Kitabı oku: «Eine verworrene Geschichte», sayfa 7
Im Verhörsaal angekommen sagte er:
»Wartet hier, ich werde die Gefangenen holen.«
Die Pächterin und Cilia waren so erregt, das; sie kein Wort zu reden vermochten und nur still auf jedes Geräusch horchten, das ihnen das Herannahen der so lange Entbehrten verkünden konnte. Heftig schlug ihnen das Herz; sie sollten diejenigen wiedersehn, welche sie auf Erden am innigsten liebten, sollten sie nach harter Trennung in die Arme schließen, sie trösten und ihnen das Mittel bringen, sich zu retten.
Da ertönte Kettengerassel auf der Treppe und bevor sie noch der Thür sich nähern konnten lag Urban schon in den Armen seiner Mutter. Dann wand er sich los, lief zu seiner Braut und nahm ihre beiden Hände in die seinen unter Ausrufen eines so reinen Glücks, einer so innigen Freude, als liege Gram und Sorge weit hinter ihm.
Cilia wollte ihm schon ihre Verwunderung darüber aussprechen, doch nun wurde auch der Pächter hereingeführt und die Umarmungen und Freudenrufe begannen aufs Neue.
Ausdrücke der Zärtlichkeit wurden gewechselt, man jubelte über die Rückkehr des Barons, der man diesen seligen Augenblick verdankte. Die Gefangenen sollten erzählen, was sie in ihrem finsteren Kerker gelitten, wie sie geseufzt, geweint, gebetet hatten, doch war es seltsam, wie leicht sie ihr Loos zu tragen schienen. Als einzige Prüfung, die sie zu tragen hatten, schilderten sie die Trennung von denen, die sie liebten und die Furcht, daß sie ihr Schicksal zu sehr zu Herzen nehmen möchten.
Beinah hätten die Frauen über diesen Austausch von Gefühlen ganz vergessen, daß sie einen wichtigen Auftrag auszuführen übernommen hatten. Cilia erinnerte sich endlich daran und sagte:
»Die Zeit ist kostbarer als Gold, denn wir dürfen nur eine halbe Stunde hier verweilen; so seid nun still und hört mich an. Urban, lieber Urban, Alles hängt von der Antwort ab, welche Du mir geben wirst. Die Schöffen, der Droste und der Baron selbst sind sehr erbittert darüber, daß Ihr Euch Beide für schuldig erklärt. Es ist ja doch nur ein Messerstich da, mithin kann auch nur einer von Euch zugestoßen haben. Wir versprachen dem Herrn Baron, mit einem wahrheitsgetreuen Geständniß zu ihm zurück zu kehren; er wird Euch dann gewogen sein und Euch gegen die feindlichen Angriffe des Amtmanns schützen. Darum sagt uns nun aufrichtig wer von Euch Beiden hat dem Markus den Stich versetzt?«
»Ich! . . . Ich!« antworteten Beide wie aus einem Munde.
»Ach Urban, ich bitte Dich, laß Dir rathen! erkläre deine Unschuld und rette Dich und den Vater!« bat Cilia.
»So soll ich auf meinen armen Vater eine Schuld wälzen, für die ich allein verantwortlich bin?« versetzte der junge Mann ruhig. »Ich habe den Markus erstochen und kein Anderer.«
»Gott im Himmel! rief Cilia, die Augen voll Thränen, »ist es denn möglich? Du Urban? . . . Aber wie entsetzlich das Unglück auch sein mag, Gott hat es zugelassen . . . und also bist Du unschuldig, Vater.«
Eben so ruhig und fest erwiderte der alte Coutermann:
Urban täuscht Dich und Alle, mein Messer hat dem Markus den Todesstoß gegeben. Komm, mein guter Sohn laß ab von Deinem unbegreiflichen Entschluß. Um mich zu retten aus kindlicher Liebe zu mir klagst Du Dich an. Aber bedenke doch, daß ich alt und hinfällig bin »und nur wenig mehr leisten kann. Meine Tage sind gezahlt, aber bist jung, Du hast das ganze Leben noch vor Dir. Cilia und Du, Ihr werdet vereint für Eure gute Mutter sorgen bis der Herr sie in den Himmel ruft. Ueberlaßt mich meinem Schicksal; wie immer es sich gestalten möge, ich werde es muthig, ohne Klage ertragen. Kind, Kind, denke an Deine Mutter an Deine Braut! Sieh, wie sie flehend die Hände zu Dir erheben!«
»Umsonst, ganz umsonst, Vater,« versetzte Urban »nichts kann mich zu einer veränderten Aussage bewegen. Ich sollte mich für unschuldig erklären und Dich verurtheilen lassen? Davor bewahre mich Gott! Gleich damals, als doch wir vom Herrn Drosten verhört wurden, nahmst Du die ganze Schuld auf Dich; ich beklagte und bewunderte zugleich Deine edelmüthige Liebe, aber glaube mir, in der langen Nacht des Kerkers ist der Wille in mir gereift, um nichts in der Welt mich an Großmuth von Dir übertreffen und zu einer elenden Feigheit verleiten zu lassen!«
»Ihr wollt also Beide im Gefängniß bleiben und die gute Mutter Ohne Trost und Hilfe lassen?« fragte Cilia. »Ach nehmt doch Vernunft an um ihretwillen. Derjenige von Euch, welcher sich für unschuldig erklärt, darf sofort dem Gefängnisse den Rücken kehren.«
»Und der Andere?« fragte der alte Coutermann.
