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Kitabı oku: «Die Dorf-Plage», sayfa 2

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Der Jüngling antwortete nicht. Aber wie von der Angst seines Herzens gejagt oder von stillem Aerger getrieben, beschleunigte er seine Schritte. Schweigsam rang er die Arme längs seines Körpers oder schüttelte die Glieder unter heftigen Zuckungen.

Der Vater blickte mit innigem Mitleid auf seinen Sohn. Nach einer Weile sagte er traurig:

– »Lukas, glaube nicht, daß es mir nicht schwer ankommt, dir dieses Leid anzuthun, aber ich darf meine väterlichen Pflichten nicht versäumen. Sei gewiß, ich gäbe die Hälfte unserer Güter, um deinen Wunsch zu befriedigen; denn dein Wunsch ist ja auch der meinige und der deiner Mutter, aber es kann einmal nicht sein.«

Diese letzte Aeußerung traf den Jüngling wie ein unabwendbares Urtheil; ein dumpfer Ausruf entfuhr seinem Munde, indem er mit der Hand in die Brust fuhr und die Finger verzweiflungsvoll bewegte, als wäre er beschäftigt, sich die Brust aufzukratzen. Doch verhielt er sich schweigend.

Auch der Alte wandelte sprachlos fort. Nach einer Weile – lenkte er das Gesicht von seinem Sohne ab, brachte die Hand an die Stirne und versank in tiefes Nachdenken, wie er seinem armen Lukas Muth und Trost einflößen könne.

Inzwischen waren sie in die Nähe ihrer Wohnung angelangt; – am Ende einer Baumallee, die in dem hohen Tannenwald angelegt war, konnten sie schon die ersten Häuser des Dorfes erblicken.

Plötzlich richtete der Alte den Kopf in die Höhe und sagte mit fröhlichem Ausrufe:

– »Nun, Lukas, hab’ ich’s gefunden!«

Der Jüngling blieb stehen und lauschte in ängstlicher Spannung seinem Vater das bedeutungsvolle Wort ab.

– »Nein, nicht so hastig, Lukas,« sagte dieser, seine eigene Freude bezwingend. »Es ist ein Gedanke, über den ich doch noch eine Nacht schlafen sollte.«

– »Um Gottes Willen, Vater, sprecht, sprecht, was, habt ihr ausgefunden?« bat der tiefbewegte Jüngling.

Der Alte nahm seinen Sohn bei der Hand und sprach mit zurückgehaltener Freude:

– »Lukas, wie wär’s, wenn ich dem Jan Staers den Vorschlag machte, seinen Pacht zu übernehmen, so daß er mit mir und deiner—Mutter auf dem steinernen Hofe wohnen bliebe. So alt ich auch bin, will ich den Leuten zeigen, daß das Grundstück mit einigem Schweiße reichlich den Pachtzins eintragen kann. Mir wird das wüste Treiben Jan’s nicht zum Schaden gereichen; das lange Arbeiten hat meinen Leib mit einer harten Rinde umhüllt. Auf diese Weise könntest du mit Clara auf unserem Hofe hausen und wir würden uns gegenseitig noch tägliche Handreichung leisten können. Du hättest dann auch Frieden im Hause und deine Frau und Kinder, wenn deren kommen, würden durch des unglücklichen Trunkenboldes Gegenwart nicht belästigt werden . . . Wenn die Nacht mir keinen anderen Rath bringt, werde ich morgen mit Jan Staers darüber sprechen.«

Lukas ließ seinen Korb zur Erde gleiten, legte den Arm um seines Vaters Hals und fing, von seinen Empfindungen übewältigt, an seines Vaters Brust zu weinen an.

– »Gott im Himmel lohn’ es euch, Vater,« flüsterte er schluchzend; »nie werde ich diese Güte vergessen, euch Zeitlebens ehren und lieben. Es schwindelt mir im Kopfe, so überglücklich fühle ich mich. Also wirklich, Clara, das sanfte, stille Mädchen, soll . . . «

– »Sieh, dort geht sie ja, deine Clara!« sagte der Vater.

In der That, seitwärts zwischen den Tannenbäumen, einige Schritte vor ihnen, nahte ein Mädchen, die mit niedergeschlagenen Augen zerstreut und langsam daher schritt.

