit drinnen hatten den Stimmen einen helleren Klang gegeben.
Es schien, als ob man Lisa wieder ihren Willen zu Etwas zwingen wolle. Der Baron zog sie mit freundlicher Gewalt, an der Hand nach dem Fortepiano hin; ihr Vater schob sie mit geringerer Rücksicht vorwärts und rief halb ärgerlich:
– »Lisa, Lisa! Dein Eigensinn macht, daß ich noch aus der Haut fahre! Was Du heute Morgen gethan hat, kannst Du jetzt auch thun. Die Herren bitten Dich so freundlich, das Liedchen noch einmal zu singen, und Du bist unartig genug es abzuschlagen. Du brauchst Deine Stimme nicht zu verbergen, Mädchen! sie kann ich hören lasen.«
Der Baron bat von Neuem; der Baas befahl zornig; Lisa gehorchte, und begann unter Begleitung des Piano mit dem Baron zu fingen:
»Ah, pitié! mon trouble est extrême,
»Dites: je vous aime,
»Je vous aime!«
Das Sireengebüsch bewegte sich zitternd, als ob ein Windstoß durch dasselbe fahre . . .
Baas Gansendonck verlor fast den Verstand vor Hochmuth. Sein Antlitz strahlte und war roth von Selbstzufriedenheit. Er rieb sich unaufhörlich die Hände und sprach so frei, so keck und so viel, daß ein Fremder ihn ohne Zweifel für den Eigenthümer des Schlosses würde gehalten haben. Neben dem Fortepiano stehend, wiegte er den Kopf und trat den Takt mit seinen schweren Füßen unrichtig auf dem gebahnten Fußboden, in den Pausen zu seiner Tochter sagend:
– »Lauter! rascher! So ist es gut! Bravo!«
Daß Adolph und dessen Gefährte, ja Victor selbst mit ihm ihren Spott trieben, fühlte er nicht. Er hielt im Gegentheil ihr lustiges Lachen für einen Beweis ihrer Zustimmung und Freundschaft.
Der Gesang war kaum zu Ende, so ließ Adolph, der vor dem Piano saß, seine Finger eine Weile über die Tasten laufen und begann dann einen so raschen und verführerischen Walzer zu spielen, daß der Baas, als er das hörte, selber Lust zum Tanzen bekam und sich wirklich auf die Fußspitzen stellte, als ob er im Saale herumhüpfen wollte.
– »Tanzen! Tanzen!« – rief er – »das versteht unsere Lisa vortrefflich. Es ist, als wollte sie fortschweben, wenn sie nur die Füße hebt!«
Das Mädchen, das bereits mit großer Betrübniß sich zum Singen hatte nöthigen lassen, wollte sich von dem Piano entfernen, um dieses Mal dem Befehl ihres Vaters zu entfliehen. Aber er führte sie in die Mitte des Saals zurück und gab dem Baron ein aufforderndes Zeichen.
Fröhlich und leichtsinnig sprang dieser zu, schlug eine Arme um die Jungfrau und riß sie gegen ihren Willen fünf oder sechs Tacte lang fort.
Aus dem Sireengebüsch drang ein dumpfes Stöhnen peinlich und schrecklich, wie der letzte Seufzer eines sterbenden Löwen; drinnen war man jedoch viel zu beschäftigt, um der Stimme des Schmerzes Aufmerksamkeit zu schenken . . .
Da Lisa sich entschieden weigerte zu tanzen und sich unwillig fortschleppen ließ, so mußte Herr von Bruinkasteel es aufgeben. Er entschuldigte sich mit artigen Worten bei dem beschämten Mädchen, und weder ihre sichtbare Betrübniß noch ihre Weigerung schienen einen Eindruck auf ihn zu machen. Der leichtfertige junge Herr amüsierte sich; wahrscheinlich sah er in Lisa Gansendonck nichts Anderes, als ein artiges unschuldiges Mädchen, mit dem er sich angenehm die Zeit vertreiben konnte. Hätte ihn ein tieferes Gefühl zu ihr gezogen, so würde ihn ihre Kälte verletzt oder betrübt haben; aber er schien selbst nicht im Mindesten das rauf zu achten. Mit leichter Verbeugung bot er Lisa den Arm, die ihn nicht ablehnen durfte, und rief den Anderen zu.