»Der Andre muß vor dem Schöffengericht erscheinen,« antwortete sie, aber man wird ihn freisprechen.«
»Dieser Andere bin ich!« rief Urban.
»Nein, ich allein habe mich mit meinem Messer vertheidigt, widerredete sein Vater, »laß mich vor den Schöffen diese That verantworten.«
»Nimmermehr, Vater; die Stimme meines Gewissens läßt sich nicht ersticken.«
Frau Coutermann und Cilia, die Nutzlosigkeit ihrer Bemühungen einsehend, begannen bitterlich in weinen und blickten verzweifelnd die Gefangenen an. Wer war nun der wirkliche Thäter? Was sollten sie dem Baron berichten?
Cilia versuchte nach einer Weile noch einmal, Urban und seinen Vater zu einem aufrichtigen Bekenntnis; zu bewegen, Frau Coutermann unterstützte sie darin, aber Alles war vergebens, Vater und Sohn verharrten in dem einmal eingeschlagenen Verhalten und es ließ sich nichts aus ihnen herausbringen. Mit ruhiger Entschlossenheit hielten sie ihre Aussage aufrecht, auch dann noch, als der Schließer erschien und meldete, daß die halbe Stunde verflossen sei.
Herzergreifend war der Abschied, nur mit Mühe gelang es dem alten Gerhard, die Unglücklichen von einander zu trennen.
»Geht nur hinunter,« sagte er zu den bedrückten Frauen, als er sie endlich bis zu der Wendeltreppe gebracht hatte, »der Schütze wird Euch hinauslassen aus dem Thurm.«
Hoffnungslos und schweigend thaten die Beiden wie es ihnen geheißen war. Unten angekommen wollten sie, ohne zu dem Baron zurückzukehren, das Schloß verlassen doch fanden sie ihn draußen vor dem Thore stehn, in lebhaftem Gespräch mit dem Drosten.
»Nun?« fragte er, »welcher von den Angeklagten ist der Schuldige?«
»Ach, Herr Baron, wir wissen es nicht,« seufzte Cilia.
»So bleiben sie verstockt?«
Sie nickte schweigend mit dem Kopf.
»Das ist stark!« murmelte der Edelmann verdrossen; »wenn ein strenges Urtheil wider sie ergeht so sind sie selbst Schuld daran. Dass heißt ja doch aller Gerechtigkeit Hohn sprechen!«
Die Pächterin und Cilia entfernten sich schluchzend, sie waren nahe daran, ihrer Betrübniß und bangen Sorge zu erliegen.
VII
Es war Freitag. Früh Morgens hatten sich viele Leute vor dem Dworger Gerichtshause aufgestellt, denn heute sollten die Schöffen tagen und ihr Urtheil sprechen in Sachen der beiden Coutermanns, angeklagt und geständig des Todschlags an Markus Corfs.
Von allen Seiten strömten die Neugierigen herzu, denn wenn der Vorfall auch erst vor kurzem stattgehabt, so hatte er doch wegen der seltsamen Umstände, von denen er begleitet war, in den naheliegenden Dörfern großes Aufsehen gemacht und Jeder wünschte zu erfahren, wie das Schöffengericht zu Dworg sich aus der Affaire ziehen würde. Daß es mit Wissen und Willen einen Unschuldigen verurtheilen könne war nicht gut anzunehmen, aber wie dann den Schuldigen herausfinden? Wie es hieß handelte es sich sogar um ein Todesurtheil, – gegen den Vater oder den Sohns? Oder gegen Beide?