Der Jüngling hatte sich schnell vom Halse seines Vaters losgemacht und wollte eben jubelnd dem theuren Wesen entgegenlaufen, als der Greis ihn zurückhielt mit der strengen Mahnung:

– »Lukas, laß kein Wort davon bei Clara verlauten, hörst du? Ich muß vorerst noch die Nacht zu Rathe ziehen und im Klaren darüber sein, wie sich der Vater dazu versteht.«

Lukas versprach durch Kopfnicken, ihr die frohe Nachricht verschweigen zu wollen, und lief in vollem Sprunge auf seine Geliebte zu. Der gute Junge kannte sich nicht mehr vor Entzücken; er warf seine Mütze in die Luft, tanzte und jodelte wie ein Kind – aber warum er so guten Muthes war, das ließ er behutsamer Weise nicht merken.

Er nahm das Mädchen bei der Hand und zog es nach der Stelle, wo sein Vater ihn ernsten Blickes überwachte.

– »Ach, Clara«, rief der überselige Junge, »dürfte ich dir nur sagen, was mich so fröhlich macht. Der Vater aber will’s nicht haben; morgen, morgen! sagt er, sei’s Zeit genug. Einstweilen kannst du immerhin lachen, Clara, singen und guter Dinge sein . . . Ich selber ersticke fast vor Ungeduld, dir die Nachricht mitzutheilen; aber ich möchte wohl fünf Franken wetten – freilich hab’ ich sie nicht – daß du sie von selbst errathest; ach sie ist gar so herrlich; dürfte ich nur damit losplatzen . . . «

Der Alte war einige Schritte vorwärts gegangen und fühlte mit den noch starken Fingern seinem Sohne den Puls:

– »Lukas, Lukas« murrte er, »das ist nicht recht von dir!«

Von dem etwas unsanften Händedruck und dem Ernste der Anrede, wie aus einem Traume herausgerissen, senkte Lukas beschämt den Kopf; doch hob er ihn sogleich wieder mit freundlichem Lächeln:

– »Es war Zeit, Vater,« sprach er leise; »ich kann nichts dazu, aber es wollte mir schon über die Lippen.«

Das Mädchen schaute Beide verwundert an und schien neugierig zu forschen, was sie wohl für ein Geheimniß vor ihr zu verbergen haben möchten.

Sie war schön von Gesicht und schlank von Gestalt; aber es lag etwas überaus Ernstes und Wehmüthiges in dem schmachtenden Blick ihrer schwarzen Augen. Wenn auch ihre gebräunten Wangen nicht sonderliche Fülle verriethen, so hatte die Arbeit dennoch ihre Glieder fest und stark gemacht. Sie trug den Kopf aufrecht und um ihren feingeschnittenen Mund spielte ein Zug, den man leicht mit Hochmuth hätte deuten können, wäre nicht Jedermann im Dorfe bekannt gewesen, daß es kaum ein bescheideneres und sanfteres Mädchen geben könne, als Clara. Jene zwei kleinen Falten rührten vielmehr von ihrem nachdenklichen Wesen, von dem Bewußtsein ihres traurigen und jeder freundlicheren Aussicht entbehrenden Schicksals.

Wenn auch ihre Kleider durch die Jahre ihre ursprüngliche Farbe verloren hatten und hie und da eine allzusichtbare Naht von der Mühe Zeugniß ablegte, womit man ihre Erhaltung pflegte, so waren sie doch rein und so gefällig geordnet, daß das Mädchen fast noch reicher gekleidet schien, als die übrigen Bauerntöchter des Dorfes.

Nachdem sie den Alten freundlich gegrüßt hatte, nahm dieser den Korb auf die Achseln, stellte sich zwischen die zwei jungen Leute und so setzten sie ihren Weg nach dem Dorfe fort.

Lukas fing an vom schönen Wetter zu sprechen, von der bevorstehenden Wallfahrt, von der Kirmeß auf dem Kreuzberg und von allerlei lustigen Dingen; streute wohl auch einige zweideutige Worte mitunter, die seinen Vater zuweilen veranlaßten, ihn unvermerkt mit dem Fuße an das gegebene Verbot zu erinnern.

Clara indeß schien von dem munteren Geplauder unberührt; sie schritt mit trauriger Miene und sprachlos ihren Weg fort.

Sie waren etwa noch drei Schußweiten von den ersten Häusern des Dorfes entfernt, als Lukas eine Frage an Clara richtete und sie dadurch nöthigte, ihm ihr Gesicht zuzuwenden.

»Clara, du weinst?« rief er, indem er plötzlich von seines Vaters Seite weichend, vor sie hin sprang.

– »Fasse dich, Liebe, es wird bald besser werden . . . du sollst noch glückliche Tage genießen . . . der morgende Tag . . . «

– Ein Blick seines Vaters schnitt ihm die Rede ab.

– »Aber sage mir doch, Clara, warum weinst du so bitterlich?« fragte er mit schmerzlicher Rührung, indem ihm selber eine Thräne im Auge perlte, die er heimlich mit dem Finger abwischte.