– »Kommt, wir wollen einen Spaziergang im Garten machen, bis die Lichter hier angebrannt sind. Nehmt es nicht übel, Freunde, daß ich den Cavalier von Fräulein Lisa mache.«
Alle verließen den Saal und wandten sich nach dem schattenreichsten Theile des Gartens. Viele Wege boten sich ihnen hier dar. Der Baron führte Lisa zu einer Anlage von Georginen. Adolph und dessen Gefährte schlugen sogleich einen anderen Weg ein. Mit Schrecken und Angst sah die Jungfrau, daß ihr Vater sich ebenfalls von ihr entfernte. Sie warf einen bittenden Blick auf ihn und wollte den Baron verlassen, aber Baas Gansendonck gebot ihr mit erheucheltem Zorn, ihrem Führer zu folgen, und lief dann sogleich lachend zu Adolph, als ob er etwas sehr Schöne, gethan habe. Lisa zitterte; ihr jungfräuliches Gewissen sagte ihr, daß die Unrecht thue, so allein Arm in Arm mit dem Baron durch die einsamen Alleen zu gehen. Indessen er äußerte sich nicht unziemlich, und am Ende der Allee traf sie ja ihren Vater wieder. – Würde es nicht eine grobe Unart sein, den Baron stehen zu lassen, und wie eine Bäuerin von ihm wegzulaufen? Mit diesem Gedanken folgte sie dem Junker gehorsam, gab ihm jedoch nur einsylbig und zerstreut Antwort.
Gleich nachher verschwanden Alle in den schattenreichen krummen Gängen des Gartens.
Der unglückliche Karl war wie im Fieber und litt unsägliche Marter. Mehr als zwanzig Mal hatte schon die Rachsucht, die in seinem Busen brannte, ihn angetrieben, aus seinem Versteck hervorzuspringen und den Verführer zu tödten; aber dann trat ihm wieder das Bild einer alten flehenden Mutter vor die Seele und hin und hergezogen von der aufregenden Rachsucht und dem warnenden Gefühl der kindlichen Liebe, tobten in ihm Schmerz und Verzweiflung. Eine solche Raserei hatte sich einer bemächtigt, daß ein glühender Athem ihm gleichsam das Antlitz versengte. Plötzlich hörte er, nur einige Schritte von dem Orte, wo er sich befand, die schmeichelnde Stimme des Barons. Er sah Lisa mit stillem und traurigem Gesichte an dessen Arme fortschreiten. Beide schlugen den Weg ein, der sie nach dem Sireengebüsche und von dort nach dem dunklen Baumgange führen mußte.
Nur wenige Schritte von der Stelle, wo Karl mit zurückgehaltenem Athem und in ängstlicher Erwartung ihre Bewegungen belauschte, bemerkte Lisa erst das dunkele Gebüsch, dem sie zuschritten. Sie bat den Baron mit ihr zu ihrem Vater '' und als dieser ihren Arm fester hielt und ihre Furcht verspottend sie antrieb, mit ihm durch die Allee zu gehen, begann sie wie ein Espenlaub zu zittern und wurde bleich vor Angst. Der Edelmann schien darauf nicht zu achten oder glaubte vielleicht, es sei nur erheuchelt. Kurz, er wollte sie mit scherzhafter Gewalt nach der Allee ziehen, und es glückte ihm auch einigermaßen.
– »Vater, Vater!« – rief Lisa mit schneidendem Angstschrei.
Ebenso rasch entwand sich ein anderer, noch viel schrecklicherer Schrei aus ihrer Brust . . .
Ehe sie jedoch ein Wort äußern konnte, packten zwei mächtige Hände die Schultern des Barons und schleuderten ihn drei oder vier Schritte fort in den Sand.