Kein Wunder also, daß in den verschiedenen Gruppen, die sich gebildet hatten laut und heftig gestritten wurde über den muthmaßlichen Ausgang der Verhandlungen. Die Freunde der Angeklagten – und es gab deren viele – kennzeichneten sich durch Zurückhaltung und Schweigsamkeit, sie schienen besorgt und niedergeschlagen zu sein.
Vor dem Gasthofe: »Zum grünen Jäger« stand Karl mit seiner Schwester Elisabeth; sie sprachen leise mit einander und beklagten das Schicksal der Familie Coutermann, die früher zu den ersten und angesehensten des Ortes zählte und nun von einem so schrecklichen Schlage betroffen war.
Die Schenkwirthin gesellte sich zu ihnen und sagte mit einem Seufzer:
Eine traurige Geschichte, nicht wahr, Karl? Es steht schlecht mit den armen Coutermanns.«
»Sehr schlecht, Base Geerts,« antwortete er, »ich habe beinah allen Muth verloren.«
»Glaubst Du, sie würden verurtheilt werden?«
»Es ist kaum Zu bezweifeln.«
»Zum Galgen?«
»Wer weiß?«
»Aber sie haben viele Freunde unter den Schöffen.«
»Die sind fast alle zu Feinden geworden. Wie die Menschen sich nur so verändern können! Anfangs fand ich den Drosten und die Schöffen zu der Annahme geneigt, daß der Pächter und Urban ihr Leben rechtmäßig vertheidigt hätten, jetzt will Niemand mehr ein gutes Wort hören, Alle sind tief erbittert.«
»Der Herr Baron ist aber doch auch noch da.«
»Ja, und der zürnt noch mehr als die Andern.«
»Unmöglich!«
»Der Droste hat es mir selbst gesagt, Base Geerts, und begreifen läßt es sich auch Er hat die Gefangenen vorführen lassen und, nachdem er ihnen klar gemacht, daß nur Einer schuldig sein kann, sie dringend gebeten, aufrichtig zu bekennen, wer dem Markus den Stich versetzt habe; man würde alsdann zur Milde und Nachsicht gestimmt sein, aber Alles war vergebens. Da hat er sie mit Galgen und Rad bedroht, doch je schrecklicher die Aussichten waren, die er ihnen eröffnete, um so fester blieben Vater und Sohn bei der einmal abgegebenen Erklärung. Diese Hartnäckigkeit verdrießt den Herrn Baron und die Schöffen so sehr, das sie sich nun ganz dem Einflusse des Amtmanns überlassen, und so würde es mich nicht wundern, wenn über beide Angeklagten, oder doch wenigstens über einen, das Todesurtheil gesprochen würde.«
»Aber wie ist das denn möglich wandte Elisabeth ein, »die blutige Mütze des Blasius beweist ja doch, daß Markus zuerst, und zwar so schrecklich geschlagen hat, daß er dem armen Knechte den Kopf zerschmetterte.«
»Freilich, Schwester, aber der Amtmann behauptet dagegen dies Alles sei nur eine List des alten Coutermann, der dem Blasius zur Flucht verholfen hätte, und die Schöffen glauben ihm jetzt Alles.
»Du glaubst aber doch gewiß nicht, Karl, daß der Amtmann Recht hat?«
»Ach ich weiß bald selbst nicht mehr was ich glauben soll,« seufzte der junge Mann.
»Sieh, dort hinten kommt die Base Coutermann mit Cilia Roosen und ihrer Magd Therese,« sagte die Schenkwirthin. »Wie mager die arme Frau in der kurzen Zeit die geworden ist! Ihre Füße versagen ihr fast den Dienst, und wenn Cilia sie nicht stützte, würde sie niedersinken. Unglückliche Mutter, so etwas in ihren alten Tagen noch erleben zu müssen!«
»Komm, Karl, lass uns zu ihr gehn sie zu trösten suchen,« bat Elisabeth.
»Gewiß, aber wie sollen wir das denn anfangen?«
»Ein freundliches Wort wird ihr immerhin gut thun.«
»Sie bleiben stehn und kommen nicht hierher,« bemerkte die Schenkwirtin.
Frau Coutermann nebst Cilia und der Magd hatten sich an einem Hause aufgestellt, um dort das Vorübergehn der Gefangenen abzuwarten.
Kaum waren sie erkannt worden, als auch von allen Seiten Leute herzugelaufen kamen, und bald sahen sie sich von einer stets wachsenden Menge eingeschlossen, die sich zwar in einer gewissen Entfernung hielt, jedoch mit neugierigen Blicken die Mutter und die Braut der Angeklagten begaffte.