– »Ach, guter Freund,« seufzte Clara, »ich habe gar so viel Verdruß; ja, es bricht mir das Herz im Leibe zusammen. Seit diesem Morgen irre ich in den Wäldern herum und beweine mein bitteres Loos. Nach Hause mochte ich nicht kehren, es wäre mir dort gar zu verödet und sterbenseinsam vorgekommen.«

– »Himmel, hat sich denn ein Unglück zugetragen?« schrie Lukas. »Hat dein Vater . . . «

– »Mein Vater ist nach der Stadt,« antwortete die Jungfrau.

– »Du machst mir Angst, Clara; sprich doch, weshalb diese Thränen?«

– Mit erhöhter Traurigkeit erzählte nun das Mädchen:

– »Ihr kennt doch, Vater Torfs, unsere Kuh – es war die letzte, die uns noch übrig blieb – Lukas nannte sie nur »das weiße Mütterchen« ich hatte sie selber aufgezogen und versorgt; sie war meine einzige Gesellschaft, das einzige Geschöpf auf Erden, dem ich von den Dingen erzählen konnte, die mich mit Schmerz erfüllen. Denn sie hatte Verstand, wie ein Mensch, und sah mir an den Augen ab, was ich ihr sagen wollte. Wenn ich so klagend und mit dem Kopf an ihren Hals gelehnt, Thränen vergoß, da leckte mir das theure Thier sanft die Hände, um mich zu trösten. Mit vollem Recht nanntest du sie die weiße Mutter, Lukas; hat sie uns doch lange Zeit redlich genährt und wenn Alles mangelte, mir meine Nahrung gereicht. Ja ohne sie und ohne . . . ohne dich, Lukas, würde ich längst schon unter dem Grase ruhen. Nie hätte ich mir eingebildet, daß ein Mensch für ein Thier solche Liebe gewinnen könne, aber hätte ich eine Schwester und sie würde mir von der Seite gerissen, ich glaube kaum, daß mich ihr Verlust so tief schmerzen würde. Ich werde gewiß noch krank davon. Das arme, gute Thier!«

– »Nun, ist die Kuh gestorben?« fragte Vater Torfs.

– »Oh, viel schlimmer als das,« seufzte Clara, »diesen Morgen hat sie der Vater an unsern Nachbar, den Metzger Thomas, verkauft . . . «

Unter reichlichem Thränenguß fügte sie hinzu:

– »Und ich habe selber ihr weißes Fell, mit Blut befleckt, an seiner Thüre hängen sehen . . . ja sterben möchte ich vor bitterem Leid.«

– Dem alten Vater fingen gleichfalls die Augen an feucht zu werden und Lukas schluchzte laut . . . Alle drei weinten über den Tod einer Kuh! – Wunderbares Gefühl der Dankbarkeit, die sich der erhaltenen Wohlthaten lebendig erinnert, selbst wenn diese Wohlthaten von einem vernunftlosen Thiere herrührten!

Bald jedoch schlug des Vaters Traurigkeit in Entrüstung um; er stampfte zornig mit den Füßen und murmelte einige bissige Worte hinzu, aus welchen sich deutlich genug seine Erbitterung gegen Clara’s Vater zu erkennen gab.

– »Und wie kam denn euer Vater dazu, die Kuh zu verkaufen?« rief er. »Ohne Zweifel abermals um . . . «

– »Um seinen rückständigen Pachtzins zu bezahlen!« antwortete das Mädchen.«

– »Er ist also in die Stadt, um seinen Zins zu bezahlen!« rief Lukas mit freudiger Ueberraschung.

– »Beschuldigt meinen armen Vater nicht,« bat Clara; – »ihr könnt es freilich nicht wissen, aber er ist recht unglücklich. Habt lieber Mitleiden mit ihm und betet zu Gott, daß er sich seiner erbarme!«

Aufs Neue benetzten sich die Augen des alten Mannes; die letzten Worte der Jungfrau, die mit so inniger Herzlichkeit gesprochen waren, hatten ihn tief gerührt. Er schaute sie gedankenvoll und mit warmer Theilnahme an, als wäre er im Begriffe,ihr eine wichtige Mittheilung zu machen.

Der Jüngling ergründete leicht, was in seines Vaters Gemüth vorging und mit ausgestreckten Händen schien er von ihm eine günstige Beschlußnahme zu erbitten.