Wüthend richtete der Baron sich auf, riß eine Stange von einer Georgine fort und lief damit auf Karl zu, welcher ihn rachsüchtig und wahnsinnig erwartete. Es glückte dem Baron, ihm mit derselben einen solchen Hieb auf den Kopf zu versetzen, daß ihm das Blut gleich aus dem Gesichte sprang. Aber das war auch das Signal zu einem wüthenden Kampfe. Karl packte seinen Feind an den Beinen, hob ihn in die Höhe und warf ihn wie einen Stein zu Boden. Dessen ungeachtet sprang der Baron wieder auf und leistete dem jungen Manne so lange Widerstand, bis dieser ihn zu Boden warf ihm auf die Brust kniete und ihm mit seinem schweren Fäusten Haupt und Gesicht zerquetschte und blutig schlug.
Lisa war einen Augenblick schreiend stehen geblieben, bis sie das erste Blut gewahrte; dann hatte sie weinend die Flucht ergriffen und war etwas weiter hin ohnmächtig zu Boden gestürzt.
Ihr Geschrei nach Hilfe war jedoch von den anderen Gästen und selbst von der Dienerschaft vernommen worden und hatte diese mit Schrecken erfüllt. Alle kamen jetzt auf den verschiedenen Pfaden herbeigeeilt und rissen den jungen Mann von dem Körper des Barons weg.
Adolph befahl den Bedienten, den Knecht zu packen. Diese gingen ihm auch ihrer fünf oder sechs zu Leibe und hielten ihn bei den Armen, während er verwirrt und lachend betrachtete, wie er seinen Feind behandelt habe.
Baas Gansendonck war zu seiner Tochter gelaufen und riß sich verzweifelnd die Haare aus, da er sich einbildete, ein Kind sei ermordet.
Adolph und dessen Freund halfen Herrn von Bruinkasteel wieder in die Höhe; der Baron war im Gesicht und am Leibe arg zugerichtet; dennoch hatte er die Kraft, mit heftigem Zorn seinen Verdruß zu äußern, als er den Brauer dort stehen sah.
– »Schelm!« – rief er – »ich könnte Euch durch meine Knechte zu Tode peitschen lassen; aber das Schaffot soll mich an einem Meuchelmörder rächen. an sperre ihn in den Keller, und Du, Steven, laufe und hole die Gensdarmen!«
Die Knechte wollten den Jüngling fortschleppen, um des Herrn Befehl auszuführen; als dieser jedoch merkte, was man mit ihm im Sinne habe, riß er sich los warf den, der vor ihm stand, in den Sireenbusch, lief durch das Wasser und verschwand vor Aller Augen hinter einer Ecke des Tannenwaldes.
VIII.
Stille Wasser sind tief
Am Morgen des andern Tages saß Lisa in einem Nebenzimmer des heiligen Sebastian hinter den Gardinen eines Fensters. Die außerordentliche Blässe ihres Gesichts und die Röthe ihrer Augen bezeugten, daß sie vom Weinen erschöpft war.
Wie sehr Lisa auch durch den Schmerz ermattet schien, dennoch verriethen ihre Züge eine unruhige Spannung des Gemüthes und ihr krampfhaftes Zucken den Eindruck einer inneren heimlichen Erschütterung. Es war, als ob ein tiefer Schrecken oder eine ängstliche Erwartung ihr das Herz beklemmte; denn mitunter blickte sie bebend durch die Fensterscheiben und starrte mit sichtlicher Furcht auf die Straße bis irgend ein Vorbeigehender ihre Wohnung zu betrachten schien. Obwohl man sie nicht von Außen sehen konnte, zog sie doch dann den Kopf zurück. Die Schaam färbte ihre Wangen mit einem dunklen Roth. Sie schlug die Augen nieder, als ob sie die anklagenden Blicke der Leute fliehen wollte, und blieb dann lange Zeit in der größten Stille sitzen, um darauf wieder mit angestrengter Neugier und Angst auf die Straße zu schauen.