Karl und seine Schwester drängten sich durch den dichten Volkshaufen und während sie theilnehmend die Hand der trauernden Frauen drückten sagte Elisabeth:
»Pächterin, seid getrost, es wird besser gehn als Ihr denkt. Gott ist gerecht, er wird die Schöffen erleuchten und sie einsehn lassen, daß der Pächter und Urban in ihrem Rechte waren, als sie ihr Leben vertheidigten.«
Statt in antworten blickte die alte Frau mit einem schmerzlichen Seufzer zum Himmel.
»Arme Base Coutermann,« sagte nun Karl, »warum bleibt Ihr nicht lieber zu Haus, statt Euch hier einer Gemüthsbewegung auszusetzen, die Eure Kräfte übersteigen mußt Ihr werdet Euch krank machen, gefährlich krank. Kehrt heim, und wartet ruhig den Ausgang ab; sobald der Spruch der Geschworenen erfolgt ist, werde ich zu Euch eilen und Nachricht bringen; ich bitte Euch, befolgt meinen wohlgemeinten Rath.«
Die Pächterin schüttelte ablehnend den Kopf.
»Aber Du, Cilia, solltest vernünftiger sein,« wandte Karl sich an diese, »es ist Deine Pflicht und Schuldigkeit die arme Frau nach Hause zurück zu bringen.«
»Nein Karl, wir bleiben hier,« war die Antwort »wir wollen noch einen letzten Versuch wagen. Der Anblick der leidenden Frau und Mutter ist möglicher Weise von überwältigender Wirkung, und was fragen wir in unserm schrecklichen Zustande nach Gemüthsbewegungen und Krankheit?
»Was wollt Ihr denn thun?«
»Die Gefangenen bitten, auf den Knieen bitten, die Wahrheit zu sagen.«
»Aber man wird Euch sicher nicht zu ihnen lassen.«
»Wir wollen doch zum wenigstens den Versuch wagen.«
In diesem Augenblick fuhr eine Kutsche vorüber, und der darin Sitzende grüßte freundlich die Pächterin.
»Das ist unser Advokat aus Brüssel,« flüsterte Cilia, »o daß Gott ihm eine unwiderstehliche Beredsamkeit verliehe!«
»Da Ihr Euch denn weigert, nach Haus zu gehn so will ich bei Euch bleiben, sagte Karl. »Faßt nur Muth, denn wie ungünstig sich augenblicklich die Sache auch anläßt, so ist doch keineswegs alle Hoffnung verloren. Euer Advokat ist ein gelehrter Mann, der vielleicht besser als wir vermuthen, die Unschuld . . . «
Er wollte noch fortfahren, die Frauen zu trösten, als er durch eine inmitten der Volksmenge entstehende Bewegung unterbrochen wurde.
»Der Herr Baron!« tönte es von allen Seiten »da kommt der Herr Baron!«
In der That, die Stunde der Eröffnung der Sitzung nahte heran und der Herr von Dworg hatte so eben sein Schloss verlassen, um sich nach dem Gerichtshause zu begeben. Nun sah man ihn in Begleitung des Drosten und gefolgt von einem Jäger in grüner Tracht und einem Livreebedienten.
Ehrerbietig wurde ihm Plan gemacht, entblößten Hauptes standen die Leute zu beiden Seiten der Dorfstraße und ließen ihren eben so geachteten als geliebten Herrn vorübergehen.
Als er sich der Stelle näherte, wo die bekümmerten Angehörigen standen, hoben Frau Coutermann und Cilia flehend die Hände zu ihm empor. Er warf ihnen einen mitleidigen Blick zu, welcher sagen zu wollen schien:
»Arme Frauen, mich dauert Euer Schicksal, aber ich kann nichts für Euch thun.«
Ein Ausruf der Verzweiflung entrang sich der Brust der Pächterin. Der Baron schritt schweigend vorüber und wandte sich dem Gerichtshause zu.
Hier angekommen gab der Droste dem Boten und den vier Schützen einen Befehl, in Folge dessen sie mit gezogenen Säbel den Weg zum Thurm einschlugen.
»Jetzt werden die Gefangenen geholt,« hieß es im Volk, und viele Neugierige, in erster Reihe Kinder und junge Burschen, liefert hintendrein bis zum Eingang des Schlosses.
Nicht lange brauchten sie hier zu warten; wenige Augenblicke später sahen sie die Angeklagten über die Brücke geführt, Jeden zwischen zwei Schützen und mit Ketten geschlossen. Der Gerichtsdiener eröffnete den traurigen Zug.