Der Greis faßte bewegt das Mädchen bei der Hand und indem er eilig an ihrer Seite nach dem Dorfe zuwanderte, sprach er zu ihr:

– »Clara, ihr seid mir werth und theuer; denn ich habe euch als ein braves Kind erkannt. Seid getrost bei eurem Kummer, Gott im Himmel sucht auch die tugendhaften Menschen heim, aber doch belohnt er am Ende das Beharren auf dem Wege des Guten und die Geduld im Leiden. Kommt nun mit uns, wir wollen zusammen eine Schale Kaffee trinken und mit der guten Mutter von heiteren Dingen plaudern. Habt guten Muth; was euch auch zustoßen mag, ihr sollt stets in uns treue Freunde finden.«

– »So sagt es ihr doch, Vater!« bat der Jüngling; »sagt es ihr! Und mit einmal wird der Verdruß der Freude Platz machen.«

– »Ich werde der Clara erst zu Hause erzählen, was sie wissen darf,« antwortete strenge der Vater. »Wenn du nicht gehorchen willst und heute nicht schweigen kannst, so werde ich zur Strafe von meinem Vorhaben ganz abstehen.«

Sie lenkten in diesem Augenblick um eine Ecke und standen endlich vor der bescheidenen Wohnung des alten Torfs.

Clara deutete mit dem Finger nach dem Haus des Metzgers, vor dessen Thüre man wirklich die blutige Haut eines frisch geschlachteten Thieres hängen sehen konnte.

– »Armes Mütterchen!« schluchzte sie. »Seht dort ihre weißgefleckte Haut mit Blut bespritzt!«

Aber Lukas griff sie beim Arm und schob sie hinter seinem Vater ins Haus hinein.

II

Des andern Tages saß Clara in einem Zimmer des Erdgeschosses des steinernen Hofes, beschäftigt, an einem Kleide ihres Vaters einige Risse auszubessern.

Eine vollkommene Stille herrschte um sie herum, nicht der leiseste Ton war weder draußen noch drinnen vernehmlich. Selbst der Pendel der Schlaguhr ruhte, und schon lange mußte das Räderwerk ins Stocken gerathen sein, denn die beiden Zeiger waren durch ihre eigene Schwere auf die Ziffer Sechs herabgefallen.

– Das Zimmer war nur dürftig mit Hausrath versehen und das, was noch übrig geblieben, bewies zur Genüge, daß Nachlässigkeit und Armuth die Einwohner verhindert habe, das Zerschlitzte oder zerbrochene wieder in Stand zu setzen oder neu anzuschaffen. So standen in der fernen Ecke zwei Stühle, an denen die Binsen sich losgemacht hatten und wie Stacheln eines Igels in die Höhe ragten; daneben zwei andere, denen eine oder zwei Sprossen abgebrochen waren. Ja selbst das Tischblatt und die Ecken des großen Kleiderkastens trugen Spuren gewaltsamer Beschädigung; denn es fehlten Stücke daran, die nur mit Anstrengung von Kräften konnten abgerissen worden sein.

Auf dein Gesimse, auf dem sonst unsere Bauern ihre schönsten Teller und Geräthschaften zur Schau stellen, standen noch zwei oder drei zinnerne Schüsseln, deren verdrehte Ränder ebenfalls von Gewaltthätigkeit zeugten; das übrige Tischgeräthe war ganz zu Scherben zerschlagen; Teller mit lückenhaften Rändern, Schalen, denen der Fuß oder die Handhabe fehlte, Löffel mit verkürztem Stiele, Gabeln mit ausgebrochenen Spitzen . . .

Dessen ungeachtet hatte Alles in diesem Zimmer ein reines und ordentliches Aussehen. Die zinnernen Schüsseln blinkten wie Silber und kein Stäubchen trübte den, Glanz der blankgeputzten Teller; das Holz der Stühle war rein gefegt und auf dem mit rothen Backsteinen ausgelegten Boden – der wohl an einigen Stellen schadhaft war – hatte man halbweißen Sand in artigen Ringellinien gestreut.

Alles bekundete hier das Walten eines Wesens, das sich angelegen sein ließ, so viel als möglich die Spuren der einbrechenden Armuth zu verwischen.

Clara arbeitete ruhig fort, obgleich die vielfachen Gemüthsbewegungen, von denen sie hin und hergezogen war, auf ihrem Gesichte sich abspiegelten. Ein Lächeln fröhlicher Unruhe spielte um« ihren Mund, ihre schwarzen Augen leuchteten mit sanftem Feuer, ihre Brust wogte in schnelleren Wallungen; ja es bewegten sich ihre Lippen, als spräche sie Worte der Ermunterung zu sich selber. – Von Zeit zu Zeit schaute sie nach einer kleinen Thür und horchte, ob sich noch nichts in dieser Richtung hören ließe.