Was mochte sie erwarten? Sie wußte es selbst nicht; aber ihr Gewissen nagte wie ein Wurm an ihrem Herzen. Karls Bild schwebte ihr vor den Augen und rief ihr laut zu, daß die Schuld sei an allen Qualen, welche ein liebendes Gemüth gefoltert hatten. Ihre erschreckte Phantasie ließ sie hören, was die Dorfbewohner von ihr sagten, und sie begriff jetzt erst gänzlich, daß ihr guter Name verloren sei und Karl sie mit Recht verstoßen werde. Darum zitterte und erröthete sie vor den Blicken der Vorübergehenden; denn sie sah auf dem Gesichte derselben, daß sie über den gestrigen Vorfall sprachen, und daß Spott, Verachtung und Zorn deren Worte begleiteten. Ja, sie hatte einige Bauern die drohenden Fäuste nach dem Hause ausstrecken sehen, als wenn sie geschworen hätten, Rache zu nehmen für die Schande, welche dem ganzen Dorfe durch die Gansendoncks zugefügt worden sei.
Während Lisa im Nebenzimmer den bitteren Kelch der Schaam und Reue mit langen Zügen trank, saß Kobe eben so still und einsam in der Herberge bei dem Heerde.
Er hielt seine Pfeife in der Hand, aber rauchte nicht. Tiefes Sinnen, trübe Gedanken schienen sich seiner bemächtigt zu haben. Ein ganz anderer als der gewöhnliche Ausdruck zeigte sich auf einem Gesicht. Es war etwas Bitteres, Strafendes, ja, sogar etwas Trotziges darauf zu lesen. Seine Lippen rührten sich, als ob er spräche, und seine Augen funkelten zu Zeiten vor Zorn und Aerger.
Plötzlich glaubte er die Stimme des Baas Gansendonck zu vernehmen. Ein Lachen des Mitleids spielte um seinen Mund; ebenso schnell aber verschwand dieses Zeichen der Rührung wieder, und man sah auf einem Antlitz Nichts weiter als Aerger und Verdruß.
So wie der Baas sich der Hinterthür des Hauses näherte, hörte der Knecht ihn polternd und scheltend sich gegen Leute äußern, welche ihn verspottet haben mußten; Kobe konnte aber nicht verstehen, wer oder was den Baas so in Harnisch gebracht hatte; es schien ihm indeß jedenfalls sehr gleichgültig zu sein; denn Kobe rührte sich nicht und blieb ruhig wartend unter dem Mantel des Heerdes sitzen.
Jetzt kam der Baas plötzlich, als falle er in das Haus hinein, stampfte mit den Füßen wie ein Toller, und schlug mit seinem Stocke an die Stühle, als hätten diese ihm auch Etwas zu Leide gethan.
– »Das geht zu weit! gewiß, das geht zu weit!« – rief er – »Ein Mann wie ich! Was? sie sollen mir auf der Straße mit Fäusten drohen? mir nachrufen? mich aushöhnen? mich schelten dürfen? wie einen Schelm? einen Esel? Denke einmal, Kobe! müssen sie nicht vom Teufel besessen sein? Die schändlichen Bauern aus der Schmiede laufen mir nach und rufen: »Skandal! Skandal!« Hätte ich es nicht unterlassen, weil ich meine Hände nicht an diesem Gesindel beflecken wollte, so hätte ich ihrer drei oder vier die Köpfe entzwei geschlagen. Aber Sus soll mir für alle diese Lumpen zugleich bezahlen. Ich will ihm lehren Baas Gansendonck mit Kot bewerfen! Wir werden einmal sehen, wie ich ihm die Lust dazu vertreibe; und wenn ich die Hälfte meines Vermögens darüber verlieren sollte, er soll mir es schrecklich bezahlen. Die Gensdarmen sollen dazwischen kommen und wenn noch Jemand wagt mir ein Gesicht zu ziehen, so citiere ich das ganze Dorf vor das Gericht. Ich habe Geld genug dazu und Herr von Bruinkasteel, der ein Freund von dem Staatsprocurator ist, wird sie schon auf einige Wochen ins Loch zu bringen wissen. Dann werden die Mores lernen: dann werden sie erfahren, mit wem sie zu thun haben, die Flegel! Das Ding muß ein Ende nehmen. Da sie mich so unverschämt gehöhnt haben, so werde ich auch unbarmherzig sein und sie fühlen lassen, was Baas Gansendonck vermag! Jetzt ist es einmal geschehen, nun auch keine Gnade mehr!«
Der wüthende Baas würde wahrscheinlich noch lange in diesem Tone fortgerast und geschimpft haben, wenn ihm nicht der Athem ausgegangen wäre. Keuchend warf er sich auf einen Stuhl und betrachtete mit ärgerlicher Verwunderung den Knecht, welcher höchst gleichgültig in das Feuer blickte, als ob er Nichts gehört habe. Nur auf seinem Gesichte konnte man einige Betrübniß bemerken.
