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Kitabı oku: «Ein Opfer der Mutterliebe», sayfa 5

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Der alte Mann starrte einen Augenblick wie erschreckt das Goldstück an, das in seiner Hand glänzte. Als er dann den Blick wieder zu mir erhob, war sein Ausdruck kummervoll.

»Nun, welch, plötzliche Furcht bewegt Euch?« fragte ich.

»Ach Herr,« seufzte er, »soll ich dann mein Thereschen niemals wiedersehn?«

»So oft Ihr wollt, mein Freund,« antwortete ich ihm. »Kommt so oft es Euch gefällt, Ihr werdet immer freundliche Ausnahme finden. Nur möchte ich Euch bitten, die ersten vierzehn Tage nicht zu kommen, ein gewichtiger Grund veranlaßt mich dazu, und außerdem muß das Kind sich an die neuen Verhältnisse erst gewöhnen; wäret Ihr bei ihm, würde es sich schwerer an uns anschließen.«

Mit einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit legte nun der alte Steinhauer seine schwielige Hund in die meine und sagte:

»So mag es gehen, Herr van Hochfeld. Ich weiß daß Sie ein edelmüthiger, redlicher Mann sind. Nehmen Sie denn mein Thereschen, seien Sie ihm ein guter Vater, und möge Gott im Himmel Sie belohnen für Ihre Großmuth gegen sie und mich alten Mann.«

Ich unterhielt mich noch eine Zeitlang mit ihm, um die Einzelheiten unseres Uebereinkommens zu regeln, schrieb die Nummer seiner Wohnung in mein Notizbuch und händigte ihm eine Karte ein, auf welcher der Name des Notars stand, bei dem er wöchentlich die versprochenen 15 Franken in Empfang nehmen sollte.

Endlich machte ich ihm begreiflich, weßhalb ich verlangte, daß Thereschen Bloempap fortan Pauline van Hochfeld heißen solle; ich ersuchte ihn, dem Kinde klar zu machen, welche unerwartete Veränderung in seinen Verhältnissen eingetreten sei und es durch gütliches Zureden zu ermuthigen, sein neues Loos mit Liebe und Freude zu ergreifen. »Ach Herr, in der Beziehung haben Sie nichts zu fürchten,« erwiderte er. »Thereschens Mutter war eine stille, sanfte, gutmüthige Frau, sie hat das Kind sorgfältig erzogen und ihm artige Manieren beigebracht. Und dann ist Thereschen selbst so lieb wie ein Engel. Sie werden selbst sehen, wie Sie aus Dankbarkeit Sie gern haben und streicheln wird, man kann nicht anders, man muß ihr gut sein. Lassen Sie mich jetzt nur zu ihr in die Wiese gehen! wenn ich zurückkomme, wird sie wissen, daß Gott ihr einen neuen Vater geschenkt hat, der sie glücklich machen will für ihr ganzes Leben.«

Damit stand der Greis auf und ging zu dem kleinen Mädchen in die Wiese.

In tiefe Betrachtung versunken blieb ich zurück, denn ein Plan war in mir erwacht, den ich als Rettungsmittel nicht allein für mich, sondern zumeist für meine unglückliche Maria hoffnungsvoll begrüßte. Wohl verdüsterten sich zuweilen meine Züge, wenn ich an die Unwahrscheinlichkeit des Gelingens meines Unternehmens dachte, aber in meinem trostlosen Zustande war jeder, auch der kleinste Hoffnungsschein, erquickend und belebend wie ein Lichtstrahl in dunkler Nacht.

Lange blieb ich so mit meinen Gedanken allein, bis das Geräusch von Fußtritten mich weckte welche mir die Rückkehr des Greises anzeigten.

Da kam er heran, das Kind an der Hand; ein stilles, schüchternes Lächeln erglänzte auf dem lieblichen Gesichtchen. Zögernd näherte es sich bis auf einige Schritte und blieb dann stehen, mein ernstes Aussehen mußte es eingeschüchtert haben. Deßhalb blickte ich es liebevoll an, streckte ihm meine Arme entgegen und rief:

»Komm doch, komm zu mir, mein Kind!«

Beruhigt und durch den Greis ermuthigt, lief Thereschen auf mich zu, kletterte auf meine Kniee, schlang die Aermchen um meinen Hals und flüsterte, indem sie mich zärtlich küßte, mit ihrem Silberstimmchen:

»Vater, lieber Vater, o ich will Dich immer so lieb haben!«

Was in mir vorging, als ich das Wort Vater wieder hörte, kann ich unmöglich beschreiben. Ich drückte das süße kleine Mädchen an mein Herz, gab ihm seine Küsse zurück und brach dann in Thränen aus, Thränen der Rührung und Freude, denn der unaussprechliche Eindruck, den ich an mir erfahren, ließ mich hoffen, daß mein Vorhaben gelingen würde.«

Eine Weile blieb ich noch so in Gedanken versunken, daß weder die Liebkosungen des Kindes, noch die Worte des Greises mich weckten; dann stand ich auf, um mit beiden zu meinem Hause zu gehen.