Nachdem sie so lange ununterbrochen fortgenäht hatte, hob sie den Kopf und murmelte gedankenvoll vor sich hin:

– »Was wird der Vater für eine Freude haben! Denn ich weiß ja nun, was ihn seit langer Zeit so unglücklich und trübsinnig macht. Aus seinem Hofe sollte er vertrieben werden! Diese Schmach nagte ihm an der Seele und diesen herben Verdruß zu ersticken, geschah es, daß er . . . so verzweiflungsvoll herum schwärmte, vom Morgen bis tief in die Nacht. Jetzt aber, wird Pächter Torfs uns beistehen, uns retten der gute Mann verspricht, meinem Vater aus seiner Armuth heraushelfen und ihm ein stilles, ruhiges Leben verschaffen zu wollen. Gott gebe, daß dem also geschehe! vielleicht wird er noch so von der traurigen Plage, die auf ihm lastet, geheilt werden können . . . Aber was mochte doch Lukas mit seinen sonderbaren Geberden und Anspielungen gestern im Sinne haben; ich werde nicht klug daraus. Jedenfalls muß es gar heiterer Natur sein; denn er kehrte und drehte sich unruhig auf seinem Stuhl, und sprang auf, als wollte er mir etwas sagen, setzte sich wieder und schaute mir dann tief in die Augen . . . Ich vergehe vor Neugierde, was das Alles zu bedeuten habe.«

Heiteren Blickes neigte das Mädchen den Kopf und dachte dem Sinne des von Lukas zurückgehaltenen Geheimnisses weiter nach. Bald wurde sie wieder ernst, und die anfänglichen Gedanken wieder aufnehmend, sagte sie:

– »Wenn aber nur der Vater vernünftig ist! Er hat gestern einen Theil seines rückständigen Pachtzinses bezahlt; dies wird ihm das Herz erleichtert haben und er wird wohl heute mit fröhlicher Laune aufstehen. So wird er doch freundschaftlich mit Vater Torfs sich besprechen und so wird es sich fügen, daß mein armes weißes Mütterchen noch in seinem Tode zu unserer Wohlfahrt behilflich geworden ist. Aber der Vater bleibt doch gar zu lang im Bette. Schon acht Uhr! Freilich, es war wieder recht spät, als er nach Hause kam. Vielleicht ist er krank? Ach, wenn er gerade heute Kopfweh haben sollte und verstört wäre. Dürfte ich doch in seine Kammer—treten; – aber nein, er würde böse werden. – Und Pächter Torfs kann jeden Augenblick kommen . . . Ich weiß nicht, aber es überkommt mich eine Angst. Der Vater kann den alten Torfs nicht wohl leiden; wenn er ihn also mir Scheltworten empfinge oder gar mißhandelte?«

– » Sie richtete die Augen gen Himmel und bewegte die Lippen zu einem stillen aber inbrünstigen Gebet.

In demselben Augenblick zeigte sich der Kopf eines Mannes an einem der Fenster, die nach der Straße zu gingen.

Es war Lukas, der mit gestrecktem Halse und fröhlichem Gesichte von außen ins Zimmer herein guckte.

Sobald er aber das Mädchen ansichtig geworden, das mit gefalteten Händen zum Himmel blickte, verschwand plötzlich der lachende Ausdruck seines Gesichtes und er blieb betroffen und mit stiller Bewunderung, die betende Jungfrau betrachtend, stehen.

– Wie zauberisch mußte ihre Gestalt jetzt auf ihn wirken, da sie, in bewußtloser Erhebung zu Gott, den feuchten Blick gen Himmel richtete; da der Glanz einer brünstigen Andacht und das milde Lächeln inniger Hingabe ihr feines, sanftes Gesicht umstrahlte!

– Lange noch wäre der Jüngling, in dieser Betrachtung versunken, am Fenster stehen geblieben; aber das Gebet des Mädchens war zu Ende und sie hatte den Kopf wieder geneigt, um ihren Gedanken aufs Neue nachzuhängen.

Lukas verschwand vom Fenster und einen Augenblick darauf wurde Clara von einem leichten Klopfen an der Hinterthüre überrascht. Sie wandte sich um und bemerkte ihren Freund Lukas, der sie durch Zeichen bat, doch ja kein Geräusch zu machen.

Sie ging auf ihn zu und er fragte sie mit leiser Stimme:

– »Clara, ist dein Vater schon auf?«

– »Nein, er schläft noch?« antwortete sie.