– »Was sitzest Du da wieder und faulenzest, wie Jemand, der keine drei zählen kann? Das faule Leben verdirbt Dich, Kobe! Ich weiß nicht, aber Du wirst so träge und schwabblich wie ein Schwein. Es gefällt mir nicht. Mein Knecht soll leben haben und nicht kalt bleiben, wenn ich mich ärgere.«
Kobe sah seinen Herrn mit einem schmerzlichen Blick des Mitleids an.
– »Ach! Du hast wieder Bauchschmerzen!« – rief der Baas – »Das ärgert mich nicht wenig. Oder meint Du, daß der heilige Sebastian ein Spittel ist? Du sollst keine Bauchschmerzen haben; Du mußt weniger essen, Vielfraß! Na, wirst Du nun reden oder nicht?«
– »Ich würde ganz gern reden« – antwortete Kobe – »wenn ich nicht wüßte, daß Ihr mir bei dem ersten Worte den Mund schließt, und dann nach Eurer Gewohnheit ausfallt und eine lange Litanei singt.«
– »Was nimmst Du für einen Ton an? Sage nur gerade heraus, daß ich ein Schwätzer sei; halte nicht hinter dem Berge: sie rücken ja Alle jetzt Baas Gansendonck auf den Leib. Warum wolltest Du denn nicht einen Stein werfen nach Dem, der Dir zu essen giebt!«
– »Seht Ihr wohl,« – sagte Kobe mit trübem Lächeln – »sechs Worte habe ich gesagt, und schon sitzt Ihr wieder hoch zu Pferde! Ich werde mich wohl hüten, von Euch etwas Böses zu sagen; aber das müßt Ihr mir zugeben, Baas: die Spinne müßte sehr flink sein, die vor Euern Mund ein Gewebe ziehen wollte . . . «
– »Ich bin der Herr, ich kann so lange allein reden, wie mir es gefällt.«
– »In der That, Baas! da laßt mich schweigen, und sollte ich daran ersticken!«
– »Schweigen? Nein, das will ich nicht! Du sollst reden! Ich bin doch neugierig, zu sehen, was aus solchem Dummkopf Gutes kommen kann!