Unterwegs lief das Mädchen an meiner Hand; ich erzählte ihr von den schönen Puppen, von den wunderbaren Spielsachen, welche ich ihr geben würde, und von dem großen Garten voller Blumen, in dem sie fortan täglich sich umhertreiben könne. Bald hatte ich des Kindes ganzes Vertrauen gewonnen, es begann frei und zwanglos zu schwätzen und entzückte mich wahrhaft durch seine Freude über das verheißene Glück und durch sein einfältiges, süßes Geplauder.

Zu Hause angekommen; versammelte ich alle unsere Domestiken in dem Saal, wohin ich den alten Mann geführt hatte und sagte sehr ernst zu ihnen:

»Ihr seht hier ein kleines Mädchen, das fortan hier im Hause wohnen wird. Ich wünsche und befehle, daß Ihr sie pflegt und behandelt wie mein eigenes Kind, dessen Stelle sie durchaus einnimmt. Paulinchen ist gut und verständig . . . «

»Paulinchen,« flüsterten die Leute, indem sie überrascht und mit erstaunten Blicken das Kind betrachteten.

Es freute mich innerlich, daß das Aeußere von Paulinen, – denn so will ich sie fortan auch nennen, – auf meine Dienerschaft denselben Eindruck machte, wie auf mich selbst. Doch ließ ich ihnen keine Zeit, mir in Gegenwart des Kindes Bemerkungen darüber zu machen, sondern befahl der Köchin, den Greis in das Speisezimmer zu führen und ihn mit Wein und Fleisch zu bewirthen, während ich das älteste Dienstmädchen, eine treue und verständige Person, bat, mir mit Paulinchen nach oben zu folgen.

In das Zimmer getreten, wo mein verstorbenes Kind gewöhnlich einen Theil des Tages zugebracht hatte, setzte ich Paulinchen in Besitz der Puppen und all der ausgesuchtesten Spielsachen. Das Mädchen war so froh und so glücklich in diesem Kinderreichthum, daß sie sich jubelnd auf dem Teppich niedersetzte und bald in Bewunderung der schönen Puppen, mit ihren großen glänzenden Glasaugen und den gelben Flachshaaren ganz versunken war.

Die alte Magd, die sehr gern Kinder hatte, unterhielt sich mit Paulinchen und streichelte sie zärtlich; ich rief sie zu mir und begann ihr auseinander zu setzen, welches meine Plane in Anbetracht des Kindes waren. Endlich wies ich sie an, das kleine Mädchen sorgfältig zu waschen und ihm dieselben Kleider anzulegen, die mein verstorbenes Kind während der letzten Lebenszeit getragen. Sie möchte sich damit beeilen, sagte ich, denn mein Freund, der Doktor Vloebergs, müßte gleich kommen; es lag mir daran, ihm das neue Paulinchen völlig nach meinem Wunsche gekleidet zu zeigen.

Nachdem ich mich überzeugt, daß sie meine Absicht klar begriffen, ging ich nach unten zu dem alten Mann, der eben seine Mahlzeit beendet hatte und sich lebhaft bedankte. Ich führte ihn in den Garten und spazierte eine Zeitlang mit ihm auf und ab; wir sprachen natürlich über das veränderte Schicksal von Thereschen Bloempap, die nun Pauline van Hochfeld geworden war und ich versprach ihm eine nach viel reichlichere Belohnung als die anfangs in Aussicht genommene, wenn er mit gutem Willen und Bescheidenheit mir behilflich sein würde bei der Ausführung meines Vorhabens. Wir wollten also nun in’s Haus zurückkehren, damit er sein Enkelchen noch einmal sehen und von ihm Abschied nehmen sollte. Er müßte sich bezwingen und keine Trauer an den Tag legen. Nach 14 Tagen solle er kommen, die Kleine zu besuchen. – Wenn er inzwischen irgend Etwas nöthig habe, so möge er sich an meinen Notar in Brüssel wenden, welcher Anweisung erhalten würde, ihm jedes billige Gesuch zu gewähren.