– »Du hast ihn wirklich noch nicht gehört?«

– »Nein.«

– »Mein Vater hat mich hergeschickt, um zu sehen, ob er ihn sprechen könne.«

Er faßte das Mädchen bei der Hand und indem er sie freundlich nach der Ecke bei der Thüre zog, lispelte er zu ihr:

– »Clara, du glaubst wohl errathen zu haben, was mein Vater dem deinigen vortragen will? Aber, nichts weißt du und das Schönste, das Allerschönste hast du doch noch nicht herausgewittert!«

– »Ach guter Lukas«, bat das Mädchen mit leuchtendem Auge, »so sag’ es mir doch. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugethan, und stets nur an dein Geheimniß gedacht, und dennoch bin ich damit noch nicht ins Reine gekommen.«

– »Und wenn du es gar gewußt hättest, Clara, würdest du noch viel weniger geschlafen haben. Auch ich habe eine schlaflose Nacht zugebracht – gerade weil ich es wußte. Es ist aber auch etwas, etwas so . . . , ach ich kann’s nicht sagen, etwas so Herrliches, daß man vor Wonne zehn Fuß in die Höhe springen möchte. Auch habe ich diesen Vormittag mehr Sprünge gemacht als an einem ganzen Kirmeßtag.«

– Clara sah ihn sehnsüchtig an und schien ihm die Worte aus dem Munde reißen zu wollen. Da veränderte Her plötzlich, Ton und Sprache:

»Mädchen, Mädchen, du möchtest es wohl gerne wissen, nicht wahr? ich glaub’s dir wohl und könntest du’s nur zur Hälfte errathen, mit Gewalt würdest du mich zum Reden zwingen: aber es darf nicht sein. Der Vater hat es verboten . . . «

»Du willst mir’s also nicht sagen?« fragte die Jungfrau mit einem Anfluge drohender Ungeduld.

– »Werde nicht böse, Clara; ich darf nicht. Denn sonst . . . Glaube mir, es läßt mir selber keine Ruhe, und mich zu erleichtern habe ich gestern Abend und diesen Morgen, sobald ich allein war, mehr als zwanzigmal es dir, als ob du gegenwärtig wärest, mit lauter Stimme verkündigt – aber dir, in leibhaftiger Gestalt, wie du jetzt vor mir stehst, dürfte ich es nicht heraussagen. Ach wüßtest du’s nur einmal, wie würdest du lachen und fröhlich sein!«

– »Geh nur deines Weges!« murmelte Clara, indem sie sich von ihm wegwandte; »bist, scheint’s, doch nur gekommen, mich zu plagen. Uebrigens, mein Vater kann jeden Augenblick aufstehen und er würde bös werden, wenn er dich hier überraschte.«

– »Warum? es hat mich ja mein Vater hergeschickt . . . und übrigens, sobald ich was höre, bin ich wie der Pfeil aus dem Zimmer.«

– »Thut nichts; ich bin verstimmt; wärst lieber weggeblieben!«

– »Komm her, Clara,« sprach der Jüngling, »ich will dir nun am Ende doch etwas davon sagen . . . ich kann’s nicht mehr länger verschließen, sonst ersticke ich daran. Aber wirst du wohl schweigen? deinen Vater nichts davon merken lassen?«

– »Sei unbesorgt; Mädchen verstehen sich besser auf’s Schweigen als Buben,« antwortete Clara, indem sie wieder näher herzutrat.

– »So? das sagst du wohl, damit ich selber schweigen möge? . . . Nun, schon wieder so ein griesgrämisch Gesicht? da kann ich unmöglich etwas Lustiges vorbringen.«

– »Nun, wirst du bald heraustreten mit der Sprache, Menschenplager, der du bist?«

– »Ja, ja, warte nur noch ein Bisschen.«

Er schlug die Augen zur Erde und schien zu überlegen.

– »Hast du’s am Ende gar vergessen?« scherzte Clara mit Ungeduld.

»Vergessen? solche Dinge vergessen? das fehlte noch,« sprach – Lukas verlegen; »aber sieh, man mag mich, ich weiß nicht wie heißen, wenn ich im Stande bin es von mir zu geben. Ich hatte bis jetzt noch nicht daran gedacht; aber es hat wirklich seine Schwierigkeit, dergleichen Dinge so gerade heraus . . . – einem jungen Mädchen in's Gesicht zu sagen . . . Clara, ich bin verschämt.«

– »Wie kindisch du bist, Lukas. Es ist ja nur Schönes und Erfreuliches, was du mir zu sagen hast; wie kannst du dich denn scheuen, es auszusprechen?«

– »Ja, du hast gut reden! Du würdest an meiner Stelle nicht minder verlegen sein.«

– »Sieh, Lukas, wenn du nicht bald anfängst, so lauf ich davon!«

– »Nun so horche; aber sei nicht toll in deiner Freude, Clara; und besonders hüte dich, sie nicht in allzu lauter Weise zu äußern. – Mein Vater kommt hierher, um dem deinigen einen Vorschlag zu thun.«

– »Das weiß ich schon seit gestern.