Baas Coutermann und sein Sohn machten keineswegs den Eindruck von Verbrechern, es prägte sich weder Scham noch große Niedergeschlagenheit in ihren Zügen aus, sie trugen vielmehr den Kopf hoch aufgerichtet, blickten den Anwesenden gerade in die Augen und begrüßten selbst ihre Bekannten mit einem freundlichen Lächeln.
Dieses Verhalten erschien unbegreiflich; waren sie ihrer Freissprechung denn so gewiß, oder schöpften sie aus dem Bewußtsein ihrer Unschuld die Kraft, die es ihnen möglich machte zu lächeln, wo Alle sie von dem Tode bedroht glaubten? Vielleicht hofften sie, ihre doppelte Anklage würde die Schöffen hindern, Einen von ihnen zum Galgen zu verurtheilen.
Wie dem auch sei, kein Zeichen innerer Erregung gab sich an ihnen kund, bis sie plötzlich die Pächterin und Cilia auf sich zukommen sahn. Unwillkürlich öffneten sie da so weit die schweren Ketten es erlaubten, die Arme, um die geliebten Wesen an ihr Herz zu drücken, doch die Schützen raten dazwischen und hinderten die Frauen näher zu kommen.
Frau Coutermann und Citia knieten auf dem Wege nieder und baten die Gefangenen unter Thränen, die Wahrheit zu sagen, da dies das einzige Rettungsmittel sei.
Auch dem Pächter und Urban traten die Thränen in die Augen, doch antworteten sie nicht auf das an sie gerichtete Flehen, fanden auch keine Zeit dazu, denn die Schützen trieben sie an, weiter zu gehn, während sie gleichzeitig die Frauen zurückbleiben hießen,
Wenig Augenblicke später war das Gerichtshaus erreicht; die Angeklagten wurden nun in einen Saal geführt, wo die Schöffen bereits an einem breiten Tische Platz genommen hatten.
Mitten vor dem Tisch, als Vorsitzender des Schöffengerichtes, saß der Droste, der die Verhandlung leiten selbst aber nicht mitstimmen sollte; zu seiner Rechten nahm der Baron, der nur als bevorzugter Zuhörer anwesend war, zur Linken der Schreiber Platz. Die übrigen sieben Sessel nahmen die Schöffen ein, deren Stimmen allein das Schicksal der Angeklagten entschieden.
Auf einem Stuhl an der linken Seite des Saales sah man den Amtmann sitzen, den Kläger, und ihm gegenüber den Advokaten aus Brüssel.
Die Zeugen, etwa zehn junge Bauernburschen, saßen auf einer langen Bank im Hintergrunde des Saales.
Außer den angeführten Persönlichkeiten befand sich Niemand in dem Saale, da die Verhandlung keine öffentliche war.
»Man nehme den Gefangenen die Ketten ah,« befahl der Droste.
Als dies geschehn war, führte man sie in die Mitte des Raumes zu einer Bank, worauf man sie durch einen Schützen von einander getrennt, niedersitzen ließ. Zwei andere Schützen blieben mit gezogenem Säbel an den Enden der Bank stehn.
Als nun Alles bereit war schlug der Droste mit einem kleinen hölzernen Hammer dreimal auf den Tisch und rief laut:
»Im Namen unseres edlen Herrn berufe ich das Gericht, Recht und Gerechtigkeit zu üben, den hohen Gesetzen gemäß.
Der Amtmann sagte darauf mit dem Finger auf die Angeklagten deutend:
»Ich trete auf gegen diese Leute.«
Der Advokat versetzte:
»Ich trete auf für diese Leute!«
Im Grunde war dieses ganze Verfahren bloße Form, denn Alles war bereits untersucht, wohl erwogen und zum Urtheilsspruche reif. Der Amtmann sowohl wie der Advokat hatten eine schriftliche Abhandlung eingereicht, welche den Schöffen in einer früheren Sitzung schon vorgelegt worden waren.
Der Droste konnte mithin über das Verhör der Angeklagten und Zeugen leicht hinweggehen, da, wie es schien, keine neue Aufklärungen zu erwarten standen.
»Thomas Coutermann bleibt Ihr bei Eurer Aussage?« fragte er, »Seid Ihr es, der den Markus Corfs getödtet hat?«
Urban wandte sich seinem Vater zu und erhob bittend die Hände. Der Pächter aber antwortete ruhig:
»Ja, Herr Droste, ich und kein Anderer.«
»Und Ihr, Urban Coutermann, fahrt Ihr fort zu behaupten, daß Ihr dem Markus die tödtliche Wunde beigebracht?«
»Mein Sohn, mein Sohn, denke an Deine Mutter und an Cilia,« flüsterte der Greis, und zwei helle Thränen glänzten in seinen Augen.