Als wir nach oben kamen, fanden wir das Kind ganz angekleidet, in weißer Seide, rothe Stiefelchen an den Füßen und das blonde Haar in Locken auf den Schultern; es stand vor einem großen Spiegel und jubelte laut vor Freude und Verwunderung.

Als ich es bei seinem neuen Namen nannte, wandte es sich um. Ein lauter Ausruf der Ueberraschung entfuhr mir, ich war so verwirrt, daß ich mich auf einen Stuhl fallen ließ und stumm und zitternd das kleine Mädchen ansah, als ob wirklich mein todtes Kind aus dem Grabe erstanden sei.

Der alte Mann nahm Abschied von Paulinchen, sie umarmte ihn herzlich, zeigte jedoch keine Betrübniß über sein Fortgehn; wohl fragte sie ihn, wann er wiederkehren würde, als er darauf 14 Tage nannte, erschien ihr die Zeit durchaus nicht lang.

Darauf führte ich ihn die Treppe hinab und geleitete ihn bis auf die Landstraße, wo ich ihm Adieu sagte.

Inzwischen war die Stunde herangekommen, in der, seit unserm Unglück, der Doktor Vloebergs mich täglich zu besuchen pflegte. Heute konnte ich vor ungeduldiger Aufregung seine Ankunft kaum erwarten und sah die Chaussee entlang, ob ich seinen Wagen nicht in der Ferne entdeckte. Richtig, eben wurde er sichtbar und eilig kehrte ich in’s Haus zurück, um ihn dort zu empfangen.

Nachdem er am Thor ausgestiegen war und mir die Hand gedrückt hatte, sagte ich ihm mit einer freudigen Aufregung, die ihn nicht wenig in Erstaunen setzte:

»Ach Vloebergs, es ist mir etwas Sonderbares, etwas Unbegreifliches geschehn, das mich vor Freude und Hoffnung fast verwirrt. Vielleicht wird meine arme Frau nun dennoch genesen!«

»Genesen? genesen?« murmelte der Doktor« indem er traurig den Kopf schüttelte. »Doch lassen Sie hören, was wollen Sie damit sagen?«

»Erlauben Sie, daß ich Sie erst nach oben führe und Ihnen dasjenige zeige, worauf sich meine letzte Hoffnung gründet. Später wollen wir dann in ein Zimmer gehn und werde ich Ihnen auseinandersetzen, welchen Plan ich mir geschaffen.«

Ohne etwas zu sagen, folgte er mir die Treppe hinauf.

Das Kind stand noch vor dem Spiegel, den Rücken der Thür zugewendet.

»Paulinchen,« rief ich, »hier kommt der Herr Doktor, der gern ein Händchen von Dir haben möchte!«

Sie wendete sich um, und kam uns entgegen.

Der Doktor stieß einen Schrei des Erstaunens aus, wankte zwei Schritte zurück und erhob überrascht beide Hände. Sein Blick schweifte fragend von dem Kinde zu mir herüber, ich legte den Finger an die Lippen, ihm Vorsicht empfehlend, damit das Kind nicht erschreckt würde, während er verwundert flüsterte:

»Paulinchen? Paulinchen? Gerechter Himmel was ist denn in aller Welt hier geschehen?«

Das Mädchen näherte sich ihm, streckte ihm die Hand entgegen und sah ihn an mit einem Blick, der ihn sichtbar ergriff. Dann sprang sie auf mich zu, legte mir die Arme um den Nacken und sagte liebkosend:

»Väterchen – lieb, ich muß dich Etwas fragen, worüber ich die ganze Zeit nachgedacht. Der Großvater hat mir gesagt, daß ich auch eine neue Mutter haben solle. Wo ist sie denn? Ich möchte sie so gern sehn! Ist es eine Dame mit schönen Kleidern?«

»Ja gewiß,« antwortete ich« »eine schöne Dame, so gut und freundlich! Spiel jetzt nur weiter, Paulinchen, du wirst deine Mutter wahrscheinlich heute noch sehn.«

»Ach das ist hübsch! Wie froh will ich dann sein!« jauchzte sie.