– »Ja, aber noch einen andern Vorschlag . . . Wie pack’ ich’s an? . . . Nicht wahr, Clara, du kannst mich doch noch immer wohl leiden?«

– »Aber wozu alle diese Fragen?«

– »Und wenn du unter den Burschen des Dorfes einen zu wählen hättest, wen würdest du nehmen?«

– »Ich glaube, du bist von Sinnen!« murrte Clara verdrießlich vor Ungeduld.

– »Nun will ich es dir gleich mit einem Male heraussagen . . . Mein Vater kommt zu dem deinigen, um . . . um . . .

– »Um, um . . . ; kommt’s bald?«

– »Um zu fragen, ob Lukas mit Clara getraut werden kann!«

Die Jungfrau schaute betroffen und ungläubig auf Lukas, der mit kühnerem Tone fortfuhr:

– »Ob wir zusammen ein Höfchen bewohnen und als Mann und Frau mit einander leben dürfen!«

Clara zitterte, zuerst entfärbte sich ihr Gesicht, dann aber glühten ihr Stirne und Wangen und tiefbewegt senkte sie ihre Augen zu Boden.

Lukas, der diese Gemüthsbewegung nicht in ihrer wahren Bedeutung erkannte, seufzte mitleidsvoll:

– »Habe ich dir’s nicht gesagt, Clara, du würdest so gut wie ich in Verlegenheit kommen? Es ist aber deine eigene Schuld, du hast mich zum Reden gezwungen.«

Das Mädchen antwortete nicht, und in jedem ihrer Augen glänzten Thränen.

– »Du brauchst dich nicht so zu grämen, Clara,« sprach Lukas tröstend. »Denke dir doch: mein Vater will dem deinen alle seine Schulden bezahlen helfen und ihm wie ein Freund mit Rath und That beistehen; wir beide beziehen unser Höfchen, arbeiten und sparen wacker zusammen und führen ein stilles, gemüthliches Leben! Hast ja lange genug gelitten und in mühevoller Einsamkeit getrauert. Nichts will ich fortan vor Augen haben, als dein Glück; vom Morgen bis zum Abend für dich sorgen und schaffen; dich lieben und nur darauf bedacht sein, daß Alles um dich herum ein heiteres Ansehen gewinne. Meine Mutter wird auch die deinige werden; bist du ihr doch jetzt schon lieb und werth. Gestern noch hat sie ihre goldene Kette mit dem großen goldenen Herze aus dem Kasten geholt und gesagt: Dies ist für Clara meine Tochter! . . . Wie kannst du also so bitterlich weinen? Auch dein Vater wird, wenn er um sich herum nichts als Friede und Glück strahlen sieht, wenn ihn keine Sorgen mehr drücken, wenn er nur Freundschaft und, Wohlwollen ihm entgegenkommen fühlt, von seiner Plage befreit werden und in seinen alten Tagen noch frohe und friedliche Stunden genießen.«

Das Mädchen schluchzte noch stärker.

– »Mein Gott,« klagte Lukas mit bitterer Wehmuth; »ich bildete mir ein, du würdest, wie ich, vor Freude hüpfen und jetzt vergießest du Thränen, als ob ich dir das fürchterlichste Unglück angesagt hätte. Sag es nur offen heraus, Clara, wenn ich dir nicht anstehe; ich werde gelassen weggehen . . . und krank werden, und . . . «

Auf einmal ließ sich hinter der Thüre einer kleinen Nebenkammer ein Geräusch vernehmen, als ob etwas zu Boden geworfen würde.

– »Der Vater kommt!« sagte erschrocken die Jungfrau. Lukas machte einen Schritt rückwärts, um das Haus zu verlassen, aber vorher richtete er noch mit der Geberde inständigster Bitte die Worte an Clara:

– »Clara, Clara, nicht wahr du stimmst zu? Du wirst mich nicht vor Kummer ins Grab sinken lassen! Du sollst Alles von mir erhalten, wonach dein Herz verlangt, mit der zartesten Liebe behandelt . . . «

– «Schweig und mache, daß du zum Hause hinauskommst!« flüsterte angstvoll das Mädchen. »Meine Thränen sind Freudenthränen; denn so viel Glück hätte ich mir niemals träumen lassen . . . «

»Ach, Gott sei gelobt, sie weint vor Freude!« rief unter unvorsichtig starkem Rufen der glückliche Bursche, indem er zur Thüre lief.