»Ich allein habe ihm den Messerstich gegeben; mein Vater verleugnet aus Liebe zu mir, seinem einzigen Kinde,« antwortete der Jüngling mit fester Stimme.
Ein Ausdruck des Verdrusses malte sich in den Zügen des Barons sowohl wie der Schöffen, während der Droste murmelt:
»Wenn das Gericht ein strenges Urtheil fällt, so habt Ihr es Euch selbst zuzuschreiben.«
Dann richtete er noch verschiedene Fragen an die Zeugen, da aber Alle bei ihren schon abgegebenen Erklärungen blieben, ohne etwas Neues von Bedeutung vorzubringen, schlug er wieder mit dem Hammer auf den Tisch.
»Der Ankläger hat das Wort, es soll ihn Keiner unterbrechen,« sagte er.
Der Amtmann begann nun seine Rede gegen die Angeklagten mit unverhohlenem Eifer. Nachdem er die nächtliche Begegnung als einen unter jungen Leuten ganz gewöhnlichen Streit geschildert, zeigte er wie der Pächter und sein Sohn, zornige, boshafte und rachgierige Menschen, ihre Messer gezogen und die an und für sich unbedeutende Schlägerei in ein Mordschauspiel ausgestaltet hätten. Er klagte die beiden Coutermanns der Scheinheiligkeit an und versicherte, daß sie einen bösartigen, gefährlichen Character hätten, wenn sie auch bei Vielen für gutmüthig galten. Als Beweis dafür führte er an, daß der alte Coutermann vor beiläufig fünfzehn Jahren schon einmal vor Gericht gestanden, weil er den kürzlich verstorbenen Pächter Wellens so furchtbar geschlagen, daß der Unglückliche beinah ein Auge dabei eingebüßt, und mehr als sechs Wochen infolge der erlittenen Mißhandlung zu Bette gelegen. Wenn der Vater sich des neuerdings geschehenen Verbrechens anklage, so thue er das lediglich in der Hoffnung, das Gericht an dem Fällen eines Urtheils zu hindern, doch dürfe und würde diese elende List, ebenso wenig wie dass Verschwinden des Knechtes Blasius, die Schöffen abhalten, im Namen des Gesetzes Vergeltung zu üben für einen schändlichen Mord. Im Gegentheil müsse diese Falschheit, welche falls sie gelänge, der Gerichtsbarkeit von Dworg auf ewige Zeiten den Stempel der Lächerlichkeit aufprägen würde, mit unerbittlicher Strenge gezüchtigt werden, Allen zum abschreckenden Beispiel welche Lust verspüren möchten, sich gleichfalls darin zu versuchen. Und da nun die Coutermanns sich beide schuldig erklärten, könnte der Gerichtshof nichts anderes thun als sie Beide mit gleicher Strafe belegen; er beantrage daher für Vater und Sohn die Strafe der Mörder: für den Vater, angesichts seines Alters, den Galgen, für den Sohn, der zweifelsohne der wirkliche Mörder sei, das Rad.
Die Rede des Amtmanns brachte einen tiefen Eindruck auf die Schöffen hervor. Unter andern Verhältnissen würden vielleicht seine heftigen Gebärden, seine krampfhaft verzogenen Lippen und gehässigen Worte die entgegengesetzte Wirkung gehabt haben, jetzt aber, wo sie meistens selbst gegen die Gefangenen eingenommen waren, nahmen sie bereitwillig in sich auf, was Jenen zum Nachtheil gereichen mußte.
»Der Vertheidiger hat das Wort!« rief jetzt der Droste.
Mit einigermaßen bewegter Stimme begann der Advokat seine Vertheidigung, er fühlte, daß er hier auf ungünstigem Boden sich bewegte und hegte wenig Hoffnung an einen guten Erfolg, gleichwohl wollte er gewissenhaft und nach besten Kräften seiner Aufgabe gerecht werden.
Der Advokat wies dann darauf hin, daß der alte Coutermann und sein Sohn von Allen, die sie kannten, geliebt und für die gutartigsten Menschen der Welt gehalten seien. Von dem Verschwinden des Knechtes Blasius sprach er nur vorübergehend, ebenso von der doppelten Selbstanklage, wiewohl er seinen Schutzbefohlenen dieses zweifelhafte Benehmen dringend abgerathen hatte, – er behandelte das als unbedeutende Nebenumstände. Den Schwerpunkt legte er darin, daß die Angeklagten nichts gethan hatten, als ihr Leben rechtmäßig vertheidigt und daß kein Gerichtshof der Welt daran deuten könne sie dafür zu bestrafen. Zum Schluß appellierte er noch einmal an die Gerechtigkeit der Schöffen und verlangte die sofortige Freilassung der Gefangenen.