Ich ging mit dem Doktor in den Saal hinunter. Dort erzählte ich ihm Alles, was mir an dem Tage geschehen war und wie der Direktor des Irrenhauses mir gesagt hatte, daß, wenn man meiner Frau das Verlorene wiedergeben könne, sie vielleicht genesen würde. Nun rief ich das Urtheil des Arztes an in der Frage, ob der mächtige Eindruck, den er sowohl wie ich empfunden, uns keinen Grund gab zu erwarten, daß das Erscheinen des Waisenkindes, wie die verstorbene Pauline gekleidet und ihr gleichend wie ein Tropfen Wassers dem andern, nicht auch auf meine Frau eine große vielleicht rettende Wirkung ausüben könnte.

Er sann eine Weile nach und sagte dann lebhaft:

»In der That, man muß es versuchen; in dem hoffnungslosen Zustand, wie er jetzt besteht, ist keinesfalls etwas Gewagtes dabei, und wer weiß . . . Die Wissenschaft ist nicht ohne Beispiele von ähnlichen Fällen . . . Wir wollen keine Zeit verlieren, ich gehe jetzt gleich zu dem Direktor der Anstalt um mich mit ihm zu verständigen über die Sache. Bereiten Sie indessen das kleine Mädchen vor, sie muß ihrer Frau Liebkosungen erweisen, sie mit dem Namen Mutter nennen, damit die Wirkung eine möglichst tiefe und innige sei.«

»Seien Sie deßhalb unbesorgt,« erwiderte ich, »Das Kind ist außerordentlich sanft und liebevoll, und, wie Sie selbst gehört haben, es liebt jetzt schon seine neue Mutter. Und ich werde nichts versäumen, damit es seine Rolle ausreichend erfasse, hängt doch das Glück meines Lebens, die Rettung meiner Frau einzig davon ab.«

»Nun wohl denn, ich gehe sofort,« rief der Arzt.

»Ist die arme Lebende gegenwärtig in ihrem ruhigen Zustande, so müssen wir heute noch den Versuch wagen!«

VI

Sobald der Doktor mich verlassen hatte, um mit dem Direktor des Irrenhauses zu berathen, kehrte ich zu der kleinen Pauline zurück. Ich gab zunächst der alten Magd meine Absicht zu erkennen und mit ihrer Beihilfe suchte ich dem Kinde begreiflich zu machen, was ich von ihr verlangte. Heute würde es wahrscheinlich die neue Mutter sehn, es müsse sehr freundlich sein, sie umarmen und vor Allem mit dem Namen Mutter begrüßen. Die arme Frau sei so schwer krank gewesen, sagte ich, und habe solchen Kummer gehabt! Auch jetzt sei sie noch nicht genesen und würde vielleicht beim Anblick des Kindes, nach dem sie so sehr verlange, aufgeregt und vor Glück und Freude außer sich sein. Paulinchen dürfte sich darüber nicht verwundern, noch erschrecken, im Gegentheil müsse sie dann, um die kranke Mutter zu trösten, derselben noch mehr Liebe erzeigen.

Unser Zureden war überflüssig; Paulinchen, welche innig wünschte, ihre neue Mutter zu sehn und zu umarmen, begriff sofort was wir wollten, und war sehr bereit, uns entgegenzukommen.

»Ja« Väterchen,« rief sie, »bring’ mich nur bald zu meiner lieben Mutter, ich will mich auf ihren Schooß setzen und sie küssen und drücken, daß sie gleich sehn wird, wie lieb sich sie habe.«

Nach einer guten halben Stunde kehrte der Arzt zurück mit der Nachricht, daß der Direktor unserer Ansicht zustimme und uns dort erwarte. Es sei rathsam, so wenig Zeit als möglich zu verlieren, denn Frau van Hochfeld schien an diesem Tage sehr ruhig zu sein, und man konnte nicht wissen, wie lange dieser günstige Zustand andauern würde.

Eilig ließ ich das Kind fertig machen, und gab Befehl, den Wagen anzuspannen; wenig Minuten nachher fuhren wir dem Irrenhause zu.

Das Herz schlug mir laut vor freudiger Hoffnung und ich blickte dankend zum Himmel, als ob ich die heißersehnte Wohlthat bereits erhalten hätte. War ich doch auf dem Wege, meine geliebte Frau dem dunklen Abgrund des Wahnsinns zu entreißen! Wieder sollte sie mir zur Seite stehn, mit dem klaren Bewußtsein meiner Liebe zu ihr, mein Leben erhellend durch den Glanz ihrer Gegenliebe!