Hier kehrte er sich nochmals um und sagte:

– »Clara, daß du mir fein Niemand was merken lässest! Ich gehe nun meinen Vater zu benachrichtigen und in einer Stunde sind wir wieder fröhlich beisammen . . . Also vor Freude wär’s!«

Er sprang zur Thüre hinaus; im Hofe angekommen warf er seine Kappe in die Luft und rief noch immer: »Die Mädchen, die Mädchen! – Vor Freude war’s, daß sie weinte!«

Clara hielt eine Weile ihr Auge nach der Thüre von ihres Vaters Schlafkammer gerichtet, da sie aber nichts mehr hörte, lenkte sie ihre Gedanken wieder auf die Nachricht, die sie eben so tief aber so angenehm erschüttert hatte. Sie wischte sich die Thränen und flüsterte mit dankbarem Blicke zum Himmel:

– »Gott, wie bist du doch so gut! Frau Torfs soll meine Mutter werden! Mein armer Vater wieder gesund und glücklich in seinen alten Tagen. Lukas und ich wir sollen zusammen arbeiten, zusammen sorgen und sparen es soll mir vergönnt werden, ihm das Leben süß zu machen, ihn zu lieben und alle seine Wünsche zu erfüllen. Von meiner Kindheit an habe ich zwischen diesen vier Wänden nur geseufzt und gelitten . . . und nun soll ich mein Leben unter liebenden Freunden verbringen? in ungetrübter Heiterkeit wirken und schaffen? Dank sei dir, Gott, für den irdischen Himmel, den Deine milde Hand mir aufschließt.«

Das Geräusch ließ sich aufs Neue vernehmen. Die Thür wurde geöffnet und Jan Staers, ihr Vater, trat herein.

Er war ein Mann von mehr als mittelmäßigem Wuchse; – wenn auch sein Körperbau Muskelkraft voraussehen ließ, so verriethen doch seine schlaffen Glieder eine frühzeitige Entkräftung und über sein aufgedunsenes Gesicht lag eine krankhafte Bleiche, verbreitet.

Das hellere Sonnenlicht, das ihm beim Eintreten in das Zimmer entgegen schien, zwang ihn, die schwach gewordenen Augen zu schließen. Sein ungeordnetes Haar hing ihm lose über die Stirne herunter und seine Kleider sahen schlottrig und vernachlässigt aus.

Er blieb an der Thüre stehen, die Hand an die Stirne haltend, als ob er an heftigen Kopfschmerzen litte.

Inzwischen war Clara, nach freundlichem Morgengruße an den Herd gelaufen, hatte die Kaffeekanne, Brod und etwas Butter auf den Tisch gesetzt und einen Stuhl vorgeschoben.

Mit niedergeschlagenen Augen und schwankenden Schrittes näherte sich Jan Staers sprachlos zum Tisch und ließ sich auf den Stuhl nieder. Das Sonnenlicht mußte ihm noch immer beschwerlich fallen, denn er sah ärgerlich in’s Freie und, befahl mit mürrischem Tone: »Mach das Fenster zu, und das schnell!«

Clara gehorchte und hielt sich schweigend in einiger Entfernung.


– Mittlerweile hatte ihr Vater nach dem Brode gegriffen und versuchte, ein Stück davon herunter zu schneiden, aber es zitterten ihm die Hände so sehr, daß es ihm mühsam, ja ganz unmöglich wurde, sich selber zu bedienen.

Aergerlich warf er den Laib so gewaltig auf den Tisch, daß ein zweites Stück an dem Teller absprang, auf welchem die Butter lag. Ein grober Fluch entfuhr seinem Munde; doch besänftigte er sich, als er sah, wie Clara, seinem Wunsche zuvorkommend, emsig beschäftigt war, Brotschnitten für ihn mit Butter zu bestreichen.

– »Lieber Vater,« bat mit sanfter Stimme das Mädchen, »werde nicht ungeduldig; du sollst Alles haben, wie du es nur wünschest! . . . Nachbar Torfs wird sogleich herkommen, um euch zu sprechen . . . «

»Was? der scheinheilige Geizhals sollte mein Haus zu betreten wagen! . . . Du hast wieder Thränen vergossen, Clara? Das Geheul will also kein Ende nehmen?«

– »Ach, Vater, Pächter Torfs wird euch einen so erfreulichen Vorschlag machen; er will uns retten und glücklich machen . . . «

– »Ich will ihn nicht sehen den Tropf. Sprich mir also kein Wort mehr davon: es ärgert mich nur!«