– »Stille Wasser sind tief, Baas!«
– »Na, laß hören: aber sprich nicht zu lange, und vergiß besonders nicht, daß ich meinen Knecht nicht bezahle, um von ihm belehrt zu werden.«
– »Es giebt ein Sprichwort, Baas, das sagt: Der weise Mann geht bei den Thoren zu Rathe und findet dort die Wahrheit.«
– »Nun dann, so sage doch, was der Thordem weisen Manne zu rathen hat. Wenn Du so vernünftig reden willst, so will ich Dir schon ein Bisschen zuhören.«
Der Knecht drehte sich mit dem Stuhle seinem Herrn zu, und sprach mit freier und kecker Haltung:
– »Baas, es geschehen hier seit zwei Monaten Dinge, die selbst ein dummer Knecht nicht mit ansehen kann, ohne daß ihm das Blut mitunter vor Ungeduld zu kochen anfängt.«
– »Das glaube ich wohl; aber es soll nicht lange dauern, Kobe; die Gensdarmen werden nicht bezahlt, um Fliegen zu fangen.«
– »Was mich betrifft, Baas, so bin ich ein Faulpelz, ich bekenne es; aber mein Herz ist gut. Ich würde viel thun, um unser braves Lischen aus einem Unglück zu retten, wenn ich die Macht dazu hätte, und ich vergesse auch nicht, Baas, daß Ihr bei allem Euren hoffärtigen Wesen doch gut gegen mich seid.«
– »Das ist wahr, Kobe!« – sagte der Baas gerührt. – »Ich höre mit Vergnügen, daß Du dankbar gegen mich bist. Aber, wo willst Du denn eigentlich mit diesem Ernte hin?«
– »Spannt den Wagen nicht vor die Pferde, Baas! Ich werde bald genug an dem schmerzlichen Drathe ziehen.«
– »Mach's kurz, oder ich laufe zum Hause hinaus.«
– »Nun dann, so horcht mir nur einen Augenblick zu. Lisa war lange mit Karl verlobt, der ein guter Junge ist, wenn er auch eine Unvorsichtigkeit begangen hat . . . «
– »Ein guter Junge!« – schrie der Baas. – »Wie kannst Du Den einen guten Jungen nennen, der als ein Mörder den Herrn von Bruinkasteel in seinem eigenen Hause anfiel . . . «
– »Das beste Pferd strauchelt auch.«
– »So! das nennst Du straucheln? Er ist ein guter Junge? Das Wort soll Dir schlecht bekommen! Dein Weißbrot ist alle; heute noch ziehst Du ab.«
– »Na, meine Sachen sind schon gepackt, Baas!« – antwortete Kobe kalt. – »Aber ehe ich fortgehe, sollt Ihr doch hören, was mir auf dem Herzen liegt; Ihr sollt es hören, und müßte ich Euch nachlaufen auf das Feld, auf die Straße, oder in Eure Zimmer. Es ist meine Pflicht, und der einzige Dank, den ich Euch abstatten kann. Daß Ihr mich fortschicken wollt, wundert mich nicht. Wahrheit findet nirgends Herberge.«
Baas Gansendonck trippelte vor Ungeduld mit den Füßen; doch sagte er nichts mehr; der Ernst und unerschrockene Ton eines Knechtes verwirrte und beherrschte ihn.
– »Unsere Lisa«, – fuhr Kobe fort – »würde mit Karl glücklich gewesen sein; aber Ihr, Baas, habt den Fuchs zu Euren Gänsen gebracht, einen leichtsinnigen Junker in Euer Haus gelockt, ihn angespornt, Eurem Kinde verderbliches Geschwätz in die Ohren zu blasen, ihr von erheuchelter Liebe vorzuschwatzen und Lieder mit ihr zu singen, welche aller Ehrbarkeit entschieden widersprechen . . . «
– »Das ist nicht wahr!« – murmelte der Baas.—
– »Ihr habt gewollt, daß er Französisch mit Eurer Tochter spräche! Könnet Ihr wissen, was er sagte, da Ihr kein Wort Französisch versteht?«
– »Und Du Lump, verstehst Du es denn so gut, daß Du so keck darüber urtheilen darfst?«
– »Ich verstehe genug davon, Baas, um zu begreifen, daß der Teufel der Begierde und des Spottes dabei im Spiele war. Was sind nun die Folgen Eurer Unvorsichtigkeit gewesen? Soll ich es Euch sagen? Die Ehre Eurer Tochter ward geschändet, wenn auch nicht in der That, doch hinreichend in den Gedanken der Leute, so daß sie nie in ihrer ganzen Reinheit wieder hergestellt werden kann; Karl, der Einzige, der sie aufrichtig liebte und glücklich machen würde, stirbt vor Schmerz und Verzweiflung; seine Mutter ist bettlägerig geworden aus Gram über die Leiden ihres einzigen Sohnes. Ihr, Baas, Ihr werdet von Jedermann gehaßt und verachtet. Man sagt, Ihr wäret Schuld an Karl's Tode, an Eurer Tochter Schande und an Eurem eigenen Unglücke.«