Um nicht von dem Kinde verstanden zu werden, unterhielt ich mich in französischer Sprache mit meinem Freunde; ihn erschreckte die Festigkeit meines Glaubens an das Gelingens unseres Planes, er bemühte sich sogar, mich gegen eine sehr mögliche Täuschung zu waffnen, doch gelang es ihm nicht, einen Zweifel in mir zu erwecken.

Bald sahen wir die Gebäude der Anstalt vor uns liegen. Eilig wiederholten wir der kleinen Pauline alle vorhergegangenen Anbefehlungen, das gute Kind beruhigte uns vollständig über die Art und Weise, in der sie bei dem entscheidenden Versuch sich verhalten würde und so stiegen wir getrost und hoffnungsvoll vor dem Thore aus dem Wagen.

Der Direktor, der uns in Empfang nahm, führte uns in einen Saal zu ebener Erde, ließ die Kleine auf einen Stuhl niedersitzen und winkte uns dann in eine Ecke, um mit uns noch einmal Rath zu nehmen.

Nach seiner Ansicht war es empfehlenswerth, die Kranke in ihrem Zimmer einigermaßen vorzubereiten durch die Nachricht, daß das Kind wiedergefunden sei, da er fürchtete, daß der Schlag sonst ein zu heftiger sein und sie zu tief erschüttern würde. Außerdem mußte der Fall bedacht werden, wenn sie merken sollte, daß man sie betrog und ein fremdes Kind unterschob, würde sie da nicht in einen Ausbruch von Raserei verfallen und sich zu rächen suchen? In blinder Wuth konnte sie möglicher Weise zu Gewaltthätigkeiten übergehn und das unschuldige Mädchen ihr zum Opfer werden.

Mein Freund Vloebergs und ich machten dagegen geltend, daß wir eben auf die Heftigkeit des hervorzubringenden Schlages alle unsere Hoffnungen gründeten, und daß gerade das Plötzliche und Unerwartete die Umkehr der Krankheit zu Wege bringen müsse.

Der Direktor zuckte die Achseln und sagte ungläubig:

»Sie wollen den Versuch wagen? Auf ihre eigene Verantwortlichkeit denn, meine Herren, Gott gebe, daß Sie Ihr zu großes Vertrauen nicht zu bereuen haben. Frau van Hochfeld ist kränker als Sie glauben, und in ihren Wuthanfällen ist sie so stark, daß zwei robuste Männer sie kaum hindern können, ein Unglück anzurichten. Vor Allem wird es also nöthig sein, sie selbst jetzt, hier im Saal, unter Aufsicht einiger Wärter zu stellen, und sie, meine Herren, müssen darauf gefaßt sein, das Kind gegen etwaige Angriffe zu schützen . . . Nun halten Sie sich bereit, ich gehe, Frau van Hochfeld zu holen.«

Seine entmuthigenden Worte hatten sich mir wie Eis ums Herz gelegt, gesenkten Hauptes und zitternd stand ich da. Wie veränderlich und leicht bewegt ist das menschliche Gemüth; vor wenig Minuten noch so hoffnungsvoll, war ich jetzt niedergeschlagen und muthlos und schauderte vor ihrer Ankunft.

»Geben Sie Acht, da sind sie,« flüsterte nach einigen Minuten der Doktor.

Wirklich, ich hörte im Gang das Geräusch von Fußtritten. Mit der äußersten Anstrengung raffte ich meinen Muth zusammen und beharrte fest in meinem Entschluß, den Versuch so durchzuführen, wie wir ihn entworfen und überlegt hatten, es koste, was es wolle.

Da sah ich sie denn herankommen, meine arme Maria, inmitten von zwei Wächtern. Wie bleich war sie, wie gläsern und sinnlos ihre einst so schönen Augen! Ich fühlte, wie die heißen Schmerzesthränen mir über die Wangen rollten, doch bezwang ich meine Aufregung.

Maria sah mich aus der Ferne an, ein mattes Lächeln schwebte über ihre Lippen, das Herz zitterte mir vor Freude, sie hatte mich also erkannt aber dieses schwache Zeichen von Bewußtsein war eben so schnell wieder verschwunden. Widerstrebend näherte sie sich, ihre Blicke schienen zu fragen, was denn die Fremdlinge von ihr wollten.