Der Advokat war sichtlich in Verlegenheit gewesen, wie er die doppelte Selbstanklage deuten und entschuldigen sollte, und doch war dies der Punkt, auf den es am meisten ankam. Wenn daher seine Rede auf zwei oder drei Schöffen auch einen halbwegs vortheilhaften Eindruck zu Wege brachte, die Uebrigen zuckten die Achseln und schüttelten dann mißmuthig den Kopf.
»Der Ankläger hat noch einmal das Wort zur Widerlegung,« sagte der Droste.
»Ich habe nichts mehr hinzuzufügen,« versetzte der Amtmann triumphierendem Blick, »als daß ich bei meinem ersten Antrag bleibe: dem Vater der Galgen, dem Sohne das Rad.«
»Und Ihr Vertheidiger?«
»Wäre ich nicht so fest überzeugt,« sagte der Advokat, »daß die Herren Schöffen die Angeklagten freisprechen werden, so würde ich ihnen zu beweisen suchen, daß von einer Todesstrafe gar nicht die Rede sein kann, da ja alle Umstände zu Gunsten der Coutermanns sprechen, ich unterlasse es, weil man daraus schließen könnte, daß ich hinsichtlich des Urtheils, das hier gesprochen werden wird, in Zweifel sei. Nein, ich zweifle nicht! Verurtheilte man brave, ehrliche Menschen, die ihr Leben vertheidigt haben gegen einen Rauf- und Trunkenbold, gegen einen Menschen, der, wie ich nur mit Leidwesen und Abscheu ausspreche, – seine eigne Mutter zu mißhandeln wagte, so beginge man ein himmelschreiendes Unrecht, das Gericht von Dworg besudelte sich mit einem unauslöschlichen Schande. Ich habe gesprochen!«
»So können wir jetzt zur Abstimmung übergehn,« sagte der Droste.
Der Baron aber und die Schöffen waren anderer Meinung und riethen leise dem Drosten noch einen Versuch zu machen, die Gefangenen von der doppelten Anklage abzubringen. Denn der Gedanke, ein Urtheil, vielleicht im ein Todesurtheil fällen zu sollen mit der Gewißheit, einen Unschuldigen zu bestrafen, schreckte sie so sehr, daß nur die dringendste Nothwendigkeit sie dazu bringen konnte.
»Thomas Coutermann,« sagte der Droste, »Ihr habt gehört, was man hier zu Eurem Nachtheil und zu Eurer Entschuldigung vorgetragen hat; wünscht Ihr noch Etwas hinzuzufügen?«
»Ich unterwerfe mich demüthig dem Ausspruch des Gerichtes,« versetzte der alte Pächter aufstehend »und ich bitte die Herren Schöffen nur sich selbst zu fragen, wag sie in unserer Lage gethan haben würden. Glauben dann, dennoch ein Urtheil aussprechen zu müssen, so fällt es hoffentlich nicht so strenge aus, als der Herr Amtmann, es fordert, der ja außerdem die Verurtheilung eines Unschuldigen mit Eifer betreibt. Ich allein bin der Strafbare warum soll da mein Sohn in die Anklage und in das Urtheil verwickelt werden? Muß man dem Hasse des Amtmanns ein Opfer bringen, ist der wirklich schuldige da nicht genug? Ach, ich kenne die Schöffen zu lange als gottesfürchtige, rechtliche Menschen, um eine schreiende Ungerechtigkeit von ihnen zu befürchten.«
»Und Ihr, Urban Coutermann,« fragte der Droste, »gebt Ihr endlich zu daß Euer Vater es ist, der das Verbrechen begangen hat?«
»Gott wolle meinem Vater seine treue Liebe vergelten,« sagte Urban, »aber um mich zu retten und ihn zu verderben werde ich nicht feige die Wahrheit verleugnen.«
»Macht keine weitere Versuche Ihr Herren, ein anderes Geständniß zu erlangen, als ich nun schon so oft abgelegt habe! Ich bin der allein Schuldige, und wenn Jemand büßen muß, so könnt Ihr gerechter Weise nur mich allein bestrafen.«
Der Baron, der Droste und die Schöffen blickten einander verlegen und ärgerlich an. Einige der Letzteren, vom Amtmann aufgereizt, wollten schon den Saal verlassen und in einem anstoßenden Gemach ihr Urtheil berathen und abgeben, Andere hingegen, auf welche die Worte des alten Coutermann einen tiefen Eindruck gemacht, schlugen vor, den Ausspruch auf einen andern Tag zu verlegen. Ihr Gewissen sträubte sich dagegen, einen Unschuldigen zu bestrafen, vielleicht brachte die Zeit dennoch Licht in diese verworrene Geschichte.