– »Ja, wenn man den Hund gern todt haben will, so schreit man, er sei rasend geworden; aber was geht denn das sie an,« schrie der Baas in seinem Zorne. – »Das geht sie gar Nichts an; ich thue was ich will; und Du, Unverschämter, Du sollst auch wissen, warum Du Deine Nase in Dinge steckt die Dir Nichts angehen:«
– »Es ist mir ganz gleichgültig, ob Euch meine Worte gefallen, oder nicht; es sind doch die letzten, die ich im heiligen Sebastian sprechen werde.«
Es schien, daß Baas Gansendonck trotz einer Drohungen außerordentlich viel von seinem Knechte hielt und nicht gern den Abzug desselben gesehen haben würde; denn so wie dieser ihm mit großer Ruhe ankündigte, daß er Willens sei, einen Dienst zu verlassen, legte sich plötzlich der Aerger des Baas, und er lieh ihm bereitwillig sein Ohr. Kobe fuhr daher fort:
– »Was soll nun daraus werden? Soll man hiermit dem Sprichworte sagen: der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht? Nein! die Keuschheit Eurer Tochter muß dieselbe vor größerer Schande bewahren. Der Baron wird Lisas Gesellschaft de werden und anderen Zeitvertreib suchen; Lisa wird sitzen bleiben und von jedem rechtlich Denkenden gemieden werden; die Leute werden Euch verspotten und sich an Eurer Beschämung freuen . . . «
– »Aber, Kobe! wer kann es denn Jedermann recht machen? Wer an der Straße baut, hat viele Tadler. Ich begreife Deine Dummheit nicht; oder weißt Du nicht, was stattfinden wird? Der Baron wird Lisa heirathen; daran ist gar nicht zu zweifeln; das kann ja ein Kind sehen; und dann werden die bösen Zungen im Dorf, und Du obendrein stehen und gaffen und die Augen aufsperren wie ein Haufe Eulen im Sonnenschein. Ja, wenn ich dessen nicht so ganz gewiß war, so hätten die Leute Recht gehabt, obwohl sich auch Niemand darum zu bemühen suchte, denn ich bin Herr in meinem Hause.«
– »So! der Baron verheirathet sich mit Lisa! dann ist Alles vortrefflich, und Ihr könnt Euch eine schöne Feder auf den Hut stecken, Baas! Aber meinen und müssen fängt mit demselben Buchstaben an. Wollt Ihr mir eine Frage erlauben, Baas?«
– »Nun?«
– »Hat denn der Baron schon mit Euch von der Heirath gesprochen?«
– »Das ist nicht nöthig!«
– »So? Da habt Ihr ihn wohl um eine Absichten befragt?«
– »Das ist auch nicht nöthig?«
– »Hat der Baron denn mit Lisa davon gesprochen?«
– »Was das für kindische Fragen sind, Kobe! Er wird wohl Lisa um ihre Einwilligung zu bitten brauchen, wenn er weiß, daß ich allein der Herr bin, der hier zu entscheiden hat! Das geht nicht so!«
– »Nein! Aber der Baron hat über Euch und Eure Tochter einen Spott getrieben, als der Doctor ihn auf dem Kirchhofe in Gegenwart von mehr als zehn Menschen ragte, ob er sich wirklich mit Lisa verheirathen wolle!«
– »Was sagst Du? Der Herr von Bruinkasteel hätte über mich gespottet?«
– »Er hat den Doctor gefragt, ob er glaube, daß er als Baron sich mit einer Tochter aus einer Bauernwirthschaft verheirathen könnte; und als man ihm sagte, Ihr hättet schon mit dem Notar über den Heirathscontract gesprochen, hat er gerufen: »Die Tochter ist ein braves Mädchen, aber der Vater ein eingebildeter Narr, den man schon längst hätte nach Gheel2 bringen sollen.«
Als er dies vernahm, sprang der Baas plötzlich so wüthend in die Höhe, als ob ihn Jemand unversehens auf den Fuß getreten hätte.