Jetzt ergriff ich ihre Hand, zog sie an mich und rief lebhaft:

»Maria, liebe Maria, kennst du mich nicht? Ich bin ja dein Freund, dein Gatte! Ich bringe dir eine glückliche Nachricht, unser Kind, unsere Pauline ist wiedergefunden, frisch und gesund wie eine Rose. Sieh doch nur, dort ist unser Liebling, sieh wie sich die kleinen Arme dir entgegen strecken.«

Mit einem Schrei sprang Maria zurück, sie hielt den flammenden Blick auf das Kind gerichtet, ein ungläubiges Lächeln erschien in ihren Zügen und sie streckte beide Hände vor, wie um die trügerische Erscheinung von sich abzuwehren.

Ein verzweifelter Angstruf entfuhr mir, alle Zuschauer dieses schmerzlichen Schauspiels erbleichten. Wie düster es auch in dem Gehirn der armen Wahnsinnigen sein mochte, in ihrem Mutterherzen herrschte noch Klarheit! Ach, unser letzter, unser äußerster Versuch war mißglückt, sie mußte den Betrug erkannt haben!

Da ging, auf ein Zeichen des Arztes, die kleine Pauline zögernd auf die Kranke zu. Diese fuhr mit einem Ausdruck von Haß und Entsetzen zurück und drängte sich gegen die Wand. Wir ermuthigten das Kind, ungeachtet seiner Verwirrung auszuführen, was wir ihm eingeschärft.

Plötzlich schien die Kleine einen Entschluß zu fassen; sie streckte die Aermchen aus, ging noch einige Schritte auf die Kranke zu und rief mit ihrem süßen, flehenden Stimmchen;

»Ach Mutter, liebe Mutter, sei mir doch nicht böse, ich habe dich ja so lieb!«

Das mächtige Wort »Mutter« erfaßte Maria tief und gewaltig. Sie begann zu beben wie ein Rohr, sah noch einen Augenblick die kleine Pauline an, stieß einen Freudenschrei aus, der im Saal wiederhallte, nahm dann das Kind in ihre Arme, hob es auf vom Boden, drückte es an ihr Herz, küßte es unzählige Male, wankte vor Rührung auf den Füßen und brach endlich wie ohnmächtig auf einem Stuhle zusammen.

Der Direktor trat auf sie zu, sie aber, in der Furcht, daß er ihr die Kleine nehmen könnte, sprang ans und flüchtete mit ihr nach einer andern Ecke des Saals.

»Mein Kind, mein herziges Paulinchen!« rief sie zwischen immer wiederholten Küssen, Du lebst, ich habe dich wieder, süß und reizend wie zuvor! Laß mich dich fest halten, mein Engelchen. O Gott ich danke dir, daß du mir das Licht meiner Augen, die Freude und Wonne meines Herzens zurückgeschenkt! Mein Liebling! mein Kind, schling deine Aermchen um meinen Hals, bleibe so ewig an dem Herzen deiner glücklichen Mutter!«

Wir verhielten uns alle still und ließen sie eine Zeitlang ihre Freude und Liebe ergießen. Die kleine Pauline schien sich nicht mehr zu fürchten, man hätte glauben sollen, daß sie froh und stolz war über die fieberhafte Zärtlichkeit, welche ihre neue Mutter ihr erwies.

Ich wußte nicht, was ich hoffen oder fürchten sollte, der Zweifel marterte mich unsäglich. Mehr als einmal hate ich schon eine Bewegung gemacht, um zu meiner Frau zu gehen, doch hatte der Arzt mich immer wieder zurückgehalten.

Großer Gott, wie begann mein Herz zu schlagen! Jetzt nannte Maria meinen Namen! Sie erkannte mich also? Sollte in Folge der heftigen Erschütterung ihr Verstand sich ganz aufgeklärt haben?

Der Direktor hatte sich ihr wieder nähern wollen, doch als ob er ihr einen übergroßen Schrecken einflöße« rief sie mir jetzt flehend zu:

»David, o David, schütze mich vor diesem Menschen! Er will noch einmal unser Kind rauben, aber er soll es versuchen! Eher lasse ich mir die Arme ausreißen!«

Ich trat zu ihr hin, setzte mich neben sie auf einen Stuhl, erfasste ihre Hand und suchte sie durch zärtliche Worte zu überzeugen, daß ihre Furcht unbegründet, da wir nur von Freunden umgeben. Ich sagte ihr, daß der Kummer über den Verlust unseres Kindes sie krank gemacht, daß sie nun aber genesen würde, ja schon genesen sei. Aufmerksam und erfreut lauschte sie meinen Worten, nach und nach erkannte sie auch unsern Arzt und reichte ihm freundlich die Hand.