Der Amtmann drang mit Ungestüm auf ein sofortiges Urtheil; der Droste und die Schöffen sahen erwartungsvoll fragend zum Baron hin, als hofften sie durch einen Rath von ihm aus dieser seltsamen und beinah lächerlichen Situation befreit zu werden, aber der Edelmann, eben so rathlos wie sie, zuckte nur schweigend die Achseln.
Da ertönte plötzlich draußen vor dem Gerichtshause ein sonderbares Geräusch; die sonst so ruhige und ehrerbietige Bevölkerung Dworgs schien in Aufstand gerathen zu sein und durch wüsten Lärm ihre Unzufriedenheit Luft zu machen, oder gar die Richter bedrohn zu wollen.
Entrüstet über eine solche Kühnheit seiner Untergebenen, stand der Baron auf, um hinaus zu gehn doch war er noch nicht bis in die Mitte des Saales gelangt als er verwundert zurückfuhr und seinen Sessel wieder einnahm.
In der Thür erschien ein seltsam mißgestaltetes Wesen, das eher einem Wilden, als einem civilisirten Menschen glich. Seine Kleider waren beschmutzt und zerrissen, seine Haare standen struppig aufrecht, wie Borsten, die rechte Seite des Kopfes war mit einem braunrothen Tuch umwunden, dessen garstige, widerwärtige Farbe von getrocknetem Blute herrühren mußte. Eins seiner Augen war dick geschwollen, und das Gesicht durch gelbe, blaue und schwarze Flecken entstellt, offenbar hatte man einen furchtbaren Schlag darauf geführt. Oder sollte der arme Mensch sich durch einen Fall verletzt haben?
Aber alle Zweifel schwanden, als Urban in erfreutem Tone ausrief:
»Blasius Schleifstein! Unser Knecht! Er lebt, er lebt!«
Blasius Schleifstein keuchte gewaltig, er war gänzlich außer Athem; mit der Hand wischte er die Schweißtropfen von der Stirn, er mußte über seine Kräfte gelaufen sein.
Jeder erwartete nun gespannt die neue Wendung, welche die Sache nehmen mußte, denn dieser Zeuge konnte besser als sämmtliche Uebrigen erzählen, in welcher Weise der Ueberfall und der Todtschlag stattgefunden hatte.
»Blasius Schleifstein,« sagte der Droste, Ihr waret zugegen, als Markus Corfs mit einem Messerstich getödtet wurde. Wollt Ihr uns einmal, der Wahrheit gemäß, mittheilen, was Ihr von dem Vorfalle wißt?«
»Was habt Ihr vor?« rief der Knecht ohne auf die Frage des Drosten zu achten, »meine beiden guten Herren wollt Ihr verurtheilen? . . . Mich könnt Ihr aufhängen, mich! . . . Lieber will ich am Galgen sterben als feige und undankbar sein und ewig dafür in der Hölle braten! Gebt meinen Herren die Freiheit, ich bin der Schuldige, ich habe den garstigen, bösen Markus todtgestochen, wie er es nicht besser verdiente: seht nur meinen Kopf an! Doch das bleibt sich gleich, jedenfalls sollt Ihr mich aufhängen, ehe Ihr dem Pächter und Urban etwas zu Leide thut.«
Ein überraschtes Gemurmel ging durch den Saal. War das die erhoffte Aufklärung? Statt zwei Angeklagter hatte man deren jetzt drei!
»Vater, Vater, Gott sei gelobt! Du warst es also im nicht, der den Markus erstochen hat?« fragte Urban mit gedämpfter Stimme.
»O welches Glück Urban, mein Kind, Du bist unschuldig?« gab der Pächter eben so leise zurück.
»Wieder eine neue List,« brummte der Amtmann, »dieses Volk treibt einen wahrhaft empörenden Spott mit dem Gerichte!«
Der Baron flüsterte dem Drosten einige Worte ins Ohr, worauf dieser dreimal kräftig den Hammer ertönen ließ.
»Niemand hat hier zu reden ohne meine Erlaubniß!« rief er. »Vielleicht ist das Zeugnis; dieses Menschen gewichtiger als wir glauben, hören wir ihn ruhig an . . . Also, Blasius Schleifstein Ihr behauptet, den Markus ermordet zu haben; wie wollt Ihr das beweisen?«