– »Was sagst Du da?« – rief er drohend – »Ich nach Gheel gebracht werden? Was fällt Dir ein? Hast Du ganz den Verstand verloren, Du Flegel? Das ist doch wirklich wahr: Ein toller Hund beißt auch seinen eigenen Herrn.«
– »Ich wiederhole Euch, was zehn Menschen bezeugen werden gehört zu haben. Wollt Ihr es nicht glauben, Baas, so steht es Euch frei. Was hilft . . . «
– »Ja, sagt es nur gerade heraus: Was hilft eine Brille, wenn die Eule nicht sehen will! Ich begreife noch nicht, wie es möglich ist, daß ich Dich nicht aus der Thür werfe.«
– »Was hilft das Licht Dem, der die Augen zukneipt!« – fuhr Kobe fort. – »Der Baron hat ganz andere Bemerkungen über Eure Einbildung gemacht.«
– »Nein, nein! Was Du mir da erzählen willst, ist nicht wahr, kann nicht wahr sein. Du schenkt den Lästerungen neidischer Leute Glauben, die vor Gift bersten, weil ich mehr Geld habe als sie, und weil sie wohl vorhersehen, daß Lisa gnädige Frau werden wird, allen Denen, die es ihr nicht gönnen, zum Aerger.«
– »Wenn der Blinde träumt, daß er sieht, dann sieht er, was er gern sieht,« – seufzte Kobe. – »Für Eure Wunde giebt es keine Salbe, Baas; darum kann ich Euch auch nicht helfen; und ich sage mit dem Sprichworte: Jeder kocht, wie r es essen will! Macht es nach Eurem Geschmack und heirathet morgen.«
– »Es sind Erfindungen von boshaften Neidhämmeln, weiter Nichts.«
– »Der Doctor beneidet Euch nicht, Baas; er ist ein ruhiger, vorsichtiger Mann, vielleicht der Einzige im ganzen Dorf, der Euer Freund geblieben ist. r selbst trieb mich an, Euch wider Eurem Willen die Augen zu öffnen, welchen Gefahren Ihr Euch aussetzt.«
– »Aber der Doctor hat sich getäuscht, Kobe; man hat ihm allerlei Lügen weiß gemacht. Es kann nicht anders sein, sage ich Dir. Das würde eine schöne Geschichte werden, wenn der Baron sich nicht mit Lisa verheirathen wollte.«
– »Ungelegte Eier, unsichere Küchlein, Baas!«
– »Ich bin davon eben so überzeugt, wie von meines Vaters Namen.«
– »Ihr sitzt noch nicht im Sattel und reitet schon. Ich sage Euch, Baas, der Baron verspottet Euch und lacht Euch aus und hat Euch als einen Dummkopf um Besten. Ich sage Euch, Ihr seid blind! Ich beklage Euch und Lisa. Ich ehe morgen früh von hier weg, um das Ende der traurigen Geschichte nicht mit anzusehen; und wollt Ihr die Ohren aufmachen, Baas, so will ich Euch z Lebewohl einen Rathgeben, einen guten goldenen Rath.«
– »Zum Lebewohl? Das wollen wir sehen. Laß Deinen köstlichen Rath hören.«
– »Seht, Baas! Wer gern glaubt, der wird bald betrogen. Wäre ich an Eurer Stelle, so müßte ich heute noch wissen, woran ich bin. Da ginge ich nach dem Jagdhof und fragte geradezu den Herrn von Bruinkasteel, wie er es eigentlich mit Lisa meint. Schöne Worte und widrige Redensarten sollten mich nicht irre führen. Jeden Satz würde ich mit der Frage schließen: Heirathet Ihr oder heirathet Ihr nicht? Ich würde ihn zwingen, mit mir Karten auf dem Tische zu spielen und mir ein für alle Mal eine deutliche und entscheidende Antwort zu geben. Weigert er sich, was sehr wahrscheinlich ist, so würde ich ihn hindern, je wieder ein Wort an Lisa zu richten, dagegen aber die Dinge wieder in das alt Gleis bringen, mich bei Karl entschuldigen, ihn zurückrufen und seine Verheirathung mit Lisa beschleunigen. Das ist das einzige Mittel, das Euch bleib um großes Leid und große Schande zu verhüten.«